2222/J XXI.GP
Eingelangt am: 28.03.2001
DRINGLICHE ANFRAGE
gemäß § 93 Abs. 1 GOG - NR
der Abgeordneten Mag. Andrea Kuntzl
und GenossInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend FP - Spitzelaffäre wird Justizskandal
Die beiden Oppositionsfraktionen SPÖ und Grüne haben am 14. Dezember 2000 gemeinsam
eine Dringliche Anfrage an den Bundesminister für Justiz eingebracht, mit welcher die FP -
Spitzelaffäre, aber auch die Gefährdung des österreichischen Rechtsstaats durch Mitglieder
der FP/VP - Bundesregierung thematisiert wurde.
Am Beginn der Begründung stand folgendes:
demokratischen Systems über einen Grundkonsens an Werten verfügen und sich in ihrem
politischen Agieren dementsprechend verhalten. Zu diesem Grundkonsens gehört
insbesondere das Bekenntnis zum Rechtsstaat, zur unabhängigen Justiz, zur
Demonstrationsfreiheit, zur Meinungsfreiheit und zur Meinungsvielfalt. Für eine positive
Weiterentwicklung der Gesellschaft ist es bei aller Verschiedenheit der politischen
Anschauungen notwendig, diesen Konsens zu erhalten und auszubauen. In den letzten
Monaten zeigte sich zunehmend, dass dieser Konsens von Vertretern der Regierungsparteien,
insbesondere der FPÖ, in Frage gestellt wird.
staatlichen Ordnung. Die Entwicklung des Rechtsstaates ist geprägt durch Gedanken wie
Herrschaft der Gesetze vor der Willkür Einzelner.
garantiert die
Unabhängigkeit der Richter in der Ausübung ihres richterlichen Amtes.
den demokratischen Staat besteht in der parteipolitischen Einflussnahme auf die
Verwaltungsführung, so Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts.
Hauptaspekte der Rechtssicherheit ist die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Die Gleichheit ist
vor allem auch durch die notwendige Distanz des Bundesministers für Justiz zu allen
Verfahren garantiert. Vorverurteilungen oder Vorfreisprüche - erst recht wenn sie durch
hohe Amtsträger des Staates geschehen - sind jedenfalls aus der rechtsstaatlichen Sicht
scharf zurückzuweisen. Die unbedingte Einhaltung aller rechtsstaatlichen Prinzipien gerade
durch die Mitglieder der Bundesregierung ist für die Demokratie unabdingbar.“
Wie wichtig und bedeutsam diese Überlegungen zum Rechtsstaat im Rahmen der damaligen
Dringlichen Anfrage waren, wird durch die skandalösen Vorgänge rund um die gerichtliche
Aufarbeitung des Spitzelskandals, die vorige Woche bekannt wurden, deutlich.
Die Zeitschrift News (Nr. 12/2001) berichtete über einen News vorliegenden Aktenvermerk
des zuständigen Untersuchungsrichters Dr. Stefan Erdei, mit welchem dieser schwerste
Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft erhob. Aus dem Text:
"* Akten vorenthalten.
Zitat: „Bei Durchsicht des gestern
Nachmittag von der StA Wien in 5 Kartons übermittelten Aktes stelle
ich fest: (...) Eine erste Durchsicht ergibt, dass der (von der
WiPol Wien und StA Wien) in den letzten Monaten mehrfach medial
angekündigte 'Schlussbericht' oder sonst eine als Vollanzeige zu
wertende Aufstellung der Verdachtsfälle und deren Zuordnung zu
konkreten Verdächtigen sich nicht bei dem übermittelten Konvolut
befindet.“
* Aktenchaos.
Berichte der Wirtschaftspolizei wurden ohne
Eingangsvermerk der Staatsanwaltschaft weitergeleitet, was eine
chronologische Ordnung unmöglich macht. Es kommt aber noch dicker.
Zitat: „Die Aktenordner tragen auf dem Rücken Bezugsvermerke
(offenbar von der WiPol gesetzt), die offenbar auf eine interne
Ordnung der Inhalte oder auf eine Auflistung Bezug nehmen, die
jedoch nicht
vorliegt.“
* Vernichtende Bilanz.
U - Richter Erdei weiter: „Insgesamt ergibt
sich folgendes Bild: Offenbar wurde von der WiPol eine Faktenliste
angefertigt, die zumindest 42 Fakten aufzählt. Auch unter
Berücksichtigung der bereits vorliegenden Berichte und Ergebnisse
liegen derzeit nur Unterlagen zu insgesamt 11 Fakten, somit zu knapp
1/4 der offenbar von der WiPol Wien angezeigten Fakten, dem Gericht
vor.“
Und selbst diese 11 Fakten scheinen offensichtlich im Chaos der
Staatsanwaltschaft zu versinken. Erdei: „Die Einordnung der nunmehr
dem Gericht übermittelten Unterlagen in den Gesamtbezug ist mangels
Vorliegen einer Gesamtdarstellung ('Schlussbericht') sowie Angaben
zur Nummerierung ('Faktenliste') nicht möglich.“
Erdeis Fazit: „Mangels Vorliegen eines Schlussberichts ist daher
zumindest nicht in allen Fällen mit Sicherheit erkennbar, welche
Handlungen einzelnen Verdächtigen nach Abschluss der Erhebungen
tatsächlich zur Last gelegt werden.“ Krönender Nachsatz: "Die
nunmehr gestellten Anträge der Staatsanwaltschaft Wien verweisen nur
auf die mitgelieferten Urkundenkonvolute und enthalten keine
Darstellung des als rechtswidrig verdächtigen Verhaltens.“
*Akten aus dem Zusammenhang gerissen.
Schlussabsatz: „Da die übermittelten Ordner offenbar
aus dem Zusammenhang gerissen wurden,
ist eine dem Sinn der §§ 375, 378 Geschäftsordnung entsprechende
Seiten - und Bandnummerierung faktisch nicht möglich.“
Gezeichnet: Dr. Stefan Erdei.“
Der Wertung dieser Vorgänge durch die Zeitschrift News kann nur vorbehaltlos zugestimmt
werden: „Diese Vorgänge die Arbeit der Staatsanwaltschaft betreffend würden jeder
Bananenrepublik zur Ehre gereichen“.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft scheinbar alles
unternimmt, um die Aufklärung des Spitzelskandals zu verhindern.
Nach der Veröffentlichung dieses Aktenvermerkes des zuständigen Untersuchungsrichters
begannen Vertreter der Staatsanwaltschaft anscheinend nervös zu werden:
Aus dem Schlussbericht wurde plötzlich ein Informationsbericht für den Leitenden
Staatsanwalt Erich Wetzer; so dieser: „Ich wollte mir nur einen Überblick verschaffen. Der
Abschlussbericht war
für das Gericht gar nicht vorgesehen.“
Plötzlich erhält die Sonderkommission von der Staatsanwaltschaft neuerlich den Auftrag,
einen Bericht zu verfassen. Über diesen Auftrag herrscht völlige Unklarheit. Einerseits soll
diese Weisung den Inhalt haben, dass die Passagen über Haider und Stadler nicht mehr in den
neuen Bericht aufgenommen werden dürfen, andererseits erklärt Wetzer öffentlich, dass alle
bisherigen Ermittlungen im Bericht enthalten sein werden.
Diese widersprüchliche und dilettantische Vorgangsweise der weisungsgebundenen
Staatsanwaltschaft muss umgehend in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss
aufgeklärt werden; die BürgerInnen haben das Recht, über die Ergebnisse dieser Prüfung
rasch und umfassend informiert zu werden.
Zum Spannungsverhältnis zwischen dem unabhängigen Untersuchungsrichter und der
weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des FP - Spitzelskandals und den
notwendigen Konsequenzen daraus führt Ronald Escher in den Salzburger Nachrichten
(24. März 2001, S.2) beeindruckend deutlich aus:
DER STANDPUNKT
Der Gegensatz
der Kräfte
RONALD ESCHER
Der Wiener Untersuchungsrichter Stefan Erdei ist ein mutiger Mann. In
den Vorerhebungen zur "Spitzelaffäre" hat er zwar nur die Aufträge
der Staatsanwaltschaft zu erfüllen und kann von sich aus nicht tätig
werden. Da er jedoch "seinen" Ermittlungsspielraum offenbar genau
nimmt, geriet er ins Schussfeld: Die FPÖ erging sich in Drohgebärden
gegen die Justiz, Klubchef Peter Westenthaler attackierte Erdei
persönlich.
Doch der Richter hat dem Druck standgehalten und jüngst in einem
Aktenvermerk sein Unverständnis über die Vorgangsweise der
Staatsanwaltschaft - interpretiert als „Behinderung“ - erkennen
lassen. Jetzt heißt es, ein von Erdei beauftragtes Gutachten zu einem
angeblichen Brief von Leibwächter Horst Binder an Jörg Haider komme
zu einem anderen Ergebnis als jener Graphologe, der in dem Brief eine
"Fälschung"
sah.
Hier ein unabhängiger Richter, dort eine weisungsgebundene
Staatsanwaltschaft, von deren Anträgen oder Nicht - Anträgen Erdeis
Arbeit abhängig ist. Weisungsgebunden, das heißt: Was der zuständige
Staatsanwalt beantragt oder nicht beantragt, prüfen der Gruppenleiter
und der Behördenleiter, dann der zuständige Oberstaatsanwalt - in
diesem Fall einer, der sich mittlerweile von rechtslastigen
„Jugendsünden“ distanziert -, dann der Leiter der
Oberstaatsanwaltschaft. Und am Schluss der Kette steht der FPÖ -
Justizminister. Der hat allerdings zugesagt, keine Weisung zu geben.
Unabhängigkeit und Weisungsgebundenheit - das ist ein Gegensatz der
Kräfte. Andererseits: Eine Weisung wäre ja nur das Äußerste. Oft weiß
eh ein jeder von allein, was er zu tun und zu lassen hat. Es ist nur
zu hoffen, dass man sich auf allen Seiten auch der Sensibilität der
„Spitzelaffäre“ voll bewusst ist. Sonst bliebe zuletzt nur ein
parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Der bisherige Höhepunkt des Spitzelskandals liegt jedoch in der geplanten Versetzung des
Untersuchungsrichters gegen dessen Willen an ein Bezirksgericht, wie Format in seiner
Ausgabe vom 26. März: 2001 berichtet. So:
Unbequemer U - Richter. Der Grünenabgeordnete Peter Pilz vermutet
hinter der Aktion der weisungsabhängigen Staatsanwaltschaft eine
"politische Säuberungsaktion". Der Justizsprecher der SPÖ, Hannes
Jarolim, sieht die Richterschaft überhaupt im „Würgegriff‘ des
freiheitlichen Justizministers Dieter Böhmdorfer.
Auch wenn der Leiter der Wiener Staatsanwaltschaft, Erich Wetzer,
diese Vorwürfe energisch zurückweist, werden Verdächtigungen dieser
Art schon bald neue Nahrung bekommen. Denn wie der unbequeme
U - Richter Stefan Erdei (FP - Westenthaler: „Der hat sie doch nicht
alle") gegenüber FORMAT bestätigt, könnte er bald abgelöst werden:
„Es wird tatsächlich daran gedacht, mich zu versetzen. Das könnte
schon demnächst passieren. Darüber wurde ich bereits verständigt.“
Der junge Untersuchungsrichter ist einer von drei Ersatzrichtern
am Landesgericht für Strafsachen in Wien. Weil es dort zu viele
Richter gibt, wird überlegt, Erdei bald an ein Bezirksgericht zu
schicken. Der Richter: "Die Motive, die dahinterstecken, kenne ich
nicht. Wenn Sie mich fragen, ob ich weiter hier arbeiten möchte, ist
die Antwort ja. Laut Paragraph 77, Absatz 6 des
Richterdienstgesetzes
könnte man mich sogar nach Kärnten versetzen.“
Damit gibt es deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Aufklärung des FP - Spitzelskandals
rund um Haider endgültig verhindert werden soll, was künftig überhaupt die Unabhängigkeit
der Richterschaft schwer beeinträchtigen könnte. Unbotmäßige Richter mussten in Zukunft
mit ihrer Versetzung rechnen.
Hier ist nun wirklich rasches Handeln notwendig: Ein Untersuchungsausschuss muss
dringlichst die Verantwortlichkeiten für diese willkürliche, den Rechtsstaat gefährdende
Versetzungsentscheidung aufklären und diesen rechtsstaatlichen Wahnsinn verhindern.
Der gesamte Justizskandal wird aber durch das nunmehr vorliegende 2. Gutachten des
Institutes für Kriminologie (Gutachter Univ. – Prof. Dr. Christian Grafl), das den Binder - Brief
für wahrscheinlich echt erklärt, noch um eine weitere Facette aufgefettet:
Zunächst der Binder - Brief im Wortlaut:
Horst Binder
Jakob - Ghon - Allee 1
9600 Villach
Villach, am 23.01.199
Sg. Herr Bundesobmann,
lieber Jörg!
Da verschiedene Anfragen von freiheitlichen Spitzenfunktionären – betreffend der am Beiblatt
ersichtlichen Person an mich herangetragen wurden, ich die einzelnen Beweggründe jedoch
nicht durchschauen konnte, übermittle ich Dir zwei Auszüge aus dem polizeiinternen Computer.
Wobei ich Dich ersuche diese nach Kenntnisnahme zu vernichten.
Für eventuelle Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit besten Grüßen
Horst BINDER
Dazu hält Univ. – Prof. Dr. Christian Grafl in seinem Gutachten fest:
3.1 Die physikalisch - technische Untersuchung und die Analyse von Strichstruktur und Bewegungs -
führung der im Original vorliegenden Schriftstücke mit den fraglichen Eintragungen ergeben weder
Hinweise auf mechanische oder frei gestaltete langsame Nachahmungsfälschungen, die sich genau an
ein Vorbild halten, noch Anhaltepunkte für massiv verstellte, kaum schreiberspezifische Merkmale
enthaltende
Handschriften. Die fraglichen Vermerke und Texte wurden vielmehr weitgehend
zügig
und automatisiert zu Papier gebracht und sind daher grundsätzlich für eine schriftvergleichende
Untersuchung geeignet.
3.2 Der Vergleich des im Befund unter 2.2.1 beschriebenen fraglichen Vermerks mit den unter 2.3
aufgezählten Vergleichsschriften von Herrn Horst Binder ergibt mehrere, im Befund unter 2.4.1
detailliert angeführte Übereinstimmungen sowohl in sogenannten allgemeinen, formübergreifenden
Schriftmerkmalen als auch in der Gestaltung und Bewegungsführung einzelner Buchstaben und
Ziffern.
Den Übereinstimmungen stehen zwar einerseits keine Unterschiede gegenüber, die den Verdächtigen
als Urheber des fraglichen Vermerks ausschließen oder auch nur unwahrscheinlich machen würden.
Der sehr kurze fragliche Text weist aber anderseits zu wenig charakteristische Besonderheiten auf, um
ihn eindeutig oder auch nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließlich einer bestimmten Person
zuordnen zu können.
Die zusammenfassende Bewertung aller Gemeinsamkeiten ergibt unter Berücksichtigung der Kürze
und relativen Merkmalsarmut des fraglichen Textes sowie fehlender grundsätzlicher Abweichungen,
daß der unter 2.2.1 beschriebene fragliche Vermerk auf der Rückseite des mit 23.01.1994 datierten,
angeblich von Horst Binder unterschriebenen Briefes wahrscheinlich vom Verdächtigen Horst
Binder geschrieben worden ist.
3.3 Die Gegenüberstellung der im Befund unter 2.2.2 bis 2.2.4 beschriebenen fraglichen
Eintragungen auf dem Postaufgabeschein vom 23.1.1995 sowie den Datenausdrucken aus dem
Kriminalpolizeilichen Aktenindex und dem KFZ - Zentralregister mit den vorliegenden
Vergleichsschriften von Horst Binder ergibt sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede, die im
Befund unter 2.4.2 ausführlich beschrieben worden sind.
Die Unterschiede stehen einerseits, wie oben unter 2.4.2 abschließend ausgeführt, in keinem
grundsätzlichen Widerspruch zur Schreibfähigkeit und den Schreibgewohnheiten von Herrn Binder.
Andererseits lassen Art und Zahl der festgestellten Unterschiede trotz mehrfacher Gemeinsamkeiten
aber auch keine positive Schreiberidentifizierung zu.
Die zusammenfassende Bewertung der einzelnen Befunde ergibt somit, daß die Frage, ob Horst:
Binder die unter 2.2.2 bis 2.2.4 beschriebenen fraglichen Eintragungen auf dem Postaufgabeschein
vom 23.1.1995 sowie den Datenausdrucken aus dem Kriminalpolizeilichen Aktenindex und dem KFZ -
Zentralregister geschrieben hat, zumindest mit den vorliegenden Vergleichsschriften nicht
entscheidbar ist. Die Urheberschaft von Herrn Horst Binder kann hier also nicht einmal mit einfacher
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen oder ausgeschlossen werden.
3.4 Da die schriftvergleichende Gegenüberstellung von Handschriften hier einmal zu einem im
Wahrscheinlichkeitsbereich liegenden Ergebnis führt, lege ich abschließend noch die von mir
verwendeten Abstufungen bei derartigen Wahrscheinlichkeitsaussagen dar. Wenn die Frage der
Schrifturheberschaft zwar nicht eindeutig zu beantworten, aber dennoch entscheidbar ist,
bezeichne ich ihr Vorliegen oder Ihren Ausschluß als
„wahrscheinlich“,
„hoch wahrscheinlich“ oder
„sehr hoch wahrscheinlich“.
Diese Wahrscheinlichkeiten können in der Handschriftvergleichung derzeit nicht in exakten,
mathematisch eindeutig ableitbaren Prozentwerten ausgedrückt werden, entsprechen jedoch
unterschiedlichen Abstufungen. Als „wahrscheinlich“ bezeichne ich ein Ergebnis erst dann, wenn die
hierfür
sprechenden Argumente bereits deutlich überwiegen. Diese Einstufung deckt
einen weiten
Bereich ab. Die daran anschließende Einstufung "hohe Wahrscheinlichkeit“ umfasst hingegen einen
deutlich engeren Bereich, während die Einstufung „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ nur mehr den
schmalen Grenzbereich zu einem eindeutigen Ergebnis betrifft.
20. März 2001
ao. Univ. - Prof. Dr. Christan Grafl
Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger
Bei Bekannt werden des Erstgutachtens bezeichnete die Rechtsvertreterin Jörg Haiders, Mag.
Huberta Gheneff - Fürst, den Binder - Brief als das Hauptbelastungsmittel gegen Jörg Haider,
welches damit in sich zusammengebrochen sei.
Landeshauptmann Haider führte damals aus, dass die gegen ihn geführte Kampagne im
Rahmen des Spitzelskandals durch die Tatsache, dass der Binder - Brief gefälscht sei,
endgültig zusammengebrochen wäre und forderte Konsequenzen für eine Reihe von
Gesetzesbrüchen durch führende Beamte. Die Vorwürfe gegen ihn bezeichnete er als Skandal
von Kräften in Österreich, die mit gezinkten Karten versuchen, ihn schlecht zu machen.
Sein Statthalter Westenthaler führte dazu aus: „Beginn einer roten Staatsaffäre, gefälschtes
Beweismittel gegen Kärntner Landeshauptmann, parteipolitisch motivierte Ermittlungen.“
Auch er bezeichnete den Binder - Brief als das Hauptindiz gegen Jörg Haider.
Wir halten fest: Haider selbst, seine Rechtsvertreterin und der FP - Klubobmann haben
öffentlich - im Vertrauen auf das Erstgutachten - den Standpunkt vertreten, dass der Binder -
Brief das Hauptbelastungsmittel gegen Haider sei. Und dieses Beweismittel ist nach einer
wissenschaftlichen gutächtlichen Äußerung des Kriminologen Univ. Prof. Dr. Christian Grafl
nunmehr wahrscheinlich echt und keine Fälschung.
Es ist damit nachgewiesen, dass Binder im Auftrag von Haider illegale Datenabfragen im
Polizeicomputer vorgenommen hat und die Ergebnisse diesem übermittelte. Die Vorwürfe des
Datenmissbrauches durch hochrangige FP - Politiker hat sich daher bestätigt. Ein
Landeshauptmann, gegen den so schwerwiegende Verdachtsmomente der Spitzelei aus
politischem Interesse vorliegen, sollte sich umgehend bei den österreichischen BürgerInnen
entschuldigen und die
notwendigen Konsequenzen ziehen.
Darüber hinaus ist durch all diese Vorgänge auch der Ruf des österreichischen Rechtsstaates
in Europa wieder auf dem Prüfstand; so führt die angesehene Süddeutsche Zeitung am
26.3.2001 folgendes aus:
Unvollständige Akten
Im „Tatort“ hat man derlei noch nicht gesehen: Der
Untersuchungsrichter kann den/die Täter nichts Gescheites fragen,
weil das Aktenkonvolut über den Kriminalfall unvollständig ist. Im
Rechtsstaat Österreich ist dies ausgerechnet in einem Fall geschehen,
in den auch Politiker verwickelt sind: In der Polizeispitzel - Affäre,
in der FPÖ - Politiker Polizisten angestiftet haben sollen,
Personendaten illegal weiterzureichen. Vorwürfe gegen eine
Staatsanwaltschaft, die dem Justizminister weisungsgebunden ist, der
wiederum zur FPÖ - Mannschaft gehört.
Natürlich haben die Beschuldigten, zu denen im Grunde nun auch wieder
der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider gehört, das ganze als
Komplott erkannt, um ihnen die Landtagswahl in der Hauptstadt Wien zu
verderben. Die Opposition sieht das Wirken politischer Obstruktion in
der unabhängigen Justiz. Abenteuerlich ist die Sache allemal. Und sie
hat einen anderen, symptomatischeren Kern. Seit die FPÖ/ÖVP - Regierung
in Österreich vor einem Jahr ihr Amt angetreten hat, sind in
Windeseile Unmengen von Gesetzen, Bestimmungen, Verordnungen
geändert, neugefasst worden. Fast alle mussten hinterher
nachgebessert, einige gar zurückgenommen werden. Grund waren
Schlamperei und Hast.
Genau dieser Dilettantismus scheint sich nun auch auf die
Ermittlungsbehörden gelegt zu haben. Nur diesmal mit überlangem Atem.
Wer glaubt schon, dass der Justizminister da selbst an irgendetwas
gedreht hat. Er hatte aber - ganz unmöglich als Herr des Verfahrens -
sofort bekundet, er halte einen Jörg Haider für „über jeden Verdacht
erhaben". Vielleicht hat man das im Ermittlungsapparat zu wörtlich
genommen. Fk.
Aus den erwähnten Gründen richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister
für Justiz folgende
1. Wie beurteilen Sie als zuständiger Bundesminister die Vorgänge bei der gerichtlichen
Aufarbeitung der Spitzelaffäre, wenn der zuständige Untersuchungsrichter mit
Aktenvermerk festhalten muss, dass die Staatsanwaltschaft die Aufklärung dieser
hochsensiblen Materie erschwert?
2. Von der Staatsanwaltschaft wurde dieser Aktenvermerk als übliche
Meinungsverschiedenheit heruntergespielt. Wie viele solcher Aktenvermerke von
Untersuchungsrichtern über die Behinderung ihrer Arbeit durch die Staatsanwaltschaft hat
es im letzten Jahr gegeben?
3. Welche Aktenvermerke oder Einsichtsbemerkungen und mit welchem genauen Wortlaut
wurden im gegenständlichen Verfahren durch Mitglieder der Staatsanwaltschaft, auch
Behördenleiter, angefertigt?
4. Gemäß profil vom 26.3.2001 soll die Einstellung einer Reihe von Verfahren auf eine
"Einsichtsbemerkung" des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wien zurückgehen. Wie
genau lautet diese Einsichtsbemerkung?
5. Welche Aktenvermerke und mit welchem genauen Wortlaut wurden im gegenständlichen
Verfahren durch den Untersuchungsrichter angefertigt?
6. Welche Aktenvermerke und mit welchem genauen Wortlaut wurden im gegenständlichen
Verfahren durch die am Verfahren beteiligten Organwalter der Exekutive insbesondere
der Wirtschaftspolizei angefertigt?
7. Warum wurden dem Untersuchungsrichter Aktenteile - wie das Vernehmungsprotokoll
von Kleindienst - nicht übermittelt?
8. Werden Sie dafür sorgen, dass der Untersuchungsrichter die Akten vollständig von der
Staatsanwaltschaft erhält?
9. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Staatsanwaltschaft, wonach Unterlagen aus dem
Zusammenhang gerissen übermittelt wurden und dadurch eine der Geschäftsordnung
entsprechende Seiten - und Bandnummerierung durch den Untersuchungsrichter nicht
erstellt werden konnte?
10. Wie schätzen Sie ein, ob der Untersuchungsrichter unter den gegebenen Umständen noch
einen Gesamtüberblick über die Materie gewinnen kann?
Gefährdet der Umstand, dass von 42 ursprünglichen Faktenkreisen Unterlagen zu
lediglich 11 Faktenkreisen an den Untersuchungsrichter übermittelt wurden, nicht
zwangsläufig den Aufbau jenes Überblickes, der notwendig wäre?
11. Wer hat in der Staatsanwaltschaft die Entscheidung getroffen, welche Akten dem
Untersuchungsrichter übermittelt wurden?
12. Wurden in diesem Zusammenhang Weisungen erteilt oder Empfehlungen abgegeben und
wenn ja von wem und welchen Inhalts?
13. Wer hat die Entscheidung getroffen, dass die Sonderkommission einen neuen Bericht zu
erstellen hat?
14. Welchen Inhalt hat der neuerliche Auftrag an die Sonderkommission im Detail?
15. Wurde im gegenständlichen Zusammenhang von der Staatsanwaltschaft Wien eine
Weisung an die Wirtschaftspolizei gegeben, einen gekürzten Bericht vorzulegen?
Wenn ja: Wie lautet die Weisung im Wortlaut?
16. Wurde in den Verfahren gegen FPÖ - Spitzenpolitiker u.a. ein Antrag gestellt, den Beamten
Herbert Poimer als Beschuldigten oder als Zeugen zu vernehmen?
Wenn ja: wurde der Beamte bereits einvernommen?
Wenn nein: Warum nicht?
17. Wurde in den Verfahren gegen FPÖ - Spitzenpolitiker u.a. ein Antrag gestellt, Hilmar
Kabas bzw. Michael Kreissl als Beschuldigten oder als Zeugen zu vernehmen?
Wenn ja: wurden die Betreffenden bereits einvernommen?
Wenn nein: Warum nicht?
18. Welchen Informationsstand haben Sie zu der von Ihnen im Budgetausschuss zum Kapitel
Justiz nicht ausgeschlossenen Versetzung des Untersuchungsrichters Dr. Stefan Erdei?
19. Wer ist für
eine solche Versetzung zuständig diese auszusprechen?
20. Wie beurteilen Sie als zuständiger Bundesminister die Bedeutung der Unabhängigkeit der
RichterInnen für den österreichischen Rechtsstaat?
21. Was werden Sie unternehmen, um willkürliche Versetzungen von RichterInnen zu
verhindern?
22. Welche Konsequenzen sind hinsichtlich des Binder-Briefes an Haider für Sie und/oder die
Staatsanwaltschaft zu setzen, da nach dem Zweitgutachten „überwiegende Gründe für die
Annahme sprechen, dass der Brief vom Verdächtigen stammt“ und dieser Brief - auch
nach Aussage Haiders - den Hauptbelastungspunkt gegen seine Person in der
Spitzelaffäre bildet?
23. Was werden Sie unternehmen, um den Ruf des österreichischen Rechtsstaates in Europa
zu wahren bzw. wieder herzustellen?
24. Seitens Vertretern der Regierungspartei wurde wiederholt die Behauptung aufgestellt, der
bei Binder gefundene Brief an LH Haider sei eine Fälschung. Dies impliziert den
Vorwurf, dass ein gefälschtes Dokument entweder von den Beamten, die die
Hausdurchsuchung und Sicherstellung vorgenommen haben, unterschoben wurde oder
von unbekannten Tätern vorher an diesem Ort hinterlegt wurde.
Gibt es in diesem Zusammenhang Untersuchungen wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt
oder anderer Delikte gegen die einschreitenden Beamten der Kriminalabteilung
Burgenland oder gegen unbekannte dritte Täter?
25. Wenn ja, wie lautet der Ermittlungsstand? Wenn nein, warum nicht?
26. Wie beurteilen Sie persönlich Aussagen, wonach der sogenannte Binder - Brief eine
Fälschung sei?
27. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Qualifikation und Objektivität des
Gutachters Muckenschnabel aufgrund diverser Äußerungen desselben in
Medien?
28. Handelt es sich bei dem von der Wirtschaftspolizei an die Staatsanwaltschaft
übermittelten Bericht um einen Endbericht oder um eine Zusammenfassung des
Erhebungsstandes? Wie wurde dieses Dokument vom Verfasser bezeichnet?
29. Was qualifiziert eine schriftliche Zusammenfassung von Faktenlagen, welche durch die
verfassende Behörde als „Endbericht“ qualifiziert wird, als „interne Zusammenfassung
des Erhebungsstandes“?
Wer qualifiziert ein obengenanntes Schriftstück mit welcher Konsequenz als Endbericht
und wer ist zu einer Umqualifikation auf welcher Rechtsgrundlage berechtigt?
Gibt es eine Rechtsgrundlage für den Begriff „interne Zusammenfassung des
Erhebungsstandes“?
30. Ist ein Endbericht der Sonderkommission und/oder der Wirtschaftspolizei zum Akt zu
nehmen? Wenn nein, warum nicht?
31. Ist eine „interne Zusammenfassung des Erhebungsstandes“ zum Akt zu nehmen?
32. Durch die Staatsanwaltschaft soll gemäß Medienberichten die Wirtschaftspolizei zu einer
Bereinigung des Endberichtes aufgefordert worden sein und zwar durch Streichung jener
Faktenkreise an welchen die Herren Haider und Stadler beteiligt gewesen sein sollen.
Welche Faktenkreise genau betrifft diese angewiesene Bereinigung?
Rechtfertigt diese Anweisung, dass von ursprünglich 42 Fakten nur 11 weiter verfolgt
werden? Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte die Verfügung auf Bereinigung des
Endberichtes? Handelt es sich bei dieser Verfügung um eine Weisung?
Welche Verdächtigen sind im jeweiligen Faktenkreis, um den der Endbericht bereinigt
werden soll, mitumfaßt?
33. Die Einstellungen gegen Haider und Stadler erfolgten auch mit dem Hinweis, dass die
vorgeworfenen strafbaren Handlungen bereits verjährt wären? Wie wird die Verjährung in
den einzelnen Fällen begründet?
Ist ausgeschlossen, dass bei den weiteren im jeweiligen Faktenkreis mitbehandelten
Personen eine derartige Verjährung nicht etwa durch fortgesetzte Handlungen
ausgeschlossen ist?
34. Nach welchen Gesetzesstellen wurden die Verfahren gegen Haider und Stadler durch die
Staatsanwaltschaft eingestellt?
Besteht im Falle des Vorliegens neuer Verdachtsmomente und Fakten die Möglichkeit,
das Verfahren wieder aufzunehmen?
35. Warum erfolgten die Einstellungen gegen Haider und Stadler vor der Einvernahme des
Beamten Herbert Poimer, welcher der Leiter der Klagenfurter Datenstation war und in
dieser Funktion laut Medienberichten (profil vom 26.3.2001) 50.000 EKIS - Abfragen
durchgeführt hat, wobei diese gemäß Medienberichten zum einen Teil mit dem Ziel
durchgeführt wurden, Informationen über politische Gegner zu erhalten und zum anderen
Informationen zur Überprüfung der FPÖ nahestehender Personen?
36. Warum wurden dem Verteidiger von Kleindienst die Einsichtnahme in die gesamte Akte
verwehrt?
Welche Aktenteile wurden ihm vorenthalten und mit welcher Begründung?
37. Sind den Tagebüchern der am Verfahren beteiligten Staatsanwaltschaften Vermerke oder
sonstige schriftliche Ausführungen zu entnehmen, aufgrund welcher das Handeln eines
oder mehrerer Staatsanwälte oder der Exekutive beeinflußt werden konnte oder welche
einen Hinweis darauf geben, dass eine derartige Beeinflussung stattgefunden haben
könnte?
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage unter Verweis auf
§ 93 Abs. 1 GOG verlangt.