2768/J XXI.GP

Eingelangt am: 13.07.2001

 

ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Mag. Johann Maier

und Genossen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend „Haftentschädigung“

 

Bereits in der Antwort zur parlamentarischen Anfrage (1404/AB, XX. GP) hielt es der

damalige Bundesminister Dr. Michalek an sich für wünschenswert, allen in

Untersuchungshaft angehaltenen Personen eine Haftentschädigung zuzuerkennen,

wenn sie nicht verurteilt wurden oder die Voraussetzungen an dem Umfang der

Gewährung der Haftentschädigung gegenüber der geltenden Rechtslage sonst

wesentlich zu erweitern oder zu verändern. Auch Bundesminister Dr. Böhmdorfer

ließ mehrfach Bereitschaft für eine Reform erkennen.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat immerhin festgestellt,

dass die rechtmäßig erlittene Untersuchungshaft immer dann zu entschädigen ist,

wenn der Verhaftete freigesprochen worden ist.

Man sollte so einer der Diskussionsvorschläge in Österreich - daher den Intentionen

des EGMR folgen und für alle Freisprüche eine Entschädigung gesetzlich

vorschreiben und zwar ohne auf die Entkräftung des Verdachtes abzustellen.

Eine Gesetzesänderung müsste daher dahingehend erfolgen, dass in Österreich

nach der rechtmäßig (unschuldig) erlittenen Untersuchungshaft ebenso wie bei der

Wiederaufnahme dann Entschädigung zu gewähren ist, wenn das Verfahren mit

einem Freispruch endet, da zwischen „glatten Freisprüchen“ und ,,in - dubio -

Freisprüchen“ nicht zu unterscheiden ist. Freispruch ist Freispruch!

 

Gerechterweise müsste dasselbe auch für jede Art der Verfahrenseinstellung - z. B.

im Rahmen einer Voruntersuchung - gelten. Für die Entkräftung des Tatverdachtes

wird nach der geltenden Rechtslage durch die Gerichte der Nachweis der Unschuld

verlangt. Bei Verfahrenseinstellung sollte nicht weniger Entschädigung für die

Untersuchungshaft zu leisten sein als bei Freisprüchen, denn in beiden Fällen gilt der

Betroffene gem. Art. 6 Abs 2 MRK in gleicher Weise als unschuldig. Der Verdacht ist

bei Einstellungen sogar noch geringer, es kommt gar nicht zu einer Verhandlung mit

Freispruch durch das Gericht. Aber nur wenige Untersuchungsgefangene können

nachweisen, dass sie unschuldig sind (insbesondere bei Inanspruchnahme der

Verfahrenshilfe). Dass Verdächtige monatelang in Haft sitzen und danach keine

Entschädigung erhalten, weil eine Verfahrenseinstellung erfolgte bzw. der

Tatverdacht nicht vollständig entkräftigt werden kann - aber dann auch noch die

angefallenen Verteidigungskosten zu zahlen haben - ist ein geradezu unglaublicher

rechtspolitischer Missstand. Daher sollte auch jeder Untersuchungsgefangene, der

außer Verfolgung gesetzt wird sowie jeder Freigesprochene - unabhängig von der

Verdachtsentkräftigung - Anspruch auf eine Entschädigung haben.

 

Eine Entschädigung wird grundsätzlich auch nur unter Maßgabe des § 2 StEG

gewährt. Nach geltenden Recht haben Personen, die zu Unrecht verurteilt, und

Untersuchungsgefangene, die außer Verfolgung gesetzt werden, nur Anspruch auf

Ersatz der vermögensrechtlichen Nachteile und Ersatz des ziffernmäßig

nachweisbaren Vermögensschadens (z. B. Verdienstentgang, Anwaltskosten).

Die bestehende Rechtssituation ist daher unzureichend: Wer zu Unrecht eine

Freiheitsstrafe verbüßen musste oder wer als Untersuchungsgefangener längere Zeit

in einem Gefängnis verbringen musste, sollte dafür auch eine Art Schmerzensgeld

erhalten.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Justiz

nachstehende Anfrage:

 

 

1. Wie viele Personen (Aufschlüsselung in Männer, Frauen und Minderjährige )

    wurden jeweils in den Jahren 1997, 1998, 1999 und 2000 in Untersuchungshaft

    genommen?

 

2. Wie teilt sich diese Anzahl - differenziert wie oben - auf die einzelnen

    Gerichtshöfe auf?

 

3. Wie hoch war dabei der Anteil der Inländer, der EU - Ausländer sowie Personen

     aus Drittstaaten (Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen)?

 

4. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 1997, 1998, 1999 und 2000

     nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft in der Folge außer

     Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt (Aufschlüsselung nach

     Gerichtshöfen)?

 

5. Wie viele Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft in

    der Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt wurde, davon

    stellten jeweils in den Jahren 1997,1998,1999 und 2000 einen Antrag auf

    Haftentschädigung?

   5.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

   5.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

 

6. Wie viele Anträge wurden positiv für Personen, die nach gesetzmäßig

    angeordneter Untersuchungshaft in der Folge außer Verfolgung gesetzt und das

    Verfahren eingestellt wurde, erledigt?

    6.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

    6.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

    6.3. Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?

 

7. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung nach jährlich die

    Haftentschädigungen, wenn ein Anspruch - im Vergleich zu der geltenden

    Rechtslage - auch bei jeder Verfahrenseinstellung - ohne Differenzierung  -

    gewährt würde?

 

8. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 1997, 1998, 1999 und 2000

    nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft freigesprochen?

    8.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

    8.2.Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

    8.3. Aufschlüsselung nach „glatten Freisprüchen und „in dubio - Freisprüchen“

9. Wie viele Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft

    freigesprochen wurden, davon stellten jeweils in den Jahren 1997, 1998, 1999

    und 2000 einen Antrag auf Haftentschädigung?

    9.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

    9.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

 

10. Wie viele Anträge wurden positiv für die Freigesprochenen erledigt?

      10.1.    Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

      10.2.    Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

      10.3.    Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?

 

11. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung nach jährlich die

      Haftentschädigungen, wenn ein Anspruch - im Vergleich zu der geltenden

      Rechtslage - auch bei jedem Freispruch - ohne Differenzierung - gewährt würde?

 

12. Wie viele strafrechtlich verurteilte Personen wurden jeweils in den Jahren 1997,

      1998, 1999 und 2000 bei Strafhaft in einem Wiederaufnahmeverfahren

      freigesprochen? Bei wie vielen davon erfolgte die Verurteilung durch ein

      Geschworenengericht?

      12.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

      12.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

 

13. Wie viele Personen die in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen

      wurden, stellten jeweils in den Jahren 1997, 1998, 1999 und 2000 einen Antrag

      auf Haftentschädigung?

     13.1.  Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

     13.2.  Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

     13.3.  Wie hoch waren die jeweils die Haftentschädigung in Summe?

 

14. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung wenn ein Anspruch bei

      jeder Verfahrenseinstellung gewährt würde?

 

15. Wie viele strafrechtlich verurteilte Personen wurden jeweils in den Jahren 1997,

      1998, 1999 und 2000 - ohne Strafhaft - in einem Wiederaufnahmeverfahren

      freigesprochen?

      15.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen

      15.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten

 

16. Zur Zeit werden nur vermögensrechtliche Nachteile abgegolten. Ist Ihrer

      Auflassung nach auch Schmerzensgeld für erlittene Seelenqualen den

      unschuldigen Häftlingen zu gewähren?

 

17. Sehen Sie in der Unterscheidung von „glatten Freisprüchen“ und „in dubio -

      Freisprüchen“ ein Spannungsverhältnis zur Europäischen

      Menschenrechtskonvention (EMRK)?

 

18. Wenn ja, sind Sie bereit für eine diesbezügliche Reform eintreten? Wenn nein,

      wie begründen Sie diese Meinung?

19. Werden Sie dafür eintreten, dass im § 2 Abs. 1 b StEG die folgende Wendung

      ersatzlos gestrichen wird:,,... und er Verdacht, daß der Geschädigte diese

      Handlung gegangen habe, entkräftet... bestanden haben«.

 

20. Ist für Sie die ersatzlose Elimination der §§ 6 StEG und des § 9 und dem

      Umstand, dass es vor dem Strafgericht keinerlei Verfahren über Ansprüche nach

      dem strafrechtlichen Entschädigungsgesetz geben soll und diese ausschließlich

      vor den Zivilgerichten - als Amtshaftungssenate - zu führen sind denkbar?

 

21. Ist es für Sie überlegenswert, das StEG überhaupt in Frage zu stellen und die

      wenigen sinnvollen spezifischen Bestimmungen dieses Verfahrens, nämlich

      allenfalls die eng zu definierenden spezifischen Ausschließungsgründe, in das

      AHG zu integrieren?

 

22. Gibt es eine formularmäßige Belehrungspflicht der Freigesprochenen und der

      Adressaten von Einstellungsverfügungen über die Möglichkeiten von Ansprüchen

      nach dem StEG oder von Amthaftungsansprüchen?

 

23. Wenn nein, werden Sie eine derartige formularmäßige Belehrungspflicht

      vorsehen?

 

24. Ist für Sie die Verankerung eines ,,Ombudsmannes" bzw.

       ,,Entschädigungsanwaltes“ denkbar, dessen Aufgabe zur Verstärkung des

       Rechtsschutzgedankens in der Beratung und Vertretung von Personen liegt, die

       entweder nach einer Wiederaufnahme freigesprochen oder nach einer

       rechtmäßig angeordneten Untersuchungshaft im Strafprozess freigesprochen

       oder aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, wie deren Verfahren nach der

       StPO eingestellt wurde?

 

25. Wie viele Verfahren - gestützt auf das Amtshaftungsgesetz, das strafrechtliche

      Entschädigungsgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention - werden

      derzeit in dieser Frage gegen die Republik Österreich geführt?

 

26. Wie viele Verfahren in Österreich sind derzeit beim Europäischen Gerichtshof für

      Menschenrechte wegen diesbezüglicher Verstöße gegen die EMRK anhängig?

 

27. Wie viele verfahrensrechtliche Möglichkeiten ergeben sich für betroffene

       Freigesprochene „in dubio - Freisprüche“ zu korrigieren, um zu einer vollständigen

       Verdachtsentkräftigung - und damit zu einer Entschädigungsanspruch - zu

       gelangen?