3760/J XXI.GP
Eingelangt am: 18.04.2002
DRINGLICHE ANFRAGE
gemäß § 93 Abs. 2 GOG
der Abgeordneten Dr. Gusenbauer, DDr. Niederwieser, Mag. Andrea Kuntzl
und GenossInnen
an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur
betreffend die geplante Beseitigung der Autonomie der österreichischen Universitäten
• “Beseitigung des Selbstverwaltungscharakters der Universität statt Autonomie"
• “Bestellung von Mitgliedern des Universitätsrats ohne universitäre Legitimation"
• “Keine Mitentscheidung des Senats
über Entwicklung und innere Organisation der
Universität"
• “Festlegung von Größe
und Zusammensetzung des Senats durch den mehrheitlich
politisch
besetzten Universitätsrat"
• “Jederzeitige Abberufung des
Rektors allein durch den mehrheitlich politisch besetzten
Universitätsrat"
• “Leistungsdiktat statt Leistungsvereinbarung"
• “Unklare Ausgestaltung des
Globalbudgets und Fehlen eines spezifizierten
Indikatormodells"
• “Unfaire Verhandlungspositionen"
• “Ausgliederung als Sparprogramm zur budgetären Gängelung der Universitäten?"
• “Kein für selbstständige unternehmerische Universitäten betriebsnotwendiges Vermögen"
• “Keine adäquate Berücksichtigung der Ausgliederungsfolgekosten"
• “Fremdbestimmung statt universitärer Selbstbestimmung"
• “Verbot von Berufungskommissionen, stattdessen Fremdbestimmung durch Externe"
• “Zwingender Ausschluss einer
großen Gruppe habilitierter Universitätsangehöriger (ao.
Universitätsprofessoren)
von universitären Leitungsbefugnissen"
• “Keine gesetzliche Absicherung von
Wissenschafts- und Kunstfreiheit, wie es
verfassungsrechtlich geboten wäre"
• “Verbot entscheidungsbefugter Kollegialorgane unterhalb der Leitungsebene"
• “Medizinausgliederung: neue Universitäten mit zusätzlichem Aufwand"
• “Behinderung interdisziplinärer Lehre und Forschung trotz erhöhter Kosten"
Diese vernichtende
Einschätzung des ministeriellen Begutachtungsentwurfs für ein
“Universitätsgesetz
2002" stammt von keiner Oppositionspartei, sondern wurde mit Zwei-Drittel-
Mehrheit
von der Österreichischen Rektorenkonferenz und den Vorsitzenden der
obersten
Kollegialorgane
am 8. April 2002 beschlossen.
Nicht
nur die Rektorenkonferenz lehnt den Gesetzesentwurf vehement ab. In einer
Resolution der
Bundeskonferenz
des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals (BUKO), der
Österreichischen
Hochschülerschaft, des Universitätslehrerverbands, des Verbands der
Universitätsdirektorinnen,
der Bundessektion Hochschullehrer (GÖD), des
Zentralausschusses
für die Universitätslehrer und des Zentralausschusses für die
Bediensteten
mit Ausnahme der Universitätslehrer vom 12. April 2002 heißt es:
“Die unten
angeführten universitären Gruppen lehnen den vom BMBWK
vorgelegten Gesetzesvorschlag zum
Universitätsgesetz 2002 zur Gänze ab und
fordern seine Rücknahme sowie
die Neuverhandlung zwischen BMBWK und
Vertreterinnen aller universitärer Gruppen in einem
gleichberechtigten
Diskussionsprozess. Als vorrangige
Gründe für die Ablehnung führen wir
Folgendes an:
• Den oft zitierten "offenen Diskussionsprozess" hat es nie gegeben.
Sämtliche guten und konstruktiven
Einwände der universitären Gruppen
zum Gestaltungsvorschlag fanden keine
Aufnahme im Gesetzesvorschlag.
• Der Gesetzesvorschlag sieht die politische
Abhängigkeit der Universitäten
und nicht deren Autonomie
vor. Durch die Möglichkeit der mehrheitlich
(partei-)politischen Besetzung des
Universitätsrates werden die
Universitäten politisch willfährig gemacht.
• Die Mitbestimmung der universitären Gruppen wird zur Gänze
abgeschafft. Der so
genannte Mittelbau wird der freien Forschung und
Lehre beraubt, die Studierenden zu Kunden degradiert und
Arbeitnehmerinnenrechte
und soziale Sicherheit abgebaut.
Aus diesen
Gründen sehen sich die angeführten Gruppen dazu veranlasst, keinen
weiteren
Gesprächen über den vorgelegten Gesetzesentwurf mehr beizuwohnen
und fordern
nachdrücklich seine Rücknahme/'
Auch die
Österreichische Hochschülerschaft als Vertretung der
österreichischen Studierenden
lehnt
den Gesetzesentwurf komplett ab.
Aus den Unis sollen “neoliberale
Ausbildungsstätten unter dem Vorwand der internationalen
Anpassung
gemacht werden'4: “Dass demokratische Strukturen dieser
Regierung ein Dorn im
Auge sind, hat sie schon oft genug unter Beweis gestellt. Nun ist die ÖH
das Ziel dieser
Angriffe.
Konnten die Studierenden bis jetzt das Geschehen an der Universität
mitbestimmen,
ihren
Lebensbereich sozusagen mitgestalten, werden ihnen nun diese Rechte entzogen.
Einzig
im
Universitätssenat, einem vergleichbar unwichtigem Gremium, wird Studentin
noch zu
25
% vertreten sein - gegen eine Mehrheit von Professorinnen, die dann
gewissermaßen
alleine
über alle studienrelevanten Bereiche entscheiden können. Selbst die
Studienpläne
werden
nur noch auf Vorschlag der Professorinnen beschlossen."
Die gegenwärtige
Bundesregierung hat es verstanden, durch eine provokante und
vertrauensschädigende Politik gegenüber den Universitäten und
deren Angehörigen deren
grundsätzlich
vorhandene Reformbereitschaft breitflächig zu zerstören. Der in
Begutachtung
stehende
Gesetzesentwurf ignoriert bewusst die in den letzten Monaten vorgebrachten
Bedenken
und
Vorschläge und will die Organisationsstruktur von gewinnorientierten
Unternehmen an die
Stelle
der universitären Selbstverwaltung setzen.
Durch den
Gesetzesentwurf der Bildungsministerin würde der Einfluss des Ministeriums
im
Vergleich zur jetzigen Rechtslage deutlich gestärkt, der parteipolitischen
Einflussnahme wäre Tür
und Tor
geöffnet und die Mitsprache der meisten Universitätsangehörigen
würde abgeschafft.
Dadurch würden die Strukturen der universitären Selbstverwaltung
grundlegend zerstört und die
österreichischen
Universitäten nachhaltig geschädigt. Die Universitäten
kämen in enge politische
und
wirtschaftliche Abhängigkeiten.
Dieser
Gesetzesentwurf wird nicht nur von der Österreichischen Rektorenkonferenz
vehement
zurückgewiesen,
sondern stößt auf die sachlich begründete Kritik aller
Universitätsangehöriger. In
zahlreichen
Resolutionen und Stellungnahmen haben sich Professoren, Vertreter des
Mittelbaus,
Vertreter
der Studierenden und Vertreter der Gewerkschaft gegen den Plan der
Bildungsministerin
ausgesprochen, die universitäre Mitbestimmung drastisch zu reduzieren und
ein blau-schwarz
besetztes
Leitungsgremium (Universitätsrat) in jeder Universität zu
installieren, das alle
strategischen
Entscheidungen treffen könnte. Als Reaktion auf dieses Vorgehen der
Bildungsministerin
wurde bereits die Abhaltung eines ersten Warnstreiks an den
österreichischen
Universitäten
beschlossen.
Zur inhaltlichen
Kritik an den geplanten autoritären Entscheidungsstrukturen kommt, dass
einen
Tag vor
Ende der Begutachtungsfrist noch immer keine Folgekostenabschätzung des
Entwurfs
vorliegt, obwohl das Bundeshaushaltsgesetz eine solche Kostenschätzung
zwingend erforderlich
macht.
Experten
schätzen, dass durch die geplante Universitätsreform 20 % mehr als
bisher für die
Verwaltung,
für das Zukaufen ausgelagerter Dienstleistungen oder für
Sonderverträge von
Professorinnen
aufzuwenden sein wird. Bei stagnierenden Budgets ist damit die umfassende
Ausbildung
der Studierenden in Zukunft nicht mehr sichergestellt. Es kann erwartet werden,
dass im
Zuge der geplanten Universitätsreform die Leistungsangebote gekürzt
und
Zugangsbeschränkungen
(beispielsweise durch Studienplatz-Kontingentierungen) weiter verstärkt
werden. Dies - wie die Einführung der Studiengebühren, die zu einer
drastischen Reduzierung der
Studierendenzahlen
geführt hat - wird von der SPÖ grundsätzlich abgelehnt.
Reformen der
österreichischen Universitäten sind trotz eines positiven
Gesamtbefundes notwendig.
Solche Reformen müssen aber die wertvollen Elemente - wie den
Interessenausgleich in
demokratischen Strukturen, die Offenheit für Studierende mit
verschiedensten Biografien und
Voraussetzungen,
die Kooperation mit der Wirtschaft, das Miteinander von Politik,
Ministerialverwaltung
und Universitäten - erhalten und gleichzeitig auf die Herausforderungen
der
Zukunft
vorbereiten.
Die SPÖ tritt daher für eine
Universitätsreform ein, die eine echte Autonomie bei
Weiterentwicklung
der bestehenden Partizipationsmöglichkeiten und schlankeren
Entscheidungsstrukturen
verwirklicht.
Darüber
hinaus muss eine solche Reform die überwiegende Zustimmung der Betroffenen
finden
und darf
nicht unter extremen Zeitdruck erfolgen.
Die
unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für
Bildung,
Wissenschaft
und Kultur folgende
Anfrage:
1. Sind Sie bereit, den Universitätsrat zu einem echten
Aufsichtsgremium (Aufsichtsrat ohne
operative
Kompetenzen) umzugestalten und auf den dominierenden Einfluss der
Bundesregierung in diesem Gremium zu verzichten?
2. Aus welchen Gründen sollen entgegen den
ursprünglichen Vorschlägen zwei Mitglieder des
Universitätsrats von der Bundesregierung und nicht von der
Bildungsministerin entsendet
werden?
3. Aus welchen Gründen planen Sie die Beseitigung des
Selbstverwaltungscharakters der
Universität
durch den mehrheitlich politisch besetzten Universitätsrat?
4. Aus welchen Gründen soll ein mehrheitlich politisch
besetzter Universitätsrat Größe und
Zusammensetzung
des Senats festlegen können?
5. Aus welchen Gründen soll ein mehrheitlich politisch
besetzter Universitätsrat jederzeit den
Rektor
abberufen dürfen?
6. Aus welchen Gründen wollen Sie die Mitspracherechte
des universitären “Mittelbaus" im Senat
reduzieren?
7. Wieso wollen Sie dem Senat die
Mitentscheidungsmöglichkeit über die Entwicklung und innere
Organisation
der Universität entziehen?
8. Warum wollen Sie den Universitäten keine Autonomie bei der Einrichtung von
entscheidungsbefugten
Organen und der Festlegung ihrer Kompetenzen unterhalb der
Senatsebene
zugestehen?
9. Warum wollen Sie Berufungskommissionen verbieten und
stattdessen eine Fremdbestimmung
des
Berufungsverfahrens durch Externe vorsehen?
10. Warum sind habilitierte ao. Professoren für Führungsaufgaben nicht mehr geeignet?
11. Warum treten Sie für die Pragmatisierung von Lehrern, aber
gegen die Pragmatisierung von
Universitätslehrern ein?
12. Warum nennen Sie es Autonomie, wenn medizinische Fakultäten in
Übereinstimmung mit
ihren
Universitäten für einen Verbleib in einer “Universitas",
das heißt einer Universität,
eintreten.
Ihr Entwurf dies aber nicht mehr zulässt?
13. Warum nennen Sie es Autonomie, wenn nach Ansicht vieler Gutachter
der größte Teil der
strategischen
Entscheidungen von universitätsfremden Personen getroffen wird?
14. Halten Sie die bewusst herbeigeführte Demotivation der
Universitätsangehörigen für das
geeignete
Mittel, “Weltklasse-Unis" zu verwirklichen?
15. Aus welchen Gründen erwarten Sie eine Aufwertung der
universitären Lehre, wenn nach der
von Ihnen geplanten Universitätsreform pädagogisch-didaktische
Fähigkeiten im Rahmen von
Berufungs-
und Habilitationsverfahren eine deutlich geringere Rolle spielen als derzeit?
16. Universitätsprofessor Dr. Rill hat in seinem Gutachten vom 13.
November 2001 ausgeführt,
dass
die geplante Reform "die Universitäten unter Orientierung an der
Organisation von
Unternehmen der Erwerbswirtschaft organisieren und demgemäß
hierarchisch strukturieren
will."
Welche Erwerbsabsicht haben die Universitäten?
17. Wieso liegen
einen Tag vor Abschluss des Begutachtungsverfahrens keine
bundeshaushaltsgesetzlich zwingend vorgeschriebenen, nachvollziehbaren
Folgekostenschätzungen
der geplanten Reform vor?
18. Trifft es zu, dass die österreichischen Universitäten vor
kurzem in einem Schreiben Ihres
Ministeriums
aufgefordert wurden, selbst Schätzungen der Folgekosten vorzunehmen?
19. Welcher zusätzliche Aufwand würde durch die Schaffung
neuer Medizinuniversitäten
erforderlich?
20. Aus welchen Gründen fehlen die Leistungsvereinbarungen bis 2006?
21. Warum planen Sie Leistungsvereinbarungen ohne Rechtsverbindlichkeit?
22. Aus welchen Gründen fehlt ein spezifiziertes Indikatormodell?
23. Wieso gestehen Sie den Universitäten kein für eine
selbstständige unternehmerische Tätigkeit
betriebsnotwendiges
Vermögen zu?
24. Ist dafür vorgesorgt, dass die Universitäten
entsprechende Übergangsregelungen für die
Implementierung
des Rechnungswesens erhalten?
25. Was soll in den kommenden fünf Jahren im Bereich des
Dienstnehmerschutzgesetzes
geschehen?
26. Die Einführung von Studiengebühren hat zu einer drastischen Reduzierung der
Studierendenzahlen
geführt. Die Zahl der Ansuchen um Erstzulassung ist im Wintersemester
2001/02 um 13,8 % zurückgegangen. Werden Sie sich für die Abschaffung
der
Studiengebühren
einsetzen?
27. Sie haben stets
davon gesprochen, dass 25 % der Studierenden Anspruch auf Studienbeihilfe
bzw.
Studienzuschuss haben. 46.728 der noch verbleibenden 194.776 Studierenden haben
im
Wintersemester
2001/02 um Beihilfen angesucht.
a) Wievielen Studierenden sind diese Beihilfen tatsächlich genehmigt worden0
b) Wieviele Studierende wurden noch nicht darüber
informiert, ob sie für das vergangene
Wintersemester
Beihilfen bekommen?
c) Wieviele Studierende wurden noch nicht darüber
informiert, ab wann sie Beihilfen
ausbezahlt
erhalten?
28. Wieviele zusätzliche Stipendienbezieher gibt es im
Wintersemester 2001/02 im Vergleich zum
Wintersemester
2000/01 im Universitätsbereich?
29. Wieviele Studierende erhalten lediglich den Studienzuschuss als
Ausgleich für die
Studiengebühren
und in welcher Höhe?
30. Wieviele Studierende haben bisher ein zinsgestütztes Darlehen
erhalten und wie hoch sind
dafür
die Aufwendungen des Bildungsministeriums?
31. Wann werden Sie angesichts der Tatsache, dass die letzte
Stipendienerhöhung 1999 erfolgt ist,
eine
Erhöhung der Stipendien der Bundesregierung vorschlagen?
32. Eine Reihe von Vorschlägen geht bereits davon aus, dass die
Universitäten künftig die Höhe der
Studiengebühren
selbstständig festlegen können. Sie haben dies in einer
Erklärung
ausgeschlossen. Warum soll die Öffentlichkeit diesem Versprechen mehr
Glauben schenken als
Ihrer
früheren Aussage, gegen Studiengebühren zu sein?
33. Werden Sie eine substanzielle Bestandsgarantie für die
Österreichische Hochschülerschaft
vorsehen?
34. Wie beurteilen Sie die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken
hinsichtlich der von Ihnen
geplanten “Ausräumung" des UOG 1993, in dessen Folge nur
verfassungsrechtliche “Ruinen"
stehengelassen
würden und außerhalb dieses Rahmens ohne Verfassungsmehrheit eine
Universität
ohne Selbstverwaltungscharakter mit Unternehmensstruktur eingerichtet
würde?
35. Welche Auswirkungen wird die von Ihnen geplante Reform auf die
Personalstruktur und die
Aufgaben
des Bildungsministeriums haben?
36. Welchen Aufwand werden die geplanten Pensionskassen verursachen?
37. Ist Ihnen bekannt, dass die Universitäten auf Grund des neuen
Dienstrechts bei der Besetzung
von
Nachwuchsstellen zunehmend vor dem Problem stehen, dass es zuwenige oder keine
Bewerbungen gibt?
38. Warum soll in Zukunft der bisher gesetzlich vorgeschriebene
Hochschulbericht entfallen und in
welcher
Form wird der Nationalrat umfassend über die Entwicklung der
österreichischen
Universitäten
informiert werden?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage gemäß § 93 Abs. 2 GOG dringlich zu behandeln.