Stenographisches Protokoll

72. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XXI. Gesetzgebungsperiode

 

Donnerstag, 7. Juni 2001

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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72. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXI. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 7. Juni 200


Nationalrat, XXI.GP
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72. Sitzung / Seite 2

1

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 7. Juni 2001: 9.02 – 23.12 Uhr

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Tagesordnung

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und der Vizekanzlerin gemäß § 19 Abs. 2 GOG zum Thema "familienfreundliches Österreich"

2. Punkt: Erstattung eines Gesamtvorschlages für die Wahl der Mitglieder der Volksanwaltschaft

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985, das Privatschulgesetz und das Schülerbeihilfengesetz 1983 geändert werden (Euro-Umstellungsgesetz-Schulrecht)

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten geändert wird

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz und die 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle geändert werden

6. Punkt: Bericht über den Entschließungsantrag 424/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Fortsetzung der Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ab der 9. Schulstufe

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 geändert wird

8. Punkt: Bericht über den


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72. Sitzung / Seite 3

Antrag 396/A der Abgeordneten Dieter Brosz und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz BGBl. Nr. 76/1985, zuletzt geändert durch das BGBl. Nr. 768/1996, geändert wird

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird

10. Punkt: Bericht über den Antrag 86/A der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz 1986, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 98/1999, geändert wird

11. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert wird

12. Punkt: Bericht über den Entschließungsantrag 416/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Maßnahmen für die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen

13. Punkt: Bericht über den Entschließungsantrag 339/A (E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Informations- und Maßnahmenpaket zur Konsumentenerziehung

14. Punkt: Bericht über den Entschließungsantrag 369/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Sonder-Maßnahmenpaket zur Ausbildung von Experten in Informations- und Kommunikationsberufen

15. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Vorläuferstoffe (Suchtmittelgesetz – SMG) geändert wird (426/A)

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Inhalt

Personalien

Verhinderungen 12

Geschäftsbehandlung

Verlangen auf Durchführung einer kurzen Debatte über die Anfragebeantwortung 2197/AB gemäß § 92 Abs. 1 der Geschäftsordnung 27

Durchführung einer kurzen Debatte gemäß § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung 107

Redner:

Dr. Martin Graf 108

Helmut Dietachmayr 110

Dkfm. Mag. Josef Mühlbachler 111

Dr. Harald Ofner 112

Bundesminister Mag. Karl-Heinz Grasser 113

Karl Öllinger 114

Verlangen auf Durchführung einer kurzen Debatte über die Anfragebeantwortung 2081/AB gemäß § 92 Abs. 1 der Geschäftsordnung 27

Durchführung einer kurzen Debatte gemäß § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung 116

Redner:

Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber 116

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 118

Mag. Ulrike Sima 119

Ing. Hermann Schultes 121

Anna Elisabeth Achatz 122

Dr. Eva Glawischnig 123

Antrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 10/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird, gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen 28

Verlangen gemäß § 43 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer kurzen Debatte im Sinne des § 57a Abs. 1 GOG 28

Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Kostelka und Genossen, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über die Anträge 69/A und 10/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird, gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen 28

Verlangen gemäß § 43 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer kurzen Debatte im Sinne des § 57a Abs. 1 GOG 28

Gemeinsame Debatte über diese beiden Fristsetzungsanträge 124

Redner:

Dr. Peter Kostelka 125

Mag. Ulrike Lunacek 127

Dr. Johannes Jarolim 129

Mag. Dr. Maria Theresia Fekter 130

Dr. Michael Krüger 131

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 132

Ablehnung der beiden Fristsetzungsanträge 134

Antrag der Abgeordneten Sigisbert Dolinschek, Ridi Steibl und Genossen, dem Familienausschuss zur Berichterstattung über die Regierungsvorlage 620 d. B. betreffend Kinderbetreuungsgeld und andere Materien gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen – Annahme 28, 214

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung 29

Unterbrechungen der Sitzung 178, 207

Antrag der Abgeordneten Werner Amon, MBA, Mag. Karl Schweitzer und Genossen, im Sinne des § 74 Abs. 2 der Geschäftsordnung die Behebung von Widersprüchen vorzunehmen, die sich durch die Beschlussfassung über den Gesetzentwurf in 610 d. B. in zweiter Lesung ergeben haben 178

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung 206

Fragestunde (12.)

Öffentliche Leistung und Sport 12

Patrick Ortlieb (80/M); Karl Öllinger, Werner Miedl, Beate Schasching

Otto Pendl (93/M); Hermann Reindl, Mag. Walter Tancsits, MMag. Dr. Madeleine Petrovic

Soziale Sicherheit und Generationen 17

Dr. Kurt Grünewald (88/M); Manfred Lackner, Dr. Alois Pumberger, Dr. Günther Leiner

Edith Haller (86/M); Edeltraud Gatterer, MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Mag. Barbara Prammer

Mag. Brunhilde Plank (92/M); Dr. Alois Pumberger, Dr. Gottfried Feurstein, Theresia Haidlmayr


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72. Sitzung / Seite 4

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 12

Ausschüsse

Zuweisungen 26, 214

Verhandlungen

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und der Vizekanzlerin gemäß § 19 Abs. 2 GOG zum Thema "familienfreundliches Österreich" 29

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel 29

Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer 33

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung 29

Redner:

Mag. Barbara Prammer 37

Edith Haller (tatsächliche Berichtigung) 40

Dr. Michael Spindelegger 41

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 44

Theresia Zierler 47

Dr. Andreas Khol (tatsächliche Berichtigung) 51

Karl Öllinger (tatsächliche Berichtigung) 51

Mag. Barbara Prammer (tatsächliche Berichtigung) 51

Bundesminister Mag. Herbert Haupt 52

Doris Bures 55

Dkfm. Dr. Günter Stummvoll 58

Karl Öllinger 60

Edith Haller 63

Dr. Ilse Mertel 65

Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer 66

Ridi Steibl 67

Mag. Ulrike Lunacek 69

Anton Knerzl 75

Mag. Andrea Kuntzl 77

Georg Schwarzenberger 78

Heidrun Silhavy 79

Ilse Burket 83

Gabriele Binder 84

Karl Donabauer 85

Gerhard Reheis 87

Dr. Martin Graf 88

Ludmilla Parfuss 90

Matthias Ellmauer 90

Mag. Christine Lapp 92

Dr. Reinhard Eugen Bösch 93

Franz Riepl 93

Anna Elisabeth Achatz 94


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72. Sitzung / Seite 5

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen betreffend Änderung des Urlaubsrechtes – Ablehnung 62, 95


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72. Sitzung / Seite 6

Entschließungsantrag der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen betreffend Änderungen im Mietrechtsgesetz, BGBl. 520/1981 idF BGBl. I 140/1997 – Ablehnung 70, 95

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen betreffend Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes – Ablehnung 71, 95

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Barbara Prammer und Genossen betreffend sozial- und familienpolitische Offensive – Ablehnung 80, 96

2. Punkt: Bericht des Hauptausschusses betreffend die Erstattung eines Gesamtvorschlages für die Wahl der Mitglieder der Volksanwaltschaft (623 d. B.) 96

Redner:

Dr. Peter Wittmann 96

Dr. Andreas Khol 97

Dr. Peter Pilz 99

Dr. Michael Krüger 102

Mag. Terezija Stoisits 104

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits und Genossen betreffend Wahl der VolksanwältInnen – Ablehnung 101, 107

Annahme des Ausschussantrages 107

3. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (578 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985, das Privatschulgesetz und das Schülerbeihilfengesetz 1983 geändert werden (Euro-Umstellungsgesetz-Schulrecht) (608 d. B.) 134

Redner:

Anton Gaál 134

Rosemarie Bauer 135

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Erhöhung der Schüler- und Heimbeihilfen und Erweiterung des BezieherInnenkreises – Ablehnung 134, 137

Annahme 137

4. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (579 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten geändert wird (609 d. B.) 137

Redner:

Mag. Christine Muttonen 137

Dr. Christof Zernatto 138

Hans Sevignani 139

Mag. Terezija Stoisits 140

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 142

Mag. Walter Posch 143

Ing. Kurt Scheuch 144

Dieter Brosz 145

Wolfgang Jung 146

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dieter Brosz, Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Leiter zweisprachiger Schulen in Kärnten – Ablehnung 145, 147

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dieter Brosz und Genossen betreffend Sicherstellung, dass der Unterricht an zweisprachigen Pflichtschulen in Kärnten nur durch dafür qualifizierte Lehrkräfte vorgenommen wird – Ablehnung 146, 147

Annahme 147

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (580 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz und die 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle geändert werden (610 d. B.) 147

6. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 424/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Fortsetzung der Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ab der 9. Schulstufe (611 d. B.) 148

7. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (581 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 geändert wird (612 d. B.) 148

8. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 396/A der Abgeordneten Dieter Brosz und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz BGBl. Nr. 76/1985, zuletzt geändert durch das BGBl. Nr. 768/1996, geändert wird (613 d. B.) 148

Redner:

Dr. Dieter Antoni 148

Werner Amon, MBA 149

Dieter Brosz 152

Mag. Karl Schweitzer 155

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 158, 163

DDr. Erwin Niederwieser 159

Dr. Gertrude Brinek 163

DDr. Erwin Niederwieser (tatsächliche Berichtigung) 165

Theresia Haidlmayr 166

Mag. Gerhard Hetzl 167

Mag. Brunhilde Plank 168

Dr. Andrea Wolfmayr 170

Franz Riepl 171

Jutta Wochesländer 172

Gabriele Heinisch-Hosek 173

Entschließungsantrag der Abgeordneten Werner Amon, MBA, Mag. Karl Schweitzer und Genossen betreffend Fortsetzung der Schulversuche zur Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Polytechnischen Schule – Annahme (E 89) 157, 179

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Karl Schweitzer, Werner Amon, MBA und Genossen betreffend Politische Bildung – Annahme
(E 90) 157, 179

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni, Dieter Brosz und Genossen betreffend Integration an Spartenschulen – Ablehnung 170, 180


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72. Sitzung / Seite 7

Annahme des Gesetzentwurfes in 610 d. B. 179

Kenntnisnahme der beiden Ausschussberichte 611 und 613 d. B. 180

Ablehnung des Gesetzentwurfes in 612 d. B. 180

Gemeinsame Beratung über

9. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (582 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird (614 d. B.) 180

10. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 86/A der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz 1986, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 98/1999, geändert wird (615 d. B.) 180

11. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (583 d. B.): Bundesgesetz, mit dem das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert wird (616 d. B.) 180

12. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 416/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Maßnahmen für die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (617 d. B.) 180

13. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 339/A (E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Informations- und Maßnahmenpaket zur Konsumentenerziehung (618 d. B.) 180

14. Punkt: Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 369/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Sonder-Maßnahmenpaket zur Ausbildung von Experten in Informations- und Kommunikationsberufen (619 d. B.) 180

Redner:

Dr. Dieter Antoni 181

Werner Amon, MBA 182

Dieter Brosz 186

Mag. Karl Schweitzer 189

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 191

Christian Faul 192

Wolfgang Großruck 194

Beate Schasching 196

Mag. Dr. Udo Grollitsch 197

Dr. Robert Rada 199

Dr. Gertrude Brinek 200

Mag. Christine Muttonen 202

Dr. Sylvia Papházy, MBA 203

Mag. Kurt Gaßner 204

Jutta Wochesländer 204

Annahme des Gesetzentwurfes in 614 d. B. (namentliche Abstimmung) 207

Kenntnisnahme der Ausschussberichte 615, 617, 618 und 619 d. B. 210

Annahme des Gesetzentwurfes in 616 d. B. 210


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72. Sitzung / Seite 8

Annahme der dem schriftlichen Ausschussbericht 618 d. B. beigedruckten Entschließung betreffend Verbesserung der Konsumentenerziehung (E 91) 211

15. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Vorläuferstoffe (Suchtmittelgesetz – SMG) geändert wird (426/A) 211

Redner:

Mag. Johann Maier 211

Dr. Erwin Rasinger 212

Dr. Alois Pumberger 212

Dieter Brosz 214

Zuweisung des Antrages 426/A an den Justizausschuss 214

Eingebracht wurden

Regierungsvorlagen 25

595: Bundesgesetz, mit dem das Heimarbeitsgesetz 1960 geändert wird

641: Finanzmarktaufsichtsgesetz – FMAG

642: Agrarrechtsänderungsgesetz 2001

666: Bundesgesetz, mit dem eine IAF-Service GmbH gegründet wird und das Bundessozialämtergesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, die Konkursordnung und das Bundesfinanzgesetz 2001 geändert werden

667: Bundesgesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert wird (21. StVO-Novelle)

668: Bundesgesetz, mit dem das Güterbeförderungsgesetz 1995 geändert wird

669: Asylgesetz-Novelle 2001

Anträge der Abgeordneten

Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Sicherung der finanziellen Mittel für den Standort der Universität Salzburg ("Unipark Nonntal") (451/A) (E)

Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Ausgliederungen aus dem öffentlichen Bereich (452/A) (E)

Theresia Haidlmayr und Genossen betreffend Befreiung von Studiengebühren für behinderte Menschen (453/A) (E)

Mag. Ulrike Sima und Genossen betreffend die wiederholte Saatgut-Kontamination mit nicht zugelassenen gentechnisch verändertem Saatgut (454/A) (E)

Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber und Genossen betreffend Anordnung der Vernichtung von GVO-verunreinigten Anbauflächen (455/A) (E)

Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber und Genossen betreffend Maßnahmen aufgrund von gentechnisch verändertem Saatgut (456/A) (E)

Dr. Andreas Khol, Dr. Michael Krüger und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, die Nationalrats-Wahlordnung 1992,


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72. Sitzung / Seite 9

das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Wählerevidenzgesetz 1973, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksbegehrengesetz 1973, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 und das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 geändert werden (457/A)


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72. Sitzung / Seite 10

Heidrun Silhavy und Genossen betreffend die Valorisierung des Pflegegeldes und die Erhöhung des Pflegetaschengeldes (458/A) (E)

Heidrun Silhavy und Genossen betreffend Abschaffung der unsozialen Unfallrentenbesteuerung und die Anhebung der Ausgleichstaxe nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (459/A) (E)

Heidrun Silhavy und Genossen betreffend die Abmildung der schädlichen Folgen der Nachtarbeit (460/A) (E)

Heidrun Silhavy und Genossen betreffend Hebung der sozialen Sicherheit des Sozialsystems im Bereich des Pflegegeldes in der Pflegeinfrastruktur (461/A) (E)

Helmut Dietachmayr und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, BGBl. Nr. 142/2000, geändert wird (462/A)

Anfragen der Abgeordneten

Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die gasbefeuerte Brennstoffzelle mit Microturbine (2551/J)

Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend die gasbefeuerte Brennstoffzelle mit Microturbine (2552/J)

Kurt Eder und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend die Ruhestandsproblematik der Flugverkehrsleiter und der Berufspiloten (2553/J)

Kurt Eder und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die mangelhaften Verkehrsverbindungen zwischen Wien und Bratislava (2554/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen Nichtumsetzung der Klärschlammrichtlinie (2555/J)

Mag. Christine Muttonen und Genossen an den Bundeskanzler betreffend Frauenanteil bei den Wiener Philharmonikern (2556/J)

Mag. Christine Muttonen und Genossen an den Bundeskanzler betreffend "Quartier 9" (2557J)

Mag. Christine Muttonen und Genossen an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten betreffend Verkauf des österreichischen Kulturinstituts in Paris (2558/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Arbeitsbedingungen im Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (2559/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend Erhaltung der Erwerbsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen (2560/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend geplante Änderungen der Gewerbeordnung (2561/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen im Personenbeförderungsgewerbe (2562/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend geplante Änderungen des Öffnungszeitengesetzes, des Arbeitsruhegesetzes und der Gewerbeordnung (2563/J)

Heidrun Silhavy und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend geplante Änderungen des Öffnungszeitengesetzes, des Arbeitsruhegesetzes und der Gewerbeordnung (2564/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an den Bundesminister für Justiz betreffend "Kosten der Justiz (Eigendeckungsgrad) – Erledigung der GeschäftsfäIle" (2565/J)

Mag. Johann Maier und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend "Aufträge an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" (2566/J)

Mag. Brunhilde Plank und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend den Ausbau von Telekommunikationsdiensten im Bezirk Liezen (2567/J)

Dr. Gabriela Moser und Genossen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Euro-Umstellung bei Steuern, Gebühren und Tarifen (2568/J)

Helmut Dietachmayr und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Autobahnfallen ab 22 Uhr (2569/J)

Helmut Dietachmayr und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Verkauf der Autobahnen (2570/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Freisetzung von Gen-Saatgut auf Österreichs Feldern (2571/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend Freisetzung von Gen-Saatgut auf Österreichs Feldern (2572/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Umsetzung der EU-Patent-Richtlinie "zum Schutz biotechnologischer Erfindungen" (2573/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend die Empfehlung der Landwirtschaftskammer "Gift spritzen statt pflügen" (2574/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend Konsequenzen aus dem Schweinemast-Skandal (2575/J)

Mag. Ulrike Sima und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Atomstromimporte nach Österreich (2576/J)


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72. Sitzung / Seite 11

Dr. Caspar Einem und Genossen an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten betreffend die Öffentlichkeitsarbeit der Außenministerin (2577/J)

Kurt Eder und Genossen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Neustrukturierung der Austro Control GmbH (2578/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Nachbesetzung eines Berufsschulinspektors (2579/J)

Dr. Robert Rada und Genossen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Nachbesetzung einer Leiterstelle an der Bundeshandelsakademie St. Pölten (2580/J)

Mag. Barbara Prammer und Genossen an den Bundesminister für Inneres betreffend Zusammenführung binationaler gleichgeschlechtlicher Paare lm Fremdenrecht (2581/J)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen auf die Anfrage der Abgeordneten Dipl.-Ing. Dr. Peter Keppelmüller und Genossen (2318/AB zu 2320/J)

des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen auf die Anfrage der Abgeordneten Otmar Brix und Genossen (2319/AB zu 2342/J)


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72. Sitzung / Seite 12

Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

Vorsitzende: Präsident Dr. Heinz Fischer, Zweiter Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn, Dritter Präsident Dr. Werner Fasslabend.

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie herzlich begrüßen und eröffne die 72. Sitzung des Nationalrates, die für heute, 7. Juni 2001, einberufen wurde.

Als verhindert gemeldet sind die Abgeordneten Mag. Frieser, Fink und Dr. Povysil.

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Für diese Sitzung hat das Bundeskanzleramt über Entschließung des Bundespräsidenten betreffend die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung folgende Mitteilung gemacht:

Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser wird durch Herrn Bundesminister Dr. Martin Bartenstein vertreten.

Darüber hinaus darf ich im Sinne des Art. 73 Abs. 3 der Bundesverfassung bekannt geben, dass auf Grund des Umweltministerrates in Luxemburg Herr Bundesminister Mag. Wilhelm Molterer in der heutigen Sitzung des Nationalrates von Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer vertreten wird.

Fragestunde

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen nun, um 9.03 Uhr, zur Fragestunde, und ich beginne mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die 1. Anfrage, Nummer 80/M, formuliert Herr Abgeordneter Ortlieb. – Bitte.

Abgeordneter Patrick Ortlieb (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Vizekanzler! (Abg. Dr. Einem betritt als Erster seiner Fraktion den Sitzungssaal. – Abg. Ing. Westenthaler: Guten Morgen, Herr Klubobmann-Stellvertreter!) Meine Frage lautet:

80/M

Welche Maßnahmen planen Sie im Bereich Information und Aufklärung über Anti-Doping?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Vizekanzlerin, bitte um Beantwortung. (Außer Abg. Dr. Einem ist kein Abgeordneter der SPÖ anwesend. – r. Abg. Ing. Westenthaler: Dürfen wir eine Frage an den Präsidenten richten, warum die größte Oppositionspartei nicht da ist? – Abg. Dr. Khol: Herr Präsident! Ist bei den Sozialisten etwas passiert?)  – Ich stelle fest, dass das notwendige Quorum erstens wahrscheinlich vorhanden wäre und zweitens gemäß der Geschäftsordnung für die Fragestunde nicht notwendig ist. (Heiterkeit.)

Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Abgeordneter! Die Maßnahmen im Bereich Information und Aufklärung über Anti-Doping betreffen einerseits die unmittelbar betrof


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fenen und zu kontrollierenden Sportlerinnen und Sportler, deren Umfeld sowie Sportärzte und Apotheken und andererseits die Aufklärung in den Schulen im Rahmen des Biologie- und Leibeserziehungsunterrichtes.

Es gibt eine jährlich erscheinende Broschüre über die verbotenen Substanzen sowie über Medikamente, in denen solche Substanzen vorhanden sind. Diese Broschüre geht an die betroffenen SportlerInnen und Verbände, die Sportärzte sowie an alle österreichischen Apotheken.

Zusätzlich erfolgt eine Aufklärung und Information im Rahmen von Trainingslagern. Die Referenten dafür werden vom Institut für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung zur Verfügung gestellt (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Haigermoser: Sehr gut!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Patrick Ortlieb (Freiheitliche): Meine Zusatzfrage lautet: Die europäische Anti-Doping-Konvention wurde bereits in die österreichische Rechtsordnung übernommen. Welche weiteren gesetzlichen Bestimmungen sind auf Grund dieser Konvention zu erlassen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Es sind noch eine Reihe von Bestimmungen zu erlassen. Dabei handelt es sich vor allem um Strafbestimmungen beziehungsweise um Kontrollen im Bereich des Freizeitsportes und im Sportlerumfeld. Es liegt eine Novelle zum Arzneimittelgesetz im Rahmen des Begutachtungsverfahrens momentan bei den zuständigen Ministerien für soziale Sicherheit und Generationen beziehungsweise Justiz, und sobald sie dort abgeklärt ist, wird sie auch an das Parlament weitergeleitet werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Herr Abgeordneter Öllinger, bitte.

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Frau Vizekanzlerin! Angesichts der Innsbrucker Tiefgaragenaffäre, bei der ein Sportsprecher alkoholisiert und Auto fahrend unrühmlich in Erscheinung getreten ist (Abg. Haigermoser: Das ist ja ungeheuerlich!): Wie beurteilen Sie die Vorbildwirkung von Sportsprechern in Sachen Doping, Drogen und Alkoholeinfluss? (Abg. Haigermoser: Du bist das Allerletzte, du Öllinger!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Vizekanzlerin! Im Sinne der bisherigen Praxis stelle ich fest, dass ich den inhaltlichen Zusammenhang zur Hauptfrage nicht erkennen kann. Aber es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie dazu Stellung nehmen wollen. (Abg. Haller: Schmutzig! – Ruf bei den Freiheitlichen: Setzen, Öllinger!)  – Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Abgeordneter! Ich möchte darauf aufmerksam machen (Abg. Mag. Trattner  – in Richtung des Abg. Öllinger –: Ein richtiger Schmutzkübel ist das!), dass es eine Grundlage des Rechtsstaates und der Demokratie in diesem Lande ist, dass man nicht mit unbewiesenen Verdächtigungen versucht, Leute in Misskredit zu bringen. (Abg. Ing. Westenthaler: "Stöllinger" weiß das nicht, weil das bei den Kommunisten anders ist!) Sie wissen sehr gut, dass es in dem von Ihnen angesprochenen Fall weder zu einer Ermittlung der Behörden noch zu einer Anklageerhebung gekommen ist, sondern dass, ganz im Gegenteil, festgestellt wurde, dass kein wie immer gearteter strafrechtlicher Vorwurf gegeben ist (Abg. Dr. Krüger: So etwas Mieses! – Abg. Haigermoser: ... seine Visage ...!), sodass in dem von Ihnen angesprochenen Fall die Vorbildwirkung für den Sport uneingeschränkt und hundertprozentig gegeben ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Ruf: Schämen Sie sich! – Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung des Abg. Öllinger –: Du bist die mieseste Figur in diesem Haus! Der größte Miesling in diesem Haus! Pfui Teufel! – Abg. Haigermoser  – in Richtung Grüne –: ... Gesindel!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer Zusatzfrage hat sich Herr Abgeordneter Miedl gemeldet. – Bitte, Herr Abgeordneter.


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Abgeordneter Werner Miedl
(ÖVP): Frau Vizekanzlerin! Ich bin entsetzt und enttäuscht über die billige Vorgangsweise meines Vorredners (Abg. Mag. Schweitzer  – in Richtung des Abg. Öllinger –: Der ist so mies!), auf diese Art politisch punkten zu wollen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Schmierig und billig! (Abg. Ing. Westenthaler: Dafür ist ein Ordnungsruf ja ein Orden!)

Frau Vizekanzlerin! Drogen überschwemmen zurzeit Österreich, besonders die Steiermark: In Graz haben wir ein wahnsinnig großes Drogenproblem. (Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler in Richtung des Abg. Öllinger.) Der sportliche Wettkampf und das positive Beispiel des Sportes haben bislang eine beispielgebende Wirkung gegen die Einnahme von Drogen zu erzielen vermocht. (Abg. Mag. Schweitzer: Charakter ist keine Eigenschaft beim Öllinger!)

Ich frage Sie daher: Inwieweit glauben Sie, dass es Chancen gibt, die Anti-Doping-Kommission nach Österreich zu bringen? (Abg. Ing. Westenthaler  – in Richtung des Abg. Öllinger –: ... Miesling du! – Abg. Öllinger  – in Richtung des Abg. Ing. Westenthaler –: ... da angesoffen herumrennen ...?!) Ich glaube nämlich, dass man durch eine solche Vorgangsweise verstärkt darauf hinweisen kann, dass die Einnahme solcher Substanzen nichts für unsere Gesundheit zu tun in der Lage ist. (Abg. Dr. Pumberger  – in Richtung des Abg. Öllinger –: Eine einzige Dreckschleuder!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Ihre Frage bezieht sich darauf, ob Österreich als Sitz der WADA, der World Anti Doping Agency, in Frage kommt. Sie wissen, dass sich Wien beworben hat. Wir sind in der Endausscheidung der letzten fünf Kandidaten, gemeinsam mit Bonn, Lausanne, Montreal und Stockholm. (Abg. Mag. Schweitzer: ... Petrovic und dem Alp-Öhi!)

Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Ich habe die Kommission, die hier in Wien war, um sich die örtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen anzusehen, selbst empfangen und glaube, dass wir gute Chancen haben, auch durch den Konnex zur UNO in diesem Bereich.

Aber, wie gesagt, die Entscheidung ist noch nicht gefallen. (Die Abgeordneten der SPÖ betreten den Saal. – Rufe bei den Freiheitlichen: Guten Morgen!) Ich werde jedoch gerne berichten, sobald sie gefallen ist. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke.

Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Schasching. – Bitte.

Abgeordnete Beate Schasching (SPÖ): Frau Vizekanzlerin! Es verwundert auch mich ein wenig, dass gerade Herr Ortlieb hier eine Frage in Verbindung mit Anti-Doping stellt, weil ich durchaus der Meinung bin, dass auch Alkoholkonsum unter den Begriff Drogenkonsum fällt und in dieser Hinsicht sehr wohl eine Vorbildwirkung gegeben sein müsste. (Rufe bei den Freiheitlichen: Gemein!)

Nichtsdestotrotz möchte ich Sie fragen, inwieweit Sie eine Gesamtstrategie in der Anti-Doping-Frage verfolgen (Abg. Mag. Schweitzer  – in Richtung der SPÖ –: Ihr redet den Drogen das Wort und ...! – Abg. Haigermoser  – in Richtung der Abg. Schasching –: ... beim Branntweiner gewesen!), genauer: in welchem Ausmaß das Österreichische Anti-Doping-Comité welche Stärke und welche Kompetenz innerhalb Ihrer Gesamtstrategie für die Anti-Doping-Frage einnehmen wird. (Ruf bei den Freiheitlichen – in Richtung SPÖ und Grüne –: Mieslinge!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Frau Abgeordnete, ich weise auch in diesem Fall die von Ihnen implizierten Unterstellungen, die in Ihrer Fragestellung enthalten waren, mit Nachdruck zurück und möchte hinzufü


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gen, dass ich es für einen wesentlichen Teil der Vorbildwirkung von Abgeordneten dieses Hauses halte, nicht mit ungerechtfertigten, aus der Luft gegriffenen Unterstellungen andere Mitglieder dieses Hauses zu diskreditieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Öllinger: ... selbst zugegeben!)

Was das von Ihnen angesprochene Österreichische Anti-Doping-Comité betrifft, so habe ich schon darauf hingewiesen, dass es selbstverständlich ein wesentlicher und wichtiger Teil meiner Ressortverantwortlichkeit ist, zur Aufklärung im Bereich von Anti-Doping beizutragen, und die österreichische Anti-Doping-Agentur dabei eine ganz wesentliche Rolle spielt.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zur 2. Anfrage, die Herr Abgeordneter Pendl formuliert. – Bitte, Herr Kollege Pendl.

Abgeordneter Otto Pendl (SPÖ): Frau Vizekanzlerin! Meine Frage lautet:

93/M

Wann werden Sie eine Änderung des § 13c Gehaltsgesetz vorschlagen, sodass für alle Beamten, nicht nur für Exekutivbeamte, die unsoziale Gehaltskürzung im Falle eines längeren Krankenstandes gemildert wird?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um Beantwortung.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Abgeordneter Pendl! Ziel des Pensionsreformgesetzes 2002 – ich habe das schon mehrmals hier in diesem Hause dargelegt – war, gleiche Voraussetzungen, gleiche Spielregeln zu schaffen, sowohl im Beamten-Dienstrecht als auch im Bereich der Privatangestellten, also in den ungeschützten Bereichen, was die Bezügefortzahlung im Krankheitsfall betrifft.

Faktum ist, dass es im öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatwirtschaft eine wesentlich höhere Krankenstandsdauer gibt. Ein Beamter hat durchschnittlich 14,4 Tage Fehlzeiten, ein Angestellter jedoch nur 11,4 Tage. Sie sehen also, dass hier eine gewisse Diskrepanz besteht. Es war nötig, hier eine Regelung zu treffen, da die diesbezüglichen Bestimmungen nach der derzeitigen Gesetzeslage einen Missbrauch nicht verhindern.

Tatsache ist weiters, dass es bei Vollzug des § 13c, so wie er in der Letztfassung des Pensionsgesetzes enthalten war, in einem ganz spezifischen Fall, nämlich im Bereich der Exekutivbeamten, zu besonderen Härtefällen gekommen ist, weil, wie Sie natürlich wissen, in dieser Gruppe das Grundgehalt niedrig ist und sich der Gesamtverdienst neben diesem aus Zulagen und Nebengebühren zusammensetzt.

Insofern war es richtig, hier eine Regelung zu treffen, die nicht zu ungerechtfertigten oder überdimensionalen Bezugskürzungen führt. Ich beabsichtige daher, in den Ausschussberatungen in diesem Haus eine Änderung vorzuschlagen, und zwar insbesondere in jenen Bereichen, die durch den Wegfall von Nebengebühren besonders große Einkommenseinbußen hinnehmen haben müssen.

Das ist, wie gesagt, insbesondere im Bereich der Exekutive der Fall. Auf Grund der Neuregelung werden dem Beamten 80 Prozent der Summe seines bisherigen Gesamteinkommens, also des Monatsbezuges einschließlich der entfallenden Nebengebühren, Vergütungen, Abgeltungen und so weiter, weiterbezahlt. Beträgt der Monatsbezug weniger als 80 Prozent, kommt es ohnehin zu keiner Kürzung. Diese günstigere Regelung soll rückwirkend an die Stelle der bisherigen Regelung treten und sich damit auch auf bereits eingetretene Fälle von Bezugskürzungen positiv auswirken. (Beifall bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Abgeordneter Otto Pendl (SPÖ): Frau Vizekanzlerin! Wir reden von sechs Monaten und nicht von 14 Tagen. Ich glaube, alle, die sechs Monate oder länger krank sind, sind in der Regel schwerst krank. Aus den vorliegenden Zahlen wissen wir, dass es sich zudem nicht um eine


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große Anzahl von Kolleginnen und Kollegen handelt. (Abg. Böhacker: Können Sie eine Frage formulieren?) Wäre es aus sozialen Überlegungen nicht doch zweckmäßiger, § 13c überhaupt zu streichen?


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Bitte um Beantwortung.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Abgeordneter! Ich habe Ihnen schon gesagt, welche Änderung ich vorschlagen werde. Diese Änderung ist auch im Sinne der Bediensteten im öffentlichen Dienst zu sehen. Sie stellt sicher, dass es zu keinen ungebührlichen Härten kommt. Sie stellt aber andererseits auch sicher, dass es eine Gerechtigkeit zwischen den Berufsgruppen gibt.


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Reindl, bitte.

Abgeordneter Hermann Reindl (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Vizekanzler! Welche wesentlichen dienst- und besoldungsrechtlichen Verbesserungen neben der bereits erwähnten und bevorstehenden Änderung des § 13c des Gehaltsgesetzes planen Sie seitens Ihres Ressorts für die nächste Zeit?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Abgeordneter, es gibt im Bereich ... (Zwischenruf des Abg. Schwemlein. ) Das ist schön, dass Sie neugierig sind, ich werde Ihre Neugier gern befriedigen, Herr Kollege. (Abg. Dr. Mertel: Sie befriedigen keine Neugier, Sie erfüllen eine Pflicht!)

Es wird im Bereich der Dienstrechts-Novelle im Sommer eine ganze Reihe von Maßnahmen geben, die zu einer Verbesserung führen werden. So ist zum Beispiel eine Regelung im Zusammenhang mit dem Karenzurlaub vorgesehen, die sicherstellt, dass die Zeiten bei befristeten Funktionen in einer internationalen Organisation auch voll angerechnet werden. Dies ist deswegen notwendig, weil es für Österreich besonders wichtig ist, auch in internationalen Organisationen, auch im Rahmen der Europäischen Union, durch entsprechend qualifizierte Mitarbeiter vertreten zu werden, ohne dass es für diese zu dienstrechtlichen Nachteilen führt.

Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Österreich gerade in diesem Punkt ein großes Defizit gehabt hat, weil viele Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes auf Grund der komplizierten Anrechnungsbestimmungen, die nicht befriedigend waren, solche Positionen nicht angenommen haben. In dieser Hinsicht ist also eine Regelung geplant, die diesen Umstand bereinigen soll.

Darüber hinaus haben wir vorgesehen – und ich habe das hier in diesem Hause schon berichtet –, dass das Wachebediensteten-Hilfeleistungsgesetz abgeändert wird. Auf Grund des tragischen Unfalls auf der Wiener Südosttangente, bei dem zwei Polizisten ums Leben gekommen sind, wurde ersichtlich, dass die derzeitige Gesetzeslage so restriktiv und eng gefasst ist, dass es nicht möglich war, den Hinterbliebenen aus diesem Gesetzestitel eine Hilfeleistung zuzuerkennen. Ich habe dies trotzdem getan, habe eine entsprechende Weisung erteilt, gleichzeitig durch diesen Entwurf aber auch sichergestellt, dass in Hinkunft die Gesetzeslage so eindeutig ist, dass diese Fälle so geregelt und entsprechende Hilfeleistungen ausgezahlt werden können.

Wir haben weiters eine Bevorschussung von Schmerzensgeld vorgesehen. Das ist besonders wichtig für Exekutivbeamte, die auf Grund von im Diensteinsatz eingetretenen Verletzungen zwar vor Gericht Schmerzensgeld zugesprochen bekommen haben, dieses Schmerzensgeld sich aber in manchen Fällen als schwierig bis gar nicht einbringlich erweist. In diesen Fällen ist also eine Bevorschussung sinnvoll, damit nicht den Beamten eine unnötig lange Verfahrensdauer auf eigene Kosten aufgebürdet wird.

Zum Dritten haben wir vorgesehen, dass – und auch das war eine Lücke der bisherigen Gesetzeslage – jene Zeit, die ein Exekutivbeamter vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde verbringt, im Falle eines Freispruches oder einer Einstellung des Verfahrens als Dienstzeit gewertet wird und im Verhältnis als Freizeit abgegolten werden soll.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Tancsits. – Bitte.

Abgeordneter Mag. Walter Tancsits (ÖVP): Frau Vizekanzlerin! Auch meine Zusatzfrage bezieht sich auf § 13c. Kollege Pendl hat dankenswerterweise den Entschließungsantrag von ÖVP und FPÖ, hier Verbesserungen zu erzielen, aufgegriffen. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine konsequente Anwendung der Pensionierungsmöglichkeiten durch die Dienstbehörde, so wie es auch die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst vorschlägt, um Krankenstände über sechs Monate überhaupt zu vermeiden?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um Beantwortung.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Abgeordneter! Dagegen spricht, dass es sich um zwei völlig verschiedene Fragen handelt. Lange Krankenstände müssen nicht automatisch in die Pension münden, sondern können auch dazu führen, dass der Mitarbeiter an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Tatsache ist, dass, wenn dies nicht möglich ist, ohnehin eine Pensionierung erfolgen kann, aber ich halte nichts davon, dass wir Krankenstände automatisch in die Pension überführen, weil das letztendlich zu einer Situation führen würde, die wir in der Vergangenheit mehrfach gehabt haben, nämlich, dass es auch zu einem Missbrauch dieser Bestimmung kommt. (Abg. Sophie Bauer: ... ungeheuerlich, so eine Aussage ...!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Zusatzfrage: Frau Dr. Petrovic. – Bitte.

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Sämtliche dienstrechtliche Entscheidungen haben möglicherweise unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer, sowohl im Bereich der Exekutive als auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. Nichtsdestotrotz wurde die Verpflichtung zum Gender-Mainstreaming bei all diesen Maßnahmen – ob es jetzt um Schadenersatz, um Pensionierungen oder Ähnliches geht – bisher nicht in der Form wahrgenommen, dass quantifizierbare, überprüfbare Berechnungen in Bezug auf die Auswirkungen auf Frauen und Männer stattgefunden haben.

Wann werden Sie innerhalb der Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass diese österreichische Verpflichtung zum Gender-Mainstreaming endlich ernst genommen wird?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Vizekanzlerin.

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Diese Verpflichtung wird ernst genommen, dazu bekennt sich auch die ganze Bundesregierung. Und keine einzige der von mir genannten Maßnahmen hat nachteilige Auswirkungen auf Frauen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke, Frau Vizekanzlerin. Wir sind uns aber alle einig darüber, dass ein Abgeordneter, der Fragen stellt, nicht "neugierig" ist, sondern ein verfassungsrechtliches Recht geltend macht. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen jetzt zu den Anfragen an den Herrn Sozialminister.

Zuerst kommt die Frage Nummer 88/M, die Herr Abgeordneter Dr. Grünewald stellen wird. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer spricht mit Präsident Dr. Fischer. – Zwischenrufe der Abgeordneten Ing. Westenthaler und Schwarzenberger. )

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Herr Bundesminister! Einer der führenden Experten Österreichs auf dem Gebiet des Impfwesens, DDr. Maurer, wurde aus dem Impfausschuss des Obersten Sanitätsrates, eines wichtigen beratenden Gremiums Ihres Ressorts, entfernt. Nennen Sie mir bitte die Gründe dafür!

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister! Ich habe kurz gezögert. Wir haben den Usus, dass der genaue Wortlaut der Frage vorgetragen wird. Das ist auch für die Fernsehzuschauer wichtig, weil sie ja diese schriftliche Unterlage nicht haben. Da Herr Professor Grünewald das quasi in freier Rede getan hat, wiederhole ich, dass die Frage folgendermaßen lautet:

88/M

Warum wurde der führende Experte Österreichs auf dem Gebiet des Impfwesens, DDr. Wolfgang Maurer, aus dem Impfausschuss des Obersten Sanitätsrates, des wichtigsten Beratungsgremiums des Gesundheitsministers, entfernt?

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Präsident! Ich habe die Frage des Herrn Abgeordneten Universitätsprofessor Dr. Grünewald als wohltuende Abweichung vom schriftlichen Fragetext empfunden, weil neben Herrn DDr. Maurer eine Reihe anderer führender Experten nach wie vor im gegenständlichen Impfausschuss sind. Ich darf nur erwähnen, dass mit Herrn Universitätsprofessor Dr. Mutz, dem Vorsitzenden, mit Herrn Universitätsprofessor Dr. Dierich, mit Herrn Universitätsprofessor Dr. Marth und mit Herrn Universitätsprofessor Dr. Kurz, um nur einige wenige zu nennen, vier international und national wirklich anerkannte Experten dem Impfausschuss angehören.

Herr DDr. Maurer war in seiner Funktion als Leiter des Serumprüfinstitutes im gegenständlichen Ausschuss, er ist aus dieser Funktion ausgeschieden. Es war im Interesse der Herren meines Staatssekretariats und in meinem Interesse, Herrn DDr. Maurer noch einige Zeit über diese Funktionsperiode hinaus im Impfausschuss zu haben, um die Kontinuität zu wahren, aber es ist auch, so glaube ich, verständlich, dass nunmehr das BIfA ebenfalls im Impfausschuss vertreten sein soll. Daher war im Impfausschuss eine entsprechende Neuordnung notwendig.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Herr Bundesminister! Für viele Firmen, die um Zulassung ihrer Arzneimittel oder Medizinprodukte bemüht waren, war DDr. Maurer ein unbequemer und kritischer Gutachter. Ich möchte Sie fragen: Wie viele ehemals in Pharmakonzernen beschäftigte Personen arbeiten nunmehr in Ihrem Ressort?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Das kann ich Ihnen ad hoc leider nicht beantworten, weil mir der Lebenslauf aller 2 900 Beamten meines Hauses selbstverständlich nicht gegenwärtig ist. (Abg. Mag. Schweitzer: "Gescheite" Frage!) Ich glaube aber, es wäre sinnvoll, die Frage dahin gehend einzuschränken, dass es nur um jene Personen geht, die direkt mit dem Arzneimittelbereich zu tun haben. Ich werde Ihrer Frage dann gerne nachkommen und in meinem Hause die Curricula meiner Mitarbeiter diesbezüglich überprüfen lassen, um Ihnen und allen anderen Fraktionen die Beantwortung dieser Frage im schriftlichen Wege zur Verfügung stellen zu können.

Ich glaube, dass es aber eher ungerechtfertigt ist, mit dieser Fragestellung meinen Mitarbeitern zu unterstellen, dass sie dadurch eine Abhängigkeit von Firmen hätten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass meine Beamten – ihrem Beamten-Dienstrecht und den Unvereinbarkeitsbestimmungen entsprechend – unabhängig in ihrem Amt tätig sind. Daher ist es für mich auch kein Problem, diese Curricula entsprechend zu überprüfen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Lackner, bitte.

Abgeordneter Manfred Lackner (SPÖ): Herr Bundesminister! Kann es sein, dass die kritischen Expertisen von DDr. Maurer gegenüber Pharmafirmen der eigentliche Grund waren, die


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sen hochrangigen Experten im Bereich des Impfwesens aus dem Impfausschuss des Obersten Sanitätsrates zu entfernen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um Beantwortung.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Ich darf Sie daran erinnern, Herr Kollege Lackner, dass Herr DDr. Maurer vor zwei Jahren in der nationalen Presse heftig angegriffen worden ist, weil er Impfstoffe befürwortet hat, die zugelassen worden sind, die aber dann bei der Verabreichung an den Probanden durchaus Fieberreaktionen verursacht haben. Daher ist das Bild von Herrn DDr. Maurer, wenn man es nur von den Medien aus betrachtet, ein sehr zwiespältiges.

Ich hege keinen Zweifel daran, dass Herr DDr. Maurer nach wie vor ein hervorragender Experte auf diesem Gebiet ist; ich darf nochmals auf die Fragebeantwortung Professor Grünewald gegenüber verweisen, dass es mir auch wichtig erschienen ist, nachdem Maurer als Leiter des Serumprüfinstitutes ausgeschieden ist, dass das Serumprüfinstitut und dessen Nachfolgeorganisation wieder im Impfausschuss vertreten sind. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Schwarzenberger. )

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dr. Pumberger, bitte.

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Auch Herr DDr. Maurer hat den Impfstoff TicoVac im vergangenen Jahr für die Zeckenimpfung befürwortet und zugelassen. Es ist aber gerade bei Kindern eine Menge an Nebenwirkungen und Impfkomplikationen aufgetreten. Heuer ist wieder der bewährte Impfstoff FSME-Immuninject am Markt. Sind Ihnen Meldungen über heuer aufgetretene Impfnebenwirkungen und -komplikationen mit dem dieses Jahr wieder verwendeten erprobten Impfstoff bekannt?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Die derzeit in meinem Ressort bekannt gewordenen Nebenwirkungsraten, nämlich Fieberreaktionen, liegen geringfügig unter dem schon vor Jahren beobachteten Niveau. Sie sind laut derzeitiger Einschätzung daher geringfügiger als die im Vorjahr aufgetretenen Nebenwirkungen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dr. Leiner, bitte.

Abgeordneter Dr. Günther Leiner (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich möchte noch einmal auf DDr. Maurer zurückkommen. Es war ja schon früher üblich, dass Vertreter dieser Kommission vorübergehend ausgeschieden sind. Ich möchte Sie fragen: Wer benennt überhaupt die Mitglieder des Obersten Sanitätsrates?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Mit einer einzigen Ausnahme sind sämtliche Mitglieder des Obersten Sanitätsrates noch von meiner Amtsvorvorgängerin, Frau Bundesministerin Eleonora Hostasch, in ihre Funktionen ernannt worden. Prinzipiell muss festgestellt werden, dass sie jederzeit abberufen werden können, dass aber eine Abberufung keine Abberufung auf ewig sein muss, sondern jederzeit eine neuerliche Berufung in den Obersten Sanitätsrat erfolgen kann.

Ich lege großen Wert darauf, auch im Obersten Sanitätsrat Kontinuität zu haben, werde mir aber selbstverständlich, so wie meine Amtsvorgängerinnen und Amtsvorgänger, im einen oder anderen Fall durchaus auch überlegen, das Beratungsgremium zu erweitern und Neubesetzungen durchzuführen. Das ist im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten jederzeit nicht nur vertretbar, sondern auch tatsächlich möglich.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte Frau Abgeordnete Haller, die 4. Anfrage vorzutragen.


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Abgeordnete Edith Haller
(Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

86/M

Mit welchen Familienleistungen können Familien mit dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes rechnen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um Beantwortung, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Haller! Man kann zunächst einmal davon ausgehen, dass mit der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes für die Familien endlich das umgesetzt wird, was ihnen versprochen worden ist, nämlich mehr Wahlfreiheit zwischen Beruf und Kinderbetreuung. Ich darf Sie etwa darauf hinweisen, dass die Höhe der derzeitigen Zuverdienstgrenze verfünffacht worden ist, und zwar auf 200 000 S. Damit tritt erstmals die Wahlfreiheit ein.

Ich darf Sie weiters darauf hinweisen, dass es in der Vorwoche in Graz mit den Familienpolitikern und Familienpolitikerinnen aller Länder, den zuständigen Referentinnen und Referenten sowie mit ihren Mitarbeitern einen guten Konsens dahin gehend gegeben hat, dass das bisherige Familiengeld der Länder trotz Einführung des Kinderbetreuungsgeldes voll für die Familien – allerdings in neuer Form – von den Ländern zur Verfügung gestellt wird. Ich darf Sie außerdem darauf hinweisen, dass es auch im Gesetz festgeschrieben ist, dass ab 2003 die entsprechenden Zuschläge sowohl für behinderte Kinder als auch für alle anderen Kinder in den älteren Altersgruppen um 100 S pro Monat valorisiert und erhöht werden.

Ich meine daher, dass bei der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes weder Familien mit Kindern im Kleinkindalter noch Familien mit älteren Kindern befürchten müssen, dass sie unter die Räder kommen und Maßnahmen für sie nicht umfassend getätigt werden. Wir haben darauf geachtet, dass mit dem neuen Kinderbetreuungsgeld nicht nur die Familien mit Kindern in der Altersgruppe von ein bis drei Jahren eine deutliche Verbesserung erfahren, sondern dass auch für die Familien mit älteren Kindern eine entsprechende Valorisierung festgesetzt wird.

Des Weiteren darf ich Sie darüber informieren, dass gerade gestern hier im Parlament für Eltern mit behinderten Kindern ein Anspruch auf die Zuerkennung des Pflegegeldes bereits vor der bisher geltenden Altersgrenze, nämlich auch im Alter von null bis drei Jahren, gesetzlich festlegt worden ist, sodass es nunmehr auch in diesem Zeitraum für die Betreuung behinderter Kinder nicht mehr nur in einzelnen Ländern, sondern generell ein Pflegegeld geben wird. Ich betrachte das auch als wichtige zusätzliche familienpolitische Maßnahme, um das Umfeld dieser Familien zu unterstützen und sie zu ermutigen, sich behinderten Kindern nicht nur zu widmen, sondern ihnen auch mit mehr Freude zu begegnen. Die Betreuung wird auf pekuniärer Ebene, der im humanitären Bereich doch eine große Bedeutung zukommt, erleichtert, um Familien mit behinderten Kindern entgegenzukommen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Das Kinderbetreuungsgeld wird als Familienleistung das bisherige Karenzgeld ersetzen. Das Karenzgeld war eine Leistung im Arbeitsrechtsbereich. Welche Änderungen sind dadurch im arbeitsrechtlichen Bereich notwendig geworden?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Das Arbeitsrecht ist, wie Sie wissen, Angelegenheit von Herrn Kollegen Bartenstein. Ich möchte aber trotzdem, obwohl das nicht meinem Ressort zugehörig ist, hier klar


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feststellen, dass erstens die arbeitsrechtlichen Regelungen dort gleich geblieben sind, wo es um den Kündigungsschutz geht.

Ich darf Sie zweitens darauf hinweisen, dass im Arbeitsrecht die Teilpensionen in entsprechender Form weiter, so wie sie vereinbart sind, auslaufen werden.

Ich darf Sie drittens darauf hinweisen, Frau Abgeordnete, dass es im Arbeitsrecht nunmehr zu Besserstellungen kommen wird, weil in der Vergangenheit neben dem Karenzgeld die Möglichkeiten des Zuverdienstes eingeschränkt waren, die nunmehr gegeben und mit 200 000 S limitiert sind. Es sind in Zukunft aber auch Fortbildung, Weiterbildung und Teilzeitbeschäftigungen möglich.

Ich darf Sie noch darauf hinweisen, Frau Abgeordnete Haller, dass auch die anderen familienpolitischen Leistungen, wie etwa die Schulbuch-Aktion, die Schülerfreifahrt und eine Ausweitung der Stipendien für sozial schwache Studenten, aus dem Familienlastenausgleichsfonds weiterhin abgesichert sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegen Wünsche auf weitere Zusatzfragen vor. – Frau Abgeordnete Gatterer, bitte.

Abgeordnete Edeltraud Gatterer (ÖVP): Herr Bundesminister! Diese Regierung ist angetreten mit der Absicht, Österreich zum kinder- und familienfreundlichsten Land überhaupt zu machen. Angesichts der neuen Kindergeldregelung und der Karenzzeiten frage ich Sie: Wo liegt Österreich jetzt im EU-Vergleich?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.


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Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt:
Frau Kollegin Gatterer! Wenn man die für die Familien aufgewendeten Gelder betrachtet, sind wir in Europa einsame Spitze. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.) Was die Kinderbetreuungseinrichtungen angeht, liegen wir in Europa im guten Vorderfeld. Ich bemühe mich daher – um auch die Situation der Frauen zu verbessern –, mit einigen Bundesländern dort, wo die Bereitschaft dazu vorherrscht, entsprechende Programme zur Ausweitung der Öffnungszeiten von bestehenden Kinderbetreuungseinrichtungen durchzuführen.

Ein besonders gutes Modell ist uns, so glaube ich, in Vorarlberg mit der dortigen Landesrätin Schmid gelungen, wo wir einen Kindergarten mit längeren Öffnungszeiten fördern, in dem 90 Prozent der dort Beschäftigten Männer sind, die sich der Kinderbetreuung widmen. Ich glaube, dass ich mit Fug und Recht sagen kann, dass wir nunmehr endlich Schwerpunkte setzen, um Männern die Kinderbetreuung nicht nur zu erleichtern, sondern um auch zu erreichen, dass diese von ihnen in einem breiteren Ausmaß als mit den 2 Prozent, die sich derzeit der Kinderbetreuung widmen, wahrgenommen wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächste Zusatzfrage: Frau Dr. Petrovic, bitte.

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Bundesminister! Die angesprochenen Familienleistungen werden österreichischen Familien, Familien von EU-Angehörigen und – auf Grund von internationalen Verträgen – auch anderen Ausländerinnen und Ausländern, etwa türkischen Staatsangehörigen, zugute kommen, nicht jedoch Personen, die zum Beispiel aus Kroatien, aus Slowenien und aus anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien stammen, sofern nicht bestimmte arbeitsbezogene Voraussetzungen erfüllt werden.

Herr Bundesminister! Sind diese Familien für Sie keine Familien? Was ist der Grund für die Diskriminierung dieser Personen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Petrovic! Wir haben uns bemüht, all jenen, die in Österreich in den Genuss der Familienförderung kommen – egal, ob In- oder Ausländer –, diese auch zugute kommen zu lassen. Wir haben zweitens darauf geachtet, dass auch ausländische Personen, die entsprechend gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, auch dann, wenn sie erst kurzfristig in Österreich sind und nicht direkt aus der Beschäftigung in die Kindergeldbezugsphase übertreten können, trotzdem das Kinderbetreuungsgeld bekommen werden. Wir sind auch in diesem Bereich bemüht, nicht nur internationale Verträge einzuhalten, sondern selbstverständlich auch das, was sich die Bundesregierung vorgenommen hat – nämlich Integration der hier Befindlichen vor Zuzug –, entsprechend umzusetzen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Prammer, bitte.

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Minister! Ich freue mich auch darüber, dass Österreich seit mehr als 30 Jahren das familienfreundlichste Land Europas ist – dank einer hervorragenden sozialdemokratischen Politik. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte von Ihnen gerne wissen, ob Sie ebenfalls der Meinung sind – wie maßgebliche Vertreter Ihres Koalitionspartners –, dass unter Familienleistungen nicht nur Geldleistungen, sondern auch Sachleistungen zu verstehen sind (Abg. Haller: Frage!), nämlich ganz konkret Kinderbetreuungseinrichtungen.

Wie wollen Sie garantieren, dass diese Kinderbetreuungseinrichtungen den österreichischen Kindern und deren Eltern zur Verfügung stehen? (Abg. Böhacker: Was haben Sie gemacht? Nichts!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Prammer! Ich glaube, dass in Österreich in weiten Teilen Kinderbetreuungseinrichtungen in ausreichendem Ausmaß vorhanden sind. Dort, wo einige Bundesländer in ihrem Wirkungsbereich säumig gewesen sind, sehe ich es nicht mehr ein, dass es Aufgabe des Bundes sein soll, einzelnen Bundesländern, die nach wie vor säumig sind, aus Bundesmitteln etwas zu restituieren, was auf Grund der Verfassungslage eindeutig Angelegenheit der Gemeinden und Länder ist.

Ich bin daher bemüht, dort, wo Kinderbetreuungseinrichtungen vorhanden sind und wo dies auf Grund des Arbeitsumfeldes von besonderer Bedeutung ist, dahin gehend zu helfen, dass Frauen, aber auch Männern eine Beschäftigung nicht nur ermöglicht wird, sondern diese auch langfristig abgesichert wird, indem die Öffnungszeiten der Kindergärten wirtschaftsfreundlicher gestaltet werden und wir in diesen Fällen mit Geldleistungen beispringen. Einige Modelle haben wir derzeit in Arbeit, über einige Modelle sind wir derzeit noch in Verhandlungen.

Ich kann aber die Gemeinden und die Bundesländer, die bis dato säumig gewesen sind, nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, verfassungskonform für ihre eigenen Einrichtungen selbst vorzusorgen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Damit haben wir diesen Fragenkomplex abgeschlossen.

Wir kommen zur 5. Anfrage, die Frau Abgeordnete Plank stellen wird.

Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank (SPÖ): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

92/M

Ihre Amtsvorgängerin und Sie haben schon oft eine Erhöhung des Pflegegeldes versprochen, wann werden Sie einen Gesetzesvorschlag betreffend die Erhöhung des Pflegegeldes vorlegen?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Plank! Ich darf Sie auf die gestrige Debatte hier im Hohen Hause verweisen. Es hat in der ersten Maiwoche eine Sitzung der Landessozialreferenten in Schladming gegeben. Dort ist erfreulicherweise zum ersten Mal von allen Ländern die Zustimmung zu erreichen gewesen, in diesem Bereich tätig zu werden. Sie wissen ja, dass auf Grund der 15a-Vereinbarungen der Bund nicht allein, sondern nur gemeinsam mit den Ländern tätig werden kann.

Sie wissen, Frau Kollegin Plank, dass die Bundesregierung für diese Legislaturperiode im Bereich Pflegegeld diesbezüglich eine Einmalzahlung im Regierungsübereinkommen vorgesehen hat. Die Länder waren in der erwähnten Sitzung in Schladming der Meinung, dass sie aus verwaltungstechnischen Gründen lieber Valorisierungen im Prozentbereich und keine Einmalzahlungen haben wollen. Daher habe ich, mit dem Rückhalt der Meinung der Länder, nunmehr mit dem Herrn Finanzminister Verhandlungen begonnen, um diesem Bereich entsprechende Mittel zuzuführen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung ihr Regierungsübereinkommen auf Punkt und Beistrich einhalten wird und daher die Zahlungen noch in dieser Legislaturperiode erfolgen werden.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete Plank.

Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank (SPÖ): Herr Bundesminister! Sie haben in der vergangenen Gesetzgebungsperiode den gehörlosen und schwer hörbehinderten Menschen versprochen, einen Pflegegeldanspruch für sie – analog den Blinden – durchzusetzen, und dies auch mit einem Antrag dokumentiert.

Jetzt frage ich Sie als zuständigen Bundesminister: Bis wann wird damit zu rechnen sein, dass die schwer hörbehinderten und gehörlosen Menschen – analog den Blinden –, so wie damals versprochen, einen Pflegegeldanspruch bekommen werden?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Frau Abgeordnete! Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Hörbehinderte, die auf Grund ihrer Behinderung aufwendige Pflege benötigen, schon heute Pflegegeld beantragen können. Es geht daher um die Frage, ob die Hörbehinderung eo ipso, also für sich selbst, bereits als Behinderung anerkannt wird, bei der ein entsprechendes Pflegegeld zuerkannt werden sollte. Mit den Ländern ist keine einheitliche Meinung darüber zu erzielen gewesen, und daher bin ich in diesem Falle auch darauf angewiesen, eine Lösung am Verhandlungstisch vorzubereiten. Leider ist es noch nicht so weit.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Dr. Pumberger. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Herr Bundesminister! Nicht nur die Höhe des Pflegegeldes ist wichtig, sondern auch die Qualität der Pflege. Daher meine Frage: Was haben Sie bisher unternommen, um die Qualität der Pflege, vor allem die Qualität der Pflege der Kinder zu verbessern?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Es ist sehr häufig davon die Rede, dass es im Bereich des Pflegegeldes zu Missbrauch kommt. Daher hat bereits meine Amtsvorgängerin eine Studie über den Bedarf und die Verwendung des Pflegegeldes im Familienbereich in Auftrag gegeben. In dieser Studie ist Gott sei Dank nachzulesen, dass in diesem Bereich die Pflege ordnungsgemäß und sehr umfassend im Interesse der zu Pflegenden durchgeführt wird.


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Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf die Debatte des gestrigen Tages verweisen. Wir haben für den Bereich Qualität der Pflege zwei Studien, und zwar im Bereich der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten und im bäuerlichen Pensionsversicherungsbereich, mit insgesamt 2 Millionen beziffert, in Auftrag. Es werden nunmehr Projektstudien zur Qualitätssicherung an 3 000 zu pflegenden Personen durch täglichen Besuch beziehungsweise wöchentlichen Besuch und Überprüfung des Pflegestandards durchgeführt. Wir müssen sagen, dass die Pflege Gott sei Dank weitgehend in Ordnung ist, dass aber das eine oder andere durchaus noch verbesserungswürdig ist.

Zielsetzung ist es, nach Abschluss dieser beiden Projekte die positiven Erfahrungen zur Qualitätsverbesserung im Interesse der Pfleglinge, der Pflegebedürftigen, österreichweit zur Verfügung zu stellen – mit dem Hintergedanken, dass eine bessere und qualitativ hochwertige Pflege auch die Lebensqualität und den Gesundheitszustand der Pflegegeldbezieher verbessern wird und damit langfristig sogar eine Kosteneinsparung – trotz der Kosten, die Qualität nun einmal verursacht – in der Gesamtrechnung für die Volkswirtschaft erreicht wird. Die Bedeutung einer höheren Lebensqualität für die zu Pflegenden sollte für uns alle im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Dr. Feurstein. – Bitte.

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein (ÖVP): Herr Minister! Es ist richtig, dass in den letzten Jahren keine Valorisierung erfolgt ist, es ist aber zu wesentlichen Verbesserungen im Bereich des Pflegegeldes gekommen. Ich schätze, dass diese Verbesserungen 1 Milliarde Schilling im Budget ausgemacht haben. Die Pflegebedürftigen haben also 1 Milliarde Schilling mehr bekommen.

Meine konkrete Frage zielt aber auf ein anderes Thema in diesem Zusammenhang ab. Es kommt immer wieder zu Verunsicherungen dahin gehend, dass die Pflegebedürftigen das Geld in Zukunft unter Umständen nicht mehr selbst bekommen, sondern andere. Darf ich Sie fragen, Herr Minister: Wird dieser Grundsatz im Pflegegeldgesetz, dass das Geld unmittelbar der Pflegebedürftige bekommen soll, beibehalten?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Herr Kollege Feurstein! Ich war immer ein Anhänger dessen, dass mit dem Pflegegeld dem Betroffenen die individuelle Gestaltung seines Lebensumfeldes ermöglicht werden soll. Es hat in einem einzigen Bundesland den Versuch gegeben, einen Teil des Pflegegeldes für eine extramurale Betreuung im ärztlichen und im pflegerischen Bereich zweckzuwidmen und den Pflegegeldbeziehern diesen Anteil wegzunehmen. Diesen Intentionen bin ich schärfstens entgegengetreten, weil ich einfach glaube, dass das Pflegegeld gerade bei den zu Pflegenden gut aufgehoben ist und die Pflegenden selbst am besten wissen, wie sie ihr Umfeld gestalten müssen, um bestmögliche Lebensqualität und ein hohes Ausmaß an individueller Lebensgestaltung auch in Zukunft sichergestellt zu haben.

Ich möchte weiters darauf hinweisen, Herr Kollege Feurstein, dass es in Zeiten, in denen alle anderen Bevölkerungsgruppen den Gürtel deutlich enger schnallen mussten, weil die Schuldenlast durch Sparpakete einzudämmen war und das Nulldefizit auch ein wichtiges Ziel für die zukünftige Gestaltung gerade des Sozialbereiches ist, für mich schon eine beachtenswerte Leistung meiner Amtsvorgängerin und auch meines Wirkens war, den Pflegegeldbereich unangetastet zu lassen. Mit der gestrigen Sitzung des Nationalrates konnten gerade für Personen, die einen Angehörigen in der Pflegestufe 4 pflegen und in diesem Zusammenhang sozialversichert sind, deutliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Zustand erreicht werden. Auch für behinderte Kleinkinder von 0 bis 3 Jahren konnten mit der automatischen Zuerkennung des Pflegegeldes – der gesetzlichen Grundlage dafür – Verbesserungen geschaffen werden.

Ich würde mir selbstverständlich wünschen, mehr Geld zur Verfügung zu haben, aber ich muss mich im Interesse des gesamten Staatswohls auch nach der Decke strecken, und daher können


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die großen Entscheidungen bezüglich Pflegegeld leider erst dann getroffen werden, wenn das Nulldefizit erreicht ist.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke. – Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Haidlmayr, bitte.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Minister! Sie haben damals, als Sie noch Oppositionspolitiker waren, gemeinsam mit den Grünen immer den Anträgen auf Valorisierung des Pflegegeldes zugestimmt. Jetzt, wo Sie in der Regierung sind, habe ich einen wortidentischen Antrag auf Valorisierung des Pflegegeldes hier in diesem Parlament eingebracht – mit dem Ergebnis, dass die Freiheitlichen, dass die Freiheitliche Partei, dass praktisch Sie als Mitglied der Regierungspartei jetzt plötzlich gegen die Valorisierung des Pflegegeldes sind!

Meine Frage daher, Herr Minister: Was ist passiert, dass Sie diesen schlimmen Meinungswechsel vollzogen haben?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Frau Kollegin Haidlmayr! Ich darf Sie darauf hinweisen, dass erstens nach den Artikel-15a-Vereinbarungen, die im Verfassungsrang stehen, für die Valorisierung des Pflegegeldes auch die Zustimmung der Länder notwendig ist. Die Landessozialreferenten haben mir erst in der ersten Maiwoche dieses Jahres die entsprechende ungeteilte Zustimmung zu dieser Frage gegeben.

Wir haben noch eine Differenz zwischen der Regierungserklärung, die Einmalzahlungen für den Bereich der Valorisierungen des Pflegegeldes vorsieht, und den Wünschen der Länder, die prozentuelle Valorisierungen für diesen Bereich vorsehen. Ich darf auf meine Anfragebeantwortung von heute verweisen, in der ich bereits ausgeführt habe, dass ich nunmehr in Verhandlungen mit dem Herrn Finanzminister eingetreten bin, um diese Diskrepanz zwischen der Haltung der Länder und der Haltung der Bundesregierung so auszugleichen, dass die Betroffenen noch in dieser Legislaturperiode in den Genuss einer Verbesserung des Pflegegeldes kommen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundesminister und beende damit die Fragestunde; wir haben die fünf vorliegenden Anfragen erledigt.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen verweise ich auf eine im Sitzungssaal verteilte schriftliche Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A) Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

1. Anfragebeantwortungen: 2318/AB und 2319/AB.

2. Regierungsvorlagen:

Bundesgesetz, mit dem das Heimarbeitsgesetz 1960 geändert wird (595 der Beilagen),

Finanzmarktaufsichtsgesetz – FMAG (641 der Beilagen),

Agrarrechtsänderungsgesetz 2001 (642 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem eine IAF-Service GmbH gegründet wird und das Bundessozialämtergesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, die Konkursordnung und das Bundesfinanzgesetz 2001 geändert werden (666 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert wird (21. StVO-Novelle) (667 der Beilagen),


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Bundesgesetz, mit dem das Güterbeförderungsgesetz 1995 geändert wird (668 der Beilagen),

Asylgesetz-Novelle 2001 (669 der Beilagen).

B) Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (58. Novelle zum ASVG) (624 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz geändert wird (25. Novelle zum GSVG) (625 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Bauern-Sozialversicherungsgesetz geändert wird (24. Novelle zum BSVG) (626 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wird (28. Novelle zum B-KUVG) (627 der Beilagen);

Familienausschuss:

Bundesgesetz, mit dem ein Kinderbetreuungsgeldgesetz erlassen wird sowie das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Mutterschutzgesetz 1979, das Eltern-Karenzurlaubsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Karenzgeldgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Überbrückungshilfengesetz, das Einkommensteuergesetz 1988, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Karenzurlaubsgeldgesetz und die Exekutionsordnung geändert werden (620 der Beilagen);

Finanzausschuss:

1. Euro-Umstellungsgesetz – Bund (621 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend die Veräußerung der Anteile des Bundes an der Österreichischer Bundesverlag Gesellschaft mit beschränkter Haftung erlassen und das Bundesgesetz über die Neuregelung der Rechtsstellung des Österreichischen Bundesverlages geändert wird (631 der Beilagen),

Bundesgesetz über den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit internationalen Finanzinstitutionen (632 der Beilagen),

Bundesgesetz über einen österreichischen Beitrag zum Treuhandfonds für hochverschuldete arme Länder (HIPC-Trust Fund) (633 der Beilagen),

Antrag 448/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend regelmäßige Berichte über die Entwicklung der ÖIAG-Holding,

Antrag 449/A (E) der Abgeordneten Anton Heinzl und Genossen zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer für Feuerwehren und Rettungsorganisationen bei der Anschaffung neuer Gerätschaften;

Gesundheitsausschuss:

Apothekerkammergesetz 2001 (628 der Beilagen),

2. Ärztegesetz-Novelle (629 der Beilagen),


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Antrag 450/A (E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Sicherung der personellen Ressourcen in den Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung und anderen Bundesanstalten;

Justizausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof und das Gerichtsorganisationsgesetz geändert werden (525 der Beilagen);

Umweltausschuss:

Antrag 446/A (E) der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Genossen betreffend Änderung der EU-Atompolitik;

Unterrichtsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 15. Dezember 1987, BGBl. Nr. 656, über die Abgeltung von bestimmten Unterrichts- und Erziehungstätigkeiten im Bereich des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst und des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft geändert wird (643 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Abgeltung von Prüfungstätigkeiten im Bereich des Schulwesens mit Ausnahme des Hochschulwesens und über die Entschädigung der Mitglieder von Gutachterkommissionen gemäß § 15 des Schulunterrichtsgesetzes geändert wird (644 der Beilagen);

Verfassungsausschuss:

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird (622 der Beilagen),

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Aufgaben und die Einrichtung des Österreichischen Rundfunks (Rundfunkgesetz-RFG), BGBl. Nr. 379/1984, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 32/2001 und das Arbeitsverfassungsgesetz 1974, BGBl. Nr. 22/1974, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 14/2000 geändert werden (634 der Beilagen),

Privatfernsehgesetz – PrTV-G (635 der Beilagen);

Ausschuss für Wissenschaft und Forschung:

Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird (630 der Beilagen),

Dienstrechts-Novelle 2001 – Universitäten (636 der Beilagen),

Antrag 447/A (E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald und Genossen betreffend Verwendung der Mittel aus der Technologie-Offensive.

*****

Verlangen auf Durchführung von kurzen Debatten über die Anfragebeantwortungen 2197/AB und 2081/AB

Präsident Dr. Heinz Fischer: Vor Eingang in die Tagesordnung teile ich mit, dass gemäß § 92 der Geschäftsordnung ein Verlangen vorliegt, eine Kurzdebatte über die Beantwortung 2197/AB der Anfrage 2194/J der Abgeordneten Dietachmayr und Genossen betreffend Vertriebenen-Fonds für Sudetendeutsche und heimatvertriebene Altösterreicher durch den Herrn Finanzminister abzuhalten. Dies wird geschehen.


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Es liegt weiters ein Verlangen vor, eine Kurzdebatte über die Beantwortung 2081/AB der Anfrage 2093/J der Abgeordneten Dipl.-Ing. Pirklhuber und Genossen betreffend Verhinderung der Aussaat von gentechnisch manipuliertem Saatgut durch den Herrn Landwirtschaftsminister durchzuführen.

Fristsetzungsanträge

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weiters teile ich mit, dass ein Verlangen auf Durchführung einer kurzen Debatte über den Antrag der Abgeordneten Mag. Lunacek und Genossen vorliegt, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 10/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird, eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen.

*****

Weiters gebe ich bekannt, dass ein Verlangen auf Durchführung einer Kurzdebatte über den Antrag der Abgeordneten Dr. Kostelka und Genossen vorliegt, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über die Anträge 69/A und 10/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird, im Zusammenhang mit den Strafbestimmungen gegen Homosexualität, eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen.

*****

Da die erwähnten Verlangen auf Durchführung von Kurzdebatten gleichzeitig gestellt wurden, werden diese in der Reihenfolge, in der ich sie aufgezählt habe, gemäß der Geschäftsordnung ab 15 Uhr zum Aufruf gelangen.

Die Abstimmungen darüber werden im Anschluss an die diesbezüglichen Debatten erfolgen.

Ich mache in diesem Zusammenhang einen Vorschlag, dem schon öfters bei solchen Gelegenheiten nachgekommen wurde, nämlich: Da die beiden Fristsetzungsanträge praktisch den gleichen Gegenstand haben, werden wir so vorgehen – das Einvernehmen vorausgesetzt –, dass wir zuerst die beiden Begründungen anhören, dann aber eine gemeinsame Debatte durchführen. Das heißt, jeder Fristsetzungsantrag wird begründet, aber dann hat jede Fraktion eine Redezeit von 5 Minuten und nimmt im Rahmen dieser Redezeit zu beiden Fristsetzungsanträgen Stellung.

*****

Schließlich teile ich mit, dass die Abgeordneten Dolinschek und Steibl beantragt haben, dem Familienausschuss zur Berichterstattung über die Regierungsvorlage 620 der Beilagen betreffend Kinderbetreuungsgeld und andere Materien eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen.

Der gegenständliche Antrag wird gemäß der Geschäftsordnung nach Beendigung der Verhandlungen in der heutigen Sitzung zur Abstimmung gebracht werden.

So weit die zusätzlichen Mitteilungen vor Eingang in die Tagesordnung.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Was die Tagesordnung selbst betrifft, ist vorgeschlagen, die Debatte über die Punkte 5 bis 8 sowie 9 bis 14 jeweils zusammenzufassen.

Gibt es dagegen Einwendungen? – Da das nicht der Fall ist, werde ich so vorgehen.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.


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72. Sitzung / Seite 29

Redezeitbeschränkung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich gebe bekannt, dass in der Präsidialkonferenz Konsens über die Dauer der Debatten wie folgt erzielt wurde: Es ist eine Tagesblockzeit von 10 "Wiener Stunden" in Aussicht genommen, aus der sich folgende Redezeiten ergeben: SPÖ 195 Minuten, Freiheitliche und ÖVP je 145 Minuten, Grüne 115 Minuten. Darüber hat das Hohe Haus selbst zu befinden.

Ich frage, ob es dagegen Einwendungen gibt? – Da das offenbar nicht der Fall ist, stelle ich fest, dass dies einstimmig so festgelegt ist.

1. Punkt

Erklärungen des Bundeskanzlers und der Vizekanzlerin gemäß § 19 Abs. 2 GOG zum Thema "familienfreundliches Österreich"

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen nunmehr zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Im Anschluss an die beiden Erklärungen wird im Sinne des § 81 der Geschäftsordnung und im Sinne eines mir vorliegenden schriftlichen Verlangens eine Debatte über diese beiden Erklärungen stattfinden.

Nach Kontaktnahme mit den Mitgliedern der Präsidialkonferenz liegt Einvernehmen vor, folgende Redezeitvereinbarung in Aussicht zu nehmen: Es sollen zum Tagesordnungspunkt 1 zunächst der Herr Bundeskanzler 20 Minuten sprechen, die Frau Vizekanzlerin ebenfalls 20 oder bis zu 20 Minuten, dann folgen je ein Redner pro Fraktion mit einer Redezeit bis zu 15 Minuten, ein weiteres Regierungsmitglied mit einer Redezeit von 10 Minuten, je ein Redner pro Fraktion mit 10 Minuten, ein weiteres Regierungsmitglied – sollten Wortmeldungen vorliegen – mit 5 Minuten und je ein Redner pro Fraktion mit 6 Minuten Redezeit.

Hinsichtlich der weiteren Debatten gibt es keine Vereinbarungen, diese werden gemäß den Bestimmungen der Geschäftsordnung durchgeführt.

Es besteht auch Einvernehmen darüber, dass, wenn der Herr Bundeskanzler die 20 Minuten nicht in Anspruch nimmt, er den Rest quasi nachtragen kann. Es gibt auch einen Appell: Während dieser Debatte, die durch diese Redezeiten geregelt ist, also bis 13 Uhr dauern soll, von keiner Fraktion mehr als eine tatsächliche Berichtigung! – Darüber gibt es Konsens.

Ich darf nunmehr dem Herrn Bundeskanzler das Wort zu seiner Erklärung erteilen. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

9.54

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Hohes Haus! Frau Vizekanzlerin! Herr Familienminister Mag. Haupt! Ich darf sehr herzlich dafür danken, dass wir Gelegenheit haben, in einer Grundsatzdebatte über Familien- und Kinderpolitik Stellung zu nehmen.

Diese Bundesregierung hat sich einige große Projekte für diese Legislaturperiode vorgenommen. Das erste ist voll im Gang, nämlich: zu beweisen, dass es möglich ist, Vollbeschäftigung ohne neue Schulden zu erreichen. Wenn die Konjunktur hält – was ich immer noch hoffe; trotz mancher Skepsis von Konjunkturforschern hoffe ich das sehr, gerade für Österreich –, dann werden wir im Jahr 2002, also nächstes Jahr, zum ersten Mal seit Jahrzehnten in Österreich keine neuen Schulden machen und trotzdem am Ende dieser Legislaturperiode 50 000 zusätzliche Erwerbstätige haben, und die Einkommen werden um 150 Milliarden Schilling höher sein als im Jahr 1999. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ein guter Beweis für die Richtigkeit dieser Strategie, die auch international anerkannt wird, ist, dass wir uns innerhalb eines Jahres in den internationalen Wettbewerbsrankings, in den Rangordnungen in der Wirtschaftspolitik um zehn Plätze verbessert haben, von Platz 24 auf Platz 14,


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72. Sitzung / Seite 30

mitten in die Weltspitze hinein. Das zählt, das ist wichtig und macht uns gemeinsam Mut. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das ist das eine, eher wirtschaftsorientierte Projekt, das ganz wichtig ist, weil es eben die Basis für die Lebensqualität und den Wohlstand sein wird.

Das zweite große Projekt ist noch ehrgeiziger: Wir wollen Österreich zu einem Vorzeigeland in Richtung Kinderfreundlichkeit und Familienfreundlichkeit machen. – Das ist das zweite, ganz große Vorhaben. Wir haben Ihnen einen Meilenstein dazu, nämlich das Kindergeld, vor wenigen Tages als gemeinsamen Ministerratsbeschluss vorgelegt, und wir hoffen sehr, dass die überwältigende Mehrheit dieses Hauses dieses Vorhaben auch mitträgt, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Natürlich ist dieses Vorhaben, wie auch andere, umstritten, das ist klar, denn es geht dabei um eine zentrale gesellschaftspolitische Weichenstellung. Ich stehe dazu, und ich will sie hier auch ausbreiten, denn für uns sind Kinder und Familien ein zentrales Leitbild unserer Gesellschaft. Das Kind steht im Zentrum und nicht irgendeine abstrakte Versicherungsleistung, die eine Frau, die eine Mutter oder ein Vater erworben hat oder eben nicht. Für uns ist das Kind Zentrum und nicht irgendein Anspruch aus einer Versicherungsleistung. Mütter, Kinder, Väter sind gleichwertig. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich habe noch im Ohr, was eine prominente sozialdemokratische Sprecherin wörtlich gesagt hat – das hat mich eigentlich getroffen –: Wer nicht arbeitet, soll auch kein Karenzgeld beziehen! (Abg. Ing. Westenthaler: Das muss die Prammer gewesen sein!) Meine Damen und Herren! Das tut weh, denn meiner Meinung nach steht der Mensch im Zentrum und nicht ein abstrakter Versicherungsanspruch. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich habe auch noch, als der Verfassungsgerichtshof in einem Höchstgerichtsurteil erzwungen hat, dass es mehr Steuergerechtigkeit und mehr Familienleistungen für die Familieneinkommen gibt, die Kritik von manchen dazu im Ohr. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)  – Ich habe ja gar keine Namen genannt, weshalb fühlen Sie sich so betroffen? (Abg. Sophie Bauer: Weil Sie die Unwahrheit sagen!)

Ich habe noch die Kritik im Ohr: Es hat geheißen, das seien die reichen Verfassungsrichter, die hier klassenkämpferische Urteile sprechen. Meine Damen und Herren! Das trifft, das tut weh. Alle Mütter, Väter, Kinder müssen uns wichtig sein, nicht nur ein bestimmter Teil davon! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Natürlich geht es auch um mehr Geld, das gebe ich zu, und nicht nur um etwas mehr Geld, sondern um einen ordentlichen Patzen Geld, der zusätzlich für Familienpolitik und Kindergeld eingesetzt wird. Im Vergleich zum bisherigen Karenzgeld, das für beide Partner zusammen maximal 137 000 S erbracht hat, wird das Kindergeld neu 216 000 S bringen, das bedeutet ein Plus von 80 000 S. Dazu kommt ab dem Jahr 2003 die Erhöhung der Familienbeihilfe, das bringt etwa einem Studenten immerhin insgesamt 26 000 S mehr, und die Erhöhung der Mehrkinderfamilienbeihilfe bringt noch einmal 26 000 S mehr. Das ist viel Geld, aber es ist eine gute, ja notwendige Investition in unsere eigene Zukunft, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das Kindergeld neu bedeutet aber nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Zeit für die Familien und für die Kinder, nämlich 36 statt wie bisher 24 Monate. Es bedeutet mehr Partnerschaft, denn Mütter und Väter sollen sich gemeinsam für die Kindererziehung verantwortlich fühlen. Paul Zulehner, ein langjähriger Freund von mir, hat das auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt, die heutige Gesellschaft leide nicht so sehr an einer "Übermütterung" als an einer "Unterväterung" der Gesellschaft.

Es wäre daher wichtig, dass sich die Väter – gerade die jungen Väter – auch mehr als bisher für die Kinder verantwortlich fühlen (Abg. Mag. Posch: Tun Sie etwas dafür!) und dies mit einer erleichterten Zuverdienstgrenze auch wirtschaftlich können. Daher: Mehr Partnerschaft ist wichtig und notwendig! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Es werden mehr Frauen als bisher in den Genuss dieser Familienleistung kommen. Wenn die SPÖ bei ihrem Nein bleibt, dann hätte das, hätte sie die Mehrheit, bedeutet, dass 15 000 Mütter nicht in den Genuss des Kindergeldes oder Karenzgeldes oder jedenfalls nicht in den Genuss des ganzen Kindergeldes kämen. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist eigentlich unerhört, so etwas!)  – Das finden wir eben nicht fair. Alle sind uns gleich viel wert. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! In diesen Tagen wird viel über Armutsbekämpfung diskutiert, und ich finde das auch notwendig. Was mich immer noch trifft und was ich eigentlich als Schande für eine relativ wohlhabende Gesellschaft wie die unsere empfinde, ist, dass wir immer noch rund 150 000 Kinder haben, die in Armut leben, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Manche werden fragen: Wo sind die Taten? – Meine Damen und Herren! Beim Kindergeld sehen Sie die Taten.

Die unabhängigen Wirtschaftsforscher haben nachgerechnet und festgestellt, dass die Verteilungswirkung des neuen Kinderbetreuungsgeldes besonders wichtig ist. Praktisch die Hälfte dieser zusätzlichen rund 9 Milliarden Schilling kommen dem untersten Einkommensdrittel zugute. Das ist gelebte Armutsbekämpfung. Daher verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie von der Linken so spröd und so harsch dagegen auftreten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Das ist die eine Sache, die andere ist – und das muss man ganz klar auf den Punkt bringen – die dramatische demographische Entwicklung, die uns natürlich auch Sorgen macht. Beim Europäischen Rat in Stockholm vor wenigen Wochen war dies ja ein nachhaltiges und sehr wichtiges Thema. Es ist nicht nur Österreich davon betroffen, sondern die gesamte europäische Gesellschaft ist von zwei Tendenzen betroffen: Wir leben länger – das ist gut –, aber wir haben auch weniger Kinder – und das ist schlecht, denn damit entsteht eine demographische Lücke, die ein echtes Problem wird.

Wir brauchen ja nur die Zahl der Geburten anzuschauen: Im Jahr 1992 – das ist gar nicht so lange her – hatten wir insgesamt immerhin über 95 000 Geburten. Vor weniger als zehn Jahren hatten wir noch über 95 000 Geburten, jetzt sind wir mit 78 000 Geburten auf dem Tiefststand! Das ist nicht nur ein materielles Problem für die Generationensolidarität, sondern das ist auch ein Problem des Herzlichkeitsgrades einer Gesellschaft. (Zwischenruf des Abg. Mag. Posch. ) Eine Gesellschaft mit weniger Kindern ist eine weniger bunte Gesellschaft, eine weniger fröhliche Gesellschaft und auch eine weniger integrative Gesellschaft, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Unser gesamtes Sozialsystem lebt von der Solidarität und von der Kontinuität der Generationen. Kein Pensionssystem, das auf einem Umlageverfahren beruht, kann seine Stabilität wahren, wenn die Pensionistengeneration von einer zu kleinen Erwerbsgeneration getragen werden soll. Auch kein Gesundheitssystem – noch dazu ein so gutes wie das österreichische – wird seinen hohen Standard halten, wenn jener Altersgruppe, die einen sehr hohen medizinischen Aufwand hat, nicht eine Generation gegenübersteht, die dies durch ihre solidarische Beitragsleistung ausgleicht. (Abg. Sophie Bauer: Aber diese Generation hat es sich vorher auch bezahlt!)

Mit anderen Worten: Wenn die Demographie aus dem Gleichgewicht gerät, dann sind der Generationenvertrag und die Generationensolidarität in Gefahr. Nirgendwo wird die Solidarität der Generationen besser gelebt und besser erfahren als in der Familie, zumal wenn auch die Großeltern-, die Eltern- und die Kinder- oder die Enkelkindergeneration mit dabei ist. Daher ist die Familie der zentrale Ort, an dem diese Solidarität erfahren, gelebt und erprobt wird. Wir sorgen uns um diese Solidarität durch ein wesentlich verbessertes Pensionssystem.

Worauf wir alle, die wir diesen Vorschlag unterbreiten, stolz sein können, ist, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte des österreichischen Pensionsversicherungssystems die Kindererziehungszeit – 18 Monate im Moment – als pensionsbegründende Zeit bewerten. Das ist ein Qualitätssprung! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Sie wissen, dass man heute ja mindestens 180 Beitragsmonate braucht. Früher waren Kindererziehungszeiten da nicht miteinzurechnen, weil sie nur Ersatzzeiten waren. In Hinkunft – und das ist geradezu revolutionär; das gibt es in keinem anderen Land der Welt – wird diese Zeit als pensionsbegründend miteingerechnet. Ich finde, es ist toll, dass Österreich hier ein Beispiel setzt, wie man weltweit mit dem Thema Kinder-, Familien- und Pensionssolidarität umgehen soll. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die gesamte Familien- und Kinderstrategie ist eingebettet in eine sehr umfassende gesellschaftspolitische Konzeption: Wir investieren ja nicht nur – und dies trotz härtestem Sparzwang – 9 Milliarden Schilling mehr für das Kindergeld und für die Erhöhung der Kinderbeihilfe, sondern wir investieren ja auch – trotz Sparzwang – 7 Milliarden Schilling mehr in die Bildung und Ausbildung unserer Jugend, und das halte ich für ganz wesentlich – plus 7 Milliarden Schilling in die Forschung! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Jeder siebente Budgetschilling wird in diesem und im nächsten Jahr für die Bildung der jungen Menschen in Österreich ausgegeben. Das ist mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern und anderen Industrieländern. Darauf können wir gemeinsam stolz sein: 110 Milliarden Schilling Qualitätsinvestition! (Weiterer Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir wissen, dass wir in diesem Bereich manches gegenüber früher verbessern müssen und durch die neuen Technologien aufholen müssen. Wir haben trotz Rückgang bei den Geburten jetzt erstmals wieder in absoluten Zahlen mehr Lehrlinge. Durch eine IT-Offensive erhöhen wir die Ausbildungsqualität bei jungen Menschen enorm. Es wird etwa die Zahl jener Universitätsabsolventen, die einen IT-Abschluss haben, innerhalb von zwei Jahren von 800 auf 4 200 steigen – dank der Bildungsministerin. Die Zahl der Schulabgänger mit IT-Qualifikation wird in den nächsten zwei Jahren von 20 000 auf 30 000 steigen. Ich halte das für sehr wesentlich, damit wir unser Ziel, in der Wirtschafts-, aber auch in der Familien- und Sozialpolitik an der Spitze zu bleiben, auch wirklich erreichen können.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich besonders, dass gestern Abend in den Parteiengesprächen offensichtlich ein parteiübergreifender Konsens für die Schulpartnerschaft und für die Verhaltensvereinbarungen zustande gekommen ist. Ich sage Ihnen auch ganz offen, warum: Wir müssen ehrlich, offen und auch selbstkritisch der Realität ins Auge sehen. Österreich ist hier keine Insel der Seligen mehr.

An einer vor kurzem in Paris durchgeführten Konferenz über die zunehmende Gewalt an den Schulen haben jeweils 250 Schülervertreter, Lehrervertreter und Elternvertreter teilgenommen. 45 Prozent der Schüler in Paris und Umgebung sind laut internen Umfragen bereits Opfer von Beschimpfungen, Schlägen und Erpressungen geworden. 77 Prozent haben angegeben, selbst Zeuge von Gewalttaten gewesen zu sein. Knapp 40 Prozent der Opfer haben sich aus Angst vor Rache oder weil sie die Zwischenfälle als nicht wichtig eingestuft haben gescheut, ihre Angreifer gegenüber den Lehrern anzuzeigen.

Eine solche Konferenz ist wichtig. Ausreden, was im Zusammenwirken, in den Familien und bei den Schulen nicht klappt, ist für mich ganz wesentlich und hat nichts, aber auch schon gar nichts mit der Rückkehr zur Pädagogik der Biedermeierzeit zu tun. Das ist ein lebenswichtiges Thema. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir müssen daher diese offene Aussprache an den Schulen mit Vereinbarungen, die auch für die Eltern, für die Lehrer und für die Schüler verbindliche Ziele festsetzen, unbedingt ernst nehmen.

In einer Studie – auch über die öffentlich-rechtlichen Medien, zum Beispiel Fernsehen –, die vor einiger Zeit gemacht wurde, wurde festgehalten, dass pro Stunde sieben schwerwiegende Gewalttaten gesendet werden. Jeder, der glaubt, dass diese Flut von Aggression nicht irgendwann einmal auf das Verhalten einer Gesellschaft durchschlägt, ist naiv – oder schlimmer noch: Er verschließt die Augen vor der Realität. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Deswegen bin ich sehr froh darüber, dass Sie gestern einen Konsens gefunden haben. Wir werden alles tun, um hier eine ehrliche, offene und transparente Politik zu machen. Dazu gehören: drogenfreie Zonen um die Schulen, der härteste Kampf gegen jene Dealer, die unsere Jugend vergiften wollen und hier Milliardenprofite einfahren wollen, der ernst gemeinte Kampf gegen die Kinderpornographie und den sexuellen Missbrauch an Kindern, hier darf es null Toleranz geben! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich und diese Bundesregierung möchten nicht daran mitwirken oder zuschauen, wenn eine Gesellschaft gebaut wird, in der rassistische Verunglimpfungen, sexistische Verführung von Kindern und Jugendlichen, brutale Gewalt einfach toleriert werden. Hinschauen statt wegschauen, handeln statt sich einfach zurückzulehnen, das ist das Gebot der Stunde! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

In diesem Sinne danke ich sehr dafür, dass wir die Gelegenheit haben, diese umfassende Themenpalette anzusprechen, weil sie alle Gebietskörperschaften betrifft und nicht nur Geld in den Vordergrund stellt. Wir brauchen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir brauchen auch die Fürsorge der Wirtschaft für diese Vereinbarkeit und danken sehr für das Verständnis, dafür, dass viele Wirtschaftsvertreter eingesehen haben, dass wir die Mittel des Familienfonds ausschließlich den Familien geben wollen und eben nicht zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden. (Abg. Dr. Mertel: Wer zahlt ein?) Das ist wichtig und ist auf Grund der Diskussion gar nicht so selbstverständlich gewesen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich bitte vor allem die Medien und das Hohe Haus, diese Themen in einem möglichst breiten Konsens weiter zu bearbeiten, denn ich glaube, der Gesellschaft in Österreich würde es gut tun, manche dieser Themen nicht in Parteipolemik, sondern aus rot-weiß-roter Sicht gemeinsam zu diskutieren. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie Bravorufe bei der ÖVP.)

10.12

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler und erteile der Frau Vizekanzlerin das Wort. – Bitte, Frau Vizekanzlerin.

10.12

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Familienpolitik ist der für den Zusammenhalt einer Gesellschaft maßgeblichste Politikbereich. Es gibt Umfragen über die Rangordnung der Werte, darüber, was Menschen in ihrem Leben als wichtig empfinden. Danach erreicht die Familie 90 Prozent und wird als weit wichtiger eingeschätzt als Arbeit, Freunde, Religion oder Politik, und die Tendenz in diesem Bereich ist zunehmend.

Wo immer sie gefragt werden, verbinden insbesondere junge Menschen mit einem erfüllten Leben auch Partnerschaft, Kinder und Familie, sie wollen aber nicht auf bestimmte Rollen festgelegt werden und sich nicht andere Perspektiven von Anfang an verbauen. Natürlich gibt es auch da eine Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die Konsequenz kann aber nicht sein, das Ideal aufzugeben, sondern muss darin bestehen, die Rahmenbedingungen für die Wirklichkeit möglichst gut zu gestalten. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Kinder als Armutsrisiko sind schon längst zu einem politischen Schlagwort geworden. Insbesondere Mehrkinderfamilien sowie Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen wissen, dass das viel mehr als ein Schlagwort ist, nämlich allzu oft bittere Realität.

Familienpolitik hat viel zu lange nicht jenen Stellenwert auf der politischen Agenda gehabt, der ihr eigentlich zukommen müsste und sollte. Familienpolitik ist aber keine Sache von ideologischen Dogmen, sondern eine von Lebensrealitäten. Familien sind großen Belastungen ausgesetzt, und sie müssen mit vielen Einschränkungen leben. Man braucht nur den praktischen Alltag einer Familie zu betrachten, um die vielen Herausforderungen zu sehen: die Arbeitswelt, die Wohnbedingungen, den Lebensraum für Kinder außerhalb der Wohnung, das Unterrichtsangebot, die Unterrichtszeiten, die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, die Verkehrsverbindungen, Bildungsangebote, Beratungsangebote und gegenseitige Hilfe über entsprechende Netzwerke und Einrichtungen.


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Familienpolitik ist eine der ganz großen Querschnittsmaterien im neuen Jahrhundert. Wir haben daher die Familienpolitik in den Mittelpunkt gestellt, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern mit konkreten Taten, die zu klaren Verbesserungen und zu spürbaren Entlastungen für alle österreichischen Familien führen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Im Mittelpunkt unserer Politik steht die Einführung des Kindergeldes. Dieses Kindergeld ist eine Maßnahme, die es in einem Bundesland in Österreich, in Kärnten, schon seit dem 1.1.2001 gibt. Ab 1.1.2002 wird es dieses Kindergeld für ganz Österreich, und zwar für alle Eltern, für alle Mütter und für alle Väter, geben.

Das Kindergeld ist eine reine Familienleistung, nicht mehr eine Versicherungsleistung – das wurde schon angesprochen –, und es wird ausschließlich aus dem Familienlastenausgleichsfonds finanziert. Ich war daher schon sehr verwundert, als der ehemalige Finanzminister und jetzige Abgeordnete Edlinger gerade das Kindergeld als angeblichen Beweis dafür genommen hat, dass die Budgetziele nicht einzuhalten wären.

Ganz im Gegenteil, Herr Kollege Edlinger! Der Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin, dass wir das Geld, das für die Familien zweckgewidmet ist, auch ausschließlich und nur mehr für diese und nicht mehr zum Stopfen von Budgetlöchern verwenden! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Edlinger: Das werden wir alles sehen!)

Das Kindergeld ermöglicht die Wahlfreiheit zur individuellen Gestaltung des Familienlebens. Es wird die Betreuungsarbeit generell anerkannt oder die gewünschte Form der Kinderbetreuung finanziert. Das ist ein Vorteil insbesondere für einkommensschwache Familien und Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen.

Die Wahlfreiheit wird erstmals auch realisiert durch Zuverdienstgrenzen, und zwar wesentlich höhere Zuverdienstgrenzen, als das bisher beim Karenzgeld der Fall war. Auch die diesbezügliche Kritik gerade von der sozialistischen Opposition verstehe ich überhaupt nicht, denn die Zuverdienstgrenzen, die es unter Ihrer Ägide sozusagen gegeben hat, waren nicht einmal ein Viertel dessen, was Frauen, die das Kindergeld beziehen, jetzt dazuverdienen können. Insofern ist das ein wesentlicher, ganz entscheidender Fortschritt nicht nur zur Wahlfreiheit, sondern auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Ing. Westenthaler: Das, was die Frau Prammer nie zustande gebracht hat!)

Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass es für Kinder ab dem vierten Lebensjahr zu einer Erhöhung der Kinderbeihilfe um 100 S kommen wird, um auch eine Initiative in Richtung der älteren Kinder zu setzen.

Das Arbeitslosengeld kann erstmals parallel oder im Anschluss an das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden – auch das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation mit dem Karenzgeld.

Es ist auch sicherzustellen, dass die Länder qualitative und quantitative Verbesserungen bei den Kindergartenplätzen durchführen können durch die Mittel, die jetzt auch auf Landesebene in diesem Zusammenhang frei werden. Insofern ist das Kindergeld ein familienpolitischer Meilenstein für alle Mütter sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst, insbesondere aber für jene, die bisher gar keine Möglichkeit hatten, Karenzgeld zu bekommen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit ist ein Kernpunkt unserer Familienpolitik. Wir wollen, dass Mütter und Väter eigenverantwortlich entscheiden können, wie sie gemeinsam in unterschiedlichen Familienphasen für das Familieneinkommen und für die Erziehung der Kinder Sorge tragen. Beide Aufgaben – Familienarbeit und Erwerbstätigkeit – sind für uns gleichwertig und werden von uns in gleicher Weise anerkannt. Das ist deswegen wichtig, weil wir in der Vergangenheit oft die Erfahrung machen mussten, dass sich Regierungspolitik am Zeitgeist orientiert hat und Leitbilder geschaffen hat, in denen die Familienarbeit oft als zweitklassig eingestuft wurde. Wir wollen diese außerordentlichen Leistungen anerkennen.


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Familienarbeit ist nicht austauschbar und nicht kündbar! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Familienarbeit ist auch kein Job mit gewinnträchtigen Karriereaussichten. Es gibt keine garantierten Arbeitsschutz-, Urlaubs- oder Ruhezeitenregelungen, und es geht in der Erziehung nicht um das berauschende Gefühl einer imageträchtigen Tätigkeit. Aber Familien mit Kindern sind die Grundlage für eine langfristig stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung unserer Gesellschaft. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

In der Familie lernen wir soziale Tugenden und Kompetenzen. In der Familie erfahren wir, was es heißt, sich zu streiten und sich wieder zu vertragen, allein für sich selbst oder mit anderen gemeinsam etwas zu machen. Noch immer ist die Familie das tragfähigste soziale Netz in den Wechselfällen des Lebens, und diese Wechselfälle werden in der Zukunft zunehmen.

Familien leisten in vielfacher Hinsicht Herausragendes, auch in der Pflegearbeit. Deswegen war es uns wichtig, ganz besonders auch diese Leistungen anzuerkennen. Ich halte es für einen sehr entscheidenden Fortschritt, dass nun sichergestellt ist und der Herr Sozialminister sichergestellt hat, dass der Pflegegeldbezug dahin gehend ausgeweitet wird, dass Pflegegeld in Hinkunft ab der Geburt von Kindern ausgezahlt werden kann und nicht so wie bisher erst ab dem dritten Lebensjahr.

Die frühere Differenzierung, die es hier gegeben hat, war ungerecht, und sie war nicht nachvollziehbar. Deswegen sind wir sehr froh darüber, dass es dem Herrn Sozialminister gelungen ist, dies auch entsprechend zu ändern. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Auch die Integration von behinderten Menschen hat sehr viel mit Familienpolitik zu tun. Hier haben wir im Gegensatz zu früheren Zeiten, als man zur Budgetsanierung auch nicht davor zurückgeschreckt ist, Behindertenleistungen zu kürzen, dafür gesorgt, dass mit der Behindertenmilliarde besondere Mittel für die berufliche Integration und die Verbesserung der beruflichen Integration von behinderten Menschen zur Verfügung stehen, nämlich eine Milliarde Schilling pro Jahr. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Unsere familienpolitische Initiative geht quer durch alle Ministerien. Sie muss auch quer durch alle Gebietskörperschaften gehen: die Länder zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen unter Garantierung und Sicherstellung von familienfreundlichen und auch berufsfreundlichen Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und natürlich auch die Gemeinden, denn das sind die Lebensbedingungen vor Ort für die Familien, im Wohnbau, in der Verkehrspolitik und Ähnlichem.

Familienpolitik kann aber auch vor den Sozialpartnern nicht Halt machen. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, Betriebsräte und Gewerkschaften haben Familien bislang nicht wirklich im Mittelpunkt ihrer Aufgabe oder ihrer politischen Aufgabenstellung gesehen. Natürlich fragen sich manche: Warum sollen sich Unternehmer oder Personalvertretungen in ihren Betrieben für die Familien engagieren? – Die Antwort darauf ist eigentlich ganz einfach: weil auch die Wirtschaft, weil der einzelne Betrieb die sozialen Leistungen der Familie für ein stabiles Gemeinwesen braucht. Erfolgreiches Wirtschaften ist nur in stabilen Gesellschaften möglich. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Die Prägung der Persönlichkeitsentwicklung in der Familie ist daher auch eine Förderung der Mitarbeiterpersönlichkeit. Ich halte es daher für besonders wichtig, dass es Anreize gibt, wie zum Beispiel Auszeichnungen für familienfreundliche Betriebe. Es gibt hervorragende und sehr vorbildliche, auch international vorbildliche Initiativen in Österreich in diesem Bereich, die besonders, Herr Kollege Verzetnitsch, auf privater Initiative von Unternehmen und ihren Mitarbeitern beruhen. Das ist im höchsten Maße anzuerkennen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Verzetnitsch: Gibt es bereits in Österreich!)

Ein solch umfassendes Bündnis für die Familien ist in einer Zeit, in der Partnerschaften krisenanfälliger sind und die Erziehung von Kindern anspruchsvoller geworden ist, besonders von


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nöten. Die Zahl verhaltensauffälliger Kinder wächst in dem Ausmaß, in dem die Fähigkeit und die Kraft, Familie und Partnerschaft zu leben, aus vielfältigen Gründen nachlässt. Es ist daher wichtig, die Kinder im Mittelpunkt zu sehen, auch dafür Sorge zu tragen, dass Kinder Kinder sein können. Dass sich das Umfeld für die Persönlichkeitsentwicklung gewandelt hat, ist eine Tatsache.

Kindheit bedeutet heute vielfach, in einer Wettbewerbsgesellschaft zu leben, in der primär auch die individuelle Leistung zählt. Kindheit bedeutet auch, Einflüssen ausgesetzt zu sein, die belastende und schädigende Wirkung entfalten können. Hier haben die Medien eine ganz besondere Stellung einzunehmen und auch eine besondere Verantwortung wahrzunehmen.

Wir setzen uns für den Kinder- und Jugendschutz insbesondere auch im Bereich der Medien ein. Wir wollen Medienerziehung weiter unterstützen, um den Kindern auch den verantwortungsvollen Umgang mit den Medien zu vermitteln und auch klarzumachen, dass Medien keine Ersatzfreunde für Kinder sein können, sondern dass Kameradschaft, Solidarität, Hilfsbereitschaft unter ihresgleichen gelebt, kennen gelernt werden muss und diese Werte nur dann auch an andere weitergegeben werden können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Der Schutz von Kindern hat für uns oberste Priorität. Diese Bundesregierung hat in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Maßnahmen in diesem Bereich gesetzt, zum Beispiel im Kindschaftsrecht dafür Sorge zu tragen, dass Eltern auch nach einer Scheidung die gemeinsame Obsorge für ihre Kinder haben können und dass das Besuchsrecht eines Elternteiles auch als Recht des Kindes verankert ist, weil das dem Recht des Kindes auf beide Elternteile entspricht.

Wir haben dafür Sorge getragen, dass es im Bereich der Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie nicht nur zu härteren, schärferen Strafen für die Täter kommt, sondern auch zu besserer Hilfe für die Opfer. Es ist durch den Justizminister sichergestellt worden, dass es rechtliche, psychologische und therapeutische Hilfe für die Opfer von Gewaltdelikten auf Kosten des Bundesministeriums für Justiz gibt und der entsprechende Fonds ausgeweitet wurde, um auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir bekennen uns auch dazu, dass wir bei besonderen Berufsgruppen, das heißt bei pädagogischen Berufen, dafür Sorge tragen müssen, dass Sexualstraftäter, die verurteilt wurden, nicht mehr mit Minderjährigen in Kontakt kommen können, sondern dass es auch Berufsverbote in diesem Bereich, gerade bei pädagogischen Berufen, geben muss, insbesondere dann, wenn es zu Missbrauch von Autoritätsverhältnissen und sexuellem Missbrauch gekommen ist. Es geht hier um den Schutz der Opfer, der uns in diesem Fall ausdrücklich wichtiger ist als der Schutz der Täter, der immer wieder als Gegenargument ins Treffen geführt wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Familienpolitik basiert in besonderer Weise auf der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Unsere Gesellschaft lebt in vielfältiger Weise auf Kosten unserer Kinder. Wir hinterlassen unseren Kindern eine Staatsverschuldung, die von 30 Jahren Vorgängerregierungen vererbt wurden. Deswegen ist es so wichtig, auch in diesem Bereich einen Schritt zu setzen, keine neuen Schulden mehr zu machen, weil Schulden, Staatsverschuldung die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen stark einschränken und wir überhaupt davon ausgehen, dass künftig bei allen großen politischen Maßnahmen die Auswirkungen auf die kommenden Generationen berücksichtigt werden müssen, und zwar ausdrücklich berücksichtigt werden müssen, und wir in Generationenbilanzen und nicht in Jahresbilanzen denken müssen.

Wir haben Verantwortung, die weit über unsere Funktionsperioden hinausreicht. Wir wollen nicht den Weg der Vergangenheit fortsetzen und auf Pump und auf Kosten künftiger Generationen leben, sondern eine gute Zukunft für unsere Kinder schaffen. (Anhaltender Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

10.27

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke der Frau Vizekanzlerin.


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Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Die erste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Prammer. Die Uhr ist auf 15 Minuten gestellt. – Bitte.

10.27

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Hohes Haus! (Abg. Ing. Westenthaler: Die Frauenministerin von früher!) Es ist wieder einmal bezeichnend gewesen: Sie sprechen von einem familienfreundlichen Österreich und haben dafür ausschließlich das Kinderbetreuungsgeld im Kopf – das Kinderbetreuungsgeld für alle, das nicht für alle sein wird. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Präsident Dr.  Fischer gibt das Glockenzeichen.) Sie sprechen zweimal 20 Minuten und machen einen weiten Bogen um Ihre Politik der sozialen Kälte und der sozialen Härte, die seit 16 Monaten auf die österreichischen Familien niederprallt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Partik-Pablé: Nur Schlagworte!)

Sie haben nicht davon gesprochen, dass Sie AlleinerzieherInnen konsequent seit eineinhalb Jahren benachteiligen, indem Sie ihnen den Familienzuschlag beim Arbeitslosengeld um 300 S monatlich pro Kind kürzen. (Abg. Haller: Wer hat damit angefangen? Wer hat damit angefangen?) Oder sind vielleicht AlleinerzieherInnen und ihre Kinder für Sie keine Familie? – Das kann man auch fast unterstellen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Mehr als die Hälfte der derzeitigen KarenzgeldbezieherInnen hatten bisher mehr als Ihre ominösen 6 000 S Kinderbetreuungsgeld. Ihnen haben Sie monatlich pro Kind 300 S weggenommen. (Abg. Ing. Westenthaler: "Ominösen 6 000 S"! Was ist das für eine Wortwahl?!) Das verschweigen Sie, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: 6 000 S sind "ominös" für Sie! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer (das Glockenzeichen gebend): Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt vernünftigerweise den Herrn Bundeskanzler und die Frau Vizekanzlerin angehört. Ich schlage vor, dass wir auch alle weiteren Redner aller Fraktionen in gleicher Vernunft und gleicher Fairness anhören – auch wenn nicht jeder Abgeordnete mit allem einverstanden ist, was jeweils gesagt wird. Das liegt in der Natur der Sache. – Bitte, Frau Abgeordnete Prammer. (Abg. Ing. Westenthaler: Herr Präsident! Aber wir haben eine Abgeordnete, die 6 000 S als "ominös" bezeichnet!)

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (fortsetzend): Herr Präsident! Ich verstehe wohl die Aufregung der Regierungsparteien: Sie lassen sich via Fernsehen ungern ihre Taten vor Augen führen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Sie können uns nicht aufregen!)

Sie reden über Bildung und hantieren mit absoluten Zahlen, Herr Bundeskanzler, verschweigen aber die Kürzungen und Belastungen im Bildungsbereich, in der Bildungspolitik. (Abg. Ing. Westenthaler: Wieso sind 6 000 S für Sie "ominös"?) Das spüren die österreichischen Familien, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Sie haben die Studentensteuer eingeführt, Sie streichen das Bildungskarenzgeld nach Karenz und vieles andere mehr. (Abg. Ing. Westenthaler: Jetzt wissen wir, warum Sie nicht mehr Ministerin sind!) Wissen Sie eigentlich, wie viele Familien Sie bereits in diesen 16 Monaten durch die Maßnahmen, die Sie gesetzt haben, in die Armutsgefährdung gebracht haben? (Abg. Dr. Pumberger: So viel Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört!)  – Wenn Sie schon uns nicht glauben, wenn wir das sagen, dann glauben Sie es vielleicht der Caritas, meine Damen und Herren der Regierungsparteien! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Jetzt wissen wir, warum Sie nicht mehr Ministerin sind! – Abg. Haigermoser: Jetzt wissen wir, warum Sie nicht mehr Ministerin sind!)

Sie reden nicht über das Schröpfen der Schwächeren durch die Einführung der Ambulanzgebühren, durch die Unfallrentenbesteuerung und vieles andere mehr. Sie reden von Eigenständigkeit und wollen in Wirklichkeit Abhängigkeit. Das ist heute wieder einmal klar und deutlich


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zum Ausdruck gekommen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Ich befürchte, Sie haben das selbst aufgeschrieben! Ich habe den Eindruck, dass Sie die Rede selbst aufgeschrieben haben!)

Wie sonst lässt es sich erklären – die Frau Vizekanzlerin hat es sogar angeschnitten –, dass Sie durch die gemeinsame Obsorge wieder dem einen Teil, meistens dem Mann, das Sagen nach der Scheidung überantworten und dem anderen Teil, meistens der Frau, die Arbeit mit den Kindern – und das auf Kosten und zu Lasten der Kinder. (Abg. Haller: Das ist doch nicht wahr! – Abg. Dr. Fekter: Sie wollen den Kindern die Väter wegnehmen!) Das haben uns alle namhaften Expertinnen und Experten bestätigt. Das, was Mitte der siebziger Jahre mit gutem Grund aus unseren Gesetzeswerken eliminiert wurde, haben Sie wieder aus der Mottenkiste geholt, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Fekter: Das ist in den achtziger Jahren in allen Nachbarländern eingeführt worden!)

Sie fördern jede Freizügigkeit der Wirtschaft und vergessen dabei ganz einfach auf die Familien. (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen. – Abg. Achatz: Blanker Unsinn!) Erst gestern haben Sie hier in diesem Hohen Haus den Beweis dafür erbracht. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Wie war denn Ihr Verhalten in Sachen Nachtarbeit? Glauben Sie allen Ernstes, dass Nachtarbeit familienfreundlich sein wird, wenn Sie sie für Väter wie für Mütter entsprechend liberalisieren und öffnen und nichts daran setzen, hier Schutzmaßnahmen einzuführen? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sie müssen den österreichischen Familien auch einmal erklären, was sie von dem geplanten Ladenöffnungszeitengesetz zu halten haben. Einkaufen rund um die Uhr – wo bleibt da Ihre Familienfreundlichkeit? Wo schlägt da Ihr familienfreundliches Herz, frage ich Sie.

Ihr Familienbild hat sich offensichtlich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert (Zwischenruf des Abg. Böhacker ): Der Mann ist der Chef der Familie, die Ehefrau fragt den Mann, ob sie berufstätig sein kann oder soll, und die Frauen haben selbstverständlich für den Haushalt und die Kinder rund um die Uhr da zu sein. Familienarbeit ist offensichtlich – die Frau Vizekanzlerin hat es gerade bestätigt – ausschließlich Frauensache. Die Männer, die Väter werden dabei nicht erwähnt – sehr bezeichnend. (Abg. Dr. Khol: Salto rückwärts ins 19. Jahrhundert! – Abg. Neudeck: Also Sie müssen frustriert sein!)

Ich zitiere aus Ihren Parteiprogrammen, weil ich damit gerechnet habe, dass es hier Widerspruch gibt. Das ÖVP-Frauenprogramm sagt: Die Stärke von bürgerlichen Frauen liegt in der Vielseitigkeit und der Entscheidungsfreiheit, eine berufliche Karriere in Angriff zu nehmen, einen Haushalt und Familie zu gründen, die Betreuungskette für Kinder und Eltern aufrechtzuerhalten und eine eigene Lebenskarriere zu machen. (Abg. Dr. Puttinger: Spitze! Jawohl! – Abg. Dr. Khol: Super! Sehr gut!) – "Super", dieses Programm! Da werden sich die österreichischen Familien "freuen"! (Beifall bei der SPÖ und demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Freiheitlichen formulieren nicht besser: Wir müssen die Frauen ermutigen, das zu tun, was ihr ureigenstes Anliegen ist, nämlich ihr Kind groß und tüchtig werden zu sehen und sich ihm zu widmen. (Abg. Neudeck: Das sind die einzigen zwei guten Passagen in Ihrer Rede!)  – Auch hier hat Jörg Haider auf die Väter vergessen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Fekter: "Furchtbar"! – Abg. Mag. Kukacka: So etwas "Unanständiges"! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wir, meine Damen und Herren, haben ein anderes Bild von Familie. Für uns ist Familie das engste persönliche Band, das Menschen haben können. Für uns ist Familie das Zuhause, in dem Menschen offen sein können, in dem es ihnen auch einmal schlecht gehen kann und darf, in dem sie Offenheit und Ehrlichkeit leben können. Wir schreiben den Menschen nicht vor, wer für sie Familie ist. (Abg. Haller: Nein! Nein!) Wir überlassen den Menschen diese Entscheidung. (Beifall bei der SPÖ.)

Natürlich sind das Eltern und ihre Kinder und in der überwiegenden Anzahl natürlich auch Kinder und ihre alt gewordenen Eltern. Wir verstehen aber unter Familie jede Form des Zusammenlebens in partnerschaftlicher und demokratischer Form. (Abg. Kiss: Die Sozialdemokratie als "Hort der Offenheit"! Genau so ist es!) Diese Demokratie und diese Partnerschaft machen


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die Qualität unseres Familienbegriffes aus. Das ist im Zentrum unserer Politik, wo es Solidarität, Anteilnahme und Schutz gibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Das gilt in gleicher Weise für die traditionellen Formen der Familie wie auch für andere Formen des Zusammenlebens, und das gilt für uns ganz klar und natürlich auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, meine Damen und Herren!

Sie diskriminieren Kinder, wenn Sie sie immer wieder unter dem Gesichtspunkt – auch heute ist das wieder geschehen – von Geburtenraten diskutieren. Familienpolitik hat nämlich nichts mit Bevölkerungspolitik zu tun. Familienpolitik ist etwas anderes, als Geburtenstatistiken zu interpretieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Kinder sind nach unserer Überzeugung Bürgerinnen und Bürger mit eigenständigen Rechten, nämlich mit dem Recht auf Zuwendung, Betreuung innerhalb und außerhalb der Familie, mit dem Recht auf beste Ausbildung, das Sie gerade jetzt in Frage stellen, dem Recht, so zu leben und sich so zu verhalten, wie sie es auch wollen. Vor allem die Förderung von Fähigkeiten, von Kreativität, von Kritikfähigkeit und Selbstbewusstsein ist wichtig, denn das brauchen die jungen Menschen heute für eine gute Zukunft von morgen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie brauchen das Recht auf Schutz vor Gewalt. Es ist auch von beiden, vom Herrn Bundeskanzler wie von der Frau Vizekanzlerin, das Thema Gewalt angeschnitten worden. Aber Sie sehen immer nur ein ganz kleines Spektrum von Gewalt, das an Kindern verübt wird – übrigens auch an Frauen. Denn die Mehrzahl der Gewaltdelikte – das ist bedauerlich – geschieht in den österreichischen Familien: neun von zehn Fällen. Aus diesem Grund haben wir dort anzusetzen. Da nützen Ihre Vorschläge nur sehr marginal, den Kindern wie den Frauen den entsprechenden Schutz zu geben.

Es braucht gute Gesetze, und es braucht Hilfen. Ich bedauere schon sehr, dass die von mir ins Leben gerufene Helpline zum Schutz vor Gewalt – 0800 222 555 – nur mehr ein sehr karges Dasein fristet, vor allem weil die Frauen in dieser Einrichtung kein Geld mehr haben, diese Nummer aktiv zu bewerben. – Das ist offensichtlich Ihre Familienpolitik, Herr Bundeskanzler, Frau Vizekanzlerin! (Beifall bei der SPÖ.)

Familien existieren für uns auch dann, wenn sie nicht mit Kindern leben. Dass Sie Ehepaare, die 40 Jahre, 50 Jahre zusammen gelebt haben und noch zusammen leben, aber keine Kinder hatten und haben, damit bestrafen, dass Sie sie einfach aus der beitragsfreien Mitversicherung bei der Krankenversicherung eliminieren, zeugt von blankem Zynismus.

Bei mir war ein Mann – ich nenne Ihnen den Fall, lachen Sie ruhig weiter, vielleicht sitzt er vor dem Fernseher und schaut zu! –, ein alter Mann. Er war im Krieg und kam mit einer schweren Kriegsverletzung nach Hause, die ihm die Zeugungsunfähigkeit beschert hat. Er hat mir unter Tränen erzählt, wie glücklich er war, dass er eine Frau gefunden hat, die ihn trotz seines Mangels und seines Defizits geheiratet hat. Er ist zu mir gekommen und hat gesagt: Jetzt komme ich mir vor, als ob ich einen Stern tragen müsste, weil ich ein Mensch zweiter Ordnung bin (heftige Zwischenrufe bei den Freiheitlichen), weil ich plötzlich nach all den Erschwernissen, die ich durchgemacht habe, jetzt auch noch zur Kasse gebeten werde. – Das ist Ihre Familienpolitik! Das ist das, was die Menschen täglich zu spüren bekommen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich kann Ihnen nur eines versichern: Dieser Mann, wie viele andere auch, und die betroffenen Frauen werden auch dort, wo es um die beitragsfreie Mitversicherung geht, alle Unterstützung von uns, der Opposition, der SPÖ, erhalten, damit sie wieder zu ihrem Recht kommen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Dr. Pumberger. )

Eltern, Mütter wollen beides, sie wollen Kind und Job. Sie wollen nicht die so genannte Wahlfreiheit: entweder – oder. Sie wollen das verbinden. (Abg. Dr. Stummvoll: Das wissen Sie!) – Das wissen wir, ja, das wissen wir, da brauchen wir nicht viel zu phantasieren, Herr Abgeordneter! (Abg. Dr. Stummvoll: Das ist Arroganz! Das ist Arroganz!)


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Beim Kindergeld haben Sie eine zusätzliche und ganz interessante Wahlfreiheit eingeführt, und zwar: Entweder man legt Wert auf die Geldleistung, dann kann und muss man damit rechnen, dass über weite Strecken der arbeitsrechtliche Schutz abhanden kommen wird, oder man legt Wert auf die Sicherstellung des Arbeitsplatzes, dann kann es passieren, dass unter Umständen die Geldleistung abhanden kommt. (Zwischenruf des Abg. Dr. Pumberger. ) Dies ist ganz einfach deshalb der Fall, weil Sie aus einem Stück zwei gemacht haben, die nicht mehr zusammenpassen. Das ist Ihr neues Kindergeldmodell, das Sie hier so hochjubeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Auf alle Fälle ist eines sicher: Sie haben die Menschen bis heute im Unklaren gelassen. Wie sind Sie von ÖVP und FPÖ denn 1999 in den Wahlkampf gezogen? Können Sie sich wirklich noch daran erinnern? – Kinderbetreuungsgeld für alle, hat es geheißen. Kinderbetreuungsscheck für alle, hat es damals getönt. Egal, ob die Mutter zu Hause bleibt oder voll berufstätig sein möchte, ist damals noch dazugesagt worden, Geld gebe es auf alle Fälle! Von Vätern war wohlweislich ohnedies nicht die Rede.

Sagen Sie den jungen Eltern endlich die Wahrheit: dass all das nur Schimäre ist, meine Damen und Herren, denn es wird kein Kinderbetreuungsgeld für alle geben, wenn Sie diesen Gesetzentwurf so beschließen, wie er jetzt vorliegt. Sie verteilen nur neu. Jene, die es brauchen, müssen auf alle Fälle heute schon zittern, ob sie dieses Geld morgen noch erhalten werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass dieses Kinderbetreuungsgeld auch in die Finanzierungskrise kommen wird, sagt nicht die Opposition, sondern das sagen maßgebliche Vertreter Ihrer Parteien. Dass es sinnvollere Maßnahmen gibt als dieses Kinderbetreuungsgeld, sagen ebenfalls nicht nur die Vertreterinnen und Vertreter der Opposition, sondern auch Ihre eigenen Leute, wie zum Beispiel Paierl und Leitl.

Meine Damen und Herren! Das, was die Eltern tatsächlich brauchen, ist nicht so schwierig zu verstehen: Sie brauchen Zeit für das Kind und wollen Zeit für das Kind haben. Und diese Zeit müssen sie sich nehmen können. Dafür brauchen sie Schutz, dafür brauchen sie Zeitautonomie, und es kann ihnen die Wirtschaft nicht vorsagen und vorgeben, wie und wann sie beim Kind bleiben können. (Abg. Jung: Was haben Sie in den letzten 30 Jahren gemacht, Frau Kollegin? Sprüche klopfen!)

Ihre Zuverdienstgrenze von 200 000 S ist genau das Gegenteil, denn die Eltern brauchen Einkommenssicherheit. Wenn ich mich heute für ein Kind entscheide, dann will ich nicht in ein Nichts fallen. Deswegen brauchen wir ein modernes Elternzeitmodell, ein einkommensabhängiges Karenzgeld, meine Damen und Herren, das uns das Ausland vorzeigt, und nicht Ihr verschrobenes Modell aus dem vorigen Jahrhundert. (Beifall bei der SPÖ.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich bitte um den Schlusssatz, Frau Abgeordnete. (Abg. Ing. Westenthaler: Es wird eh schon Zeit!)

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (fortsetzend): Die jungen Eltern brauchen Arbeitsplatzsicherheit, sie brauchen Kinderbetreuung, und sie brauchen Schutz vor Armut. All das, was Sie heute gebracht haben, ist genau das Gegenteil davon. Die österreichischen Eltern werden sich herzlich bei Ihnen bedanken. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

10.43

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abgeordnete Haller gemeldet. Ich bitte um den zu berichtigenden und den tatsächlichen Sachverhalt. – Bitte, Frau Abgeordnete.

10.43


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72. Sitzung / Seite 41

Abgeordnete Edith Haller
(Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich müsste man die komplette Rede der Frau Abgeordneten Mag. Prammer berichtigen, ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nein, ich bitte um eine tatsächliche Berichtigung.

Abgeordnete Edith Haller (fortsetzend): ... aber ich konzentriere mich auf zwei Punkte, und zwar: Es war Ihre Regierung, Frau Mag. Prammer ... (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Schieder: Sachverhalt!) Sie haben behauptet, die jetzige Regierung benachteilige die AlleinerzieherInnen. (Abg. Schieder: Das ist nicht in Ordnung!) Es war Ihre Regierung, die die Aufteilung des Karenzgeldes zwischen Vätern und Müttern eingeführt hat. Ich bitte, nicht darauf zu vergessen. (Abg. Schieder: Das ist nicht in Ordnung! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Zweiter zu berichtigender Punkt: Sie haben angeführt, dass die Mittel für Interventionsstellen gekürzt worden sind. Das ist nicht der Fall. Die Mittel für Interventionsstellen wurden von Herrn Bundesminister Haupt aufgestockt, und zwar beträchtlich. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

10.44

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Spindelegger. Redezeit: 15 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

10.45

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Herr Bundesminister! Lassen Sie mich, bevor ich auf die Ausführungen von Frau Kollegin Prammer eingehe (Abg. Ing. Westenthaler: Das zahlt sich nicht aus!), mit etwas Positivem beginnen.

Ich möchte zunächst einem Geburtstagskind gratulieren. Heute hat unser Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Geburtstag. Ich möchte ihm namens meiner Fraktion herzlich zum Geburtstag gratulieren, ihm Kraft und Ausdauer und persönlich viel Glück und Freude wünschen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Die Abgeordneten Steibl, Mag. Hakl und Dr. Fekter überreichen Bundeskanzler Dr. Schüssel ein Blumengesteck.)

Meine Damen und Herren! Es möge den Herrn Bundeskanzler zumindest trösten, dass heute ein solch familienfreundliches Thema auf der Tagesordnung steht, weil er selbst ein Familienfreund ist und es ihm ein besonderes Anliegen ist, Österreich familienfreundlicher zu machen und diesbezüglich an die Weltspitze vorzudringen. Ich glaube, das ist ein sehr lohnendes Ziel, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wie unterschiedlich der Entwurf der Kollegin Prammer und unser Entwurf für ein familienfreundliches Österreich sind, hat jeder, der ihre Rede verfolgt hat, klar auf den Tisch gelegt bekommen. Diese negative Energie, die Sie, Frau Kollegin Prammer, zu dem Thema familienfreundliches Österreich in Ihre Rede gelegt haben, spricht eindeutig für sich. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wenn der Bundeskanzler und die Vizekanzlerin das Ziel vor Augen haben, Österreich noch familienfreundlicher zu machen, und Sie, Frau Kollegin, jetzt schon wissen, dass das nicht gelingen kann, dann ist das wohl nicht sehr glaubwürdig. (Abg. Sophie Bauer: Die Schwächsten werden noch weiter in die Armut gestürzt! Das ist Ihre Familienpolitik!) Wenn die Bundesregierung als eine der Antworten für dieses familienfreundlichere Österreich ein Kinderbetreuungsgeld vorschlägt, dann kann es wohl nicht so sein, dass Sie, Frau Kollegin Prammer, schon wissen, dass das ein Nachteil für die Betroffenen ist. Jeder Österreicher, der rechnet und weiß, dass in den nächsten Jahren 10 Milliarden zusätzlich aus dem Familienlastenausgleichsfonds für Familien aufgewendet werden, wird doch wohl klar sehen, dass das zum Vorteil und nicht zum Nachteil von Familien ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich verstehe daher nicht, dass Sie glauben, daraus politisches Kleingeld schlagen zu können. (Zwischenruf der Abg. Sophie Bauer. )

Die Zahlen und Fakten sprechen tatsächlich dafür, dass wir auch in der österreichischen Familienpolitik einen weiten Schritt nach vorne setzen müssen.


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72. Sitzung / Seite 42

Der Herr Bundeskanzler hat es erwähnt, ich darf es noch ergänzen: Vor 30 Jahren gab es noch 112 000 Geburten, vor etwa 10 Jahren, also 1990, noch 90 454 Geburten, im letzten Jahr gab es 78 268 Geburten, und die Prognosen sind nicht gerade so, dass wir uns über einen großen Kinderreichtum in Österreich freuen können. Es gibt also offenbar Gründe, warum es in Österreich weniger Kinder gibt. Das hat sehr viel mit gesellschaftspolitischen Tendenzen, auch mit Fragen des Geldes zu tun. Ich denke daher, dass es für uns alle einen nationalen Konsens darüber geben sollte, dass wir dieser Entwicklung gegensteuern.

Dazu gehört natürlich als Erstes eine Grundeinstellung zu Familien selbst. Ich möchte nicht verhehlen, dass wir als Volkspartei diesbezüglich eine ganz andere Grundeinstellung als Sie als Sozialdemokraten haben. Wir treten für ein Familienbild ein, das die Familienstruktur stärkt, weil wir glauben, dass trotz aller Probleme die Aufgaben von den einzelnen Menschen in der Familie viel besser bewerkstelligt werden als außerhalb der Familie und dass das auch für einen modernen demokratischen Staat eine ungeheure Möglichkeit ist, Demokratie in der Familie zu lernen.

Die erste Sozialisation für einen jungen Menschen findet in der Familie statt. Seine Erziehung, seine Wertprägung, auch das Gefühl von Geborgenheit, von einem Zuhause werden dort entwickelt. Was die Demokratieentwicklung anlangt: Auch die soziale Ordnung wird in der Familie besser vermittelt als in jeder Substitution, ob Kinderkrippe, ob Kindergarten, ob Schule – all das kann Familie nicht ersetzen und soll sie auch nicht ersetzen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir hören von vielen Menschen, nicht nur von unseren Wählern, sondern auch durch die Meinungsumfragen, dass die Sehnsucht der Österreicher, der großen Mehrheit der Österreicher, nach einer solchen intakten Familie da ist, und jeder, der vielleicht selbst negative Erfahrungen in seiner Familie gemacht hat, sehnt sich besonders danach, dass seine Familie einmal gelingen möge.

Ich glaube, es ist das auch ein Leitbild, mit dem wir Familienpolitik betreiben können. Unser Leitbild dazu ist, dass wir eine Familie mit zwei Elternteilen und Kindern haben, weil sich diese Form der Familie über Tausende Jahre bewährt hat und für das Aufwachsen der Kinder wohl die beste Form war, die wir kennen.

Wir verhehlen aber nicht und erkennen natürlich die Situation, dass veränderte Lebensbedingungen, andere Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz durchaus auch ganz andere, vielschichtige Arten des Zusammenlebens zutage bringen. Wir wollen diese Situation nicht verkennen, nicht wegsperren, sondern auch diese andere Art des Zusammenlebens in unsere Politik mit einbeziehen.

Meine Damen und Herren! Es sei aber schon gestattet, dass man als Leitbild sehr wohl auch eine Familie mit zwei Elternteilen und Kindern vertreten kann. Ich denke, dass sich der Großteil der Österreicher diesem Leitbild durchaus anschließen kann.

Die Fragestellung für die Familienpolitik der nächsten Jahre muss daher sein: Welche Bedingungen müssen wir schaffen, damit dieses Österreich noch familienfreundlicher werden kann? – Ich möchte hier eine ganze Reihe von Dingen anführen, die aus unserer Sicht nach der Rückmeldung vieler junger Familien solch entscheidende Lebensbedingungen sind.

Die erste und wichtigste Bedingung ist nicht das Geld, sondern die wichtigste Bedingung ist die gesellschaftliche Anerkennung der Familienarbeit, meine Damen und Herren! Es ist nicht nur die Erwerbsarbeit, die glücklich macht und alles im Leben bedeutet, die Familienarbeit ist genauso wichtig. Ich möchte das für uns und auch für mich persönlich ganz besonders festhalten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wenn man selbst die Erfahrung macht – ich würde jedem empfehlen, einmal einige Tage mit allem Drum und Dran für ein Kind zu sorgen (Abg. Dr. Mertel: Zwei Jahre, nicht ein paar Tage!)  –, dann erkennt man den Wert von Familienarbeit und weiß, dass das Schwerstarbeit ist, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Zwei Jahre, nicht ein paar Tage!)


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Ich habe den größten Respekt vor allen Müttern und Vätern, die sich dieser Familienarbeit widmen. (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. )

Frau Kollegin! Ihr Entwurf ist ein anderer. Ich darf daran erinnern, wie Sie zu dieser Familienarbeit stehen. (Abg. Dr. Mertel: Zwei Jahre, zwei Jahre!) Frau Kollegin Prammer hat das einmal sehr deutlich ausgedrückt, als es um das "Karenzgeld für alle" ging. Sie sagte in einem Interview – ich zitiere –: Übrig bleibt, wer nie gearbeitet hat, immer nur Hausfrau war, aber das sind nur wenige. – Meine Damen und Herren! Wer so diskriminiert, wer in dieser Art und Weise eine Gruppe von Frauen ausschließt, der vermittelt soziale Kälte und nicht soziale Werte. Das möchte ich durchaus als Unterschied auch zu unserem Bild hervorstreichen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die zweite Bedingung, die für mich wichtig ist, besteht darin, dass man auch durch einen Beitrag des Staates eine finanzielle Anerkennung dieser Familienarbeit leisten muss. (Abg. Dr. Mertel: Des Fonds!) Ich denke, dass bei vielen Familien, bei denen ein Verdiener ausfällt, eine Krise ausbricht. Wir kennen das: Auf einmal entfällt ein Einkommensteil, damit scheint der Wohlstand in der Familie gefährdet zu sein. Für manchen ist das auch ein Grund zu sagen, dass es sich finanziell nicht ausgeht – der Kinderwunsch wird zurückgestellt.

Laut unserem Entwurf soll auch das Kinderbetreuungsgeld ein Beitrag dazu sein, dass der Kinderwunsch nicht am Finanziellen scheitert. Die 6 000 S pro Monat sind mehr als das Karenzgeld, sie werden für einen längeren Zeitraum als bisher, nämlich für zweieinhalb Jahre einem Partner gewährt (Abg. Sophie Bauer: So ein Schmarren!), und noch einmal für ein halbes Jahr für den anderen Partner, und das ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber heute. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, das ist ein Beitrag für eine finanzielle Hilfeleistung an die Familien, zu dem wir auch stehen, auch wenn es schwierig zu finanzieren ist. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die dritte Bedingung, meine Damen und Herren, ist wohl, dass man eine wirkliche Wahlmöglichkeit hat. Am schönsten wäre es, wenn ich mir Kindererziehung oder arbeiten aussuchen könnte, ohne dass es finanzielle Unterschiede gibt. Das werden wir als Staat aber nie regeln können. Wir werden nie die Kosten, die mit Kindern verbunden sind, komplett ersetzen können. Aber wir können diese Wahlmöglichkeit wesentlich erleichtern, und das halte ich für sehr wesentlich. Es soll nicht die Gesellschaft festlegen, wer arbeiten muss oder wer Kinder erzieht, sondern das soll die Betroffene oder der Betroffene selbst entscheiden können. Darum ist auch dieses Kinderbetreuungsgeld ein Entwurf in diese Richtung, meine Damen und Herren! Diese Wahlmöglichkeit wird damit entscheidend erleichtert. Mit einer erhöhten, mit einer verlängerten Bezugsdauer des Kinderbetreuungsgeldes gibt es einen wesentlichen Schritt in Richtung mehr Wahlmöglichkeit als früher, und auch das werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen. Ich denke, dass es vor allem für die Frauen ein wesentlicher Fortschritt ist, diese Wahlmöglichkeit in Zukunft leichter in Anspruch nehmen zu können.

Zur vierten Bedingung: Wir sehen in unserer heutigen Arbeitswelt, dass man nicht jahrelang aussteigen und dann wieder leicht an den Arbeitsplatz zurückkehren kann. Wir alle wissen, wie das ist: Wer ein Jahr, wer zwei Jahre weg ist, ohne eine berufliche Anbindung zu haben, kommt nur sehr schwer wieder in den Arbeitsprozess hinein. Daher müssen wir auch versuchen, zu ermöglichen, dass jemand nur teilweise aussteigt, dass er mit Hilfe der neuen Medien, mit dem Internet vielleicht auch von zu Hause aus arbeiten kann. Das Kinderbetreuungsgeld gibt hiezu Möglichkeiten. Die Zuverdienstgrenze von 200 000 S, die Sie so schmähen, die eine Vervierfachung der bisherigen darstellt, bedeutet, dass es für eine Frau leichter ist, Teilzeit zu arbeiten. Natürlich wird auch die Wirtschaft Arbeitsplätze für Teilzeitarbeit zur Verfügung stellen müssen. (Abg. Sophie Bauer: So ein Schmarren!)

Frau Kollegin! Für Sie ist alles ein Schmarren. (Abg. Sophie Bauer: Nein, das, was Sie da unten aufführen, ist ein Schmarren!) Für Sie ist alles, was familienfreundliches Österreich bedeutet, ein Schmarren. Wer solch eine Einstellung hat, kann nicht für ein familienfreundliches Österreich sein, das möchte ich wirklich einmal festhalten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Die fünfte Bedingung, meine Damen und Herren, ist: Wer einmal aus dem Beruf aussteigt, darf nicht auf ewig einen Nachteil mit sich schleppen. Wenn ich eine Zeit lang nicht berufstätig bin, verliere ich Zeiten, auch für die eigene Pension. Wir wollen ganz gern, dass zukünftig jede Frau einen Pensionsanspruch hat, wenn sie gearbeitet hat. Wir wollen, dass auch die Kindererziehungszeiten mit angerechnet werden, und zwar nicht nur als Ersatzzeiten. Erstmals ist mit dem Kinderbetreuungsgeld die Möglichkeit geschaffen worden, dass 18 Monate pensionsbegründend angerechnet werden. Ja, meine Damen und Herren, das ist ein Quantensprung nach vorne, das ist eine sehr willkommene Möglichkeit!

Viele Frauen fragen, ab wann das gelten wird, dass sie 18 Monate pensionsbegründend angerechnet bekommen. – Das sind doch positive Maßnahmen, die auch Sie trotz aller negativer Energie sehen müssten! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich denke daher, dass das Kinderbetreuungsgeld ein ganz wesentlicher Quantensprung in Richtung familienfreundlicheres Österreich ist. Es wird aber noch mehr geben müssen. Wir sollten uns miteinander im Wettstreit den Kopf darüber zerbrechen, was wir noch tun können, um Österreich familienfreundlich zu machen.

Meine Damen und Herren! Jede Gesellschaft, die auf ihre Familien schaut, die sie betreut, die sie fördert, wird sehr viel zurückgewinnen. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Allein das Kinderlachen in unserer Gesellschaft ist ein so wertvoller Beitrag, und wer es selbst nicht erlebt, sollte es wenigstens bei anderen Familien erleben. Kinderlachen ist ein wesentlicher Schritt in Richtung mehr Lebensqualität, in Richtung mehr Fröhlichkeit. Ich glaube, dass wir mit einem Entwurf betreffend Kinderbetreuungsgeld mit weiterer Zielsetzung familienfreundliches Österreich diesem Schritt entscheidend näher kommen. Wir als Volkspartei setzen uns gerne für dieses Ziel ein, weil es sich, so glaube ich, für Österreich und für unsere Familien wirklich lohnt, dafür einzutreten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

10.58

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als Nächste gelangt Frau Abgeordnete Dr. Petrovic zu Wort. Die Redezeit ist nach wie vor 15 Minuten. – Bitte, Frau Abgeordnete.

10.58

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Auch ich gratuliere dem Herrn Bundeskanzler zum Geburtstag. Ich hätte auch gerne die Zustimmung meiner Fraktion zu dem vorliegenden Entwurf, zur Regierungsvorlage signalisiert (Abg. Dr. Stummvoll: Das können Sie ja!) und bedauere, dass doch einige Schritte dazu gefehlt haben – es waren nur relativ kleine Schritte, die aber entscheidend waren, und auf diese Schritte, die uns davon abgehalten haben, möchte ich jetzt zu sprechen kommen.

Ich halte diese für sehr wesentlich, Herr Abgeordneter Spindelegger, denn ich glaube, dass es gerade die ÖVP verabsäumt hat, in einigen wichtigen Punkten allen Familien Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Das, was Sie bezüglich Armutsbekämpfung, Gleichstellung gesagt haben, sind Ziele, mit denen wir alle uns identifizieren; ich glaube nur, dass sie in diesem Entwurf teilweise nicht nur nicht erreicht werden, sondern dass die bestehende Rechtslage damit sogar verschlechtert wird. Ich will Ihnen das anhand einiger Beispiele erläutern.

Ich denke, das Allerwichtigste im Bereich der Familienpolitik ist Stabilität, denn Lebensplanung, Familienplanung setzen auch voraus, dass sich EhepartnerInnen, dass sich Frauen und Männer darauf verlassen können, dass gerade in Situationen, in denen gesellschaftliche Solidarität erforderlich ist, diese auch gewährt wird. (Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt den Vorsitz.)

Mit diesem Gesetz werden aber einige Personengruppen gegenüber der bestehenden Rechtssituation sehr viel schlechter behandelt, und ich glaube, das haben diese Familien nicht verdient. Vor allem geht es um so kleine Beträge, dass es schade ist – und der Herr Bundeskanzler hat es schon angedeutet, und das wird immer beschworen: Wir wollen den großen Wurf! –, dass man mit dieser Kleinlichkeit eine wirklich weitreichende Regelung zunichte macht.


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72. Sitzung / Seite 45

Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, das Kind solle im Zentrum stehen, nicht ein abstrakter Versicherungsanspruch. Mütter, Kinder, Väter seien gleichwertig. – Das klingt gut. Nur: Ich habe mir diesen Gesetzentwurf, diese Regierungsvorlage sehr genau angeschaut und muss sagen: Ich finde dieses Prinzip in dieser Regierungsvorlage nicht wirklich. Es wird darin ja nicht einmal das Koalitionsübereinkommen umgesetzt. Dort war schon einmal nicht die Gleichheit von Müttern und Vätern drinnen, aber es war immerhin ein deutlicherer Anreiz für Väter, auch ihre Familienpflichten wahrzunehmen. Es war im Koalitionsübereinkommen eine Teilung der Karenzzeiten im Verhältnis 24 : 12 Monate vorgesehen; 12 Monate für den Vater gemeint. Warum Sie sich jetzt davon entfernen, warum Sie den Vätern weniger Rechte in der Familie zugestehen wollen, das ist die Frage. Jedenfalls ist das eine eindeutige ideologische Verschlechterung, und ich bedauere das sehr. (Beifall bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Ich teile die Meinung der Kollegin Prammer, dass Familienpolitik, die Sorge um Kinder, um Eltern losgelöst zu sehen ist von der Bevölkerungspolitik. Es wird in der Regel wahrscheinlich eine gewisse Übereinstimmung geben. Wenn es den Eltern, wenn es den Kindern gut geht, wenn Vertrauen auch in die Stabilität der staatlichen Einrichtungen besteht, dann wird es ein Klima geben, das für Kinder positiv ist.

Wenn Sie aber auch die Bevölkerungspolitik mit hineinziehen, dann stelle ich mir die Frage: Warum haben wir denn nicht das, was eigentlich europäischer Standard ist? Warum orientieren wir uns nicht an so genannten Best-Practice-Modellen und schauen nicht einmal: Gibt es irgendwo ein Land, in dem es vielleicht schon besser gelungen ist, diese verschiedenen Ziele – Familie, Beruf, Kinder – unter einen Hut zu bekommen? Dann stellt sich eigentlich sehr schnell heraus, dass es Staaten gibt, in denen der Geburtenwunsch deutlich besser realisierbar ist, in denen die Geburtenquote viel höher liegt als bei uns – das sind nahezu alle skandinavischen Staaten – und in denen die Berufstätigkeit von Frauen und Männern viel ausgeglichener ist, wo es Eltern, Vätern und Müttern, möglich ist, in der Zeit, in der kleine Kinder zu betreuen sind, beruflich ein wenig zurückzutreten und dafür teilweise Transferleistungen zu erhalten. Es gibt Länder, in denen beide, Frauen und Männer, die Pflicht der Kinderbetreuung wahrnehmen können. Diese Länder gibt es, und dort liegt die Geburtenquote – obwohl sie nahezu überall in Europa rückläufig ist – deutlich über der österreichischen Quote.

Da stelle ich mir schon die Frage: Warum haben wir nicht einmal gemeinsam über die Parteigrenzen hinweg diskutiert? Warum ist in diesen Ländern die Vereinbarkeit offenbar zumindest ein bisschen besser?

Es zeigt sich, dass es dort erstens einmal eine Vollausstattung mit wirklich guten, qualitätsgesicherten Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, natürlich dem Alter angepasst, nicht gleich für die ganz kleinen und etwas größeren Kinder, und es gibt dort auch ein flächendeckendes Teilzeitangebot auch für Männer. Die Männer sind in Österreich bei der Teilzeitarbeit kaum vertreten.

Diesen kleinen Teil von Karenz-Varianten, wo die Männer auch in Österreich ein bisschen stärker vertreten waren, zumindest mit 10 Prozent bei der Teilzeitkarenz, machen Sie mit diesem Modell kaputt. Die Teilzeitkarenz in der heutigen Form wird es nach dieser Regierungsvorlage auf Grund der Zuverdienstgrenzen, die alle Männer – auch die Teilzeit arbeitenden – trifft – schauen Sie sich die Statistiken an, Herr Spindelegger! –, letztlich nicht mehr geben. Ich finde das schade, denn das war der positivste und entwicklungsfähigste Ansatz für so eine neue, moderne Familie in Österreich. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die Länder, in denen die Stellung der Frau besser und die Diskriminierung geringer ist, in denen die Geschlechter etwas gleicher sind, zeichnen sich dadurch aus, dass es ganz kurze Phasen der Vollkarenz und dann ausgebildete Teilzeitmodelle gibt. Schauen Sie sich an ... (Abg. Großruck: Welche Länder meint sie? Die Türkei?)

Da kommen Fragen aus den ÖVP-Bankreihen, welche Länder das sind, und das finde ich traurig! Herr Bundeskanzler, das verhindert einen Konsens in Rot-Weiß-Rot. Ich hätte es gerne den Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP erklärt, denn diese Unterlagen gibt es. Aber nun gibt


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es diese Unwissenheit bei Ihnen, weil Sie leider nicht mit uns geredet haben. Wir hätten Ihnen das gerne erklärt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Also: kurze Vollkarenzen, dann ein umfangreiches Teilzeitangebot und einen deutlichen Transferleistungsanspruch in Verbindung mit guter, qualitätsgesicherter Kinderbetreuung. Das ist das "Geheimrezept" – unter Anführungszeichen –, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

Dass es überall in Europa Defizite gibt, das stimmt, aber wir hätten doch einen kurzen Blick über die Grenzen werfen können, statt ein Modell zu proklamieren, von dem ich bezweifle, dass es die Situation für sehr viele Menschen verbessert.

Herr Abgeordneter Spindelegger! Wenn Sie von einem epochalen neuen Schritt, nämlich der pensionsbegründenden Karenzzeit, gesprochen haben, dann muss ich Ihnen sagen: Auch da, Herr Abgeordneter, hinken Sie hinter dem Modell, das die Grünen vor langer, langer Zeit auch Ihnen zur Verfügung gestellt haben, nämlich hinter dem Grundsicherungsmodell nach. Wir sind der Meinung, dass jeder Mensch, ob Frau oder Mann, im Alter, losgelöst auch davon, was der/die Betreffende vorher getan hat, zumindest einen existenzsichernden Pensionsanspruch braucht, nämlich eine Grundsicherung. (Beifall bei den Grünen.)

Wenn Sie jetzt den Frauen ein X für ein U vormachen, indem Sie sagen: Jetzt ist die Kindererziehung pensionsbegründend!, dann lade ich auch die Österreicherinnen und Österreicher ein, dieses ÖVP-Modell nachzurechnen. Die Frauen – überwiegend sind es solche –, die sich ausschließlich der Kinderbetreuung gewidmet haben, müssten, damit sie einen eigenen Pensionsanspruch nach diesem blau-schwarzen Modell hätten, zehn Kinder zur Welt gebracht und betreut haben, und zwar im Abstand von mindestens eineinhalb Jahren, damit sich das ausgeht. Ich finde, das ist ein bisschen armselig, um es als einen epochalen Fortschritt zu verkaufen! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Abg. Großruck: Sie sagen nur Halbwahrheiten!)

Meine Damen und Herren! Es stellt sich auch die Frage, auf welchem Niveau sich das bewegt? In der Höhe von 6 000 S? Sie sagen, das sei eine Management-Tätigkeit, die da die Eltern, die Frauen, die Mütter erbrächten. Ich schaue mir an, welcher Manager – hier verwende ich bewusst die männliche Form – um 6 000 S im Monat arbeitet und auf diesem Niveau auch sozial abgesichert wird, denn nach diesem Niveau richtet sich dann der anteilige Pensionsanspruch.

So schaut es in Österreich aus: Die durchschnittliche Frauenpension im Alter macht gerade einmal die Hälfte einer Männerpension aus. Ich glaube, auch Sie werden nicht allen Ernstes behaupten, dass die Frauen in Österreich nur halb so viel arbeiten wie die Männer. Wir wollen eine echte Gleichstellung, und wir wollen, dass aus der Tatsache der Elternschaft kein Nachteil, vor allem kein Nachteil im Alter, entsteht. (Beifall bei den Grünen.)

Noch ein Punkt: Sie haben gesagt, bei diesem Modell gebe es jetzt eine höhere Zuverdienstgrenze. – Ich stelle Ihnen, Herr Abgeordneter Spindelegger, und Ihnen, Herr Bundeskanzler, die Frage: Wieso denn überhaupt eine Zuverdienstgrenze? Haben Sie nicht gesagt, Sie wollen ein ganz neues Modell, ein Familien-Modell, das losgelöst ist – wie sagten Sie doch, Herr Bundeskanzler? – von abstrakten Versicherungsansprüchen, von arbeitsrechtlichen Gegebenheiten? (Abg. Mag. Prammer: Für alle!) Wenn es für alle ist, wenn es eine reine Familienleistung sein soll wie die Familienbeihilfe, die Kinderbeihilfe, dann stelle ich Ihnen die Frage: Wieso differenzieren Sie da? Ist es nicht vielleicht eine ganz bewusste blau-schwarze Ideologie, die hier eingeflossen ist und die letztlich dieses Gesetz doch sehr, sehr stark prägt, und zwar in einer sehr, sehr frauenfeindlichen Art und Weise?

Ich frage mich: Was erreichen Sie mit einer Zuverdienstgrenze, die in der Größenordnung von 10 000, 11 000 S Monatseinkommen liegen wird? – Dass diese Frauen, bei welchen wir angeblich – auch Sie laut Parteiprogramm – anstreben, dass sie qualifizierte Frauen sind, die eben phasenweise Beruf und Familie kombinieren, aus der Regelung hinausfallen. Die Frau oder der Mann, die oder der ein eigenes Einkommen von über dieser Grenze hat, bekommt null Schilling – nicht einen Schilling! –, aufgrund der neuen Regelung. Das wird dazu führen, dass gerade Alleinerzieherinnen oder Frauen, die etwa einen studierenden Partner haben, gar nichts


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bekommen, während etwa Gattinnen von sehr, sehr gut Verdienenden – im Extremfall von Millionären – den vollen Anspruch haben. Das finden Sie gerecht? – Wir können einer solchen Regelung nicht zustimmen. (Beifall bei den Grünen.)

Leitbilder kann es geben, aber es stellt sich die Frage, ob es gesetzliche Diskriminierungen gibt, und die darf es unserer Meinung nach nicht geben. Daher bringen wir von den Grünen Anträge ein – auch ich einen zum Mietrecht, der eine Gleichstellung der verschiedenen Partnerschaften, auch gleichgeschlechtlicher, enthält. Dieser Antrag liegt vor und ist in schriftlicher Form eingebracht worden.

Damit komme ich zum Schluss – und damit eigentlich zum härtesten Punkt meiner Kritik, gerade an einer christlichen Partei –: Offenbar bedeutet für Sie Familie nur dann echte Familie, wenn sie einen österreichischen Reisepass oder einen EU-Reisepass hat.

Herr Spindelegger! Schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben offenbar nicht nur nicht mit den Grünen geredet, sondern auch nicht mit der katholischen und mit der evangelischen Kirche und auch nicht mit den MigrantInnen-Vereinen! Wie kann es sein, dass Sie die Quote für die Zusammenführung von Familien, für das Zusammenleben von Eltern und Kindern, dramatisch senken wollen? Ich frage diejenigen von Ihnen, die vielleicht mehrere Kinder haben: Auf welches Ihrer Kinder würden Sie denn verzichten wollen? Ist das nicht Familie? Haben diese Menschen, die hier arbeiten, die hier leben, die Steuern zahlen, nicht dasselbe Recht wie wir alle auf Familie? – Das ist eine Regelung, für die Sie sich eigentlich schämen sollten! (Beifall bei den Grünen und bei der SPÖ.)

Es kommt eines noch hinzu – und das scheint mir kein Zufall zu sein –, und das ist mein Schlusssatz –: dass Sie darüber hinaus versteckte arbeitsrechtliche Diskriminierungen einbauen, die ausländischen Müttern, wenn sie die Karenzzeiten voll ausschöpfen, in der Folge ihre Arbeitserlaubnis in Frage stellen. Das scheint keine ganz unbeabsichtigte Nebenwirkung zu sein. Das ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, und ich finde, das ist für einen modernen europäischen Staat eine Schande! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

11.15

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Zierler. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 15 Minuten. – Bitte.

11.15

Abgeordnete Theresia Zierler (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Frau Kollegin Petrovic, um einen Ihrer letzten Sätze aufzugreifen: Nein, wir schämen uns nicht! Wir sind sehr stolz auf das, was wir erreicht haben, wir sind sehr stolz darauf, dass wir Familienpolitik in Österreich machen, dass wir österreichische Familien unterstützen, dass wir etwas geschaffen haben, was in Europa bisher einzigartig ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wenn man die bisherige Debatte verfolgt hat, dann ist einem eines klar und deutlich aufgefallen, ob das jetzt die RednerInnen von der SPÖ oder jene von den Grünen waren: Man hat immer wieder die Worte Kinderbetreuung, Krabbelstube, Kindergartenplatz, Bezugspersonen gehört. – Meine Damen und Herren! Wo war die Rede von Wärme, Liebe, Geborgenheit, davon, Zeit für sein Kind oder für seine Kinder zu haben? Wo sind diese Worte, meine Damen und Herren? (Abg. Dr. Mertel: Die Frau Prammer hat es gesagt! Lesen Sie es nach!)

Wir reden nicht von Bezugspersonen, wir reden davon, dass wir in Österreich ermöglichen, dass Frauen bei ihren Kindern bleiben können, wenn sie das möchten. – Das ist unsere Politik! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Eines hat man auch klar und deutlich erkannt – und das richte ich vor allen Dingen an die Adresse der SPÖ –: dass offensichtlich der Inhalt des Kindergeldes bis heute nicht verstanden wurde. – Ich weiß nicht, ob er nicht verstanden wurde oder vielleicht auch nicht verstanden werden wollte, aber ich bin sehr froh darüber, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, das hier klar


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und deutlich anzusprechen – zum einen für unsere Gäste auf der Galerie, zum anderen für all jene, die künftig das Kindergeld bekommen werden und uns jetzt zu Hause zuschauen.

Wer bekommt das Kindergeld? – Erstmals alle, das heißt: auch Studentinnen, Bäuerinnen, Hausfrauen, selbständig Erwerbstätige und geringfügig Beschäftigte. Erstmals bekommen alle das Kindergeld! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wie viel Kindergeld gibt es pro Monat? – 6 000 S. Wie war es bisher unter der SPÖ? – Da gab es ein Karenzgeld in der Höhe von 5 643 S. Das ist also nun ein Plus von 357 S pro Monat, und das macht im Jahr 4 284 S mehr aus.

Wie lange ist der Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld? – Jetzt drei Jahre – 30 Monate plus sechs Monate. Wie war es bisher? – Eineinhalb Jahre plus sechs Monate. Warum vergessen Sie das immer wieder zu sagen, meine Damen und Herren? – Ich glaube, die Familien haben ein Anrecht, zu erfahren, um wie viel besser das Kindergeld ab dem Jahr 2002 ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Darf man trotz Kindergeldbezuges arbeiten? – Ja, man darf! Bisher gab es ein Berufsverbot beim Karenzgeld, da hatten wir nur eine Geringfügigkeitsgrenze: 4 076 S pro Monat durfte man zum Karenzgeld dazuverdienen. Wie ist es jetzt? – 200 000 S im Jahr! Wenn das keine Verbesserung ist, meine Damen und Herren, dann weiß ich nicht, was Sie sich von Familienpolitik erwarten! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Hat man eine Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf? – Ja, man hat die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf, aber man hat auch die Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, was bisher nicht möglich war.

Was bedeutet das Kindergeld für die Pension – auch das haben Sie versucht krankzureden, totzureden –: Erstmals – und das gab es noch nie! – sind Kindererziehungszeiten echte Beitragszeiten und werden pensionsbegründend angerechnet. Das gab es bei der SPÖ nicht! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Nützt das Kinderbetreuungsgeld auch Alleinerzieherinnen? – Ja, denn Alleinerzieherinnen beziehen das Kindergeld 30 Monate – bisher waren es 18 Monate – und erhalten genauso wie sozial schwache Familien einen Familienzuschuss in der Höhe von 2 500 S pro Monat.

Außerdem haben wir – als weitere Familienleistungen – den Mehrkinderzuschlag um 500 S pro Monat angehoben und die Familienbeihilfe für jedes Kind ab dem vierten Lebensjahr um 100 S pro Monat erhöht. (Abg. Huber: Es wäre gescheiter, Sie würden es sich noch einmal durchlesen!)

Meine Damen und Herren! Ich kann es nur noch einmal sagen – und das vor allem für all jene Familien, die sich sehr wohl für die neue Regelung interessieren, die im Jahr 2002 auf sie zukommen wird –: Wir sind stolz auf das Kindergeld, das wir durchgesetzt haben! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Schauen wir uns einige Zeitungskommentare an, zum Beispiel ein Kommentar aus der "Kleinen Zeitung"! – Ich zitiere:

"Wer noch keinen Beruf hatte (Studentin) oder den falschen Beruf (Bäuerin, Hausfrau), ging als Mutter im sozialdemokratischen Wohlfahrts- und Vollkaskostaat leer aus. Auch sonst war das mit dem Freisein so eine Sache. Wer in der Karenz den Kontakt zum Beruf nicht verlieren und mehr als 4 000 S dazuverdienen wollte, wurde von der fortschrittlichen Regierung bestraft: frau verlor einen Teil des Karenzgeldes. Das Freisein endete übrigens schon nach eineinhalb Jahren, da man das letzte halbe Jahr strich.

Die Frau Prammer hat das gefreut, weil die Mutter vom reaktionären E-Herd erlöst wurde", sie musste wieder arbeiten gehen, "aber die allein erziehende Verkäuferin, die finanziell gezwungen war, nach der Karenz wieder zu arbeiten, war" im Desaster: "Sie fand für ihren eineinhalb


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jährigen Spross, dem sie gern ein wenig länger ihre Wärme und Zuwendung geschenkt hätte, keinen Krippenplatz, weil es zu wenig gibt. Die Alleinerzieherin wollte arbeiten, konnte aber nicht. Alles, was ihr blieb: Notstandshilfe.

Künftig ginge es ihr besser. Offenbar trauen die Familienpolitikerinnen der SPÖ den Frauen diese Entscheidungskompetenz nicht zu. Denn sonst käme die Opposition nicht dauernd mit ihren Ideologie-Sprechblasen aus den Siebzigern, spräche nicht unentwegt von der Herdfalle und der Häuslichkeitsprämie und davon, dass man die Frauen mit den 6 000 S aus dem Berufsleben dränge: Aufgewärmter Unfug." – Zitat aus der "Kleinen Zeitung". (Beifall bei den Freiheitlichen.)

"Die Presse": "Man muß schon eine sehr schlechte Meinung von Müttern haben, um die Verlängerung der Anspruchsdauer beim Kindergeld als ,Hinausdrängen aus dem Arbeitsmarkt‘ zu interpretieren. Wer nach dem Staat ruft, weil er einer Frau nicht zutraut, ihr Leben und ihre Karriere eigenständig zu planen, der entlarvt sich selbst."

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was das Selbstentlarven betrifft: Ich freue mich, dass Frau Kollegin Prammer noch hier ist, ihres Zeichens ehemalige Frauenministerin der SPÖ, das heißt eine Frau, die sich für Frauen in Österreich einsetzt, damit, nehme ich zwangsläufig an, auch für Mütter in Österreich einsetzt.

Im Ringturm in Wien fand eine Diskussion statt, die vom Renner-Institut veranstaltet wurde und bei der es um die Frage der Alterssicherung ging. Da kam vom Podium aus der Satz der ehemaligen Frauenministerin Prammer, der lautete – wörtliches Zitat –: "Frauen, die irgendwann einmal geworfen haben ..." (Pfui-Rufe bei den Freiheitlichen. – Abg. Ing. Westenthaler: Das ist ja ungeheuerlich! Pfui!) – Frauenministerin Prammer; ein Zitat, das nicht einmal wir glauben konnten, aber wir haben es überprüft, Frau ehemalige Frauenministerin. "Frauen, die irgendwann einmal geworfen haben ..." (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist ihre Einstellung! Pfui Teufel!)  – Das ist Ihre Einstellung zu Müttern, zur Familie, und da kann man nur sagen: Schämen Sie sich! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Pfui-Rufe bei den Freiheitlichen.)

Andererseits sind Sie damit auf Linie, und ich nehme an, das wird uns unsere Kärntner Kollegin, die Frau Mertel, bestätigen können. Da haben wir eine Landesrätin, eine sozialistische Landesrätin, die jetzt auch durch das Land zieht und versucht, das Kindergeld schlecht zu machen, das es in Kärnten schon gibt, dabei aber vergisst, dass die SPÖ mitgestimmt hat. Das ist jetzt die andere Seite, aber sprechen wir vielleicht nicht darüber. Diese Landesrätin namens Schaunig-Kandut nannte das Kindergeld vom ersten bis zum dritten Lebensjahr – und jetzt kommt das wörtliche Zitat – "nichts anderes als ein Schmerzensgeld für erlittene Dauerschäden für die Familien". – Kinder sind Dauerschäden! Das ist die Politik der SPÖ! (Pfui-Rufe bei den Freiheitlichen. – Abg. Haigermoser: Ein Skandal! – Abg. Ing. Westenthaler: Das ist ja unglaublich! Treten Sie zurück!)

Das andere Zitat der SPÖ haben wir schon gehört: Wer nicht arbeitet, der soll auch kein Karenzgeld bekommen! (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. )

Frau Prammer! Wie groß müsste erst die mediale Inbrunst der ehemaligen Frauenministerin sein, wenn es um die Zielgruppen geht, für die sie sich wirklich und ehrlich interessiert?! Kinder zu bekommen als Werfen zu bezeichnen, das Kindergeld als Geburtenprämie zu qualifizieren zeugt nicht gerade von echtem Interesse, aber vielleicht hängt das veterinäre Vokabular auch mit ihrer Vergangenheit als Ministerin für Tierkörperverwertung und Tierseuchen zusammen. Verdrängung funktioniert nicht immer! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Edler: Letztklassig ist das! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Dietachmayr hält eine Tafel mit der Aufschrift "Tiefer geht’s nicht!" in die Höhe.)

Durch langes Wegbleiben vom Arbeitsmarkt würden Frauen an den Herd gedrängt – daher die einfache Lösung der SPÖ: kurze Karenzzeit mit Berufsverbot, und dann natürlich sofort wieder in den Job. (Abg. Mag. Kogler: Letztklassig!)


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Weil die SPÖ die finanzielle Unterstützung nicht allen, aber dafür angeblich allen, die es brauchen, geben will, hat sie zuletzt ein Modell entwickelt, das so genannte einkommensabhängige "Karenzgeld Plus". Diese Formel lautet: Je mehr man vorher verdient hat, desto mehr Karenzgeld bekommt man nachher. Das heißt, je reicher man schon war, umso reicher wird man mit der SPÖ. Doch alle, die nichts verdient haben, kriegen natürlich auch nichts. Damit stolpern wir einfach weiter in die Armutsfalle, die Sie in den letzten 30 Jahren aufgebaut haben. – So schaut die Familienpolitik der SPÖ aus! (Ruf bei der SPÖ: Letztklassig!)

Sie haben kein Herz für Familien, Sie haben kein Herz für Kinder, Sie können Familie offensichtlich auch selbst nicht leben, wie ein Interview der Kollegin Bures zeigt, in dem sie selbst erzählt hat – da ging es um die "g’sunde Watschen" –, dass ihr sehr wohl auch schon die Hand ausgekommen ist und sie ihrer Tochter eine "g’sunde Watschen" aufgelegt hat. Da muss ich sagen, meine Damen und Herren: Das ist keine Vorzeige-Politik, und das ist auch keine glaubwürdige Politik! (Abg. Ing. Westenthaler: Frau Bures, was sagen Sie dazu?) Wenn die Tochter der Kollegin Bures auch noch sagt, dass die Mama manchmal schon ein bisschen weniger streng sein könnte, und das wahrscheinlich auf die Watschen bezieht, dann muss ich sagen: Frau Prammer, vielleicht ist Ihre Hotline doch wieder notwendig! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Haigermoser: Gewalt in der Familie, Frau Bures! – Abg. Leikam : Letztklassig ist das! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich habe hier für alle gut sichtbar – Sie können es auch gerne haben, ich verteile es auch hier – einige Fallbeispiele zum Kindergeld, das Sie ja krankzureden versuchen. (Die Rednerin stellt zwei Tafeln mit Fallbeispielen vor sich auf das Rednerpult.) Ich glaube, das ist auch für unsere Zuschauer zu Hause interessant.

Erstes Beispiel: eine Angestellte mit zwei Kindern, die Alleinerzieherin ist, von der wir sehr oft sprechen. Im Jahr 2001: 96 640 S, ab 2002: 168 000 S.

Zweites Beispiel: eine Hausfrau, drei Kinder, ein, vier und sieben Jahre alt. Im Jahr 2001: null, kein Anspruch, ab 2002: 180 000 S, und dazu kommt noch der Mehrkinderzuschlag.

Vielleicht können Sie sich diese Beispiele einmal anschauen, sie einmal überprüfen oder einmal durchrechnen, und vielleicht gelingt es in Zukunft auch, dass Sie mit Daten und Fakten an die Öffentlichkeit gehen. Parteipolitik ist gerechtfertigt und soll auch sein, aber ich fordere Sie wirklich auf: Bleiben Sie bei der Wahrheit, bleiben Sie bei den Daten, bleiben Sie bei den Fakten! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wie scheinheilig in Wahrheit die Diskussion, die Sie hier führen, ist, sieht man auch ganz deutlich an Ihren beiden Parteivorsitzenden. Herr Van der Bellen wurde in der "Pressestunde" zum Kindergeld befragt. Was war seine Antwort? Ob die Grünen bei einer Regierungsbeteiligung das Kindergeld wieder abschaffen würden, das könne er nicht sagen.

Detto Herr Gusenbauer: Auf eine Rücknahme des Kindergeldes im Falle einer Regierungsbeteiligung der SPÖ wollte sich Gusenbauer nicht festlegen.

Na bitte, was ist das für eine Diskussion, die wir hier eigentlich führen?!

Fakt ist: Die Ideen der SPÖ sind eine Besteuerung des 13. und 14. Gehaltes, sind eine Grundsicherung für alle, auch für all jene, die nicht arbeiten wollen, finanziert von all jenen, die arbeiten. Das sind die Visionen der SPÖ!

Fakt ist, dass die Freiheitliche Partei zehn Jahre lang für das Kindergeld gekämpft hat. Mit der Idee des Kinderschecks hat es vor zehn Jahren begonnen, dann folgten zahlreiche Anträge in den Landtagen, dann wurde eine Machbarkeitsstudie ausgearbeitet, dann gab es zwei Pilotprojekte in Kärnten. Weiters gibt es ein Pilotprojekt in Öblarn in der Steiermark, wo wir auch abtesten, was wir nach dem vollendeten dritten Lebensjahr tun können, denn dass da die Familienpolitik nicht aufhören darf, das wissen wir.


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Im Jahr 2001 wurde unter einem freiheitlichen Landeshauptmann das Kindergeld in Kärnten eingeführt, und im Jahr 2002 werden wir das Kindergeld in ganz Österreich haben.

Es ist eine freiheitliche familienpolitische Vision gewesen, und aus dieser familienpolitischen Vision wurde eine familienpolitische Realität. Darauf sind wir stolz, und ich weiß, dass sich die Mütter, die Frauen, die Familien in Österreich mit uns freuen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.30

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Khol zu Wort gemeldet. Herr Abgeordneter, die entsprechenden Bestimmungen des § 58 GOG brauche ich Ihnen nicht vorzulesen. – Bitte.

11.30

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Petrovic hat gemeint, die Regierung wolle die Quote für Familienzusammenführung senken und damit die Familienzusammenführung dramatisch einschränken.

Der richtige Sachverhalt ist, dass seit 1998 das neue Fremdenrecht gilt. Wer nach dem neuen Fremdenrecht als Schlüsselarbeitskraft die Bewilligung erhält, der hat auch das Recht, die Familie mitzunehmen. Daher brauchen wir die Familienquote nur mehr für die Rückstände von vor 1998.

Diese Regierung hat so viel getan, hat jedes Jahr über 5 000 Familienzusammenführungen genehmigt. (Abg. Dr. Petrovic: Das ist keine tatsächliche Berichtigung, das ist ein Redebeitrag!) Der Rucksack, den wir mitschleppen, wird abgearbeitet sein, und dann wird die Quote nicht mehr nötig sein, weil man hier hereinkommen kann, auch ohne eine Quote zu haben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

11.31

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu einer weiteren tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Öllinger zu Wort gemeldet. Vielleicht ist es Ihnen auch möglich, die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung zu beachten, wenn ich Sie bitten darf. – Bitte.

11.31

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Selbstverständlich, Herr Präsident!

Frau Abgeordnete Zierler hat in ihrem Redebeitrag behauptet, dass erstmals alle Personen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld haben.

Ich stelle tatsächlich richtig: Personen, die ein Jahreseinkommen über 200 000 S brutto während der Kinderbetreuungszeit haben – das entspricht 10 000 bis 11 000 S netto –, haben keinerlei Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. (Abg. Ing. Westenthaler: Natürlich, wenn sie in Karenz gehen, haben sie einen Anspruch!) Das Kinderbetreuungsgeld ist für berufstätige Eltern in dieser Form teilweise schlechter als die bisherige Regelung. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

11.31

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu einer weiteren tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abgeordnete Mag. Prammer zu Wort gemeldet. Bitte, Frau Abgeordnete, beginnen Sie mit der Wiedergabe der zu berichtigenden Behauptung und stellen Sie dieser den berichtigten Sachverhalt gegenüber! (Abg. Ing. Westenthaler: Wie war das mit dem Werfen?)

11.32

Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ): Herr Präsident! Frau Abgeordnete Zierler hat fälschlich aus einer Veranstaltung zitiert, wo es um das so genannte "Ernährermodell" ging. Richtig ist, ich habe dort Folgendes gesagt, und ich verlese das jetzt:

"Für beide – kinderlose Frauen wie Mütter – muss es zutiefst diskriminierend sein, nur dann anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein, wenn sie ein Kind geboren haben, und zum ande


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ren außerhalb der Gesellschaft zu stehen, wenn sie kein Kind geboren haben. Wenn Vertreter der Regierungsparteien, wie zum Beispiel VP-Bauernbundpräsident Nationalrat Schwarzenberger Tiertransporte mit schwangeren Frauen vergleicht ..." (die Rednerin stockt kurz – Abg. Haigermoser: Lenken Sie nicht ab! – Abg. Ing. Westenthaler: Was ist jetzt? Haben wir noch schnell das Zitat korrigiert! – weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen), "dann werden Frauen darauf reduziert, um mit den Worten des Tierreiches zu sprechen, ob sie einmal ,geworfen haben‘ oder nicht." (Abg. Ing. Westenthaler: Na alsdann! – Abg. Neudeck: Eine tatsächliche Bestätigung! – Gegenrufe bei der SPÖ.)

Das habe ich dort gesagt, und das hat eine ganz andere Bedeutung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Neudeck: Jetzt seid ihr noch stolz darauf!)

11.33

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister Mag. Haupt. – Bitte, Herr Bundesminister.

11.33

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Das Kinderbetreuungsgeld, welches demnächst hier im Hohen Haus beschlossen werden soll, ist nach Inhalt und Wirkung, glaube ich, durchaus als revolutionär zu bezeichnen. Ich glaube, sehr geehrte Damen und Herren, dass diese Bundesregierung mit dem Kinderbetreuungsgeld tatsächlich einen Schritt setzt, mit dem die Kinder endlich wieder in den Mittelpunkt der Überlegungen in diesem Staat gestellt werden.

Frau Kollegin Prammer! Ich gebe Ihnen nicht Recht, wenn Sie meinen, dass es hier eine Diskriminierung zwischen Frauen, die Kinder bekommen haben, und Frauen, die keine Kinder haben, in dieser Gesellschaft gibt. Aber diese Bundesregierung akzeptiert auf jeden Fall das, was Sie von Seiten der Sozialdemokratie, aber auch die Damen und Herren von Seiten der Grünen immer moniert haben und was auch von Seiten der katholischen Familienverbände, aber auch von der Caritas und von der Evangelischen Diakonie immer behauptet worden ist: dass nämlich die unbezahlte Familienarbeit zu mehr als 80 Prozent von Frauen geleistet, aber nicht honoriert wird.

Mit dieser Regelung gehen wir zum ersten Mal dazu über, die unbezahlte Familienarbeit von Frauen – sowohl von Frauen als auch von Männern – entsprechend zu honorieren und mit Anerkennung durch die Gesellschaft zu versehen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die wichtigste Grundsäule unseres Staates, das Pensionsrecht, und sehr viele Sozialversicherungsleistungen dieses Staates nach dem Generationenprinzip abgesichert sind. In einem Staatswesen, in dem die Geburtenrate ehemals bei 153 000 Geburten pro Jahr gelegen ist und heute die Geburtenrate bei knapp über 78 000 liegt, ist dieser Generationenvertrag in Gefahr.

Gerade auch im Interesse der jungen Menschen in unserem Staate muss es wichtig sein, uns ins Bewusstsein zu rufen, was in sehr vielen Erhebungen bei jungen Menschen zutage kommt: Mehr als 80 Prozent der 15- bis 17-Jährigen, sowohl Mädchen als auch Knaben, in diesem Staate sagen, dass sie sich für ihr weiteres Leben Kinder wünschen. Aber nur ein geringer Teil dieser Menschen erfüllt sich diesen Wunsch ihrer Jugend, wenn sie älter werden. Mehr als die Hälfte erfüllt sich diesen Kinderwunsch nicht, weil der gesellschaftliche Zwang, der Zwang der Arbeitswelt, der Zwang des Einkommens, der Zwang und der Wunsch, an der Gesellschaft teilzuhaben und sich selbst zu verwirklichen, offensichtlich lange so im Vordergrund stehen, dass das, was man sich als junger Mensch für das weitere Leben gewünscht hat, nämlich Kinder zu haben und auch die Kinder in ihrer Erziehungszeit zu begleiten, nicht erfüllbar erscheint.

Ich glaube, dass 9 Milliarden Schilling mehr im Anfangsstadium und 16 Milliarden Schilling mehr im Vollausbau ein guter Grund sein werden, die jungen Menschen in der Zukunft davon überzeugen zu können, dass das, was sie sich wünschen, auch umsetzbar und erfüllbar ist und nicht wie bisher in die Armut führt, sondern durchaus auch die Existenz in jener Phase sichert, in der man sich um die Kinder kümmert und die Kindererziehung bewusst miterlebt.


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Sehr geehrte Damen und Herren! 20 000 österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die heute Kinder haben, Kinder großziehen, werden in Zukunft ab 1.1.2002 in den Genuss des Kindergeldbezuges kommen, wenn ihre Kinder nach dem 1.1.2002 geboren werden. Ich glaube daher, dass das, was von der Sozialdemokratie als Schlagwort hier publiziert worden ist und von Kollegen Öllinger in seinem Versuch einer tatsächlichen Berichtigung hier festgestellt worden ist, für jene Kinder, die nach dem 1.1.2002 in Österreich geboren werden, voll umgesetzt wird.

Für jene Eltern von Kindern, die heute schon auf der Welt sind und für die es einen Karenzgeldanspruch gibt, wird es zusätzlich ab diesem Stichtag die Möglichkeit des Umstiegs auf das Kinderbetreuungsgeld geben. Dadurch wird es mehr Einkommen geben, mehr Möglichkeiten, sich den Kindern zu widmen, und es wird bessere Möglichkeiten für die Frauen geben, den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu schaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren von Seiten der Sozialdemokratie und von den Grünen! Haben Sie es denn schon ganz vergessen, dass bei der derzeitigen Regelung des Karenzgeldbezuges die Einkommensgrenze für den Zuverdienst bei knapp über 4 000 S liegt und dass für sehr viele Frauen der Wiedereinstieg in das Berufsleben nach der Karenzzeit einen lebenslangen Einkommensverlust, und zwar mehr als 18 Prozent, bedeutet, weil die Frauen nicht dazuverdienen dürfen, nicht berufsfähig bleiben, sich nicht weiterqualifizieren können, nicht an den Ausbildungsprogrammen der Betriebe teilnehmen können und sich nicht fortbilden können? Das heißt, sie können das nicht erlangen, was im Fachjargon "volle Arbeitsfähigkeit" heißt, und müssen daher lebenslang Einkommensverluste hinnehmen.

Ich glaube, dass durch die mit dem Kinderbetreuungsgeld verbundenen Neuregelungen gerade jene, die sich der Kinder annehmen wollen – und das sind im Regelfall noch immer die Frauen und leider in einem viel zu geringen Ausmaß die Männer –, entsprechende neue Möglichkeiten der Wiedereingliederung in das Berufsleben geboten bekommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie auch darauf aufmerksam machen, dass die bisherigen 24 Monate Kündigungsschutz selbstverständlich voll aufrecht bleiben und darüber hinaus keiner gehindert wird, sich im Rahmen seiner eigenen betrieblichen Vereinbarungen auch die zusätzlichen Monate abzusichern. Der Gesetzgeber hat aber auch für jene Fälle vorgesorgt, wo Kündigungen von Seiten des Betriebes aufgrund von Wünschen nach längerer Kinderbetreuung ausgesprochen werden, nämlich insofern, als man, wenn man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und Betreuungseinrichtungen beziehungsweise Betreuungsmöglichkeiten im Rahmen der eigenen Familie, der Nachbarschaft oder der Verwandten in Anspruch nehmen kann, selbstverständlich auch das Arbeitslosengeld beziehen und an entsprechenden Schulungen teilnehmen kann.

Ich glaube, dass auch die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktservices für Schulungsmaßnahmen für Frauen erwähnenswert sind. Derzeit haben wir nur knapp über 400 Frauen, die über das Arbeitsmarktservice besondere Schulungen bekommen, weil die Rahmenbedingungen für den Zugang zu solchen speziellen Schulungsmaßnahmen in der Vergangenheit sehr eng gefasst worden sind. Diese Rahmen- und Zugangsbedingungen werden deutlich erweitert und deutlich verbessert. Dann, wenn man für den Arbeitsmarkt verfügbar ist, das heißt, wenn man für die Betreuung der Kinder vorgesorgt hat, und daher die Schulungsmaßnahmen in Anspruch nehmen kann, wird es vom Arbeitsmarktservice für die Frauen eine ganze Reihe von maßgeschneiderten Schulungen, Fortbildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen geben, die jetzt schon konzipiert sind und die jetzt schon laufend erweitert und angeboten werden.

Wir haben das, was in den Studien zur Armut in Österreich nachlesbar ist, nicht, so wie Sie es gesagt haben, Frau Kollegin Prammer, ignoriert, sondern wir haben sehr wohl darauf reagiert und haben das, was für die Beschäftigung der Frauen in der Zukunft in diesem Lande wichtig, aber noch mangelhaft ist, ausgebaut, erweitert und gemeinsam mit dem Kollegen Bartenstein, der für das Arbeitsrecht zuständig ist, verbreitert und verbessert, um den Frauen neue Möglichkeiten der Rückkehr an den Arbeitsplatz, und zwar der Rückkehr mit besseren Konditionen, mit besseren Lohnangeboten und mit besseren Entfaltungsmöglichkeiten, zu geben.


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Ich darf auch darauf hinweisen, dass die Konferenz der Frauenreferentinnen in Salzburg der Meinung war, dass das Audit "Frauen und Beruf" und die Zertifizierungen, die gemeinsam mit der Wirtschaft durchgeführt werden, nämlich die Höherqualifizierung und die Kompetenz, die man während der Familienphase erwirbt, verzichtbar sind. Es hat mich daher besonders gefreut, dass die Familienreferentinnen und -referenten aller Bundesländer in Graz vor 14 Tagen der Meinung waren, dass dieses Audit weitergeführt werden soll und dass darüber hinaus auch noch ein zusätzliches Audit eingeführt werden soll, nämlich "familienfreundliche Gemeinde" und "familienfreundlichen Betriebe", und zwar österreichweit. Im Rahmen dieses Audit sollen Gemeinden und Betriebe, die besonders familienfreundlich sind, ausgezeichnet werden.

Ich glaube, Frau Kollegin Prammer, zu Ihrer Kritik, die Sie immer an mir als dem Frauenminister üben, sollte man zwei Dinge sagen: Wir haben uns alle in Europa entschlossen, im Rahmen von "Gender Mainstreaming" die gemeinsame Entwicklung unserer Gesellschaft partnerschaftlich zwischen beiden Geschlechtern voranzutreiben. Das ist vielleicht der eminente Unterschied zwischen Ihnen, Frau Kollegin Prammer, und mir, zwischen Ihrer Amtszeit und meiner Amtszeit. Ich bin daran interessiert, "Gender Mainstreaming" so, wie es konzipiert ist, so, wie es auf europäischer Ebene auch von allen europäischen Ländern vertreten wird, in meinem Bereich umzusetzen, und ich setze alles daran, den Geschlechterkampf, den Sie offensichtlich betrieben haben, nunmehr zu beenden und das Gemeinsame für unsere Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich bitte Sie auch, Frau Kollegin Prammer, hier im Hohen Hause das endlich zu unterlassen, was ich eigentlich auch als ungehörig empfinde, nämlich hier öffentlich wirksam zu kritisieren, dass die Organisationen ausgehungert und zurückgedrängt werden, die auf Punkt und Beistrich genau die gleiche Förderung erhalten, die sie in jener Zeit, als Sie Frauenministerin waren, erhalten haben. Der "Frauennotruf" erhält genauso 2 Millionen Schilling wie zu Ihrer Zeit. Ich bitte Sie, das endlich zur Kenntnis zu nehmen und das hier auch einmal öffentlich anzuerkennen.

Es ist gut so, wenn der "Frauennotruf" und der "Notruf für Gewalt in der Familie" nunmehr etwas weniger in Anspruch genommen werden, weil das ein Zeichen dafür ist, dass die Bemühungen dieser Bundesregierung, Gewalt in der Familie und Gewalt gegen Kinder einzudämmen, offensichtlich die ersten Früchte tragen. Ich betrachte das von dieser Warte aus und nicht im Hinblick auf die finanzielle Situation, denn die ist die gleiche geblieben, wie sie zu Ihrer Zeit war. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich glaube, sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir uns das gesamte Vorhaben des Kinderbetreuungsgeldes ansehen, wenn wir bedenken, dass es längere Bezugszeiten dafür gibt, und wenn wir auch in Betracht ziehen, dass ab 2003 die restlichen Familienförderungen valorisiert werden, einschließlich – und das war mir auch wichtig – der speziellen Zuwendung für behinderte Kinder, die von ähnlichen Valorisierungseffekten betroffen sein wird und um 100 S ab 2003 erhöht werden wird, dann können wir feststellen, dass wir ein gutes, umfassendes Familienpaket geschnürt haben, das den Frauen, den Familien und den Männern, dass allen Betroffenen mehr finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten geben wird und im Besonderen für die Kinder mehr Zuwendung möglich machen wird, denn es ist unübersehbar, dass der Verweis der Kinder an Betreuungseinrichtungen, an das Fernsehen und an die medialen Angebote in unserer Zeit zu wenig ist.

Zuwendung und Liebe sind noch immer das Wichtigste, das wir brauchen, um die Kinder in unserer Gesellschaft zu Staatsbürgern mit voller Verantwortung heranzubilden, zu erziehen und zu begleiten. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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11.45

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Bures. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie ist das jetzt mit der Gewalt in der Familie? Die eigene Tochter macht mit "NEWS" Interviews, wo sie sagt, dass sie sich vor der Mama fürchtet! Das wird zu Hause genauso sein wie hier am Rednerpult!)

11.45

Abgeordnete Doris Bures (SPÖ): Herr Präsident! Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Ich denke, dass diese Debatte gezeigt hat, was Sie mit den österreichischen Familien vorhaben, dass diese Debatte deutlich macht, dass Ihnen die österreichischen Familien überhaupt nicht am Herzen liegen, sondern ganz im Gegenteil. (Abg. Ing. Westenthaler: Warum beschwert sich Ihre Tochter?)

Kollegin Zierler! Ich denke, Ihr Auftritt, den Sie hier geliefert haben, spricht für sich insofern, als er Sie disqualifiziert. (Abg. Ing. Westenthaler: Sind Sie zu Hause auch so wie hier am Rednerpult?) Ich habe in meiner langen politischen Arbeit erlebt, dass jemand, der so bösartig – auch wie Sie, Herr Westenthaler –, so gehässig, so aggressiv Politik macht, nichts Gutes für die Menschen machen kann. Der macht eine herzlose Politik, wie Sie sie machen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Rutscht Ihnen zu Hause immer die Hand aus? Mir ist noch nie die Hand ausgerutscht! Wie oft schlagen Sie denn so im Schnitt zu?)

Ich finde es schon sehr eigenartig, dass wir heute eine Erklärung vom Herrn Bundeskanzler zum Thema "familienfreundliches Österreich" hier vernommen haben. Vor 48 Stunden haben Sie, Herr Kollege Westenthaler, und Sie, Herr Kollege Khol, einer Gruppe von Menschen in diesem Land ihr Menschenrecht auf Familienzusammenführung abgesprochen. Es warten – ich sage das nur deshalb, weil Sie es tatsächlich berichtigt haben – 12 000 Familien auf eine Familienzusammenführung.

Die Familienzusammenführung ist ein Menschenrecht. Herr Khol! Wenn Sie es mir schon nicht glauben, dass das ein sehr menschenverachtender und ein sehr familienfeindlicher Vorschlag ist, den Blau-Schwarz hier vorgelegt haben (Abg. Ing. Westenthaler: Sie schlagen zu!), dann hoffe ich, dass Sie es wenigstens dem Caritas-Präsidenten Franz Küberl glauben. Es sagt der Caritas-Präsident zu Ihrem Vorschlag Folgendes – Zitat –:

"Bei dem, was die Regierung jetzt vorhat, kann nur ein menschliches Desaster herauskommen. Man zerreißt Familien, obwohl man doch weiß, dass Integration am besten durch Zusammenführung von Familien gelingt." – Zitatende.

Ich schlage der ÖVP und der FPÖ vor, den Begriff "Familienfreundlichkeit" aus ihrem Vokabular zu streichen, weil dieser in Wirklichkeit der Realität widerspricht. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Warum zittern Sie so? – Abg. Ing. Westenthaler: Es rutscht Ihnen gleich wieder die Hand aus!)

Sie haben bei der Maßnahme der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes von einem Meilenstein gesprochen. (Abg. Ing. Westenthaler  – die Hand zum Schlag erhoben –: Wie oft passiert Ihnen denn das?) Wissen Sie, was es in Wirklichkeit ist? – Es ist ein Stolperstein für die Frauen, ein Stolperstein für die Familien, aber ganz und gar kein Meilenstein, bestenfalls ein vermeintlicher. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Können Sie uns einmal sagen, wie oft Ihnen die Hand ausrutscht? Machen Sie den Wink mit der Backhand oder mit der Forehand?)

Dieser Stolperstein, den Sie für die österreichischen Familien vorhaben, negiert nämlich völlig die Bedürfnisse und die berechtigten Anliegen der österreichischen Familien. (Abg. Haigermoser: Sie können gar nicht so laut reden, dass Sie uns ablenken könnten!)

Ich weiß, Sie wollen sich mit den Problemen der Menschen nicht auseinander setzen, Sie wollen gar nicht wissen, was die Familien in Wirklichkeit brauchen, denn Sie wollen ein ideologisches Modell durchsetzen, das aber keine Familie in diesem Land mehr haben möchte. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Wir wollen keine Prügel für Kinder! Wir wollen nicht, dass Kinder geprügelt werden! Das wollen wir nicht!)

Ich kenne die Anliegen der Familien deshalb, weil ich unzählige Gespräche mit ihnen führe, und dies viel ehrlicher und viel aufrichtiger, als Sie das jemals in Ihrem Leben getan haben. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie rutscht Ihnen denn die Hand aus, Frau Kollegin: mit der Backhand oder mit der Forehand?) Wir alle in diesem Hohen Haus müssten doch eigentlich wissen, was die


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österreichischen Familien in Wirklichkeit wollen. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie oft rutscht Ihnen die Hand aus? Ihre arme Tochter!)

Wissen Sie, wann die österreichischen Männer und Frauen uns das das letzte Mal gesagt haben? – Bei einem der erfolgreichsten Volksbegehren, das in diesem Land abgehalten wurden, nämlich beim Frauen-Volksbegehren. 644 665 Männer und Frauen haben ein Volksbegehren eingebracht, in welchem sie klar formuliert haben, was sie brauchen und welche Bedürfnisse sie haben. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie machen Sie es denn: mit der Backhand oder mit der Forehand?)

Ich möchte Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen: Das Frauen-Volksbegehren war Ihnen kein besonderes Anliegen, aber es war das meistunterstützte Volksbegehren in diesem Land. (Abg. Kiss: Wer waren denn die Minister?) Darin fordern die Frauen und die Männer in diesem Land als Hilfe bei der Familienarbeit kein Kinderbetreuungsgeld! (Unruhe im Saal.)

Ich verstehe die Aufregung nicht! Dürfte ich Sie ersuchen, Herr Präsident, ... Ich halte nichts davon, bei diesem Thema eine Bierzeltmentalität einreißen zu lassen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.) Das ist ein zu ernstes Thema, und ich ersuche Sie, über die Anliegen der Menschen in diesem Land nicht so drüberzufahren, wie Sie das in allen anderen Bereichen in den letzten 16 Monaten getan haben. (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Die Frage ist eine andere! Es geht um die Frage: Wie gehen Sie mit Kindern um? Das ist die Frage!)

Bei einem der größten Volksbegehren, das hier im Hohen Haus umgesetzt werden sollte, fordern die Österreicherinnen und Österreicher, dass Beruf und Kinder vereinbar sein müssen, dass Job und Kind vereinbar sein sollen. Das ist die erste Forderung. (Abg. Ing. Westenthaler: Eine andere Frage ist gestellt: Wie gehen Sie persönlich mit Kindern um? Das ist die Frage! Die haben Sie nicht beantwortet!)

Die Österreicherinnen und Österreicher fordern in diesem Volksbegehren zweitens den Ausbau qualifizierter ganztägiger Kinderbetreuungseinrichtungen, um eben Job und Kind vereinbaren zu können. Sie fordern ein Recht auf Teilzeit, familiengerechte Arbeitszeiten, um Job und Kind auch tatsächlich vereinbaren zu können. (Abg. Haigermoser: Schutz vor Gewalt – das ist unser Anliegen! – Abg. Ing. Westenthaler: Schutz vor Gewalt in der Familie – das ist unser Anliegen!) Weiters fordern sie eine Ausweitung des Kündigungsschutzes.

Das sind die Wünsche und Anliegen der Unterzeichner eines Volksbegehrens, mit dem man sich an dieses Hohe Haus gewendet hat. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie oft rutscht Ihnen die Hand zu Hause aus?)

Was Sie tun, ist das Gegenteil. Sie setzen nicht nur diese Forderungen nicht um, sondern Sie machen das Gegenteil.

Punkt eins: Schaffung von ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen. – Hunderttausend Kinderbetreuungsplätze fehlen in diesem Land. (Abg. Haigermoser: Warum haben Sie denn nichts getan?) Was macht die Politik dieser Regierung? – Sie setzt keine Maßnahmen. Bundesministerin Prammer hat eine Kindergartenmilliarde eingeführt. 30 000 Kindergartenplätze konnten dadurch geschaffen werden. Aber das Erste, was Sie gemacht haben, war, das Frauenministerium abzuschaffen und die Kindergartenmilliarde beinhart, eiskalt zu streichen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Das ist ja zum Wiehern, was Sie da aufführen! – Abg. Ing. Westenthaler  – die Hand zum Schlag erhoben –: Schon wieder?)

Das zeigt, dass das, was Sie in der Politik tun, was Sie in diesem Land tun, nichts mit den Problemen der Familien zu tun hat. Sie negieren in Wirklichkeit die Anliegen und die Wünsche der Familien. (Abg. Ing. Westenthaler: Passen Sie auf, dass Ihnen nicht die Hand da draußen ausrutscht! Es könnte das Glas kaputtgehen!)

Es war nicht nur das Frauen-Volksbegehren, das aufgezeigt hat, was die Anliegen und die Wünsche der Familien sind, sondern es gibt eine Reihe von Studien, die das dokumentieren.


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Das Österreichische Institut für Familienforschung – also kein Unbekannter – hält in seinem Ergebnis einer Umfrage, bei welcher die Familien gefragt wurden: Welche Maßnahmen sollte die Politik am ehesten realisieren, womit wäre Ihnen am ehesten geholfen?, fest, dass 37 Prozent der Befragten sagen: Wir brauchen ganz dringend mehr Betreuungsplätze, um Job und Kind vereinbaren zu können!, und dass 41 Prozent der Befragten sagen, es gehe ihnen darum, familienfreundliche Arbeitszeiten zu haben.

In beiden Bereichen – Kindergartenplätze, familienfreundliche Arbeitszeiten – machen Sie das Gegenteil! Sie machen es den Familien schwer, Kind und Job auch tatsächlich vereinbaren zu können. (Beifall bei der SPÖ und des Abg. Öllinger. )

Wir beschäftigen uns in diesem Hohen Haus auch mit Familienberichten, mit Frauenberichten, aus welchen wir genau ersehen können, wie die Situation der Familien und der Frauen ist. (Abg. Ing. Westenthaler  – auf das Lämpchen auf dem Rednerpult zeigend, das bereits leuchtet –: Gott sei Dank ist Ihre Redezeit zu Ende, sonst rutscht Ihnen noch die Hand aus!) Es gibt einen Frauenbericht – den möchte ich auch Ihnen, Herr Kollege Westenthaler, näherbringen (Abg. Ing. Westenthaler: Bitte nicht zu nahe kommen, sonst rutscht Ihnen noch die Hand aus! – Abg. Haigermoser: Abstand wollen wir halten!); damit wollen Sie nichts zu tun haben, das glaube ich Ihnen –, in welchem sozusagen als Resümee steht, dass, würden die Wünsche von Eltern ernst genommen, ein zügiger Ausbau sämtlicher institutioneller Betreuungseinrichtungen geboten wäre.

Sie aber, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, negieren die Wünsche und Anliegen der Familien in Österreich mit Ihrer brutalen und eiskalten Politik. (Beifall bei der SPÖ. – Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Um es Ihnen vor Augen zu führen: Sie führen einen "Stolperstein" ein, der vielleicht für wenige in diesem Land eine kleine Hilfe darstellt, aber für den Großteil bedeutet er weniger Geld. (Abg. Ing. Westenthaler: Sie zittern ja wie Espenlaub! Passen Sie auf, dass Ihnen nicht die Hand ausrutscht!)

Frau Kollegin Zierler! Es war falsch, was Sie gesagt haben. Bis zum 31. Dezember betrug das Karenzgeld 5 643 S, und es gab einen Familienzuschlag in der Höhe von 663 S. Das macht zusammen 6 306 S aus. Aber was machen Sie? (Abg. Ing. Westenthaler: Wir werden die Kinder vor Gewalt schützen!)  – Sie führen ein Kindergeld in der Höhe von 6 000 S ein. Jeder, der rechnen kann, der weiß: Damit haben Sie die Familien wieder geschröpft, sie bekommen nun 306 S monatlich weniger, und das ist für viele Familien auch viel Geld, welches Sie ihnen durch Ihre Maßnahmen wieder weggenommen haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sie verschlechtern die arbeitsrechtlichen Bedingungen. Sie verlängern natürlich nicht den Kündigungsschutz für Frauen, den diese bräuchten, um wieder in ihren Beruf zurückkehren zu können, um im Beruf auch Chancengleichheit vorzufinden. Sie belasten das ganze Lebensumfeld von Familien, angefangen vom Autofahren, das für Familien durch Ihre nun schon 16 Monate währende Belastungspolitik mehr Kosten verursacht, bis zum Wohnen, wo Sie durch Energieabgaben Erhöhungen beschlossen haben und wo Sie durch gesetzliche Maßnahmen auch die Mieten erhöhen wollen. Auch beim Kranksein belasten Sie die Familien. All das sind eigentlich Belastungen für die Familien. (Abg. Ing. Westenthaler: Die Frage ist noch nicht beantwortet: Warum rutscht Ihnen die Hand immer aus?)

Sie stehlen den Jungen Zukunftschancen durch Ihre Einsparungen an den Schulen. (Abg. Ing. Westenthaler  – auf das Lämpchen auf dem Rednerpult zeigend, das bereits leuchtet –: Das Beste, was Ihnen passieren kann: dass das Lamperl leuchtet!) Das alles nur deshalb, weil Sie eine sehr zweifelhafte Ausgabe von 17 Milliarden Schilling beschlossen haben, die niemand will, die an den Interessen der Familien vorbeigeht und die höchst fragwürdig ist. Sie haben den Familien Milliarden weggenommen, um jetzt eine fragwürdige Maßnahmen zu setzen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Schlusswort!)


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Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Das ist eine Politik des kalten Herzen! (Abg. Haigermoser: Na geh! Sie sagen das?! Sie haben das kalte Herz, das steinerne Herz!) Das ist eine unsoziale Politik! Das ist bestenfalls eine Politik der fünfziger Jahre. Wir hingegen stehen für eine frauen-, familien- und kinderfreundliche Politik des 21. Jahrhunderts (Abg. Neudeck: Das habt Ihr 30 Jahre nicht geschafft! Was soll das?!), wo in der Familie die Arbeit partnerschaftlich geleistet wird, wo Job und Kind tatsächlich vereinbar sind, wo es familienfreundliche Arbeitszeiten gibt und wo Familien nicht nach Inländern und Ausländern unterschieden werden, sondern wo es einen sehr offenen und humanen Familienbegriff gibt. (Abg. Ing. Westenthaler: Einen "humanen Familienbegriff", wo Ihnen doch die Hand gegen die eigene Tochter ausrutscht!) Dazu lade ich Sie ein! Doch dafür würden Sie Herz brauchen, aber das haben Sie nicht. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Es ist gut, dass Ihnen jetzt die Hand nicht ausgerutscht ist! Gegen die eigene Tochter ist es ja relativ leicht! – Gegenrufe bei der SPÖ.)

11.56

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Stummvoll. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

11.56

Abgeordneter Dkfm. Dr. Günter Stummvoll (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gestehe ganz offen: Ich habe während der Rede der Frau Kollegin Bures kurz überlegt, ob ich darauf eingehen soll. Ich tue es nicht, denn ich möchte eine Positivrede und keine Negativrede halten, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es ist wirklich erstaunlich, wie man es zusammenbringt, einen Quantensprung in der Familienpolitik derart negativ – und ich hatte den Eindruck, manchmal mit Hass – hier vom Rednerpult aus zu kritisieren. (Abg. Schwemlein: Wissen Sie, was ein Quantensprung ist?) Ich bedauere das, weil ich an sich erfreut bin, Herr Bundeskanzler, dass wir heute die Gelegenheit haben, eine Grundsatzdiskussion über Familienpolitik in diesem Land durchzuführen. Ich freue mich auch deshalb darüber, weil sie die Möglichkeit bietet, auch ein Bekenntnis der Wirtschaft zur Familienpolitik und zum Kinderbetreuungsgeld abzulegen. Die Wirtschaft steht hinter diesem Gesetz, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Schwemlein. )

Herr Kollege! Das können Sie bei Ihrer Mentalität nicht glauben, das weiß ich schon. Wir in der Wirtschaft stehen dazu nicht aus formalen und oberflächlichen Überlegungen, sondern aus einer tief verwurzelten gesellschaftspolitischen Grundeinstellung. (Abg. Schwemlein: Aus den fünfziger Jahren!) Die Wirtschaft weiß genau, Herr Kollege, dass sie nur dann funktioniert, wenn wir eine gesunde Gesellschaft haben, und eine gesunde Gesellschaft ist ohne die intakte Familie nicht denkbar, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das weiß die Wirtschaft sehr genau! (Beifall bei der ÖVP.)

Die intakte Familie ist die kleinste eigenverantwortliche Gemeinschaft. Sie erfüllt elementare Funktionen für den Einzelnen, aber auch für unsere Gesellschaft (Abg. Schwemlein: Was ist die Familie?), und das anerkennt die Wirtschaft. Herr Kollege, Sie verstehen das offensichtlich noch immer nicht! (Abg. Schwemlein: Was ist für Sie Familie?)

Das ist ein Bekenntnis der Wirtschaft! (Abg. Dr. Mertel: Der Wirtschaft?!) Die Wirtschaft bekennt sich auch dazu, dass, um die Familie in ihrem Bestand zu sichern und der Familie die Ausübung ihrer Funktionen zu erleichtern, in der Wirtschaft beträchtliche Mittel erarbeitet werden müssen. (Abg. Schwemlein: Was verstehen Sie unter Familie?) Wir bekennen uns dazu, was wir vor Jahren gesagt haben – und das war ein Konsens aller Parteien hier (Abg. Dr. Mertel: Wer ist die Wirtschaft?)  –, nämlich dass uns die Familie wert ist, dass wir 4,5 Prozent der gesamten Bruttolohn- beziehungsweise -Gehaltssumme der Familie widmen.

Ich gebe gerne zu: Die Verlockung wäre groß gewesen, in der jetzigen Situation, in welcher durch den bedauerlichen Geburtenrückgang Milliarden im Familienlastenausgleich in den nächsten Jahren übrigbleiben, zu sagen: Senken wir auf diese Art die Lohnnebenkosten! Das ist ein altes Anliegen der Wirtschaft: die Senkung der Lohnnebenkosten.


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Wir haben gesagt: Die Lohnnebenkostensenkung ist wichtig, aber die Familie ist uns wichtiger! Das ist unsere Einstellung zur Familie, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Lassen Sie mich Folgendes auch noch sagen: Die Wirtschaft bekennt sich dazu (Abg. Dr. Mertel: Wer ist die Wirtschaft?), dass diese familienpolitische Leistung unabhängig von sozialer und beruflicher Stellung gewährt wird, dass sie auch Hausfrauen, auch Studentinnen und auch Bäuerinnen gewährt wird. Dazu gibt es eine ganz einfache Einstellung, aber ich war entsetzt, als ich die Äußerungen dazu von Frau Prammer und Frau Bures gehört habe.

Die Überlegung ist eine ganz simple, Frau Kollegin – und wenn wir ehrlich sind, wenn es uns wirklich um das Wohl des Kindes geht, frage ich auch Sie –: Was kann das arme, ein paar Wochen alte "Tschapperl" dafür, dass seine Mutter noch keine Versicherungszeiten hatte?! – Das ist zutiefst inhuman und unsozial! Das ist soziale Kälte, Frau Kollegin! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Quasi zu sagen – das muss man auf der Zunge zergehen lassen! –: Dem Baby geschieht schon Recht, wenn die Mutter sich nicht kümmern kann; sie hat ja keine Versicherungszeit gehabt! – so ist Ihre Einstellung –, ist jedenfalls zutiefst unsozial. Und da lachen Sie auch noch, Frau Kollegin! Das ist in Wahrheit Ihre Grundposition! (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Wir bekennen uns zum Wohl des Kindes. Wir freuen uns, dass in Zukunft auch Studentinnen, Hausfrauen und Bäuerinnen in den Genuss dieser familienpolitischen Leistung kommen, und es ist richtig, dafür keine Versicherungsleistung, sondern eine familienpolitische Grundleistung zu haben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: So etwas Kümmerliches ...!)

Selbstverständlich bin ich mir dessen bewusst, meine Damen und Herren, dass die Fassung eines Gesetzesbeschlusses relativ einfach ist – auch wenn Sie von der SPÖ dagegen sind –, dass aber Verhaltensänderungen, Bewusstseinsänderungen kein Gesetzgeber verordnen kann. Ich weiß, dass wir mit diesem Gesetz, das wir noch vor dem Sommer beschließen werden, einen wichtigen Beitrag zu diesem großen Kapitel Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten, weiß aber natürlich auch, dass dabei die Betriebe gefordert sind, mitzumachen. Für jeden Personalchef ist es viel einfacher, einen Arbeitsplatz durch eine Arbeitskraft zu besetzen als durch zwei. Teilzeit durch zwei heißt: doppelter Verwaltungsaufwand, doppelte Personaladministration. Selbstverständlich müssen da auch die Betriebe noch umdenken, gar keine Frage!

Jedenfalls freue ich mich darüber, dass unser Wirtschaftsminister Bartenstein, der ja früher Familienminister war, die Aktion "familienfreundliche Betriebe" ins Leben gerufen hat, denn das bedeutet: höherer gesellschaftlicher Stellenwert, Bewusstseinsbildung für die Betriebe.

Mit diesem Gesetz, das wir noch vor dem Sommer beschließen werden, erleichtern wir vor allem Müttern und Vätern diese Entscheidung. Heute ist doch die Situation die: Berufsverbot während des Bezuges des Karenzgeldes; also die Frage: entweder – oder; entweder Beruf – oder sich um das Kind kümmern.

Aus diesem Entweder-oder wird ein Sowohl-als-auch. Wir wollen damit die Grundlage für beides schaffen, denn in der heutigen Zeit ist beides notwendig. Wir wollen einerseits haben, dass sich Mütter und Väter in den ersten Monaten und Jahren der Erziehung ihrer Kinder widmen können, wollen aber andererseits nicht, dass sie damit ihre Chancen im Arbeitsprozess, in der Arbeitswelt verringern oder gar verlieren, weil sich in der Zwischenzeit die technische Entwicklung im Betrieb, am Arbeitsplatz völlig verändert hat.

Das heißt, wir schaffen damit erstmals die Chance, dass die Eltern entscheiden können, sich stundenweise der Familie zu widmen und stundenweise auch ihrer beruflichen Karriere Rechnung zu tragen – ein Quantensprung, und zwar auch einer im Beziehungsfeld zwischen Familie und Beruf.


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Abschließend, meine Damen und Herren: Wir diskutieren seit vielen, vielen Jahren – ich gebe gerne zu: auch frühere Regierungen haben sich darum bemüht – über die Armutsbekämpfung; die Erfolge waren aber eigentlich eher mäßig. Wir haben immer noch Armut bei Langzeitarbeitslosen oder etwa auch bei kinderreichen Familien, in denen es nur einen Familienerhalter gibt. – Mit diesem Gesetz aber leisten wir einen wesentlichen und substanziellen Beitrag auch zur Bekämpfung der Armut in der Familie. Und auch das, meine Damen und Herren von den Oppositionsparteien, sollte Ihnen zu denken geben, da Sie ja heute signalisiert haben, dass Sie diese Gesetzesvorlage ablehnen werden.

Überlegen Sie sich gut, ob Sie es verantworten können – vor der Zukunft unserer Gesellschaft, vor der Zukunft unserer Kinder! –, einen solchen Gesetzentwurf, der eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft bedeutet, wirklich abzulehnen, ob Sie diesen Quantensprung ablehnen können! Das sage ich gerade auf Grund Ihrer Argumente und angesichts der Tatsache, um welchen Quantensprung in der Familienpolitik es sich dabei handelt. – Wenn ich (in Richtung SPÖ) in Ihre Reihen schaue, dann sehe ich: Sie lächeln immer nur! (Ruf bei der SPÖ: Ja, über Sie!) Für uns ist das bitte ein ganz wichtiges und zentrales gesellschaftspolitisches Thema! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Schwemlein. )

Wir werden auch auf diesem Thema bleiben, meine Damen und Herren, weil für uns die Familie – als Basis einer gesunden Gesellschaft und zur Erfüllung elementarer Funktionen für den Einzelnen und für diese Gesellschaft – einen derart hohen Stellenwert hat, dass wir darüber nicht lachen, sondern ernsthaft die Lösung dieser Probleme in Angriff nehmen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.04

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Öllinger. Ihre Redezeit ist wunschgemäß auf 10 Minuten eingestellt. – Bitte. (Abg. Schwemlein  – in Richtung des Abg. Dr. Stummvoll –: Herr Kollege, wenn Sie jetzt nicht aufgehört hätten, wären mir die Tränen gekommen! – Gegenrufe bei der ÖVP.)

12.05

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! – Auch ich wünsche Ihnen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, persönlich alles Gute zum Geburtstag – beruflich und politisch eher weniger; das gebe ich schon zu. (Rufe bei der ÖVP: Ihre Kinderstube ...!)

Das hängt mit einer Ihrer Aussagen zusammen, Herr Bundeskanzler. Sie haben nämlich davon gesprochen, dass eine zutiefst gesellschaftspolitische Weichenstellung betrieben werde. – Ja, das stimmt. Doch Sie haben diese Weichenstellung mit einem Familienbild verbunden, von dem Herr Abgeordneter Spindelegger sagte, das sei das Leitbild.  – Ein sehr hochgehängtes "Leitbild", eines, das für manche auch zum Leid bild wird. – Das ist das Problem, meine Damen und Herren!

Natürlich, es ist eine sehr gewünschte Lebens- und Familienform: Vater, Mutter, Kind. Das gebe ich zu, nur: Viele scheitern an dieser Lebensform, und viele haben auch nicht die Möglichkeit, diese Lebensform zu leben – und viele wollen sie in dieser Form auch gar nicht leben; es gibt auch andere Familienformen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Herr Bundeskanzler, ich meine, die Aufgabe der Familienpolitik – quer über die Parteigrenzen und quer über das Partei-Hickhack hinweg – wäre es, nicht nur eine bestimmte Familienform zu fördern – das tut mir wirklich weh –, nicht nur diese zu fördern und zu begünstigen, sondern alle Beziehungen, Partnerschaften und familiären Formen zu unterstützen und diese zu ermöglichen. Das, meine Damen und Herren, wäre ein Fortschritt! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es geht nicht nur darum, Vater-Mutter-Kind-Familien zu fördern, sondern es geht auch darum, alle anderen familiären Formen, Partnerschaften und Beziehungen dort, wo der Staat das kann, zu unterstützen. (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Das Ausmaß der staatlichen Familienförderung, das Geld ist nicht entscheidend dafür, wie familienfreundlich, wie kinderfreundlich ein Land ist! Ich gebe zu: Österreich ist da in vielen Punkten sehr weit. Ja, wir haben, wenn man etwa in die Parks in Wien schaut, überall hervorragend ausgebaute Kindergeräte, mit und auf denen man spielen kann. – Mir fällt aber auch das andere Bild ein: die Höfe, die Innenhöfe, in denen man lesen kann: "Spielen verboten!", "Fußball spielen verboten!" – Auch das gehört leider zu unserem Land, und auch das gehört nicht unbedingt zu einem familien- oder kinderfreundlichen Bild.

In diesem Zusammenhang fallen mir auch die neuen Wohnformen ein, die staatlich geförderte Architektur, nach der das Kinderzimmer stets das kleinste Zimmer in einer Wohnung ist. (Abg. Gatterer: Bei uns nicht!) Auch das gehört zu einem "Leitbild", zu einem, das sich über Jahrzehnte – ohne Beirrung und ohne Veränderung! – weitertradiert hat (Abg. Dr. Martin Graf: Waren da die Sozialisten an der Macht?), obwohl wir wissen, dass das nicht unbedingt das Beste ist, sondern dass da mehr Beweglichkeit hineingehört.

Weiters fällt mir ein, meine Damen und Herren, dass wir in Österreich neun, noch dazu unterschiedliche, Landesgesetze haben, mit denen die Kinderbetreuung geregelt wird! Neun unterschiedliche Landesgesetze – so, als ob wir einen Unterschied zwischen einem Kind in Wien, einem Kind in Niederösterreich, einem Kind in Vorarlberg und einem Kind in der Steiermark machen müssten! (Zwischenruf des Abg. Großruck. ) Das kann doch wohl nicht wahr sein, Herr Kollege Großruck!

Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass der Raum, den ein Kind in einem Kindergarten zur Verfügung hat, in Niederösterreich anders definiert wird als im Burgenland, und dass der Raum, den ein Kind in einer Kinderbetreuungseinrichtung zur Verfügung hat (Zwischenrufe bei der ÖVP), teilweise nicht so günstig definiert ist wie jener Raum, den ein "glückliches Huhn" für seine Freilandhaltung braucht. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Allen Ernstes, meine Damen und Herren!

Wenn wir davon sprechen, dass wir ein familienfreundliches, ein kinderfreundliches Österreich haben wollen, dann haben wir uns auch um die Qualität der Kinderbetreuung zu kümmern! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Qualität und Quantität, meine Damen und Herren, heißt, sich auch darüber Gedanken zu machen, und heißt weiters, von politischer Seite her alle Anstrengungen zu unternehmen, damit der im Europavergleich extrem niedrige Anteil an Kinderbetreuungsformen für ein- bis dreijährige Kinder, wo Österreich fast europäisches Schlusslicht ist, endlich erhöht wird, und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, weil es natürlich gute Gründe gibt, warum Eltern ihre Kinder nicht in eine Betreuungsform bringen, von der sie nicht die entsprechende Qualität garantiert wissen, nämlich eine Betreuungsform, in der sich die Betreuungsperson den Kindern nicht wirklich widmen kann! (Abg. Zweytick: Schau dir das einmal bei uns in der Steiermark an! Ich zeige dir das! Das alles gilt für Wien, Karl! Das musst du dazusagen! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Warum wird denn in diesem Bereich gespart?! Wir haben eine hervorragende Ausbildung für Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen, aber jedes Bundesland – egal, ob das Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland oder etwa die Steiermark ist – spart gerade in diesem Bereich, und zwar genau dort, wo es um Kindergartenhelferinnen, wo es um sogenannte Zuarbeit geht. Gespart wird bei der Ausbildung und bei den Qualitätskriterien, aber das sollte nicht sein! Das sollte wirklich nicht sein!

Wir brauchen Qualität und Betreuung in diesem Bereich, und zwar sehr viel mehr! Doch das, meine Damen und Herren, hat nichts mit dem Kinderbetreuungsgeld, sondern mit der Kinderbetreuung zu tun! (Beifall bei den Grünen.)

Zweiter Punkt, meine Damen und Herren: Zeit ist mindestens so wichtig wie Geld. Wo sind denn die sozialen Zeiten, die Partner und Partnerinnen haben, die gemeinsamen Zeiten, die die Beziehung lebbar machen? Welche sozialen Zeiten bleiben denn dann, wenn der eine Partner um diese Zeit, der andere um jene arbeiten muss?! Da findet doch die Kommunikation nur mehr


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über den kleinen Pin-Zettel, den man am Kühlschrank anheftet, statt! Das ist doch auch ein Punkt, über den wir uns unterhalten sollten, Herr Stummvoll, und zu dem auch die Wirtschaft ihren Beitrag leisten kann, ja leisten muss!

Mir fällt da der schweizerischer Arbeitgeberpräsident ein, der sich vor kurzem dazu bekannt hat, dass die schweizerische Wirtschaft anders vorgehen muss, um den Frauen die Möglichkeit zu geben, vollberechtigt in der Wirtschaft, an der Arbeit teilzunehmen. Ich betone: vollberechtigt! Er hat auch zugegeben: Wir haben da enorme Fehler gemacht.

Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege Stummvoll, dass auch von Ihrer Seite einmal ein Bekenntnis dazu käme, dass da vieles geändert werden müsste, anstatt zu sagen, dass Sie von der Wirtschaft, indem Sie Geld zur Verfügung stellen, ohnehin alles geleistet haben!

Es braucht das Recht auf Teilzeitarbeit, und diese Frage stelle ich auch: Warum nicht auch das Recht auf Familienurlaubszeiten? Das Recht auf Pflegefreistellung sollte, ja müsste erweitert werden, auch beispielsweise in Richtung homosexueller Partnerschaften. (Die Abgeordneten Mag. Lunacek und Dr. Glawischnig erheben sich von ihren Plätzen und halten für längere Zeit eine große "Regenbogen-Fahne" über ihre Bankreihe gespannt. – Rufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen: Was soll dieser Aktionismus wieder?)

Warum, meine Damen und Herren, sollen homosexuelle Menschen nicht auch Familien gründen können? Warum sollen homosexuelle Menschen nicht auch Beziehungen eingehen können, die vom Staat unterstützt werden – "unterstützt" wenigstens in dem Sinne, dass sie nicht kriminalisiert werden, unterstützt in dem Sinn, dass etwa das Recht auf Pflegefreistellung auch für diese Lebensform gewährt wird?! (Beifall bei den Grünen. – Die Abgeordneten Mag. Lunacek und Dr. Glawischnig halten weiterhin die "Regenbogen-Fahne" über ihre Bankreihe gespannt.)

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Lunacek, Öllinger, Freundinnen und Freunde betreffend Änderung des Urlaubsrechtes

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine gesetzliche Neuregelung des Urlaubsrechts wie folgt vorzulegen:

In § 16 Abs. 1 letzter Satz ist vor dem Wort "Lebensgemeinschaft" der Ausdruck "verschieden- oder gleichgeschlechtliche" einzusetzen.

*****

Meine Damen und Herren! Partnerschaften sind vielfältig, Familien sind vielfältig. Das ist nicht reduzierbar auf Vater-Mutter-Kind! Es gibt Alleinerziehende, es gibt homosexuelle Partnerschaften, es gibt "Patch-work-Familien", Familien also, wo sich die Partner getrennt haben, die aber selbstverständlich auch ein Recht darauf haben, diese Beziehungen noch zu leben, wenn sie sie leben wollen und leben können. (Beifall bei den Grünen.)

In all diesen Fällen muss sich der Staat überlegen, diese Partnerschaften zu ermöglichen, sie zu unterstützen – bei all ihren Schwierigkeiten. Das ist die Anforderung an ein familienfreundliches Österreich. Dieser Begriff ist etwas weiter gespannt als diese Ihre enge – wirklich enge! – Vorstellung, unter der sich eine Familie zu entwickeln hat. An dieser Enge leiden wir in diesem Lande, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! An dieser Enge zerbrechen Partnerschaften, weil ihr "Leitbild" so hochgestellt ist, dass es viele nicht erreichen können! (Anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Wir sollten alles tun, damit wir, und zwar über Parteigrenzen hinweg, an einem etwas moderneren Bild von Familie, Partnerschaft und Beziehung arbeiten und uns als Gesetzgeber die Aufgabe stellen, wie wir das unterstützen können.

Meine Damen und Herren! Das sind oft Kleinigkeiten; ich habe beispielsweise die Architekturfrage erwähnt. – Und das, was ich verlangt habe, gilt auch für behinderte Familien: Auch dort braucht es Stützmaßnahmen. Das alles sind Details, die sich nicht mit einem "großen Wurf", den Sie vielleicht zu machen glauben, erledigen lassen. Es braucht viel mehr, um Familie, um Partnerschaft, um Beziehung leben zu können – und das sei Ihnen auch in dieser Debatte gesagt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.15

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Der soeben verlesene Entschließungsantrag der Abgeordneten Lunacek, Öllinger, Freundinnen und Freunde ist ausreichend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Haller. Redezeit: ebenfalls 10 Minuten. – Bitte.

12.16

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Ich hatte über Pfingsten Zeit, in einem Büchlein zu lesen, das mir zu Weihnachten geschenkt wurde, und das heißt "Ausgewählte chinesische Wahrheiten". Darin habe ich einen Spruch gefunden, der, wie ich finde, sehr gut zu dieser heutigen Debatte passt: "Gute Taten werden draußen nicht bekannt; böse Taten kennt man tausend Li im Umkreis." – "Li" bedeutet Meilen.

So läuft es doch bei dieser Debatte um das Kinderbetreuungsgeld: Es darf einfach nicht gut sein, was nicht gut sein kann. Oder umgekehrt: Es kann nicht gut sein, was nicht gut sein darf. Seitens der Opposition wird jedenfalls alles unternommen, um das so darzustellen, etwa von Frau Petrovic, die versucht, "sachliche Argumenten" ins Treffen zu führen, die aber in Wahrheit an den Haaren herbeigezogen sind.

Bei Herrn Kollegen Öllinger kommt es schon etwas klarer heraus: Er will Familienfreundlichkeit für Homosexuelle – vielleicht sogar das Kinderbetreuungsgeld für Homosexuelle. – Da tun wir Freiheitlichen natürlich nicht mit! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Frau Kollegin Prammer hat ja überhaupt den "Vogel" abgeschossen; so viel Unsinn in einer einzigen Rede habe ich bisher noch nie gehört! Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Als Ministerin habe ich Sie noch ernst genommen – jetzt kann ich das nicht mehr! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Mag. Prammer: Die Wahrheit tut Ihnen weh! Das wollen Sie nicht hören ...!)

Ein weiteres Beispiel – heute ist das ja bereits angeklungen –: das Sorgerecht für beide Elternteile. Auch da wurde seitens der Opposition dagegen gewettert, gezetert, und auch dabei hat es sich um eine neue gesellschaftspolitische Weichenstellung gehandelt, um eine gesellschaftspolitische Weichenstellung in einem Bereich, in dem Österreich absolutes Schlusslicht im europäischen Vergleich war!

Auch da hat es seitens der Opposition nur Kritik gegeben, und zwar derart unsachliche Kritik, dass sogar die drei deutschen Experten, die bei einem diesbezüglichen Hearing dabei waren und die uns bei Informationsveranstaltungen des Freiheitlichen Familienverbandes unterstützt haben, gesagt haben – und zwar alle drei unisono –, dass sie die Kritik der österreichischen Opposition nicht verstehen, denn dieses von der Opposition kritisierte österreichische Gesetz sei weitaus besser als das deutsche, in Deutschland habe man ja schon diesbezüglich Erfahrung. Das hat unter anderem Herr Professor Proksch gesagt, ein Wissenschaftler, der die begleitenden Studien zu diesem deutschen Gesetz macht.


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Genauso – das kann ich Ihnen schon heute prophezeien – wird es Ihnen auch mit dem Kinderbetreuungsgeld gehen, denn dieses Kinderbetreuungsgeld ist und bleibt – dagegen können Sie von der Opposition sagen, was Sie wollen – eine europaweit vorbildhafte und mutige Familienleistung! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Diese Familienleistung ist auch absolut logisch von ihrem Ansatz her, aber nicht nur, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wird, nicht nur, weil die Kinderbetreuung finanziell abgegolten wird, sondern auch deshalb, weil man ja in der Politik generell den Weg geht: weg von der Objektförderung – hin zur Subjektförderung! Und das Kinderbetreuungsgeld stellt eine Investition in und für unsere Kinder dar. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Aber was will die Opposition? – Die Opposition will weiter wie bisher, altmodisch wie bisher, in Institutionen investieren. – Das finden Sie richtig?!

Da spricht Frau Kollegin Prammer von einem alten Familienbild! – Sie, Frau Kollegin, haben dieses alte Familienbild.

Sie waren es doch auch immer, die soziale Staffelungen bei Transferleistungen gefordert hat. – Nun haben wir eine soziale Staffelung beim Kinderbetreuungsgeld eingeführt, und das ist Ihnen auch wieder nicht recht. (Zwischenruf der Abg. Mag. Prammer. ) Ihnen kann man anscheinend gar nichts recht machen.

Wir bekennen uns zu dieser Leistung, die den österreichischen Steuerzahler, nicht den österreichischen Staat, sehr viel Geld kosten wird. Aber ich glaube, bei der Wertschätzung, die die österreichische Familienpolitik insgesamt genießt, ist es dem österreichischen Steuerzahler das auch wert.

Es hat mich persönlich, die ich in den letzten zehn Jahren immer die Kontroverse Wirtschaft kontra Familienpolitik mit verfolgt habe, sehr gefreut, dass man sich auch von Seiten der Wirtschaft zu dieser neuen, großartigen Familienleistung bekennt, und das bei den schmalen Kassen, die uns die SPÖ hinterlassen hat. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich möchte nicht wieder auf Details eingehen, es ist heute schon sehr viel erklärt worden, und man sollte so eine Maßnahme auch nicht mit kleinen Details zerreden. Aber eines ist schon zu sagen: Familienleistungen sind doch insgesamt Leistungen oder Beiträge zum Generationenvertrag. Das heißt, dass in diesen Generationenvertrag diejenigen einzahlen, die später einmal davon profitieren werden, oder eben auch umgekehrt.

Deshalb war es uns Freiheitlichen bei unserem Modell des Kinderbetreuungsschecks, der ja wohl unwidersprochen an der Wiege dieses Kinderbetreuungsgeldes gestanden ist, eigentlich immer wichtig, dass wir nicht Ausländer mit einbeziehen, die nicht zum österreichischen Bruttosozialprodukt, zum österreichischen Bruttonationalprodukt beitragen. Wir haben uns mit der ÖVP, wie ich meine, auf eine gute Lösung geeinigt, nämlich dass wir unsere Leistung des Kinderbetreuungsgeldes an die Anspruchsvoraussetzungen der Familienbeihilfe koppeln. Das ist eine alte Regelung, und dagegen hatte die Opposition früher nie etwas.– Jetzt auf einmal heißt es, es wäre zu wenig.

Ich finde sogar, dass man gerade im Bereich der Ausländer eine sehr großzügige Regelung geschaffen hat, eine Ausnahmeregelung für diejenigen Ausländer, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, die sich aber im Bereich des Karenzgeldes einen Anspruch erworben hätten. Diese werden in Zukunft ebenfalls das Kinderbetreuungsgeld erhalten. Also ich verstehe Ihre Argumente wirklich nicht mehr.

Ich kann das nur als vereinigtes Gezeter der Opposition deklarieren und werten. Aber dieses vereinigte Gezeter – das versichere ich Ihnen – wird dann verstummen, wenn die ersten österreichischen Frauen und Männer in den Genuss dieser guten neuen Familienleistung kommen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

12.24


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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn:
Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Mertel. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte, Frau Abgeordnete.

12.24

Abgeordnete Dr. Ilse Mertel (SPÖ): Hohes Haus! Seit zweieinhalb Stunden hören wir die Erklärungen zum familienfreundlichen Österreich. (Zwischenruf des Abg. Auer. ) Meiner Meinung nach gehört schon eine riesige Portion Anmaßung dazu, eine derartige Selbstbeweihräucherung durchzuführen.

Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzler! Worauf sind Sie denn eigentlich stolz? (Abg. Neudeck: Jetzt haben Sie es zwei Stunden gehört und noch immer nicht kapiert!) 16 Monate lang sind Sie im Amt, und seit 16 Monaten kassieren Sie bei den Menschen, bei den Familien in Österreich ab. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht in Wirklichkeit um eine massive Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerhaushalte. Sie täuschen die Menschen, aber darin sind Sie wahre Meister. Deshalb wenden Sie auch so viele Millionen, Hunderte von Millionen für Ihre Regierungspropaganda auf. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie stellen sich her und preisen landauf, landab dieses Kinderbetreuungsgeld, mit dem Österreich plötzlich familienfreundlicher werden soll, während Sie, seit Sie im Amt sind, den Familien das Geld aus der Tasche ziehen: den Arbeitnehmern, den Arbeitnehmerinnen, den Kranken, den älteren Menschen und vor allem der Jugend – das ist die größte Sünde, die Sie begehen –, denn Sie kürzen bei den Ausgaben für die Bildung. 40 Milliarden Schilling haben Sie auf diese Art und Weise eingetrieben. Schritt für Schritt, Schlag auf Schlag haben Sie Belastungen erfunden: die Unfallrentenbesteuerung, die Erhöhung der Ambulanzgebühren und Rezeptgebühren, die Streichung der Mitversicherung und so weiter und so fort. Sie haben also das Geld zusammengekratzt.

Im Jahre 2002 – wir dürfen ja nicht vergessen, dass 2003 ein Wahljahr ist! – wollen Sie dann beginnen, Geld zu verteilen, und zwar undifferenziert, ohne soziale Überlegungen, nach dem Gießkannenprinzip, und Sie rechnen dabei mit der Vergesslichkeit der Bürger und Bürgerinnen. Sie sagen, das Zeitalter der Familien bricht jetzt an, weil Blau-Schwarz ihre Ideologie durchsetzen.

Frau Haller, weil Sie so viel zitiert haben und von der Zustimmung des Katholischen Familienverbandes gesprochen haben, erinnere ich Sie daran, welche Worte die Katholische Aktion für Ihre familienpolitische Idee gefunden hat. "Eingeleitete Fehlgeburt" hat die Katholische Aktion das genannt.

Die Vizekanzlerin hat gesagt, dass der Stellenwert der Familie bis jetzt gering gewesen sei. – Frau Vizekanzlerin! Die Sozialdemokratie hat jahrzehntelang eine arbeitnehmerorientierte Familienpolitik verfolgt und sie auch umgesetzt. Die Sozialdemokratie, die Gewerkschafter, die Arbeiterkammer waren es, die für ein Karenzgeld gekämpft haben und es auch erreicht haben, für Karenzzeit gekämpft haben und sie erreicht haben, auch das Wochengeld und die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder und Angehörige. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Sozialdemokraten haben in der Alleinregierung und auch danach, denn die ÖVP war ja bekanntlich "nicht dabei", ein international vorbildliches Familienförderungssystem aufgebaut. Doch Sie haben die Stirn, Sie haben die Arroganz, Herr Bundeskanzler – Sie waren ja "nie dabei" –, sich hier herzustellen und zu sagen: Erst durch die blau-schwarze Koalition wird Österreich familienfreundlich, bricht das Zeitalter der Familie aus. (Abg. Haller: Sie haben das Karenzgeld um ein halbes Jahr gekürzt!)

Sozialdemokratische Bundeskanzler, sozialdemokratische Familienminister haben den Stellenwert dieser Familienpolitik bestimmt. (Beifall bei der SPÖ.) 340 Milliarden Schilling wurden in Österreich für Familienleistungen ausgegeben. Das steht im Familienbericht. 17 Milliarden


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Schilling wollen Sie jetzt ausgeben, und zwar handelt es sich dabei um Mittel des Familienlastenausgleichsfonds. Frau Haller, das sind keine Steuerleistungen, nein, das ist nicht so, wie Sie es darstellen. Nur wie Sie das leisten werden, das weiß ich nicht.

Der FLAF wird in Finanzierungsschwierigkeiten kommen, denn bereits 2003 wird er 0,7 Milliarden Schilling Minus haben, aufgewogen durch ein Vermögen von 2 Milliarden, aber davon kommt die versprochene Erhöhung der Familienbeihilfe von 1,8 Milliarden Schilling weg. Wir werden also bereits Anfang 2004 ein Minus im FLAF haben.

Aber das ist Ihnen ja egal, denn es geht Ihnen ja nur um das Wahljahr 2003. Was danach kommt, wie und wer etwas finanzieren wird, ist Ihnen offenbar gleichgültig. Tatsache ist, dass es die Familien bezahlen werden. Aber das sagen Sie ja der Öffentlichkeit nicht.

Sie haben bei Ihrem Projekt Kinderbetreuungsgeld die Alleinerzieherinnen vergessen, ignoriert, im Regen stehen gelassen. Sie fördern den Berufsausstieg der Frauen und begünstigen lange Berufsunterbrechungen. Sie kürzen im Jahre 2002 die Budgetmittel für Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen um 19 Milliarden und schaffen die Wiedereinstiegsbeihilfen ab.

Jetzt hat Herr Khol, und zwar vor zwei Tagen, am 5. Juni 2001, gesagt: Wir müssen die Frauenerwerbsquote erhöhen. – Auf der einen Seite stehen also die Worte, und auf der anderen Seite die Handlungen, die eine ganz andere Sprache sprechen. Das nenne ich zumindest puren Zynismus! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben Ihren Etikettenschwindel auf die Spitze getrieben. Das, was Sie Anfang Juli beschließen werden, das Kinderbetreuungsgeld, ist kein Armutsbekämpfungsprogramm, denn Tatsache ist, dass Jungfamilien, einkommensschwache Familien, Mehrkinderfamilien durch Leistungskürzungen benachteiligt werden, dass der arbeitsrechtliche Schutz mangelhaft ist und die partnerschaftliche Teilung der Familienpflichten erschwert wird. Das ist kein Beitrag zu einem familienfreundlichen Österreich. Das, meine Damen und Herren, ist der Weg in ein familienfeindliches Österreich! (Beifall bei der SPÖ.)

12.31

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizekanzler Dr. Riess-Passer. – Bitte.

12.31

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Frau Abgeordnete Mertel! Zu Ihren Ausführungen muss ich sagen: Sie haben diese Rede, die Sie heute hier gehalten haben, eigentlich zwei Jahre zu spät gehalten. Sie hätten sie innerhalb der Periode von 30 Jahren sozialistischer Regierungen halten müssen. Wenn Sie sich hier an dieses Rednerpult begeben und behaupten, ernsthaft behaupten, dass die Tatsache, dass das Kindergeld eingeführt wird, dass die Anspruchsdauer von 18 auf 36 Monate erhöht wird (Abg. Dr. Mertel: Kündigungsschutz!), dass der Betrag des Kindergeldes erhöht wird, dass die Zuverdienstgrenze mehr als vervierfacht wird, dass sichergestellt wird, dass alle Frauen, die bisher keine Chance gehabt haben, ein Karenzgeld zu bekommen, jetzt dieses Kindergeld bekommen, was insgesamt bedeutet, dass 9 Milliarden Schilling mehr für die Familien in diesem Lande ausgegeben werden, ein Nachteil für die Familien wäre, dann muss ich sagen: Das ist eine Rechnung, die außer Ihnen in diesem Land kein Mensch nachvollziehen kann, Frau Abgeordnete Mertel. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Diese Ausführungen wurden ausgerechnet von der Rednerin einer Fraktion gemacht, die in der letzten Legislaturperiode das Karenzgeld nicht nur in der Dauer, sondern auch in der Höhe gekürzt hat. Frau Kollegin Mertel, damals hätte ich mir halt auch gewünscht, dass Sie etwas dazu sagen. Sie haben die Dauer des Karenzgeldes gekürzt, Sie haben die Höhe des Karenzgeldes gekürzt, und Sie haben sogar das Behindertentaschengeld gekürzt, nicht einmal davor sind Sie zurückgeschreckt.


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Wenn Sie sich nun hier herstellen und sagen, dass 9 Milliarden Schilling mehr für die Familien in diesem Land ein Nachteil seien, dann muss ich Ihnen sagen: Da erübrigt sich eigentlich jeder weitere Kommentar. Aber es geht ja nicht darum, dass wir jemanden überzeugen müssen, sondern die Familien in diesem Land, die Eltern, die Frauen, die Mütter und Väter dieses Landes werden ab 1.1.2002 sehen und spüren, was der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Familienpolitik ist, und zwar in ihrer Brieftasche. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich bin auch sehr dankbar für die Klarstellung durch Frau Abgeordnete Prammer, die hier bestätigt hat, dass sie die Aussage "Frauen, die einmal geworfen haben" gemacht und damit die Mütter dieses Landes gemeint hat. (Abg. Edler: Unerhört! – Abg. Huber: Was ist denn das für ein Niveau?) Ich muss Ihnen sagen – Sie können das nachlesen, das ist auch nie entgegnet worden; in einem Artikel im "Kurier" vom 8. April findet sich unter der Überschrift "Kinder werfen" der Satz: "Frauen, die irgendwann einmal geworfen haben" –, Frau Kollegin Prammer, so etwas hat mit Humor nicht das Geringste zu tun, sondern das hat sehr viel mit der sozialen Kälte zu tun, die Sie hier anprangern. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, den Frau Abgeordnete Petrovic eingebracht hat. Sie hat nämlich gesagt, wir sollen einen Blick über die Grenzen werfen. Ich meine, es ist auch gut, wenn wir das tun. Der Blick über die Grenzen wird uns nämlich zeigen, dass Österreich innerhalb der Europäischen Union absoluter Spitzenreiter bei der Familienförderung ist. Wir sind auch sehr stolz darauf und bekennen uns zu dieser Politik. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wenn Sie nämlich einen Vergleich mit anderen europäischen Staaten anstellen, dann werden Sie feststellen, dass zum Beispiel in Frankreich Familienbeihilfe überhaupt erst ab dem zweiten Kind bezahlt wird, dass es eine Karenzzeit gibt, einen Mutterschutz sechs Wochen vor und zehn Wochen nach der Geburt, aber nicht mehr, dass es in Italien einen Mutterschutz zwei Wochen vor und drei Wochen nach der Geburt und sechs Monate Karenzgeld gibt, dass in Großbritannien die Mutterkarenz jetzt von 18 auf 26 Wochen angehoben wurde, dass es in Schweden 18 Monate bezahlte Karenz gibt, in Dänemark sechs Monate und in Belgien sechs Monate. In Österreich haben wir drei Jahre Kindergeld für Mütter und Väter in diesem Land, Wahlfreiheit und alles andere als ein Berufsverbot, was von Ihnen behauptet wurde.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir schaffen im Gegensatz zu bisher, wo man ja nicht mehr als 4 000 S während des Karenzgeldbezuges dazuverdienen durfte, für Frauen die Möglichkeit, den Kontakt zum Beruf, den Kontakt zum Betrieb nicht zu verlieren, und somit eine Vereinbarkeit in diesem Bereich. Ich finde es ein bisschen verwegen, dass Sie die Tatsache, dass die Zuverdienstgrenze mehr als vervierfacht wurde, jetzt als Nachteil für die Frauen hinstellen. Ich würde meinen, hätte man diesen Weg schon sehr viel früher beschritten, hätten Sie das schon vor Jahren getan, dann hätten wir heute eine wesentlich bessere Situation für die Frauen in diesem Lande. Wir werden das jetzt schaffen. Frauen werden in Hinkunft nicht mehr vorgeschrieben bekommen, von keiner Regierung, wie auch immer sie zusammengesetzt ist, was sie zu tun haben, sondern sie werden es selbst frei entscheiden können, und wir schaffen ihnen die Rahmenbedingungen dafür. (Abg. Mag. Prammer: Das schauen wir uns an! – Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

12.36

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steibl. Die Uhr ist wunschgemäß auf 6 Minuten eingestellt. – Bitte. (Abg. Schwemlein: Beginnen Sie die Rede mit "hochverehrtes Jubelpaar"! – Heiterkeit.)

12.36

Abgeordnete Ridi Steibl (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Hohes Haus! Die Erziehung und Betreuung von Kindern ist eine unverzichtbare Leistung der Eltern für die gesamte Gesellschaft. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Daher ist das kommende Kinderbetreuungsgeld goldrichtig für unsere Familien in Österreich. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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Die Reden, die die Abgeordneten Prammer, Bures und Mertel seitens der SPÖ gehalten haben, waren Reden für SPÖ-Funktionäre, nicht für die Mütter und Väter in unserem Land, nicht für unsere Familien! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich glaube, dass die Fernsehzuschauer und -zuschauerinnen diese hasserfüllten Reden nicht verstanden haben, weil sie nicht begreifen können, dass den Sozialdemokraten das Kinderbetreuungsgeld für alle – für alle Mütter und Väter in Österreich – anscheinend zu teuer kommt.

Ich denke auch, dass die SPÖ kein positives Familienbild hat, und das zeigt sich ja auch immer wieder an Aktionen. Anstelle des Muttertags haben Sie zum Beispiel den "Rabenmuttertag 2001" ausgerufen. Dies allein zeigt schon, in welche Richtung die Sozialdemokraten gehen.

Ich möchte aber auch ein Danke an Frau Kollegin Petrovic für die grundsätzliche Zustimmung zu diesem kommenden Kinderbetreuungsgeldgesetz sagen. Ich möchte anmerken oder richtigstellen, dass es sehr wohl eine Abfederung in Bezug auf den Kinderbetreuungsgeldbezug für Ausländerinnen gibt. Beim Ablauf ihrer Beschäftigungsbewilligung soll nämlich mittels Ablaufhemmnis die Arbeitserlaubnis aufrecht bleiben.

Ich möchte nun noch einmal auf das zurückzukommen, was Bundeskanzler Schüssel am Beginn dieser Debatte erklärt hat. Durch das Kinderbetreuungsgeld werden insgesamt 50 000 Familien, darunter 15 000 neue, ab dem Jahr 2002 zusätzlich gefördert. Ich zitiere auch Frau Professor Dyk von der Uni Linz, die meint, zur Gestaltung einer modernen Frauen- und Familienpolitik gehören zuerst Mütter und Kinder zufriedengestellt. Ich denke, dieser Satz von Irene Dyk ist in diesem Zusammenhang auch goldrichtig.

Wenn Bundeskanzler Schüssel meint, wir wollen Österreich als familien- und kinderfreundliches Land zum Vorzeigeland machen und 80 000 S mehr pro neugeborenem Kind auszahlen, dann muss ich sagen: Es bestätigen ja auch die Experten, auf welch richtigem Weg wir sind. Ich muss noch einmal Caritas-Präsident Küberl zitieren, diesmal in einer positiven Weise. Er hat gesagt: Das Kinderbetreuungsgeld ist der richtige Weg in Richtung Armutsbekämpfung. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich möchte auch anmerken, dass die Kinderbetreuungszeit auch als Zeit für Weiterbildung gedacht ist. Das Arbeitsmarktservice ist angehalten – und die Mitarbeiter tun das auch –, Qualifizierungsmaßnahmen schwerpunktmäßig auf Kindergeldbezieherinnen auszudehnen, und es wird dafür über eine Milliarde in der nächsten Zeit auch noch zur Verfügung gestellt.

Ich muss noch einmal Bundeskanzler Schüssel zitieren, weil er einen sehr schönen Satz gesagt hat: "Kinder bringen eine buntere, fröhlichere Gesellschaft." – Ja, damit ist es auf den Punkt gebracht! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Leider ist den SPÖ-Abgeordneten hier die Fröhlichkeit vergangen, wohl weil sie wissen, dass sie eigentlich auf dem Holzweg sind. (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Auch im Bereich Gewalt, Gewalt in der Familie, werden wir Maßnahmen setzen, werden wir etwas weiterbringen, und das wird ein wichtiger Schwerpunkt für die ÖVP sein. Ein wichtiger Schwerpunkt wird aber auch die Partner- und Elternbildung sein. Ziel ist eine Sensibilisierung und Stärkung der Elternkompetenz, denn in Zukunft geht es weniger um die Idealisierung, sondern vor allem um die konkrete Alltagsbewältigung. – Das brauchen unsere Menschen, unsere Mütter und Väter vor Ort (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen), und dazu gehört natürlich auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Meine Damen und Herren! Die Gesetze sind vorhanden, und es funktioniert ja auch zum Großteil. Das zeigen zum Beispiel auch die Wettbewerbe der frauen- und familienfreundlichsten Betriebe, bei denen Arbeitgeber eindrucksvoll zeigen, welche betrieblichen Maßnahmen sie setzen, damit es eine Harmonisierung von Beruf und Familie vor Ort gibt.

Wir von der ÖVP sehen Familienpolitik als Quer- und Längsschnittaufgabe. Die Förderung der Familie ist in einer solidarischen Gesellschaft unumgänglich. Das Kinderbetreuungsgeld ist ein


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72. Sitzung / Seite 69

wichtiger Schritt, ein wichtiger Beitrag dazu, und Sie können sicher sein, viele weitere werden folgen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

12.42

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Lunacek zu Wort gemeldet. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte.

12.42

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn kurz auf eine Anmerkung eingehen, die die Frau Vizekanzlerin gemacht hat.

Frau Vizekanzlerin, Sie haben gesagt, dass Österreich, auch über seine Grenzen hinaus betrachtet, ein Vorreiter in der Familienförderung ist. Das stimmt sehr wohl, aber das heißt noch lange nicht, dass diese Familienförderung dazu beiträgt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Das tut sie nämlich nicht! (Beifall bei den Grünen.)

Wenn Sie beispielgebend hätten sein wollen, dann hätten Sie sich vielleicht ein Beispiel an Schweden nehmen sollen, das Sie ja auch zitiert haben. Dort ist nämlich für den Partner, meist ist dies der Mann, ein Monat – mir wäre das noch immer zu wenig, aber immerhin – Zeit beim Kind verpflichtend!  So etwas trägt zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei! Das wäre eine Möglichkeit gewesen, beides besser zu vereinen, aber diese Möglichkeit haben Sie verpasst. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Sie werden doch nicht Zwangsmaßnahmen befürworten, Frau Kollegin!)

Herr Bundeskanzler! Sie haben in Ihrer Erklärung gesagt, und Sie waren auch sehr stolz darauf, Österreich sei mit diesem neuen Gesetz, das heute beschlossen wird, ein Vorzeigeland in der Familienpolitik. – Da frage ich mich nur, wie es dann dazu kommt, dass die ersten beiden Redner Ihrer Fraktion, der ÖVP, heute zwei Männer waren. Erst der dritte Redebeitrag kam von einer Frau. Ich darf wohl annehmen, dass es hier innerhalb der ÖVP sehr viele Frauen gab, die mit diesem Modell nicht einverstanden waren. Hier ist – und das ist auch meine Ansicht – die ÖVP offenbar in Geiselhaft des FPÖ-Kinderschecks. – Das ist es, was Sie hier getan haben! (Abg. Dr. Trinkl: Ach Gott! Karenzgeld für alle, das haben wir jetzt!)

Das ist kein Meilenstein, das ist ein Stolperstein! Herr Bundeskanzler! Wenn Sie sagen, man müsse etwas gegen die Unterväterung tun, weil zu wenig Väter in den Familien sind, dann stimme ich Ihnen sehr wohl zu. Aber ich betone: Dieses Ziel werden Sie mit diesem Modell keineswegs erreichen! (Beifall bei den Grünen.)

Sie haben auch gesagt, der Mensch solle im Zentrum stehen, Mütter, Kinder und Väter seien gleichwertig. – Das klingt ja alles sehr gut. Sie haben uns aber nicht gesagt, welchen Familienbegriff Sie genau meinen. Das haben Sie nie erklärt, und auch die anderen Rednerinnen und Redner nicht. Ich muss daher annehmen, dass Sie hier einen sehr altmodischen Familienbegriff meinen, einen, der auf die Realität in Österreich heute nicht mehr zutrifft, und zwar die klassische Kleinfamilie: Vater, Mutter, ein Kind, zwei oder auch mehrere Kinder, und bitte verheiratet, wenn es geht.

Das ist ein Familienmodell aus den fünfziger Jahren! (Abg. Dr. Trinkl: Das hat sich Tausende Jahre bewährt! So ist es nicht! – Abg. Schwarzenberger: Das ist noch immer die Regel!) Das trifft heute für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr das ganze Leben lang zu! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Sie müssen einmal anerkennen, dass Familie heute viel mehr heißt. Unter Familie versteht man sowohl die Kleinfamilie – diese gibt es, das ist schon klar, aber nicht mehrheitlich – als auch andere familiäre Gruppen. Mit einem bestimmten Begriff von Familie ist zum Beispiel gemeint, dass mehrere Generationen zusammenleben. Familie, das können aber auch Alleinerziehende mit Kindern sein, das können Großeltern mit Kindern sein, das können auch die so genannten Patchwork-Familien sein. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, und nicht nur die eine, die Ihnen in dem Modell, das Sie uns hier präsentieren, wohl vorschwebt.


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72. Sitzung / Seite 70

Als Familien definieren sich jedoch auch zunehmend Menschen, die mehr oder weniger derselben Generation angehören, sei es, dass sie Kinder haben, die nicht mehr bei ihnen wohnen, oder seien es auch Menschen, die gar keine Kinder haben. Auch sie übernehmen für einander Verantwortung und definieren sich als Familien. Das ist etwas, was Sie anerkennen sollten: ein modernes Familienbild. Das bedeutet auch die Anerkennung von Familien, die lesbische oder schwule Eltern haben, denn so etwas gibt es.

Manche meinen, das geht ja nicht, das geht biologisch nicht. – Lassen Sie sich aufklären, wenn Sie das immer noch meinen. Es gibt Menschen, die aus früheren Beziehungen Kinder haben und diese in eine lesbische oder schwule Partnerschaft einbringen. Es gibt aber zum Beispiel auch lesbische Eltern, die ein Pflegekind haben. So etwas gibt es sogar in Österreich, auch wenn das gesetzlich noch nicht möglich ist, aber es gibt Methoden, so etwas zu ermöglichen, ohne dass das Gesetz dies tut. Diese Menschen übernehmen Verantwortung für einander, und für diese Menschen sollte es auch in Österreich Regelungen geben. Dann wäre Österreich ein Vorzeigeland! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Gerade jetzt, im Monat Juni, steht Österreich – das wird Ihnen nicht entgangen sein – im Zeichen der Regenbogenfahne, die wir vorhin hier aufgebaut haben und die die Vielfalt der Lebensformen symbolisiert. Erstmals findet in Österreich, und zwar in Wien, die "Europride" statt, um einen Monat lang die Vielfalt der Lebensformen zu feiern und gleichzeitig Gleichstellung zu verlangen.

Sie hätten also in diesem Monat Juni die große Chance, nicht nur vom Vorzeigeland zu reden, sondern auch Taten zu setzen, was Ihnen ja auch immer sehr wichtig ist. Wir ermöglichen Ihnen das und bringen folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petrovic und Lunacek, Freundinnen und Freunde betreffend Änderungen im Mietrechtsgesetz, BGBl. 520/1981 idF BGBl. I 140/1997, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung des Bundeskanzlers und der Vizekanzlerin

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage vorzulegen, mit der das Mietrechtsgesetz dahingehend geändert wird, dass gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern die gleichen Rechte zukommen wie Ehepartnern.

Insbesondere sind Änderungen in den §§ 14 Abs. 3 und 49 vonnöten.

*****

Wissen Sie, warum wir das fordern? – Derzeit darf man in den Mietvertrag nur dann eintreten, wenn man eine Ehe oder eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft führt. Wenn jedoch ein schwuler Partner, eine lesbische Partnerin stirbt, dann muss der verbleibende Partner die Wohnung verlassen, auch dann, wenn Kinder vorhanden sind. – Das nicht zu ändern, hat nichts mit Nächstenliebe zu tun. Daher sollten Sie das ändern und diesem Antrag zustimmen.

Ich bringe auch noch einen zweiten Entschließungsantrag ein, den ich nur in seinen Kernpunkten erläutern möchte; er wird an Sie verteilt werden. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, eine Regierungsvorlage für die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes vorzulegen.

Dabei geht es darum, dass derzeit nur verheiratete Paare gemeinsam Wohnungen kaufen können, und auch das ist familienfeindlich, meine Damen und Herren. Es können zum Beispiel nicht einmal die Großmutter mit dem Enkelkind oder Geschwister gemeinsam Wohnungen kaufen! Wie wollen Sie jemandem erklären, dass das familienfreundlich ist?


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72. Sitzung / Seite 71

Wir geben Ihnen die Chance, heute diesen Anträgen zuzustimmen und dabei zu zeigen, dass Österreich wirklich ein Vorzeigeland wird, denn so, wie Sie es derzeit darstellen, sind wir leider in Europa immer noch Schlusslicht. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.50

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Der soeben verlesene Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Petrovic, Lunacek, Freundinnen und Freunde betreffend Mietrechtsgesetz ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Entschließungsantrag der Abgeordneten Lunacek, Freundinnen und Freunde betreffend Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes wurde auf Grund seines Umfanges nicht verlesen. Ich gebe bekannt, dass der in seinen Kernpunkten erläuterte Antrag auch schriftlich überreicht wurde und genügend unterstützt ist. Er steht mit in Verhandlung.

Im Hinblick auf den Umfang des Antrages lasse ich ihn gemäß § 53 Abs. 4 der Geschäftsordnung vervielfältigen und verteilen. Im Übrigen wird er auch dem Stenographischen Protokoll beigedruckt.

Dieser Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Lunacek, Freundinnen und Freunde betreffend Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung des Bundeskanzlers und der Vizekanzlerin

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat die Regierungsvorlage eines Wohnungseigentumgesetzes vorzulegen, das folgende Punkte enthält:

1. § 2 Abs. 1 lautet:

"§ 2. (1) Das Wohnungseigentum kann von jedem Miteigentümer, dessen Anteil den zum Erwerb des Wohnungseigentums erforderlichen Mindestanteil nicht unterschreitet, oder von Ehegatten und Lebensgefährten erworben werden, deren Miteigentumsanteile je den halben Mindestanteil nicht unterschreiten."

2. Nach § 2 Abs. 2 wird folgender Abs 3 angefügt:

"(3) Lebensgefährten im Sinne dieses Bundesgesetzes sind zwei Personen gleichen oder verschiedenen Geschlechts, die sich übereinstimmend als solche bezeichnen."

3. § 8 lautet:

"§ 8. (1) Der mit dem Wohnungseigentum verbundene Mindestanteil darf, solange das Wohnungseigentum besteht, außer zur Begründung des gemeinsamen Wohnungseigentums von Ehegatten und Lebensgefährten, nicht geteilt werden.

(2) Würde nach dem Tod des Wohnungseigentümers nach den Ergebnissen des Verlassenschaftsverfahrens der mit dem Wohnungseigentum verbundene Mindestanteil mehreren Personen, die nicht Ehegatten (oder Lebensgefährten) sind, zufallen, so hat das Verlassenschaftsgericht eine öffentliche Feilbietung des Mindestanteils und des damit verbundenen Wohnungseigentums durch Versteigerung vorzunehmen."

4. § 9 lautet:

"§ 9. (1) Ehegatten (Lebensgefährten), die das Wohnungseigentum gemeinsam erwerben, müssen Eigentümer je eines halben Mindestanteils (im folgenden "Anteil am Mindestanteil" genannt) sein; ihre Anteile am Mindestanteil dürfen nicht verschieden belastet sein. Das gleiche


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gilt, wenn ein Ehegatte (Lebensgefährte), der Wohnungseigentümer ist, seinem Ehegatten (Lebensgefährten) unter gleichzeitiger Begründung des gemeinsamen Wohnungseigentums den hierzu erforderlichen Anteil am Mindestanteil überträgt.

(2) Durch das gemeinsame Wohnungseigentum von Ehegatten (Lebensgefährten) werden ihre Anteile am Mindestanteil so verbunden, daß sie, solange das gemeinsame Wohnungseigentum besteht, nicht getrennt und nur gemeinsam beschränkt, belastet, veräußert oder der Zwangsvollstreckung unterworfen werden dürfen. Die Zwangsvollstreckung auf Grund eines Exekutionstitels, der bloß gegen einen der Ehegatten (Lebensgefährten) besteht, ist nur im Weg des mit der Pfändung des Anspruchs auf Aufhebung des gemeinsamen Wohnungseigentums zu verbindenden Antrags auf Zwangsversteigerung des gesamten Mindestanteils und des damit verbundenen gemeinsamen Wohnungseigentums zulässig. In diesem Exekutionsverfahren ist der andere Ehegatte (Lebensgefährte), gegen den kein Exekutionstitel besteht, Beteiligter; er kann zur Wahrung seiner Rechte alle Rechtsmittel erheben, wie wenn er Verpflichteter wäre; überdies kann er gegen diese Exekution Widerspruch erheben (§ 37 der Exekutionsordnung), wenn sich die Exekution auf die Wohnung bezieht, die ihm zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses und zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt dient.

(3) Die Ehegatten (Lebensgefährten) haften für alle Verbindlichkeiten aus ihrem gemeinsamen Wohnungseigentum zur ungeteilten Hand. Sie dürfen über das gemeinsame Wohnungseigentum und die Nutzung der im gemeinsamen Wohnungseigentum stehenden Wohnung oder der sonstigen Räumlichkeit nur gemeinsam verfügen. Während der Ehe ist bei der Wohnung, die wenigstens einem Ehegatten zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses und zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt dient, die Klage des anderen Ehegatten auf Aufhebung der Gemeinschaft unzulässig."

5. § 10 lautet:

"§ 10. (1) Erwirbt beim Tod eines Ehegatten (Lebensgefährten) der überlebende Ehegatte (Lebensgefährte) den Anteil des Verstorbenen nicht ohnehin als Erbe oder Vermächtnisnehmer allein, so gilt folgendes:

1. Der Anteil des Verstorbenen am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum wächst dem überlebenden Ehegatten (Lebensgefährten) als gesetzliches Vermächtnis unmittelbar ins Eigentum zu; die §§ 691 und 692 ABGB sind auf dieses gesetzliche Vermächtnis nicht anzuwenden.

2. Der Zuwachs tritt jedoch nicht ein, wenn der überlebende Ehegatte (Lebensgefährte) vor dem Ablauf einer vom Verlassenschaftsgericht festzusetzenden angemessenen Frist entweder auf den Zuwachs verzichtet oder gemeinsam mit den Erben des Verstorbenen unter Zustimmung der Pflichtteilsberechtigten eine Vereinbarung schließt, auf Grund deren der gesamte Mindestanteil an eine Person ungeteilt oder an Ehegatten (Lebensgefährten) je zur Hälfte unter gleichzeitigem Erwerb des gemeinsamen Wohnungseigentums übergeht.

3. Im Fall des Verzichtes auf den Zuwachs hat das Verlassenschaftsgericht eine öffentliche Feilbietung des gesamten Mindestanteils und des damit verbundenen Wohnungseigentums durch Versteigerung vorzunehmen.

4. Solange die Möglichkeit des Verzichtes besteht, ist die Verfügungsmacht des überlebenden Ehegatten (Lebensgefährten) auf diejenige beschränkt, die dem Erben zusteht, dem die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft überlassen worden ist (§ 810 ABGB).

5. Erwirbt der überlebende Ehegatte (Lebensgefährte) den Anteil des Verstorbenen auf Grund des Zuwachses oder geht der gesamte Mindestanteil auf Grund einer Vereinbarung über, so gilt für die Eintragung in das Grundbuch der § 178 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen sinngemäß.

(2) Erwirbt der überlebende Ehegatte (Lebensgefährte) auf Grund des Zuwachses den Anteil des Verstorbenen am Mindestanteil und Wohnungseigentum, so tritt an die Stelle dieses Anteils


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des Verstorbenen die Forderung der Verlassenschaft gegen den überlebenden Ehegatten (Lebensgefährten) auf Zahlung eines Übernahmspreises. Der Übernahmspreis ist, sofern er nicht von dem überlebenden Ehegatten (Lebensgefährten) und den Erben des Verstorbenen mit Zustimmung der Pflichtteilsberechtigten einvernehmlich bestimmt wird, die Hälfte des Verkehrswerts (§ 2 Abs. 2 des Liegenschaftsbewertungsgesetzes) des Mindestanteils und des damit verbundenen gemeinsamen Wohnungseigentums; eine einvernehmliche Bestimmung des Übernahmspreises ist nur zulässig, wenn kein Inventar errichtet wird.

(3) Ist der Gegenstand des gemeinsamen Wohnungseigentums dagegen eine Wohnung, die dem überlebenden Ehegatten (Lebensgefährten) zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses und zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt dient, so gilt der Abs. 2 nicht. Der überlebende Ehegatte (Lebensgefährte) schuldet jedoch den Pflichtteilsberechtigten des Verstorbenen einen Geldbetrag, der den vom Übernahmspreis im Sinn des Abs. 2 zu errechnenden Pflichtteilsansprüchen entspräche. Ist ihm die sofortige Entrichtung dieser Geldbeträge nach seinen Verhältnissen, besonders seinem Vermögen, seinem Einkommen, seinen Sorgepflichten, seinen Aufwendungen für diese Wohnung und zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Lebenshaltung nicht zumutbar, so hat das Verlassenschaftsgericht mangels einer anderslautenden Vereinbarung auf Antrag die Befriedigung unter Festsetzung einer angemessenen Verzinsung bis zu einer Frist von höchstens fünf Jahren hinauszuschieben; auch kann es die Zahlung in Teilbeträgen innerhalb dieses Zeitraums bewilligen."

6. Der neu einzufügende § 11a lautet:

"Wohnungseigentum der Lebensgefährten bei Aufhebung der Lebensgemeinschaft

§ 11 a. (1) Erklärt einer der Lebensgefährten die Lebensgemeinschaft für aufgehoben, so haben die bisherigen Lebensgefährten ihre Miteigentumsgemeinschaft am Mindestanteil und am gemeinsamen Wohnungseigentum aufzuheben.

(2) Einigen sich die Lebensgefährten binnen eines halben Jahres ab Aufhebung der Lebensgemeinschaft nicht, hat hierüber auf Antrag das Gericht zu entscheiden.

1. Erheben beide Lebensgefährten Anspruch auf Übertragung des anderen Hälfteanteiles, entscheidet primär das Los. Bei massiv ungleicher Interessenlage, wie z.B. schwere Krankheit, hohes Alter oder dem Verbleib von minderjährigen Kindern entscheidet das Gericht, unter Bedachtnahme auf die Finanzierbarkeit, nach Ermessen, wer die Wohnung erhält.

2. Das Gericht hat die Übertragung des Anteiles des einen Lebensgefährten am Mindestanteil und gemeinsamen Wohnungseigentum auf den anderen anzuordnen.

3. Das Gericht hat den Preis, den der Lebensgefährte, der den Hälfteanteil des anderen erwirbt, an diesen zu bezahlen hat, festzusetzen. Der Preis ist unter Zugrundelegung des Verkehrswertes des Mindestanteiles unter Bedachtnahme auf die tatsächlich eingebrachten Mittel zum Erwerb und Erhalt der Wohnung zu ermitteln.

4. Ist der Gegenstand des gemeinsamen Wohnungseigentums eine Wohnung, die dem verbleibenden Lebensgefährten zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses und zu seinem gewöhnlichen Aufenthalt dient, und ist die sofortige Entrichtung des Kaufpreises dem Verpflichteten nach Vermögen, Einkommen, Sorgepflichten und zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Lebenserhaltung nicht zumutbar, so kann das Gericht mangels einer anderslautenden Vereinbarung auf Antrag die Befriedigung unter Festsetzung einer angemessenen Verzinsung durch die Zahlung von Teilbeträgen innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren bewilligen.

5. Erhebt keiner der Lebensgefährten Anspruch auf Übereignung oder übersteigt der Erwerb eindeutig die finanziellen Möglichkeiten beider, hat das Gericht eine öffentliche Feilbietung des gesamten Mindestanteiles und des damit verbundenen Wohnungseigentums durch Versteigerung vorzunehmen und die Verteilungsquoten festzulegen.


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7. § 12 Abs. 1 lautet:

"§12. (1) Das Wohnungseigentum wird durch die Einverleibung in das Grundbuch erworben. Es ist im Eigentumsblatt auf dem Mindestanteil einzutragen; hierbei sind bei gemeinsamem Wohnungseigentum von Ehegatten (Lebensgefährten) ihre Anteile am Mindestanteil zu verbinden. Wird auf einer Liegenschaft erstmals ein Wohnungseigentum einverleibt, so ist in der Aufschrift des Gutsbestandsblatts das Wort "Wohnungseigentum" einzutragen."

8. § 13b Abs. 1 lautet:

"§ 13b. (1) Die den Miteigentümern zustehenden Mitwirkungsbefugnisse (Stimm- und Minderheitsrechte bei der Willensbildung der Wohnungseigentümergemeinschaft) können entweder persönlich oder auf Grund einer darauf gerichteten schriftlichen Vollmacht, die nicht länger als ein Jahr zurückliegt, durch einen Vertreter ausgeübt werden. Eine davon abweichende Ausübung der Mitwirkungsbefugnisse bedarf der nachträglichen schriftlichen Genehmigung des Machtgebers. Die Mitwirkungsbefugnisse für gemeinsames Wohnungseigentum von Ehegatten (Lebensgefährten) stehen diesen nur gemeinsam zu."

9. § 22 Abs. 2 lautet:

"§ 22. (2) In den Fällen des Abs 1 Z 2 und 3 steht dem Verhalten des auszuschließenden Miteigentümers das Verhalten seines Ehegatten (Lebensgefährten) und der anderen mit ihm zusammenwohnenden Familienangehörigen sowie der Personen gleich, die die in seinem Wohnungseigentum stehenden oder von ihm sonst benützten Teile der Liegenschaft mit seiner Zustimmung oder Duldung benützen, sofern er es unterläßt, die ihm mögliche Abhilfe zu schaffen."

10. Nach § 26 Abs. 1 Z 1 wird folgende Z 1a eingefügt:

"1a. Verfahren nach Auflösung einer Lebensgemeinschaft (§ 1 1a);,‘

Begründung:

Zu den Z 1, 3, 4, 5, 7, 8 und 9:

In den bezughabenden Paragraphen werden Lebensgefährt/inn/en den Ehegatten gleichgestellt.

Zu Z 2:

§ 2 Abs. 3 Begriffsbestimmung:

Definition der Lebensgefährt/inn/en. Die Definition der Lebensgemeinschaft wird den Personen überlassen, die gemeinsam Wohnungseigentum zu erwerben gedenken. Die Verbindung kann eine umfassende, aber auch eine rein wirtschaftliche sein.

Zu Z 4:

§ 9 Abs. dritter Satz:

Diese Regelung ist auf die Lebensgemeinschaft nicht anwendbar und bleibt daher unverändert. Eine Lebensgemeinschaft ist durch einseitige Erklärung auflösbar. Für diesen Fall sind eigene Auflösungsregelungen in § 11 a vorgesehen.

Zu Z 6:

§ 11 a Regelung bei Auflösung der Lebensgemeinschaft:

Die Regelung zielt darauf ab, daß nach einer Auflösung der Lebensgemeinschaft einvernehmlich geregelt wird, wer zu welchem Betrag die Wohnung übernimmt oder ob sie verkauft wird.

Kommt es zu keiner Einigung, soll es zu einer gerichtlichen Entscheidung im Verfahren außer Streitsachen kommen.


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Dies soll nicht im Wege einer Teilungsklage geschehen, um zu ermöglichen, daß im Konfliktfall eine/r die Wohnung behalten kann.

Erheben beide Anspruch auf die Wohnung, hat das Gericht summarisch die finanziellen Möglichkeiten zu überprüfen und entscheidet anschließend das Los. Nur bei massiv ungleicher Interessenlage gibt es eine gerichtliche Eingriffsmöglichkeit. Dabei ist an Fälle gedacht, in denen die Wohnung z.B. für einen Teil behindertengerecht eingerichtet wurde, eine/r schwer krank ist und eine Pflegestruktur in der Umgebung hat oder an Fälle, in denen bei einem/einer der Lebensgefährt/inn/en Kinder bleiben, die in unmittelbarer Nähe in die Schule gehen und wo ein dazugehöriges Versorgungsnetz vorhanden ist. Dies sollen aber Ausnahmesituationen sein. Liegt keiner dieser Ausnahmefälle vor und scheint die Übernahme der Wohnung nicht finanziell ausgeschlossen, entscheidet also das Los.

In einem zweiten Schritt hat das Gericht, so es diesbezüglich nicht zu einer Einigung kommt, mittels Sachverständigen den Verkehrswert der Liegenschaft zu ermitteln. Das Gericht hat in etwa prozentuell zu ermitteln, wer wie zum Erwerb und Erhalt der Wohnung etwas eingebracht hat. Der erwerbende Lebensgefährte/die erwerbende Lebensgefährtin hat dem/der anderen dessen/deren, so ermittelten prozentuellen Anteil vom Verkehrswert zu ersetzen. Das Gericht hat den erwerbenden Lebensgefährten/die erwerbende Lebensgefährtin zur Zahlung zu verpflichten. Hiebei kann eine Teilzahlung für einen Zeitraum von drei Jahren bewilligt werden.

So keine/r Anspruch auf die Wohnung erhebt oder klar absehbar ist, daß keine/r die Übernahme der Wohnung finanzieren kann, hat das Gericht eine öffentliche Versteigerung vorzunehmen und ist der Versteigerungserlös anteilig (wieder unter Ermittlung der tatsächlich eingebrachten Mittel zum Erwerb und Erhalt) auszubezahlen.

Zu Z 10:

§ 26 Abs. 1 Z 1a Auflösung im Außerstreitverfahren:

So es bei Auflösung der Lebensgemeinschaft zu Streitigkeiten kommt und gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen wird, soll es schnell und unkompliziert zu einer Aufteilung kommen. Weiters soll beiden Teilen klar sein, daß sie, Gerichts-, Sachverständigenkosten sowie die Kosten einer anwaltlichen Vertretung selbst zu tragen haben.

*****

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Knerzl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte.

12.51

Abgeordneter Anton Knerzl (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte eingangs Frau Abgeordneter Prammer ein paar Wortspenden widmen. Sie hat in ihren Ausführungen hier von den österreichischen Familien und von der Armutsgefährdung unserer Familien gesprochen. – Ich möchte Sie erinnern, Frau Prammer: Sie waren an der Regierung! Sie haben uns das Schuldendesaster von 2 000 Milliarden Schilling hinterlassen! Halten Sie sich das vor Augen und berücksichtigen Sie, dass das Kinderbetreuungsgeld gerade eine Abhilfe gegen die Armut ist! Ich glaube, Sie haben das Kinderbetreuungsgeld in der Form, wie wir es vorstellen, noch nicht erkannt. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Grollitsch: Sehr richtig!) Ich würde sogar meinen, Sie haben das Thema der Tagesordnung verfehlt.

Mutige Ideen mit Herz und Verstand für österreichische Familien – das ist unser Einstieg in eine moderne Familienpolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Widerspruch der Abg. Silhavy. )

Das Kinderbetreuungsgeld, das ab 1.1.2002 österreichweit ausbezahlt wird, ist nicht nur die Einlösung eines freiheitlichen Wahlversprechens, sondern wir sorgen damit auch dafür, fami


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lienpolitisch einen Meilenstein zu setzen, der in ganz Europa bewundert wird. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Grollitsch: Richtig!)

Durch diese Leistungen, meine sehr geschätzten Damen und Herren, haben Eltern, haben Mütter mehr Entscheidungsfreiheiten – etwa die Entscheidungsfreiheit zur Kindererziehung oder zur weiteren Berufsausbildung. Ich meine, das ist moderne Familienpolitik! (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. ) Frau Kollegin Dr. Mertel! Wir haben schon mehrmals darüber gesprochen. (Abg. Dr. Mertel: Wir zwei haben noch nie darüber geredet!) Ihre unqualifizierten Zwischenrufe lasse ich heute nicht gelten. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich glaube, man sollte hier erwähnen – und ich bin sehr froh darüber, dass die österreichischen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer das heute hier erfahren haben –, wie die Sozialdemokratie mit der Kinderbetreuung umgehen möchte. Aber wir lassen das ohnehin nicht zu. (Neuerlicher Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich möchte hier auch erwähnen, dass für jene, die bis heute nicht in den Genuss gekommen sind, in irgendeiner Form am Karenzgeld teilzuhaben – das sind vorwiegend Bäuerinnen, Studentinnen, Hausfrauen, die schon früher Kinder geboren haben –, endlich etwas getan werden konnte. Diese Frauen sind wirklich erwähnenswert, denn sie haben bis heute nie einen Schilling aus öffentlichen Einrichtungen erhalten. Das wird nun anders. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist wirklich eine Vorzeigepolitik, für die wir auch Lob einfahren dürfen (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP)  – im Gegensatz zu dem, was Sie immer wieder sagen, nämlich: Alles sei schlecht.

Über das Kindergeld möchte ich natürlich ein bisschen ausführlicher berichten, da in meiner Heimatgemeinde, der Marktgemeinde Öblarn, bereits seit fünf Monaten ein Projekt in diesem Zusammenhang läuft. Ich betone, ich habe von keiner einzigen Familie – 63 Familien nehmen an diesem Projekt teil – Kritik ernten müssen, genau das Gegenteil ist der Fall!

Meine Damen und Herren von der SPÖ! Ich kann hier nur wiederholen, dass Sie die Zielsetzung des Kinderbetreuungsgeldes und den Nutzen daraus für sich noch nicht erkannt haben. Aber ich kann kurz ein paar Beispiele anführen.

Wenn man die Wirkung dieser Maßnahme in zwei Dimensionen sieht, dann muss ich sagen, dass in erster Linie die Kinderbetreuung im Vordergrund steht: durch Tagesmütter, Kinderbetreuungseinrichtungen und so weiter. Die zweite Zielsetzung ist die Schaffung von Arbeitsplätzen, und zwar nicht nur im Bereich der Kinderbetreuung, sondern in der gesamten Wirtschaft. Das Kinderbetreuungsgeld schafft neue Arbeitsplätze und erhöht die Kaufkraft in den Gemeinden und Regionen ganz erheblich!

Wir müssen den Betrag von 6 000 Schilling im Verhältnis zum Einkommen betrachten. Wenn man bedenkt, dass in meiner Gemeinde der Durchschnittsverdienst zwischen 12 000 und 18 000 Schilling liegt, dann stellt man fest, das Kinderbetreuungsgeld ist ein Zugewinn im Familieneinkommen von bis zu 50 Prozent! Das ist ein Einkommen, das auch wieder ausgegeben wird.

Unsere Studie wird auch wissenschaftlich begleitet, und zwar vom Österreichischen Institut für Familienforschung. Aus den Ergebnissen dieser Arbeit geht klar hervor, dass mindestens 70 Prozent des ausbezahlten Geldes in den Gemeinden verbleiben! Dadurch werden die Gemeinden eindeutig finanziell gestärkt! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich denke, dass dies ein sehr wichtiger Punkt ist, weil wir in den Gemeinden von den infrastrukturellen Maßnahmen sehr massiv betroffen sind. Ich als Bürgermeister weiß, wovon ich rede und von wem ich rede.

Geschätzte Frau Kollegin! Ich kann dir hier zeigen, wie so ein Betreuungsscheck aussieht. (Der Redner zeigt eine Tafel vor, auf der ein Musterscheck abgebildet ist. Überschrift: "Kinderbetreuungsgutschein". Untertitel: "Für eine optimale Betreuung Ihres Kindes". Rechts außen ist die


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Abkürzung "RB" und das gelbe Logo der Raiffeisenbank erkennbar. – Abg. Öllinger: Ist das von Raiffeisen?)

Du wirst ihn ab 1.1.2002 in allen österreichischen Gemeinden abfragen können, und du wirst sehen, dass wir auf dem richtigen familienpolitischen Weg sind! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.56

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Kuntzl. Ihre Redezeit ist wunschgemäß auf 4 Minuten begrenzt. – Bitte. (Abg. Dr. Martin Graf: Sind Sie für oder gegen die Gemeinden? – Abg. Dr. Partik-Pablé: Frau Kollegin, sind Sie für oder gegen die Gemeinden? – Abg. Neudeck: Wen schlagen Sie zu Hause?)

12.57

Abgeordnete Mag. Andrea Kuntzl (SPÖ): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Sehr geehrte Damen und Herren! (Abg. Haigermoser: Schauen Sie nicht so verängstigt! Wieder etwas lächeln!) Es war heute viel vom Leitbild der Familienpolitik die Rede, und es gab Zeiten, in denen ÖVP-Minister ihre Zielsetzungen offen deklariert haben. Ich erinnere etwa an den früheren Familienminister der ÖVP, Minister Bartenstein, der das Leitbild der ÖVP-Familienpolitik ganz klar definiert hat, indem er gesagt hat: Die Frauen gehören wieder zurück ins Kinderzimmer.

Auch wenn Sie heute salbungsvollere Worte finden – weil Sie wissen, die Frauen wollen Zeit für ihre Kinder haben, aber auch Zeit für ihren Beruf, und wollen sich eine eigenständige Existenz aufbauen –, auch wenn Sie heute anders reden, in Wahrheit tun Sie nichts anderes, als Schritt für Schritt genau dieses familienpolitische Ziel umzusetzen. Man muss sich ja bei den Maßnahmen, die politisch gesetzt werden, immer das Umfeld anschauen, und Sie setzen ein Bündel von Maßnahmen, mit dem Sie genau diese Zielsetzung erreichen.

Eine dieser Maßnahmen ist das Kinderbetreuungsgeld, mit dem Sie – auch wenn Sie herumreden und es nicht gerne hören: Es ist so! – die Berufsunterbrechungen verlängern und damit die Chancen der Frauen, in den Beruf zurückzukehren, einfach untergraben.

Sie haben aber mit einem zweiten Schritt dafür gesorgt, dass das auch sicher der Fall sein wird, indem Sie nämlich den Kündigungsschutz kürzer halten als jene Zeitspanne, in der man das Kinderbetreuungsgeld beziehen kann. Das heißt, dass Frauen während der Zeit des Kinderbetreuungsgeldes von ihrem Arbeitgeber gekündigt werden können und auf einmal ohne Job dastehen werden.

Drittens – damit das auch sicher hält – haben Sie sich völlig davon verabschiedet, Kinderbetreuungseinrichtungen auszubauen. Sie stecken zwar 17 Milliarden Schilling – das muss man sich vorstellen: 17 Milliarden Schilling! – in die ersten drei Jahre, das heißt, Jahr für Jahr kostet das Kinderbetreuungsgeld 17 Milliarden Schilling, aber Sie haben nicht eine Milliarde Schilling pro Jahr zur Verfügung gestellt, um in fünf Jahren den vorhandenen Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen zu minimieren. Wenn ich vom Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen rede, dann betone ich: Das sind wirklich nachgefragte Plätze, das betrifft Gemeinden, wo die Frauen sagen: Wir wollen arbeiten, und wir wollen während dieser Zeit die beste Betreuung für unser Kind haben! (Abg. Dr. Martin Graf: Warum gibt es überhaupt einen Bedarf? Waren Sie nicht 30 Jahre an der Macht?)

Sie bezeichnen das Kinderbetreuungsgeld auch immer wieder als Instrument der Armutsbekämpfung, und Armutsbekämpfung ist etwas, was eine reiche Gesellschaft wie die österreichische wirklich sehr ernst nehmen sollte. – Schauen wir uns doch einmal an, wen Sie selbst, welche Personengruppen Sie selbst im Nationalen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung, der sehr dürftig ausgefallen ist, richtigerweise als armutsgefährdet definieren! (Abg. Dr. Martin Graf: Wieso gibt es Armut? Waren Sie nicht an der Regierung?)

Das sind zum Beispiel die Familien, die mehr Kinder haben, in denen aber nur ein Einkommen vorhanden ist, und das sind selbstverständlich auch die Alleinerzieherinnen.


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Wie wird die Situation für diese Familien aussehen nach den drei Jahren Kinderbetreuungsgeld, von dem einige profitieren werden, durch das aber andere, wie wir gehört haben, weniger Geld beziehen werden? – Nach diesen drei Jahren kommt dann nämlich das böse Erwachen: Nach diesen drei Jahren gibt es keine Unterstützung mehr. Nach diesen drei Jahren ist man, wie vorher gesagt, möglicherweise den Job los, und falls man das Glück hat, den Job behalten zu haben, dann steht man ohne Kinderbetreuungseinrichtungen da und damit mit bestenfalls einem Einkommen – von den Alleinerzieherinnen rede ich ja gar nicht.

Das Entscheidende ist also, welche Prioritäten Sie hier setzen. Wenn man Ihnen heute zuhört, dann wird man fast sentimental und denkt sich: Wo sind die Zeiten, in denen die ÖVP noch offen über ihre gesellschaftspolitischen Zielsetzungen gesprochen hat, in denen sie noch offen gesagt hat, wohin sie die Weichen stellen wird? – In die Richtung nämlich, dass die Frauen aussteigen und nicht mehr zurückkommen werden! Damals hat man sich noch ernsthaft mit Ihnen auseinandersetzen können, jetzt muss man gegen irgendwelche fiktiven Bilder anlaufen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.01

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Schwarzenberger. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. – Bitte. (Abg. Dr. Mertel: Jetzt kommen die "trächtigen Kühe"!)

13.01

Abgeordneter Georg Schwarzenberger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzler! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Die Erziehung und Betreuung von Kindern ist eine unverzichtbare Leistung der Eltern für die Gesellschaft. Eine konsequente Familienförderung ist daher eine Investition in die Zukunft unseres Landes. Die Familie wird sehr oft als die kleinste Zelle des Staates dargestellt, weil die Familie Aufgaben in der Kinderbetreuung, aber teilweise auch in der Altenbetreuung übernimmt. Was die kleine Einheit kann, das muss nicht an die größere Einheit delegiert werden, und deshalb erhalten diese Familien auch die entsprechende Unterstützung.

Ausdruck dieser konsequenten Familienförderung ist die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes für alle Mütter oder Väter, die sich der Kinderbetreuung widmen. Während es bisher für geringfügig Beschäftigte, für Studentinnen, Hausfrauen, Bäuerinnen und selbständige Frauen nicht möglich war, ein Karenzgeld zu erhalten – wir haben zwar im Jahre 1990 für Bäuerinnen und für Frauen in der gewerblichen Wirtschaft, für selbständige Frauen eine so genannte Teilzeitbeihilfe eingeführt, die allerdings nur die Hälfte des Karenzgeldes betrug –, so gibt es jetzt wirklich Gerechtigkeit für alle Frauen. Uns sind nämlich alle Mütter oder Väter und alle Kinder gleich viel wert (Beifall bei der ÖVP), und es muss nicht eine unselbständige Beschäftigung mit Arbeitslosenversicherung vorausgehen, damit dieses Kinderbetreuungsgeld ausbezahlt werden kann. (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt den Vorsitz.)

Die Regelungen, die wir jetzt getroffen haben, bringen auch eine bessere Vereinbarkeit von Kindererziehung und Arbeitsleistung. Es ist möglich, nebenbei eine Teilzeitbeschäftigung anzunehmen, um am Arbeitsplatz präsent zu bleiben, weil die Zuverdienstgrenze gegenüber der beim Karenzgeld bisher geltenden Einkommensgrenze um das Vierfache erhöht worden ist.

Konsequente Familienförderung hört aber nicht nach dem dritten Lebensjahr des Kindes auf, sondern konsequente Familienförderung geht weiter, und deshalb wird es auch ab dem Jahre 2003 eine Erhöhung der Familienbeihilfe für alle Kinder um immerhin 1 200 S im Jahr geben.

Ich möchte hier schon daran erinnern, dass wir bereits 1998 im Zuge der Steuerreformdiskussion auch zuerst gegen den Widerstand der SPÖ eine Familienförderung im Rahmen der Steuerreform eingeführt haben, die immerhin für ein Kind um 6 000 S mehr an Absetzbetrag und Familienbeihilfe im Jahre 2000 gegenüber dem Jahr 1998 erbracht hat. Das sind immerhin 12,6 Milliarden Schilling, die wir derzeit dadurch pro Jahr mehr für die Familien ausbezahlen, als wir noch im Jahre 1998 ausbezahlt haben. Wenn dazu jetzt im Jahr 2002 noch weitere 10 Mil


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liarden Schilling kommen, dann kann man wirklich von Österreich als dem familienfreundlichsten Land der Welt sprechen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich habe noch sehr gut die Aussage von Frau Abgeordneter Prammer, der damaligen Familienministerin, in Erinnerung, wonach Karenzgeld nur arbeitende Frauen bekommen sollen. Daraufhin konnte man in einer großen österreichischen Zeitung eine Karikatur finden, die eine Bäuerin beim Viehfüttern zeigte, die ein kleines Kind am Arm hielt, und drei Kinder scharten sich um sie herum, und in einer Sprechblase war zu lesen: Schade, dass Frau Prammer glaubt, ich habe noch niemals etwas gearbeitet!

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Abschließend möchte ich noch anmerken, dass ich aus folgendem Grund nicht verstehe, warum die SPÖ einen derartigen Widerstand gegen dieses Kinderbetreuungsgeld an den Tag legt: Wir haben in dem noch mit der SPÖ ausverhandelten Regierungsprogramm vom 18. Jänner 2000, das zwar noch vom SPÖ-Parteipräsidium, aber nicht mehr im Parteivorstand beschlossen worden ist, ein Karenzgeld für alle vereinbart: Mit der Umwandlung des Karenzgeldes in eine Familienleistung ab dem Jahre 2002 sollten alle Mütter beziehungsweise Väter, die damals keinen Anspruch hatten, ein Karenzgeld erhalten. Es wurde damals eine Erhöhung des Karenzgeldes auf 6 250 S – wie sie jetzt auch tatsächlich stattfindet – vereinbart, wovon 250 S als Pensionsbeitrag einbezahlt werden sollten, damit diese Zeiten auch als pensionsbegründend herangezogen werden können. Auch in weiteren Bereichen sind die nunmehr erfolgenden Regelungen im Wesentlichen schon mit der SPÖ vereinbart worden.

Aus diesen Gründen finde ich es wirklich verwerflich, wenn zum Beispiel die SPÖ-Frauengewerkschafterin, die zumindest Vizepräsidentin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes war, Irmgard Schmidleitner, in einer Presseaussendung erklärt hat, Karenzgeld für alle Mütter sei ein soziales Verbrechen.

In Wirklichkeit schaffen wir damit endlich Gerechtigkeit für alle Kinder. (Abg. Dr. Mertel: Wie war das mit den "trächtigen Kühen"?) Wir werden deshalb die Rahmenbedingungen für unsere Familien weiterhin so gestalten, dass wir auch in Zukunft das familienfreundlichste Land der Welt sein können. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Wie war das mit den "trächtigen Kühen"?)

13.08

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Silhavy. – Bitte.

13.08

Abgeordnete Heidrun Silhavy (SPÖ): Frau Vizekanzlerin! Herr Kanzler! Hohes Haus! Die heutigen Jubelerklärungen der Regierungsmitglieder zum Thema "familienfreundliches Österreich" haben mit der Entwicklung der realen Lebensbedingungen von Familien in Österreich, Frau Vizekanzlerin, aber schon gar nichts gemeinsam!

Sie haben hier eine blühende Insel vorgefunden. Was aber hat diese blau-schwarze Bundesregierung daraus gemacht?, frage ich Sie. (Heiterkeit bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sie sind mit der sozialpolitischen Sense ... – Sie lachen darüber?! Sie erinnern sich nicht, ich weiß schon. (Abg. Achatz: Das ist ja sooo peinlich!) Sie haben offensichtlich den politischen Alzheimer! (Abg. Mag. Mühlbachler: Das ist doch kein Stil!) Aber, meine Damen und Herren von der ÖVP, Sie sollten sich erinnern, dass Sie eine ...

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Entschuldigen Sie, Frau Abgeordnete! Ich weiß nicht, ob ich jetzt richtig gehört habe, aber die letzte Ausdrucksweise war offensichtlich nicht dazu geeignet, der Würde des Hauses zu entsprechen.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (fortsetzend): Ich entschuldige mich und nehme diesen Ausdruck natürlich zurück.


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Auf jeden Fall ist die Vergesslichkeit der ÖVP unüberbietbar. Sie scheinen vergessen zu haben, dass Sie bei den meisten der Beschlüsse, nämlich bei den in den letzten 13 Jahren gefassten, mitgewirkt haben und Ihr Bundeskanzler jenes Regierungsmitglied war, das die meisten Schulden, die meisten Ausgaben in diesem Lande überhaupt beschlossen hat. (Zwischenbemerkung von Bundeskanzler Dr. Schüssel.  – Abg. Mag. Mühlbachler: Wo nehmen Sie denn das her?)

Meine Damen und Herren! Wir sind bei der sozialpolitischen Sense: Sie sind mit einer sozialpolitischen Sense über diese Insel drübergefahren, haben einen Kahlschlag durchgeführt, und ein Kahlschlag – das sollten Sie eigentlich wissen, meine Damen und Herren – führt irgendwann zur Verödung und zur Verwüstung.

Dann haben Sie ein kleines Gärtchen angelegt. Das haben Sie umzäunt, und nun stehen Sie staunend davor, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und sind ganz stolz auf dieses Gärtchen. Das Gärtchen, meine Damen und Herren, sind 9 Milliarden Schilling, auf die Sie so stolz sind und die Sie Kinderbetreuungsgeld nennen.

Der immer noch und immer mehr verödende Teil dieser Insel, über den Sie mit der sozialpolitischen Sense drübergefahren sind, macht immerhin 43 Milliarden Schilling aus – 43 Milliarden Schilling, die Sie den Familien wegnehmen, die Sie von den Kranken abkassieren, die Sie Menschen mit Behinderungen aus der Tasche ziehen oder Menschen, die das Schicksal der Arbeitslosigkeit erlitten haben, wegnehmen.

43 Milliarden Schilling, meine Damen und Herren – das ist der sozialpolitische Kahlschlag, den diese FPÖ/ÖVP-Regierung zu verantworten hat. Die Menschen in Österreich werden von Ihnen in eine künstliche "Wüste Gobi" geschickt, wie Herr Klubobmann Khol es so schön bezeichnet. Da hilft Ihnen auch Ihr Schaugärtchen nichts. Der Nationale Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist zwar, was die Maßnahmen dieser Bundesregierung anbelangt, inhaltsleer – da ist nichts drinnen: da verkaufen Sie zum x-ten Mal dieses Kinderbetreuungsgeld, da verkaufen Sie zum x-ten Mal die Behindertenmilliarde –, aber dieser Nationale Aktionsplan hat auch einen Vorteil: Er zeigt auf, wie positiv die sozialpolitische Arbeit einer sozialdemokratischen Bundesregierung war. Insofern können wir ihn begrüßen. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Da wir aber die Menschen Österreichs nicht in die Wüste wollen, bringe ich einen


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Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Barbara Prammer, Dr. Ilse Mertel, Heidrun Silhavy und GenossInnen betreffend sozial- und familienpolitische Offensive ein. In diesem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, Maßnahmen zu setzen, die das soziale Gefüge in Österreich so, wie sie es vorgefunden hat, wiederherstellen.

Die Menschen in Österreich wollen kein Schaugärtchen in einer sozialpolitischen Wüste. Die Menschen in Österreich haben einen Anspruch auf einen sozialpolitischen Staat mit sozialpolitischen Rechten. Sie wollen keine Almosenpolitik, wie sie jenem Weg entspricht, den Ihre Regierung zu gehen gedenkt. (Beifall bei der SPÖ.)

13.12

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Der soeben angekündigte Entschließungsantrag wird auf Grund seines Umfangs in schriftlicher Form verteilt. Er ist entsprechend unterstützt und steht somit mit zur Verhandlung.

Der Entschließungsantrag hat folgenden Wortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Barbara Prammer, Dr. Ilse Mertel, Heidrun Silhavy und GenossInnen betreffend sozial- und familienpolitische Offensive

Der Nationalrat wolle beschließen:

Entschließung

Der Nationalrat hat beschlossen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, folgende Maßnahmen zu setzen bzw. Regierungsvorlagen mit den folgenden Inhalten dem Nationalrat vorzulegen bzw. für die Verwirklichung folgender Zielsetzungen zu sorgen:

1. Rücknahme der unsozialen Maßnahmen zur Treffsicherheit aus dem Budgetbegleitgesetz 2001 rückwirkend zum 1. Jänner 2001. Insbesondere sollen dabei folgende Maßnahmen enthalten sein:

Rücknahme der Besteuerung der Unfallrenten.

Rücknahme der Verschlechterungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung.

Rücknahme der Studiengebühren.

Wiedereinführung der kostenlosen Mitversicherung.

2. Erhöhung der Ausgleichstaxe nach dem Behinderteneinstellungsgesetz mit 1. Jänner 2001 rückwirkend auf 4.800,- ATS/Monat. Der besondere Kündigungsschutz nach dem Behinderteneinstellungsgesetz muss bereits nach 3 Monaten greifen.

3. Wiedereinführung der jährlichen Valorisierung des Pflegegeldes mit dem Anpassungsfaktor nach § 108 ASVG rückwirkend mit 1.1.2001 und Erhöhung des Pflege-Taschengeldes bei stationärer Unterbringung auf 20 Prozent der Pflegestufe 3.

4. Rücknahme der unsozialen Maßnahmen der Pensionsreform und Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung sowie einer längeren Beschäftigung. Dies soll durch folgende Maßnahmen ermöglicht werden:

a) Rücknahme der unsozialen Maßnahmen der Pensionsreform 2000 (ASVG und öffentlicher Dienst).

b) Erarbeitung eines Maßnahmenplanes für eine nationale Kraftanstrengung zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen älterer ArbeitnehmerInnen.

c) Eigenständige Alterssicherung für Frauen. Das heißt, Einbeziehung aller in Österreich lebender Personen in die gesetzliche Altersvorsorge, Mindesthöhe der Eigenpension und angemessene Berücksichtigung von gesellschaftlich notwendiger unbezahlter Versorgungsarbeit.

d) Umfassende gesundheitspolitische Vorkehrungen, einschließlich ausgeweiteter Rehabilitationsanstrengungen, angesichts des beeinträchtigten Gesundheitszustands von älteren ArbeitnehmerInnen, der in hohen Invaliditätsraten gegenwärtig zum Ausdruck kommt.

e) Finanzierungskonzept für die volle Abgeltung der Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung (Kindererziehungszeiten, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Präsenz/Zivildienst).

f) Erhöhung der Eigenfinanzierung von Erwerbsgruppen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit (insbesondere bei der bäuerlichen und gewerblichen Pensionsversicherung).

g) Gesetzliche Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der organisierten Schwarzarbeit von Unternehmen. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, um bestehende Abgabenverpflichtungen tatsächlich einzuhalten. Das Ausmaß der Steuerhinterziehungen und die nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge sind sozial- und finanzpolitisch bedrohlich und bedürfen auch empfindlicher Sanktionen gegen die Unternehmungen.

h) Einheitliches Pensionsrecht für alle BerufseinsteigerInnen.


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5. Pensionsanpassung für das Jahr 2001 mindestens im Ausmaß der Teuerungsrate. Die im § 588 Abs. 4 festgelegte Anrechnung früherer Pensionserhöhungen, die über die Bandbreitenregelung hinausgegangen sind, auf die Anpassung der Pensionen, ist ersatzlos zu streichen. Der Vergleichszeitraum für den Wertausgleich, der die Anpassung der Pensionen zumindest mit der durchschnittlichen Erhöhung der Inflationsrate in zwölf Monaten sichert, soll von Juli des Jahres, das dem Anpassungsjahr vorangeht, auf Oktober umgestellt werden.

6. Ersatzlose, rückwirkende Streichung der unsozialen Ambulanzgebühren.

7. Rücknahme der unsozialen Belastungen im Bereich der Krankenversicherung.

8. Einführung der partnerunabhängigen Notstandshilfe.

9. Jährliche Bereitstellung von 1,2 Mrd. ATS zum weiteren zügigen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen mit bedarfsgerechten Öffnungszeiten (Ganztags, Ferienzeiten, insbesondere für Kinder im Alter bis zu 3 Jahren und ab 6 Jahren).

10. Forcierung der Einrichtungen von Betriebskindergärten.

11. Einrichtung eines flächendeckenden Netzes von Frauenservicestellen mit klaren Aufgabenstellungen im gesamten Bundesgebiet.

12. Verankerung des Rechts des Kindes auf einen Kinderbetreuungsplatz mit hohem, klar definiertem, bundeseinheitlichem Qualitätsstandard.

13. Schaffung eines einkommensabhängigen Karenzgeldes, um berufstätigen Eltern die Einkommenskontinuität zu garantieren.

14. Neuregelung der Unterhaltsbevorschussung. Der Unterhalt soll zunächst grundsätzlich vom Bund bezahlt werden. Die Höhe richtet sich nach dem Bedarf des Kindes und nicht nach dem Einkommen des Unterhaltsverpflichteten. Angemessene Rückforderungen des Bundes an den Unterhaltsverpflichteten.

15. Recht auf Teilzeitarbeit bis zum Schuleintritt des Kindes in Verbindung mit dem Recht, auf einen Vollzeitarbeitsplatz zurückzukehren.

16. Partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit und stärkere Bewusstmachung der Väterkarenz in der Öffentlichkeit.

17. Verlängerung der Behaltefrist (Kündigungsschutz) nach der Karenzzeit von 4 auf 28 Wochen.

18. Ausbau der Wiedereinstiegshilfen nach familienbedingten Unterbrechungen (Qualifizierung und Neuorientierung; finanziell ausreichend ausstatten, bewerben und breit streuen). Das Recht auf Neuqualifizierung für WiedereinsteigerInnen soll den Wiedereinstieg beschleunigen und den entsprechenden Personen ermöglichen, auch nach der Babypause in qualifizierter Arbeit tätig zu sein.

19. Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle auf der Basis betrieblicher und kollektivvertraglicher Vereinbarungen.

20. Verstärkung und Ausweitung der Weiterbildungsmaßnahmen und der Beratung für KarenzgeldbezieherInnen.

21. Ausweitung der SchülerInnen- und Lehrlingsfreifahrt bzw. Fahrtenbeihilfe für jene, die außerhalb des Wohnortes eine Zweitunterkunft haben (Heimfahrtbeihilfe für InternatsschülerInnen und -lehrlinge).

22. Mitfinanzierung des Familienlastenausgleichsfonds bei Zahnspangen und Kieferregulierungen für Kinder und Jugendliche.


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23. Schaffung einer bundeseinheitlichen bedarfsorientierten Grundsicherung.

24. Schrittweise Umgestaltung der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds von lohnsummenabhängigen Beiträgen auf Wertschöpfungskomponenten.

25. Beibehaltung der derzeit geltenden Ladenschlusszeiten zugunsten eines stabilen Familienlebens.

26. Sofortige Umsetzung des Gleichbehandlungsgesetzes für die Privatwirtschaft.

27. Rücknahme der Regierungsvorlage zu einem Objektivierungsgesetz, da es in der derzeitigen Form massive Verschlechterungen für Frauen beinhaltet.

*****

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Burket. – Bitte.

13.12

Abgeordnete Ilse Burket (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Es trifft sich sehr gut, dass ich jetzt gerade nach Frau Silhavy zu reden komme, denn ich möchte gerne einen kurzen Blick in die Historie des Kindergeldes im weiteren Sinne werfen – dies ganz besonders deshalb, weil heute schon sehr viel Energie aufgewendet wurde, um aus einer guten Sache eine schlechte zu machen. Kein Frage, dass man auch beim Kindergeld irgendetwas wird verbessern können. Man könnte letztendlich alles noch ein bisschen besser machen, vor allem wenn man die nötigen Mittel dazu hätte.

Meine Damen und Herren! Aber hier herauszukommen und noch viel mehr oder etwas ganz anderes oder noch viel Weitgehenderes zu fordern, ist ungeheuerlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie sich das Kindergeld entwickelt hat: dass mit 1.1.1950 das Kinderbeihilfengesetz in Kraft getreten ist und dies durch einen Lohnverzicht im Ausmaß von 3 Prozent möglich wurde – eine beispiellose Solidarität, von der man heute nur träumen kann. Das war der Grundstein für den Familienlastenausgleichsfonds, der 1955 in Kraft getreten ist und mit 6 Prozent der Lohnsummen beschickt wurde.

Dann hat aber auch schon die Umschichtung begonnen, meine Damen und Herren: Mit Wirksamkeit vom 1.1.1979 und 1981 wurde die Einnahmenseite des Familienfonds um insgesamt 25 Prozent zu Gunsten der Pensionskassen gekürzt. Bis 1995 wurden dadurch 150 Milliarden Schilling von den Kindern zu den Pensionskassen umgeleitet. Allein 1995 waren es 13 Milliarden Schilling! (Abg. Dr. Mertel: Da müssen Sie einmal schauen, wie viel 2000 und 2001 umgeleitet worden sind, wie viel ÖVP und FPÖ umgeleitet haben!) Mit 1.5.1995, meine Damen und Herren – man muss sich nur daran erinnern (Abg. Dr. Mertel: Reden Sie von der Jetztzeit!)  –, wurde im Zusammenhang mit dem ersten Sparpaket die Familienbeihilfe um 1 200 S pro Jahr gekürzt. Hier wurde ganz konkret den Familien, den Kindern zusätzlich zur allgemeinen Belastung auch noch auf direktem Weg das Einkommen gekürzt. – Das war aber "sozial", nicht wahr?

Meine Damen und Herren! Die Entwicklung zeigt, dass die in den fünfziger Jahren geschaffene Unterstützung der Familien, auch durch den Familienfonds, in den letzten 20 Jahren systematisch reduziert wurde. (Abg. Huber: Vor allem voriges Jahr! – Abg. Dr. Mertel: Reden Sie doch vom vorigen Jahr!) Es wurde den Familien das Geld gekürzt, weil die sozialistische Regierung über Jahrzehnte hinweg nicht in der Lage war, die strukturell bedingte Kostenexplosion bei den Frühpensionen, bei der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Einzige Lenkungsmaßnahme waren zwei Sparpakete, die unglaubliche Belastungen gebracht, keinerlei Verbesserung der Budgetsituation bewirkt und in einem desaströsen Budgetdefizit geendet haben. Das, meine Damen und Herren von der SPÖ, haben Sie zuwege gebracht, und darauf sind Sie anscheinend auch noch stolz! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Diese Regierung hat in eineinhalb Jahren das Budget ausgeglichen. Sie hat eine umfassende Verwaltungsreform sowie die Reformen in Schulen und Universitäten in die Wege geleitet. Sie


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hat für die Exekutive Verbesserungen herbeigeführt, wie etwa die Absicherung der Beamten in der Ausübung ihres Dienstes sowie die Absicherung der Familien, wenn ein Beamter im Dienst verstirbt, oder auch Rechtshilfe in der überaus schwierigen Situation bei unzähligen Verfahren nach Demonstrationen und so weiter. Jetzt haben wir mit der Einführung des Kindergeldes gezeigt, wer es ist, für den das Wohl der Familien die höchste Priorität genießt.

Noch mehr zu fordern, ist keine Kunst. Was Sie zuwege gebracht haben, habe ich Ihnen gerade aufgezählt. Ich meine das allegorisch, wenn ich sage, Sie erinnern mich sehr an Aschenputtel: Sie verlangen, fordern, kämpfen angeblich für Familien, Kinder, Studenten, Lehrer. Großes Tamtam – und um Mitternacht: Puff, alles vorbei, und jetzt drückt nur noch der Schuh. (Heiterkeit des Abg. Dr. Khol. ) Das Geld war verprasst, der Staatssäckel leer, und übrig geblieben sind Demonstrationen, aufgehetzte und verunsicherte Menschen, bewusste Falschinformationen und nach wie vor Vernaderungspolitik im Ausland.

Tut mir Leid: Ich sehe weit und breit nichts, worauf Sie stolz sein können, dass Sie so laut schreien. Nehmen Sie das Kindergeld als das, was es ist – auch wenn es noch so wehtut –: als einen großartigen Erfolg dieser Regierung, und hier ganz besonders der Freiheitlichen, denn es sind und bleiben die Grundwerte Familie und Kinder urfreiheitliche Anliegen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.17

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Binder. – Bitte.

13.17

Abgeordnete Gabriele Binder (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Meine Damen und Herren! Das Thema lautet: "familienfreundliches Österreich", und ich denke, Familienfreundlichkeit und Kinderfreundlichkeit kann nicht nur auf das Kinderbetreuungsgeld reduziert werden, und es gehört auch mehr dazu als Lippenbekenntnisse.

Weil hier so viel von Wärme, Zuwendung und Liebe die Rede war und der Herr Bundeskanzler tatsächlich Recht hatte mit seiner Analyse, als er von einer bunteren Welt gesprochen hat, die man mit Kindern erlebt, möchte ich Ihnen eine Gallup-Studie näher bringen, die besagt, dass Kindern in Österreich in ungeahnter Größenordnung Verständnislosigkeit und Missbilligung entgegengebracht wird. Zwar halten sich 93 Prozent aller Österreicher für tolerant gegenüber Kindern; die Gegenfragen zeigen jedoch, dass dies ein Lippenbekenntnis ist. (Abg. Lexer steht hinter der Rednerin und spricht mit dem auf der Regierungsbank sitzenden Bundeskanzler Dr. Schüssel.  – Abg. Dr. Mertel: Man sollte der Rednerin wenigstens den Rücken freihalten!) Tatsächlich meinen rund 60 Prozent, dass Kinder in Lokalen, Kinos, Theatern oder Konzerten nicht willkommen sind. Drei Viertel der Befragten fühlen sich gestört, wenn Kinder so sind, wie sie eben sind: wenn sie laut reden, mit den Fingern essen oder Gegenstände befühlen wollen. Nur ein Drittel der Befragten findet nichts dabei, wenn Kinder in der Straßenbahn oder in der Eisenbahn singen.

Die Zukunft muss meiner Meinung nach so sein, dass sich Erwachsene auf Kinder einstellen, diese fair, achtungs- und liebevoll behandeln, dass alle Kinder, die in diesem Land leben, egal ob deutschsprachig oder nicht, eben Kinder sein dürfen und nicht nur dann akzeptiert werden, wenn sie sich an die Welt der Erwachsenen anpassen, die sie oft noch gar nicht erfassen können oder begreifen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ein Slogan der Österreichischen Kinderfreunde lautete schon vor langer Zeit: "Mehr Zeit, mehr Raum, mehr Liebe für unsere Kinder und für unsere Familien".

Was heißt das? – Väter und Mütter brauchen faire Chancen für ein Leben mit Kindern. Die Lebenswelten und Lebensformen der Menschen haben sich verändert und prägen maßgeblich das Bild dieser Gesellschaft.

Was brauchen Familien für eine faire Chance? – Das Recht auf freie Wahl der Familienform, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, ein partnerschaftliches Elternzeitmodell, Einkommenssicherheit, Schutz vor Armut, qualitativ gute Kinderbetreuungseinrichtungen, Arbeitsplatzsicher


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heit, klare Verhältnisse nach einer Trennung, einheitliche Standards bei Jugendschutz, Sozialhilfe und Familienzuschuss, um nur einige Punkte zu nennen.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind der Schlüssel zu einem kinder- und familienfreundlichen Österreich. Dazu gehören auch Sicherheit, freier Zugang zur Bildung, eine gerechte Sozialpolitik und eine menschenfreundliche Wirtschaftspolitik genauso wie ein umfassendes Demokratieverständnis und die Einhaltung der Menschenrechte. Alle OECD-Berichte in der Vergangenheit haben Österreich ein hervorragendes Zeugnis für die österreichische Familienpolitik ausgestellt. Wir brauchen Qualitätssicherung und Qualitätsstandards bei der Kinderbetreuung, um nur einen Punkt hervorzukehren, gerade wenn private Betreuungseinrichtungen gefordert werden.

Die Auswirkungen des Belastungspaketes sind für die Menschen spürbar. Sie bedeuten vielfach eine Verunsicherung und sind vielfach auch eine Sackgasse. Ungeheuerlich finde ich dann, wenn hier zum Beispiel Landeshauptmann Pröll die Klage einer Frau als sozialistische Propaganda hinstellt und meint, dass eine Mitversicherung für eine Frau, die keine Kinder geboren hat, noch immer aufrecht sei. Ich meine, Kollege Donabauer, es ist an der Zeit, den Herrn Landeshauptmann diesbezüglich aufzuklären, dass Sie das nämlich beschlossen haben und dass das keine Propaganda ist.

Meine Damen und Herren! In ihrem Programm fordern die Österreichischen Kinderfreunde eine Gesellschaft, in der alle Generationen, Männer und Frauen, partnerschaftlich zusammenleben. Nur das solidarische Handeln aller kann die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit die Lebensbedingungen der Einzelnen verbessern. Wir SozialdemokratInnen können uns diesen Forderungen nur anschließen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.22

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Donabauer. – Bitte.

13.22

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Frau Kollegin Binder, ich kann Sie beruhigen: Wir haben auch mit dem Herrn Landeshauptmann Pröll viele Diskussionen. Pröll sagte nicht, das sei sozialistische Propaganda, Pröll sagte: Ich werde mir diese Fälle persönlich anschauen und lasse mich darüber informieren! – Das ist der Stil der Politik des Herrn Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich! (Beifall bei der ÖVP.)

Punkt 2: Der OECD-Bericht der Vergangenheit war gut, haben Sie gesagt. Ich sage Ihnen: Der nächste Bericht wird noch besser sein, denn wir haben uns gerade mit dem heutigen Tag klar dafür entschieden, dass wir vieles zum Positiven verändern. Auch wenn Sie mit noch so viel Humorlosigkeit versuchen, hier Hoffnungslosigkeit zu transportieren, für mich ist die Situation anders: Ich sehe den heutigen Tag als einen hoffnungsvollen Tag, als einen Tag für die Zukunft unseres Landes, mit dem wir beginnen, nicht nur keine Belastung mehr zu machen, sondern wirklich neue Leistungen für die Menschen und für Familien einzuführen und den Menschen anzubieten. (Abg. Dr. Mertel: Sehr witzig!)

Der Herr Bundeskanzler hat heute in seiner Erklärung gesagt, es gehe einfach darum, dass wir uns bemühen, eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Weichenstellung vorzunehmen, Investitionen für unsere eigene Zukunft zu tätigen. Es geht also darum, die Bedeutung der Familie im Staat, in der Gesellschaft und für jeden Menschen noch einmal neu zu betrachten und diese auch neu zu unterstützen.

Was will jeder Mensch? – Jeder will eine heile Familie, jeder will gesunde Kinder, und jeder will Eltern, die für das Kind Zeit haben. (Abg. Dr. Mertel: Eben!) Gerade mit diesem Kinderbetreuungsgeld wollen wir in hohem Maße diesen Forderungen entsprechen.

Sie bedauern, dass das Karenzgeld alter Prägung demnächst, nämlich am 1. Jänner 2002, ausläuft. Was war es? – Sie haben einen Fixbetrag angeboten. Sie haben eine harte Zuverdienstgrenze von 4 000 S pro Monat gehabt, und dann ist Schluss gewesen. (Abg. Dr. Mertel: Fami


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lienzuschläge! Die haben Sie abgeschafft!) Sie bedauern heute und hier, dass Kinderbetreuungseinrichtungsplätze fehlen. Bitte gehen Sie hinaus ins Land! Wo fehlen sie? – Besonders in Wien. Ich kann Ihnen unser Bundesland anbieten. Besuchen Sie es einmal! Wir haben diesbezüglich eine Ausstattung, die herzeigbar und für jeden zugänglich ist. Das ist die Wahrheit! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Auch wenn Sie sich mit dem Kinderbetreuungsgeld noch so schwer tun, bitte bekennen Sie doch einmal ein: Erstens: Es gibt keine Ausgrenzungen, sondern es gibt beim Kinderbetreuungsgeld, wie wir es vorschlagen, eine umfassende Einbindung fast aller, auch jener, für die Sie bis heute kein Herz hatten, nämlich der Frauen, die schlicht und einfach Hausfrauen sind, weil sie sich dieser Aufgabe zuwenden (Abg. Dr. Mertel: Wie war das in der Vergangenheit, Herr Kollege Donabauer? Waren Sie da nicht dabei?), und auch jener, die in Ausbildung stehen und keinem Beruf nachgehen konnten. Ihr Karenzgeld alter Prägung leitet sich von einer Betätigung mit einer Arbeitslosenversicherungspflicht ab. (Abg. Dr. Mertel  – in Richtung ÖVP –: Sie waren in der Vergangenheit nirgends dabei!) Wir haben nun ein neues Modell, wonach wir aus dem Familienlastenausgleichsfonds heraus bezahlen, und ich freue mich, dass Frau Dr. Petrovic auch viel Sympathie für diesen neuen Weg zeigt.

Es geht jetzt auch darum, dass wir wirklich einen breiten Zugang und neue Elemente anbieten. Dafür, die Zeiten der Kindererziehung mit 18 Monaten pensionsbegründend anzuerkennen und für weitere 30 Monate Ersatzzeiten anzubieten, brauchen wir uns doch nicht zu entschuldigen, dafür brauchen wir uns doch nicht zu schämen, das können wir doch herzeigen! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Und wie finanzieren Sie das?) Sie werden sehen: Die Leute nehmen es an und werden sagen: Jawohl, das ist der richtige Weg! – Es ist so! (Abg. Dr. Mertel: Wie finanzieren Sie das?)

Erkennen Sie doch, dass wir in den letzten Jahren einen gewaltigen Rückgang von Geburten hatten! Erkennen Sie doch, dass wir eine höhere Lebenserwartung haben! Da ist Handlungsbedarf gegeben, und wir versuchen nun, hier mitzuhelfen. (Abg. Dr. Lichtenberger: Und damit wollen Sie das lösen? Oder wie?) Fragen Sie doch die Eltern, wie sie dazu stehen! Sie sagen: Für uns ist ein Kind oft deshalb nicht möglich, weil wir zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten nebenbei haben, weil das Karenzgeld zu wenig ausreichend ist, wir haben Existenzprobleme!

Wenn Sie es immer noch nicht glauben, dann lesen Sie den Einkommensbericht des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen aus vergangenen Regierungsjahren und lesen Sie den Nationalen Aktionsplan für soziale Sicherheit und gegen Ausgrenzung! Überall steht dasselbe drinnen: Armutsgefährdet sind in erster Linie allein erziehende Mütter und Familien mit mehreren Kindern. Das ist die bisherige Politik gewesen. Nunmehr müssen wir sie anders konzipieren, besser machen. Darüber müssen Sie sich nicht ärgern. Sie können sich an diesem heutigen besonderen Tag, an dem es um die Zukunft dieses Landes geht, wirklich von Herzen freuen. Ich lade Sie dazu ein! Es ist möglich. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Mertel  – einen Zeitungsausschnitt in die Höhe haltend und die Überschrift zitierend –: "Sozialpolitiker sind auf Urlaub"!)

Wenn Sie, Frau Kollegin Dr. Mertel, mit Ihrem Modell schon so glücklich sind, warum befassen Sie sich in der Gewerkschaftsbewegung mit der Frau Vizepräsidentin Csörgits mit einer neuen Regelung? Kennen Sie diese neue Regelung, die sie jetzt andenkt? Ja freilich, Sie wissen es. Sie will Arme noch ärmer und Reiche noch reicher machen. Diese Politik trägt Ihre Handschrift! Wir machen eine andere (Beifall bei der ÖVP), denn bei uns haben die Kinder und die Familie den gleichen Stellenwert. Ihnen werden wir uns verpflichtet sehen, und für sie werden wir unsere Aufgabe erfüllen.

Mit diesen Beispielen wollte ich Ihnen deutlich machen, dass wir uns bemühen, wahrlich den Menschen entgegenzugehen. Hören Sie auf mit Ihrem Lamentieren! Nehmen Sie doch endlich einmal dieses neue, dynamische und leistungsstarke Produkt zum Wohle unserer Familien an! Freuen Sie sich mit uns!


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Ich sage Ihnen noch eines: Wir wollen mit diesem Kinderbetreuungsgeld vor allem all jenen Menschen entgegenkommen, die bereit sind, Verantwortung und Elternschaft zu übernehmen. Das ist, glaube ich, doch eine gute Sache, über die sich diese Regierung freuen kann – und mit ihr ganz Österreich. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

13.29

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Reheis. – Bitte.

13.29

Abgeordneter Gerhard Reheis (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Kollege Donabauer hat uns Humorlosigkeit oder etwas in der Art vorgeworfen. (Abg. Donabauer: Festgestellt, nicht vorgeworfen!) Herr Kollege Donabauer, eine andere Art des Humors darf ich Ihnen hier zitieren, und zwar von Ihrem Mitglied und Bauernbundpräsidenten Schwarzenberger, wie er das in "Die ganze Woche", Nummer 11/2001, zum Ausdruck gebracht hat, nämlich bezüglich der Lebendtiertransporte in Verbindung mit schwangeren Frauen: "Ein Verbot der Tiertransporte wäre ähnlich, wie wenn man schwangeren Frauen vorschreiben würde, dass sie in Österreich bleiben müssen. Man kann Tiere genauso schonend transportieren wie Menschen." – Wenn das Ihr Humor ist, Herr Kollege: Unser Humor ist das nicht, und dem möchte ich mich nicht anschließen! (Beifall bei der SPÖ.)

Die heutigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und der Frau Vizekanzlerin zum Thema familienfreundliches Österreich sind leider nicht darauf eingegangen, wie die derzeitige Regierung mit den Familien umgeht. Zwischen dem, was Sie den Österreicherinnen und Österreichern sagen, und dem, was hier im Hohen Haus mit schwarz-blauer Mehrheit beschlossen wird, liegen nämlich Welten. In Ihren Reden tun Sie so, als ob die Regierung die Familienvertreterin schlechthin sei, überall Reformen angehe, tatsächlich beschließen Sie mit Ihrer Mehrheit aber ständig neue Belastungen für die Familien, für die Österreicherinnen und Österreicher. (Zwischenruf des Abg. Hornek. )

Einige Beispiele, Herr Kollege: Erhöhung der Energieabgabe, bereits mehrmalige Erhöhung der Rezeptgebühr, Kürzung des Krankengeldes, höhere Selbstbehalte bei Heilbehelfen, Ambulanzgebühr, nicht zu vergessen die Studiengebühr, die die Bildung unserer Kinder in der Zukunft belastet, und so weiter und so weiter. Es wurde heute schon einiges gesagt. Aber auch – ich zitiere aus der "Kronen Zeitung" –: "Rekordabgabenquote": Bis 11. Juni arbeiten Sie für den Staat. "Am 11. Juni können Österreichs Steuerzahler aufatmen. Ab dann arbeiten sie nämlich für die eigene Tasche. Bis dahin geht ihr Einkommen, statistisch gesehen, für Steuern und Sozialversicherung drauf. Grund dafür ist die heurige Rekordabgabenquote von 44,6 Prozent. Sie liegt um 3 Prozent über dem EU-Durchschnitt und um 2,5 Prozent über dem Wert von Deutschland."

Das belastet nicht die Familien?! (Abg. Hornek: Kennen Sie die Arbeitslosenrate auch?) Aber Sie kommen mit dem Kinderbetreuungsgeld und überdecken damit diese Maßnahmen, die diese Bundesregierung gesetzt hat. Das ist eine Maske, die Sie aufsetzen, um der Bevölkerung etwas vormachen zu können, was nicht richtig ist.

Noch etwas: Die Caritas beklagt, die Armutsschere drohe sich zu öffnen. Derartige Beispiele, wie sie öffentlich abgehandelt werden, und zwar nicht von Sozialdemokraten, können wir Ihnen mehrere zitieren. Es heißt hier weiter: Caritas-Chef Küberl kritisierte den Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung der Regierung. Durch übertriebenes Sparen öffne sich die Armutsschere, gab er zu bedenken. Die Mindestpension in Österreich liege unter der offiziellen Armutsgrenze. Es sei eine große Chance vertan, die Zielsetzung der EU zur Armutsbekämpfung nicht erreicht worden. – Und so weiter und so weiter.

Keine Belastungen nach Meinung der Bundesregierung?! – Das sind Belastungen! Auch mit dem Kinderbetreuungsgeld schieben Sie etwas vor, wo Sie den Österreichern vermeintlich etwas geben, was Sie ihnen vorher weggenommen haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hornek: Keine Ahnung!)

Tatsache ist, dass Sie mit Ihrer Politik jetzt mit dem Kinderbetreuungsgeld den Familien für drei Jahre etwas zur Verfügung stellen, aber was nach diesen drei Jahren ist, sagen Sie nicht. Was passiert mit den Bildungsmöglichkeiten unserer Kinder? – Ich habe schon die Studiengebühren


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erwähnt. Tatsache wird sein, dass jene, die zu den Wohlhabenden in der Gesellschaft gehören, tatsächlich mehr Möglichkeiten haben werden, für die Ausbildung der Kinder zu sorgen, während Arbeitnehmerfamilien zukünftig wahrscheinlich wieder weniger an Bildung für ihre Kinder haben werden, und die Schere zwischen der Elite der Wohlhabenden und den weniger ausgebildeten Kindern von Arbeitnehmerfamilien wird wieder stärker auseinander gehen. Was diese Lebensperspektiven der österreichischen Familien betrifft, hat Schwarz-Blau leider versagt. (Beifall bei der SPÖ.)

13.34

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Graf. – Bitte.

13.34

Abgeordneter Dr. Martin Graf (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe die Rede des Kollegen Reheis, den ich an sich sehr schätze und der erst jüngst Bürgermeister geworden ist, sehr aufmerksam verfolgt und muss leider feststellen: Es wurde keine einzige wirklich substanziierte Aussage zum Kindergeld getroffen. Sie haben versucht, hier allgemein zu punkten. (Abg. Dr. Mertel: Was steht auf der Tagesordnung?) Mich würde vielmehr interessieren – weil es ja immer nur sehr abstrakt zugeht –, wie Sie es denn als frisch gewählter Bürgermeister von Imst handhaben werden. Werden Sie als Bürgermeister die Auszahlung des Kindergeldes ab dem Jahr 2002 nicht vornehmen? Werden Sie sich dagegen sperren? Werden Sie Ihren Gemeindebürgern, Ihren jungen Familien dieses Geld vorenthalten? Werden Sie genauso fundamentalistisch dagegen kämpfen: ja oder nein? (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Silhavy: Das hängt von der finanziellen Lage ab!)

Das würde Ihr Wahlvolk wahrscheinlich sehr interessieren. Ich glaube nämlich nicht, dass Sie die Wahlen, die jüngst stattgefunden haben, mit dem Werbeslogan gewonnen haben: Ich werde das Kinderbetreuungsgeld nicht zur Auszahlung bringen, wenn ich Bürgermeister werde! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Das ist genau Ihre Art von Politik: vernebeln, Neid, auch Hass, Aufhetzen älterer Menschen gegen junge Familien, Neid schüren, Hass säen und so weiter. Das ist die sozialistische und auch die grüne Politik in diesem Zusammenhang! (Abg. Reheis: Das ist Ihre Politik!)

Kein substanziierter Beitrag über das Kindergeld. Nirgends wird es erwähnt. Ich bin sehr gespannt und werde als Kollege im Nationalrat sehr genau beobachten, wie Sie das Kinderbetreuungsgeld in Ihrer Gemeinde handhaben werden. (Abg. Silhavy: Da können wir ja noch einen tollen Abänderungsantrag in diesem Haus erwarten!) Aber ich bin mir sicher, dass Sie das, wie immer in Ihrer doppelbödigen Strategie, verteufeln, aber dann am Schluss gerne als guter Onkel dastehen werden und es selbstverständlich nicht torpedieren werden.

Ich möchte auch zum Kollegen Öllinger – der leider Gottes jetzt nicht da ist, aber vielleicht sagen es ihm die Kollegen –, zu seinem wirklich entlarvenden Beispiel hinsichtlich Architektur, Familie und Kinder, einige Worte sagen. Er hat gemeint, man sehe schon, dass die Umgebung nicht kinderfreundlich sei, denn wenn man sich die Architektur, die Pläne von Wohnungen ansieht, sehe man, dass die Kinderzimmer die kleinsten Räume seien, und überhaupt täte man nichts für die Familie.

Das ist seine strukturierte Welt. Erstens einmal ist er ja nicht aufgefordert und ist niemand aufgefordert, die Kinder, so wie es der Architekt plant, in das kleinste Zimmer einzusperren. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld? Nichts!) Man kann auch durchaus das größte Zimmer nehmen und sich selbst ins kleinste Zimmer hineinlegen. Das ist eine Möglichkeit, Frau Mertel, wie Sie ja wissen. Aber diese Denkweise hat der Kollege Öllinger nicht, und er hat auch gar keine Ahnung, was die Kinderbedürfnisse tatsächlich sind. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld? Nichts!) Das ist ja auch ganz logisch. Wahrscheinlich hat er selbst keine, oder er kennt sie nur vom Hörensagen. Ich weiß es nicht, es ist mir auch völlig egal. (Abg. Dr. Lichtenberger: Wie viele Kinder haben Sie?) Auf jeden Fall glaubt er, dass Kinder sich in Kinderzimmern besonders wohl fühlen.


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Frau Kollegin Lichtenberger! Ich sage es Ihnen genau. Ich habe drei Kinder. Ich weiß, wie das ist. Ich habe auch sehr viele Freunde mit sehr vielen Kindern. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld? Nichts! Gar nichts!) Vielleicht haben Sie das auch. Kinder sind immer bei den Eltern, sind immer dort, wo sich etwas abspielt, immer bei der Familie. Dort sind sie am liebsten! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Nicht im Kinderzimmer – im Alter zwischen null und drei Jahren – eingesperrt und auch nicht primär in Kinderbetreuungsstätten abgegeben! (Abg. Auer: Im Kinderzimmer beim Fernseher!)

Dass ein Kindergarten ab einem gewissen Alter eine durchaus soziale Funktion ausfüllen kann, ist uns allen bewusst. Man lernt auch dort soziales Verhalten, keine Frage. (Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ.) Aber immer zu glauben, dass die einzige Alternative sei, Kinder in Kinderbetreuungsstätten abzugeben oder letztlich ins Kinderzimmer einzusperren – ins kleinste Zimmer natürlich, denn man ist ja überhaupt nicht flexibel –, das ist das Denkmuster, das uns hier begleitet.

Ich sage hier noch einmal: Kinder wollen bei ihren Eltern sein. Eltern wollen bei ihren Kindern sein. Vielleicht ist Ihnen diese Denkart etwas fremd. Uns ist sie nicht fremd, und der Mehrheit der Bevölkerung – da bin ich mir ganz sicher – ist sie auch nicht fremd. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld? Nichts!) Sie verwechseln den politischen Idealismus beim Kinderbetreuungsgeld mit einem politischen Fundamentalismus, der Sie nicht weiterbringt. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld? – Abg. Reheis: Sagen Sie was zum Kindergeld!)

Sie glauben nicht nur immer, zu wissen, was richtig und was falsch ist, sondern Sie wollen auch noch darüber urteilen, was gut und böse ist. Ihre Ideologie ist gescheitert. Der real existierende Sozialismus, der die Kinderbetreuungsstätten als das alleinige Allheilmittel gesehen hat, ist zusammengebrochen, ist gescheitert. (Abg. Dr. Mertel: Was sagen Sie zum Kinderbetreuungsgeld?) Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen! (Abg. Dr. Mertel: Sagen Sie etwas zum Kinderbetreuungsgeld! Bei Reheis haben Sie das eingefordert, aber selber sagen Sie nichts dazu! Nichts! Kein Wort!) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Familie in diesem Punkt gestärkt gehört – und nicht die Ideologie der Kinderbetreuungsstätten! (Abg. Dr. Mertel: Warum sagen Sie nichts zum Kinderbetreuungsgeld?)

Mir ist es manchmal schon zu Bewusstsein gekommen, dass die Wortführer bei der Sozialdemokratie, aber auch bei den Linken, bei den Grünen letztlich diejenigen in der Familienpolitik sind, die selbst keine Kinder haben oder in ungeordneten Familienverhältnissen leben, Frau Kollegin Mertel. Das wissen Sie selbst am besten. Sie reden oft ... (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Mertel: Wissen Sie, warum ich keine Kinder habe? Wissen Sie das?)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Frau Kollegin Mertel! Sie kennen meine Einstellung. Zwischenrufe sind das Salz der parlamentarischen Diskussion, aber Sie sollten nicht in Gegendarstellungen, die gleichzeitig zur Rede des gerade agierenden Redners ablaufen, ausarten. Ich bitte, die Zwischenrufe auf das notwendige und günstige Ausmaß zu beschränken.

Bitte, Herr Abgeordneter, setzen Sie Ihre Rede fort!

Abgeordneter Dr. Martin Graf (fortsetzend): Frau Kollegin Mertel und andere Kolleginnen! Sie versuchen, durch permanentes Dreinschreien einen Redner hier am Pult am Reden zu hindern. Das nehme ich einmal so zur Kenntnis. Es macht mir aber nichts aus. Ihre autoritative Vorgangsweise hier im Plenum und in der Vergangenheit haben wir ja kennen gelernt. Sie wollen immer nur zwangsbeglücken, den Eltern, den Familien niemals eine Wahlfreiheit lassen.

Diese Zeiten sind vorbei! Darauf sind wir stolz, und wir werden in ganz Europa und in der ganzen Welt wieder einmal Vorbildwirkung erzielen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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72. Sitzung / Seite 90

13.40

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Parfuss. – Bitte.

13.40

Abgeordnete Ludmilla Parfuss (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Geschätzte Damen und Herren! Herr Abgeordneter Dr. Graf! Eines würde mich interessieren: Was bezeichnen Sie als "ungeordnete" Familienverhältnisse? (Abg. Dr. Mertel: Seine!)  – Es würde mich sehr interessieren, was Sie darunter verstehen, Herr Abgeordneter. (Abg. Dr. Martin Graf: Sagen Sie mir, was Sie darunter verstehen!) Ich brauche das nicht zu sagen, ich frage Sie; geben Sie mir die Antworten. (Abg. Dr. Martin Graf: Was verstehen Sie darunter?) Ich kenne keine ungeordneten Familienverhältnisse. (Abg. Dr. Martin Graf: Ach so!)

Herr Abgeordneter! Sie rügen Herrn Bürgermeister Reheis, weil er nichts zum Kinderbetreuungsgeld gesagt hat. Das Thema ist meines Wissens nicht das Kinderbetreuungsgeld, sondern das Thema lautet heute: Was ist familien- und kinderfreundlich?

Die heutige Debatte zeigt, dass wir unterschiedliche Antworten auf diese Fragen haben. Wir haben aber auch unterschiedliche Problemanalysen und Feststellungen darüber, warum es weniger Geburten gibt. Meine Kollegen und Kolleginnen haben vieles schon auf den Punkt gebracht; ich werde das nicht wiederholen. Aber nicht nur meine Kolleginnen und Kollegen haben es auf den Punkt gebracht, sondern auch eine Frau Ute Gross in der heutigen "Kleinen Zeitung", in der sie Folgendes meint – ich möchte das vorlesen, weil ich glaube, dass sie das sehr gut analysiert hat –:

"Frauen sind gleichberechtigt! Beruf und Familie müssen vereinbar sein! Frauen haben Chancengleichheit! Frauen haben freie Wahlmöglichkeiten! Und rasieren müssen sie sich auch nicht! Frau sein ist super!!! Achtung: Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht. Bis auf die Aussage bezüglich des Rasierens war nämlich alles gelogen."

Jetzt kommt es: "Die Bürochefin von Landesrat Kurt Flecker" – steiermärkischer SPÖ-Landesrat – "saß bis vor wenigen Tagen im Kuratorium der Schihandelsschule Schladming. Ihre Mitgliedschaft endete einen Tag vor Beginn ihres Mutterschutzes. Per lapidarer Mitteilung durch das Büro des zuständigen Landesrates Hermann Schützenhöfer (ÖVP)."

Sie sagt weiters: "Man erinnere sich an das Gesülze, welch tolle Zeiten durch die Einführung des Kindergeldes über die Frauen hereinbrechen werden. Die großzügigen Geldgeschenke könnte man(n) sich sparen, würde man in Bewusstseinsbildung und tatsächliche Chancengleichheit investieren. So lange Frauen Gefahr laufen, durch die Mutterrolle ins berufliche und gesellschaftliche Abseits geschossen zu werden, hält sich die Lust aufs Kinderkriegen in engen Grenzen. Das mag in manchen Ohren furchtbar kämpferisch klingen. Aber ab und an verlässt einen als Frau tatsächlich jeder Humor."

Herr Bundeskanzler! Dem ist nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.43

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ellmauer. – Bitte.

13.43

Abgeordneter Matthias Ellmauer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wichtiger Baustein unserer Politik ist es, gute Arbeit für die Zukunft unser Kinder zu leisten. Erstmals, meine Damen und Herren, gibt es bei der Kinderbetreuung eine echte Wahlfreiheit. Dank der Arbeit dieser Bundesregierung werden drei Jahre Kinderbetreuungsgeld für alle Wirklichkeit.

Meine Damen und Herren! Das Kinderbetreuungsgeld ist europaweit vorbildhaft. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Wenitsch. ) Es ist ein Meilenstein in der Familienpolitik. Mit diesem Schritt hat Österreich eine wegbereitende Rolle in Europa übernommen. Auch in links-regierten Ländern wie Deutschland, England und Dänemark wird das Thema bereits nach österreichischem Vorbild diskutiert. Damit hat diese Regierung die gesellschaftspolitischen Weichen für die Zukunft unseres Landes neu gestellt. Das Kind mit seinem Bedarf an Betreuung steht im Mittelpunkt – und nicht, wie bisher, die Kompensation von Einkommensverlusten durch die Betreuungspflicht gegenüber einem Kind. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Wenitsch. )


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Das Kinderbetreuungsgeld ist daher eine Familienleistung anstelle einer Versicherungsleistung, eine Leistung, die für die Kinderbetreuungsarbeit – eine sehr verantwortungsvolle und gesellschaftlich wichtige Tätigkeit! – bezahlt wird. Davon abgesehen erfasst das Kinderbetreuungsgeld erstmals wirklich die sozial schwächeren Gruppen wie Alleinerzieherinnen, Studentinnen, Hausfrauen, Schülerinnen und Bäuerinnen, also all diejenigen, die bis jetzt teilweise durch den Rost gefallen sind. (Abg. Binder: Das sagt man nicht!) Das sind zusätzlich etwa 10 000 Personen, die im nächsten Jahr bereits Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld haben werden. Insgesamt werden für das Jahr 2002 in Österreich rund 77 700 Geburten prognostiziert.

Dazu noch ein paar Zahlen aus Oberösterreich: Jede vierte Frau über 30 Jahre in Oberösterreich ist Hausfrau. Knapp 20 Prozent der insgesamt 419 000 oberösterreichischen Frauen zwischen 15 und 60 Jahren sind Hausfrauen. (Abg. Mag. Prammer: Alle sind das!) Bei den 30- bis 49-Jährigen steigt der Anteil sogar auf 25 Prozent oder 50 300 Hausfrauen. (Abg. Dr. Mertel: Selbst die Frau Bartenstein ist Hausfrau! Sie rotiert im Haushalt ...!) Diese Frauen, die unter der bisherigen Gesetzeslage kein Karenzgeld beziehen konnten, haben ab 1. Jänner 2002 Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. – Frau Kollegin Mertel, wenn Sie zuhören würden, würden Sie es auch verstehen. (Abg. Dr. Mertel: Auch die Frau Bartenstein ist Hausfrau! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Die ÖVP-regierten Bundesländer nehmen schon seit langem eine Vorreiterrolle in puncto der Familienförderung ein. So müssen zum Beispiel die Eltern in Niederösterreich keinen Kindergartenbeitrag leisten – im Gegensatz zum sozialistischen Wien. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Silhavy: Da braucht man auch eine Halbtagsbetreuung!)

Auch Oberösterreich hat ein beispielgebendes Familienpaket geschnürt. Darin ist zum Beispiel eine Familienbeihilfe für Schulveranstaltungen in Pflichtschulen enthalten. Zur Verringerung der finanziellen Belastungen von Familien mit mindestens zwei Kindern (Abg. Silhavy: Für diese Rede hat man Ihnen nicht alles aufgeschrieben!), die in einem Schuljahr an Schulveranstaltungen teilnehmen, leistet das Land Oberösterreich, wenn eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschritten wird, eine Unterstützung von 1 000 S pro Kind.

Noch ein paar Schlagworte für weitere Leistungen, die das Land Oberösterreich für Familien erbringt (Abg. Sophie Bauer: Sind wirklich nur Schlagworte!): der Familienzuschuss des Landes Oberösterreich nach Geburt eines Kindes; Familienzuschuss beim Schuleintritt; Familienzuschuss bei Schulveranstaltungen; Landeszuschuss für Familienurlaub, Familienauto; Mobilitätszuschuss; familienfreundliche Wohnbauförderung; Impfgutschein; eine Begleitperson ins Krankenhaus. (Abg. Dr. Mertel: Werden wir das jetzt beschließen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war auch höchste Zeit, verstärkt etwas für die Familien dieses Landes zu tun. Die Geburtenrate in ganz Europa und auch in Österreich sinkt. (Abg. Dr. Mertel: Besonders in Ihrem Bezirk!) Wenn wir dem nicht entgegensteuern, wird das fatale Folgen für die Finanzierbarkeit der Pensionen haben.

Eine gute Familienpolitik trägt in erster Linie zum gerechten Ausgleich zwischen den Generationen und Geschlechtern bei. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Dabei sollte es einerseits einen Ausgleich zwischen den derzeit kinderlosen und den Kinder habenden Steuerzahlern geben. Das ist ein Bereich, in dem noch viele Aufgaben warten, um Ungerechtigkeiten im Steuerrecht auszugleichen und Österreich noch familien- und kinderfreundlicher zu gestalten. Andererseits sollte eine gerechte Familienpolitik auch einen Leistungsausgleich zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit schaffen.

Ein Ziel der Familienpolitik muss es sein, dass Eltern durch ihre Unterhaltspflicht für Kinder in ihrem eigenen Lebensstandard nicht nachhaltig absinken. 150 000 Kinder leben derzeit in Österreich an der Armutsgrenze. Es muss gelingen, diese Kinder und ihre Familien aus dieser Situation herauszuführen. Das Kinderbetreuungsgeld ist ein wichtiger Schritt dazu. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

13.49


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72. Sitzung / Seite 92

Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Lapp. – Bitte.

13.49

Abgeordnete Mag. Christine Lapp (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Familienpolitik, wie sie heute von Seiten der Regierungskoalition vorgestellt worden ist, entspricht eher einem Modell, das aus dem Jahre Schnee stammt und die Wirklichkeit überhaupt nicht widerspiegelt. (Widerspruch bei der ÖVP.) Diese Familienpolitik wird den "Elchtest" nicht bestehen. Es zeigt sich auch anhand der Diskussionsbeiträge (Abg. Murauer: "Elch"! Redet von Kindern wie von Elchen!), dass sich nach wie vor das gesellschaftliche Modell, dass es in einer Partnerschaft einen herrschenden und einen dienenden Teil geben muss, auf die Familienpolitik auswirkt.

Ich denke, dass die Wirklichkeit ganz anders ausschaut und die Bevölkerung schon so viele unterschiedliche Lebensformen hat, dass man nicht mehr, so wie Herr Abgeordneter Graf, von "ungeordneten" Verhältnissen sprechen kann. Es würde mich auch sehr interessieren, was Sie damit meinen.

Ich denke, damit zeigen die Vertreter und Vertreterinnen der Regierungsparteien wieder, dass sie in die individuellen Lebenssituationen von Menschen eingreifen wollen. Das zeigt wiederum die veraltete Sichtweise, die überholt ist und die Familien in unserer Gesellschaft keinen Schritt weiterbringt. (Abg. Ellmauer: Familien werden nie überholt sein!) Menschen lassen sich im 21. Jahrhundert in kein Schema pressen, ganz im Gegenteil: Sie wollen ihre unterschiedlichen Träume und Lebensvorstellungen verwirklichen, und dabei brauchen sie Unterstützung und Kraft.

Wie sehen denn die Bedürfnisse von Familien aus? – Mein Vorredner hat vorhin vom sozialistischen Wien gesprochen und dieses gegeißelt. Ich denke mir: Wenn es nur überall so wäre wie in Wien, Herr Kollege, dann wären die Familienfreundlichkeit in der österreichischen Gesellschaft und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Österreich wesentlich weiter! (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP. – Beifall bei der SPÖ.)

Es ist so, dass in Wien zwei Drittel aller Betreuungsplätze für die eineinhalb- bis dreijährigen Kinder da sind. Zwei Drittel all dieser Plätze in ganz Österreich befinden sich in Wien, und in Wien haben wir bei der Betreuung der drei- bis sechsjährigen Kinder eine Vollversorgung. Das hätte ich gerne auch in den anderen Bundesländern verwirklicht. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Achatz. )

Neben der Kinderbetreuung, die von der Qualität und selbstverständlich auch vom Angebot her stimmen muss, ist es entscheidend, wie die Arbeitswelt gestaltet ist und dass wir eine familienfreundliche Arbeitswelt haben, die es Müttern und Vätern, Großmüttern und Großvätern ermöglicht, die Familienzeit und die Lebensarbeitszeit miteinander in Verbindung zu bringen. Da ist meiner Meinung nach schon ein sehr dezidierter Nebensatz gefallen: Irgendein Vorredner hat gemeint, man müsse die Kinderbetreuung irgendwie wirtschaftsfreundlicher machen. Dem kann man nur eine klare Absage erteilen. Das trägt wahrlich nicht dazu bei, dass Familienpolitik in Österreich groß geschrieben wird!

Es ist selbstverständlich auch wesentlich, dass für die Kinder Ausbildungschancen bereitgestellt werden. Hier macht die jetzige Regierungskoalition genau gegenteilige Schritte. Es zeigt sich meiner Ansicht nach, dass in Fragen der Familienfreundlichkeit von Seiten der Regierungsparteien eher Schalmeientöne daherkommen. Der Herzlichkeitsgrad in der Gesellschaft – wie das der Herr Bundeskanzler angesprochen hat – ist meiner Meinung nach mit all den Maßnahmen, die jetzt die Bundesregierung setzt, auf dem Gefrierpunkt.

Man muss sich auch anschauen, wie in unserer Gesellschaft Familien mit Kindern behandelt werden, wenn da sehr viele Funktionäre, auch von anderen politischen Parteien, hetzen, dass Kindergartenkinder in einem Hof in Wien spielen können und dass es dort dann Angriffe auf die Kinder gibt. Dem kann man nur eine klare Absage erteilen! Das zeigt auch das unterschiedliche Bild von Realität und Ankündigungen.


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Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz auf die Maßnahmen in der Familienpolitik, die wir gesetzt haben. Wir werden nach dem Schutthaufen, den Sie hinterlassen werden, sicherlich weiterarbeiten müssen, und zwar effizient und professionell. (Beifall bei der SPÖ.)

13.53

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Bösch. – Bitte.

13.53

Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Einführung des Kindergeldes mit dem 1. Jänner des Jahres 2002, Frau Vorrednerin, ist ein gesellschaftspolitischer Meilenstein. Das ist Familienpolitik des 21. Jahrhunderts, nicht jedoch die Rezepte, die Sie uns hinterlassen haben! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.) Mit diesem Kindergeld wird zum ersten Mal die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Zum ersten Mal findet damit eine Aufwertung der Familienarbeit statt, und zum ersten Mal begründet dies auch Pensionen für alle, die Familienarbeit leisten.

Meine Damen und Herren! Diese Regierung ist die erste Regierung, die die Familien wirklich stärkt. Die Vision eines kinderlosen Volkes ist ein Schreckensvision. Wir wollen keine kinderlose Gesellschaft, aber durch das Gesellschaftsbild der SPÖ wurde diese in den letzten Jahrzehnten provoziert. Kollege Martin Graf hat ganz Recht damit, dass er darauf hingewiesen hat. (Abg. Reheis: Was das ist, das wissen Sie selbst!) Der Geburtenrückgang ist dramatisch. Der sozialistische Weg – und das beweisen diese Zahlen, meine Damen und Herren von der SPÖ – war der falsche Weg!

Diese Regierung geht einen Weg der Stärkung der Familien. Wir wissen, dass das der richtige Weg ist. Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, einige Kommentare aus der unabhängigen Presse zumuten.

In den "Salzburger Nachrichten" vom 7. März 2001 heißt es: "Man kann – wie die SPÖ – ideologisch dagegen sein, Familien verstärkt zu fördern, ohne ihnen auf Punkt und Beistrich vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu gestalten haben. Aber sachlich lässt sich gegen das gestern beschlossene Kindergeld nichts einwenden. Im Gegenteil: Endlich gibt eine Regierung jungen Eltern die Chance, sich relativ frei für das zu entscheiden, was sie in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder für das Beste halten. ... Die wesentlichste Neuerung ist aber, dass Berufstätigkeit während der Karenzzeit nicht mehr bestraft wird. ... Schon deshalb ist die pausenlos aufgestellte Behauptung, die Regierung wolle die Frauen mit den 6 000 Schilling Kindergeld an den Herd zurücktreiben, blanker Unsinn. ... Die neue Regelung gibt den Frauen eindeutig mehr Freiheit." (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Das ist ein Kommentar aus einer unabhängigen Tageszeitung und nicht aus dem freiheitlichen Pressedienst. Aber bleiben Sie, meine Damen und Herren von der SPÖ, ruhig bei Ihrer familienfeindlichen Position. Das ist der sicherste Garant dafür, dass wir Freiheitliche die nächsten Wahlen gewinnen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Ruf bei der SPÖ: Das spielt’s nicht!)

13.57

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Riepl. – Bitte.

13.57

Abgeordneter Franz Riepl (SPÖ): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Österreich ist ein familienfreundliches Land. Dafür haben 30 Jahre lang sozialdemokratische Bundeskanzler gesorgt (ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP), und nicht die Bundesregierung im letzten Jahr, sehr verehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Österreich könnte aber noch kinder-, jugend- und familienfreundlicher sein, zum Beispiel dann, wenn Kinder keine Ambulanzgebühr zahlen müssten, zum Beispiel dann, wenn Familienvätern


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ihre Unfallrenten nach einem Arbeitsunfall nicht gekürzt würden, zum Beispiel dann, wenn Familienzuschläge in der Arbeitslosenversicherung nicht gestrichen würden, zum Beispiel dann, wenn Klassenschülerhöchstzahlen in den Schulen gesenkt und nicht erhöht würden. Dann wäre Österreich wirklich noch kinderfreundlicher. Aber für all diese Verschlechterungen steht diese Bundesregierung, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Österreich könnte aber noch kinder-, jugend-, und familienfreundlicher sein, wenn die Bildungssteuer der Studenten abgeschafft wäre, wenn beispielsweise im Handel die Verkäuferinnen bei ihren Familien sein könnten und nicht bis in die Nacht und am Wochenende im Geschäft sein müssten. Auch dafür steht die Bundesregierung.

Sehr geehrte Damen und Herren des Hohen Hauses! Österreich könnte familienfreundlicher sein, wenn die Kindergärten auch in den ÖVP-dominierten Bundesländern Öffnungszeiten hätten, die eine Arbeitsaufnahme der Eltern ermöglichen würden, und wenn diese Regierung nicht das Urlaubsgeld bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekürzt hätte, sehr geehrter Herr Bundesminister Bartenstein.

Dann wäre Österreich wirklich familienfreundlich. Aber diese Politik dieser Bundesregierung hat hier eigentlich versagt.

Ein familienfreundliches Österreich wäre es für mich auch dann, wenn sich die Arbeitgeber gleichviel um das Wohlbefinden der Kinder ihrer Arbeitnehmer sorgen würden wie auch diese und die Betreuung von Kindern zum Beispiel im Krankheitsfall nicht mit Angst um den Arbeitsplatz verbunden sein müsste, wie das viel zu oft der Fall ist.

Sehr verehrte Damen und Herren von den Regierungsparteien! Sie stellen das Kindergeld als Meilenstein dar und lenken damit von den Stolpersteinen dieser Regierung ab, die Sie den Familien in den Weg gelegt haben und, so befürchte ich, auch noch legen werden.

Das Gesetz betreffend das Kinderbetreuungsgeld, das Schwerpunkt der heutigen Diskussion war und vor Beschlussfassung ja noch einmal einer Diskussion unterzogen werden wird, bündelt alle vorhandenen Mittel in Richtung Familien mit Kindern unter drei Jahren. Für eine Verbesserung der Förderung von Familien mit älteren Kindern ist daher in Zukunft wohl kein Geld mehr da. Auch das verschweigen Sie still und heimlich, Herr Bundeskanzler und Frau Vizekanzlerin! (Abg. Mag. Prammer: Die sind beide nicht mehr da!)  – Ich muss feststellen, dass beide von der Regierungsbank verschwunden sind. Der Herr Bundeskanzler ist nicht mehr hier, die Frau Vizekanzlerin ist nicht mehr hier. (Abg. Mag. Prammer: Nur mehr seine Blumen sind da!) Nur die Geburtstagsblumen des Herrn Bundeskanzlers sind noch hier, aber sie lassen bereits die Köpfe hängen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

So wie den Blumen geht es bei dieser Politik wohl auch den Familien in unserem Land. (Beifall bei der SPÖ.)

14.01

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Achatz. – Bitte.

14.01

Abgeordnete Anna Elisabeth Achatz (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kollegen! Zehn Jahre waren wir Freiheitlichen guter Hoffnung und gingen sozusagen schwanger mit der Idee des Kinderschecks. Die Geburt hat sich leider Gottes auf Grund des Diktats der leeren Kassen, die Sie uns hinterlassen haben, etwas verzögert, aber jetzt ist es so weit! (Zwischenruf der Abg. Dr. Mertel. )

Das ist das Entscheidende: Das Baby, das Kindergeld, ist geboren, es ist kräftig und gesund, und ich bin mir sicher, dass sich alle österreichischen Familien über dieses Kindergeld, dieses Babygeld, freuen werden! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wirklich erstaunt habe ich heute die verbalen Winkelzüge vor allem der SPÖ-Abgeordneten vernommen. Diesen Mut muss man einmal haben: sich vor laufender Kamera hinzustellen und zu


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behaupten, das Kindergeld sei eine Schlechterstellung gegenüber der gegenwärtigen Karenzgeldregelung! (Abg. Dr. Partik-Pablé: Das ist paradox!) Diesen Mut muss man einmal haben! (Abg. Dr. Mertel: Sie kennen das Gesetz nicht!)

Sie von der SPÖ haben heute Tausenden Österreichern vor den Fernsehern bewiesen, dass Sie nicht in der Lage sind, eins und eins zusammenzuzählen. Für Sie ist eins und eins null – oder ein Minus! (Abg. Mag. Prammer: Dann lesen Sie ...!) Sie beherrschen nicht einmal die Grundrechnungsarten, Frau Kollegin Prammer! Sie haben das heute vor laufender Kamera bewiesen.

Die SPÖ hat doch, wenn ich das in Erinnerung rufen darf, das Karenzgeld gekürzt. Die FPÖ und die ÖVP hingegen erhöhen das Karenzgeld. (Abg. Mag. Prammer: Ist ja nicht wahr! Sie kürzen es!) Sie schreien: Das ist eine Schlechterstellung!

Die SPÖ hat damals als Regierungspartei die Karenzzeit gekürzt. FPÖ und ÖVP verdoppeln die Karenzzeit. Was schreit die SPÖ? – Das ist eine Schlechterstellung! (Abg. Dr. Mertel: Die war nie dabei, die ÖVP!)

Die SPÖ hat die Frauen zur Arbeitslosigkeit, zur Berufslosigkeit verdammt, indem sie die Zuverdienstgrenze mit 4 000 S festgelegt hat. ÖVP und Freiheitliche erhöhen die Zuverdienstgrenze von jährlich 50 000 S auf 200 000 S pro Jahr. Was sagen Sie, Frau Kollegin Prammer, heute vor laufender Kamera? – Das sei schlecht, das heißt zurück an den Herd!

Also heute hat sich die SPÖ demaskiert. Familienpolitik ist Ihnen kein Anliegen! Sie haben sich lächerlich gemacht und bis auf die Knochen blamiert – und das vor laufender Kamera! Dieses Kunststück muss man einmal zusammenbringen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir Freiheitlichen freuen uns ganz besonders, diese Bundesregierung freut sich, dass es gelungen ist, dass ab 1.1.2002 alle Mütter – von der Studentin bis zur Hausfrau, von der Bäuerin über die Kosmetikerin bis zur Lehrerin, alle! – das Kindergeld bekommen.

Ich gratuliere unserer Regierungsmannschaft ganz herzlich! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.04

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zu Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung.

Wir stimmen ab über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Lunacek und Genossen betreffend Änderung des Urlaubsrechts.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle fest: Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Petrovic und Genossen betreffend Änderungen im Mietrechtsgesetz.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Ich stelle fest: Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Lunacek und Genossen betreffend Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Prammer und Genossen betreffend sozial- und familienpolitische Offensive.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist ebenfalls die Minderheit und damit abgelehnt.

2. Punkt

Bericht des Hauptausschusses betreffend die Erstattung eines Gesamtvorschlages für die Wahl der Mitglieder der Volksanwaltschaft (623 der Beilagen)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Ich begrüße recht herzlich die zu diesem Tagesordnungspunkt erschienenen Volksanwälte Ingrid Korosec und Horst Schender. Sie sind so wie auch die designierten Volksanwälte hier im Hause anwesend.

Ich möchte die Gelegenheit nützen, Frau Volksanwalt Ingrid Korosec, Herrn Volksanwalt Horst Schender, aber auch ihrer Kollegin Christa Krammer ein herzliches Danke für ihre Arbeit zu sagen, die sie auf Grund der Wahl durch dieses Haus im Dienste des österreichischen Volkes geleistet haben. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Wittmann. – Bitte.

14.07

Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bestellung der Volksanwälte ist in unserer Verfassung geregelt: Es obliegt den drei mandatsstärksten Parteien des Nationalrates, jeweils ein Mitglied der Volksanwaltschaft namhaft zu machen.

Diese Bestimmung in der Verfassung stammt, das möchte ich hier festhalten, aus dem Jahre 1982. Im Jahre 1982 gab es, wie bekannt ist, eine sozialdemokratische Alleinregierung.

Umso erstaunlicher ist es, dass man in manchen Presseaussendungen jetzt liest, dass es Sinn und Zweck dieser damaligen Bestimmung gewesen wäre, den Proporz festzuschreiben. Vielmehr war es so, dass die Alleinregierung beschlossen hat, dass jede im Parlament vertretene Partei einen Volksanwalt stellen sollte. Das hat also nichts mit der Festschreibung eines Proporzes zu tun, sondern sollte auch den damaligen Oppositionsparteien die Möglichkeit geben, einen Volksanwalt zu stellen.

Das heißt: Diese Bestimmung war auch, wenn man dem Willen des Gesetzgebers der damaligen Zeit folgt, eine Absicherung für die Minderheit, damit diese, egal, welche Mehrheit gegeben ist, die Möglichkeit hat, einen Volksanwalt zu bestellen.

Es wäre durchaus eine Diskussion darüber angebracht, ob man diesen Modus nicht in Frage stellen sollte. Derzeit aber haben wir wieder Volksanwälte zu bestellen. Und wenn man diesen Modus in Frage stellt, dann muss man, glaube ich, so wie damals gewährleisten, dass auch die Minderheitsparteien einen Volksanwalt stellen können.

Wenn man also heute diesem Vorschlag des Hauptausschusses folgt, dann fasst man damit auch einen Beschluss, der die Minderheitsrechte absichert. Würde man nämlich jenem Vorschlag, den ich in einer Presseaussendung der Grünen gelesen habe, Folge leisten und der Wahl ein Hearing voranstellen, dann hätte dieses Hearing zur Folge, dass auch eine Entscheidung darüber möglich sein müsste, ob ein bestimmter von einer Partei namhaft gemachter Kandidat tatsächlich gewählt wird oder nicht. Zieht man diese Entscheidung oder dieses Hearing dann als Maßgabe heran, dann würde es der Mehrheit obliegen, einen Kandidaten der Minderheit abzulehnen.

Es kann dann in der Diskussion eingewendet werden, dass ja der Partei schlechthin das Recht auf Namhaftmachung bleibt. Wenn ich aber diesen neuerlichen Kandidaten wieder einem


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Hearing stelle, so wäre es für die Mehrheitsparteien ad infinitum möglich, Kandidaten für die Volksanwaltschaft, die der Minderheit angehören und der Mehrheit unliebsam sind, von einer Teilnahme an der Volksanwaltschaft auszuschließen. Das wiederum würde bedeuten, dass man die Minderheitsrechte, die in dieser Bestimmung gewährleistet sind, nicht mehr hätte und das Ganze ad absurdum geführt wird.

Das heißt: Wenn man sich einer derartigen Diskussion stellt, dann kann man es sich nicht so einfach machen, nur zu sagen: Wir machen ein Hearing, und damit habe ich der Demokratie Genüge getan!, sondern man müsste auch sicherstellen, dass jener Kandidat, der von der Minderheit namhaft gemacht worden ist, trotz Ablehnung durch die Mehrheit Volksanwalt werden könnte. Ich glaube, darin besteht die wirkliche demokratiepolitische Problematik, die es zu lösen gilt. Man soll sich Diskussionen in diese Richtung an sich nicht verschließen, jedenfalls aber dem ursprünglichen Gedanken des Gesetzgebers, nämlich dass die Bestellung eines Volksanwaltes auch für die Minderheitsparteien gewährleistet sein muss, weiterhin folgen.

Daher wird es für den vorliegenden Vorschlag unsere Zustimmung geben, weil wir glauben, dass in der momentanen Regelung auch die Minderheitsposition vertreten ist und damit letztendlich gewährleistet ist, dass dieser Minderheitsposition zum Durchbruch verholfen wird.

Zweite Argumentationslinie: Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Volksanwalt ein Politiker sein muss, weil die Politiker letztendlich das Bindeglied zwischen den exekutiven Organen und der Bevölkerung darstellen. Würde man daher bei einem Hearing lediglich die fachliche Qualifikation als Jurist einbringen, dann würde man dem politischen Ansatz der Volksanwaltschaft, nämlich Mittler zwischen Bürger und Exekutive zu sein, nicht genügen.

Man sollte nicht immer so tun, als sei alles, was von der Politik kommt, a priori schlecht, sondern hier ist der Berufspolitiker gefragt, als Mittler aufzutreten. Er sollte auch Angehöriger einer politischen Partei sein, weil damit gewährleistet ist, dass auch die Minderheitspositionen in diesem Gremium eine Vertretung finden.

Man kann beim vorliegenden Vorschlag zunächst einmal davon ausgehen, dass es sich um gestandene Politiker handelt, die wir alle kennen. Man kann dem einen gegenüber mehr Sympathien hegen als dem anderen gegenüber, aber letztendlich ist es ein Vorschlag, der einerseits die Minderheitsposition berücksichtigt, andererseits aber auch die Voraussetzung für eine politische Positionierung schafft, und zwar die Möglichkeit, der Volksanwaltschaft einen politischen Auftrag mitzugeben, nämlich Mittler zwischen Bürger und Exekutive zu sein.

Die Personen, die zur Wahl stehen, haben in diesem Hause einen gewissen Bekanntheitsgrad, daher steht, wie ich glaube, einer Zustimmung zu diesem Vorschlag nichts entgegen, wiewohl eine Diskussion über den Bestellungsmodus in Zukunft durchaus fruchtbringend wäre, einen Bestellungsmodus mit der Sicherheit, dass die Minderheitspositionen, wie sie derzeit Verfassungsbestand sind, auch weiterhin aufrechterhalten werden. (Beifall bei der SPÖ.)

14.14

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Khol. – Bitte.

14.14

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich den anwesenden Volksanwälten, Frau Korosec und Herrn Schender, sehr herzlich für ihre Arbeit danken. Es war für uns alle ein Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und wir wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Die Österreichische Volkspartei wird – das wird das Auditorium nicht wundern – den Gesamtvorschlag, den der Hauptausschuss des Nationalrates für die Wahl der Mitglieder der Volksanwaltschaft erstellt hat, unterstützen.

Ich bin im Jahre 1972 – noch als Beamter des Europarates – von Stephan Koren, dem damaligen Klubobmann der Österreichischen Volkspartei, eingeladen worden, als Experte jenem Ver


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fassungsausschuss anzugehören, der das Gesetz über die Einrichtung der Volksanwaltschaft erarbeitete.

Herrn Kollegen Pilz und den Grünen möchte ich dazu sagen: Wir haben damals die Zahl 3 als Anzahl der Volksanwälte erarbeitet. Ich war ein 31-jähriger Universitätsassistent, der eben einen Aufsatz geschrieben hatte, der sich mit internationalem Benchmarking – es gab die Rechtsschutzeinrichtungen in den skandinavischen Ländern, es gab den schwedischen Justitieombudsman – befasst hat, und war daher Experte. Wir haben uns damals im Ausschuss auf die Zahl 3 für die Volksanwälte verständigt, weil wir vom Ausmaß der anfallenden Geschäfte und von der Arbeitsteilung her auch auf Grund der internationalen Erfahrungen zu dieser Zahl gekommen sind.

Des Weiteren war es lange fraglich, wie man den Wahlvorgang konstruieren soll. Ich weiß, die Grünen wollen eine geheime Wahl jedes einzelnen Volksanwaltes. Wir haben damals aber ganz bewusst jene Bestimmung über den so genannten Gesamtvorschlag, den der Hauptausschuss erstellt, fixiert. Warum? – Im Hauptausschuss können die Qualitäten der einzelnen Personen diskutiert werden. In der Vertraulichkeit eines Ausschusses kann über die Eignung und Nichteignung der einzelnen von den vorschlagsberechtigten Parteien genannten Kandidaten geredet werden. Wenn dann ein Vorschlag erstellt worden ist, soll dieser Vorschlag die größtmögliche Unterstützung des Hohen Hauses bekommen, damit die Volksanwälte ihre wichtige Tätigkeit – wenn möglich, auf einem einstimmigen Votum basierend –, vom Vertrauen des gesamten Nationalrates getragen, ausüben können. – Das war der Grund dafür, dass man die Anzahl der Volksanwälte mit drei festgelegt hat und sich für das Verfahren mit dem Gesamtvorschlag entschieden hat.

Ich verteidige diese Regelung heute ganz bewusst, weil ich glaube, dass sie richtig ist. Das hat mit Proporz, mit Nominierungsrechten oder mit Parteienanzahl nichts zu tun! Wir sind auch damals, als es fünf Parteien in diesem Hohen Haus gab, so vorgegangen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Außerdem: Manche Absurditäten im Vorfeld dieser Entscheidung müssen hier schon noch gewürdigt werden. Der Vorschlag, den wir erarbeitet haben, weist drei Persönlichkeiten auf, die jeder in diesem Haus aus unzähligen Sitzungen, Ausschussberatungen, Konfrontationen hier am Rednerpult und Beratungen über gemeinsame Gesetzentwürfe kennt. Jeder kennt Peter Kostelka, jeder kennt Rosemarie Bauer, und jeder kennt Ewald Stadler – jeder! Dass die Grünen ein Hearing dieser ohnehin bekannten Kandidaten verlangen, zeigt die Ernsthaftigkeit ihrer Argumentation.

Als in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Zivilprozessordnung ausgearbeitet wurde, sagte der damalige OGH-Präsident Franz Zeiler: Ob ein Ofen raucht, bedarf keines schriftlichen Beweises. – Das heißt: Offenkundige Tatsachen müssen nicht schriftlich bewiesen werden.

Ob die drei Kandidaten Kostelka, Bauer und Stadler geeignet sind oder nicht, bedarf keines Hearings! Wir alle kennen sie, und meine Fraktion wird alle drei, ohne jeden Vorbehalt im besten Wissen und mit bestem Gewissen unterstützen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Wir von der Volkspartei schlagen unsere Rosemarie Bauer zur Volksanwältin vor – in vestigiis Ingrid Korosec, eine große Frauenpolitikerin der Volkspartei. Rosemarie Bauer ist seit 18 Jahren im Parlament, im Bundesrat und im Nationalrat, und hat in allen wichtigen Bereichen gearbeitet. Sie war Frauenvorsitzende meiner Partei, ihr Schwerpunkt – ich bin froh darüber, dass dieser auch in Zukunft in der Volksanwaltschaft vertreten sein wird – liegt im Bereich berufstätige Frau mit Familie, in der Vereinbarkeit von Beruf, politischem Amt und Familie. Zudem war sie immer das, was man eine Wahlkreisabgeordnete nennt, sie war immer eine jener, die den Bürgerinnen und Bürgern sehr nahe sind. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)


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Meine Damen und Herren! Rosemarie Bauer ist hervorragend geeignet. Wie gesagt: Ob ein Ofen raucht, bedarf nicht des Beweises. Wir allen kennen Rosemarie Bauer – wir alle.

Ich möchte sagen: Wenn wir dich, liebe Rosemarie, heute vorschlagen, verlieren wir ein prominentes Klubmitglied. Wir danken dir für die gesamte Arbeit, die du geleistet hast. Dein Name ist untrennbar verbunden mit dem "Karenzgeld für alle", dein Name ist untrennbar verbunden mit dem Gleichbehandlungsgesetz, wofür du jahrelang auch in der eigenen Fraktion gekämpft hast, und dein Name ist untrennbar verbunden mit der Anrechenbarkeit der Kindererziehungszeiten für die Pension. Die Frauen dieses Landes und wir danken dir. Wir wünschen dir sehr viel Glück in deiner neuen Funktion und hoffen, dass du gnädig und milde mit uns bist. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Wir unterstützen auch Landesrat Ewald Stadler. Er sitzt hier am Balkon. Wir haben ihn früher als einen scharfen Juristen – scharf in jeder Bedeutung des Wortes – kennen gelernt und auch als jemanden, der nahezu sein Leben für die Kontrolle einsetzt. Er wird uns ein scharfer Volksanwalt werden. Aber ich denke, für dieses Amt ist er sehr gut geeignet. Auch bei ihm bitten wir um gnädige Beurteilung. Er wird unsere Unterstützung haben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion unterstützt auch Peter Kostelka, der für die Volksanwaltschaft ein wirklicher Zugewinn ist, aber – so wie auch Rosemarie Bauer – für den Nationalrat ein wirklicher Verlust. Er ist Obmann des Verfassungsausschusses, er ist es noch bis zum letzten Tag, und wird hoffentlich noch das Rundfunkgesetz über die Bühne bringen. Er war Klubobmann der Regierungspartei SPÖ und Staatssekretär. Er ist für diese Aufgabe hervorragend geeignet, und ich glaube, dass wir alle ihn rückhaltlos unterstützen können.

Erlauben Sie mir als langjährigem Weggefährten von Peter Kostelka noch ein persönliches Wort zu ihm, weil ich wirklich bedauere, dass er aus dem Nationalrat ausscheidet: Von 1994 bis zum 26. Jänner 2000 waren wir gemeinsam Klubobleute der Regierungsfraktionen, und wir haben viele, viele Stunden und viele Tage gemeinsam für die Republik, aber auch für unsere Fraktionen gearbeitet. Ich werde den Tag nicht vergessen, an dem Peter Kostelka als neu gewählter Nationalrat und auch als neuer Klubobmann angelobt wurde und sofort ans Rednerpult ging, in die Schlacht zog und diese Schlacht auch gut führte.

Wir haben gemeinsam fünf Jahre lang die Regierungsarbeit koordiniert. Ich möchte Peter Kostelka für seine brillante Sachkunde, für seine profunden Kenntnisse der Geschäftsordnung und des Verfassungsrechtes, für seine humane Regierungspraxis herzlich danken, vor allem aber auch für seinen Humor. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber ich habe Respekt vor einer sachorientierten Partnerschaft.

Ich möchte mich bei dir, lieber Peter Kostelka, sehr herzlich für die Zusammenarbeit bedanken. Mein ganzer Klub bedankt sich bei dir und wünscht dir für die Volksanwaltschaft alles Gute. – Herzlichen Dank. (Anhaltender allgemeiner Beifall. – Abg. Dr. Khol begibt sich zu Abg. Dr. Kostelka und reicht diesem die Hand.)

14.23

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Pilz. Er hat das Wort.

14.24

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich persönlich bin froh darüber, dass Abgeordneter Khol mit einem großen Bauch voller Kreide noch in der Lage war, aus eigener Kraft die Bank zu erreichen. Es besteht Grund zum Kreidefressen, denn wir werden diese Situation nicht mehr oft erleben – eine Situation, in der nicht zwei Parteien eine Partei aus ihrer alten Proporzhälfte hinausdrängen, sondern sich vielleicht ein letztes Mal finden, um mit vielen Hexenkreuzen, mit vielen Windungen und Wendungen einen Drei-Parteien-Proporz in diesem Haus zu rechtfertigen.


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Ich stelle am Beginn eine einzige Frage, Herr Kollege Khol und meine Damen und Herren der drei "Volksanwälte-Proporzfraktionen" (Ruf bei den Freiheitlichen: Warum gibt es keinen Grünen?): Sind das die Besten? Sind das mit Sicherheit die Besten, die in der Republik Österreich für diese drei Funktionen gefunden werden konnten? (Abg. Dietachmayr: Bei einem bin ich mir ganz sicher!)

Es spricht vieles dafür, dass es nicht die Schlechtesten sind oder dass manche von ihnen nicht die Schlechtesten sind, aber: Wieso sind Sie sich sicher, dass sie die Besten sind? (Abg. Auer: Weil Sie nicht dabei sind!)

Haben Sie andere in Betracht gezogen? Haben Sie Menschen in Betracht gezogen, die über keines der drei Parteibücher verfügen? (Abg. Auer: Der Vergleich macht Sie sicher!) Haben Sie hoch qualifizierte Juristinnen und Juristen aus ganz anderen Bereichen als aus der Parteipolitik gesucht, gefragt? Haben Sie Hearings durchgeführt? Haben Sie das getan, was Sie heute etwa in der verstaatlichten Industrie bei der Bestellung von Managern und Managerinnen selbstverständlich verlangen – kleiner Zusatz: und auch nicht befolgen?

Warum nicht? – Weil, wie Kollege Khol gesagt hat, Anfang der siebziger Jahre ein Drei-Parteien-Konsens erzielt worden ist. Seit langem habe ich nicht mehr von Regierungsvertretern gehört, dass etwas, weil man sich Anfang der siebziger Jahre darauf geeinigt hat, nicht mehr geändert werden kann. Es hat schon damals kritische Stimmen gegeben. Ein junger Jurist hat damals erklärt, er kritisiere den Zustand der totalen Verpolitisierung der Volksanwaltschaft, wenn deren Mitglieder vom Nationalrat auf Grund der Vorschläge der in ihm vertretenen Parteien gewählt werden. – Der junge Jurist, der das damals, Anfang der siebziger Jahre, kritisiert hat, nämlich die totale Verpolitisierung der Volksanwaltschaft, war Andreas Khol! (Abg. Dr. Khol: Schau!) Knapp 30 Jahre später tönt das etwas anders.

Wer hat jetzt Recht? Diejenigen, die Khol damals als junger Jurist kritisiert hat, oder vielleicht doch Andreas Khol? – Ich halte es auch hier mit dem jungen und noch völlig unverdorbenen Andreas Khol: Ja, Andreas Khol hatte 1973 Recht! Und der etwas älter gewordene Andreas Khol sollte sich einmal an die Gründe erinnern, die den damals etwas jüngeren Andreas Khol zu dieser gerechtfertigten Aussage bewogen haben! (Beifall bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Es geht doch um etwas ganz Einfaches: Wollen wir Parteianwälte oder Volksanwälte? – Das ist die Frage, um die es geht. Wollen wir, dass die Nominierung von Volksanwälten, die nur dem Namen nach Volksanwälte sind, eine Parteiangelegenheit bleibt oder soll das eine gemeinsame Sache des Nationalrates, eine gemeinsame Angelegenheit Österreichs werden?

Deswegen bringen wir heute einen Entschließungsantrag ein. Es stimmt schon: Wir konnten im Vorlauf dieser Bestellung nicht die Bundesverfassung ändern. Deswegen geht diese Bestellung, diese Proporzbestellung, rein legistisch in Ordnung, aber wir haben die Chance, das zu ändern.

Ich sage es ganz klar, damit nicht wieder Missverständnisse produziert werden: Die grüne Fraktion fordert keinen vierten, also grünen Volksanwalt oder eine Volksanwältin (Rufe bei den Freiheitlichen: Aha!), sondern wir fordern ein neues, demokratisches und faires Bestellungsverfahren. Wir wollen ein offenes Bestellungsverfahren, das es jedem qualifizierten Menschen in dieser Republik ermöglicht, sich für diese Funktion zu bewerben.

Danach wollen wir ein Hearing. Herr Kollege Khol, ich sage Ihnen schon etwas: Ein Hearing im Hauptausschuss hätte uns nicht schlecht getan. Mich hätte es persönlich wirklich interessiert, warum der sonst wirklich geschätzte Dr. Kostelka innerhalb kürzester Zeit plötzlich in der Lage war, mit Mag. Stadler von der Freiheitlichen Partei ein hervorragendes Team zu bilden. Gerade noch wie Hund und Katze in der Spitzelaffäre, und plötzlich in einem Boot.

Aber noch viel mehr hätte mich interessiert, wie es zur plötzlichen Wandlung von Mag. Stadler gekommen ist. Man kann ja keinen Dobermann – alte Selbstcharakterisierung von Mag. Stadler – in die Volksanwaltschaft schicken! (Abg. Dr. Khol  – in Richtung des auf der Galerie sitzenden Landesrates Mag. Stadler –: Müder Dackel!) Das ist ja kein Hundeabrichteplatz, sondern


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das ist ein Vertretungskörper des österreichischen Nationalrates. Man soll nicht Dobermänner, sondern Menschen, die auf Grund ihrer sachlichen und persönlichen Qualifikation Vertrauen genießen, auf die Menschen loslassen.

Ich frage mich: Wie hat sich Mag. Stadler plötzlich gewandelt? (Abg. Dr. Martin Graf: Die Diktion ist ...!)  – Er war noch vor kurzem eine politische Schlüsselfigur der Spitzelaffäre und einer der wichtigsten Scharfmacher der Freiheitlichen Partei. Warum soll ein Mensch, der im Laufe seiner politischen Tätigkeit nicht nur viele einzelne Personen, sondern ganze Gruppen unserer Bevölkerung – das sind nicht nur Frauen, Künstler und Menschen, die im Ausland geboren sind – auf das Schwerste beleidigt und diskriminiert hat, plötzlich in der Lage sein, die Interessen dieser Menschen zu vertreten? (Abg. Mag. Schweitzer: Was du schon denunziert hast! – Abg. Haigermoser: Peter, setz dich doch nieder!) Wie ist es zu dieser plötzlichen Wandlung gekommen? – Das hätten wir Mag. Stadler in einem Hearing im Hauptausschuss gerne gefragt.

Leider haben uns auch die Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion erklärt (Abg. Mag. Schweitzer:  ... Denunziant in ...!): Ja, wir kennen Mag. Stadler so gut, dass wir ihn nichts zu fragen brauchen; ohne Fragen wählen wir ihn! (Abg. Haigermoser: Wir kennen auch den Peter Pilz so gut!)  – Normalerweise hätte ich mir von einem Sozialdemokraten oder einer Sozialdemokratin erwartet, dass auf den Satz: "Ja, wir kennen Mag. Stadler so gut", folgt: und deswegen können wir ihn selbstverständlich nicht zum Volksanwalt wählen. – Aber nein: Umgekehrt!

Das durfte nicht gefragt werden, und Mag. Stadler, bei dem ich mir persönlich durchaus vorstellen kann, dass er uns Rede und Antwort gestanden wäre, hatte nicht einmal eine Chance, eine einzige Frage im Hauptausschuss zu beantworten.

Was wollen wir jetzt? – Wir nehmen zur Kenntnis, dass es den Drei-Parteien-Proporz gibt. Wir sehen auch die gestrige Debatte über den neuen Regierungsproporz im Rahmen der Dringlichen Anfrage der SPÖ heute in einem etwas anderen Licht (Abg. Böhacker: Ein ordentlicher Bauchfleck!), aber wir wollen, dass es jetzt zu einer Änderung kommt und dass der Nationalrat einen gemeinsamen Versuch unternimmt, den Drei-Parteien-Proporz abzuschaffen.

Deswegen liegt Ihnen heute ein Entschließungsantrag vor, ein Entschließungsantrag folgenden Inhalts:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Stoisits, Dr. Pilz, Freundinnen und Freunde betreffend Wahl der VolksanwältInnen

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regierungsvorlage zur Reform des BVG vorzulegen, die folgende Punkte enthält:

1. Die drei Mitglieder der Volksanwaltschaft sollen nach dem Vorbild der Wahl des Rechnungshofpräsidenten vom Nationalrat in geheimer Wahl einzeln und frei gewählt werden.

2. Das Nominierungsrecht der Parteien hat zu entfallen.

3. Über die KandidatInnen ist nach öffentlicher Ausschreibung ein Hearing im Hauptausschuß des Nationalrats durchzuführen.

*****

Meine Damen und Herren! Das ist eine Chance! Sie bekommen jetzt Ihre drei Proporz-Volksanwälte, darunter einen, der sachlich und persönlich so qualifiziert ist wie Dr. Kostelka – das möchte ich persönlich an diesem Punkt durchaus anmerken –, und einen, der auf eine ganz be


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sondere Art so qualifiziert ist wie Mag. Stadler. Das ist Ihre Angelegenheit, aber Angelegenheit des Nationalrates ist es, ein längst überkommenes Proporzsystem endlich zu reformieren. Wir ersuchen Sie, in diesem Sinne unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.33

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, steht in einem ausreichenden Zusammenhang mit dem gegenständlichen Tagesordnungspunkt und damit auch mit zur Verhandlung beziehungsweise dann zur Abstimmung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Krüger. – Bitte.

14.34

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (Freiheitliche): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Ich darf unmittelbar an die Ausführungen des Kollegen Pilz anschließen und den soeben eingebrachten Entschließungsantrag rechtlich würdigen.

Herr Kollege Pilz! Das, was Sie vorgelesen haben, beinhaltet drei Änderungen: freie Wahl der drei Volksanwälte durch den Nationalrat, kein Entsendungsrecht der politischen Parteien und ein Hearing.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Antrag disqualifiziert sich selbst, disqualifiziert sich nämlich deshalb selbst, weil bei konsequenter Auslegung dieser drei Prämissen die Mehrheit des Nationalrates alle drei Volksanwälte bestellt.

Herr Kollege Pilz, ich weiß nicht, ob es Unvermögen ist, einen Entschließungsantrag zu formulieren, oder ob es Ihrer tieferen Absicht entspricht, einen derartigen Mehrheitsantrag einzubringen, der dazu führt, dass per se die Opposition von einer Funktion in der Volksanwaltschaft ausgeschlossen wird. – Also ein hanebüchener Unsinn, Herr Kollege Pilz – auch aus Ihrer Sicht! (Beifall bei den Freiheitlichen sowie des Abg. Schwarzenberger. )

Ich komme zum Zweiten: Wenn Sie das zugegebenermaßen in der Bevölkerung scheel angesehene Wort "Proporz" hier mit einbeziehen und von "Volksanwälte-Proporzparteien" sprechen, möchte ich dem entgegenhalten, dass "Proporz" nichts anderes bedeutet als "Verhältnismäßigkeit". Und es ist eines unserer Grundprinzipien, eines unserer demokratischen Grundprinzipien, dass die Willensbildung im Hohen Haus nach der Verhältnismäßigkeit stattfindet.

Sehr geehrter Herr Kollege Pilz! Da können Sie es drehen und wenden, wie Sie wollen, auch die Grünen sind selbstverständlich eine Proporzpartei des Hohen Hauses. (Ruf bei den Freiheitlichen: Und werden überproportional gut behandelt!)

Ich darf Ihnen ein Drittes sagen: Üblicherweise geht man daran, eine Änderung, eine gesetzliche Änderung herbeizuführen – insbesondere dann, wenn sie sogar die Bundesverfassung anlangt, mit der man ja eher behutsam umgehen soll, was nicht immer geschieht, wie ich gerne einräume –, wenn es einen sichtbaren Änderungsbedarf gibt, wenn es Mängel in der Gesetzgebung, in einem Gesetz gibt. Mir persönlich ist jedoch keine Materie bekannt, die hier derart unstrittig administriert worden wäre wie jene der Volksanwaltschaft. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir führen doch immer wieder Diskussionen über die Berichte der Volksanwaltschaft durch. Mir sind keine besonders kritischen Bemerkungen aus der grünen Fraktion in Erinnerung.

Was mich doch empört hat, ist, dass Sie hier davon gesprochen haben, es gehe um die Entscheidung, ob der Nationalrat beziehungsweise der Hauptausschuss Parteianwälte oder Volksanwälte wählt. – Ich muss Ihnen eines sagen: Das ist eigentlich eine Beleidigung in zweifacher Hinsicht: Da wird ein Unterschied herausgearbeitet und suggeriert, jemand, der einer politischen Partei zugehörig oder Mandatsträger ist, sei per se ungeeignet zum Volksanwalt, weil er eben eine politische Funktion hat, und nur jemand, der sozusagen keiner politischen Partei angehört,


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wäre geeignet zum Volksanwalt. Das ist eine Beleidigung aller Personen, die an der politischen Willensbildung teilhaben. (Abg. Schieder: Siehe ORF-Gesetz!)

Es ist das aber auch, sehr geehrter Herr Kollege Pilz, eine besondere Beleidigung in Ansehung der scheidenden Volksanwälte, nämlich jener, die entsendet und gewählt wurden, wenn Sie davon sprechen, dass man zwischen Parteianwälten und Volksanwälten zu unterscheiden hat, weil selbstverständlich auch Sie wissen, dass die Persönlichkeiten, die die Volksanwaltschaft in den vergangenen sechs beziehungsweise zwölf Jahren repräsentiert haben – Volksanwalt Schender, Volksanwältin Korosec, Volksanwältin Krammer –, sich doch bitte niemals irgendeines Verdachtes ausgesetzt haben, parteipolitisch motiviert zu handeln. Nicht einmal in Ihrer Argumentation können Sie das behaupten! Es hätte viele Gelegenheiten gegeben, und wenn es derartige Missstände gegeben hätte, dann wären diese, da bin ich mir sicher, aufgegriffen worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde auch Folgendes bemerkenswert: wenn Herr Kollege Pilz hier dem früheren Klubobmann und jetzigen Landesrat Ewald Stadler vorwirft, dass er Personen beleidigt und diskriminiert. Ich finde das vor allem deshalb bemerkenswert, weil Kollege Pilz selbst im gleichen Atemzug massiv gegen die Unschuldsvermutung verstößt, indem er sagt: Erst kürzlich war er noch eine "Schlüsselfigur der Spitzelaffäre".

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich empfinde es als Schande für einen Angehörigen des Nationalrates, jemanden als Schlüsselfigur in einer Affäre, die mit Strafgesetzen zu tun hat, zu bezeichnen, obwohl die Anzeige von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt wurde. Herr Kollege Pilz! Das ist eines Abgeordneten wirklich unwürdig! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich komme bereits zum Schluss meiner Ausführungen und möchte mich noch ganz kurz mit den drei Persönlichkeiten, die dem Gesamtvorschlag zugrunde liegen, befassen.

Ich beginne naturgemäß beim jetzigen Landesrat und früheren Klubobmann der Freiheitlichen Partei Ewald Stadler. Klubobmann Khol hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Landesrat Stadler, als er noch Klubobmann hier im Hohen Haus war, sehr scharf argumentiert hat. Es wird mir aber niemand widersprechen, wenn ich sage, er hat besonders scharfsinnig argumentiert.

Die österreichische Bevölkerung könnte sich kaum eine geeignetere Persönlichkeit wünschen als Herrn Mag. Stadler, der imstande ist, scharfsinnig zu argumentieren, der sein Ohr an der Bevölkerung hat und dem man auch zutraut, möglicherweise auch gegen die Linie der eigenen Partei, dann, wenn es wirkliche Missstände in der Verwaltung gibt – die Volksanwaltschaft ist ja nach dem Willen des Gesetzgebers dazu da, das Unbehagen des Bürgers an der Verwaltung zu beseitigen – und wenn wirkliches Unbehagen besteht, wenn es gilt, Missstände abzuschaffen, sein Vorhaben und seine Überlegungen auch wirklich durchzusetzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herrn Klubobmann Kostelka meine persönliche Wertschätzung auszusprechen habe ich mir schon gestern erlaubt. Klubobmann Kostelka ist seit seiner Ausbildung als Jurist mit der Verfassung bestens vertraut. Er war Assistent des großen Staats- und Verfassungsrechtlers Winkler, er war auch hier im Hohen Haus Referent, nämlich während der so genannten kleinen Koalitionsregierung zwischen FPÖ und SPÖ. Er hat sich damals, wie ich von etwas älteren Kollegen gehört habe, durchaus verdient gemacht als Mittler der verschiedenen Standpunkte. Aber vor allem gilt für ihn selbstverständlich auch die Wertung, ein sehr scharfsinniger Jurist zu sein. Von ihm kann man erwarten, dass er die Belange der Bürger mit Vehemenz vertritt. (Allgemeiner Beifall.)

Ebenso trifft dieses Werturteil aus meiner Sicht uneingeschränkt auf Frau Kollegin Bauer zu, die eine sehr volksverbundene Volksanwältin sein wird – im doppelten Sinn, ich glaube, dazu ist Frau Kollegin Bauer bestens prädestiniert. Jeder kennt sie, fast alle schätzen sie sehr, und ich bin davon überzeugt, dass sie ihre Arbeit wirklich sehr gut machen wird.

Insgesamt gesehen ist das ein phantastischer, ein sehr homogener Vorschlag. Ich möchte nicht in der Haut jener Beamten stecken, die ihren Beruf vielleicht nicht als Berufung, sondern als


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Selbstzweck der Administration ansehen – angesichts der hervorragenden Volksanwälte, die in Zukunft im Palais in der Singerstraße Platz nehmen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.43

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. – Bitte.

14.43

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Klubobmann Dr. Khol hat das Ersuchen an die künftige Frau Volksanwältin Bauer gerichtet, sie möge doch "gnädig und milde" mit uns – gemeint hat er den Nationalrat, das Parlament – sein. – Sehr geschätzte Frau Kollegin, noch Kollegin Bauer! Ich bitte Sie, genau das nicht zu sein! Bitte, seien Sie nicht mild und nicht gnädig mit dem Nationalrat!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss aus der Beobachtung der letzten Jahre die Feststellung treffen, dass Gnädigkeit und Milde, Freundlichkeit, Ersuchen, Bitten an den Nationalrat von Seiten der Damen und Herren Volksanwälte der falsche Weg sind. Was haben die Damen und Herren Volksanwälte in den letzten zehn Jahren erreicht mit ihren zahlreichen Ersuchen und Bitten an uns? Sie sind ja ein Hilfsorgan des Nationalrates. Was haben sie erreicht bezüglich der Einführung einer bürgerfreundlicheren Gesetzgebung? Haben sie verhindert, dass immer mehr aus der Verwaltung ausgegliedert wird, wodurch die Kompetenzen der Volksanwaltschaft eingeschränkt werden, die Prüfermöglichkeiten eingeschränkt werden?

Die Volksanwälte waren immer freundlich zu uns und haben eigentlich sehr wenig bei uns, jenem Organ, das dafür zuständig ist, wie sie ihre Arbeit tun, erreicht. Deshalb: Bitte, Frau Bauer, seien Sie kritisch, seien Sie fordernd und versuchen Sie, in Ihrer neuen Funktion das zu erreichen, was beispielsweise Ihr Vorvorgänger Dr. Kohlmaier, von der ÖVP nominiert, anlässlich seines Ausscheidens in Briefen zumindest an die grüne Fraktion, aber wohl auch an alle anderen Fraktionen formuliert hat, nämlich: Bitte, meine Damen und Herren im Nationalrat, ändern Sie den Bestellmodus!

Dr. Kohlmaier – er ist wahrlich kein Grüner – forderte eine Änderung des Bestellmodus, aus der Erfahrung als Volksanwalt heraus. Er wollte, dass die Besetzung nicht im Rahmen von Personalspielereien von Parteien erfolgt. Dieses wichtige und wertvolle Organ des Nationalrates sollte nicht von diesem Nimbus der Proporzbestellung, der Versorgungsposten – wie vielfach geredet wird – überschattet sein, sondern die Volksanwaltschaft soll durchaus kritisch agieren können. Herr Dr. Khol hat als junger Jurist die Aufgaben der Volksanwaltschaft kommentiert: Sie soll kritisch den Finger auf die Wunden legen, die der Gesetzgeber durch eine nicht bürger- und bürgerinnenadäquate Gesetzgebung verursacht, aber vor allem auch die Verwaltung durch ihr Tun und durch ihr Handeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grünen haben, seit sie im österreichischen Nationalrat vertreten sind, diese Anliegen der Volksanwaltschaft, der Volksanwältinnen und Volksanwälte unterstützt. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Papier ist geduldig hier im Hohen Haus! Die Damen und Herren Vorsitzenden der diversen Verfassungsausschüsse, seit diese Anträge eingebracht werden, sind ebenfalls sehr geduldig, nämlich so geduldig, dass es beispielsweise in dieser Legislaturperiode nie zur Behandlung der Anträge der Grünen gekommen ist.

Unsere Anträge haben nicht nur den Bestellmodus der Mitglieder der Volksanwaltschaft beinhaltet, sondern auch die Frage der Kompetenzen der Volksanwaltschaft, wie sie erweitert oder geändert werden sollten, und auch die Bitte der Damen und Herren Volksanwälte, die sie ja fast alljährlich hier äußern, nämlich die Arbeit der Volksanwaltschaft doch einmal zu evaluieren, vielleicht im Rahmen einer parlamentarischen Veranstaltung, einer Enquete, einer Veranstaltung jenes Organs, das sie bestellt, um zu schauen, welchen Wert die Arbeit der Volksanwaltschaft tatsächlich hat. Zehntausend Beschwerden beweisen, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Organ angenommen haben.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben – das möchte ich hier besonders betonen – die Vorstöße in Richtung Änderung der Kompetenzen, des Bestellmodus, der Arbeitsmöglichkeiten der Volksanwälte nicht erst dann geführt, als wir gewusst haben, im Juni 2001 wird es wieder einen Wechsel bei den Volksanwälten geben, sondern schon Jahre davor – und sie wurden Jahre davor genauso ignoriert wie heute.

Herr Klubobmann Dr. Khol! Es mag sein, dass es zu Beginn der siebziger Jahre auch einige Länder gegeben hat, die zufällig genauso viele Volksanwälte hatten, wie damals politische Parteien im österreichischen Nationalrat vertreten waren, nämlich drei. Das mag sein, das streite ich auch nicht ab. Aber die Erfahrungen zeigen, dass nicht die Zahl der Volksanwälte, sondern die Ausstattung der Behörde insgesamt von Bedeutung ist. Es reicht ein Volksanwalt, wenn er den entsprechenden Staff hat, der arbeitet, der versucht, gemeinsam mit den Beschwerdeführern Lösungen zu finden. Es kommt nicht darauf an, ob eine oder drei Personen in dieses Amt gewählt werden.

"Gewählt" ist das Stichwort, denn gewählt werden sie nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe das schon im Hauptausschuss angemerkt. Was ist das für eine Wahl, wenn drei Parteien einfach jemanden nominieren? Das ist jetzt keine Frage der Qualifikation. Ich kenne Herrn Dr. Kostelka und auch Frau Bauer schon relativ lange, um zu wissen, dass es in dem Anforderungsprofil, das ich mir für einen Volksanwalt und für eine Volksanwältin vorstelle – nicht nur ich, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen von der grünen Fraktion –, mehr als genügend Punkte gibt, die ihre Qualifikation keinesfalls in Frage stellen.

Daher ist es für mich umso verwunderlicher, dass es selbst jetzt, wo es auf den Rechtsakt, der jetzt gesetzt wird, keine Auswirkungen hat, nicht das Eingeständnis der Fraktionen gibt, dass der Verzicht auf diesen Proporz der beginnenden siebziger Jahre doch mehr als notwendig ist, zumal alle Parteien, nämlich die Regierungsparteien und auch die jetzige Oppositionspartei SPÖ, doch ständig betonen, dass die Zeit des Proporzes, der Parteibuchwirtschaft, der Freunderlwirtschaft endgültig vorbei sei.

Welche Glaubwürdigkeit hat dieses ständige Beteuern, wenn es jetzt nicht möglich ist, eine verbindliche Aussage über künftige Bestellungen – es geht nicht um die heutige, es geht ausschließlich um künftige – zu treffen? Die Bundesverfassung müsste geändert werden, aber es war nicht einmal ein Hauch von Einsicht bezüglich dieser Frage in den bisherigen Wortmeldungen zu erkennen.

Herr Dr. Krüger von der Freiheitlichen Partei hat gemeint, dass es ja ein Schuss vor den Bug sei, wenn die Grünen meinen, dass es nicht so sein sollte, dass drei Parteien ein Nominierungsrecht haben und die Mehrheit das Ergebnis bestätigt. Ich muss sagen, es entspricht ganz seinem Verständnis, wenn er logischerweise meint, dass die Mehrheit immer so beschließt, dass kein Missbrauch dieser Mehrheit auch nur vorstellbar und denkbar wäre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erinnere an einen Wahlvorgang, der das Gegenteil zeigt: Würden Sie meinen, dass beim Präsidenten des Rechnungshofes Dr. Fiedler, der damals nicht von der Mehrheit der Regierungsfraktionen gewählt wurde, sondern von einer Mehrheit des Nationalrates, die sich aus Regierungsstimmen und Oppositionsstimmen zusammengesetzt hat, auch nur irgendwo die Unabhängigkeit, die Kompetenz in Frage zu stellen sei?

Wenn es um die Sorge um die Oppositionsparteien geht, könnten wir vielleicht in Gespräche eintreten und sagen: Gut, machen wir das Vorschlagsrecht oder das Nominierungsrecht der Volksanwälte und Volksanwältinnen zu einem Nominierungsrecht der Oppositionsparteien für parteiunabhängige, fachlich hoch qualifizierte Persönlichkeiten dieses Landes, die nach einer öffentlichen Ausschreibung und nach einem Hearing von der Mehrheit des Nationalrates gewählt werden! – Wir Grüne sind gerne bereit, in solche Verhandlungen einzutreten, um diesen Gesichtspunkt, den Herr Dr. Krüger wohl meint, aufzunehmen.

Das ist das, was heute hier zur Diskussion stehen sollte. Deshalb hat auch Kollege Pilz diesen Entschließungsantrag eingebracht, der den Bürgerinnen und Bürgern das Signal geben sollte, dass auch in der Frage der Bestellung der Volksanwältinnen und Volksanwälte das alte Proporz-


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Parteiensystem gestorben ist – wenn Sie es wirklich ehrlich meinen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei den Grünen.)

Zu allerletzt, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zu den Damen und Herren, die jetzt wohl zweifelsfrei in diese Funktionen gewählt werden.

Zuerst zum Herrn Landesrat – bald außer Dienst – und künftigen Volksanwalt Mag. Stadler. Ich habe Herrn Mag. Stadler auch hier im Nationalrat kennen gelernt, und ich möchte meinen, dass nicht allein seine juristische Ausbildung ausschlaggebend für seine Qualifikation als Volksanwalt ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn das wäre ja wohl ein bisschen zu wenig. Jemand – und so habe ich ihn und so haben wir alle ihn hier gesehen –, der derart polarisierend gegenüber der österreichischen Bevölkerung, nicht nur gegenüber dem politischen Gegner, vorgeht wie er, kann jenes Vertrauen in dieses parteiunabhängige Amt, wie es die Verfassung vorsieht, nicht einmal ansatzweise mitbringen. Aber vielleicht ist das Motiv, ihn für die Funktion des Volksanwaltes zu nominieren, in Wahrheit ein ganz anderes, aber das ist Sache der Freiheitlichen und ihrer Glaubwürdigkeit.

Damals, erinnern Sie sich, hat er zum alten Pensionsmodell optiert, und dann wurde er von seiner Partei in den Nationalrat – sagen wir es freundlich – nicht wieder gewählt. "Zufällig", und das mag Ihnen wohl zu denken geben, lebt sein alter Pensionsanspruch ab dem 1. Juli wieder auf. Über die Glaubwürdigkeit der Freiheitlichen Partei bezüglich Sozialfonds und Spenden und "Wer zahlt was?" – nur ein Stichwort: Altminister Schmid wurde ein Parteiausschlussverfahren angedroht, weil er auf seinen rechtmäßigen Anspruch nicht verzichtet hat – mögen Sie sich selbst ein Bild machen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen!

Nun zu Frau Kollegin Bauer und Herrn Klubmann Dr. Kostelka, die wir, so nehme ich an, mit 1. Juli als Mitglieder des Nationalrates verlieren werden. Geschätzte Frau Kollegin Bauer! Zu den auch schon von anderen Rednern erwähnten Themen speziell der Frauen- und Familienpolitik haben wir beide sehr oft nicht gleiche oder identische Meinungen vertreten, weil es auch ein unterschiedliches Herangehen an politische Themen gibt. Ich möchte gar nicht sagen, dass es unterschiedliche Ideologien sind – es ist ein unterschiedliches Weltbild, das Sie und ich in vielen Fragen vertreten haben. Nichtsdestotrotz habe ich Ihren Einsatz für Ihre Vorhaben immer sehr geschätzt und bin auch überzeugt davon, dass Sie als Volksanwältin jene Bürgerinnen und Bürger, die sich an Sie wenden werden, mit Vehemenz vertreten werden, so wie Sie es auch hier getan haben.

Über die fachliche Qualifikation des Herrn Dr. Kostelka etwas zu sagen, wäre wie Eulen nach Athen zu tragen. Ich meine, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass mit ihm einer der absolut qualifiziertesten Verfassungsexperten, Juristen, aber auch Kenner der Geschäftsordnung des Nationalrates den Nationalrat verlässt. Ich kann mir, sehr geehrter Herr Dr. Kostelka, nur wünschen, dass Sie diese Kompetenz, diese Sachlichkeit und auch dieses Geschick im Durchsetzen von Anliegen, das Sie vielfach natürlich für Ihre Fraktion und, als Sie noch Klubobmann der Regierungsfraktion waren, im Sinne der Regierung genutzt haben, jetzt auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe suchend zu Ihnen kommen, einsetzen werden. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Herzlichen Dank für die Kooperation mit den Grünen, Herr Dr. Kostelka, auch für die Unterstützung, die wir des Öfteren von Ihnen bekommen haben, nämlich dort, wo wir nicht diese hohe Sachkundigkeit hatten, weil wir eben noch nicht so lange im Nationalrat vertreten sind. Sie waren schon Mitarbeiter im Parlament, als die Grünen noch gar nicht im Parlament waren. Herzlichen Dank!

Meine sehr geehrte Damen und Herren! Zuletzt noch ein Appell: Geben Sie den Österreicherinnen und Österreichern ein Zeichen, dass die Volksanwaltschaft mehr wert ist! Proporz, alte Systeme sind nicht imstande, etwas zu ändern. Aber die Zeiten haben sich geändert! Wir stehen nicht mehr am Beginn der siebziger Jahre, Herr Dr. Khol, sondern inzwischen sind wir in einem neuen Jahrtausend, und ein neues Jahrtausend braucht neue Politikerinnen und Politiker, aber


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auch neue Volksanwältinnen und Volksanwälte, neue Kompetenzen und einen neuen Modus. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

14.59

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Zum Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen damit zur Wahl.

Da nur ein Wahlvorschlag vorliegt, lasse ich, wenn sich keine Einwendung erhebt, über diesen im Sinne des § 87 Abs. 7 der Geschäftsordnung durch Aufstehen und Sitzenbleiben abstimmen.  – Da kein Einwand erhoben wird, gehe ich so vor.

Ich bitte nunmehr jene Damen und Herren, die dem Antrag des Hauptausschusses in 623 der Beilagen, Dr. Peter Kostelka, Landesrat Mag. Ewald Stadler und Rosemarie Bauer mit Wirksamkeit ab 1. Juli 2001 zu Mitgliedern der Volksanwaltschaft zu wählen, ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Ich stelle fest, das ist die Mehrheit und damit angenommen.

Ich gratuliere den neuen Volksanwälten. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ, den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Khol gratuliert Abg. Rosemarie Bauer zur Wahl und überreicht ihr einen Blumenstrauß. – Abg. Mag. Prammer gratuliert Abg. Dr. Kostelka zur Wahl und überreicht ihm einen Blumenstrauß. – Zahlreiche Abgeordnete übermitteln den Abgeordneten Dr. Kostelka und Rosemarie Bauer ebenfalls ihre Glückwünsche zur Wahl.)

Meine Damen und Herren! Ich habe großes Verständnis dafür, dass sich insbesondere bei Frau Abgeordneter Rosemarie Bauer besonders lange Schlangen zum Gratulationskuss anstellen, aber ich möchte trotzdem ersuchen, diesen für ein wenig später anzusetzen.

Ich bin sicher, dass in den Klubs und auch im Plenum noch Gelegenheit sein wird, auf die Verdienste der beiden Abgeordneten und des Landesrates Ewald Stadler, der diesem Hause lange angehört hat, einzugehen.

Ich gratuliere noch einmal und wünsche alles Gute, ersuche aber, jetzt wieder Platz zu nehmen, denn wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, bevor wir zu den kurzen Debatten über die Anfragebeantwortungen kommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Stoisits und Genossen betreffend Wahl der VolksanwältInnen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle fest: Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Bevor wir zur ersten Kurzdebatte kommen, übergebe ich den Vorsitz an Kollegen Fischer.

Kurze Debatte über die Anfragebeantwortung 2197/AB

Präsident Dr. Heinz Fischer (den Vorsitz übernehmend): Wir gelangen nun zur Durchführung der Kurzdebatte über die Anfragebeantwortung 2197/AB.

Die erwähnte Anfragebeantwortung ist im Sitzungssaal an alle Mitglieder des Hohen Hauses verteilt worden, sodass eine Verlesung durch einen Schriftführer nicht erforderlich ist.

Wir gehen in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass der Erstredner zur Begründung eine Redezeit von 10 Minuten hat und eine allfällige Stellungnahme von Mitgliedern der Bundesregierung ebenfalls nicht länger als 10 Minuten dauern soll.


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Hier im Croquis steht, dass der erste Redner Herr Abgeordneter Dr. Graf ist. Ist das richtig? (Abg. Dr. Martin Graf: Ja!)  – Bitte, Herr Abgeordneter.

15.03

Abgeordneter Dr. Martin Graf (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auch an dieser Stelle bei den bisherigen Volksanwälten bedanken und eine kleine Klammer zu den künftigen Volksanwälten schließen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle, weil wir eine Besprechung einer Anfragebeantwortung betreffend die vertriebenen Volksdeutschen durchführen – nicht jeder weiß alles, das ist ja klar –, sagen, dass es gerade auch in einem Land, in dem es durchaus zur Vertreibung von Volksdeutschen gekommen ist, nämlich in Kroatien, einen Volksanwalt gibt, der deutscher Abstammung ist und dort gerade auch für die Problematiken der Vertriebenen eine wesentliche Funktion innehat, da er dort Anlaufstelle und Gesprächspartner nicht nur für die Politik, sondern auch für den einzelnen Betroffenen ist.

Vielleicht ist das auch ein Wink für unsere künftigen Volksanwälte, sich des Themas der vertriebenen Volksdeutschen und der ungelösten Probleme auch mit unseren Nachbarländern vermehrt anzunehmen. Dieser Appell wird, glaube ich, zumindest bei meinem Freund Ewald Stadler nicht ungehört verhallen, da ihm das schon immer ein Anliegen war. Aber ich gehe davon aus, dass das auch bei der Kollegin Bauer und beim Kollegen Kostelka der Fall sein wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dank der Anfrage des Kollegen Dietachmayr ist dem Hohen Haus nunmehr ein Umstand offiziell bekannt geworden – es war das aber auch schon vorher bekannt –, der gerade die Vertriebenen-Vertreter – zumindest mich; für mich kann ich das sagen – mit Freude erfüllt: Erstmals in der Zweiten Republik ist zumindest ein politischer Mehrheitskonsens – ich hoffe, dass es einen Gesamtkonsens dieses Hohen Hauses und der betreffenden Gremien geben wird – vorhanden, auf Grund dessen durchaus ein Paradigmenwechsel in der Vertriebenen-Politik erfolgen kann.

Was meine ich damit? – Bis dato waren uns gerade die volksdeutschen Vertriebenen, die wir in der Vergangenheit nicht immer bestens behandelt haben, sehr, sehr wichtige und liebe Staatsbürger, die die Zweite Republik nach einem Schicksal, das unvergleichbar und für viele auch unvorstellbar ist, mit aufgebaut haben, die einen wesentlichen Mosaikstein im Werden der Zweiten Republik dargestellt hatten, die mit ihrer Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit, aber auch Arbeitswilligkeit diese Republik ideell und materiell mit aufgebaut haben und durch persönlichen Einsatz viel für unser gemeinsames Vaterland getan haben – oftmals aber wurden sie vergessen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Paradigmenwechsel – warum? Man hat es in der Vergangenheit trotz mehrfacher Versuche der Politik, aber auch der Verbände selbst leider Gottes nicht geschafft, den Vertriebenen-Verbänden und damit auch ihren Mitgliedern jenes Maß an Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zuteil werden zu lassen, das notwendig ist, um Traditionspflege, Volkstumspflege und auch Minderheitenpolitik in den ehemaligen Vertreiberstaaten und Ähnliches zu machen.

Mit dem dankenswerterweise vom Finanzminister innerhalb der Bundesregierung koordinierten und verhandelten Förderbeitrag seitens des Bundes in der Höhe von 55 Millionen Schilling, aber auch mit dem ins Auge gefassten Beitrag der Bundesländer von 45 Millionen Schilling werden die Vertriebenen-Verbände und damit auch ihre Mitglieder in der Zweiten Republik erstmals auf eigene Füße gestellt und nicht mehr, wie dies in der Vergangenheit oftmals, ja viel zu oft der Fall war, als Bittsteller behandelt. Ich glaube, das ist der wesentliche Paradigmenwechsel.

Wenn man den politischen Konsens damit verbindet, dass uns diese Vertriebenen ein Anliegen sind, dann kann man nur zu diesem Schluss kommen. Es ist notwendig, diese 100 Millionen Schilling ab 2002/2003 zur Verfügung zu stellen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die letzte Förderung des wesentlichsten Zentrums, des Hauses der Heimatvertriebenen in Wien, ausläuft.

Ich denke, es ist richtig, diesen Staatsbürgern und Opfervertretern nicht wie in der Vergangenheit immer wieder lediglich Klein- und Kleinstbeträge an Förderungen zukommen zu lassen, wodurch sie immer wieder vor die Türen der Ministerien getrieben wurden, wo sie als Bittsteller


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angehört wurden, sondern es ist notwendig, dass wir ihnen jenes Maß an Eigenständigkeit zuteil werden lassen, das ihnen gebührt.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir jetzt einen Finanzminister haben, der sich sehr unterscheidet vom ehemaligen Finanzminister, mit dem ich als Vertriebenen-Vertreter – wie meine Kollegen auch – in diesen Fragen immer wieder Verhandlungen geführt habe und der nicht die entsprechende Wertschätzung gegenüber den Vertretern der Vertriebenen-Verbände, der Opferverbände und der Heimatvertriebenen ausgedrückt hat.

Herr Kollege Edlinger! Dieser Punkt – das wissen Sie selbst, das ist auch kein Geheimnis – wird ewig in Ihrem Stammbuch bleiben, denn Sie haben es immer abgelehnt, den Vertriebenen-Verbänden eine adäquate Förderung zuteil werden zu lassen, und zwar mit dem Hinweis: Man wird doch nicht Vereinsmeiern Geld, Millionen in die Hände geben! – Wenn das Ihre Einstellung ist, dann sind Sie zu Recht nicht mehr Finanzminister; Sie haben überhaupt nie einen menschlichen Zugang zu dieser Problematik gehabt.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir jetzt einen Finanzminister haben, der sich ganz klar und eindeutig hinter die Anliegen der Vertriebenen stellt und es ermöglicht hat, eine ausreichende Dotierung für die Anliegen der Vertriebenen-Verbände zur Verfügung zu stellen.

55 Millionen Schilling seitens des Bundes können keine wirkliche Wiedergutmachung sein, sind es auch nicht, sind bestenfalls eine Symbolik, sollen aber auch ausdrücken, dass es dieser Regierung mit ihrem Regierungsprogramm wirklich ernst ist, dass konkret ins Auge gefasst ist, sachgerechte Lösungen für die Menschen dieser Republik und für jene, die in der Vergangenheit sehr viel zu leiden hatten, herzustellen.

Über die 45 Millionen Schilling seitens der Bundesländer wird im Moment verhandelt. Es gibt hiezu einen grundsätzlichen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz vom 6. April, durch welchen das den Finanzlandesräten zur weiteren Abstimmung übertragen wurde. Meinen Informationen nach wird es am 13. Juni zu einer entsprechenden Beschlussfassung kommen, wie immer diese auch aussehen wird. Ob es eine prozentuell gleiche Beteiligung aller Bundesländer sein wird oder eine nach dem Bevölkerungsschlüssel abgestufte, ist für das Ergebnis an sich egal.

Eines kann ich von dieser Stelle aus auf jeden Fall schon mitteilen: Kärnten und damit auch der Landeshauptmann von Kärnten werden jedenfalls den Anteil, den man Kärnten zuweist – unter Umständen sogar ein bisschen mehr –, zu diesem Fonds beitragen. Das kann ich von dieser Stelle aus sagen.

Ich hoffe, dass alle politischen Kräfte dieses Hohen Hauses – insbesondere auch Kollege Dietachmayr, nämlich dort, wo er besonderen Einfluss hat: beim Landeshauptmann von Wien und beim Landeshauptmann des Burgenlandes – noch vor dem 13. Juni konkrete Schritte in diese Richtung unternehmen, damit es am 13. Juni oder in den Folgewochen zu einer wirklich adäquaten Lösung kommt, an der alle Bundesländer mitwirken. Wir sind ein Bundesstaat, das steht nicht nur in unserer Verfassung, sondern dazu bekennen wir uns alle, die Länder haben die Erste Republik aufgebaut und den Bundesstaat gebildet. Die Bundesländer werden ihren Beitrag, nehme ich an, auch leisten und damit bewerkstelligen, dass die Vertriebenen-Verbände auf eigene Beine gestellt werden.

Herr Bundesminister Grasser! An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für Ihren Einsatz in dieser Frage. Ich hoffe, dass in diesem Haus endlich auch der Paradigmenwechsel stattfindet, dass die ideologische Auseinandersetzung, die sich oftmals in der Vergangenheit dargestellt hat, ein Ende findet und dass man Leid und Opfer anerkennt, egal, welcher Ethnie sie angehören und welchen Ursprungs sie sind. Die Grünen sind eingeladen, gemeinsam mit uns und auch der SPÖ endlich diesen allgemeinpolitischen Konsens mitzutragen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

15.13


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dietachmayr. Die maximale Redezeit aller weiteren Diskussionsbeiträge ist 5 Minuten. – Bitte.

15.13

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, dass die Beantwortung einer Anfrage eines Abgeordneten einer anderen Fraktion zum Anlass genommen wird, eine Debatte abzuführen. Ich begrüße diese Debatte, weil auch ich der Meinung bin, dass, wenn es einen Konsens oder Zustimmung auf breiter Basis gibt, das hier gesagt werden soll – noch dazu, wenn sich Vertreter der Vertriebenen-Verbände, die ich herzlich begrüße, hier im Haus befinden.

Ich freue mich selbstverständlich über diese Beantwortung der Anfrage, obwohl sie – ich werde mir erlauben, Herr Minister, Sie dann noch etwas konkreter zu fragen – nicht sehr ausführlich ausgefallen ist.

Meine Damen und Herren! Mehrere Artikel in den Medien im März dieses Jahres haben mich veranlasst, eine verbindliche Auskunft vom Finanzminister betreffend die Einrichtung eines Fonds für die Sudetendeutschen und heimatvertriebenen Altösterreicher einzuholen, denn ich bin dafür – und das ist ja auch ein langjähriger Wunsch der Vertriebenen-Organisationen –, dass diese eine verbesserte finanzielle Basis erhalten.

Es war ja bisher nicht immer ganz einfach. Kollege Mühlbachler und ich haben in der alten Koalition versucht, eine Übergangslösung zu finden, sodass sich die Vertriebenen-Organisationen nicht ständig als Bittsteller anstellen müssen, um ihre Tätigkeit und die wissenschaftliche Arbeit im "Haus der Heimat" durchführen zu können.

Ich erinnere daran, dass die Republik Österreich und die Stadt Wien sehr maßgebliche Mittel flüssig gemacht haben, um das "Haus der Heimat" in der Steingasse im 3. Bezirk, das heute eine wichtige Heimstätte der Vertriebenen-Verbände ist, mitzufinanzieren. Daher begrüße ich es, wenn dieser Fonds eingerichtet werden soll.

Es ist aber schon zu betonen – ich möchte das ganz vorne hinstellen –, dass es sich bei diesem Betrag um keine Entschädigung für die Opfer der Vertreibung handelt, sondern dass mit diesem Geld die wichtige Arbeit der Verbände der Heimatvertriebenen unterstützt werden soll. Die Bezeichnung "Vertriebenen-Fonds" ist daher irreführend, da die Vertriebenen selbst damit ja in keiner Form entschädigt werden.

Laut Antwort des Finanzministers auf meine Anfrage soll der Fonds ein Volumen von 100 Millionen Schilling haben, wobei 55 Millionen Schilling als einmalige Förderung vom Bund bereitgestellt werden – ich habe aber im Budget für dieses Jahr noch keine Position gefunden, wo dieser Betrag aufscheint. 45 Millionen Schilling sollen von den Bundesländern geleistet werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich gleich die konkrete Frage an den Finanzminister stellen: Ist dieser Betrag der Bundesländer bereits gesichert? – Wir haben nichts von einer Ankündigungspolitik, und die Vertreter der Vertriebenen-Verbände haben auch nichts davon. Daher möchte ich konkret wissen: Wie schaut das aus? Hat sich die Landesfinanzreferentenkonferenz schon mit dieser Frage beschäftigt? Gibt es hier bereits Zusagen? Was wird geschehen, wenn sich ein Bundesland weigert, diesen Fonds mitzufinanzieren? Fällt dann der ganze Fonds? – Ich glaube, es ist noch eine ganze Reihe von Fragen offen.

Weiters steht auch in dieser Anfragebeantwortung, dass es sich bei dem Betrag des Bundes um eine einmalige Leistung handelt. Es ist mit keiner weiteren finanziellen Unterstützung durch den Bund zu rechnen.

Meine Damen und Herren! Der Betrag von 100 Millionen Schilling darf auf keinen Fall als Schweigegeld für die Vertriebenen-Verbände verstanden werden (Beifall der Abgeordneten Dr. Ofner und Dr. Kurzmann ), weil die Bundesregierung ohnehin schon genug Schwierigkeiten mit diversen Nachbarländern hat – man braucht nur an Temelin oder die Übergangsfristen zum


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Schutz des Arbeitsmarktes im Zusammenhang mit dem kommenden EU-Beitritt zu denken. Da bestehen ja massive Differenzen.

Es sollte daher klargestellt werden, dass sich die Bundesregierung mit diesem Geld nicht davon freikauft, sich für die Interessen der Heimatvertriebenen auf internationaler Ebene einzusetzen, auch wenn vielleicht die Forderungen der Heimatvertriebenen für manche in- oder ausländische Minister störend und lästig sein mögen. In diesem Sinne hoffe ich, dass es hier bald zu einer Einigung kommt. (Beifall bei der SPÖ.)

15.19


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mühlbachler. Redezeit: 5 Minuten. – Bitte.

15.19

Abgeordneter Dkfm. Mag. Josef Mühlbachler (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Finanzminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als junger Gemeinderat hatte ich ein Erlebnis, das mich emotional zutiefst beschäftigt hat: Sudetendeutsche aus dem Mühlviertel haben darum ersucht, in Freistadt ein Hartauer-Denkmal errichten zu dürfen. Hartauer ist der Verfasser des Liedes "Tief drin im Böhmerwald".

Da gab es dann im Gemeinderat eine Auseinandersetzung, die ich damals nicht verstanden habe. Eine Partei hat sich dezidiert dagegen ausgesprochen und hat mit einer Aussendung des Österreichischen Dokumentationszentrums des Widerstandes argumentiert, wonach diese Heimatvertriebenen tatsächlich alle pauschal in eine nationalsozialistische Ecke gedrängt wurden. Das hat mich damals beschäftigt und noch mehr beschäftigt, als ich dann Vertriebenen-Sprecher der Österreichischen Volkspartei werden durfte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Anbeginn an war mir klar, die Geschichte der Heimatvertriebenen muss neu geschrieben werden, anders dargestellt werden als bisher, denn da gibt es keine Pauschalurteile, da gibt es keine eindeutige Zuordnung in Lager. Ich kann Ihnen als Bürgermeister von Freistadt sagen, diese Heimatvertriebenen finden sich in allen politischen Lagern. Ob Sozialdemokraten, ob Freiheitliche, ob Grüne, ob Volksparteizugehörige – sie widerspiegeln einfach das Bild unserer Gesellschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daher bin ich sehr froh darüber, dass es jetzt Konsens darüber gibt, dass dieses Neuaufrollen der Geschichte der Heimatvertriebenen auch abgesichert wird. Denn diese 100 Millionen Schilling sind nicht als Wiedergutmachung zu verstehen, könnten auch gar nicht als solche verstanden werden, sondern sollen das "Haus der Heimat", in dem alle Verbände unter einem Hut untergebracht sind, in der Existenz absichern und sollen auch gewährleisten, dass es zukünftig Forschungsaufträge über die Geschichte der Vertriebenen gibt. Das erscheint mir wichtig – wichtig deswegen, weil ich glaube, dass gerade diese Leute ein Anrecht darauf haben, dass sie wieder von ihrer Vergangenheit sprechen können, öffentlich sprechen können, ohne dabei gleich in irgendeine Ecke gestellt zu werden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das meine ich sehr, sehr ernst. Da geht es um Leute, die darüber traurig sind, dass sie nach wie vor durch Beneš-Dekrete oder AVNOJ-Beschlüsse benachteiligt sind, die liebend gerne ihre Heimat besuchen, die keine weiß Gott wie großen Ansprüche stellen, obwohl sie enteignet worden sind, obwohl sie ihrer Heimat, ihrer existenziellen Grundlage beraubt worden sind, sondern die schlicht und ergreifend vor aller Welt dokumentieren möchten, dass ihnen Unrecht zugefügt worden ist.

Verstehen Sie bitte diese 100 Millionen Schilling so, dass gerade dem Verband der Volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs Gerechtigkeit vor der Geschichte widerfährt. Das ist das große Anliegen, nichts anderes. Ich bitte Sie alle darum, dass Sie in diesem Sinne einem Antrag zustimmen, der darauf hinausgeht, wenn alle Voraussetzungen abgeklärt sind – sie werden bald abgeklärt sein –, dass diese 100 Millionen zur Existenzsicherung dieses Anliegens eingesetzt werden. Darum ersuche ich Sie recht höflich. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.25

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. Gleiche Redezeit von 5 Minuten. – Bitte.

15.25

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich darf bei zwei Vorrednern anknüpfen. Ich habe beiden Applaus gespendet. Der Erste war Herr Abgeordneter Dietachmayr, Vertriebenen-Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, der richtigerweise festgehalten hat, dass diese 100 Millionen ein erster Ansatz in die betreffende Richtung sind, aber keineswegs ein letzter Ansatz sein dürfen. So ist es, so glaube ich, in der Anfragebeantwortung, um die es heute geht, auch gemeint gewesen.

Der Zweite ist der Vertriebenen-Sprecher der Österreichischen Volkspartei Mühlbachler, der sehr zutreffend erklärt hat, man müsse die Geschichte der Vertriebenen neu schreiben. Meistens wird das heißen müssen, man wird sie überhaupt zu schreiben haben, denn vieles ist nicht festgehalten. Man wird sich aber sehr beeilen müssen, sonst sind alle Zeitzeugen tot und begraben. Man wird also jene, die die Betroffenen sind, vielleicht erstmals in der Geschichte zu hören haben und das, was sie zu sagen haben, festzuhalten haben, damit man nicht nur auf das angewiesen ist, was politische Gegner aus anderen Ländern diesbezüglich zum Besten geben.

Tatsächlich ist es so, dass wir in den letzten Monaten und Jahren erfreulicherweise eine deutliche Sensibilisierung der österreichischen Öffentlichkeit, vor allem auch der österreichischen Politik, gegenüber den Opfern feststellen. Wir alle arbeiten an dieser Sensibilisierung mit. Es sind die Kriegsgefangenen und die vertriebenen Altösterreicher deutscher Zunge auch in diesem Bereich inbegriffen.

Es kann nur nicht schaden, wenn man sich die Dimensionen immer wieder in Erinnerung ruft, die dieses Genozidverbrechen seinerzeit aufgewiesen hat: 15 Millionen Menschen sind aus ihrer angestammten Heimat vertrieben worden, nur weil sie deutscher Muttersprache gewesen sind – nicht nur Österreicher, nicht nur Deutsche aus dem damals so genannten Altreich, sondern etwa auch die Liechtensteiner. Man hat gefragt, warum. Sie waren sehr vermögend, und es ist darum gegangen, auch ihr Vermögen bei der Gelegenheit gleich ernten zu können.

Von diesen 15 Millionen waren 5 bis 6 Millionen Altösterreicher deutscher Zunge. 3 Millionen von den 15 Millionen hat man bei dieser Gelegenheit umgebracht, davon allein im Gebiet der damaligen Tschechoslowakischen Republik – also der heutigen Staaten Tschechien und Slowakei – 242 000 namentlich aufgelistete Zivilisten. Das muss man alles, weil es heute schon so unfassbar erscheint und weil man Jahrzehnte hindurch immer wieder versucht hat, es unter den Teppich zu kehren, in Erinnerung rufen und festhalten.

Hunderttausende von den vertriebenen Altösterreichern deutscher Zunge aus einer ganzen Reihe von Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie haben sich in Österreich niedergelassen. Das war nicht immer ganz einfach, denn da war oft ein Pingpongspiel an der Grenze. Die Tschechen haben die Menschen, die Mütter mit den Kleinkindern am Arm zu Fuß an die Grenze gejagt. Und die Österreicher haben gesagt, das sind Tschechen deutscher Muttersprache, die nehmen wir nicht auf! Das ist im Niemandsland hin und her gegangen, bis die letzten Kinder tot waren. Alle Waldviertler und alle Weinviertler, vielleicht auch die Mühlviertler, kennen die Kindergräber bei den Grenzübergängen, in denen diese Kinder, die bei diesem menschenvernichtenden Pingpongspiel in den Armen der Mütter gestorben sind, bestattet worden sind.

Die Hunderttausenden Altösterreicher deutscher Zunge, die sich in ihrer alten neuen Heimat Österreich auf Dauer niedergelassen haben, haben zu unserem Wohlstand weitaus überproportional beigetragen, so behaupte ich. Sie waren außerordentlich fleißig, sie waren außerordentlich begabt. Sie haben zu der Bevölkerungsgruppe gehört, die Arthur Schnitzler als "industriös" bezeichnet hat. Er hat das auf die Böhmen insgesamt gemünzt gehabt: Die Böhmen sind ein "industriöses" Volk. – Das hat auf die Altösterreicher deutscher Zunge ganz besonders Bezug gehabt.


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Ich glaube, dass wir uns davor hüten sollten, jetzt zu feilschen, welches Bundesland mehr und welches Bundesland weniger bezahlt. Man sollte jede Beckmesserei in den Hintergrund stellen. Jedes Bundesland, auch das kleinste und natürlich auch das größte, hat durch die jahrzehntelange Arbeit der dort niedergelassenen heimatvertriebenen Altösterreicher deutscher Zunge ein Vielfaches dessen an Wertschöpfung, an Werterhöhung profitiert, was jeder Beitrag zu diesen 100 Millionen in dem betreffenden Bereich jetzt ausmachen könnte.

Von einer Wiedergutmachung kann bisher ohnehin nicht einmal im Mindesten die Rede sein. Im Gegenteil, es gibt nach wie vor die Beneš-Dekrete, sie sind schon erwähnt worden, und es gibt die AVNOJ-Bestimmungen. Die Beneš-Dekrete werden allen Behauptungen, die diesbezüglich in die Welt gesetzt werden, zum Trotz heute noch von den Gerichten etwa in der Tschechischen Republik angewendet. Heute noch kann man dort sein Recht nicht finden, weil man deutscher oder ungarischer Muttersprache ist. Das ist das Zweite.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um den Schlusssatz!

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (fortsetzend): In diesem Sinne freue ich mich über diese Vorlage; Vorlage ist es eigentlich keine, es ist eine Anfragebesprechung, die mir ans Herz geht. Es ist schön, dass wir über diese Dinge heute hier zu reden in der Lage sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

15.30

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt der Herr Bundesminister. – Bitte, Herr Minister.

15.30

Bundesminister für Finanzen Mag. Karl-Heinz Grasser: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade dieser österreichischen Bundesregierung ein großes Anliegen, die Vielzahl auch einschneidender geschichtlicher Ereignisse, die unser Land geprägt haben, gleichgewichtig aufzuarbeiten.

Ich denke, dass wir eine stolze Erfolgsbilanz nach etwa eineinhalb Jahren Tätigkeit und Verantwortung dieser österreichischen Bundesregierung präsentieren können. Erinnern wir uns an den Beschluss des Versöhnungsfonds-Gesetzes im letzten Jahr, der die Verteilung von etwa 6 Milliarden Schilling für die ehemaligen Zwangsarbeiter regelt. Ich denke auch an den gestrigen Beschluss im Ministerrat über eine Regierungsvorlage zum Entschädigungsfondsgesetz, womit abschließend nach sieben Rückstellungsgesetzen und einer Reihe von Spezialgesetzen verbleibende Lücken in der Restitution mit einem Betrag in Höhe von etwa 5,7 Milliarden Schilling geschlossen werden sollen.

Oder ich denke auch an das von Herrn Abgeordneten Ofner erwähnte Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, mit dem es erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik gelungen ist, den rund 24 000 noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen 80 Millionen Schilling pro Jahr an Entschädigungen zuzusprechen. Ich denke auch daran, was im letzten Jahr hier im Hohen Haus als Staatszielbestimmung in der Bundesverfassung mit dem Inhalt beschlossen wurde, dass sich die Republik Österreich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt, bekennt und festlegt, dass Sprache und Kultur, Bestand und Erhalt dieser Volksgruppen zu achten, zu sichern und zu fördern sind. Das ist eine meines Erachtens europaweit beispielhafte Verfassungsbestimmung, die auch ein zentrales Anliegen der Volksgruppen und ihrer Vertreter erfüllt hat.

Wenn wir das fortführen und heute vor diesem Hintergrund über einen kleinen Beitrag zur Aufarbeitung eines Kapitels der Geschichte unseres Landes diskutieren, über das manches Mal auch der Mantel des Schweigens gehüllt worden ist, nämlich über die Tragik und den Leidensweg der Sudetendeutschen und der vertriebenen Altösterreicher, der im März 1919 begann und im Jahr 1945 seinen "Höhepunkt" mit mehr als 240 000 unschuldig zu Tode gekommenen Menschen erreicht hat, dann meine ich, es ist ein wichtiger Fortschritt, wenn wir für die Sudetendeutschen und die heimatvertriebenen Altösterreicher deutscher Muttersprache diesen Fonds, den wir von Bundesseite mit 55 Millionen Schilling und von Landesseite mit etwa 45 Millionen


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72. Sitzung / Seite 114

Schilling dotieren wollen, also in Summe 100 Millionen Schilling, einrichten können. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Zu Fragen, die angesprochen wurden, betreffend Länder: Ich darf versichern, dass der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz Jörg Haider, dem das auch zutiefst ein persönliches Anliegen ist, das bereits in der Landeshauptleutekonferenz angesprochen hat, dass es nächste Woche bei den Landesfinanzreferenten auf der Tagesordnung steht und dort ein Thema sein wird. Wie bereits vor mir Harald Ofner gesagt hat, gehe ich davon aus, dass, egal, wie groß oder klein ein Bundesland ist, dieser einfach ideelle Beitrag geleistet und dieses Signal von den Ländern auch gesetzt werden wird. In jedem Fall kann ich Ihnen sagen, es wird diesen Fonds geben, ob die Bundesländer einen Beitrag leisten oder nicht. Er ist uns ein wichtiges Anliegen. Daher werden wir diesen Fonds auch realisieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Wir werden diesen Fonds realisieren, damit die Tätigkeit der Heimatvertriebenen-Verbände und der Landsmannschaften auch auf eine etwas bessere Grundlage gestellt werden kann. Das ist eine Tätigkeit, die, wie ich meine, ungeheuer wichtig ist, nicht zuletzt auch für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Denn in letzter Konsequenz geht es bei der Aufarbeitung dieses Themas unserer Geschichte auch um die ungeschmälerte und um die ungeteilte Durchsetzung und Geltung der Menschenrechte. Es geht darum, Völkerrecht umfassend zu interpretieren. Es geht darum, dass es gerade dann, wenn wir Europa als ein Europa der Menschenrechte, als eine Wertegemeinschaft, als eine Friedensgemeinschaft interpretieren, unerlässlich ist, auch in einer Zeit der Erweiterung der Europäischen Union politische Signale zu setzen.

Wir sind davon überzeugt, dass Österreich, dass wir für unsere Altösterreicher deutscher Muttersprache Verantwortung tragen, dass wir eine besondere Schutzverpflichtung für diese Altösterreicher deutscher Muttersprache haben und dass wir dazu beitragen müssen, dass ihre unverwechselbare Kultur erhalten wird. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Wir haben die Verpflichtung, diesen Minderheiten eine wirtschaftliche und eine kulturelle Überlebenschance in ihrer Heimat zu geben. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, müssen wir es, auch was die Erweiterung der Europäischen Union betrifft, in aller Deutlichkeit aussprechen: Die Beneš-Dekrete und die AVNOJ-Beschlüsse müssen spätestens mit dem Beitritt Tschechiens und Sloweniens zur Europäischen Union der Vergangenheit angehören! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das sind Wunden Europas, bei denen politische Signale gefordert sind, damit zur Heilung beigetragen werden kann. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat letzte Woche bei der Verleihung des Karlspreises zu Recht darauf hingewiesen und gesagt: Unrecht verjährt nicht und muss auch als solches anerkannt werden.

Daher, meine Damen und Herren, ist die Einrichtung dieses Fonds ein erster Schritt zu einer neuen Qualität der Tätigkeit der Landsmannschaften und der Heimatvertriebenen-Verbände, und sie ist mehr noch ein deutliches politisches Signal, dass Völkerrecht unteilbar ist, dass es gerade in einer Wertegemeinschaft Europa umfassend ist. – Vielen Dank. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

15.37

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. 5 Minuten. – Bitte. (Abg. Kiss: Es gibt kein Thema, zu dem Öllinger nicht redet!)

15.37

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Ist das ein Problem für Sie, Herr Kollege Kiss, dass ich reden kann? (Abg. Kiss: Ich würde auch gerne so viel reden!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Ich habe an der Arbeit der österreichischen Vertriebenen-Verbände bisher eigentlich immer geschätzt, dass sie revanchistische Gelüste, die manche Vertriebenen-Verbände – nicht alle – in der Bundesrepublik Deutschland, die in einem politischen Eck angesiedelt waren oder sich angesiedelt haben, ge


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habt haben, vermieden haben. Dass sie in diesem Sinn sehr positive Arbeit geleistet haben, war gut.

Wenn ich die Debatte jetzt resümiere, dann fällt mir ein sehr positiv gemeinter Beitrag des Kollegen Mühlbachler auf, dem ich zunächst nichts Negatives abgewinnen kann. Ich gebe schon zu, ich passe auf. Ich passe auf, und ich erkläre auch, warum ich aufpasse.

Es geht um den Beitrag des Kollegen Mühlbachler, in dem ein Platz für die Vertriebenen beziehungsweise für die Landsmannschaften gefordert wird, an dem auch an ihr Schicksal, an die Vertreibung und das Unrecht, das diesen Personengruppen widerfahren ist, erinnert wird, in dem aber auch eine Aufarbeitung der Geschichte gefordert wurde. Nun ist die Geschichte der Vertriebenen-Verbände eine nicht so leicht "aufzudröselnde", weil es auch eine Geschichte ist, die mit NS-Kollaboration zu tun hat, aber nicht nur mit Kollaboration, sondern auch mit Unrecht, das in der Folge so manchen und sehr vielen Vertriebenen widerfahren ist.

Meine Damen und Herren! Was es mir so schwer macht, wenn ich jetzt resümiere – Gott sei Dank kann ich als Letzter sprechen –, das sind Worte, die zwischendurch in dem einen oder anderen Beitrag gefallen sind und die ich auch deshalb erwähnen möchte: Geschichte gleichgewichtig aufarbeiten. – Das war ein Beitrag des Herrn Bundesministers. Ich weiß nicht, wie Sie das gemeint haben, Herr Bundesminister, und ich will Ihnen nichts unterstellen, aber es gibt keine gleichen Gewichte.

Es gibt kein Gewicht, mit dem man das eine Opfer und die Opfer der Vertriebenen gleichgewichtig mit dem aufrechnen kann, was das NS-Regime, für das wir in diesem Land und auch gegenüber anderen Ländern, auch in den Ländern, aus denen die Vertriebenen gekommen sind, Verantwortung tragen, angerichtet hat. Dafür gibt es keine gleichen Gewichte. (Beifall bei den Grünen.)

Ich hoffe wirklich, Herr Bundesminister, Sie haben das nicht gemeint.

Irritiert hat mich an der Debatte auch der Begriff der politischen Gegner in den anderen Ländern, die verhindern wollen, dass wir und die Vertriebenen-Verbände diese Geschichte aufarbeiten.

Meine Damen und Herren! Die politischen Gegner, die anderen Länder, die da in den Mund genommen wurden, sind jene Länder, die in zwei, drei oder vier Jahren der Europäischen Union beitreten werden. Ist Ihnen klar, was Sie da sagen, wenn Sie diese als politische Gegner bezeichnen? Setzen wir uns mit unseren Feinden in Europa zusammen oder setzen wir uns mit unseren Brüdern und Schwestern in Europa zusammen? Sind das befreundete Staaten, mit denen es in der einen oder anderen Frage – darunter auch in der Frage der Vertreibung – Differenzen geben kann und denen man zu Recht oder zu Unrecht vorwerfen kann, dass sie mit ihrer eigenen Geschichte auch nicht so umgehen können? Aber bitte mea culpa: Klopfen wir vorher an unsere eigene Brust und stellen das fest, was für unser Land noch immer nicht endgültig festgestellt wurde! Wir haben gestern wieder die Möglichkeit gehabt, darüber zu debattieren, wie wir mit unseren eigenen Opfern umgehen, dass wir sie nicht anerkennen, dass wir immer noch bestimmten Opfergruppen die Anerkennung verweigern.

Setzen wir den Dialog mit diesen Ländern fort, oder setzen wir die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern fort? – Sie müssen sich entscheiden, meine Damen und Herren!

Wir machen bei einer Auseinandersetzung mit "politischen Gegnern", denen man über den Umweg der Beneš- und AVNOJ-Dekrete letztendlich noch einen Strick hinsichtlich des Beitritts drehen will, nicht mit! Das spielt es nicht mit uns! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun – sosehr ich auch die Auseinandersetzung über diese Frage berechtigt finde. Man muss sich mit jeder Frage offen und vorurteilsfrei auseinander setzen können, aber dazu bedarf es auch des Mutes, die Tabus im eigenen politischen Bereich, nämlich gegenüber unserer eigenen Vergangenheit, aufzuarbeiten. (Beifall bei den Grünen.)

Ich habe in der gestrigen Debatte diese Tabus noch feststellen können, meine Damen und Herren. Ich wünsche mir auch, dass, wenn es um das schon erwähnte "Haus der Heimat" geht, die


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Vertriebenen-Verbände den Mut und die Kraft finden, sich auch der Auseinandersetzung mit der einen oder anderen Organisation, die im "Haus der Heimat" ebenfalls Platz gefunden hat, zu stellen. Wenn etwa ein südafrikanischer Apartheid-Aktivist im "Haus der Heimat" ein Referat halten darf, dann hat das mit dem, was die Vertriebenen-Verbände zu Recht fordern ...

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um den Schlusssatz, Herr Abgeordneter!

Abgeordneter Karl Öllinger (fortsetzend): ... und zu Recht wollen, nämlich die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, nichts zu tun, sondern ist diesem Anliegen schädlich. (Beifall bei den Grünen.)

15.43

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Anträge wurden keine gestellt, daher findet auch keine Abstimmung statt.

*****

Kurze Debatte über die Anfragebeantwortung 2081/AB

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen gleich zur Durchführung der Kurzdebatte über die Anfragebeantwortung 2081/AB des Herrn Landwirtschaftsministers Molterer, der, wie heute früh bekannt gegeben wurde, von Frau Bundesministerin Gehrer vertreten wird.

Da auch diese Anfragebeantwortung inzwischen allen Abgeordneten zur Verfügung steht, erübrigt sich eine Verlesung durch einen Schriftführer.

Wir gehen in die Debatte ein, und ich mache darauf aufmerksam, dass der Erstredner 10 Minuten zur Verfügung hat, eine allfällige Stellungnahme von der Regierungsbank ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll und die Diskussionsredner jeweils 5 Minuten haben.

Das Wort erhält Herr Abgeordneter Pirklhuber. Redezeit: 10 Minuten. – Bitte.

15.45

Abgeordneter Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! In der vorliegenden Anfragebesprechung geht es um eine Causa, die uns, insbesondere die Grünen, aber auch die gesamte österreichische Bevölkerung, sehr bewegt. Es geht um die Grundfrage: Werden wir ein gentechnikfreies Österreich im Bereich der Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik bewahren können?

Die vorliegende Anfragebeantwortung von Bundesminister Molterer – schade, dass er heute nicht da ist – lässt viele Fragen (Abg. Schwarzenberger: Das wussten Sie aber schon bei der Einbringung!), Herr Kollege Schwarzenberger, offen. Und diese offenen Fragen müssen wir an ihn stellen.

Eine Tatsache, die in dieser Anfragebeantwortung klar zum Ausdruck kommt, ist, dass derzeit in Europa noch immer keine einzige gentechnisch veränderte Pflanze im gemeinschaftlichen Sortenkatalog geführt wird. Das bedeutet, dass eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Europa keine Vision von gestern, sondern eine Chance für die Zukunft ist. (Beifall bei den Grünen.)

Bisher gibt es nur einige nationale Zulassungen einiger Sorten, zum Beispiel in Spanien, wo auch bereits BT-Mais angebaut wurde. Aber keine einzige Sorte ist gemeinschaftlich verkehrsfähig.

In Österreich haben wir bekanntermaßen eine Verbotsverordnung auf Basis des Gentechnikgesetzes, wonach die Inverkehrbringung von Produkten, vor allem von Saatgut mit gentechnisch veränderten Konstrukten, verboten ist.


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Besonders interessant in dieser Anfragebeantwortung von Minister Molterer ist der Verweis darauf, dass derzeit die Regelung über die Aussaat von Saatgut gentechnisch veränderter Sorten im Bereich der Länderkompetenz liegt. Das bedeutet, dass der Bundesminister, wenn Gefahr in Verzug ist, die Aussaat per Verordnung gar nicht verbieten kann. Ich denke mir, das wäre eine Frage, Frau Bundesministerin, die Minister Molterer zu beantworten hätte. Er hat das festgestellt, aber genau das ist doch das Problem, dass, wenn Sorten im Rahmen der Kontrolle, die durchgeführt wird, bekannt werden, rasch gehandelt werden muss. (Beifall bei den Grünen.)

Der derzeitige Stichprobenumfang ist an sich nicht schlecht. Es werden 20 Prozent der Importe aus Drittstaaten, 10 Prozent des Saatgutes der EU und 5 Prozent des österreichischen Saatgutes stichprobenartig untersucht. Aber, meine Damen und Herren, das Problem ist: Wann werden diese Untersuchungen durchgeführt? – In der Beantwortung des Ministers vom Mai dieses Jahres heißt es, dass bisher etwa 50 Prozent – bezogen auf die Anbauflächen – des Saatgutes, das ausgebracht wird, überprüft wurden.

Sie wissen vielleicht – zumindest die Landwirte hier wissen es –, dass die Kulturen, die als letztes angebaut werden, also Mais und Sojabohne, etwa Anfang Mai bis spätestens Mitte Mai von den Landwirten ausgebracht werden. (Abg. Hornek: Das Saatgut ist aber schon vom Vorjahr!) – Das Saatgut ist aus der Periode Herbst 2000/Frühjahr 2001.

Das bedeutet, dass gerade nur 234 Untersuchungen durchgeführt wurden, Kollege Hornek! Und jetzt kommt es: Drei positive Proben, drei GVO-verunreinigte Partien sind gefunden worden. Was bedeutet das, meine Damen und Herren? – Das ist eine mehr als knappe Aussage des Herrn Bundesministers, denn er gibt uns nicht bekannt, welche Sorten und welche Konstrukte betroffen sind.

Der Bundesminister verschanzt sich bei dieser Anfragebeantwortung hinter dem Datenschutz. Ich muss Ihnen schon sagen, das ist für uns Grüne absolut unkorrekt, nämlich unkorrekt in der Hinsicht, da das höhere Interesse im Vordergrund stehen müsste: dass ausschließlich GVO-freies Saatgut in Österreich in Verkehr zu bringen ist und auch GVO-freie Felder sicher zu stellen sind. Damit das gesichert werden kann, müsste der Bundesminister seine Bäuerinnen und Bauern, also unsere Landwirtschaft, rechtzeitig davon informieren. Ich würde mir erwarten, dass der Bundesminister, sobald eine gesicherte positive Probe auftaucht, diese bekannt gibt, in das Internet stellt und die notwendigen Stellen, angefangen von der Landwirtschaftskammer bis zu den Saatgutfirmen, davon informiert. Uns hat er in dieser Anfragebeantwortung nicht davon informiert. (Beifall bei den Grünen.)

Allerdings – das ist das Pikante an dieser Sache – sind zwei Schreiben des Bundesamtes und Forschungszentrums für Landwirtschaft bekannt geworden, und aus diesen beiden Schreiben vom März und Mai dieses Jahres geht ganz klar hervor, dass es nicht nur drei GVO-verunreinigte Partien gegeben hat, sondern sechs. Fünf davon waren Maispartien, und eine war eine Sojapartie, die aber nicht nach Österreich importiert wurde.

Das heißt, nur einen Tag nachdem wir diese Anfragebeantwortung bekommen haben, ist dieses Schreiben des Bundesamtes und Forschungszentrums für Landwirtschaft an Bundesminister Haupt ergangen. Auch da würde ich mir mehr Sorgfalt erwarten, dass wir wirklich die aktuellen Informationen bekommen, denn ich gehe davon aus, dass dieses Ergebnis nicht erst einen Tag vorher bekannt war, sondern schon zwei, drei Wochen vorher vorgelegen ist. Ich habe die Vermutung, dass der Bundesminister mit uns ein Versteckspiel spielt und dass den Labors des Bundesamtes noch weitere GVO-verunreinigte Saatgutpartien und Sorten bekannt sind.

Ich würde mir erwarten, dass der Bundesminister die Öffentlichkeit umgehend darüber informiert, die Landwirtschaft umgehend darüber informiert und umgehend die erforderlichen Maßnahmen setzt, damit es nicht zur Verschleppung in der Natur kommt. Bei Mais ist die Möglichkeit derzeit noch nicht gegeben, erst beim Pollenflug, also dann, wenn der Pollen durch die Pflanze produziert wird, kann der Gen-Transfer passieren. Und bis zu diesem Zeitpunkt müsste einwandfrei geklärt werden, welche Sorten betroffen sind, müsste einwandfrei geklärt sein, welche


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Flächen mit solchem Saatgut bebaut wurden, und müsste auch geklärt sein, dass diese Kulturen entsprechend vernichtet werden müssen.

Ich möchte noch auf einige andere Aspekte dieser Anfragebeantwortung eingehen. Ein wichtiger Aspekt ist die regelmäßige Veröffentlichung des gesamten Untersuchungsergebnisses von Saatgut, aber auch das will uns der Bundesminister offenbar vorenthalten.

Eine Frage, die derzeit auf europäischer Ebene ganz massiv in Diskussion steht, ist die Frage der Schwellenwerte, das heißt, wie viel GVO-Verunreinigung in einem Saatgut enthalten sein darf. Auf die Frage, welche Position er in den entsprechenden Gremien auf europäischer Ebene vertritt, hat er uns keine Antwort gegeben. Ich erwarte mir vom Herrn Bundesminister, dass er dazu – da dies heute mündlich nicht möglich ist, in schriftlicher Form – noch einmal Stellung bezieht und uns mitteilt, welche Position er vertritt.

Aus der Sicht des Bio-Landbaus ist eines klar: Wenn wir keine Nulltoleranz bei Saatgut auf europäischer Ebene einführen, dann können die Bio-Bauern Saatgut aus dem normalen Saatguthandel nicht mehr beziehen, weil dann Schwellenwerte möglich sind. Dass es auch ein anderes Vorgehen gibt, ist bekannt. So haben andere Landwirtschaftsverantwortliche – zum Beispiel jene von Schleswig-Holstein – im Mai dieses Jahres sowohl die Sorten bekannt gegeben als auch gleichzeitig die Bauern davon informiert. Sie sehen, das ist sehr wohl möglich. Weiters wurde in Schleswig-Holstein dieser ausgepflanzte Mais vernichtet.

Ich denke, das ist eine Vorgangsweise, die auch in Österreich mehr denn je notwendig wäre. Wenn wir Bioland Nummer eins sein wollen, müssen wir auch ein gentechnikfreies Land in der Landwirtschaft bleiben und werden. (Beifall bei den Grünen.)

Ich fordere Sie, Herr Bundesminister Molterer, daher auf, unverzüglich alle Untersuchungsergebnisse, die gesichert sind, der Öffentlichkeit bekannt zu geben und insbesondere die Bäuerinnen und Bauern davon zu informieren. Die notwendigen Maßnahmen sind zu ergreifen, damit GVO-verunreinigte Felder vernichtet werden.

Abschließend: Für uns ist es klar, dass die Bauern, die davon betroffen sind, von den Firmen natürlich vollständig entschädigt werden müssen. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Mag. Sima. )

15.54

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Abgabe einer Stellungnahme zum Gegenstand dieser Debatte hat sich Frau Bundesministerin Dr. Gehrer in Vertretung des Herrn Bundesministers Molterer zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.

15.55

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich darf eingangs Herrn Bundesminister Molterer für diese Debatte entschuldigen und ihn heute hier vertreten. Er ist beim Umweltministerrat in Luxemburg, bei dem wichtige Angelegenheiten des Umweltschutzes auf der Tagesordnung stehen.

Zu der von Ihnen angesprochenen Anfragebeantwortung hinsichtlich der Verhinderung der Aussaat von gentechnisch manipuliertem Saatgut ist Folgendes festzustellen: Die Beantwortung der Anfrage vom 8. März 2001 durch Bundesminister Molterer ist mit 7. Mai 2001 datiert. Sie ist in schriftlicher Form den Abgeordneten Pirklhuber, Freundinnen und Freunden zugegangen. Es wurden alle Fragen ausführlich und umfassend beantwortet. Ich möchte noch einmal die wichtigsten Punkte, die in der Beantwortung enthalten sind, anführen.

Erstens: Das für die Saatgutanerkennung und -kontrolle zuständige Bundesamt und Forschungszentrum für Landwirtschaft, das von Ihnen schon genannt wurde, speziell das Institut für Saatgut, testet seit Herbst 2000 Saatgut. Das geschieht im Rahmen der Implementierung eines österreichischen Aktionsplanes auf Grund eines freiwilligen – ich betone: freiwilligen! – EU-weiten Projektes. Das Saatgut wird dort auf gentechnische Verunreinigungen geprüft. Dabei wird zur Vermehrung gelangendes Aussaatgut vollständig untersucht. Potenziell verdächtiges Saat


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gut aus der Saatgutverkehrskontrolle sowie von Saatgutimporten stammendes Saatgut werden im Bundesamt und Forschungszentrum stichprobenartig untersucht. Verdächtiges Saatgut wird völlig kontrolliert, stichprobenartig das andere.

Zweitens: Das EU-Saatgutverkehrsrecht und somit auch das Saatgutgesetz 1997 und die darauf basierenden Durchführungsbestimmungen enthalten derzeit – das hat Ihnen der Herr Bundesminister auch mitgeteilt – noch keine Regelungen über Verunreinigungen von Saatgut mit gentechnisch veränderten Organismen. Es wurde daher auch, weil es dafür keine Regelungen gibt, hinsichtlich allfälliger Konsequenzen in der vorliegenden Beantwortung auf den derzeitigen Rechtsstand des Saatgutverkehrs verwiesen. Eine Beantwortung kann nur auf Grund des derzeitigen Rechtsstandes vorgenommen werden.

Drittens: Die Anfragebeantwortung enthält ferner den Analysenstand der laufenden Untersuchung zum Zeitpunkt der Fragebeantwortung. Genannt wurden in der schriftlichen Beantwortung ohne nähere Angaben über den Inverkehrbringer, also über die betroffene Saatgutfirma, die drei betroffenen Sorten, drei gentechnisch kontaminierte Partien von Maissaatgut. Es wurden Ihnen auch detaillierte Angaben über die Methodik der Probennahme und über die Art der Untersuchung gemacht. Von der Nennung der Saatgutfirmen wurde auf Basis des Datenschutzgesetzes 2000, in dem die Weitergabe von schutzwürdigen Daten geregelt ist, verzichtet. Insbesondere die Weitergabe von Daten aus laufenden Verfahren an Dritte ist gemäß Datenschutzgesetz nicht zulässig. – Ich stelle ganz klar und deutlich fest, der Herr Bundesminister versteckt sich nicht hinter dem Datenschutzgesetz, sondern er nimmt die rechtlichen Bestimmungen des Datenschutzgesetzes ernst. (Beifall bei der ÖVP.)

Viertens: Die Frage hinsichtlich der Saatgutimporte aus Drittländern wurde in der Anfragebeantwortung ebenfalls detailliert nach Herkunftsland, Sorte und Menge des Saatgutes aufgeschlüsselt. Sie haben auch in Form einer eigenen Beilage diese Unterlagen erhalten. – Ich meine also, dass die gestellten Anfragen nach dem damals vorherrschenden Wissensstand ausführlich beantwortet worden sind. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

15.59

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich danke der Frau Bundesministerin für diese Stellungnahme.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Sima. Redezeit: 5 Minuten. – Bitte.

15.59

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns mit dem Problem von kontaminiertem Saatgut hier beschäftigen müssen. Wir reden von Saatgut, das mit gentechnisch verändertem, meist nicht zugelassenem Saatgut verunreinigt ist. Es gibt dazu auch einen aktuellen Fall, den ich gerne ansprechen möchte.

Es wurde von Greenpeace aufgedeckt, dass in einem Lagerhaus in Kärnten Maissaatgut verkauft wurde, dieses offensichtlich an zwölf Kärntner Bauern weitergegeben wurde, die dieses Saatgut im guten Glauben, ein ganz normales, konventionelles Saatgut gekauft zu haben, wahrscheinlich angepflanzt haben. Jetzt blüht also in Kärnten irgendwo dieser Mais auf Feldern. Das heißt, es hat dort de facto ohne Wissen der Betroffenen eine illegale Freisetzung stattgefunden.

Was mich, ehrlich gesagt, ein bisschen wundert, ist: Wir wissen das seit einer Woche, und ich habe von keiner Reaktion der beiden zuständigen Minister gehört. Weder Minister Molterer noch Minister Haupt haben sich in irgendeiner Weise zu diesem Fall geäußert. Was erschwerend hinzukommt, ist, dass es nicht das erste Mal ist, dass wir uns mit solchen Angelegenheiten beschäftigen müssen. Letztes Jahr gab es in Braunau eine Freisetzung von Raps. Eine Freisetzung wider Willen, möchte ich es nennen. Ich persönlich habe letztes Jahr im August Mais-Saatgut testen lassen. Ich habe nur noch einen Sack bekommen, weil es schon sehr spät war,


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und gleich bei der ersten Probe bin ich fündig geworden. Das Bundesumweltamt hat in der Probe gentechnisch verändertes Saatgut gefunden.

Das ist etwas, was mich wirklich schon sehr beunruhigt, denn ich denke, dass dieses Problem mittlerweile Ausmaße angenommen hat, die wir gar nicht mehr beurteilen können, und die zuständigen Minister sind nicht gerade überaktiv. Ich würde nicht sagen, inaktiv, denn offensichtlich ist doch etwas geschehen – man zieht Stichproben –, aber es ist offenbar nicht ausreichend, denn es treten immer wieder solche Fälle auf.

Ich frage jetzt Sie, Frau Ministerin, stellvertretend für den Herrn Bundesminister: Was wurde in diesem Kärntner Fall, der seit einer Woche bekannt ist, konkret unternommen? Sind Proben gezogen worden? Ist etwas untersucht worden? Sind die betroffenen Bauern ausfindig gemacht und informiert worden? Das hielte ich für essentiell und wichtig, denn die können wirklich nichts dafür, sind aber die Leidtragenden der ganzen Geschichte. Haben Sie vor, diesen angepflanzten, illegal freigesetzten Mais zu vernichten? Was werden Sie damit machen? Lassen Sie den einfach in Kärnten stehen, und werden Sie sagen: Naja, Pech gehabt, es ist zwar auf EU-Ebene nicht untersucht, und wir wissen auch nichts über diese Produkte, die ausgesetzt wurden, aber das ist egal, da kann man nichts machen!? Oder wird etwas geschehen? Wird es eine Entschädigung für die betroffenen Bauern geben? Was wird man in Zukunft tun, um solche Vorfälle, die sich häufen, zu vermeiden?

Es kann wohl nicht so sein, wie es auch auf EU-Ebene bereits diskutiert wird, dass man nämlich einfach eine Toleranzgrenze im Saatgutbereich einführt. Das hat Kollege Pirklhuber bereits angesprochen. Das halte ich für absolut unzulässig, denn Dinge, die auf EU-Ebene nicht untersucht und zugelassen sind, haben auf Österreichs Feldern absolut nichts verloren! Dagegen muss man endlich etwas unternehmen! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe es bereits gesagt: Es ist nicht der erste Fall, es gibt drei Fälle, von denen wir wissen. Offensichtlich gibt es noch mehr Fälle, über die nur das Landwirtschaftsministerium Bescheid weiß. In der Anfragebeantwortung steht allerdings nur, dass man von drei Proben weiß. Im Übrigen beruft man sich auf den Datenschutz, wie übrigens ärgerlicherweise auch im Bereich des Lebensmittelrechts und im Futtermittelbereich.

Ich möchte Sie schon einmal fragen: Was haben die Bauern davon, wenn man ihnen nur sagt, dass es drei Proben mit gentechnisch verändertem Saatgut gibt und dass das eigentlich illegal ist, und dann so quasi sagt: Aber ätschi-bätsch, wir sagen euch nicht, welche Saatgutsorten das sind!? – Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Das ist doch nur eine Frotzelei! Und die Leidtragenden sind die Bauern, die im guten Glauben das Saatgut kaufen, sich aber darauf nicht mehr verlassen können.

Dass man sich in diesem Fall auf den Datenschutz beruft, ist wirklich unfassbar. Eigentlich wäre der Landwirtschaftsminister verpflichtet, sobald er so etwas weiß, sofort an die Öffentlichkeit zu gehen und dagegen etwas zu unternehmen. Herr Schwarzenberger, gerade bei Ihnen als einem Bauernvertreter müsste ich doch mit einer solchen Forderung offene Türen einrennen! Sie können doch nicht allen Ernstes verteidigen, dass da die Bauern zum Handkuss kommen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hornek: So was von scheinheilig! – Abg. Schwarzenberger: Da gibt es dann eine Amtshaftungsklage!)

Das ist nicht scheinheilig, Herr Kollege! Ich kämpfe wirklich schon sehr lange gegen die Gentechnik, und mir in diesem Zusammenhang Scheinheiligkeit zu unterstellen, ist wirklich letztklassig. Ich denke, dass ich wirklich über eine relativ große Glaubwürdigkeit verfüge, was den Kampf gegen die Gentechnik auf unseren Äckern betrifft. (Weiterer Zwischenruf des Abg. Hornek. )

Ich möchte am Schluss auch wirklich versöhnliche Worte an Sie richten. Wir sind zu einer Kooperation bereit, um wirklich scharf gegen diese Dinge vorzugehen und geeignete Maßnahmen zu finden. Ich bin auch gerne bereit, Minister Molterer zu unterstützen, wenn er sich endlich bereit findet, etwas dagegen zu tun. Das gilt auch für den Futtermittelbereich. Es gibt diesbezüglich zahllose Anträge. Wir werden auch noch Gelegenheit haben, das im Landwirtschafts


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ausschuss zu diskutieren. Ich bringe heute einen Selbständigen Antrag ein, der sich dann hoffentlich irgendwann, früher oder später, auf der Tagesordnung wiederfinden wird, wenn wir über dieses Problem reden. Aber ich sage Ihnen: Das Problem wird immer größer, und die Leidtragenden sind hauptsächlich die Bauern und die betroffenen Konsumenten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so etwas unterstützen wollen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Abg. Hornek: Sie betreiben scheinheilig eine Verunglimpfung der österreichischen Landwirtschaft!)

16.04

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Schultes. Gleiche Redezeit. – Bitte.

16.05

Abgeordneter Ing. Hermann Schultes (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Verehrtes Hohes Haus! Wir haben wieder einmal die übliche Gentechnik-Diskussion wie jedes Jahr. (Abg. Mag. Schweitzer: Alle Jahre wieder!) Im letzten Jahr hat Frau Abgeordnete Sima eine Anfrage an den Herrn Bundesminister gestellt, und sie hat damals alle diese Fragen beantwortet bekommen, die sie heute wieder gestellt hat. (Abg. Mag. Sima: Dann tut doch endlich was!)

Voriges Jahr hat Ihnen der Herr Bundesminister geantwortet: Sofern ein Landwirt zugelassenes Saatgut verwendet, setzt er grundsätzlich keine strafbare Handlung. – Also zumindest darin sind wir uns doch einig.

Auf eine weitere Frage hat er Ihnen geantwortet: Entspricht Saatgut nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, so hat der Landwirt seine Gewährleistungsansprüche, eventuell auch Schadenersatzansprüche nach dem Bürgerlichen Recht gegen seinen Vertragspartner im Zivilrechtsweg geltend zu machen. – Der Rest der Sache heißt Rechtsstaat. Dafür stehen wir hier in diesem Hohen Haus!

Sie wollen also gerne wissen, was getan wird. – Wir in Österreich wollen, dass wir in Fragen der Gentechnik sauber bleiben, sauber bleiben, sauber bleiben. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir wollen aber auch Realisten bleiben. Wir wissen, dass wir keine Insel der Seligen sind, wir wissen, dass wir nicht der Schnittlauch auf der Suppe sind, sondern wir sind im Wettbewerb mit allen Ländern dieser Welt, und dieser Wettbewerb hat zur Folge, dass es bei uns kaum noch Saatgutzuchtstationen gibt, die wirklich Basissaatgut in all den angesprochenen Bereichen herstellen.

Daher müssen wir damit leben, dass Basissaatgut importiert und dann in Österreich vermehrt wird. Da es leider in den anderen europäischen Ländern diese Einstellung zur Gentechnik wie in Österreich noch nicht gibt – Gott sei Dank setzt sie sich immer mehr durch, aber leider noch nicht so wie bei uns –, ist die Sorgfalt bei der Herstellung des Saatguts nicht so groß wie bei uns.

Deshalb haben wir das Problem, dass wir sehr viel genauer untersuchen müssen, als all die Länder um uns herum. Bei uns wurden seit Herbst 400 Proben von Saatgut und Basissaatgut untersucht. In ganz Deutschland waren es im selben Zeitraum nur 100 Proben. Vielleicht können Sie sich an Ihre Kollegin, die sogar Landwirtschaftsministerin in diesem Land ist, wenden und sie darum ersuchen, dass sie die Probenhäufigkeit erhöht, dann wird vielleicht auch beim Import nach Österreich das Saatgut zuverlässiger und sicherer sein. Das wäre eine echte Hilfe. (Beifall bei der ÖVP.)

Auch wenn wir aus Ländern, die rot-grün regiert werden, Saatgut hereinbekommen, das nicht in Ordnung ist, werden wir dennoch unseren Weg weitergehen und genau kontrollieren. Wir werden das auch im Interesse der Biobauern tun. Wenn Sie sagen: Null ist 0,000 bis zur letzten Null, dann muss ich Ihnen erwidern: Das gibt es in der Natur und in der Wirklichkeit nicht. Auch von den Biobauern wissen wir, dass Zutaten verwendet werden dürfen, die aus der normalen Produktion kommen, und sie verfügen über die Garantien, die Sie gerne hätten, leider nicht.


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(Zwischenruf des Abg. Dipl.-Ing. Pirklhuber. ) Sie wünschen es sich! Wir wünschen uns das auch! Aber wir werden das nur dann durchhalten können, wenn wir kontrollierbare Verfahren haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Bei uns gibt es Gott sei Dank eine Handhabung dieser Angelegenheit, die wirklich dem Problem entspricht. Es gibt mehr Untersuchungen als in jedem anderen Land, und es gibt eine sehr klare Kooperation der Dienststellen. Damit Sie das wissen: Basissaatgut wird generell untersucht. Basissaatgut ist jenes Saatgut, aus dem in Österreich anderes Saatgut hergestellt wird. Jede Probe wird untersucht! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Dipl.-Ing. Pirklhuber. )

Importe aus Drittstaaten – eine Probe von 5 wird untersucht; aus der EU – eine von 10; innerhalb Österreichs – eine von 20. Es sind Verbesserungen in der Kennzeichnung, in der Haftung und in der Frage der Grenzwerte notwendig, denn es handelt sich um ein Naturprodukt. Wir müssen Grenzwerte einführen, die man auch wirklich einhalten kann, damit wir dann umso strenger unsere Richtlinien durchsetzen können.

Es hilft uns überhaupt nichts, wenn wir im Bereich der Gentechnik Fiktionen aufbauen und Illusionen pflegen. Wir leben in Österreich im internationalen Wettbewerb, aber mit einem großen ökologischen Vorsprung dank unserer Konsumenten, die uns das abnehmen. Aber wir werden die Wirklichkeit nicht vergessen. Wir sind froh darüber, dass unser Bundesminister seine Anstalten derart in Ordnung hat, und wir wissen, dass die Kooperation mit der Gentechnikbehörde funktioniert. (Abg. Dipl.-Ing. Pirklhuber: Wissen wir das?) Wir wissen davon, dass auf Fehler aufmerksam gemachte Firmen sofort ihr Saatgut zurückgezogen haben. Daher – dank der guten Kontrollen – ist in Österreich das Problem ein wesentlich geringeres als in allen anderen Ländern der Welt.

Sie haben nur ein Interesse: Verunsichern, verunsichern, verunsichern! (Abg. Mag. Sima: Was sagen Sie zu den konkreten Fällen?) Es gehen Ihnen die Probleme aus, Sie schauen auf den Kalender und sagen: Es ist Mai, der Mais kommt, also reden wir wieder über die Gentechnik! – Das ist zu wenig für eine verantwortungsvolle Politik! (Beifall bei der ÖVP.)

16.10

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Achatz. Gleiche Redezeit. – Bitte.

16.10

Abgeordnete Anna Elisabeth Achatz (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Minister! Sehr geehrtes Haus! Die Gentechnikfreiheit Österreichs ist wirklich einem Großteil der österreichischen Bevölkerung ein großes Anliegen – auch den Bauern. Diesem Anliegen ist dieses Hohe Haus verpflichtet. Dazu stehen wir. Ich denke, dazu gibt es auch keine andere Meinung in diesem Haus. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Die Gentechnikfreiheit ist für Österreichs Bauern eine ganz große Chance. Es wollen dies die Konsumenten und die Bauern. Gerade in einem großen, vereinigten Europa würde das den österreichischen Bauern eine Sonder stellung geben. Diese Sonderstellung dürfen wir nicht verspielen! Wir haben sie bis jetzt gehalten. Aber es ist auch ein Auftrag an die Politik, dafür zu sorgen, dass wir diese Sonderstellung weiter beibehalten können.

Wenn es, wie mein Vorredner bereits ausgeführt hat, ausreichende Kontrollen gibt – und das bestätigen auch Sie, Frau Kollegin Sima –, dann bin ich der Meinung, dass das gut ist, wir müssen aber weiterdenken, denn es nützt wenig, wenn wir zwar gut kontrollieren, aber das Ergebnis dann irgendwo versandet beziehungsweise die Anwender nichts davon wissen und die Bauern die Geschädigten sind. So darf das nicht sein! Da muss die Politik einsetzen.

Ein Punkt dabei ist zum Beispiel der Datenschutz. Es darf nicht so sein, dass ein Gesetz über den Datenschutz beschlossen und beibehalten wird und es nicht mehr geändert werden kann, obwohl für eine Berufsgruppe oder für die Gesundheit Gefahr in Verzug ist. Ich meine, da haben wir einiges zu tun. Ich bin mir ganz sicher, dass wir das mit einigem guten Willen in diesem Haus auch schaffen werden.


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Wir müssen auch bereit sein, eine ganz offene und ehrliche Diskussion über Schwellenwerte, über die politische Realität und über die Fragen zu führen: Schaffen wir es? Wie schaffen wir es? Noch einmal: Wir müssen alles tun, um die Gentechnikfreiheit in der österreichischen Landwirtschaft zu gewährleisten und keinen Dammbruch über die EU-Hintertür zuzulassen. Kollege Schultes! Österreich ist zwar klein, aber fein, und das soll so bleiben. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

16.13

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Glawischnig. – Bitte.

16.13

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin etwas befremdet über die Verharmlosung eines Problems, das man nicht unter den Tisch kehren darf. In zwei Punkten ist diese Anfragebeantwortung höchst brisant, und ich möchte das noch einmal ausführen. Der erste: Wie erklärt Bundesminister Molterer den Widerspruch, dass er uns, dem Parlament gegenüber in einer Anfragebeantwortung von nur drei kontaminierten Proben spricht und ein einen Tag später datiertes Schreiben vorliegt, nach dem auf einmal sechs kontaminierte Proben gefunden worden sein sollen?

Frau Ministerin! Ich möchte diese Sache in einer seriösen Form aufgeklärt wissen. Ich finde, es ist eine sehr heikle Situation, wenn man im Nachhinein draufkommt, das der Bundesminister möglicherweise das Parlament falsch informiert oder Proben wissentlich vertuscht hat. Ich möchte diese Sache aufgeklärt haben. Das ist eine sehr, sehr ernste Angelegenheit! (Beifall bei den Grünen.)

Zweitens: Mein Lieblingsland Kärnten – dort gibt es nicht nur Atomstrom, jetzt gibt es dort auch noch gentechnisch veränderten Mais. – Herr Zernatto freut sich. – Ich habe mich erkundigt, was mit diesen Sorten passiert ist. Das, was in Kärnten geschehen ist, widerspricht der bisherigen Gentechnikpolitik. Wir haben diese zwölf Bauern in ihrer Unwissenheit einfach im Regen stehen gelassen. Der Genmais wurde ausgepflanzt. Er wurde nicht zurückgeholt. Dieser Genmais wächst in Kärnten, und das steht im Widerspruch zur bisherigen Politik, die auch Minister Molterer bisher so formuliert hat. Er hat gesagt: Bei in Österreich nicht zugelassenen Sorten gilt kein Schwellenwert!

Wie kommt das Ministerium Haupt dazu, Sorten nicht zurückzuholen, die ganz klar illegal in Kärnten freigesetzt wurden? Wie kommt das Haupt-Ministerium dazu, sich auf den Standpunkt zu stellen: Okay, nehmen wir halt einmal einen Schwellenwert!, wenn Minister Molterer sagt: Es gibt in Österreich bei verbotenen Sorten keinen Schwellenwert, null Toleranz!? – Auch diese Frage möchte ich aufgeklärt erhalten. Das ist auch eine sehr, sehr ernste Angelegenheit. Es ist in Kärnten nicht den Gesetzen entsprechend gehandelt worden.

Drittens: die Frage der Information. – Mittlerweile herrscht in der ganzen Gentechnikpolitik eine Tendenz zur absoluten Vertuschung und Geheimniskrämerei, die unter das Deckmäntelchen "Datenschutz" gestellt wird. Ich möchte Ihnen kurz berichten: Ich persönlich bin Beteiligte in einem beim Verwaltungsgerichtshof und auch beim UVS anhängigen Verfahren. Mittlerweile sind wir bei der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof angelangt. Es geht darum, festzustellen: Welches Recht haben KonsumentInnen, zu erfahren, dass in bestimmten Produkten und in bestimmten Lebensmitteln GVOs enthalten sind? Das wird auch Auswirkungen auf die Saatgut- und die Futtermittelfrage haben.

Ich finde es erschreckend, wenn in diesem Zusammenhang mit Datenschutz argumentiert wird. Welches Recht hat zum Beispiel eine Allergikerin, zu erfahren, ob in einem Lebensmittel – womöglich ungekennzeichnet – eine Substanz enthalten ist, die bei ihr gesundheitliche Probleme, allergische Reaktionen hervorruft? Ist das für Sie kein schützenswertes Interesse? Warum gibt es da keine Interessenabwägung? Warum schützt man automatisch immer die Firmen und die Unternehmen, die sich illegal verhalten haben, gegen die Rechtsverfahren abgeschlossen wurden, die bestraft worden sind? Warum schützt man diese Unternehmen gegen die KonsumentInnen, gegen AllergikerInnen? Das leuchtet mir nicht ein! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)


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Diese Intransparenz, dass man nicht erfährt, welche Produkte – weder bei Lebensmitteln noch beim Saatgut noch bei Futtermitteln – gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten, dass automatisch angenommen wird, dass ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse bestehe, das ist eine Politik, die in anderen Ländern, in anderen europäischen Staaten, auch in deutschen Ländern überhaupt nicht so gepflogen wird. Wissen ist Macht! Doch ohne Wissen sind KonsumentInnen machtlos, sind Landwirte machtlos und gibt es keine effiziente Kontrolle. Ich bitte Sie, diese Politik zu überdenken, bevor der Europäische Gerichtshof diese Rechtspraxis aufheben wird, was ich hoffe und wovon ich ausgehe.

Noch einmal: Ich finde es beschämend, dass Einzelpersonen, Abgeordnete bis zum Europäischen Gerichtshof gehen müssen, damit Landwirten und KonsumentInnen endlich ein Recht auf Information eingeräumt wird. Das ist einer liberalen Demokratie in keiner Weise würdig! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Noch einmal zu den Freisetzungen in Kärnten: Die Situation ist jetzt die, dass gentechnisch verunreinigtes Saatgut mit einer bestimmten Schwellenwertzulassung illegal in Kärnten ausgepflanzt wurde und dass das auch so bleibt. Das Haupt-Ministerium denkt nicht daran, diese Auspflanzung zurückzuholen. Was bedeutet das? Wir wissen nicht, um welches gentechnische Konstrukt es sich handelt. Wir wissen gar nichts über diese Sorte! Es gibt keine Untersuchungen, wie sie sich auswirkt, wie sie sich auskreuzt und welche Auswirkungen das auf die Ökosysteme hat. Das ist Ihnen allen offensichtlich wirklich egal, welche Auswirkungen das auf das Ökosystem hat, sonst würden Sie mit dieser Frage etwas sensibler umgehen.

Es ärgert mich zutiefst, wenn das so verharmlost wird. Die Gentechnologie ist eine Risikotechnologie, von der wir immer noch viel zu wenig wissen. Es gibt kaum Untersuchungen, wie sich das auf das Ökosystem auswirkt, wie sich das in der Nahrungsmittelkette zum Beispiel auf AllergikerInnen auswirkt. Das einfach so hinzunehmen und sogar neu einen Schwellenwert einzuführen, obwohl wir bis vor zwei Wochen eine Nulltoleranzpolitik, dokumentiert auch in der Anfragebeantwortung durch Minister Molterer, betrieben haben, das ist fahrlässig! (Abg. Dr. Khol: Redezeit!)

Herr Khol! Abschließend: Es tut mir wirklich Leid, dass die Dimension dieser Problematik so an Ihnen vorbeigeht. In Deutschland wird in allen wissenschaftlichen Bereichen über die Gentechnologie diskutiert.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, den Schlusssatz abschließen!

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (fortsetzend): Gerade Österreich hat eine besondere Verantwortung, die Frage der Gentechnik in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelproduktion ein bisschen seriöser zu diskutieren. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei der SPÖ.)

16.19

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Daher schließe ich diese Debatte.

Anträge wurden keine gestellt, daher gibt es auch keine Abstimmung.

Kurze Debatte über zwei Fristsetzungsanträge

Präsident Dr. Heinz Fischer: Als Nächstes kommen wir zur Behandlung von zwei Fristsetzungsanträgen, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird. Es handelt sich dabei um die Anträge der Abgeordneten Mag. Lunacek und Dr. Kostelka, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über die Anträge 10/A und 69/A betreffend Änderung des Strafgesetzbuches jeweils eine Frist bis zum 3. Juli 2001 zu setzen.

Nach Schluss dieser Debatte wird die Abstimmung über die beiden Fristsetzungsanträge stattfinden.

Ich gehe in die Debatte ein.


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Ich mache darauf aufmerksam, dass kein Redner länger als 5 Minuten sprechen darf, wobei aber zunächst Frau Abgeordnete Lunacek und dann Herr Abgeordneter Dr. Kostelka zur Begründung eine Redezeit von 10 Minuten erhalten.

Bitte, Frau Kollegin Lunacek, Sie haben das Wort.

Oder ich nehme doch Kollegen Dr. Kostelka zuerst dran. Der Antrag Kostelkas ist der der stimmenstärkeren Fraktion, und wir gehen nach dem Prinzip "age before beauty" vor. Daher: Kollege Kostelka hat das Wort. (Heiterkeit.)

16.20

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ): Sehr verehrter Herr Präsident! Danke für die freundliche Erwähnung meines Alters. (Heiterkeit.) Ich gehe aber trotzdem auf die Sache ein und möchte fürs Erste einmal feststellen, meine Damen und Herren, dass für mich Politik Gestalten heißt und nicht das Warten auf Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Das sage ich hier insbesondere im Zusammenhang mit dem in diesem Haus schon mehrmals diskutierten § 209 des Strafgesetzbuches und dem unterschiedlichen Schutzalter von Männern und Frauen hinsichtlich ihrer sexuellen Praktiken und deren Ausübung.

Meine Damen und Herren! Der § 209 ist Mitte der siebziger Jahre geschaffen worden, in der Überzeugung, dass die so genannte Prägungstheorie Realität ist, dass man zur Homosexualität verführt werden kann und dass es daher notwendig ist, einen entsprechenden Schutz für Jugendliche männlichen Geschlechts vorzusehen.

Die Zweifel, die es schon bei der Beschlussfassung dieses Gesetzes gegeben hat, haben sich aber in der Zwischenzeit in vollem Umfang bewahrheitet. Wissenschaftliche Erkenntnisse machen klar, dass eine Prägung viel früher stattfindet und dass die ehemalige Theorie, die Prägungstheorie, die Theorie der Verführung, nicht berechtigt ist.

Diese Realität hat sich in den Erkenntnissen und in den Diskussionen des Justizausschusses und in einer Enquete des Nationalrates niedergeschlagen, und es liegt nunmehr ein Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Aufhebung des § 209 vor. Diesen Satz, mit dem das Oberlandesgericht begründet, warum der Verfassungsgerichtshof den § 209 aufheben soll, muss man sich anhören: Das antragstellende Gericht, so sagt das Oberlandesgericht Innsbruck, hätte sohin den § 209 in der gültigen Fassung anzuwenden, hat aber Bedenken, dass die unterschiedliche Regelung des Schutzalters im Strafrecht zur Ungleichbehandlung führt und dass im Hinblick auf die zwischenzeitliche Verwerfung der Prägungstheorie durch die Wissenschaft im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch zulässig ist, hier durch strafgesetzliche Normen regelnd einzugreifen.

Meine Damen und Herren! Das Gericht sagt deutlich: Wir können diese strafrechtliche Bestimmung nicht anwenden, weil sie menschenrechtswidrig ist. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Was zu einem Umdenken von Oberlandesgerichten geführt hat, wird hoffentlich auch zu einem Umdenken der Fraktionen von ÖVP und FPÖ führen. Denn, meine Damen und Herren: Es ist kein totes Recht, das hier aufgehoben werden soll. Jährlich sitzen rund 10 bis 20 Personen eben wegen dieser Bestimmung in österreichischen Gefängnissen ein. Es ist eine Bestimmung mit einer rigorosen Strafdrohung von sechs Monaten bis fünf Jahren. Allein um die Äquivalenz herzustellen, meine Damen und Herren: Das ist genau jene Strafrahmenbestimmung, die auch für das Töten auf Verlangen gilt, und das Quälen von Minderjährigen ist im Vergleich dazu sogar privilegiert, weil der diesbezügliche Strafrahmen null bis drei Jahre beträgt. Es ist daher in höchstem Maße notwendig, umzudenken.

Ich muss Ihnen, meine Damen und Herren von der ÖVP und von der FPÖ, auch ein gewisses Maß an Inkonsequenz vorwerfen. Sie haben es vor wenigen Monaten durchgesetzt, dass die Großjährigkeit, aber auch die volle Handlungsfähigkeit im Bereiche des Zivilrechtes auf 18 Jahre gesenkt wird. Aber entgegen der Realität anerkennen Sie nicht, dass die Sexualität in jungen Menschen vor dem 18. Geburtstag erwacht.


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Alle Alternativen, die in der Zwischenzeit diskutiert wurden, gehen im Grunde genommen von falschen Überlegungen aus – Alternativen, die darauf hinauslaufen, die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen zu minimieren, indem man auf ein Schutzalter von 16 Jahren abstellt oder indem man unter Umständen für Männer und Frauen gleichermaßen ein Schutzalter von 16 Jahren einführt.

Meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis: Homosexualität ist keine Krankheit, sondern eine Entscheidung für eine sexuelle Ausübung, und sie ist darüber hinaus auch sicherlich nicht durch das Gesetz regelbar. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Meine Damen und Herren von ÖVP und FPÖ, vor allem aber von der Volkspartei! Sie haben jetzt einen Sommer lang Zeit, zu überlegen. Respektieren Sie, bitte, bei diesen Überlegungen, dass es uns nicht darum geht, den Personenkreis der Jugendlichen in sexueller Hinsicht strafrechtlich ohne Schutz zu lassen. Ganz im Gegenteil: Es gibt den § 201, Vergewaltigung, den § 202, Nötigung, den § 205 StGB, Schändung, den § 208, sittliche Gefährdung von Jugendlichen, und den § 212, Missbrauch von Autoritätsverhältnissen. Das ist Schutz genug, wir brauchen den antiquierten § 209 StGB nicht mehr! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Für meine Fraktion ist diese Regelung der erste Schritt für eine Gleichbehandlung von nicht heterosexuell orientierten Personen. Und das kann nicht Halt machen bei der Aufhebung des § 209, sondern es muss weiter gehen, hin zur Anerkennung von Menschen mit gleichen Rechten. Das wird Konsequenzen nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Zivilrecht, im Mietrecht, im Familienrecht, im Erbrecht und bei der Diskriminierung am Arbeitsplatz nach sich ziehen müssen.

Meine Damen und Herren von der ÖVP, aber auch jene von der FPÖ! Nehmen Sie die Entwicklung in Europa zur Kenntnis! Handeln Sie, bevor der Verfassungsgerichtshof Sie dazu zwingt! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Aufgrund der Entscheidung dieses Hauses, meine Damen und Herren, ist dies meine letzte Rede. Ich werde mit 1. Juli meine Funktion als Volksanwalt antreten, und ich habe, weil es mir ein Anliegen ist, meine letzte Rede bewusst zu einem Thema der Grundrechte gewählt. Für mich ist es nicht ein Beenden der politischen Tätigkeit, sondern, wenn Sie so wollen, eine Fortsetzung, aber auch ein Wechsel im Platz, von dem aus ich das tue.

Ich habe vor 28 Jahren auf einer der Bänke da hinten als Klubsekretär begonnen, und in den letzten 28 Jahren waren lediglich sechs Monate meiner politischen, meiner beruflichen Tätigkeit nicht unmittelbar mit diesem Hause verbunden. Ich habe viele Abschiedsreden gehört, und ich bin davon überzeugt, dass solche Reden nicht dazu missbraucht werden sollten, die Nachfolger mit Ratschlägen zu überhäufen. Aber lassen Sie mich zwei Bemerkungen machen, meine Damen und Herren:

Die erste Bemerkung ist, dass harte politische Auseinandersetzungen auch möglich sind, ohne einen Ordnungsruf zu erhalten. Die Herren Präsidenten haben elf Jahre dazu Gelegenheit gehabt, sie haben mir gegenüber kein einziges Mal zu diesem Mittel gegriffen.

Zweitens: Ich habe Politik immer als ein Ringen um einen Kompromiss verstanden. Dazu gehören seitens der Regierungsparteien Engagement, Flexibilität, aber auch Geduld, und es gehören seitens der Opposition Verantwortung, Kompromiss- und Einlassungsbereitschaft dazu.

Meine Damen und Herren! Ich konstatiere, dass wir eine neue Streitkultur, eine Kultur der politischen Auseinandersetzung in Österreich und auch in diesem Hohen Hause brauchen. Wir sollten öfter und wir sollten unmittelbar Argumente austauschen. Aber lassen Sie uns in diesem Zusammenhang die alten Tugenden der Zusammenarbeit und des Kompromisses nicht übersehen. Ein Kompromiss ist für sich nichts Gutes, aber Politik ist ohne ihn nicht möglich. (Lang anhaltender allgemeiner Beifall. – Die Abgeordneten der SPÖ und der Grünen haben sich von ihren Plätzen erhoben und applaudieren stehend weiter.)

16.31


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Alles Gute, Peter Kostelka!

Ich gehe in der Rednerliste weiter: Frau Kollegin Lunacek begründet ihren Antrag. – Bitte, Frau Abgeordnete.

16.32

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich Herrn Dr. Kostelka, dem ich vorhin hier gerne den Vortritt gelassen habe – wie immer das geschäftsordnungsmäßig auch gewesen wäre –, auch in meinem Namen und im Namen der Grünen für seine Tätigkeit sehr herzlich danken. Ich habe in der kurzen Zeit, in der ich in diesem Hohen Haus bin, Ihre sehr sachliche und korrekte Art, die, wie ich denke, diesem Haus auch angemessen ist, wirklich schätzen gelernt und bin überzeugt davon, dass Sie auch als Volksanwalt sehr gute Arbeit leisten werden – auch für die Grundrechte, die Ihnen und uns ein Anliegen sind. – Danke! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Nun aber zum jetzigen Thema: Schon vor zwei Monaten hatten wir einen Fristsetzungsantrag zum § 209 auf der Tagesordnung. Auch damals waren die Regierungsfraktionen nicht dafür, und ich befürchte, es wird wohl auch heute so sein, aber wir versuchen es noch einmal. Ich frage mich manchmal, ob ich mich jetzt darüber freuen soll, dass es in der ÖVP noch einen Diskussionsprozess gibt und es eines Diskussionsprozesses bedarf, oder ob ich mich darüber ärgern soll. Ein bisschen freue ich mich in dem Bereich, wo ich weiß, dass es innerhalb der ÖVP sowohl in diesem Haus als auch zum Beispiel in der ÖVP in der Steiermark Leute gibt, die sagen: Dieser Paragraph gehört weg, ersatzlos gestrichen! – Darüber freue ich mich, und ich hoffe, dass diese Leute in der ÖVP noch stärker werden.

Ich ärgere mich aber auch, weil ich mich frage: Wo waren die sehr verehrten Abgeordneten der Österreichischen Volkspartei in den letzten zehn Jahren, in denen sie auch schon in diesem Hohen Hause gewesen sind? Wo waren sie bei all den Diskussionen, als es um diesen § 209 ging? – Gut, da können sie sagen: 1989 hat der Verfassungsgerichtshof noch von der Prägung und von der Prägungstheorie gesprochen, und deshalb konnte man damals nichts ändern! – Na gut, aber das ist mittlerweile zwölf Jahre her.

Wo waren Sie 1995 bei der Enquete im Parlament, als von den geladenen Experten und Expertinnen – zwölf waren es, glaube ich – sage und schreibe eine der Meinung war, dieser Paragraph gehöre nicht gestrichen? Alle anderen waren einhellig der Meinung: Weg damit! Dieser Paragraph kriminalisiert! Dieser Paragraph kriminalisiert junge Menschen für freiwillige Sexualbeziehungen und stellt noch dazu ein Strafausmaß von bis zu fünf Jahren für das Verbrechen von freiwilligen Sexualbeziehungen fest.

Das war 1995 in diesem Hohen Haus. Das haben Sie damals schon gehört. Wo waren Sie damals, Frau Dr. Fekter? Sie waren doch auch dabei! Haben Sie daraus nichts gelernt?

Das sind die Punkte, über die ich mich dann ärgere, wenn ich höre, dass es in der ÖVP diesbezüglich noch einen Diskussionsbedarf gibt, denn ich frage mich: Ja worüber denn? Ersatzlos streichen ist der Punkt!

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass der Unterausschuss in diesem Hohen Haus einberufen wurde, konstituiert dann im September letzten Jahres. Bis heute wurde er nicht einberufen! Ich habe von einem bekannten Schwulen ein Schreiben bekommen, in dem er von seinem Briefwechsel mit der ÖVP-Zentrale berichtet. Da wurde ihm geschrieben, dass das im Unterausschuss fleißig diskutiert werde. Ich frage mich schon, wie die ÖVP-Zentrale darauf kommt, diese Antwort zu schreiben. – Ich kann Ihnen den Brief zeigen, wenn Sie es nicht glauben.

Wenn überhaupt irgendwo diskutiert wird, dann vielleicht in der ÖVP, aber auch das dauert mir schon zu lange. Sie wollen nämlich davon ausgehen, dass es immer noch so etwas wie ein Prägungstheorie gibt, die besagt, im Alter von 14 bis 18 Jahren würden die jungen Leute noch nicht wissen, wie sie orientiert sind, was sie wollen. Daher frage ich Sie noch einmal: Wo waren


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Sie 1995? Denn: Es ist ganz klar, dass diese Prägungstheorie nicht mehr gilt, und schon gar nicht für das Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Aber es geht da gar nicht vorrangig um die Wissenschaft, sondern um Menschenrechte, um das Recht junger Menschen, in diesem Fall von Burschen zwischen 14 und 18 Jahren, sich ihre Sexualpartner selbst auszusuchen und nicht riskieren zu müssen, dass dieser Sexualpartner dafür ins Gefängnis muss. Wenn das Ihre Vorstellung von Jugendlichen ist, von Aufklärungsarbeit und Ähnlichem, dann sitzen Sie sicher auf dem falschen Zweig.

Die Absurditäten, die dieses Gesetz und die Anwendung dieses Gesetzes – und die Richter müssen es anwenden; sie versuchen dann in irgendeiner Form, es nicht anwenden zu müssen, oder rufen glücklicherweise auch den Verfassungsgerichtshof an, wie vor kurzem das OLG Innsbruck – mit sich bringen, wie etwa den Entzug eines Führerscheins, weil das Wohnmobil für den Sexualakt gedient hat und eventuell dieses Wohnmobil oder ein anderes Auto wieder als Tatwerkzeug verwendet werden kann, sprechen für sich. Das ist aber nicht nur absurd, sondern es werden auch Existenzen dabei zerstört, wie zum Beispiel dadurch, dass der Führerschein entzogen wird.

Wenn dann Landeshauptmann Pröll sagt: Das ist alles rechtlich in Ordnung!, dann muss ich sagen: Rechtlich mag es schon in Ordnung sein, aber menschen rechtlich ist es nicht in Ordnung, menschen rechtlich ist das eine Schande für unser Land! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Wie erklären Sie diese Absurdität den jungen Menschen? – Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben eine Tochter, die 15 Jahre alt ist, und diese hat einen 17-jährigen Freund. Stellen Sie sich vor, die beiden haben dann zwei Jahre eine Beziehung. Dann ist die Tochter 17, und der Freund ist 19. Auf einmal könnten Sie oder könnte irgendjemand auf der Straße, der die beiden sieht, den 19-Jährigen anzeigen. Die Staatsanwaltschaft müsste verfolgen, und der könnte dafür bis zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen. Was würden Sie dann Ihrer Tochter sagen? Würden Sie dann sagen: Ja, das ist das Gesetz!? – So wie Dr. Khol einmal gemeint hat: Das ist das Gesetz, daran müssen sich alle halten! – Für heterosexuelle Jugendliche gilt das nicht, auch nicht für lesbische, aber für Schwule oder für junge Männer, die ausprobieren wollen, was sie im Leben wollen. – Ja, auch ausprobieren! Wer von Ihnen hat das in diesem Alter nicht getan?

Der Herr Bundeskanzler hat heute früh gesagt, er wolle den Menschen ins Zentrum stellen. – Ich sage: Ja, tun Sie es! Tun Sie es von der ÖVP! Machen Sie das! Schaffen Sie endlich dieses für Österreich schändliche Gesetz ab!

Ich finde es schon interessant, dass der Bundeskanzler heute in der "Presse" zitiert wird mit der Aussage, das sei derzeit überhaupt keine Diskussion in der ÖVP. Frau Justizsprecherin Fekter hingegen will anscheinend eine parteiinterne Arbeitsgruppe tagen lassen.

Frau Dr. Fekter, wo waren Sie in den letzten zehn Jahren? Wo haben Sie die Diskussionen mitverfolgt oder eben nicht mitverfolgt, dass Sie jetzt noch lange Diskussionen führen müssen, bei welchen vielleicht irgendeine "hatscherte" Lösung von eventuell 16 Jahren für alle herauskommt? So etwas zu Beginn des 21. Jahrhunderts: das Strafrecht für freiwillige Sexualbeziehungen?! – Das ist der falsche Weg! Sie wissen es ganz genau. Die Faktenlage ist klar.

Ich finde es außerdem interessant, dass da anscheinend der Koalitionssegen etwas schief hängt, auch wenn ich sehr erfreut bin, dass die Vizekanzlerin und auch der Herr Klubchef Westenthaler meinen, wir müssen uns sehr wohl eine Änderung überlegen. Der frühere Justizminister Ofner hat noch viel klarer und auch früher schon gesagt: Ersatzlos streichen ist die einzige Alternative! – Jetzt bin ich sehr neugierig, wer sich in der Koalition durchsetzen wird. In diesem Fall – und das ist wahrscheinlich ein sehr seltener Fall – hoffe ich, dass sich der frühere Justizminister Ofner mit seiner Meinung durchsetzt und die ÖVP dazu bewegt, hier auch endlich Flagge zu zeigen, und sei es die Regenbogenfahne, und zu sagen: Dieser Paragraph gehört ersatzlos gestrichen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)


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Wie schon Dr. Kostelka gesagt hat: Wenn Sie nicht wollen, dass der Verfassungsgerichtshof Sie, dieses Hohe Haus auffordern wird, dieses Gesetz endlich zu ändern beziehungsweise diesen Paragraphen ersatzlos zu streichen, wenn Sie nicht wollen, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in ein paar Jahren entscheiden wird, dass hier eine Änderung notwendig ist, wenn Sie nicht wollen, dass das Europaparlament – wie es das jetzt schon fünfmal gemacht hat – noch einmal fünfmal sagen muss: Österreich, dieser Paragraph gehört weg!, dann handeln Sie jetzt! (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Ich bin ja mit der Parole "speed kills" nicht wirklich einverstanden, denn die mörderische Geschwindigkeit hat weder im Straßenverkehr noch in der Gesetzgebung etwas verloren, aber in diesem Fall wäre Geschwindigkeit angesagt, bevor noch weitere junge Männer deshalb ins Gefängnis müssen.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die Redezeit ist abgelaufen!

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (fortsetzend): Deshalb noch einmal der Appell: Stimmen Sie dieser Fristsetzung zu! Legen Sie diesem Parlament bis Juli einen Bericht vor, der die ersatzlose Streichung des § 209 StGB enthält! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

16.42

Präsident Dr. Heinz Fischer: Für die weiteren Diskussionsbeiträge stehen jeweils 5 Minuten zur Verfügung.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Jarolim. – Bitte.

16.42

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Thema, das sicherlich nicht dazu geeignet ist, damit in der Tagespolitik zu punkten zu versuchen, und insofern verstehe ich die ÖVP auch nicht ganz. Ich stehe auch nicht an, zu sagen, dass von Seiten der FPÖ in einer Art und Weise mit diesem Thema umgegangen wird – und das ist ein brisantes Thema, und zwar nicht erst seit jüngster Zeit, sondern bereits seit vielen Jahren, seit 1995 im Besonderen, weil damals diese Frage auch im Rahmen einer wissenschaftlichen Betrachtung innerhalb Österreichs geklärt werden konnte –, wo ich sagen muss: Das ist eigentlich die Art und Weise, wie man Diskussionen führen sollte, und ich bin dankbar dafür. Ich glaube, es ist gut für das Klima dieses Landes, dass man sich von Seiten der FPÖ diesem Thema mit der entsprechenden Verantwortung nähert.

Was mir irgendwo Befremden bereitet und was wirklich bedrückend ist, ist, dass sich die ÖVP oder Teile davon – ich glaube, es dürfte sich doch um die gesamte Gruppe handeln, weil der Bundeskanzler ja gesagt hat, es gebe keine Diskussion – so wahnsinnig schwer tun und ein derartiges Unvermögen zeigen, mit diesem Thema wirklich sachlich umzugehen. Das ist jetzt kein Vorwurf, sondern es ist eigentlich eher Ausdruck einer Betroffenheit, weil ich die Art und Weise, wie Sie hier auf Debattenbeiträge reagieren, nicht verstehen kann; sie erscheint mir völlig unangemessen. Sie wollen sich offensichtlich nicht damit auseinander setzen, dass es Wissenschafter gibt, die außerhalb jedes Verdachtes stehen – sofern es das hier überhaupt geben kann –, für die eine oder andere Seite parteipolitisch Stellung zu nehmen, und die dargelegt haben, dass es eine wirklich völlig unnachvollziehbare Haltung ist, die in keiner Weise mit dem gerechtfertigt werden kann, was Kollegin Fekter vermutlich im nächsten Debattenbeitrag hier wieder erklären wird.

Es ist Herr Professor Max Friedrich, der sagt – unter Bezug auf Michalek; das war im Jahr 1995; Kollegin Lunacek hat diese Enquete ohnedies erwähnt –, dass es Schutzparagraphen gibt, die das, was er als schützenswert erachtet, auch schützen, dass die Ausnützung einer Zwangslage, eines Autoritätsverhältnisses, dass Gewalt gegen Unreife und dass Ausnützung ausdrücklich gesetzlich geregelt sind und dass es hier um nichts anderes geht als um den Versuch, mit einem Gesetz eine Zuneigung von Personen untereinander zu regeln. Das ist etwas, was eigentlich völlig unerträglich ist, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Mag. Lunacek. )


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Es ist für mich unbegreiflich, dass man einfach nicht das Vermögen und die Größe hat, sich diesem Thema wirklich ohne diese Verklemmtheit, ohne diese erschaudernde Borniertheit und ohne dieses Unverständnis zu nähern. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Mag. Lunacek. )

Es ist schauerlich, und ich verstehe hier eigentlich den Unterschied nicht, und ich muss sagen: Wenn Sie wenigstens in eine interne Klausur gingen und das regeln würden und sich wenigstens diese Einwürfe und diese unerträglichen Erklärungen sparen würden, die jegliches Menschenrecht verhöhnen! Wir reden hier von Menschenrechten, meine Damen und Herren! Nicht umsonst hat der UNO-Ausschuss für Menschenrechte schon 1998 die Aufforderung normiert, den § 209 StGB aufzuheben. Im Vertrag von Amsterdam, Artikel 13, ist es ausdrücklich normiert, dass es als bekämpfenswert erachtet wird, sexuelle Orientierungen zu diskriminieren, und dass das daher hintanzuhalten und zu verbieten ist.

Wir haben eine Reihe von Entschließungen des Europäischen Parlaments vorliegen, mit denen Sie aufgefordert werden, den § 209 StGB ersatzlos zu streichen. Es geht um die ersatzlose Streichung des § 209 StGB und nicht um eine Änderung wegen vorgeschobener Schutzbedürfnisse, die nicht vorhanden sind. Bitte, lösen Sie sich von der Idee, dass es hier darum geht, auf Jugendliche, auf Kinder in irgendeiner Weise Autorität auszuüben, dass es darum geht, Autorität zu missbrauchen oder Gewalt anzuwenden! Das ist nicht der Fall! Hier geht es um reine Zuneigungen – ohne irgendeinen strafrechtlichen Hintergrund. Letzteres ist geregelt! Ich appelliere an Sie: Erklären Sie doch nicht der Öffentlichkeit, dass es hier um etwas geht, was nicht der Fall ist!

Es gibt sechs Entschließungen des Europäischen Parlaments, die fordern, diese Bestimmung aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof befasst sich deshalb damit, weil das Oberlandesgericht Innsbruck sagt: Diese Regelung ist nicht menschenrechtskonform, diese Regelung muss fallen!

Haben Sie doch die Größe, das anzuerkennen, und nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, die in Sachen Menschenrechte auf Ihnen lastet! Bekennen Sie, dass es sich hier um ein Menschenrecht handelt, und entscheiden Sie, noch bevor der Verfassungsgerichtshof diesbezüglich seine Entscheidung trifft! Ich habe keine Zweifel hinsichtlich der Art und Weise, wie diese Entscheidung ausschauen wird, aber ich glaube, dass Sie ein Mindestmaß an Würde beweisen könnten, wenn Sie von sich aus diese Entscheidung träfen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Mag. Lunacek. )

16.48

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Fekter. – Bitte.

16.48

Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter (ÖVP): Sehr geehrter Herr Kollege Kostelka! Herr Präsident, Sie verzeihen mir, dass ich zuerst Herrn Kostelka auch namens meiner Fraktion hier verabschieden und ihm alles Gute für seine neue Arbeit wünschen möchte. Ich bin überzeugt, dass es eine gute Zusammenarbeit mit dem Parlament geben wird. Wir werden Sie ja dann hier wieder sehen, aber halt nur auf der anderen Seite dieser Bänke. Also ich wünsche Ihnen in meinem und im Namen der ÖVP alles Gute. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ und der Grünen.)

Nun zu einem Thema, bei dem ich schon mehrmals hier heraußen gestanden bin. Neu ist dabei, dass wir derzeit einen Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck vorliegen haben, die Verfassungsmäßigkeit von § 209 StGB zu prüfen, und zwar bezieht sich dieser Antrag auf das unterschiedliche Schutzalter zwischen Mädchen und Burschen. Das Argument ist ja nicht neu, es ist immer wieder gebracht worden, dass das angeblich nicht verfassungskonform wäre. Es hat im Jahr 1989 ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes gegeben, das aber damals noch von der "Prägetheorie" ausging, die heute von Wissenschaft und Lehre eigentlich verworfen worden ist.

Der zweite Punkt, der im § 209 StGB zu einer eher unbefriedigenden Situation führt, ist jener, dass dort das 19. Lebensjahr erwähnt wird, obwohl wir eigentlich die Großjährigkeit insgesamt


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auf 18 Jahre gesenkt haben. (Abg. Mag. Prammer: Was? Das sind Ihre Sorgen?! Na super!) Weiters ist es so, dass durch den § 209 der Effekt entsteht, dass eine Beziehung, solange beide nicht großjährig sind, straffrei ist, dieselbe Beziehung aber nach einiger Zeit, wenn einer davon großjährig wird, plötzlich strafbar ist. Wenn dieselbe Beziehung immer noch andauert und beide erwachsen sind, dann ist diese Beziehung wieder straffrei. Dieser Unrechtsgehalt einer solchen Beziehung ist schwer argumentierbar, denn wenn wir ihn vorher und nachher nicht erkennen, dann ist dieser zwischenzeitliche Effekt eigentlich auch unbefriedigend.

Das heißt, es gibt mehrere Elemente in diesem Paragraphen, die sehr wohl diskussionswürdig sind. Im Gegensatz zu meinen Vorrednern sind wir aber nicht der Auffassung, dass eine ersatzlose Streichung des § 209 StGB ausreichend Schutz im Sexualstrafrecht bietet. Wir haben ausreichend Schutz für Unmündige. Das heißt, alle Paragraphen, die sich damit befassen, die bis 14-Jährigen zu schützen, halte ich für ausreichend, aber ich glaube, dass der Schutz von Jugendlichen bei sexuellen Übergriffen in unserem Gesetz nicht ausreichend geregelt ist. Es sind hier speziell die §§ 208 und 212 zu erwähnen.

Ich stehe auf dem Standpunkt, wir lassen derzeit 14-jährige Mädchen bei nicht gewollten Übergriffen im Regen stehen, denn nicht jede Zwangslage ist gleich eine Nötigung, die eine Voraussetzung für die Strafbarkeit ist, und auch nicht jeder sexuelle Übergriff beispielsweise durch den Freund der Mutter, den "lieben" Nachbarn oder den Onkel ist gleich ein Ausnützen des Autoritätsverhältnisses.

Wir werden uns also anschauen, ob sich im Sexualstrafrecht Lücken befinden, insbesondere im Hinblick auf Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr, und wenn wir dann zur Erkenntnis gelangen, wir brauchen einen derartigen Lückenschluss, dann werden wir ihn machen müssen. Wenn dieser Lückenschluss wirklich notwendig sein sollte, dann kann man darüber nachdenken, ob wir den § 209 StGB in der Form noch brauchen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

16.53

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Krüger. – Bitte.

16.53

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (Freiheitliche): Herr Präsident! Hohes Haus! Die Arbeit des Klubobmannes Kostelka habe ich bereits gewürdigt. Ich darf daher gleich ins Thema einsteigen, aber doch an die Spitze meiner Ausführungen ein Zitat des Kollegen Kostelka stellen, dem ich nämlich beipflichten kann: Die Politik, sagte Kollege Kostelka, bedeutet – im positiven Sinn haben Sie das, glaube ich, verstanden – ein Ringen um einen Kompromiss. Ich glaube, um einen Kompromiss sollte es auch in dieser Sache gehen.

Wenn wir aber von einem Kompromiss sprechen und gerade dieses Diktum mit der Diskussion Aufhebung oder Nicht-Aufhebung des § 209 StGB in Verbindung bringen, dann liegt es sehr nahe, Revue passieren zu lassen, was sich im Jahr 1996 aus Anlass der damaligen Abstimmung über den § 209 StGB abgespielt hat.

Damals war die Ausgangssituation vor der Abstimmung, auch angereichert durch eine sehr emotionelle Diskussion, folgende: Es lagen drei Anträge auf Aufhebung des § 209 StGB vor – einer von der sozialdemokratischen Fraktion, einer von der grünen Fraktion und einer von der damals dem Parlament angehörenden liberalen Fraktion. Man hat, da diese Frage damals im koalitionsfreien Raum zwischen Rot und Schwarz angesiedelt war, genau gesehen, dass es hier keine Mehrheit dafür gibt, und die Freiheitliche Partei hat eben dieses Diktum des Kollegen Kostelka, Ringen um einen Kompromiss, umgesetzt, und zwar insofern umgesetzt, als wir einen Abänderungsantrag zu Ihren Anträgen eingebracht haben, nämlich einen Antrag auf Herabsetzung des Schutzalters von 18 Jahren auf 16 Jahre.

Meine damalige Argumentation in der Debatte war die: Wer eine Streichung des § 209 StGB, also eine Herabsetzung des Schutzalters von 18 Jahren auf 14 Jahre, will, aber konstatieren muss, dass er mit seinem Verlangen nicht durchdringt, der muss, um eine Erleichterung für die Betroffenen zu schaffen, zumindest der Herabsetzung auf 16 Jahre, auch wenn er damit noch


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nicht sein Endziel erreicht hat, zustimmen, weil das ja eher seinen Intentionen entspricht, als das Schutzalter von 18 Jahren aufrechtzuerhalten.

Ich muss schon sagen, dass das eine Legitimationskrise der erwähnten Parteien gegenüber den Proponenten auch von den Homosexuellen-Initiativen ausgelöst hat, weil die natürlich gesagt haben: Uns wäre natürlich die ersatzlose Streichung des § 209 StGB am liebsten gewesen, aber das Zweitliebste sozusagen ist uns immer noch eine Besserstellung, nämlich eine Herabsetzung des Schutzalters von 18 Jahren auf 16 Jahre.

Das haben Sie, sehr geehrter Herr Kollege Kostelka – und ich kann mich noch gut daran erinnern, da ich unmittelbar vor der Abstimmung einen direkten Kontakt mit Ihnen gesucht habe –, verhindert. Damals habe ich – bei aller Wertschätzung heute für Ihr Wirken insgesamt – das von Ihnen sprichwörtliche Ringen um einen Kompromiss vermisst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde vom Aufhebungsantrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck gesprochen und dieser auch vorgelesen. Es ist das gute Recht des Oberlandesgerichtes Innsbruck, das so zu begründen, wie ich überhaupt der Ansicht bin, dass die österreichischen Gerichte zweiter Instanz viel zu zurückhaltend betreffend Aufhebungsanträge an den Verfassungsgerichtshof sind, aber ich gebe doch zu bedenken, dass man das natürlich nicht als allgemein gültiges Diktum ansehen kann, weil eben das Oberlandesgericht Innsbruck eines von vier Oberlandesgerichten ist und der § 209 StGB natürlich überall in Österreich judiziert wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da bin ich jetzt wieder bei den Aussagen des Kollegen Kostelka, und ich muss sagen: Ich bin völlig Ihrer Meinung, der Verfassungsgerichtshof solle kein Ersatzgesetzgeber werden. Um die Frau Kollegin Lunacek zu berichtigen: Der Verfassungsgerichtshof wird nicht den Antrag auf Aufhebung oder was auch immer stellen, er wird den Antrag auf Aufhebung entweder verwerfen oder den § 209 StGB in der Sitzung aufheben, und dann ist er weg.

Also ich bin Ihrer Meinung, es sollte der Gesetzgeber diese Entscheidung treffen und sich diese Entscheidung nicht vom Verfassungsgerichtshof abnehmen lassen.

Wir innerhalb der FPÖ – das sage ich ganz offen – vertreten unterschiedliche Standpunkte und sind um ein Einvernehmen bemüht. Ich darf das auch deshalb sagen, weil die Entscheidung über den § 209 StGB natürlich eine Gewissensentscheidung ist, und ich bin mir ganz sicher – auch wenn das aus sozialdemokratischer Seite nicht bestätigt werden sollte –, dass letztlich auch bei Ihnen zwar die Mehrheit für die Aufhebung ist, aber sicher der eine oder andere für die 

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um den Schlusssatz, Herr Abgeordneter!

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (fortsetzend): Herr Präsident! Ich komme zum Schlusssatz: Wir sind um einen Kompromiss innerhalb unserer Fraktion bemüht. Wir brauchen eine interne Diskussion. Wir haben auch bereits Experten zu uns in den Klub eingeladen. Die ÖVP ringt auch um einen Kompromiss. Ich hoffe, dass es dann im Herbst in der Sache zu einer Entscheidung kommt. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

16.59

Präsident Dr. Heinz Fischer: Die letzte Rednerin vor der Abstimmung ist Frau Abgeordnete Dr. Petrovic. Gleiche Redezeit. – Bitte.

16.59

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Hohes Haus! Es wäre jetzt bei all den Glückwünschen an den Herrn Kollegen Kostelka, bei den Worten über die Notwendigkeit des politischen Kompromisses natürlich verlockend, hier auch in diese Thematik einzustimmen, aber ich möchte das nicht tun, denn wenn ich da heraushöre, es geht in die Richtung eines allgemeinen – ich sage das jetzt unter Anführungszeichen – "Schutzalters" von 16 Jahren, dann stelle ich mir schon die Frage: Wen wollen wir wovor schützen? beziehungs


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weise die Frage: Ist das Strafrecht heute, im 3. Jahrtausend, überhaupt irgendwie denkmöglich die geeignete Materie, um Menschen vor einer Wesenseigenschaft, die sie selber haben, die ihr So-Sein bestimmt, zu schützen?

Mit Verlaub, ich kann dem nicht folgen. Es scheint mir ein Kompromiss zu sein, ein Mindestalter festzulegen, obwohl ich junge Menschen kenne, die sogar unter 14 sind und denen ich eine erheblich höhere Reife nicht nur zutraue, sondern bei denen ich um diese Reife auch weiß als so manchem lange schon Erwachsenen. Aber in irgendeiner Form – und diese Debatte haben wir seit den Zeiten des Römischen Rechts – bedarf es im Sinne der Rechtsklarheit irgendeiner Richtschnur. Da scheint mir kein anderes Alter als jenes, das die Grenze für die Geschäftsfähigkeit und auch für eine gewisse Deliktsfähigkeit bildet – und das ist das 14. Lebensjahr –, angesagt. (Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt den Vorsitz.)

Da wir diese Grenze auch im Bereich der weiblichen Jugendlichen haben, sehe ich keinen Grund, der dagegen sprechen würde, zumal wir heute doch alle wissen, dass die Kinder, dass die jungen Leute – auch deshalb, weil wir von ihnen viel verlangen – eher früher reif werden. Da wollen wir sie mit einem abstrusen Alter vor sich selbst schützen und sie oder ihre Partner bestrafen, wenn sie freiwillig anders handeln?! – Mit Verlaub, ich halte das für einen Anachronismus, ja einen grausamen Anachronismus der Extraklasse! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Dr. Jarolim. )

Ich kann auch aus einem zweiten Grund dieser Debatte nicht wirklich folgen, denn für mich ist es eigentlich egal – und ich weiß, dass die Kollegen, die im Ausschuss waren, Wissenschafterinnen und Wissenschafter angehört haben –, wie ein Mensch zu dem Bündel an Eigenschaften kommt. Ich sage: Gott sei Dank sind Eigenschaften auch veränderlich. Ob es jetzt so ist, dass ein Mensch mit einer bestimmten sexuellen Orientierung geboren wird, oder ob diese in der frühkindlichen Entwicklung festgelegt wird oder sogar – was die Wissenschaft nicht sagt – später erworben würde: Welche Werthaltung wird denn hier unterstellt, wenn Sie strafrechtlich agieren und reagieren? Es wird unterstellt, dass es schlechter ist, wenn eine Mensch eine freiwillige sexuelle Beziehung zu einem gleichgeschlechtlichen Partner oder einer gleichgeschlechtlichen Partnerin unterhält.

Mit Verlaub, woher nehmen Sie dieses Werturteil, dass die Liebe eines Mannes zu einem Mann oder die Liebe einer Frau zu einer Frau etwas Schlechteres ist, selbst wenn sie erworben sein sollte? Ich kann diesem Werturteil nicht folgen. Ich denke, alles, was frei bestimmt, gewollt ist, nicht unter irgendeinem Zwang, einem Druck oder einer eingeschränkten Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen – das halte ich für etwas sehr Schwerwiegendes –, zustande gekommen ist, das müssen wir als die Entscheidung eines Menschen akzeptieren. Damit basta! Das hat im Strafrecht kategorisch nichts verloren. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Dr. Jarolim und Dr. Fischer. )

Meine Damen und Herren! Mir kommt dieser ganze Paragraph und die Diskussion, die wir darüber führen, wirklich mittelalterlich vor. Das hat ungefähr dasselbe Niveau wie Strafen – vielleicht haben Sie davon gehört, dass es Tierprozesse gab –, bei welchen schwarze Katzen gerädert oder angezündet worden sind. Ich flehe Sie an: Es ist wirklich eine Schande für das ganze Land, dass es solche Bestimmungen noch gibt! Hören wir auf, da irgendwelche sehr umständlichen wissenschaftlichen Begründungen herzuholen, sondern machen wir eine moderne europäische Regelung! Diskutieren wir es im Ausschuss, aber stimmen Sie heute dieser Fristsetzung endlich zu! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.04

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Mag. Lunacek, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 10/A betreffend Änderung des Strafgesetzbuches eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Fristsetzungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist somit abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Dr. Kostelka, dem Justizausschuss zur Berichterstattung über den Antrag 69/A und 10/A betreffend Änderung des Strafgesetzbuches eine Frist bis 3. Juli 2001 zu setzen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Fristsetzungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist somit abgelehnt.

3. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (578 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985, das Privatschulgesetz und das Schülerbeihilfengesetz 1983 geändert werden (Euro-Umstellungsgesetz-Schulrecht) (608 der Beilagen)

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Wir gelangen zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wird verzichtet.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Gaál. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 4 Minuten. – Bitte.

17.06

Abgeordneter Anton Gaál (SPÖ): Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Herr Präsident! Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht nur um die erforderlichen Formalanpassungen, sondern auch um schülerbeihilfenrechtliche Adaptierungen. Im Zuge der Novellierung des Schülerbeihilfengesetzes erfolgt keine Anpassung der Schülerbeihilfen an die Inflations- sowie an die Einkommensentwicklung. Darüber hinaus gibt es auch im Schülerbeihilfengesetz noch soziale Härten. So kann die Schulbeihilfe erst ab der 10. Schulstufe bezogen werden. Die Entscheidung der Eltern und der SchülerInnen über die weitere Schul- beziehungsweise Berufslaufbahn erfolgt erst mit Ende der 8. Schulstufe.

Weiters ist auch der Besuch einer berufsbildenden höheren Schule von Kindern einkommensschwächerer Familien vor allem eine finanzielle Frage. Wie Sie alle wissen, ist der günstigste Schulerfolg Voraussetzung für die Gewährung einer Schul- und Heimbeihilfe. Die Schulbeihilfe bekommt man derzeit bei einem Notendurchschnitt unter 2,8, die Heimbeihilfe bei einem solchen unter 3,1, und diese Unterschiedlichkeit ist weder verständlich noch argumentierbar.

Meine Damen und Herren! Die Schüler- und Heimbeihilfen sind eine soziale Hilfe für einkommensschwächere Familien. Das Kriterium des Notendurchschnitts ist daher für diese Transferleistung ungeeignet und auch irrelevant. Da es derzeit keine Heimfahrtbeihilfen aus den Familienlastenausgleichsfonds gibt, ist die Fahrtkostenbeihilfe von besonderer Bedeutung. Allerdings deckt der geplante Beitrag nicht einmal die Kosten von zwei Fahrten vom Schulort nach Hause ab. Personen, die sich auf eine Berufsreifeprüfung vorbereiten, haben bisher nur in einzelnen Bundesländern im Rahmen individueller Förderungen beruflicher Fortbildung eine Möglichkeit, einen Teil der Kurskosten rückerstattet zu bekommen.

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Antoni und GenossInnen betreffend Erhöhung der Schüler- und Heimbeihilfen und Erweiterung des BezieherInnenkreises

Der Nationalrat wolle beschließen:


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Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird ersucht, die Schülerbeihilfen an die Geldwert- und Einkommensentwicklung anzupassen und den BezieherInnenkreis auf die 9. Schulstufe (AHS, BMHS) auszuweiten. Weiters soll die Vergabe der Schülerbeihilfen ausschließlich von sozialen Kriterien und nicht auch noch von einem bestimmten Notendurchschnitt abhängig gemacht werden. Darüber hinaus soll die Fahrtkostenbeihilfe so umgestaltet werden, dass zumindest der Fahrtersatz für 4 jährliche Fahrten (jeweils in den Ferienzeiten) vom Schul- zum Wohnort der Eltern abgegolten wird. Es sollte eine Staffelung der Beträge nach der Entfernung vorgenommen werden, um dadurch einen regionalen und sozialen Ausgleich zu fördern. Aufgrund der positiven finanziellen Entwicklung des Familienlastenausgleichsfonds sollte eine Refundierung der Kosten aus dem FLAF erfolgen.

Für Personen, die sich auf eine Reifeprüfung vorbereiten, sollte die Einführung einer Transferleistung in Anlehnung an die besondere Schulbeihilfe erfolgen.

Weiters wird die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur ersucht, einen Bericht zur sozialen Lage der SchülerInnen in Österreich bis Ende 2001 vorzulegen.

*****

(Beifall bei der SPÖ.)

17.09

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Der soeben verlesene Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Antoni, Genossen und Genossinnen ist ausreichend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Bauer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

17.09

Abgeordnete Rosemarie Bauer (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich erlaube mir, die Geschäftsordnung genauso großzügig wie mein Vorredner auszulegen. Der Tagesordnungspunkt lautet "Euro-Umstellungsgesetz-Schulrecht", aber Sie werden sicher verstehen, dass ich diese Gelegenheit wahrnehmen möchte, mich hier und heute bei Ihnen allen für die Wahl zur Volksanwältin herzlichst zu bedanken und mich zu verabschieden.

Herr Klubobmann Khol hat es heute schon erwähnt: Am 26. Mai dieses Jahres waren es 18 Jahre, dass ich diesem Haus angehöre. Zwei Jahre im Bundesrat waren für mich erfolgreiche Lernjahre. Die Jahre im Nationalrat haben viele von Ihnen mit mir miterlebt. Sie werden es auch verstehen – aber keine Angst, ich ziehe keine große Bilanz –, dass mir heute mein Wirken hier im Nationalrat durch den Kopf gegangen ist. Als ich hier eingetreten bin, habe ich vom damaligen Parteiobmann Alois Mock den Auftrag erhalten, Familiensprecherin der ÖVP zu sein. Das Thema Familie und das Thema Frauen haben für mich eine große Bedeutung gehabt. Es gab immer emotionale Auseinandersetzungen, verschiedene Anschauungen und heftige Debatten zum Thema Familie. Meine Kontrahenten oder auch Partner, wie immer Sie wollen – wir von der ÖVP waren in der Opposition –, waren die Regierungsvertreter: Gabi Traxler als Familiensprecherin der SPÖ und Helmut Haigermoser als Familiensprecher der FPÖ. Er kann sich gar nicht mehr erinnern. (Heiterkeit bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wie sich der Bogen so schließt, wird die Erledigung eines Punktes der heftigen Auseinandersetzung, nämlich die Zweckentfremdung des Familienlastenausgleichsfonds, der nun Einhalt geboten wird – wofür wir kontinuierlich immer eingetreten sind –, zum Abschiedsgeschenk für mich, wie ich mit großer Freude feststellen kann. Ein weiterer Punkt ist die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes, womit erreicht werden kann, dass der Familienlastenausgleichsfonds nun tatsächlich den Familien und den Kindern gehört. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


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Ich habe von meiner großartigen Vorgängerin Marga Hubinek ein Anliegen übernommen, und zwar das so genannte Erziehungsgeld – schon allein vom Titel her ein Konfrontationsthema. Dieses Erziehungsgeld hat vielleicht nur nicht den richtigen Titel gehabt, es ist aber deckungsgleich mit dem heutigen Kindergeld für alle Mütter. Daher ist auch dessen Realisierung, die ich allerdings in Form der Beschlussfassung hier nicht mehr erleben werde, ein Abschiedsgeschenk für mich und rundet quasi meinen Verlauf als Parlamentarierin ab. Ich danke herzlichst dafür.

Für mich ist dies auch eine Bestätigung dafür, dass Beharrlichkeit etwas ganz Wesentliches in der Politik ist. Es hat – ich habe es hier schon einmal gesagt – viele gutmeinende Freunde gegeben, die mir gegenüber – in Wahrheit wollten sie es den Frauen sagen – gemeint haben: Geh bitte, schon wieder ein Landestag, schon wieder ein Bundestag der Frauen! Gebt doch diesen Forderungspunkt endlich auf! Ihr werdet das nie erreichen!

Aber dank der Unterstützung meiner gesamten Fraktion ist es uns jetzt gelungen, das doch zu erreichen. Das Bemühen darum dauerte 20 Jahre lang, und jetzt, im Jahre 2001, haben wir es erreicht. Ich freue mich darüber und nehme es als Geschenk mit in meine neue Tätigkeit. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Wahl zur Volksanwältin scheide ich aus diesem Gremium aus, aber ich verlasse es nicht ganz, sondern es wird genug Gelegenheit geben, auch hier noch, versetzt um einige Bänke, wie Maria Fekter es ausgedrückt hat, nach wie vor, wenn auch sporadisch – zwei Mal im Jahr, glaube ich –, bei Ihnen zu sein.

Ich freue mich über meine neue Aufgabe. Ich bin glücklich darüber, und ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen allen für das heutige Votum bei der Wahl. Ich bedanke mich aber ganz speziell bei meiner Partei: beim Herrn Bundeskanzler und unserem Parteiobmann Dr. Wolfgang Schüssel, beim Herrn Klubobmann Dr. Khol und bei allen meinen lieben Freunden, die es geschafft haben, vor mir völlig verborgen, für mich zu arbeiten und letztendlich in den jeweiligen Gremien die einstimmige Nominierung für dieses Amt zu erreichen.

Ich danke für das Vertrauen. Ich fühle mich geehrt, und ich fühle mich belohnt. Ich danke euch ganz herzlich! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen 18 Jahren meines Wirkens in diesem Hohen Haus ist dieses Haus und sind alle Menschen, die in diesem Haus arbeiten – wohnen tun sie nicht hier; manches Mal haben wir schon das Gefühl gehabt, dass wir hier wohnen –, ein Teil meines Lebens geworden. Wenn man seine Aufgabe als Abgeordnete ernst nimmt, dann muss man aufpassen, dass man sich auch ein bisschen Familienleben und Privatleben bewahrt. Es ist dieses Hohe Haus sozusagen eine zweite Heimat für mich geworden.

Ich bedanke mich bei allen Bediensteten dieses Hohen Hauses und bei Ihnen allen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, für die Freundschaft und für die gute Zusammenarbeit. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht krumm, dass ich oft – aber gerade in der letzten Zeit – sehr emotional und manches Mal wahrscheinlich auch in sehr harter Art und Weise gewisse Dinge aufgezeigt oder diskutiert habe. Ich habe es nur im Sinne der Sache getan, aber nie persönlich gemeint. Ich hoffe, Sie denken auch so.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird eine lohnende Aufgabe für mich sein, für die Menschen zu arbeiten. Jetzt habe ich viel Zeit, für die Menschen und für ihre Anliegen da zu sein. Es wird für mich eine wunderschöne Aufgabe sein, aber für die Menschen da zu sein war auch schon bisher meine Aufgabe.

Ich wünsche Ihnen allen, die Sie auf einer anderen Ebene wirken, die Sie auf der parlamentarischen Ebene als gewählte Abgeordnete das Volk vertreten, alles Gute und viel Erfolg für ein rot-weiß-rotes Österreich. Das wünschen wir uns alle! Ich danke noch einmal ganz herzlich. (Lang anhaltender stehender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

17.17


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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn:
Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter das Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen nun zur Abstimmung, und zwar gelangen wir zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 578 der Beilagen.

Der vorliegende Gesetzentwurf kann im Sinne des Artikels 14 Absatz 10 Bundes-Verfassungsgesetz nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

Zunächst stelle ich die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der verfassungsmäßig vorgesehenen Anzahl der Abgeordneten fest.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilen, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist ebenfalls einstimmig angenommen. Der Gesetzentwurf ist somit einstimmig beschlossen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen betreffend Erhöhung der Schüler- und Heimbeihilfen und Erweiterung des BezieherInnenkreises.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Somit ist der Antrag abgelehnt.

4. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (579 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten geändert wird (609 der Beilagen)

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist als erste Rednerin Frau Abgeordnete Mag. Muttonen. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

17.20

Abgeordnete Mag. Christine Muttonen (SPÖ): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es äußerst begrüßenswert, dass wir heute einstimmig das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten ändern – ein Gesetz, das der Verfassungsgerichtshof für uns neu definiert hat. Das bedeutet, dass ab Herbst 2001 in den zweisprachigen Volksschulen in Kärnten auch in den vierten Klassen Slowenisch unterrichtet werden muss oder, anders ausgedrückt, dass die Kinder die Chance haben, ihr Wissen in der zweiten Landessprache zu vertiefen.

Das Geschenk der Zweisprachigkeit, das die Kinder im bilingualen Gebiet gewissermaßen in die Wiege gelegt bekommen, ist für sie, aber auch für das Land eine große Chance. Es geht nicht nur darum, dass eine zweite Sprache das Erlernen einer dritten noch viel leichter macht oder dass das Sprachgefühl und das Kennenlernen einer anderen Kultur auch das Verstehen und die Toleranz einer anderen Gruppe gegenüber mit sich bringen. Ich glaube, das Ganze hat auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Wir stehen vor der EU-Erweiterung, und Slowenien ist ein


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wichtiger Handelspartner für Österreich. Die Bedeutung dieses Partners wird sicher mit dem EU-Beitritt noch ansteigen.

Die Chancen, die die Mehrsprachigkeit bietet, müssen daher noch verstärkt und gefördert werden, sei es bei den Kindern in den Volksschulen oder auch in den Kindergärten. Denn da wird die Basis für eine tatsächlich gelebte Sprache mit all ihren Facetten und Zwischentönen gelegt.

Eines stimmt jedoch nachdenklich: Wir unterschreiben die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, wir beschließen jetzt den zweisprachigen Unterricht in den vierten Volksschulklassen in Kärnten, und trotzdem gibt es in diesem Land unbemerkt oder von vielen ignoriert eine Strömung, die als rückschrittlich bezeichnet werden kann. Es werden nämlich plötzlich Leitungsposten an zweisprachigen Kärntner Volksschulen nicht mehr mit zweisprachigen Personen besetzt, obwohl das seit 1945 immer wieder der Fall gewesen ist und sehr gut funktioniert hat. Das heißt, es gibt jetzt Direktorinnen und Direktoren an zweisprachigen Schulen, die nicht dieser zweiten Landessprache mächtig sind. (Abg. Dr. Mertel: Unter Haider!)

Das ist an sich ein Widerspruch. Das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz sieht ja vor, dass Lehrer und Lehrerinnen an zweisprachigen Schulen für beide Sprachen qualifiziert sein müssen. Direktorinnen und Direktoren müssen im Bedarfsfall abwesende Kolleginnen und Kollegen vertreten. Sie müssen aber auch eine Verbindungsstelle zwischen den Schulen und dem Umfeld der Schule sein. Die Frage ist nun, wie das gut funktionieren kann, wenn sie dieser zweiten Landessprache nicht mächtig sind.

Unter diesem Aspekt verstehe ich nicht, warum Sie, Frau Ministerin, sich für diese Problematik einfach nicht interessieren oder es auch immer wieder als Landessache abtun. Es kann doch nicht sein, dass wir wiederum die Gerichte bemühen werden müssen oder dass die Gerichte sich darum bemühen werden müssen, zu einer Entscheidungsfindung zu kommen.

Es wäre ja nichts leichter, als dem Gesetz – und zwar einem Bundesgesetz – einen Passus hinzuzufügen, der besagt, dass zweisprachige Schulen in einem zweisprachigen Umfeld mit zweisprachigen Kindern und zweisprachigen Lehrern und Lehrerinnen mit zweisprachigen Direktorinnen und Direktoren besetzt werden müssten.

Hier könnten einfach Zeit und Nerven gespart werden, indem Sie, Frau Ministerin, dieses Gesetz durchbringen. Allein, so scheint mir, es fehlt der politische Wille.

Ich denke, mit der Taktik des Ignorierens ignorieren Sie auch das von Ihnen oft verbal so sehr unterstützte Europäische Jahr der Sprachen. Ich glaube, dass in diesem Jahr der europäischen Sprachen, in dem Sie einen Schwerpunkt auf die Nachbarsprachen legen wollten, doch klare Worte zur Situation in Kärnten gefordert wären. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.24

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Zernatto. Die Uhr ist wunschgemäß auf 8 Minuten eingestellt. – Bitte.

17.25

Abgeordneter Dr. Christof Zernatto (ÖVP): Sehr geehrte Frau Minister! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über den Anlass, der dazu geführt hat, dieses Minderheiten-Schulgesetz in einigen wenigen, aber sehr wichtigen Passagen zu ändern, hat Frau Kollegin Muttonen schon referiert.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es sehr wohl auch eine historische Entwicklung, was diese Minderheitenschule, die Möglichkeit, zweisprachigen Unterricht in Kärnten zu konsumieren, anlangt, gibt. Bereits 1848 wurde in Kärnten die Möglichkeit geschaffen, dass Kinder zweisprachigen Unterricht konsumieren. Seit 1848 hat es im Zusammenhang mit diesem zweisprachigen Unterricht natürlich nicht nur pädagogische Diskussionen über die Art und Weise, über die Sinnhaftigkeit und über die Zulässigkeit gegeben. Das Ganze hat sich logischerweise auch in einem politischen Umfeld abgespielt, das hier nicht unerwähnt bleiben soll, weil ich mit Frau Kollegin Muttonen durchaus übereinstimme, dass am Beginn des dritten Jahrtausends ein neuer


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Zugang zu diesem Thema gefunden werden muss, der aber nur gefunden werden kann, wenn man sich auch der Entwicklung bewusst ist, nämlich einer Entwicklung, die grundsätzlich immer davon ausgegangen ist, dass es sich um ein Volksgruppen- und Minderheitenrecht handelt. Das soll auch so bleiben. Ich meine, dass das ein ganz entscheidender Punkt dabei ist.

Aber man soll auch nicht vergessen, dass das, was vielleicht an rückschrittlichen Strömungen hier auch erwähnt wurde, ja auch Gründe hat, und zwar letztendlich in der Entwicklung vor allem des 20. Jahrhunderts, wo nach beiden Weltkriegen von jugoslawischer Seite – zuerst vom SHS-Staat, dann vom ehemaligen Jugoslawien – versucht wurde, Gebietsansprüche an Österreich zu stellen, wobei gleichzeitig natürlich auch versucht wurde, über die slowenische Volksgruppe in Kärnten entsprechend Druck zu machen.

Meine Damen und Herren! Das hat immer wieder zu einer Emotionalisierung der Diskussion in diesem Zusammenhang geführt, die letztlich dazu geführt hat, dass das, was zu Recht als Chance hier bereits erwähnt wurde, eben nie in diesem Kontext diskutiert wurde, sondern von der einen Seite immer wieder von versuchter Slowenisierung – wie das so schön oder nicht schön heißt – gesprochen wurde, während von der anderen Seite aber auf Rechte der Minderheit gepocht wurde.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir letztendlich von einem Punkt wegkommen müssen – das hat nämlich die Diskussion in diesem Zusammenhang immer wieder bestimmt –: dass die Anmeldung zum zweisprachigen Unterricht letztlich als ethnisches Bekenntnis gewertet wurde. Das war so, das ist vielleicht auch heute noch bei manchen so. Aber ich meine, das ist der Punkt, der in Kärnten überwunden werden muss. Wir müssen es in Kärnten schaffen, dass auch die deutschsprachigen Kinder, die deutschsprachige Bevölkerung erkennt, dass gerade das Verstehen und das Sprechen von Nachbarsprachen eine ungeheure Chance für die Zukunft darstellt, dass letztendlich dieses zweisprachige Schulwesen in Kärnten nicht eine Belastung darstellt – wiewohl diese Novelle dazu führt, dass etwa 24 Millionen mehr aufgewandt werden müssen, um den Unterricht auch in der vierten Schulstufe sicherstellen zu können –, dass es keine Gefahr für Kärnten darstellt, sondern dass es im Gegenteil ein Privileg für Kärnten ist, eine solche Ausbildung anbieten zu können, und dass es eine Riesenchance für Kärnten und seine Zukunft darstellt, diese Möglichkeit nutzen zu können.

Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich überzeugt davon, dass wir vielleicht gerade diese Novelle jetzt dazu nutzen sollten, auch hier im Haus mit unserer Zustimmung letztendlich geradezu ein Manifest dafür zu verabschieden, dass es uns ernst damit ist, dass es einerseits selbstverständlich um die entsprechende Akzeptanz und Durchsetzung von Minderheitenrechten geht, dass es aber letztlich eine Regelung ist, die der Mehrheitsbevölkerung in mindestens ebenso großem Maße zugute kommt.

Denn wenn von der EU-Erweiterung die Rede war und gerade Slowenien ja ein Land ist, das, wie wir wissen, in sehr naher Zukunft auch Mitglied der Europäischen Union sein wird, wenn wir wissen, dass Slowenisch als Sprache den Eintritt in die slawischen Sprachen insgesamt ungeheuer erleichtert, dann müssen wir tatsächlich auch davon ausgehen, dass es in diesem Fall nicht nur um sprachliche oder kulturelle Fertigkeiten geht, sondern de facto auch um eine deutliche Verbesserung für die Absolventen eines solchen Schulsystems, was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt anlangt, was ihre Chancen insgesamt in einem neuen Europa anlangt.

Deshalb wird logischerweise unsere Fraktion dieser Novelle gerne zustimmen, und ich hoffe, dass die Zustimmung hier im Hause einstimmig sein wird. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

17.31

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Sevignani. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

17.31

Abgeordneter Hans Sevignani (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. März 2000 Teile des Minderheiten-


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Schulgesetzes für Kärnten aufgehoben. Die Aufhebung, die mit Ablauf des 31. August 2001 in Kraft tritt, hat nun zur Folge, dass mit Beginn des Schuljahres 2001/2002 an den zweisprachigen Volksschulen nun auch in der vierten Schulstufe – bisher nur in der ersten, zweiten und dritten Schulstufe – der Unterricht in Deutsch und Slowenisch in annähernd gleichem Ausmaß zu erteilen ist.

Wir wollen mit dieser Regierungsvorlage nicht nur das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes korrekt umsetzen, sondern auch weitere Verbesserungen im zweisprachigen Schulwesen vornehmen.

Derzeit bestehen im Bundesland Kärnten 330 Volksschulen, an 65 Standorten wird bereits zweisprachiger Unterricht angeboten. Ich möchte festhalten, der Gesetzentwurf ermöglicht nun den Einsatz von zusätzlichen Teamlehrern gemeinsam mit zweisprachigen Lehrern während der gesamten Unterrichtszeit. Eine Ausschussmeinung: Um das vorhandene Potential an Lehrern nicht ausweiten zu müssen, erscheint es sinnvoll, den vorhandenen einsprachigen VolksschullehrerInnen die Möglichkeit zu geben, sich im Rahmen der Lehrerweiterbildung zusätzlich im Pflichtfach Slowenisch zu qualifizieren.

Ich möchte festhalten, dass für uns Freiheitliche die Erhaltung und Entwicklung der kulturellen Identität der slowenischen Volksgruppen in Kärnten ein wichtiges Anliegen darstellen. Die slowenische Volksgruppe soll bekommen, was ihr zusteht. Hiezu zählt die Ausweitung des Minderheiten-Schulwesens genauso wie Regelungen im Bereich der Kindergärten oder der Musikschule, aber auch mobile Dolmetscher, die Slowenisch im Amtsverkehr anbieten.

Meine Damen und Herren! Der Landeshauptmann von Kärnten Jörg Haider hat wiederholt das fuktionierende Miteinander und das gute Klima des Dialogs in der Kärntner Volksgruppenpolitik hervorgehoben. Kärnten ist ein offenes Land, in dem die Volksgruppe gut aufgehoben ist. Ich ersuche Sie daher um Zustimmung zu dieser Regierungsvorlage. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

17.34

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Stoisits. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

17.34

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Poštovane dame i gospodo! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn der neunziger Jahre hat der Kampf von Kärntner Schülerinnen und Schülern – und man kann das nur als Kampf bezeichnen – für das Recht auf zweisprachigen Unterricht auch über die ersten drei Volksschulklassen hinaus begonnen. Schülerinnen und Schüler, vertreten durch ihre Eltern und engagierte Rechtsanwälte, haben wieder einmal das geschafft, wozu die Politik über viele Jahre nicht imstande war. Das ist nur ein Mosaikstein in der Auseinandersetzung der österreichischen autochthonen Volksgruppen mit ihrer Republik oder mit unser aller Republik Österreich.

Es ist immer die Auseinandersetzung dahin gehend, dass die Volksgruppenangehörigen ihr Recht erkämpfen müssen. Nicht, dass Sie etwa glauben, dass die Politik die Einsicht gehabt hätte und Artikel 7 des Staatsvertrags von Wien, immerhin Bestandteil österreichischen Verfassungsrechts, aus 1955, der von Elementarunterricht, in dem Fall in slowenischer Sprache, spricht, je so aufgefasst hätte, dass es etwa eine Bringschuld ist, die man zu leisten hat. Nein. Es war Herr Direktor Kukovica, der auf Grund von Fällen in seiner Schule, wo er Schuldirektor war, die Sache wieder einmal ins Rollen bringen musste, wie es auch ein paar Jahre vorher Bürger und Bürgerinnen waren, unter anderem auch unsere ehemalige Abgeordnetenkollegin Mag. Grandits, die darauf bestanden hat, in ihrer Muttersprache, in kroatischer Sprache, zu heiraten, und zwar im Standesamt von Stinjaki/Stinatz, was ihr verwehrt wurde, und mit dem Gang zum Verfassungsgerichtshof die Zulassung der kroatischen Amtssprache – es war nicht sie allein, sondern es gab auch andere Fälle – im Burgenland erkämpft hat.


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Das ist wahrlich nicht die Geschichte, die uns der Vorredner erzählen wollte, eine Erfolgsstory der Rechte der Minderheiten in Österreich. Meine Damen und Herren! Das Gegenteil ist der Fall. Und jeder, der auch nur einen Funken Ehrlichkeit im Leib hat, weiß es. Das ist nicht ein Erfolg der Politik, sondern es ist ein Erfolg der betroffenen Bürger und Bürgerinnen. Und die Politik tut halt das, was sie in der Regel tut oder was wir in diesem Gebiet praktisch fast exklusiv und ausschließlich kennen, nämlich reagieren.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Es ist Ihnen nichts anderes übrig geblieben, als das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten zu novellieren oder uns eine Regierungsvorlage vorzulegen, und der Nationalrat hat gar keine andere Möglichkeit, als es zu novellieren. Aber der Nationalrat geht wieder einmal wie in zig anderen Fällen in diesem Zusammenhang – ich beziehe mich jetzt immer nur auf minderheitenrechtliche Angelegenheiten – den Weg, den er muss, aber keinen Millimeter weiter.

Das ist wieder so ein Beispiel dafür. Man muss den zweisprachigen Unterricht in der vierten Klasse einführen, der Verfassungsgerichtshof hat dieses Erkenntnis dahin gehend formuliert. Aber nicht, dass Sie glauben, dass jetzt der Gesetzgeber sagt, machen wir das gleich auch für die Hauptschulen, damit uns die Blamage eines Gangs von Bürgerinnen und Bürgern zum Verfassungsgerichtshof erspart bleibt. Nein, davon ist keine Rede, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil nämlich die ganze Sache von einem sehr einseitigen Geist getragen ist – der ehemalige Landeshauptmann von Kärnten ist ja sicher prädestiniert, über diesen Geist zu sprechen –, und zwar von dem einseitigen Blick, den man auf Grund des Mehrheitsblicks hat, würde ich jetzt sagen.

Ich halte es, geschätzter Herr Landeshauptmann außer Dienst Kollege Dr. Zernatto, im Jahr 2001, im dritten Jahrtausend für einen Anachronismus, wenn man heute davon spricht, dass Abstimmungen und Gebietsansprüche Faktoren sind, die die heutige Politik noch bestimmen. Es ist wirklich nur ein Anachronismus, denn heute geht es um ganz andere Sachen – ich möchte nicht wiederholen, was Kollegin Muttonen gesagt hat –: Heute geht es darum, dass wir in der Überwindung dieses Geistes die Chancen sehen. Es geht nicht um ein Recht, wie Sie gesagt haben. Wie haben Sie gesagt? – Es ist ein Recht der Volksgruppe und der Minderheit. Es ist heute die Chance Österreichs, eines bestimmten Teils von Österreich, ins dritte Jahrtausend einzutreten, indem man sich offensiv für Zweisprachigkeit einsetzt, wirbt, gesetzliche Grundlagen schafft. Man sollte dies nicht weiter als ein Defensivinstrument sehen, wo man irgendetwas abzuwehren hat, was real überhaupt nicht existiert. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Landeshauptmann Zernatto! Heute sind die, die zweisprachig sind, die Viferen, die Weltgewandteren, die am Arbeitsmarkt Attraktiveren. Und ich frage mich immer: Warum verwehrt der jetzige Landeshauptmann von Kärnten oder auch dieses Haus den Menschen in zweisprachigen Gebieten in Kärnten diese Chancen? Auch wenn man das nicht individuell in jedem Fall erkennt, hätte man beispielsweise diese Gelegenheit der Novellierung des Minderheiten-Schulgesetzes dazu nützen können, um dieses Anmeldeprinzip – das wahrlich nur eines verdient, nämlich abgeschafft zu werden – durch das Abmeldeprinzip, das sich im Burgenland mehr als bewährt hat, zu ersetzen.

Wäre noch viel Zeit, Herr Landeshauptmann und Frau Bundesministerin, könnte ich jetzt nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus der Betroffenheit in der Sorge um dieses Land hinsichtlich seiner künftigen Wettbewerbsfähigkeit in einem vereinten Europa berichten. – Herr Dr. Mitterlehner, das ist ja Ihr Spezialgebiet: die Wettbewerbsfähigkeit, sozusagen die Mobilität der Menschen, sowohl die geistige als auch die physische Mobilität, damit wir uns auch europareif machen. (Abg. Kopf: Lassen Sie das lieber bei ihm!)

Die zweisprachigen Menschen sind ein Vorbild, und die zweisprachigen Gebiete dieses Landes sind so etwas wie Musterregionen. Nur die Politik ist nicht imstande, das zu erkennen, sondern argumentiert immer noch so wie mein Vorredner, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Aber das passiert ja alles in einem Umfeld, wo man vor nichts mehr zurückschreckt, wo man wirklich nicht vor Dingen zurückschreckt, die es zwanzig Jahre lang nicht gegeben hat, etwa vor


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einer Hetze gegen die zweisprachige Liturgie in Kärnten, wie jüngst geschehen. Also dieser jetzt im Amt befindliche Landeshauptmann schlägt mit diesen seinen Taten wahrlich dem Fass den Boden aus!

Herr Landeshauptmann Zernatto! Sie als Kärntner – und alle Kärntner Abgeordneten, die hier sind – müssen sich doch Gedanken darüber machen, was es bedeutet, wenn der Landeshauptmann aller Kärntner solche Hetzkampagnen wie die vor zweieinhalb Wochen gegen die zweisprachige katholische Kirche in Kärnten durchführt und wenn es dagegen keinen sofort und massiv ausgesprochenen Widerspruch gibt. (Ruf bei den Freiheitlichen: Eben nicht zweisprachig!)

Da fehlt mir Ihre Stellungnahme, Herr Dr. Zernatto. Denn das ist in einem Geist passiert, der nicht einmal 20. Jahrhundert, sondern wahrlich 19. Jahrhundert ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Nichtsdestotrotz: Diese Novellierung des Minderheiten-Schulgesetzes muss wohl oder übel ein Schritt in die richtige Richtung sein, weil sie sozusagen geltendes Unrecht beseitigt, nämlich insofern, als die österreichische Verfassung über Jahrzehnte hinweg verletzt wurde, und deshalb sperre ich mich auch nicht dagegen, Frau Bundesministerin.

Ich möchte aber wirklich den Appell an Sie richten – was kann ich anderes tun, als an Sie zu appellieren? –, dass Sie aus Ihrer Position heraus, als verantwortliche Ressortchefin, wenn man es schon nicht vom Landeshauptmann von Kärnten erwarten kann, Ihren Einflussbereich dahin gehend geltend machen, dass das auch tatsächlich passiert, dass der Wert der Zweisprachigkeit vor allem für die noch einsprachige Bevölkerung endlich erkannt wird und auch entsprechende Förderungsmaßnahmen jetzt von Ihrer Seite gesetzt werden und kommen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

17.44

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Gehrer. – Bitte, Frau Bundesminister.

17.44

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich glaube, es ist auf alle Fälle ein sehr positiver Anlass, wenn wir heute gemeinsam dieses Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten novellieren und wenn wir es in die Richtung novellieren, dass auch in der vierten Klasse der zweisprachige Unterricht angeboten wird.

Wir haben in Kärnten derzeit 1 770 Kinder in diesem zweisprachigen Unterricht, und das ist schön, das ist gut so. Was mich aber besonders freut, ist die Art und Weise, wie diese Novellierung zustande gekommen ist. Wir haben eine Gruppe von Experten einberufen, die die Fragen eingehend diskutiert haben. Wir haben mit den Vertretern aller Parteien der Region, des Landtages in Kärnten und mit den verschiedenen Interessenvertretungen in Kärnten gesprochen.

Es sind eingehende Gespräche geführt worden, und es ist schlussendlich einstimmig der Vorschlag erfolgt, die Novelle zu diesem Minderheiten-Schulgesetz so vorzunehmen, dass wir die vierte Klasse selbstverständlich mit einbeziehen, dass wir einen flexiblen Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer vorsehen, dass wir auch im Benotungsteil etwas ändern, dass also wirklich für die Kinder die bestmöglichen Bedingungen geschaffen werden. Es ist vom Land Kärnten auch zugesagt worden, dass die notwendigen qualifizierten Lehrer zur Verfügung stehen, denn dafür braucht man qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer.

Ich meine, dass die Art und Weise, wie wir dieses Gesetz entwickelt haben, wie wir es besprochen haben, wie wir alle Gruppen eingebunden haben, schon ein Paradebeispiel dafür ist, dass Schulpolitik, Bildungspolitik von allen getragen werden sollten, denn ich meine, gerade die Schulen, gerade die Jugendlichen eignen sich sehr wenig dazu, zum parteipolitischen Spielball zu werden.


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Es waren 27 Mitglieder in der Kommission, und es hat noch zahlreiche zusätzliche Gespräche darüber hinaus gegeben.

Dieses Gesetz wird mit dem Schuljahr 2001/2002 umgesetzt werden. Ich bedanke mich bei allen, die konstruktiv daran mitgearbeitet haben, und ich würde mir wünschen, dass auch bei anderen Gesetzgebungen im Schulbereich dieser konstruktive Geist herrschen würde. (Beifall bei der ÖVP.)

17.46

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Posch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

17.46

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Wie schon erwähnt, hat der Verfassungsgerichtshof am 9.3.2000 den § 16 Abs. 1 des Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten als verfassungswidrig aufgehoben. Das ist ein Faktum. Statt wie bisher in den zweisprachigen Volksschulen nur in den ersten drei Klassen wird nunmehr auch in der vierten Schulstufe für die zum Slowenischunterricht angemeldeten Schüler der gesamte Unterricht in deutscher und slowenischer Sprache in annähernd gleichem Ausmaß angeboten werden. Davon sind in Kärnten derzeit 81 zweisprachige Volksschulen betroffen, insgesamt 1 770 Schüler und Schülerinnen.

Kollege Zernatto hat die Kosten schon erwähnt, nämlich 24 Millionen Schilling. So viel wird der Mehrbedarf an rund 46 zweisprachigen Lehrerinnen und Lehrern ausmachen. Positiv ist, dass während der gesamten Unterrichtszeit der Einsatz eines weiteren Lehrers, der nunmehr Teamlehrer heißen wird, ermöglicht wird – so wie in den ersten drei Schulstufen – und dass, wenn beide Teamlehrer den gesamten Unterricht gemeinsam gestalten, beide klassenführende Lehrer und in dieser Funktion gleichberechtigt sind. – Das ist der Kern dieser Reform.

Der Verfassungsgerichtshof hat damit eine Widersprüchlichkeit beseitigt, quasi einen Systembruch, da es logischerweise für zweisprachige Kinder von großer Bedeutung ist, die gesamte Volksschule zweisprachig zu absolvieren und dies auch im Abschlusszeugnis der Volksschule bestätigt zu erhalten.

Das ist, wie ich meine, ein kleiner Schönheitsfehler: dass es des Anstoßes des Verfassungsgerichtshofes bedurft hat, um eine evidente Ungleichbehandlung zu beseitigen, und dass es nicht möglich war, das Problem von vornherein politisch zu lösen. Dazu hätte es einer gewissen Großzügigkeit bedurft, die ich Herrn Kollegen Zernatto persönlich attestiere, weil er sich in seiner Funktion als Landeshauptmann immer wieder bemüht hat, diesen Geist auch zu leben. Aber diese Großzügigkeit haben vielleicht nicht alle handelnden Akteure.

Dass letzten Endes doch ein konstruktiver Dialog erfolgte und ein Konsens gefunden wurde, ist sicher der Kommission zu verdanken – die aus Vertretern des Ministeriums, der slowenischen Volksgruppe, der Kärntner Schulbehörden und der Landtagsparteien bestanden hat –, das muss man fairerweise anerkennen und zugeben.

Die Kommission hat, wie ich meine, gut gearbeitet. Damit wird im Minderheiten-Schulbereich in dieser Gesetzesvorlage jene restriktive Tendenz, wie wir sie in den übrigen Schulvorlagen finden – das muss ich auch dazusagen –, nicht verwirklicht.

Erfreulicherweise wird so wie in der Vergangenheit vermutlich die Zahl der Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht steigen. Das war in der Vergangenheit schon so, und damit ist diese Novelle sicher ein kleiner Fortschritt. Wir werden ihr daher gerne unsere Zustimmung geben.

Was das politische Zustandekommen anbelangt, ist es natürlich immer so, dass es vom guten Willen der Handelnden abhängt. Christoph Zernatto war – das habe ich schon gesagt – ein wohlwollender, abwägender Landeshauptmann. Andere sehen es anders und machen, wie Kollegin Stoisits erwähnt hat, immer wieder Druck, warnen vor einer Slowenisierung und beschweren sich über zweisprachige Liturgie.


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Das macht sozusagen den kleinen Unterschied in der Kärntner Geschichte aus, die teilweise von Angst geprägt ist. Aber wo die Angst anfängt, da hört meistens die Vernunft auf, und dann ist es relativ schwer, rational zu argumentieren. Da kommt es dann darauf an, ob man seine Verantwortung als handelnder Akteur so wahrnimmt, dass man den Menschen die Angst nimmt und die erwähnte Großzügigkeit an den Tag legt, oder ob man stets die Polarisierung sucht, Angst macht und die Gegensätze hervorhebt. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

17.51


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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn:
Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Ing. Scheuch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

17.52

Abgeordneter Ing. Kurt Scheuch (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man meinen Vorrednern, vor allem jenen der grünen Opposition, gelauscht hat, dann frage ich mich schon, ob sie überhaupt wissen, was das Wort "Volksgruppenkonsens" in Kärnten bedeutet, ob sie wissen, welch mühevoller Weg es ist, welch wichtige Verhandlungen dort geführt werden und dass es nicht eine Einbahnstraße gibt, sondern ein Aufeinander-Zugehen und dass dies unter der Führung des Landeshauptmannes Dr. Jörg Haider stattgefunden hat und auch stattfindet.

Es ist für mich beinahe wirklich nicht mehr glaubwürdig, hier diese eigentlich Frechheit entgegennehmen zu müssen, dass man ein Land und einen Landeshauptmann hier verunglimpft, weil man es nicht besser weiß oder weil man hier einfach politisch zündeln will – politisch zündeln mit den Emotionen der Menschen. (Abg. Öllinger: Ein bisschen vorsichtiger! Mäßigen Sie sich ein bisschen!)  – Ich hoffe, dass Sie es einfach nicht besser wissen. Aus diesem Grund werde ich Ihnen einmal sagen, wie dieses Gesetz entstanden ist. (Abg. Mag. Schweitzer in Richtung Abg. Öllinger: ... Du nicht! Du hast dich entlarvt! Mieser Charakter!)

Dieses Gesetz fußt auf einer einstimmig gefassten Vorlage der Kärntner Landesregierung unter Führung von Dr. Jörg Haider. In dieser Vorlage sind einige sehr interessante Punkte zu finden. Frau Stoisits, Sie sollten sich das vielleicht einmal genauer durchlesen.

Erster Punkt – Sie müssten eigentlich applaudieren, wenn ich diesen Punkt heute hier vor-
lese –: Sicherstellung, dass die verbrieften Rechte der Volksgruppe im Zusammenhang mit dem Minderheiten-Schulgesetz unangetastet bleiben; Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen; gemeinsame Gestaltung des Unterrichts durch ein- und zweisprachige Lehrer bis zur vierten Schulstufe. Aber auch – und jetzt kommt der Weg, auf dem uns unsere slowenischen Mitbürger in Kärnten entgegengekommen sind – Klärung des Begriffs "Zweitlehrer", der jetzt ein Teamlehrer ist. Und natürlich haben wir auch durchgesetzt, dass es nicht zur Führung eines Lehrers oder einer Volksgruppe im Schulunterricht kommen darf. Das ist ein sehr sensibles Thema.

In diesem Sinne fordern wir von Kärnten auch die Gleichbehandlung der Lehrergruppe – auch der deutschen Lehrer (Abg. Dr. Kostelka: Der österreichischen Lehrer!)  – und die Angleichung der Lehrverpflichtungen.

In den Verhandlungen mit dem Ministerium hat es in diesem Zusammenhang auch Zusagen von Frau Minister Gehrer gegeben, etwa darüber, dass wir, wenn es zum Jahresnormmodell im Bereich der Lehrer kommt, eine höhere Stundenzahl – nämlich 17 statt 14 Stunden – erreichen werden. Ich bitte Sie, dieses Versprechen für Kärnten zu erfüllen. Ich bin zuversichtlich, dass Sie das in unserem Sinn machen und erfüllen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß zwar, dass Sie – besonders Sie von der Opposition – das nicht so gerne hören, aber es ist eben ein Faktum, dass Kärnten unter freiheitlicher Führung einen vorbildlichen Meilenstein in die richtige Richtung gesetzt hat (Beifall bei den Freiheitlichen) und dass dieses Gesetz und auch die gesamte Vorgangsweise in diesem Bereich für Ankündigungspolitiker Ihrer Sorte zur Nachahmung empfohlen werden könnte und sollte. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Abg. Öllinger. )

17.55

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Brosz. Die freiwillige Redezeit ist auf 8 Minuten eingestellt. – Bitte.

17.55

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Kollegin Stoisits hat schon ausgeführt, dass wir von der grünen Fraktion diesem Antrag bezüglich des Kärntner Minderheiten-Schulgesetzes zustimmen werden, aber dass wir durchaus weiter gehende Vorschläge hätten, die Qualität des zweisprachigen Schulwesens zu erhöhen. Sie hat das Prinzip der Abmeldung statt der Anmeldung angeführt, das im Burgenland praktiziert wird. Auch die Ausweitung auf die Hauptschulen und den gesamten Pflichtschulbereich ist uns ein Anliegen.

Worauf ich in diesem Zusammenhang aber eigentlich eingehen möchte, sind zwei Dinge – das trifft sich nach den Ausführungen des Kollegen Scheuch möglicherweise ganz gut –, die im Zusammenhang mit dieser Gesetzwerdung aufgetreten sind.

Es gibt seit einiger Zeit eine Diskussion – und Sie wissen das, Herr Kollege Scheuch – über die Bestellung von Schulleitern an zweisprachigen Schulen in Kärnten, wo sich der Kärntner Landeshauptmann Haider "vorbildlich" – wie Sie, Kollege Scheuch, das offenbar nennen – weigert, Schulleiter an zweisprachigen Schulen zu benennen, die die Qualifikation der Zweisprachigkeit haben, mit dem Argument, das sei nicht notwendig.

Das steht in einem klaren Widerspruch zu einer Anfragebeantwortung der Frau Bundesministerin Gehrer, die sehr wohl darauf hingewiesen hat, dass das an zweisprachigen Schulen notwendig sei. Wir haben daraufhin einen Entschließungsantrag im Ausschuss eingebracht, und ich möchte ihn hier nochmals einbringen, weil wir glauben, dass es wirklich ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass an zweisprachigen Schulen zwar das Kriterium der Zweisprachigkeit herrscht, wenn aber die Eltern und die Schüler kommen, dann heißt es: Sorry, zweisprachige Leiter brauchen wir nicht, da können wir schon deutsch reden. – Das ist einfach genau das Bild dessen, was Zweisprachigkeit nicht ausmacht.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dieter Brosz und Dr. Dieter Antoni betreffend Leiter zweisprachiger Schulen in Kärnten

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, wird aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass

1. LeiterInnen von Schulen, in denen zweisprachiger Unterricht erteilt wird, das Qualifikationserfordernis der Zweisprachigkeit aufweisen;

2. LehrerInnen, die zweisprachigen Unterricht erteilen, auf Grund des Mehraufwands und der besseren Qualifikation auch entsprechend höher entlohnt werden.

*****

Diesen Entschließungsantrag haben wir auch schon im Ausschuss eingebracht. Er fand dort keine Mehrheit. Es soll hier jetzt nochmals eine Möglichkeit der Abstimmung darüber geben.

Der zweite Punkt ist mir bislang noch nicht wirklich schlüssig; ich glaube auch nicht, dass man das aufklären kann. Dabei geht es um eine ominöse Ausschussfeststellung, die genau zu diesem Punkt noch getroffen worden ist. Mir ist nicht wirklich klar, wie das gemeint ist. Ich lese es


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jetzt einmal vor und werde dann auch einen Antrag dazu einbringen – dazu, wie man da wieder herauskommt.

Es ist vor dem Hintergrund, dass es durch die Einsparungen im Pflichtschulsystem zu einem Lehrerabbau kommen wird, die Idee aufgetaucht, dass sich die einsprachigen Lehrer zweisprachig qualifizieren sollen. Dann kann man sie im zweisprachigen Schulwesen einsetzen. Dazu sagen wir grundsätzlich: Wunderbar! Das soll man anbieten, es spricht überhaupt nichts dagegen. Mit adäquater Ausbildung sollen auch einsprachige Lehrer in diesem System unterrichten können.

Aber erstens lautete die Formulierung "um das vorhandene Potential nicht ausweiten zu müssen ...". – Das ist schon einmal eine klare Position: Das heißt, bevor man die neu Qualifizierten aus der PädAK nimmt, sollte man offenbar die Einsprachigen grundsätzlich bevorzugen. Das war ein Kritikpunkt von mir.

Es heißt dann weiter: "..., erscheint es sinnvoll, den vorhandenen einsprachigen Lehrern die Möglichkeit zu bieten, sich zusätzlich für den Unterricht im Pflichtgegenstand Slowenisch zu qualifizieren".

Jetzt muss man allerdings den Hintergrund kennen, und der lautet: Wir haben die Situation, dass dieses Gesetz mit 1. September, also mit Beginn des Schuljahres in Kraft treten wird. Es gibt aus meiner Sicht und auch nach Auskunft des Pädagogischen Instituts in Klagenfurt aber keine Möglichkeit, innerhalb dieser Zeit einsprachige Lehrer zweisprachig zu qualifizieren.

Da frage ich mich, was der Hintergrund dieser ominösen Ausschussfeststellung war. Ich hoffe nicht, dass es darum geht, diese Möglichkeit zu blockieren und nichtqualifizierte Lehrer, die es in ausreichender Zahl gibt – auch darüber haben wir uns bei der PädAK informiert –, einzustellen.

Daher bringe ich einen zweiten Entschließungsantrag ein, und bei diesem ist es egal, ob das muttersprachliche Lehrer sind oder nicht:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dieter Brosz, Freundinnen und Freunde betreffend Sicherstellung, dass der Unterricht an zweisprachigen Pflichtschulen in Kärnten nur durch dafür qualifizierte Lehrkräfte vorgenommen wird

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sicherzustellen, dass der slowenischsprachige Unterricht an zweisprachigen Pflichtschulen in Kärnten nur von entsprechend qualifizierten Lehrkräften durchgeführt wird.

*****

Wir fordern dies, um sicherzustellen, dass nicht durch Schmalspurausbildungen die Qualität des Unterrichts gefährdet wird. (Beifall bei den Grünen.)

18.00

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Die beiden soeben verlesenen Entschließungsanträge sind ausreichend unterstützt und stehen daher mit in Verhandlung.

Als nächster Redner ist Herr Abgeordneter Jung zu Wort gemeldet. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 2 Minuten. – Bitte.

18.00

Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche): Frau Kollegin Stoisits! Wir haben diese Vorlage mitgetragen und begrüßen sie, aber es ist unerträglich, Ihnen einerseits bei Ihren Ausführungen über den Kärntner Landeshauptmann zuzuhören und andererseits dann, wenn Sie so salbungs


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volle Worte für die Zweisprachigkeit finden wie die folgenden – ich lese aus einem Zeitungsartikel vor –:

"Mutter, gib mir keinen Deutschen, gib mir keinen Ungarn! Weiß nicht, wie ich mit einem Deutschen sprechen kann oder einen Ungarn küssen kann." – Aus einem kroatischen Lied, gesungen von der grünen Abgeordneten Terezija Stoisits in der Sendung "Österreich-Bild".

Frau Kollegin Stoisits, das ist entlarvend genug für Sie! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Rufe bei den Freiheitlichen: Ungeheuerlich!)

18.01

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht der Herr Berichterstatter ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, Platz zu nehmen. Wir gelangen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 579 der Beilagen.

Der vorliegende Entwurf kann im Sinne des Artikels 14 Abs. 10 Bundes-Verfassungsgesetz nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Somit stelle ich zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der verfassungsmäßig vorgesehenen Anzahl der Abgeordneten fest.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilen, um ein entsprechendes Zeichen. – Es ist dies einstimmig angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist ebenfalls einstimmig angenommen.

Ich stelle ausdrücklich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Brosz, Dr. Antoni und Genossen betreffend Leiter zweisprachiger Schulen in Kärnten.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Brosz und Genossen betreffend Sicherstellung, dass der Unterricht an zweisprachigen Pflichtschulen in Kärnten nur durch dafür qualifizierte Lehrkräfte vorgenommen wird.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

5. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (580 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz und die 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle geändert werden (610 der Beilagen)

6. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 424/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Fortsetzung der Integration von


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SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ab der 9. Schulstufe (611 der Beilagen)

7. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (581 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 geändert wird (612 der Beilagen)

8. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 396/A der Abgeordneten Dieter Brosz und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz BGBl. Nr. 76/1985, zuletzt geändert durch das BGBl. Nr. 768/1996, geändert wird (613 der Beilagen)

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 bis 8 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Antoni. Ich erteile es ihm. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

18.04

Abgeordneter Dr. Dieter Antoni (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! (Rufe bei der ÖVP: Nicht genügend! Setzen!) Ich werde zu den Vorfällen vom heutigen Vormittag nicht bei diesem Tagesordnungspunkt Stellung nehmen, sondern erst in meinem zweiten Redebeitrag, denn darin geht es um die Verhaltensregelungen. In meinem ersten Redebeitrag möchte ich mich insbesondere den zwei strittigen Punkten im Schulorganisationsgesetz, der Integration und der politischen Bildung, widmen.

Meine Damen und Herren! Heute Vormittag haben Bundeskanzler Schüssel und Frau Vizekanzlerin Riess-Passer Erklärungen zum Thema "familienfreundliches Österreich" abgegeben. Sehr viel Selbstlob war zu hören, insbesondere wurde das Kindergeld hervorgehoben. (Abg. Murauer: Zu Recht!)

Lassen Sie mich aber doch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass in Tausenden Familien Österreichs Eltern mit behinderten Kindern leben oder auch Eltern, die selbst behindert sind. Auf diese Familien hat diese Regierung vergessen. Wie sieht es aus mit Ihrer Verantwortung für behinderte Menschen, mit Ihrer Verantwortung für jugendliche Behinderte, mit Ihrer Verantwortung für behinderte Schülerinnen und Schüler, wenn es darum geht, sie nicht zu diskriminieren? Wie sieht es mit der Notwendigkeit und mit dem Recht behinderter Menschen aus, in allen Lebensbereichen Integration zu erfahren, und wie mit dem Versprechen der Regierung, die Integration laufend zu verbessern, und dies insbesondere im Schulbereich?

Meine Damen und Herren! Die Integration in der Regelschule wurde 1993 für die Volksschule und vier Jahre später für die Sekundarstufe gesetzlich verankert. In nahezu zehn Jahren war es durch die Integration möglich, einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis, zum verständnisvolleren Umgang miteinander, von SchülerInnen mit und solchen ohne Behinderungen zu leisten. Grundsätzlich kann man sagen, dass damit die Akzeptanz der Vielfalt im menschlichen Leben bei der Jugend verstärkt wurde.

Warum wird jetzt, nach acht erfolgreichen Jahren, die Integration massiv eingeschränkt, beziehungsweise warum werden die diesbezüglichen Umstände verschlechtert oder die Integration vielleicht sogar verhindert? Warum ignorieren Sie positive Erfahrungen aus der Praxis und positive Ergebnisse von Evaluationen? Sie alle signalisieren die Notwendigkeit, eine sinnvolle Weiterführung der Integration in allen Schultypen sicherzustellen. Ihr Gesetzentwurf sieht aber leider nur vor, die schulische Integration ab der 9. Schulstufe ausschließlich für die Polytech


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nische Schule zu ermöglichen. Das, meine Damen und Herren, ist ein Rückschritt! Das ist die geplante Sackgasse für die Integration und letztlich auch das Ende der Integrationsentwicklung.

Meine Damen und Herren! Sie schicken benachteiligte Schülerinnen und Schüler integrativ in den Abgrund, weil Sie ihnen alle Möglichkeiten einer überaus notwendigen weiteren beruflichen Ausbildung an weiterführenden Schulen nehmen. Nicht zu überbieten – ich habe das schon wiederholt gesagt – ist Ihr Zynismus, der darin zum Ausdruck kommt, dass Sie Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf eins zu eins mit geistig behinderten Kindern vergleichen und dabei immer argumentieren: Mit geistig behinderten Kindern kann man in mittleren und höheren Schulen nichts anfangen. – Ich betone noch einmal: Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind Kinder, die Teilleistungsschwächen haben, die aber auch Teilleistungsfähigkeiten haben. Diese Fähigkeiten hat die Integration zu suchen, aufzugreifen und zu fördern, um damit letztlich berufliche Qualifikation zu vermitteln und die Chance auf ein eigenständiges Leben zu geben. (Beifall bei der SPÖ.)

Da für heute Vormittag eine intensive Diskussion zu all diesen Dingen zwar angekündigt, aber aus den in der Zwischenzeit bekannten Gründen leider nicht mehr möglich war (Abg. Mag. Schweitzer: Der Cap hat es verhindert! – Abg. Schwarzenberger: Nicht genügend! Setzen!), bleibt uns eigentlich nur die Chance, Abänderungsanträge einzubringen, die unsere Vorhaben beinhalten (Abg. Mag. Schweitzer: Der Cap, der hat Einfluss!), nämlich die Integration nach der 8. Schulstufe, von der 9. Schulstufe aufwärts, in allen Schultypen Österreichs zu ermöglichen. Kollege Niederwieser wird diese Anträge einbringen. (Abg. Mag. Schweitzer, auf den Redner weisend, in Richtung des Abg. Dr. Cap: Ihn hast du ruiniert! Cap ruiniert Antoni! Der Cap will die Schasching haben!)

Zur Problematik der politischen Bildung – das kann ich kürzer machen –: Meine Damen und Herren! Politische Bildung ist und war für die SPÖ immer ein besonders wichtiges Anliegen. Umso mehr bedauern wir den heutigen Abbruch der Gespräche. Der rasante Wandel in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Arbeitswelt und Technologie stellt eine Herausforderung für unsere Bürgerinnen und Bürger dar. Information und Mitbestimmung, aber auch Mitverantwortung werden immer wichtiger. Daher ist politische Bildung mehr denn je gefordert, aber unseres Erachtens eben: je früher, desto besser! In allen uns zugänglichen Jugendstudien ist ganz klar festgehalten, dass sich die Grundwerteorientierung, die Grundwertefixierung in der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen vollzieht. In vielen Parteien Österreichs und auch außerhalb unseres Staates herrscht die Absicht, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, zunächst einmal zumindest für Regionalwahlen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie schlagen in Ihrer Regierungsvorlage vor, "Politische Bildung" als Teilfach für die 7. und 8. Klasse der AHS einzuführen. Das ist unseres Erachtens viel zu spät.

Auch da haben wir andere Vorstellungen, die dahin gehen, dass wir ab der 5. Schulstufe ein eigenes Fach "Politische Bildung" an allen Schulen sicherstellen wollen, dass wir dafür die erforderlichen Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, dass wir entsprechende Lehrpläne entwickeln und sie öffentlich diskutieren wollen. Das wäre unserer Meinung nach der richtige Weg.

Anträge dazu wird Frau Kollegin Heinisch-Hosek einbringen. (Abg. Mag. Schweitzer: Ist das deine Nachfolgerin?) Ich darf damit meinen ersten Redebeitrag zu diesen Punkten beenden. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.11

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner ist Herr Abgeordneter Amon zu Wort gemeldet. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. (Abg. Dr. Khol: 15!)  – Bitte.

18.11

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe ja, Kollege Antoni, dass Sie nicht über das reden wollen, was hier geschehen ist, denn das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für


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die Sozialdemokratie, das kann ich Ihnen sagen! (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Dr. Papházy.  – Zwischenruf des Abg. Parnigoni. )

Ich bedauere es aber nicht nur der Sache wegen, die für die österreichischen Schülerinnen und Schüler, für die Lehrerinnen und Lehrer und auch für die Eltern wichtig gewesen wäre, sondern ich bedauere es auch, weil es offenbar nicht möglich ist, mit Ihnen konstruktive Gespräche zu führen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich möchte sehr gerne auf die Geschichte der ganzen Debatte über dieses Schulpaket eingehen, damit sich die Öffentlichkeit auch ein Bild davon machen kann, wie das denn gelaufen ist: Wir führen seit etwa einem halben Jahr eine detaillierte Debatte über die gesamten Vorlagen des Unterrichtsausschusses (Zwischenrufe der Abgeordneten Mag. Plank und Dr. Jarolim ), beginnend mit einem Entschließungsantrag zu den Verhaltensvereinbarungen und einer ersten Debatte darüber im Unterrichtsausschuss. Wir hatten dann ein Begutachtungsverfahren, wir hatten Parteiengespräche, und die Frau Bundesministerin selbst hat mit den Bildungssprechern der Parteien Gespräche geführt.

Wir haben dann zu einem Schulpartnerschaftsgespräch eingeladen. Ich erwähne das auch, weil die österreichische Bundesschulsprecherin dieser Debatte beiwohnt und es ja auch ein Wunsch der österreichischen Schülerinnen und Schüler war, dass es zu einer Lösung in diesen Bereichen kommt.

Wir hatten dann eine Regierungsvorlage, in der wir selbstverständlich auf die Anliegen, die von Seiten der Schulpartner gekommen sind, entsprechend Rücksicht genommen haben. Und jeder, der sich seriös den Begutachtungsentwurf und dann die Regierungsvorlage ansieht, wird feststellen, dass es gravierende Veränderungen gegeben hat. Wir waren aber noch immer bereit, über weitere Reformmaßnahmen Gespräche zu führen, die schließlich gestern am Nachmittag beziehungsweise bis in den Abend hinein ihren Höhepunkt gefunden haben.

Kollege Antoni, Sie waren ja heute Vormittag in Wahrheit nur steinerner Gast bei den Verhandlungen, denn es waren von Seiten der Sozialdemokratie ja nicht die Bildungssprecher am Wort, sondern offenbar die Parteitaktiker und die Parteipolitiker. Gestern, Kollege Antoni, haben wir gemeinsam mit den Klubobleuten eine Einigung gefunden. Unser Klubobmann hat die Anregung des Kollegen Brosz aufgegriffen und zu einem Parteiengespräch eingeladen. Und hier habe ich Ihre Unterschrift, Herr Kollege Antoni, im Original! (Der Redner hält eine Unterlage in die Höhe. – Abg. Schwarzenberger: Unterschrieben sogar! Was gilt eine Unterschrift, Kollege ...?) Die Unterschrift aller vier Bildungssprecher ist auf diesem Abänderungsantrag! (Abg. Dr. Khol: In Gegenwart aller Klubobleute!) Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Eine Unterschrift ist mindestens so viel wert wie ein Handschlag. Sie haben weder Unterschriftsqualität noch Handschlagsqualität! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: Leider! – Abg. Schwarzenberger  – eine Ausgabe des "Kurier" in die Höhe haltend –: "Nicht genügend, setzen!" – Der SPÖ-nahe "Kurier" schreibt das!)

Mir tut es wirklich aufrichtig Leid, dass Sie jetzt eine Darstellung geben, wonach wir nicht bereit gewesen wären, auch noch über die Punkte des Schulorganisationsgesetzes zu verhandeln, die jetzt hier zur Debatte stehen, bei denen es um die Frage der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der neunten Schulstufe, der Polytechnischen Schule, und um die Frage der Einführung des Faches "Politische Bildung" in der 7. Klasse der allgemein bildenden höheren Schulen geht. Vereinbart war doch, dass wir heute über diese beiden Punkte verhandeln! Sie haben dann am Vormittag, ohne uns vorab zu informieren, in der Öffentlichkeit kundgetan: All das, was wir gestern vereinbart haben, gilt nicht mehr. Wir müssen noch einmal über das Paket reden.

Ich sage Ihnen ehrlich: Es macht keinen Sinn, mit Ihnen zu verhandeln, wenn eine Unterschrift nicht einmal mehr eine Unterschrift ist! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Aber reden wir konkret zu den Vorlagen, die wir derzeit debattieren, reden wir über die Frage der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der 9. Schulstufe! Es ist ja eine eigenartige Vorgangsweise der Sozialdemokratie, dass sie zwar der Integration in der zehnten, elften, zwölften und so fort Schulstufe das Wort redet, aber bei der Integration in der


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neunten Schulstufe nicht zustimmen will. Das müssen Sie uns einmal erklären, Herr Antoni! Das sind Sie uns schuldig geblieben. Gehen Sie hier heraus und geben Sie uns eine Antwort auf die Frage, warum Sie es ablehnen, der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der neunten Schulstufe Ihre Zustimmung zu geben!

Sie lehnen es ab, das Fach "Politische Bildung" in der 7. und 8. Klasse der allgemein bildenden höheren Schule einzuführen, sagen aber zugleich, dass Sie das in der 5. und 6. Klasse der allgemein bildenden höheren Schule wollen. Erklären Sie uns bitte, warum Sie die "Politische Bildung" in der 7. und 8. Klasse der allgemein bildenden höheren Schule ablehnen wollen! (Abg. Parnigoni: ... wollen sie auch! Auch! ) Sie gehen davon aus, dass wir ein Wahlalter von 16 Jahren haben, das ist aber nicht der Fall! Das ist vielleicht in Ihrem Wunschdenken so, Faktum ist aber, dass derzeit später gewählt wird. Daher ist auch die Einführung des Faches "Politische Bildung" in der 7. und 8. Klasse der AHS in Verbindung mit dem Geschichtsunterricht eine sinnvolle Maßnahme. Sie werden all jenen, die seit vielen, vielen Jahren die Einführung der "Politischen Bildung" fordern, erklären müssen, warum Sie in dieser Frage Fundamentalopposition betreiben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Es ist wahrlich sehr problematisch, mit Ihnen Verhandlungen zu führen. Wir haben uns wirklich redlich bemüht. Es ist nicht so ... (Heiterkeit und Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ich weiß nicht, warum Sie das so komisch finden. Sie können nicht leugnen, dass wir diese Materie zweimal im Unterrichtsausschuss behandelt haben. Sie können nicht leugnen, dass es umfassende Parteiengespräche gegeben hat, dass die Frau Bundesministerin mit Ihren Bildungsverantwortlichen Gespräche geführt hat (Abg. Dr. Khol: Mit Gusenbauer!) und dass der Parteivorsitzende Gusenbauer erst letzte Woche angekündigt hat, welch großartigen Kompromiss es geben wird. – Alles nur Schall und Rauch! In Wahrheit wollen Sie Fundamentalopposition betreiben, machen einmal einen Salto vorwärts, dann wieder zurück ins Biedermeier, dann wieder vorwärts, und am Ende liegen Sie am Boden! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Faul: Biedermeier ist bei Ihnen!)

Ich bin ja geradezu froh, dass wir gestern nach der Einigung noch zu einem Pressegespräch geladen haben. Es wird ja möglich sein, sich die Aussagen des Dieter Antoni im O-Ton noch einmal sozusagen vor das geistige Auge zu holen, um zu hören, wie er dort sagt: Ja, er bestätigt, wir haben einen Kompromiss erreicht, und dass er froh ist über den Kompromiss und dass wir morgen nur noch über die Punkte "Politische Bildung" und Integration verhandeln. – Das ist sehr schön im O-Ton nachzuvollziehen. Ich möchte hier auch ausdrücklich sagen, dass Sie damit nicht nur Ihre Qualifikation als Regierungspartei abgegeben haben, sondern auch Ihre Qualifikation als Oppositionspartei! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Mag. Schweitzer: Das ist richtig!)

Hier geht es ja wahrlich um eine Sache, die von den Schulpartnern gewünscht war. Es wollten sowohl die Lehrervertreter als auch die Elternvertreter und die Schülervertreter nicht nur die Verhaltensvereinbarung, sondern sie wollten selbstverständlich auch die Einführung der "Politischen Bildung" und sie wollten selbstverständlich die Integration in der Polytechnischen Schule.

Ich möchte Ihnen auch sehr deutlich etwas dazu sagen, dass Sie ständig der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf über die neunte Schulstufe hinaus das Wort reden. Was wollen Sie damit erreichen? (Abg. Dr. Lichtenberger: Na, Entschuldigung!)  – Auch diese Antwort sind Sie uns bis heute schuldig geblieben. Geht es Ihnen darum, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit aller Gewalt bis zur Matura zu führen? Geht es Ihnen darum, diese Kinder mit aller Gewalt in einer Schule zu belassen, die sie nicht absolvieren können? (Zwischenruf der Abg. Mag. Lapp. )  – Wir setzen hier auf individuelle Maßnahmen. Wir glauben, dass es sinnvoll ist, ein Angebot zu machen, um auch behinderten Kindern – und ich spreche hier von geistig behinderten Kindern – die Chance zu geben, ein möglichst selbständiges, ein möglichst eigenständiges, ein möglichst eigenverantwortliches Leben führen zu können. (Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek. )

Darum geht es Ihnen offenbar nicht, denn die Integration von körper- und sinnesbehinderten Kindern ist selbstverständlich heute schon im gesamten Schulsystem, im gesamten Universi


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tätssystem möglich. Also tun Sie nicht immer so, als würden wir das nicht wollen! Selbstverständlich wollen wir hier Maßnahmen setzen, die, je nach Behinderung, für den Menschen auch zuträglich sind. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ich kann abschließend nur noch einmal an Ihre Vernunft appellieren, denn ich kenne ja den Kollegen Antoni und auch den Kollegen Niederwieser aus den Ausschussberatungen und halte sie an sich für konstruktive Bildungs- und Schulpolitiker. Ich bedauere aber zutiefst, dass irgendwann im Zuge der Debatte plötzlich das parteitaktische Kalkül offenbar die Oberhand gewonnen hat. (Abg. Mag. Schweitzer: Ja, so war es!) Plötzlich fand ich mich nicht mit dem Bildungssprecher in öffentlichen Diskussionen, sondern mit der Zentralsekretärin der SPÖ. Es war nicht der Bildungssprecher, der zur Bildungsministerin gegangen ist, sondern es war der Parteivorsitzende, der zur Bildungssprecherin gegangen ist, und es war nicht Dieter Antoni, der verhandelt hat, sondern es war Peter Kostelka, der heute verhandelt hat. Du, lieber Kollege Antoni, warst steinerner Gast bei den heutigen Verhandlungen.

Auf mein mehrfaches Insistieren gegenüber Klubobmann Kostelka, ob die Verhandlungsergebnisse von gestern gelten oder nicht, waren Sie nicht bereit, hier ein klares Ja zu sagen. Und wenn es nicht möglich ist, Verhandlungsergebnisse auch einzuhalten, dann macht es eigentlich relativ wenig Sinn – und ich glaube, das kann jeder nachvollziehen –, über weitere Punkte zu reden. Das ist sinnlos! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Khol: So ist es!)

Ich möchte hier aber ausdrücklich Herrn Kollegen Brosz erwähnen, der sich in sehr konstruktiver Art und Weise in diese Verhandlungen eingebracht hat, der ja auch die Einigung von gestern, die wir zustande gebracht haben, bestätigt hat, und das ist, glaube ich – wenn ich das so sagen darf –, der unverdächtigste Zeuge in dieser ganzen Angelegenheit. Sie von der SPÖ sitzen, wie es der "Kurier" von morgen schreibt, auf der Eselsbank.

Ich finde das bedauerlich, weil hier eine Chance vertan worden ist, zu einem konstruktiven Weg zurückzufinden und nicht Fundamentalopposition zu betreiben. Sie haben das Nein zum politischen Programm erhoben. Wittgenstein sagt: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." – Ihre Welt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ist verdammt klein geworden. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Khol: Bravo!)

18.22

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Brosz. Ihre Redezeit ist wunschgemäß auf 8 Minuten eingestellt. – Bitte.

18.23

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Hektische Tage liegen hinter uns. Ich möchte dennoch versuchen, es ein bisschen zu trennen. Da wir über das Schulunterrichtsgesetz und über die Verhaltensvereinbarungen nachher sprechen werden, versuche ich, mich jetzt einmal auf den Komplex zu konzentrieren, um den es vorher gegangen ist.

Ich möchte allerdings auf etwas eingehen, was Kollege Amon gebracht hat, nämlich auf die Frage, wie die Verhandlungen stattgefunden haben, und zwar nicht nur jene ab gestern, sondern auch jene bis zu diesem Zeitpunkt. Das stimmt aus meiner Sicht zum Teil, und zum Teil stimmt es nicht. Was stimmt, ist, dass es Gespräche im Unterrichtsausschuss gegeben hat. Auch speziell zu den Verhaltensvereinbarungen hat es einen informell geladenen Ausschuss mit Experten gegeben. Das ist so weit korrekt.

Das andere ist natürlich, dass das Materien sind, von denen große Teile einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, und an sich könnte man sich vorstellen, dass man, wenn man Zweidrittelmaterien einbringt, schon einmal im Vorfeld Verhandlungen über das, was da vorgelegt wird, führt. Bis zu den letzten Tagen hat es ja aus meiner Sicht auch so ausgeschaut, dass es zwar Gespräche, aber keine Verhandlungen gegeben hat. Das ist doch ein Unterschied. Man kann sich bei einem Gespräch natürlich anhören, was die anderen sagen, aber wenn man weiß, dass man eine Zustimmung braucht, dann wäre doch die Vorgangsweise, die zu wählen ist, aus meiner Sicht eine andere. Vielleicht kann man in Zukunft auch darauf Rücksicht nehmen, dass man ...


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(Abg. Mag. Schweitzer: Es hat sogar ein Verhandlungsergebnis gegeben! – Abg. Schwarzenberger: Mit einer Unterschrift sogar! – Abg. Böhacker: Ein guter Tag beginnt mit einer Unterschrift!)  – Ich habe nicht von gestern gesprochen, sondern von dem, was davor abgelaufen ist. Das war der Punkt.

Wir haben gestern verhandelt. Aber dass man gestern verhandeln musste – auf eine Initiative hin, die wir gesetzt haben –, obwohl man so lange Zeit hatte, ist schade. Diese Schritte, nämlich vorweg wirklich aktiv Verhandlungen im Sinn von einem Ringen um Formulierungen zu führen, sind von der Regierung nicht gekommen. Das wäre möglich gewesen, und dann wäre das Ganze vom Prozedere her vielleicht einfacher gewesen. – Gut. Soweit einmal zur Vorgeschichte.

Ich möchte mich jetzt auf das konzentrieren, worum es im Schulorganisationsgesetz geht. Ich möchte es trennen und zunächst die "Politische Bildung" ansprechen, wozu wir auch schon im Ausschuss gesagt haben, dass wir dieser "Politischen Bildung" so, wie sie vorliegt, zustimmen werden, und zwar aus einem relativ einfachen Grund: Wenn man sich anschaut, was verändert wird, dann sieht man, dass es eine sehr simple Änderung ist, die vorgenommen wird. Es wird nämlich der Titel des Faches "Geschichte und Sozialkunde" durch "Geschichte und Politische Bildung" ersetzt. Das ist der Inhalt dieses Gesetzestextes, und eine solche Änderung des Titels des Gegenstandes hat natürlich Folgen, wie das in allen anderen Bereichen auch der Fall ist, die logisch sind. Die Umsetzung der Ausbildung, des Lehrplanes hat Auswirkungen, wenn der Titel verändert wird.

Was wir nicht verstanden haben, ist, dass man eine inhaltliche Zustimmung gibt, dass man aber der Ausweitung nicht zustimmt. Es ist auch unsere Meinung, dass man damit früher beginnen soll, aber dass man dieses Zeichen in der 7. und 8. Schulstufe der AHS verweigert, wo es einen Sinn macht, wo es zumindest ein Fortschritt ist, wo es de facto seit vielen Jahren in Diskussion war, das war der Punkt, den wir nicht verstanden haben. Wir denken, es ist zielführend, einem Schritt, der vorwärts führt, auch zuzustimmen. Und das werden wir hier tun. (Beifall bei den Grünen.)

Etwas differenzierter beziehungsweise sehr differenziert ist unsere Position im Bereich der schulischen Integration. Da haben wir grundsätzlich eine sehr andere Auffassung, als es die Regierungsparteien haben. Ich möchte noch einmal darauf eingehen, weil ich glaube, dass es für die inhaltliche Auseinandersetzung relevanter und interessanter ist, allerdings möchte ich auch gleich noch einmal vorweg sagen, worum es hier geht:

Unsere Position, die in weiten Strecken identisch mit der der SPÖ ist, ist, dass wir eine Ausweitung der Integration auf die Bereiche mittlere beziehungsweise höhere berufsbildende Schulen und allgemein bildende Schulen haben wollen. Das ist unsere Zielvorstellung, und das ist das, wovon wir wollen, dass es hier eingebracht wird.

Faktum ist aber – das gab es in der Vergangenheit auch noch nicht; das ist ein Prozess, den wir vorschlagen wollen –: Es gab in der Vergangenheit Schulversuche, die, wenn man sich den Gesetzestext anschaut, jetzt im Prinzip eins zu eins übernommen werden sollen. Das heißt, das, was bisher auf Schulversuchsbasis möglich war, soll eins zu eins ins Regelschulwesen übernommen werden, wobei man sagen muss – und diese Tür ist nachher auch noch offen –, dass die Schulversuche, die nicht im Polytechnikum, sondern auch in anderen Schulen gelaufen sind, offenbar über eine andere Schulversuchsklausel genehmigt worden sind, nämlich nicht über den § 131, sondern – soweit mir jetzt mitgeteilt worden ist – über den § 7, die allgemeinen Schulversuche. Das kann in der Zukunft, so hoffen wir, auch noch möglich sein, auch wenn es hier nicht explizit drinnen steht.

Der Punkt ist nur, dass wir einen etwas anderen Ansatz haben, und das ist der Grund, warum wir jetzt wirklich mit Bauchweh zustimmen und diesen


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Abänderungsantrag einbringen, der unsere Zielvorstellung formuliert, nämlich den Abänderungsantrag, dass die Ziffer 30 entsprechend geändert werden soll.

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Brosz, Freundinnen und Freunde betreffend Bericht des Unterrichtsausschusses (610 der Beilagen) über die Regierungsvorlage 580 der Beilagen: Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz und die 12. Schulorganisationsgesetznovelle geändert werden

Ziffer 30 der im Betreff genannten Vorlage wird wie folgt geändert:

"§ 131a Absatz 1 lautet neu wie folgt:

§ 131a (1) Für die Erprobung von Maßnahmen zur Ermöglichung des gemeinsamen Unterrichtes behinderter und nichtbehinderter Kinder in Schulklassen können in allgemein- und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen Schulversuche durchgeführt werden."

*****

Genau das ist jetzt unser Ansatz. Wir sagen: Okay, es soll diese Übernahme dessen, was auf Schulversuchsbasis stattgefunden hat, ins Regelschulsystem geben. Wir werden dem zustimmen, aber nicht als Ausdruck dessen, dass wir meinen, dass das die einzige Form ist, die sinnvoll ist. Das Problem ist nur: Gibt es diese Beschlussfassung nicht und laufen die Schulversuche aus, dann kippt auch das Polytechnikum. Dann besteht zumindest die Gefahr, dass diese Integration nicht einmal mehr im Polytechnikum stattfindet. Und wir wollen ganz einfach nicht, dass das auch noch passiert.

Aber – und jetzt komme ich schon zum Schluss meiner Anmerkungen zur Integration – es gibt schon eine unterschiedliche Wahrnehmung, und damit spreche ich vor allem auch Frau Ministerin Gehrer an. Uns wird unterstellt, dass wir meinen, grundsätzlich ist jeder, der geistig behindert ist, in der Lage, zu einem Abschluss zu kommen, auf die Universität zu gehen oder was auch immer. – Das war nie das Bild, das wir vertreten haben, aber so wird es in der Öffentlichkeit dargestellt, und das finde ich schade, weil es an der Diskussion vorbeigeht.

Die Frage ist erstens: Bei verschiedenen Schülern gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Der sonderpädagogische Förderbedarf ist ja nicht bei allen gleich wahrzunehmen. Das geht von geistigen Behinderungen über Leistungsschwächen bis hin zu sehr unterschiedlichen Formen der Beeinträchtigung. Für diese Kinder ist es in sehr unterschiedlichem Ausmaß auch möglich, weitere Schulen zu besuchen, und zwar im Sinn dessen, dass sie auch wirklich den Lernerfolg erreichen. Bei berufsbildenden mittleren Schulen zum Beispiel kann ich mir durchaus vorstellen, dass es die Chance für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt, auch das Lernziel zu erreichen. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Bei den geistig behinderten Kindern, bei jenen, von denen Sie sagen, es sei für sie nicht möglich, das allgemeine Lernziel zu erreichen, würde ich schon zu bedenken geben: Es gibt doch auch andere Kriterien – das ist auch der Unterschied zur Auffassung von Kollegin Brinek –, und ich bin sehr wohl der Meinung, dass soziale Integration in diesem Bereich ein Gut an sich ist, dass es nicht nur darum geht, wirklich die Lernziele zu definieren, sondern dass es auch hier wieder in verschiedenen Fällen, je nachdem, wie es gewünscht wird, wie es die Betroffenen sehen, absolut Sinn machen kann, zu Integrationsmaßnahmen zu kommen, auch wenn die Lernzielkomponente nicht im Vordergrund steht.

Was wir wollen, ist, einfach die Möglichkeit zu schaffen, das aufzumachen, zu eröffnen. Nicht für alle. Es soll dann jeder das Recht auf Integration haben, aber es soll keine Pflicht zur Integration geben, wie Sie es jetzt darzustellen versucht haben. (Zwischenruf des Abg. Mag. Schweitzer. ) Ja, das Recht auf Integration. Richtig. Das ist der Punkt. (Abg. Mag. Schweitzer: Bringen Sie Vorschläge auch für Lernziele, Bildungsziele! Auch auf der dritten Leistungsstufe!) Lassen wir das jetzt! Das bringt jetzt da nichts. (Abg. Mag. Schweitzer: Das interessiert mich aber!) Ja, aber ich habe jetzt – es leuchtet schon das Licht – nicht noch eine Stunde Zeit, Ihnen das zu erklären. (Abg. Mag. Schweitzer: Das ist ja das Entscheidende an der Geschichte!)


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Ich habe Ihnen schon gesagt, ich würde sehr gerne in einer parlamentarischen Enquete über die Probleme, über das, was im Bereich der Integration ansteht, diskutieren, einmal alle Seiten hören, mit den Experten reden, mit den Betroffenen reden. Geben wir uns das ganz einfach! Hören wir uns an, was da gesagt wird! Schauen wir, was in den individuellen Fällen als sinnvoll erachtet wird! Das wäre eine Möglichkeit. Wenn Sie sich jetzt daran stoßen und das verweigern, dann muss ich das auch zur Kenntnis nehmen, aber wir halten das nicht für wirklich sinnvoll.

Abschließend komme ich zu den Körper- und Sinnesbehinderten, und es ist mir schon auch wichtig, hier eine Differenzierung vorzunehmen. Es wird immer so dargestellt, als hätten die kein Problem, sie können ohnehin alles machen in Österreich. Körper- und Sinnesbehinderte haben vom Gymnasium bis zur Universität die Möglichkeit, integriert zu werden. Faktum ist: Es ist leider nicht so. Faktum ist: Es wurde schon – leider, muss ich sagen – vor ein paar Jahren, noch in Zeiten der alten Regierung, der § 8 (3) des Schulpflichtgesetzes verändert, der vorgesehen hat, dass es für Körper- und Sinnesbehinderte explizit auch im Bereich der Sekundarstufe, also nicht nur in der Volksschule, einen sonderpädagogischen Förderbedarf gibt, Unterstützung gibt.

Wir haben eine ganze Latte von Briefen bekommen, in denen sich Betroffene darüber beklagen, dass es für ihre sehbehinderten, für ihre hörbehinderten Kinder keine Unterstützungsmaßnahmen mehr gibt. Sie haben das, was sie früher an zusätzlichen Stunden bekommen haben, auf Grund der Einsparungen nicht mehr bekommen. Das ist gefallen, und deshalb haben wir auch den Antrag gestellt, dass das im Bereich der Sekundarstufe wieder eingeführt wird. Das ist der Antrag, der heute vorliegt, der aber leider von den Regierungsparteien abgelehnt wurde.

Genau in diesem Bereich würde ich mir wirklich gerne anschauen, wie das ausschaut, wie die Situation bei Körper- und Sinnesbehinderten ist. Es gibt Beispiele von blinden Kindern. Oder auch all die räumlichen Probleme: Ich kenne jede Menge Schulen, wo es unmöglich wäre, dass der Unterricht besucht wird. Es gibt viele Gymnasien, wo es für einen Rollstuhlfahrer gar nicht möglich ist, in die Klassen zu kommen.

Daher kann man nicht sagen, es ist alles da. Es gibt vielleicht keinen Förderbedarf an sich, aber es wäre wirklich ein Maßnahmenpaket erforderlich, um zu Integration zu kommen, um die Möglichkeit dafür zu eröffnen. Das ist es, was wir wollen. Schauen wir uns das in Form einer parlamentarischen Enquete an! Schauen wir, wo die Probleme liegen, und versuchen wir, dann wirklich adäquate Lösungen zu finden! (Beifall bei den Grünen.)

18.33

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Schweitzer. Die Uhr ist wunschgemäß auf 8 Minuten eingestellt. – Bitte.

18.33

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es soll heute eine Übernahme der Integration ins Regelschulwesen beschlossen werden, also eine Forderung erfüllt werden, die auch von der SPÖ erhoben wird, aber die SPÖ wird dem nicht zustimmen. (Abg. Böhacker: Peinlich!)

Kollege Cap, was ist da los? Das ist irgendwie unverständlich, wenn hier etwas beschlossen werden soll, was Sie fordern, aber Sie stimmen dem nicht zu. Ist das der neue Stil des SPÖ-Klubs unter Ihrer Führung? War das, was wir gestern bei der Dringlichen von Ihnen gehört haben, ein Vorgeschmack? War das, was wir heute von Ihnen gesehen haben, wie Sie dem verehrten Kollegen Antoni in den Rücken gefallen sind, ein Vorgeschmack auf das, was unter Ihrer Führung in diesem Klub passieren wird? (Abg. Heinisch-Hosek: Das ist Demokratie! Im Gegensatz zu Ihnen!) Ich bin ja Gott sei Dank nicht in diesem Klub, Kollege Cap. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Heinisch-Hosek: Gott sei Dank! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Aber, Herr Kollege Brosz, versuchen wir, die Diskussion über die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu führen. Dabei hat es interessanterweise – und das ist nicht mir zuzuschreiben, sondern ich zähle das einfach nur auf – unterschiedliche Bezeichnungen gegeben, und es hat eine interessante Abänderung der Bezeichnungen stattgefunden.


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Diese haben sich von "verhaltensgestörten" über "verhaltensauffällige" bis hin zu "verhaltensoriginellen" Kindern weiterentwickelt.

Ich glaube, dass es auch für den "verhaltensoriginellen" Schüler (Abg. Haigermoser: Der Pirklhuber ist auch verhaltensoriginell!) nicht wirklich möglich ist, das grundsätzliche Bildungsziel in einer AHS, nämlich die Studierfähigkeit, zu erreichen. Das ist meine persönliche Auffassung. Und ich glaube auch, dass es für viele nicht möglich ist, das Bildungsziel in einer BHS – Studierfähigkeit oder Berufsfähigkeit – zu erreichen.

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass behinderte Schülerinnen und Schüler in Einzelfällen Teilziele erreichen können, vorausgesetzt, man lässt ihnen genügend Zeit. (Abg. Dr. Lichtenberger: Von welchen Behinderungen reden Sie?) Schulversuche in einjährigen Schulen haben gezeigt, dass mit einer hundertprozentigen Zeiterstreckung, Frau Kollegin Lichtenberger, Teilerfolge erreicht werden können. Aber das ist es dann schon. (Abg. Dr. Lichtenberger: Von welchen Behinderungen reden Sie?) Wir reden von der geistigen Behinderung, weil Körper- und Sinnesbehinderte natürlich alle Möglichkeiten im AHS- und BHS-Bereich haben. (Abg. Dr. Lichtenberger: Das ist nicht wahr!) Das ist klar und muss ein für alle Mal klar bleiben, Frau Kollegin. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Es geht hier eindeutig um die geistige Behinderung. Das bedeutet aber, dass im Bereich der AHS und der BHS eine Integration, so wie sie von Ihnen und von der SPÖ gefordert wird, nicht möglich ist. (Abg. Dr. Lichtenberger: Das stimmt nicht! – Abg. Heinisch-Hosek: Das stimmt nicht!)

Es gibt Untersuchungen dazu, und ich zitiere aus einer: "Die Erreichbarkeit der Ausbildungsziele ist auf Grund der hohen Ansprüche sowie der nötigen Abstraktion, die ein Folgen des Unterrichts voraussetzt, bei geistig und mehrfach Behinderten nicht gegeben. Auch ein Erreichen von Teilfähigkeit ist höchst unwahrscheinlich. Es wäre sogar" – jetzt hören Sie gut zu! – "kontraproduktiv, Behinderte permanent mit dem eigenen Scheitern zu konfrontieren, wenn man Anforderungen einer AHS oder BHS an sie stellt."

"Es wäre" – und das wiederhole ich im Interesse der Kinder, die Sie, so habe ich den Eindruck, manchmal zwangsbeglücken wollen – "sogar kontraproduktiv, Behinderte permanent mit dem eigenen Scheitern zu konfrontieren." – Das heißt also, es ist – und das sagen uns Experten – das, was Sie verlangen, auch im Interesse der Kinder nicht sinnvoll. (Abg. Dr. Lichtenberger: Was sinnvoll ist, definiert der Kollege Schweitzer!)

Bleibt noch ein anderer Bereich: Das ist die Integration im Bereich der Fachschulen, die Sie auch fordern. Damit das überhaupt möglich ist, muss – das müssen wir zur Kenntnis nehmen – die Wirtschaft erst Teilfähigkeiten anerkennen. Abschlüsse an einer Fachschule sind für Integrationsschüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf – damit wir beim richtigen Ausdruck bleiben – kaum erreichbar, Frau Kollegin. (Abg. Heinisch-Hosek: Das muss man auch definieren können!) Es ist eine Diskussion darüber auch gar nicht zu führen, weil die Voraussetzungen von der Wirtschaft noch gar nicht geschaffen wurden. (Zwischenruf der Abg. Dr. Lichtenberger. )

Nun habe ich Sie im Ausschuss gefragt – nicht Sie, Sie waren ja nicht dabei, Frau Kollegin Lichtenberger, aber ich habe Ihre Kollegen gefragt –: Wie stellen Sie sich das vor? Wie definieren wir die Lernziele dann? Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen diese Integrationsschüler dann erwerben können, erwerben müssen? Welchen Lehrplan werden Sie Ihren Forderungen zugrunde legen? (Abg. Heinisch-Hosek: Wissen Sie das nicht?) Wie soll eine allfällige Beurteilung aussehen? Was passiert nach der Matura mit diesen Integrationsschülern? Wie geht das dann auf der Uni weiter?

Sie wollen ja offensichtlich nach oben hin alles möglich machen. Dann müssen Sie aber auch sagen, wie und unter welchen Rahmenbedingungen man das vor anderen auch argumentiert und erklärt. Sie kommen ja dann noch hier heraus und sprechen dazu. Geben Sie mir eine Antwort auf die Frage: Muss ein Behinderter auch in der ersten oder zweiten Leistungsstufe einer Hauptschule sein oder kann er aus der dritten Leistungsstufe dann direkt in die AHS oder BHS einsteigen? Geben Sie mir einmal eine Antwort, wie Sie das regeln wollen.


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Sie haben hier Forderungen aufgestellt, ohne über die Durchführung nachgedacht zu haben, und das ist zu wenig. Damit aber trotz dieser unverständlichen Forderung einerseits und Ihrer unverständlichen Haltung gegenüber dem, was von der Regierung geplant ist, andererseits eine Integration weiterhin gesichert ist, Frau Kollegin, gebe ich Ihnen die Möglichkeit, einem Entschließungsantrag zuzustimmen, der da lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Amon MBA, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend Fortsetzung der Schulversuche zur Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Polytechnischen Schule

"Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird ersucht, die bisher geführten Schulversuche zur Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Polytechnischen Schule fortzusetzen, damit diesen Schülern ein ihren Fähigkeiten entsprechendes Bildungsangebot im gesamten Bereich der allgemein bildenden Pflichtschulen angeboten werden kann."

*****

Ich bin neugierig, ob Sie diesem Antrag zustimmen.

Und weil uns im Gegensatz zur SPÖ auch die Politische Bildung ein Anliegen ist, ein weiterer Antrag, dem Sie dann zustimmen können, Frau Kollegin:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Schweitzer, Amon MBA und Kollegen betreffend Politische Bildung

"Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird ersucht, als flankierende Maßnahme zur Einführung der Politischen Bildung in der 7. und 8. Klasse der AHS eine umfassende Information und Einschulung der Lehrer auf die neue Bildungsaufgabe vorzusehen und bereits im kommenden Schuljahr einen entsprechenden Schwerpunkt in der Lehrerfortbildung zu setzen.

Die Bundesministerin wird weiters ersucht, für die Ausbildung der Lehrer an höheren Schulen im derzeit in parlamentarischer Behandlung stehenden Universitäts-Studiengesetz die erforderlichen Adaptierungen hinsichtlich der Bezeichnung des Lehramtes vorzunehmen."

*****

Ich lade Sie höflich ein, diesen Anträgen zuzustimmen, und erinnere den Kollegen Cap an die seinerzeitige Abstimmung zum § 209. Sie erinnern sich: Wir haben einen Antrag auf Senkung des Alters auf 16 Jahre eingebracht. Sie haben dagegen gestimmt – mit dem Ergebnis, dass Sie nichts erreicht haben von dem, was Sie wollten.

Ich hoffe, dass Sie daraus gelernt haben und heute versuchen, gemeinsam mit uns einen weiteren Schritt zu gehen, der vernünftig ist. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

18.42

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Die beiden soeben verlesenen Entschließungsanträge der Abgeordneten Schweitzer, Amon und Kollegen sind ausreichend unterstützt und stehen daher mit in Verhandlung.

Bei dieser Gelegenheit trage ich nach, dass der vom Vorredner eingebrachte Abänderungsantrag der Abgeordneten Brosz, Freundinnen und Freunde ebenfalls ausreichend unterstützt ist und mit in Verhandlung steht.


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Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesminister Gehrer. – Bitte, Frau Bundesminister.

18.42

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Herrn Kollegen Antoni zu dieser Debatte über die Integrationsmöglichkeit für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf hat mich wirklich sehr betroffen gemacht; betroffen deswegen, weil ich glaube, dass wir in diesem Bereich, in diesem sehr sensiblen Bereich auf eine sachliche Basis zurückkommen sollten. Sie sprechen davon, dass wir, diese Regierung, die Kinder diskriminieren. Wir diskriminieren niemanden! Wir wollen gerade den Kindern, die ein spezielles Handicap haben, die bestmögliche Förderung und die bestmögliche Unterstützung geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Sie haben davon gesprochen, dass vor acht Jahren die Integration in die Regelschule endlich erreicht worden ist und damit diese Segregation ein Ende hat. Ich möchte wirklich einmal bitten, nicht immer die Sonderschulen und die Sonderschullehrer zu diskriminieren, die beste Arbeit leisten, die sich tagtäglich für ihre Schüler und Schülerinnen einsetzen.

Ich möchte auch klarstellen, dass ein Kind – egal, ob es in einer Förderklasse an einer Sonderschule oder ob es in einer Integrationsgruppe an einer Volksschule, an einer Hauptschule unterrichtet wird – immer nach einem Sonderschullehrplan unterrichtet wird, weil es notwendig ist und weil es nicht zielführend wäre, das Kind nach dem Lehrplan der Volksschule, nach dem Lehrplan der Hauptschule zu unterrichten.

Ich bitte Sie auch, einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass Kinder mit Teilleistungsschwächen, wie Sie immer sagen – ob das Legastheniker sind oder ob es Kinder sind, die eine Rechenschwäche haben –, nicht mit sonderpädagogischem Förderbedarf versehen werden. Sie erhalten Förderungen in der Schule, und viele von diesen Kindern kommen bis zur Matura. Wir haben sogar ein eigenes Rundschreiben gemacht, dass man darauf besondere Rücksicht nehmen soll.

Das heißt, Kinder, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, sind entweder sinnesbehinderte Kinder, körperbehinderte oder geistig behinderte Kinder. Sinnesbehinderte Kinder und körperbehinderte Kinder können dann, wenn sie das Schulziel erreichen, in jede weiterführende Schule gehen.

Wir schaffen auch die Voraussetzungen dafür, und zwar dort, wo es notwendig ist. Wozu muss man in jeder Schule einen Treppenlift einbauen? Wir machen es dann, wenn wir ein körperlich behindertes Kind an dieser Schule haben. Wir haben eine eigene Handelsakademie und Handelsschule in Wien für körperbehinderte junge Menschen! Ich bitte Sie, das wirklich zur Kenntnis zu nehmen. (Abg. Haidlmayr: Das ist auch eine Sonderschule! Das muss abgeschafft werden!)

Meine Damen und Herren! Ich bin der Überzeugung, dass wir den jungen Menschen jene Ausbildung geben müssen, die ihren Fähigkeiten entspricht, dass Integration nicht etwas ist, was ganz eng nur auf die Schule hin gesehen werden kann. Es muss doch unser Anliegen sein, dass wir den jungen Menschen, gerade denen, die eine geistige Behinderung haben, die Integration ins Leben, in die Gesellschaft, in eine berufliche Tätigkeit ermöglichen.

Diese Integration wird durch sehr viele Projekte unterstützt, die vom Arbeitsmarktservice, die von "Jugend am Werk" in ganz Österreich angeboten werden.

Vom Arbeitsmarktservice wird auch die Anlehre als Versuch angeboten. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Sozialpartner, speziell die Vertreter der Arbeiterkammer, speziell die Vertreter der SPÖ, sich dazu durchringen könnten, dieser Anlehre, die gerade für Kinder mit Defiziten ein besonderes Angebot zur Ausbildung zu einem qualifizierten Helfer darstellt, endlich die Zustimmung zu geben! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Wir haben die Arbeitsassistenz, die berufliche Betreuung, die Berufsorientierung, die Berufsqualifizierung, Beschäftigungsprojekte, Job-Coaching und vermittlungsunterstützende Maßnahmen – all das für Kinder mit Defiziten, die vielleicht neun Jahre, zehn Jahre oder elf Jahre lang


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mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgebildet worden sind. Sie wissen ganz genau, dass in einer Sonderschule die Kinder auch noch ein elftes Jahr absolvieren und eine Berufsvorbereitung bekommen können.

Wir haben zusätzliche Maßnahmen im Rahmen der Behindertenmilliarde: die Einrichtung von Clearing-Teams, die gemeinsam mit Betroffenen individuelle Maßnahmenpakete festlegen; Nachreifungs- und Qualifizierungsprojekte für Schulabgängerinnen und -Abgänger aus diesem Bereich: Job-Coaching.

Ich möchte Ihnen einmal zeigen, was allein vom AMS in Wien angeboten wird: 125 einfache Hilfs- und Anlernberufe, Ausbildungsangebote, die für die jungen Menschen, die ein Defizit haben, beste Ausbildungsangebote sind und die ihnen die Chance geben, in eine Tätigkeit hineinzuwachsen, in die Gesellschaft hineinzuwachsen (Abg. Dr. Petrovic: In die Gesellschaft nicht!), integriert zu werden.

Was ist es denn, was die Eltern möchten, die ein Kind mit einer geistigen Behinderung haben? Sie möchten die Sicherheit haben, dass dieses Kind auch dann, wenn die Eltern einmal nicht mehr leben, eine Tätigkeit hat und akzeptiert ist (Abg. Dr. Petrovic: Gilt das für die anderen Kinder nicht?), dass dieses Kind später auch ohne Eltern die Chance hat, versichert zu sein und eine Pension zu erhalten. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Auch die Aussage, dass die Integration in die Regelschule das einzig wirklich gute Angebot ist, ist so nicht richtig. Es ist auch die Sonderschule eine Regelschule. Ich bitte, das endlich zur Kenntnis zu nehmen! Es arbeiten in Österreich 8 200 Lehrer mit speziellen Ausbildungen für 25 000 Schüler mit sonderpädagogischen Förderungsnotwendigkeiten. Das heißt, 12 Prozent der gesamten Lehrerschaft aus dem Pflichtschulbereich werden für 3,5 Prozent der Kinder, die es notwendig haben, eingesetzt. Ich möchte diesen Lehrerinnen und Lehrern im sonderpädagogischen Bereich ganz besonders danken! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Das Anliegen, Integrationsgruppen für die Berufsorientierung, für die spezielle Berufsvorbildung für Kinder mit geistigen Behinderungen in der Polytechnischen Schule zu ermöglichen, und zwar gesetzlich zu ermöglichen, war immer ein Anliegen von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPÖ. Wir haben jetzt den Gesetzentwurf vorgelegt. Es stimmt mich traurig, dass Sie diesem Anliegen, Ihrem Anliegen, heute die Zustimmung verweigern. Ich werde aber dafür sorgen, dass mit Schulversuchen dieses wichtige und gute Angebot auch in Zukunft weitergeführt wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

18.50

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter DDr. Niederwieser. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

18.50

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Kollege Amon hat in seiner Rede (Abg. Schwarzenberger: Eine gute Rede!) die Tür für weitere Verhandlungen über andere Materien nicht nur zugemacht, er hat sie auch ganz kräftig zugenagelt. Ich frage mich, ob es wirklich im Interesse unseres Landes ist, wenn die Regierungsparteien hergehen und sagen: Mit der SPÖ wird nicht mehr verhandelt – obwohl Sie genau wissen, dass Sie uns immer wieder brauchen werden. (Abg. Dr. Trinkl: Wenn Sie nicht Wort halten können!) Sie sollten also, auch wenn ein Verhandlungsergebnis nicht so aussieht, wie Sie es sich vorstellen, im gemeinsamen Interesse vorsichtig damit sein, zu sagen: Mit euch reden wir nicht mehr. (Abg. Amon, MBA: Wenn Sie wissen, was Sie wollen!) Denn das ist der schlechteste Weg, den Sie gehen können. Davon kann ich Ihnen nur abraten. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir vom Verhandeln reden ... (Abg. Amon, MBA, ein Dokument in die Höhe haltend: Was ist denn das, Kollege Niederwieser, wenn Sie in Verhandlungen ...?) Kollege Amon! Seit 16. Mai, seit der Sitzung des Unterrichtsausschusses, kennt die Regierung unsere Position, und zwar


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ganz exakt. Wir haben in der Unterrichtsausschusssitzung, in der übrigens von Ihrer Seite wenige Diskussionsbeiträge vorgebracht wurden, die Positionen klargemacht.

Es gibt in diesen Gesetzen einen Bereich, der nach wie vor Konsens findet. Das sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen, dass hier beträchtlichen Teilen auch zugestimmt wird, etwa in der Schülermitbestimmung oder im Bereich des Repetierverbotes und dergleichen mehr. Das stecken Sie einfach weg und sagen: Wir lehnen alles ab. – Das sind wirklich Halbwahrheiten, die hier zutage kommen. (Abg. Amon, MBA: Das ist nicht mehr so klar, was Sie ablehnen! Das ist relativ schwer nachzuvollziehen!)

Dann haben wir gesagt: Verhaltensvereinbarungen – nein! Integration in dieser Form – nein! Und über das Fach "Politische Bildung" haben wir weitergehende Vorstellungen. Das war am 16. Mai dieses Jahres. (Abg. Dr. Brinek: Und was war gestern?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann hat es bis gestern Vormittag gedauert, bis sich die Regierung dazu bequemt hat – vielleicht noch dazu angestoßen –, zu sagen: Jetzt sollten wir doch mit der Oppositionspartei verhandeln. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)  – Sie haben es nämlich zuerst mit Druck und öffentlicher Diffamierung unsererseits versucht. Du selbst, Kollege Amon, hast uns in dieser Fernsehdiskussion unterstellt, wir wären gegen die Integration in der 9. Schulstufe. Aber du weißt haargenau, dass das nicht stimmt (Abg. Amon, MBA: Dann stimmt zu!), sondern dass wir gesagt haben: in dieser Form in der 9. Schulstufe nicht, weil das viel zu eng ist. Ich werde noch begründen, weshalb das zu eng ist. (Abg. Amon, MBA: Also seid ihr dagegen!)

Herr Abgeordneter Khol hat uns Fundamental-Opposition vorgeworfen. Sie haben es mit Druck versucht, aber Sie haben festgestellt, dass sich die SPÖ nicht unter Druck setzen lässt. Damit kommen Sie nicht weit. (Beifall bei der SPÖ.)

Dann sind Sie und Kollege Schweitzer in die Rolle des, ich möchte einmal sagen, Rosinenpickers hineingeschlüpft, und Sie haben gesagt: Schauen wir einmal, was wir der SPÖ da herauspicken können; wir verhandeln über das ganze Paket, haben Sie gesagt.

Als Sie aber das, was für Sie wichtig war, nämlich die Verhaltensvereinbarungen, unter Dach und Fach hatten, sind die Verhandlungen auf heute verschoben worden. Als wir nun über jene Punkte verhandeln wollten, die uns wichtig sind (Abg. Mag. Schweitzer: Du warst gar nicht dabei!), nämlich die Integration und die politische Bildung, sind Verhandlungen darüber abgelehnt worden. (Abg. Mag. Schweitzer: Er war ja gar nicht dabei!) Du selbst hast gesagt, es ist abgelehnt worden, darüber zu verhandeln. (Abg. Mag. Schweitzer: Du warst ja gar nicht dabei!) Du selbst hast hier gesagt: Das ist abgelehnt worden. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Amon, MBA: Sie sagen die Unwahrheit! Das wissen Sie! – Abg. Mag. Schweitzer: ... die Wahrheit nicht sagen traut! – Weitere Zwischenrufe.)

Ihr habt gehabt, was ihr wolltet, und darüber, was uns wichtig ist und was im Interesse der behinderten Kinder wichtig gewesen wäre, ist nicht mehr weiter verhandelt worden. Das ist bedauerlich. Das ist kein fairer Verhandlungsstil (Abg. Dr. Jarolim: Aber typisch!), und aus einem so unfairen Verhandlungsstil werden wir unsere Schlüsse ziehen. Für meinen Teil kann ich nur sagen: Wenn es um die Verhandlungen im Wissenschaftsbereich geht, werde ich es mir lange überlegen, bevor ich endgültig ja sage, und werde nicht nur zu irgendeinem Teil ja sagen, sonst wird das wieder herausgenommen, und alles andere, was uns wichtig ist, fällt unter den Tisch. So kann man nicht faire Verhandlungen führen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Thema Integration: Ich darf aus einem Brief von "Integration Österreich" einen Satz vorlesen, den Sie alle kennen, weil Sie diesen Brief ebenfalls bekommen haben. Es ist ein Brief an die Frau Bundesminister vom 28. Mai, der in Abschrift an alle Abgeordneten gegangen ist und in dem gesagt wird, worum es geht. Darin heißt es: Die Weiterführung der Integration nur an der Polytechnischen Schule ist als absoluter Rückschritt bildungspolitischer Maßnahmen zu bezeichnen.


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Ähnlich haben ja viele andere argumentiert. Ich darf hier als Beispiel nur eine weitere Stellungnahme nennen, nämlich die vom österreichischen Städtebund: Es ist aber auch die Integration in berufsbildenden Schulen zu ermöglichen. Es kann daher nur zugestimmt werden, wenn zumindest die Schulversuche im § 131a weiterhin möglich sind.

Das war auch unsere Position. Sie kennen unsere weitergehende Position. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, dass wir gesagt haben: die ganze Palette. Aber das Mindeste wäre gewesen, auch weiterhin Schulversuche zu ermöglichen und das nicht nur auf die Polytechnischen Schulen zu konzentrieren.

Das kommt mir so vor – lassen Sie mich einen Vergleich anstellen –, wie wenn Sie sagen würden: Ich habe hier 50 Kinder, die zur Schule gebracht werden müssen, aber nur einen Bus mit 20 Sitzen; dort zwänge ich sie hinein, obwohl sie nur mehr Stehplätze haben. Dann sagen wir: Nein, diese Lösung ist für uns keine gute Lösung, die lehnen wir ab. Daraufhin erwidern Sie: Wieso lehnt ihr ab? Das ist doch immerhin etwas!

Das ist eine schlechte Lösung. Es ist ein Rückschritt gegenüber dem, was bisher Realität ist. Wir haben derzeit in ganz Österreich rund 500 Kinder in verschiedenen Formen an berufsbildenden mittleren Schulen integriert. Was werden Sie diesen Kindern im Herbst dieses Jahres sagen, wenn das alles nicht mehr stattfinden kann? – In allen Bundesländern findet das derzeit in vielen berufsbildenden mittleren Schulen statt. Das alles wird abgeschnitten und beendet. (Abg. Amon, MBA: Sie sollten sich endlich Gedanken darüber machen, was Sie wollen!)

Daher bringen wir die zwei folgenden Abänderungsanträge ein:

Abänderungsantrag

des Abgeordneten Antoni und GenossInnen betreffend den Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage 580 der Beilagen betreffend eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes und der 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle (610 der Beilagen) betreffend Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in berufsbildenden Pflichtschulen und berufsbildenden mittleren Schulen

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

In Art. 1 wird folgende Z 18a eingefügt:

"18a.

§ 46 (4) lautet:

"(4) Unter Beachtung des Prinzips der sozialen Integration ist bei Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine den Aufgaben der Berufsschule entsprechende Bildung anzustreben. Die Ausbildung soll die Schüler zur Ausübung des gewählten Lehrberufs befähigen."

§ 47 (5) lautet:

"(5) Für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf findet der Lehrplan der Berufsschule insoweit Anwendung, als erwartet werden kann, dass ohne Überforderung die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Unterrichtsgegenstandes grundsätzlich erreicht wird."

§ 50 (1) lautet:

"(1) Der Unterricht in den Berufsschulklassen ist durch Fachlehrer zu erteilen. Für den Unterricht von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf hat die Ausführungsgesetzgebung den Einsatz entsprechend ausgebildeter Lehrer zusätzlich vorzusehen. Für einzelne Unterrichtsgegenstände dürfen mit ihrer Zustimmung auch Lehrer eingesetzt werden, die keine besondere Ausbildung zur sonderpädagogischen Förderung besitzen."


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§ 52 (3) lautet:

"(3) Unter Beachtung des Prinzips der sozialen Integration ist bei Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine den Aufgaben der jeweiligen Art der berufsbildenden mittleren Schule (§ 54) entsprechende Bildung anzustreben."

§ 55a (3) lautet:

"(3) Für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf finden die Lehrpläne der jeweiligen Art der berufsbildenden mittleren Schule (§ 54) insoweit Anwendung, als erwartet werden kann, dass ohne Überforderung die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Unterrichtsgegenstandes grundsätzlich erreicht wird."

§ 56 (1) lautet:

"(1) Der Unterricht in den Klassen der berufsbildenden mittleren Schulen ist durch Fachlehrer zu erteilen. Für den Unterricht von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind entsprechend ausgebildete Lehrer einzusetzen. Für einzelne Unterrichtsgegenstände dürfen mit ihrer Zustimmung auch Lehrer eingesetzt werden, die keine besondere Ausbildung zur sonderpädagogischen Förderung besitzen.""

*****

Es tut mir Leid, dass das etwas länger gewesen ist, aber es sagt inhaltlich genau das, was wir wollen. Das wäre die Übernahme der erfolgreichen Schulversuche im Bereich der berufsbildenden mittleren Schulen in das Regelschulwesen, die konsequente Ausführung jener positiven Erfahrungen, die bereits seit Jahren vorliegen. (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt den Vorsitz.)

Wenn Sie sich aber nicht dazu entschließen können, dem zuzustimmen, dann wollen wir zumindest den § 131a retten. Daher bringe ich folgenden Abänderungsantrag zu § 131a ein:

Abänderungsantrag

des Abgeordneten Antoni und GenossInnen betreffend den Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage 580 der Beilagen betreffend eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes und der 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle (610 der Beilagen) betreffend Schulversuche an Polytechnischen Schulen, berufsbildenden Pflichtschulen und berufsbildenden mittleren Schulen

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

In Art. 1 lautet die Z 30:

"30. § 131a samt Überschrift lautet:

"Schulversuche zum gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder an Polytechnischen Schulen, berufsbildenden Pflichtschulen und berufsbildenden mittleren Schulen

§ 131a. (1) Für die Erprobung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines gemeinsamen Unterrichts behinderter Kinder und nicht behinderter Kinder an Polytechnischen Schulen, berufsbildenden Pflichtschulen sowie berufsbildenden mittleren Schulen können Schulversuche durchgeführt werden.

(2) Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen sind Unterrichtsformen und Differenzierungsmaßnahmen zu erproben, die ein größtmögliches Ausmaß an gemeinsamen Lernprozessen ermöglichen. Hiebei ist bei Bedarf ein zusätzlicher sonderpädagogisch qualifizierter Lehrer heranzuziehen.


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(3) (Grundsatzbestimmung) Für Polytechnische Schulen und berufsbildende Pflichtschulen gilt der letzte Satz des Abs. 3 als Grundsatzbestimmung.

(4) Schulversuche im Sinne des Abs. 1 können ab dem Schuljahr 2001/02 solange begonnen werden, als dies für die Aufnahme behinderter Kinder erforderlich ist.""

*****

Das heißt: bis zur Übernahme ins Regelschulwesen.

Wir hoffen, dass damit eine Möglichkeit eröffnet wird, hier doch noch einen Schritt weiter zu gehen und das, worüber eigentlich Konsens bestand, dass es für behinderte Kinder gemacht werden kann, tatsächlich in das Gesetz hineinzuschreiben.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für Vernunft ist es noch nicht zu spät. Daher ersuchen wir Sie: Stimmen Sie diesen Anträgen zu! (Beifall bei der SPÖ.)

19.00

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die beiden vorgetragenen Abänderungsanträge sind ausreichend unterstützt, sie stehen in ausreichendem inhaltlichem Zusammenhang mit der Verhandlungsmaterie und stehen daher auch mit in Verhandlung beziehungsweise zur Abstimmung.

Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer. – Bitte.

19.00

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich muss eine Klarstellung vornehmen. Herr Abgeordneter Niederwieser hat davon gesprochen, dass 500 Jugendliche mit Behinderungen in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen in Schulversuchen sind. – Das stimmt nicht!

Es sind 500 sinnesbehinderte, körperlich behinderte Kinder in unseren weiterführenden Schulen, in den Gymnasien, in den HTLs, in den HAKs, in den berufsbildenden mittleren Schulen, in den Handelsschulen. Das sind keine Schulversuche. Diese Schüler und Schülerinnen sind ganz normale Schüler und Schülerinnen dieser Schulen. Es endet daher auch das schulische Angebot für diese Kinder nicht, weil sie vollkommen regulär in diesen Schulen sind und selbstverständlich weiter in diese Schulen gehen können.

Es gibt Schulversuche an Polytechnischen Schulen, und ich werde sie als Schulversuche weiterführen. Es gibt Schulversuche in einjährigen Haushaltungsschulen, diese werden wir evaluieren. Sie sind genehmigt und werden, solange die Genehmigung läuft, selbstverständlich weitergeführt; wenn sie sinnvoll sind, wird damit weitergemacht werden. Es gibt Schulversuche zur Anlehre, die Sie immer verhindert haben. Wir haben auch in den Berufsschulen spezielle Angebote eingerichtet. Ich halte das für sehr sinnvoll, und auch diese werden wir weiterführen.

Es stimmt aber nicht, dass 500 Jugendliche mit Behinderungen an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen im kommenden Schuljahr nicht mehr weiter dort hingehen können. Sie können selbstverständlich weiter diese Schulen besuchen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Achatz: Eine Blamage, Herr Niederwieser! Eine ordentliche Blamage! Unwissen!)

19.02

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Brinek. – Bitte.

19.02

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich bin sehr dankbar für diese Klarstellung und hätte mir eigentlich so eine Art des Umgangs mit der Wahrheit gerade in einer so sensiblen Materie gewünscht. Ich kann daher auch nicht mehr davon ausgehen, dass die Darstellung, die Sie (in Richtung des Abg. Dr. Nieder


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wieser) bezüglich der gestrigen Verhandlungen gegeben haben, der Wahrheit entspricht. Da folge ich meinem Kollegen Amon und den Medien, die authentische Zeugen waren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Lassen Sie mich in der Frage der Behindertenintegration zu den Grundlagen und Grundsätzen kommen. Jeder Mensch hat Anspruch auf Bildung – das ist nicht nur ein Menschenrecht, das ist auch ein Bürgerrecht und in jedem Fall unbestritten. Der Staat hat dazu öffentliche Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Zur Zeit Maria Theresias war es die sechsjährige allgemeine Volksschule, und am Beginn unseres Jahrhunderts sind wir so weit, dass wir unseren Schülern ein sehr ausdifferenziertes Schulsystem anbieten können.

Ich erinnere mich noch daran, wie in den späten sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die schulische Ausdifferenzierung als pädagogische Weisheit so weit reichte, dass – angeführt vom damaligen SPÖ-Stadtschulratspräsidenten Schnell; das sage ich, weil er auch ein Lehrerfunktionär dieser Organisation war – die sozialdemokratischen Lehrer für die Einrichtung von Sonderschulen sogar für Legastheniker auf die Straße gingen. Eigene Schulen für Legastheniker wurden gefordert – es konnte gar nicht genug segregiert werden!

Ich bin damals schon nicht mitgegangen. So extrem, wie Sie offenbar damals für die Segregation waren, so extrem – ich füge hinzu: so undifferenziert und so unbedacht – sind Sie auch heute wieder für einen, nur diesmal anderen, extremen Weg. Diese Haltung teile ich nicht. Schülerinnen und Schüler, junge Menschen sollen nicht Probanden für ideologische Versuche sein! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass wir auf die Amtsperiode Elisabeth Gehrer I zurückblicken können, in der die Meilensteine für die Weiterführung der Integration in der Sekundarstufe gelegt wurden. Ich erinnere mich noch an die diesbezügliche Debatte, wir sagten damals sowohl im Ausschuss als auch hier im Plenum: Sekundarstufe I, Erfüllung der Pflichtschulzeit, 9. Schuljahr, 15. Lebensjahr. Kein Mensch hat die Weiterführung darüber hinaus angesprochen, weil wir sonst über die Reform der Sonderschule, des Sonderschullehrplans und sonstiger notwendiger Grundlagen hätten diskutieren müssen. Die Sonderschule endet mit dem 15. Lebensjahr.

Geschätzte Damen und Herren! Vergessen wir nicht, dass das, was jetzt unter dem Titel Integration – also Nicht-Behinderte und Behinderte in AHS und Hauptschule unter einem Dach – geschieht, eigentlich zwei Schulen sind: Die eine Gruppe der Kinder wird von einer eigenen Lehrkraft nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet und gefördert, die andere Gruppe nach dem AHS-Lehrplan. (Zwischenruf des Abg. Schwemlein. ) Ja, so ist es!

Es gehören zur Schule, damit sie als Bildungsinstitution erkennbar und identifizierbar ist, wesentliche Aufgaben, das heißt, dass sie die Bildungsaufgabe über den Lehrplan wahrnimmt. Zur gesellschaftlich-sozialen Integration ist sie auch aufgerufen, aber nimmt man der Schule die Bildungsaufgabe weg oder marginalisiert man diese, dann ist die Schule kaputt, dann ist die Schule verwechselbar mit irgendeinem anderen Aufenthaltsort, an dem man flaniert, sich die Zeit vertreibt und zufällig auch etwas lernt. Noch einmal: Der Ort der institutionalisierten und intentionalen Lernprozesse ist die Schule, und da steht die Bildungsaufgabe im Zentrum!

Ich meine auch, wenn wir diese Perspektive verlieren (Abg. Heinisch-Hosek: ... überhört!)  – da können Sie den Kopf schütteln, soviel Sie wollen, da ist es nur wichtig, dass Sie Literatur dazu lesen; wenn Sie diese ... (Abg. Heinisch-Hosek: Wie Sie?) Ja, ich, weil ich mich auf dem Laufenden halte. (Abg. Heinisch-Hosek: ... Praxis!)  – Wenn Sie diese Perspektive verlieren, dann gehen Sie auch an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler als den Betroffenen vorbei.

Noch einmal: Ich bin dankbar für die Klarstellung. Ich hatte eine Studentin mit Sinnesbehinderung, die jetzt die Präsidentin der Gehörlosen ist; sie sagt, wohin uns eine ignorante Integrationsphilosophie gebracht hat, indem sie die Kompensation vergessen hat, die für Ausfälle zu leisten wäre – Ausfälle, die entstanden sind, weil vielfach Wesentliches vergessen und auf der


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Metaebene über dies und das diskutiert wurde, aber ergänzende Sonder-Unterstützungsleistung nicht mehr geboten wurde.

Ich bin froh darüber, dass wir diese Möglichkeit der integrativen Beschulung und Betreuung haben, aber auch jene in den Sonderschulen. Da möchte ich mich gerne hinter die Verteidiger der Sonderschullehrer und ihrer besonderen Qualifikationen stellen, genauso wie hinter die aller anderen Lehrer.

Wir stehen nun an einer Weichenstellung. Die Schulversuche in der 9. Schulstufe, im Polytechnischen Lehrgang und, unter besonderen Bedingungen, in den Haushaltungsschulen, sollen ins Regelschulsystem übergeführt werden. Das halte ich für eine absolut wichtige und richtige Entscheidung. Ich habe jetzt nicht nur dem Antrag der Grünen, sondern auch einem vom Abgeordneten Niederwieser verlesenen Antrag entnehmen können, dass es für diese Überführung zumindest eine Bereitschaft gibt. Dafür bin ich sehr dankbar, sonst wäre das ja – jemand hat gefragt, wie sich das Verhalten von Antoni oder der SPÖ charakterisieren lässt, und ich habe dazu gesagt: als eine paradoxe Dialektik – so etwas wie eine paradoxe Dialektik gewesen. Also können wir diese Versuche Gott sei Dank überleiten.

Ich plädiere daher abschließend dafür, über Integration in der Weise zu sprechen, dass wir an die Betroffenen denken, aber nicht in einer Überforderungs-Metaphysik und in einer politischen Probierstube die Wirklichkeit ignorieren, den Auftrag von Schule pervertieren und damit den Betroffenen nicht im Geringsten einen guten Dienst erweisen. Diese Dinge sind ernst zu nehmen, weil es um Menschenleben und nicht um Experimente geht. Die Zeit, in der wir Experimente gemacht haben, ist vorüber. Erst gestern haben wir über eine Person, die ausgezeichnet wurde, gesprochen und überlegt, wie wir deren Qualifikation wieder aberkennen.

Ich meine, dass wir mit der Kultivierung des Selbstbetrugs Schluss machen sollten. Man könnte fast ein wenig theologisch werden und wie der von mir sehr verehrte Philosoph Jürgen Mittelstraß sagen: Vielleicht haben wir im Verweilen in einer Leonardo-Welt – wonach alles technisch herstellbar und machbar ist; alles ist möglich, wir müssen uns nur anstrengen – die Leibniz-Welt, also die Sinnfrage, vergessen. Vielleicht haben wir auch verlernt, mit besonderen Begabungen – die Sonderpädagogik spricht ja auch von Andersartigkeit – und Ausstattungen so umzugehen, wie es uns auch der Schöpfer mitgegeben hat.

Daher möchte ich mit Selbstbetrug Schluss machen – nicht Schluss machen mit der weiteren Erforschung der adäquaten Bildungsangebote für jedes Kind und für jeden Jugendlichen in Österreich, aber Schluss machen mit Selbstbetrug – und daher die Vorlage unterstützen. Was das für das Schulpflichtgesetz bedeutet, das im Wesentlichen Querverbindungen und Querverweise anspricht, werde ich erst nach der Abstimmung in zweiter Lesung sagen können. Wir müssen nur technisch bedenken, was wir damit tun. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

19.10


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Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter DDr. Niederwieser zu Wort gemeldet. Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, dass Sie die Bestimmungen der Geschäftsordnung über die tatsächliche Berichtigung gut kennen. – Bitte.

19.10

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Die Frau Bundesministerin hat mich korrigiert und gesagt, was diese rund 500 Jugendlichen an den berufsbildenden mittleren Schulen betrifft, so seien das keine Schulversuche.

Ich stelle richtig: Natürlich sind das Schulversuche; jedenfalls sind der Großteil davon Schulversuche, ganz genaue Daten darüber gibt es vom Ministerium nicht. (Abg. Dr. Brinek: Das sind ordentliche Schüler!) Dort hatten sie es bisher schon schwer, dies genehmigt zu bekommen, und sie werden es in Zukunft leider noch schwerer haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Mühlbachler: Was der Niederwieser nicht will, darf nicht sein! – Abg. Dr. Jarolim: Ein bisschen Wahrhaftigkeit soll sein!)

19.11

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. (Abg. Dr. Khol: Das sagt ausgerechnet der "Euroteam"-Jarolim! – Abg. Dr. Jarolim: Ein bisschen Wahrhaftigkeit ...! – Abg. Dr. Khol: Ausgerechnet der "Euroteam"-Jarolim sagt etwas zur Wahrhaftigkeit! Da kann ich nur sagen: eigene Nase! – Weitere Zwischenrufe. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.)

Am Wort ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. (Abg. Dr. Khol: Er hat darum gebeten!)

19.11

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich möchte mit Ihnen jetzt nicht diskutieren, dass die Sonderschulen gut sind, sondern ich möchte mit Ihnen darüber diskutieren, dass jedes Kind das Recht auf Integration in der Schule, in die es gehen will, haben muss. Dann, Frau Ministerin, wird sich die Frage von Sonderschulen nicht mehr stellen. Diese werden sich dann automatisch auflösen, wenn es tatsächlich einmal ein einklagbares Recht auf Integration für behinderte Kinder, für behinderte Menschen geben wird. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Frau Ministerin! Ich unterstütze Ihre Meinung, dass Tausende SonderschullehrerInnen in den Schulen gute Arbeit leisten, aber glauben Sie mir, Frau Ministerin, diese LehrerInnen könnten in ihrem Beruf genauso gute und wichtige Arbeit in Integrationsklassen leisten. Dafür brauchen wir die Sonderschulen nicht.

Frau Ministerin! Sie sagen immer wieder, Sonderschulen seien so wichtig und so gut. Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Ich sage Ihnen das Gegenteil: Ich bin ein "Kind" der Sonderschule, und ich wünsche jedem einzelnen Kind in Österreich, dass es diesen Weg – in einer Käseglocke gefangen zu werden, weg von der Gesellschaft, weg von der so genannten Normalität – niemals erleben muss!

Frau Ministerin! Als ich mit der Sonderschule fertig wurde, habe ich erst leben lernen müssen, denn ich wusste nicht, wie das Leben draußen, außerhalb dieser Sonderanstalt, ausschaut. Zehn Jahre meines Lebens wurden mir genommen, weil ich von der Gesellschaft abgesondert und ausgesondert war, weil ich in einem Sondersystem untergebracht war. Diese zehn Jahre möchte ich niemandem wünschen, Frau Ministerin, und deshalb bitte ich Sie – ich bitte Sie eindringlich! –, dies einmal zu berücksichtigen und es aus der Situation jener Menschen zu sehen – nicht nur aus meiner –, die gezwungen sind und gezwungen waren, in diesem Sondersystem zu sein, nur weil sie ihr Recht auf Bildung eingefordert haben. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Frau Ministerin! Sie haben vorhin so getan, als ob alles in Ordnung wäre, wenn Jugendliche, die körperlich oder sinnesbehindert sind, in eine weiterführende Schule, in die AHS, in eine Berufsschule und so weiter gehen – und teilweise auch rollen – wollen. Frau Ministerin, Sie sind ziemlich weit weg von der Realität, Sie sind ganz weit weg von der Realität! Wissen Sie, dass für jeden Einzelnen, der es heute schaffen will, in die Regelschule zu gehen, in die Handelsschule zu gehen in der Stadt, in der er wohnt, in die HAK zu gehen dort, wo er wohnt, in die Berufsschule zu gehen – oder zu rollen; ich meine es immer für beide –, dies nicht so einfach ist und in der Regel nicht gelingt?

Ein Großteil der behinderten Menschen ist genau an dem Ort, den Sie vorhin erwähnt haben: in dieser Sonderanstalt in der Ungargasse. Dort werden behinderte Kinder aus ganz Österreich zusammengekarrt, weil es in Linz, in Innsbruck oder ganz egal, wo, nicht möglich ist, dass RollstuhlfahrerInnen, Blinde oder gehörlose Menschen dort in die Schule gehen und ihre Ausbildung machen können in der Stadt, in der sie leben. Frau Ministerin, da ist noch einiges zu tun! Es muss zum Selbstverständnis werden, dass auch wir behinderte Menschen dieselben Rechte für uns in Anspruch nehmen können, die Nicht-Behinderte selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Dafür müssen Sie sorgen, Frau Ministerin, und dazu fehlt mir nach wie vor Ihr Bekenntnis! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)


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Wir werden heute zustimmen, weil es ein minimaler Fortschritt ist, dass der Polytechnische Lehrgang endlich auch für behinderte Menschen ins Regelschulwesen übernommen werden soll und wird. Aber das, Frau Ministerin, kann nur ein ganz, ganz kleiner Anfang sein. Das muss sich durch alle Bildungsmöglichkeiten hindurch ziehen, das muss selbstverständlich werden!

Frau Ministerin! Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, und zwar Folgendes: Sie verkennen die Situation gröblichst, wenn Sie sich auf der einen Seite mit dieser so genannten Behindertenmilliarde brüsten, wodurch Menschen auf dem Arbeitsmarkt integriert werden sollen, und wenn man diesen Menschen auf der anderen Seite das Recht auf Bildung verweigert. Sie müssen zuerst Bildung zulassen, damit die Chance, auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig zu werden, auch wahrgenommen werden kann. Ohne Bildung wird es nicht gehen, Frau Ministerin.

Das gilt auch für Kinder mit erhöhtem sonderpädagogischem Förderbedarf. Ich verwende den Begriff "geistig behinderte Menschen" nicht – auch Sie werden wahrscheinlich das Buch von Georg Feuser gelesen haben. Geistig Behinderte gibt es nicht, jeder Mensch ist so, wie er ist; es geht nur um die Toleranz und die Akzeptanz.

Frau Ministerin! Ein gemeinsames Leben, ein gemeinsames Lernen ist eine Bereicherung für alle, nicht nur für behinderte Menschen, sondern auch ganz besonders für nicht behinderte Menschen, denn diese haben die große Chance, dass gemeinsam auch ein soziales Lernen gelernt wird und nicht lauter Einsteins ausgebildet werden. Das soziale Lernen, die Toleranz in unserer Gesellschaft sind wichtiger denn je. Machen Sie das möglich, und machen Sie es nicht wieder kaputt! – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

19.18

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Hetzl. – Bitte.

19.18

Abgeordneter Mag. Gerhard Hetzl (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Die Absicht, Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Lage zu versetzen, ein Berufsvorbereitungsjahr im Regelschulwesen zu bekommen – wie in der ursprünglichen Fassung vorgesehen gewesen –, wäre ein wesentlicher Fortschritt in Fragen der Integration. Man schafft damit Zukunftschancen für eine Gruppe unserer Gesellschaft, der man ebenfalls das Recht zugestehen muss, einen Schulabschluss zu bekommen und damit auch Berufschancen für die Zukunft eröffnet zu bekommen. Integration sicherzustellen und weiterzuentwickeln, das war das Ziel der Vorlage.

Nun hat sich auf Grund verschiedener Anträge die Situation geändert. Wir stehen selbstverständlich zu unserem Vorschlag. Die Haltung der SPÖ hingegen war in den letzten Tagen äußerst wankelmütig. Wir wissen auch jetzt noch nicht, wie Sie sich verhalten werden und wie Sie abstimmen werden. Wir hoffen, es geschieht im Interesse einer künftigen Integration.

Gestern Vormittag war es noch Totalopposition, dann ist einmal kurz weißer Rauch aufgestiegen, man konnte das auch in der Tagespresse nachvollziehen. Am heutigen Tag findet sich auf der Titelseite der Zeitung "Die Presse": "Verhaltensregeln an den Schulen: Die SPÖ stimmt überraschend zu". Es hat also den Anschein gehabt, dass das alles erledigt ist und damit ein weiterer Fortschritt erzielt werden kann. Aber bereits heute in der Abendausgabe des "Kurier" für morgen, also noch am selben Tag, findet sich noch etwas größer auf der Titelseite: "Nicht genügend, setzen: SPÖ blockiert Schulgesetz". – So reagiert also die Presse und wahrscheinlich auch ein großer Teil der Öffentlichkeit auf die Haltung der SPÖ in diesen schulpolitischen Fragen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Gestern waren es noch Antoni und Kostelka, die verhandelt haben, dann hat vermutlich der designierte Klubobmann Cap sein Rohrstaberl bereits ausgepackt und es heute einmal ausprobiert. Heute waren es also bereits Cap und Gusenbauer, morgen wird es wer auch immer sein, der mit uns in Schulangelegenheiten verhandeln wird. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Es ist kein Verlass, es fehlt die Handschlagqualität. Da Sie den Vertrag sogar unterschrieben haben, würde Ihr Verhalten in der Wirtschaft einen klassischen Fall von Vertragsbruch darstellen. (Abg. Heinisch-Hosek: Das ist kein Vertrag! – Abg. Achatz: Die Unterschrift ist aber drauf!


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Ihr habt es unterschrieben, oder? Ist eure Unterschrift nichts wert? – Gegenrufe von Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer: Ihr habt den Dieter Antoni düpiert! – Abg. Heinisch-Hosek: Wir sehen schwarz! – Ruf bei den Freiheitlichen: Zum Genieren!)

Meine Damen und Herren! Politische Bildung als eigenes Fach in der Oberstufe ist eine verfolgenswerte, sehr begrüßenswerte Sache. Dies birgt allerdings die Gefahr in sich, dass einige besonders engagierte Lehrer dieses Fach "Politische Bildung" auch missverstehen könnten. Man kann nur davor warnen. Es gibt viele Beispiele aus der Vergangenheit, dass Professoren politisch agitiert haben, dass es zu Vorfällen gekommen ist, die einfach in einer Schule, in einer Klasse keinen Platz haben.

Es sind glücklicherweise nur wenige gewesen, und wir müssen unsere Anstrengungen darauf richten, dass das nicht passiert, dass nicht einige wenige Professorinnen und Professoren einen ganzen Berufsstand in Verruf und Misskredit bringen. Wir wollen eine offene, eine objektive Haltung der Professorinnen und Professoren in der Schule. Wir wissen auch ganz genau, dass Jugendliche in der Oberstufe mündig sind, dass sie konfliktfähig sind und dass sie auch in diesem Alter bereits ein sehr gutes Gefühl für die politische Entwicklung in diesem Land haben. Deswegen machen wir uns auch keine Sorgen über die Zukunft. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

19.23

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Plank. – Bitte. (Abg. Mag. Schweitzer – in Richtung SPÖ –: Wer von euch hat den Dieter Antoni so zerstört?)

19.24

Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! – Herr Kollege Amon ist wieder zurückgekommen. – Sie haben von Verhandlungen gesprochen. Ich sage, Verhandlungen setzen etwas Grundlegendes voraus, nämlich Konsensbereitschaft von allen Seiten. (Abg. Großruck: Die hat es gegeben!) Konsensbereitschaft kann keine Einbahnstraße sein, Herr Kollege Amon. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Amon – ein Schriftstück in die Höhe haltend –: Ist das Konsens oder nicht?)

Herr Kollege Schweitzer! Sie haben unter anderem etwas behauptet, dem ich widersprechen möchte. Körper- und sinnesbehinderte Kinder finden leider nicht alle Möglichkeiten in Österreichs Schulen vor, weil das leider nicht ausreichend finanziert wird. Das ist das Problem! Es gibt Jugendliche mit Teilleistungsschwächen, die einen Berufswunsch haben, eine Lehrstelle gefunden haben, also einen Lehrplatz haben, aber sie haben ein einziges Manko: sie dürfen an Berufsschulen nicht gefördert werden, weil es an Berufsschulen keine Integration gibt. Die könnten und würden aber arbeiten wollen. (Abg. Mag. Schweitzer: Das hängt doch davon ab, ob sie einen Lehrvertrag haben! – Abg. Dr. Mertel: Herr Schweitzer, da dürfen Sie nicht sitzen, das ist nicht Ihr Platz!)

Nein, es geht darum, ob es ein Recht auf Förderung an der Berufsschule gibt. Es geht um Förderung, denn ich habe von Teilleistungsschwächen gesprochen. Bitte hören Sie zu! Ich habe nämlich schon einen konkreten Fall gemeint.

Frau Bundesministerin! Niemand hier diskreditiert Sonderschulen und deren LehrerInnen, aber ich habe Probleme mit der Aussage: Wir wollen doch nur das Beste für unsere Kinder! Ich frage mich: Wer darf sich anmaßen, für Kinder und Jugendliche festzulegen, was für sie die richtige Ausbildung ist? (Abg. Großruck: Sie maßen sich aber genau das an!) Vor- und Anlehre ist nicht das Modell, das hilft, denn Vor- und Anlehre – und das wissen Sie – lässt zwar die Jugendlichen arbeiten, aber sie bietet ihnen keine Chance auf Weiterentwicklung und keine Förderung. Das wissen Sie! Das ist ein Ausnützen der Arbeitskraft, aber keine Fördermöglichkeit für Schüler und Schülerinnen. (Beifall bei der SPÖ.)

Frau Kollegin Brinek! Sie haben eine Bestandsaufnahme von Schule aus Ihrer Sicht gegeben. – Meiner Meinung nach fehlt etwas Wesentliches in Ihrer Darstellung: Schule ist auch ein Ort, wo


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Leben stattfinden muss und Leben stattfinden dürfen muss. Das hatten Sie vergessen! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben vom Spazierengehen geredet. – Leben muss Platz haben können! Ich behaupte, in den Fragen der Integration diskutieren wir über Menschenrechte. Seit einigen Jahren ist das auch festgehalten in Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung. Sie kennen diese Bestimmungen doch auch alle: "Die Republik ... bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten." Ich denke, Schule wird ja hoffentlich wohl noch ein Bereich des täglichen Lebens sein dürfen.

Heute und hier können wir einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Gleichstellung setzen. Die Integration, die bisher gesetzlich in allen Schulformen, nicht nur in der Pflichtschule, bis zur achten Schulstufe festgeschrieben war, kann jetzt bei einigem guten Willen von uns allen weitergeführt werden. Es ist logisch und wünschenswert, dass der Schulversuch in das Regelschulwesen übernommen wird. Selbstverständlich gibt es auch von unserer Seite Zustimmung dazu. Das ist ja der einzige konsequente Schritt.

Integration darf keine Sackgasse sein. Das heißt selbstverständlich auch im Polytechnischen Lehrgang weiterhin Integration, aber, Frau Bundesministerin, nichts rechtfertigt die Einschränkung, die jetzt von der Bundesregierung gefordert wird, nämlich die Einschränkung, dass eine Gruppe von jungen Menschen vom freien Bildungszugang, von der freien Wahl der Schullaufbahn und von der freien Entscheidung über die eigene Zukunft ausgeschlossen wird. Ich behaupte, Integration ist eine gesellschaftspolitische Werthaltung und eine Grundsatzaufgabe von uns allen: Da stellt sich die Frage: Wie nehmen wir Menschen wahr, und wie gehen wir mit Menschen um? Ich verstehe noch immer nicht, warum ein behinderter Jugendlicher, der einen Lehrplatz, einen Lehrherrn gefunden hat, mit seinem Anspruch auf sonderpädagogische Förderung nicht an eine Berufsschule darf. Es geht ja nur darum.

Warum dürfen diese drei jungen Tirolerinnen nicht an die HBLA Kematen? Warum dürfen sie nicht aufgenommen werden, obwohl alles geregelt und sogar die Finanzierung gesichert ist, warum dürfen sie ihren Berufswunsch nicht verwirklichen? (Abg. Dr. Brinek: Welchen Berufswunsch?) Das ist nicht erklärbar! Das können Sie niemandem erklären, Frau Bundesministerin, warum diese drei Mädchen nicht an diese Schule dürfen.

Ich bin der Überzeugung, dass behinderte Jugendliche nicht in ein Ghetto gesteckt werden dürfen, wenn wir jetzt Integration womöglich nur auf den Polytechnischen Lehrgang beschränken wollen, denn behinderte Menschen in Ghettos, das hatten wir schon einmal, und da wollen wir, meine ich, nicht mehr hin.

Die Position der SPÖ ist spätestens seit dem letzten Unterrichtsausschuss klar. Diese Positionen einfach nicht zu beachten, einfach nicht zu diskutieren, nicht über Annäherungen und Kompromisse zu reden, also nicht auf Verhandlungen einzugehen, das halte ich für einen arroganten Missbrauch von Macht, das ist nichts anderes. Das jetzt zu leugnen und zu behaupten, es würde schon ein halbes Jahr verhandelt, das macht die Argumente der Regierungsparteien auch nicht wahrer.

Frau Bundesministerin! Die Opposition ist nicht nur Mehrheitsbringerin. Unsere Anträge – Sie haben sie schon gehört – sind von hoher Konsensbereitschaft getragen, und ich bin überzeugt davon, dass Sie diesen Abänderungsanträgen heute hier die Zustimmung geben können. Ich meine, Bereitschaft wurde signalisiert, und Sie werden sich, Frau Bundesministerin, nie vorwerfen lassen müssen, Sie setzten nur Alibihandlungen im Bereich der Integration. Verhindern Sie die Fortführung der Integration nicht mit einem Nein! (Abg. Großruck: Im Parlament wird abgestimmt!)

Weil es aber vice versa auch andere Modelle von Integration gibt, und zwar mit großem Erfolg durchgeführte, bringe ich auch noch einen Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Antoni, Brosz und GenossInnen ein. Es geht um die Integration an Spartenschulen, wobei der umgekehrte Weg gegangen wird, so wie in der Sehbehindertenschule in Wien, an der nicht behin


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derte Kinder gemeinsam mit behinderten Kindern unterrichtet werden. Das ist ein Vorzeigemodell seit vielen Jahren. Daher folgender Entschließungsantrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Antoni, Brosz und GenossInnen betreffend Integration an Spartenschulen

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird ersucht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in den Spartenschulen der umgekehrte Integrationsweg ermöglicht wird.

*****

Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.31

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Der soeben vorgetragene Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, steht in einem ausreichenden inhaltlichen Zusammenhang mit der Verhandlungsmaterie und steht damit mit zur Verhandlung und auch zur Abstimmung.

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Wolfmayr. – Bitte.

19.31

Abgeordnete Dr. Andrea Wolfmayr (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Auch ich finde es äußerst bedauerlich, dass man, nachdem es schon eine Annäherung der Standpunkte gegeben hat, nun wieder einen Rückzieher macht und sich hinter der roten Parteilinie einbunkert.

Ich möchte bei diesem sehr heiklen Thema bleiben. Ich befürchte allerdings, dass nicht mehr entsprechend der gebotenen Sorgfalt im Umgang damit den eigentlich Zuständigen, den Experten von Ihrer Seite im Ausschuss – und ich möchte nicht wie Sie, Herr Kollege Niederwieser, die Tür zustoßen, sondern ich möchte sagen: Ich bezeichne sie als Zuständige und als Experten für ein Thema, in das sie sich eingearbeitet haben – zugestanden wird, dass deren Meinung und die mühsam erarbeiteten Verhandlungsresultate zum Durchbruch kommen. Die fallen anscheinend einer übergeordneten Parteiräson zum Opfer. Wie viel Räson darin allerdings enthalten ist, das bleibe dahingestellt.

Meine Damen und Herren! Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Überführung der Schulversuche an Polytechnischen Schulen in eine flexible und gezielte Berufsvorbereitung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in all seinen Varianten, und zwar an Sonderschulen, an Polytechnischen Schulen und an Hauptschulen im neunten Schuljahr. Im Zentrum dieser Bemühungen muss – so unsere Vorstellung – in diesem letzten Pflichtschuljahr vor allem der Übergang in eine gesellschaftliche – was gleichzeitig auch heißt berufliche – Integration stehen, denn ganz sicher sind die Eltern behinderter Kinder, vor allem aber die Betroffenen selbst, bemüht und darauf erpicht, dass sie in Zukunft ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen können. Dazu brauchen sie große Chancen und bestmögliche Voraussetzungen. (Beifall bei der ÖVP.)

Schulische Ausbildung darf keine Sackgasse sein, nicht eine Art Vakuum, nicht bloße Aufbewahrung. Daher ist auch ein weiteres "Mitnehmen" von Kindern und Jugendlichen unangebracht, die auf Grund ihres Handicaps dem Lehrstoff nicht mehr gewachsen sind und die wegen ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs schon längst eine eigene Einheit innerhalb des Klassenkörpers bilden. Was es braucht, ist wirkliche und nachhaltige Integration, bestmögliche Ausbildung, und zwar eine spezielle, individuelle, auf die einzelne Behinderung abgestimmte Förderung. Deshalb – so unser Vorschlag – Berufsorientierung, eine Art von Vorlehre, Anlehre, spezielle Kurse, begleitende Arbeitseinsätze.


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Verschiedene Überbrückungs- und Übergangslösungen – und es gibt hierfür wirklich eine große Menge von Stellen, die die Frau Bundesministerin auch bereits angeführt hat – werden schon seit längerer Zeit hervorragend genutzt und weiter ausgebaut. Ich habe hier eine Broschüre (hält sie in die Höhe), die jene Wiener Stellen auflistet, die bereits auf diesem Sektor arbeiten. Den Leuten, die solche Broschüren erarbeiten, ist dafür zu danken, dass es diese Führer durch eine teilweise sehr differenzierte Förderungslandschaft gibt. Ähnliches gibt es für die anderen Bundesländer auch.

Zusätzlich ist im Rahmen der Behindertenmilliarde noch ein ganzes Paket von Maßnahmen vorgesehen – das wurde auch bereits erwähnt –, die Job-Coachings und Clearing-Teams ermöglichen, die eine intensive Begleitung in der Umstiegs- und Einstiegsphase gewährleisten, individuelle Bedürfnisse feststellen sollen und gemeinsam mit allen Beteiligten – ich betone: gemeinsam mit allen Beteiligten – individuelle Karrierepläne erarbeiten.

Meine Damen und Herren! Ich habe mir gedacht, dass wir eigentlich alle grundsätzlich etwas ganz Ähnliches wollen, nämlich dass Jugendliche mit so genannten Teilfähigkeiten selbstverständlich ihre Chance auf ein eigenständiges Leben – und das bedeutet vor allem Arbeits- und berufliches Leben – bekommen. Von einer Aussonderung der Jugendlichen oder einer Verschlechterung, Verhinderung oder Blockierung, die uns unterschoben wird, kann wirklich nicht die Rede sein. Die Blockierung orte ich anderswo. Uns geht es wirklich um eine spezielle und individuelle Förderung all unserer jugendlichen Mitbürger und Mitbürgerinnen, um eine Förderung ihrer ganz persönlichen Talente, die ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten entspricht, die sie weder unter- noch überfordert, und dies mit Hilfe all jener menschlichen Fähigkeiten, die einen konfliktfreien Umgang unter Menschen auf Dauer gewährleisten können, nämlich Achtung des Anderen in seinem wie immer gearteten So-Sein, Aufmerksamkeit für seine Bedürfnisse und Interesse im eigentlichen Wortsinn, nämlich "inter esse", miteinander sein.

Das erfordert allerdings etwas, was Klubobmann Kostelka in seiner sehr schönen Schlussrede der SPÖ ins Stammbuch geschrieben hat: die alte Tugend des Zusammenarbeitens und des Kompromisses. Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie schon: Ich habe diese Tugend nicht mehr beziehungsweise nur mehr in Ansätzen feststellen können. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

19.37

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Riepl. – Bitte.

19.37

Abgeordneter Franz Riepl (SPÖ): Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Bundesminister! Herr Abgeordneter Hetzl von den Freiheitlichen! Sie haben sich in Ihrer Rede grundsätzlich positiv zur Politischen Bildung geäußert – ich habe das jedenfalls so wahrgenommen –, sehen aber eine gewisse Gefahr bei engagierten Lehrern. Ich möchte Ihnen dazu nur Folgendes sagen: Die Gefahr, die Sie sehen, sehe ich im Zusammenhang mit Politischer Bildung und mit den Aufgabenstellungen der Lehrer dabei nicht. Es gibt einen Erlass zur Politischen Bildung, den Sie sicher kennen, Lehrpläne für bestimmte Schulen und vor allem auch Lehr- und Arbeitsbücher. Ich habe hier beispielsweise eines für die Berufsschulen mitgebracht, in dem klar und deutlich steht, wie Politische Bildung sinnvoll vermittelt werden kann. (Der Redner hält das Buch in die Höhe.) Ich denke, wir sollten uns dahin gehend verständigen, dass wir eigentlich nur engagierte Lehrer in unseren Schulen brauchen und nicht demotivierte. Leider verursacht Ihre Politik immer mehr Demotivierung unter den Lehrern. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei den Freiheitlichen – in Richtung SPÖ –: Und da klatschen Sie?)

Sehr verehrte Damen und Herren! "Politische Bildung soll die Fähigkeit und die Bereitschaft fördern, für unantastbare Grundwerte, wie Freiheit und Menschenwürde, einzutreten, Vorurteile abzubauen und sich auch für die Belange Benachteiligter einzusetzen", steht beispielsweise im Erlass für Politische Bildung. Politische Bildung bedeutet daher Mitbestimmung, Demokratie, Verantwortungsbewusstsein, gesamteuropäisches Denken und vieles andere mehr. All diese Begriffe kommen im Erlass zur Politischen Bildung vor.


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Wenn man aufmerksam Schriften und Positionen der Wirtschaft und der Arbeitgeber liest – so ist mir beispielsweise eine schriftliche Unterlage, ein Arbeitgeberkonzept zum Thema "Schule braucht Qualität" in die Hände gefallen, an dem die Industriellenvereinigung führend mitgearbeitet hat (hält die Broschüre in die Höhe)  –, findet man darin unter anderem Formulierungen wie – ich zitiere –:

Die Schulbildung soll auf die Entwicklung ganzheitlicher Persönlichkeiten zielen, die bereit und fähig sind, sich in einer größeren Welt zu bewähren und ihre Staatsbürgerpflichten wahrzunehmen. Die Schulen sollen – heißt es weiter – ebenso die Bedeutung der Grundwerte unserer Gesellschaft vermitteln. – Zitatende.

Wenn man das alles liest, dann stellt man fest: Das ist eigentlich ein Plädoyer für Politische Bildung in der Schule. Sehr verehrte Frau Bundesministerin! Ich frage mich nun, warum diese Unterrichtsinhalte nicht in allen Schultypen und in allen Schulstufen ab der 5. Schulstufe vermittelt werden sollen. Darauf sind Sie uns heute eine Antwort schuldig geblieben. Ist der Grund vielleicht der, dass Sie für eine ausreichende politische Bildung unserer Jugend keine Zeit oder kein Geld zur Verfügung stellen wollen, oder gibt es dafür andere Gründe? Es wäre gut, wenn Sie uns Ihre Intentionen verraten würden.

In den Wiener Berufsschulen zum Beispiel gibt es pro Schuljahr 40 Unterrichtsstunden Politische Bildung, dies aber nicht einmal in jeder Schulstufe, sondern nur in der ersten und in der dritten Klasse. Ich denke, das ist eindeutig zu wenig. Keine Politische Bildung in der zweiten Klasse, keine Politische Bildung in der vierten Klasse der Berufsschulen, nicht einmal eine Stunde! Dies ist so, obwohl wir doch – ich habe das vorhin zitiert – Wertvorstellungen, soziales Zusammenleben, die Mitarbeit der Jugend an der Gesellschaft praktisch vermitteln wollen. Verantwortungsbewusstsein, europäisches Denken und Kreativität fordern Sie in fast jeder Ihrer Reden zu bildungspolitischen Fragen, aber Politische Bildung ab der 5. Schulstufe in allen Schulformen, das verweigern Sie!

Sehr verehrte Damen und Herren! Ich denke, wir Sozialdemokraten treten daher mit Recht dafür ein, Politische Bildung als Unterrichtsgegenstand ab der 5. Schulstufe in allen Schultypen einzuführen. Die Regierungsparteien haben unseren diesbezüglichen Antrag bereits im Unterrichtsausschuss niedergestimmt, und Gleiches ist wohl auch heute im Plenum zu erwarten. Diese Regierung, sehr verehrte Damen und Herren, gestaltet nicht Bildungspolitik, sondern beschränkt sich auf deren Verwaltung, und das auf Kosten unserer Jugend! (Beifall bei der SPÖ.)

19.42

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Wochesländer. – Bitte.

19.42

Abgeordnete Jutta Wochesländer (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Herr Dr. Antoni ist gerade weggegangen. (Widerspruch bei der SPÖ.) Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn bedauere. – Nein, er ist doch da. Ich habe ihn die ganze Zeit über beobachtet: Er hat noch nie zuvor so kontinuierlich zu Boden geblickt. (Abg. Schwarzenberger: Er steht vor den Scherben seiner Politik!) Ich verstehe Sie, ich würde mich an Ihrer Stelle auch genieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ihre Weigerung, meine Damen und Herren von der SPÖ, der Überführung des Schulversuchs an der Polytechnischen Schule in das Regelschulwesen zuzustimmen, finde ich nicht nur empörend, sondern ich halte sie auch für eine unglaubliche Rücksichtslosigkeit gegenüber jenen, für die diese Ausbildung ein weiterer Schritt hin zu einem positiven Leben sein kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Frau Haidlmayr hat sich vorhin an die Frau Bundesminister gewandt und gesagt, sie habe erlebt, was es heiße, separiert in einer Schule zu sein. Ich kann ein bisschen anderes Beispiel bringen: Ich habe 40 Jahre absolut gesunden Lebens hinter mir, und dann habe ich eine schwere Erkrankung gehabt, und Sie wissen – man sieht es ja auch –, dass ich leicht gehbehindert bin. Mit dieser leichten Gehbehinderung fühle ich mich hier unter Ihnen allen, obwohl Sie offen


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sichtlich alle gesund sind, sehr wohl. Ich habe kein Problem damit, dass ich ein bisschen langsamer die Treppe hinuntergehe. Würde man mich heute aber in eine Gemeinschaft inkludieren, in der das Leistungsziel ist, sportlich zu sein, schnell zu sein, flott zu sein, und wenn die auch noch so lieb, gut, nett und verständnisvoll zu mir wären, ich müsste Ihnen sagen: Ich würde trotzdem darunter leiden, an diesem Unterschied nämlich. Das gebe ich auch zu bedenken, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Dr. Antoni hat in einer seiner Presseaussendungen von einer Sackgasse gesprochen. Ich bitte Sie! Eine Erweiterung, eine Überführung dieses Schulversuchs in das Regelschulwesen kann doch keine Sackgasse sein! Im Gegenteil: Es ist ein weiterer Schritt hin zu dem, was Sie zwar anstreben, was aber im Moment – auch aus erziehungspolitischen Gründen – noch nicht möglich ist! Vielleicht kann das einmal kommen, vielleicht kann man auch wirklich in Schulversuchen neu testen, ob das möglich ist oder nicht. Es gibt allerdings einen Unterschied: Einfach zu sagen, man müsse sonderpädagogische Förderung in allen Schultypen zulassen, das geht mir denn doch um ein Vielfaches zu weit! (Beifall bei den Freiheitlichen und des Abg. Schwarzenberger. )

Herr Dr. Antoni, Sie haben in einer Ihrer Presseaussendungen ausgeführt, dass es Ihnen bei der Förderung mehr um soziale Integration als um Erreichung von Lehrplanzielen gehe. Natürlich, da stimme ich Ihnen absolut zu, dass soziale Integration sehr wichtig ist, sei es nun in der Schule oder im Leben. Zugleich damit plädieren Sie aber auch für eigene Lehrpläne und andere Inhalte. Dazu muss ich wieder sagen: Geht das nicht ein bisschen zu weit weg von sonderpädagogischer Förderung und eigentlich viel zu sehr hin zu einem Herausnehmen aus der Gemeinschaft? Was hat denn ein Jugendlicher davon, wenn er zwar in einer Klasse sitzt, aber trotzdem ganz anders unterrichtet wird und erst wieder nicht das Ziel erreichen kann, das von den anderen zu erreichen ist, um dazuzugehören? Ich meine, das tut mehr weh als alles andere.

Daher appelliere ich zum Abschluss nochmals an Sie: Bedenken Sie bitte, was Sie der Jugend, den Kindern antun, die sonderpädagogische Förderung brauchen und diese überlegtermaßen und wissenschaftlich fundiert in den Polytechnischen Lehrgängen bekommen, wenn Sie Ihre Stimme zu dieser Vorlage verweigern! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

19.46

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Heinisch-Hosek. – Bitte.

19.46

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ich denke, nur wer Integration nicht lebt und Integration nicht kennt, und viele Wortmeldungen ... (Abg. Ing. Westenthaler: Wie viele Gehälter beziehen Sie jetzt: zwei oder drei?) Schnee von gestern, Herr Abgeordneter, längst erledigt! Das können Sie sich sparen, alles nicht wahr!

Viele Wortmeldungen von Ihnen haben mir gezeigt: Nur wer Integration nicht kennt und nicht lebt, kann sich so äußern. Besonders betroffen gemacht haben mich die Ausführungen der Kollegin, die vor mir gesprochen hat. Abgeordnete Wochesländer hat in meiner Schule unterrichtet. Sie weiß es vielleicht nicht mehr, aber ich weiß es noch, und Sie müsste es eigentlich auch wissen, was gelebte Integration bedeutet. Aber leider hat sie auch das vergessen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haigermoser: Wie oft kassieren Sie jetzt wirklich ab, oder wissen Sie das nicht mehr? – Abg. Ing. Westenthaler: 180 000 S aufs Handerl!)

Des Weiteren macht mich betroffen, dass die Frau Bundesministerin auf die Ausführungen der Abgeordneten Haidlmayr, einer Betroffenen, leider überhaupt nicht eingegangen ist. (Anhaltende Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Des Weiteren macht mich betroffen, Frau Kollegin Brinek, dass Ihr leistungsorientierter Begriff von Schule dermaßen einseitig ist, dass ich das überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Ich bin Sonderschullehrerin, und ich weiß, was es heißt, mit solchen Kindern zu arbeiten. – Aber bitte! (Beifall bei der SPÖ.)


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Meine Damen und Herren! Mein Thema heute ist die Politische Bildung. Zu Beginn eine traurige Tatsache: 5 500 Lehrerinnen und Lehrer weniger wird es im kommenden Schuljahr geben. Das wird sich auf der einen Seite sicherlich dramatisch auf die jungen Pädagoginnen und Pädagogen auswirken, die auf der Straße stehen werden, und auf der anderen Seite wird es sich noch dramatischer auf die Kinder in unseren Schulen auswirken, nämlich auf die persönliche Zuwendung in der Schule, über die heute auch schon – viel zu wenig zwar, aber immerhin doch – von meinen Kolleginnen und Kollegen gesprochen wurde.

Am Vormittag haben Sie so oft behauptet, dass die Kinder das Wertvollste in unserer Gesellschaft seien. Wenn ich mir aber diese negative Sparpolitik anschaue, dann lässt mich das das Gegenteil vermuten. Sie haben heute im Laufe des Vormittags immer wieder bekräftigt, dass die Zukunft unserer Kinder nach dem dritten Lebensjahr endet. Das haben Sie doch mehrmals gesagt! Ich kann mir nicht vorstellen, dass Politik nicht über das dritte Lebensjahr hinauskommt. Eine Politik, die diese Schranke nicht überwindet, ist eine Sandkastenpolitik, meine Damen und Herren! Um uns nur mit Sandkastenspielen zu beschäftigen, dafür ist uns das Thema heute viel zu wichtig! (Beifall bei der SPÖ.)

Wie ein Spielchen kommt mir nämlich auch die Diskussion um die Politische Bildung vor, meine Damen und Herren. "Geschichte und Sozialkunde" nur dem Namen nach zu ersetzen und in der 7. und 8. Schulstufe in "Geschichte und Politische Bildung" umzuwandeln, das ist wahrlich leichte Kost, meine Damen und Herren, schwer verdaulich allerdings, das gebe ich zu. Bitte lassen Sie mich darlegen, warum.

Bereits im Jahr 1974 gab es unter dem damaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz den Plan zur Errichtung eines eigenen Faches "Politische Bildung". Der war damals bereits viel weitgehender und fortschrittlicher als der jetzige Entwurf. Drei Mal dürfen Sie raten, woran es gescheitert ist. – An der ÖVP natürlich, weil sie dagegen war und das verhindert hat. Daher sind Ihre Aussagen, Frau Bundesministerin Gehrer, dass nun endlich, nach jahrzehntelangen Forderungen der ÖVP dieses Fach eingeführt wird, wahrlich im Reich der Märchen anzusiedeln. Ja, wir wollen Politische Bildung, Sie wollen sie auch. Es geht jetzt allerdings darum, wie wir es machen, und das unterscheidet uns.

Vielleicht sollten wir uns überhaupt fragen: Was ist denn Politische Bildung? Wenn ich Sie frage, können Sie es mir erklären, was es umfassend bedeutet? Es wäre nämlich wichtig, das jetzt ganz genau darzulegen, aber die Zeit fehlt mir. (Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen wegen des allgemein hohen Lärmpegels im Saal.) Sie würden sofort draufkommen, dass die 7. und 8. Klasse bei weitem nicht ausreicht, um dem allumfassenden bildungspolitischen Anspruch der Politischen Bildung gerecht werden zu können.

Lassen Sie mich noch ganz kurz aus dem Grundsatzerlass zitieren, um Ihnen diesen umfassenden Auftrag näherzubringen: Politische Bildung ist einerseits Vermittlung von Wissen und Kenntnissen – keine Frage –, Politische Bildung ist aber auch Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten, und Politische Bildung ist die Weckung von Bereitschaft zu verantwortungsbewusstem Handeln.

Ja, das wollen wir! – aber bitte, warum erst in der 7. Klasse AHS? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie etwas anderes wollen. Wir wollen eigenständige, kritische, demokratiebewusste, tolerante Kinder und Jugendliche, die mitreden und mitgestalten können. Doch das wollen Sie anscheinend nicht! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wollen wählen mit 16 Jahren, wir wollen das Fach "Politische Bildung" ab der 5. Schulstufe. Wir wollen deftige Kost, keine Light-Variante. Ja, das wollen wir, meine Damen und Herren!

Uns ist sehr bewusst, dass Schule mehr ist als eine Erziehungsanstalt zur Wissensvermittlung. Sie ist nämlich ein Ort von zwischenmenschlichen Beziehungen, der das Leben von jungen Menschen nachhaltig beeinflussen kann. Im Sinne dessen, dass es um die geht, die jetzt Hauptgegenstand dieses Antrages sein sollten, möchte ich zwei Abänderungsanträge zum Fach "Politische Bildung" einbringen.


Nationalrat, XXI.GP
Stenographisches Protokoll
72. Sitzung / Seite 175

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Antoni, Gabriele Heinisch-Hosek und GenossInnen betreffend eigenen Pflichtgegenstand: Politische Bildung 1

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

In Art. 1 wird folgende Z 5a eingefügt

"5a. § 16 Abs. 1 lautet:

§ 16. (1) Im Lehrplan (§ 6) der Hauptschule sind vorzusehen:

1. als Pflichtgegenstände: Religion, Deutsch, Lebende Fremdsprache, Geschichte und Sozialkunde, Politische Bildung , Geographie und Wirtschaftskunde, Mathematik, Geometrisches Zeichnen, Biologie und Umweltkunde, Physik, Chemie, Musikerziehung, Bildnerische Erziehung, Technisches Werken, Textiles Werken, Ernährung und Haushalt, Leibesübungen;

2. als verbindliche Übung Berufsorientierung in der 3. und 4. Klasse.

*****

Mit dem zweiten Abänderungsantrag, meine Damen und Herren, wollen wir einen eigenen Pflichtgegenstand "Politische Bildung 2".

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Antoni, Gabriele Heinisch-Hosek und GenossInnen betreffend eigenen Pflichtgegenstand: Politische Bildung 2

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Art. 1 Z 16 lautet:

"16. Im § 39 Abs. 1 Z 1 wird nach der Wendung "Geschichte und Sozialkunde" die Wendung "Politische Bildung" eingefügt.

*****

So oft wurde heute über die Zukunft der Jugend gesprochen. (Abg. Mag. Schweitzer: Zusätzlich? Wie wollen Sie das? Als Zusatzstunde?) Setzen Sie doch mit uns gemeinsame Taten! Sie haben jetzt Gelegenheit dazu. (Beifall bei der SPÖ.)

19.53

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Die beiden soeben vorgetragenen Abänderungsanträge sind ausreichend unterstützt und stehen in einem ausreichenden inhaltlichen Zusammenhang mit der Verhandlungsmaterie und damit auch mit zur Abstimmung.

Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist daher geschlossen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass wir jetzt zu einem sehr umfassenden und komplexen Abstimmungsvorgang kommen. Ich ersuche daher auch in dieser Zeit um möglichst große Ruhe im Plenarsaal, sodass möglichst viele Abgeordnete auch die einzelnen Bestandteile dieses Abstimmungsvorganges nachvollziehen können.

Wir gelangen zur Abstimmung, die ich über jeden Ausschussantrag getrennt vornehme.

Zuerst kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in 580 der Beilagen.


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72. Sitzung / Seite 176

Dazu haben die Abgeordneten Brosz und Genossen einen Abänderungsantrag eingebracht.

Ferner haben die Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsanträge eingebracht.

Weiters liegt ein Verlangen auf getrennte Abstimmung vom Abgeordneten Dr. Antoni vor.

Ich werde daher über die von den Zusatz- beziehungsweise Abänderungsanträgen sowie vom Verlangen auf getrennte Abstimmung betroffenen Teile der Reihe nach und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes abstimmen lassen.

Der vorliegende Entwurf sowie die soeben erwähnten Zusatz- beziehungsweise Abänderungsanträge können im Sinne des Artikels 14 Abs. 10 Bundes-Verfassungsgesetz nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Somit stelle ich zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der verfassungsmäßig vorgesehenen Anzahl der Abgeordneten fest.

Wir kommen zur getrennten Abstimmung über die Z 1 bis 5 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest und damit ausdrücklich auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Die Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen haben einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf die Einfügung einer Z 5a in Artikel 1 bezieht.

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit und somit abgelehnt.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Z 6 bis 14 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Bei Zustimmung ersuche ich um ein Zeichen der Bejahung. – Ich stelle fest: Das ist die Mehrheit. (Abg. Dr. Khol: Die Grünen stimmen zu, die Sozialdemokraten lehnen ab! Fundamentalopposition! – Abg. Gaugg  – in Richtung des Abg. Grabner –: Noldi, du bist auch grün angezogen, also steh auf! – Abg. Ing. Westenthaler: Das Chaos ist perfekt! – Abg. Dr. Khol: Die Grünen haben mitgestimmt! Die haben etwas für Integration übrig!)

Die Z 6 bis 14 in Artikel 1 wurden nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Es liegt somit hinsichtlich dieser Bestimmungen kein Beschluss des Nationalrates im Sinne des § 82 Abs. 2 Z 1 der Geschäftsordnung vor.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über Z 15 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dafür ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest und damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Die Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Z 16 in Artikel 1 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über Z 16 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.


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72. Sitzung / Seite 177

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür ihre Zustimmung geben, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle die Einstimmigkeit fest.

Ausdrücklich stelle ich damit auch die Erreichung der verfassungsmäßig erforderlichen Zweidrittelmehrheit fest.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Z 17 und 18 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Bei Zustimmung ersuche ich um ein Zeichen der Bejahung. – Ich stelle neuerlich Einstimmigkeit fest.


Nationalrat, XXI.GP
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72. Sitzung / Seite 178

Ausdrücklich halte ich fest, dass damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist.

Die Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen haben einen Zusatzantrag eingebracht, der sich auf die Einfügung einer Z 18a in Artikel 1 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür eintreten, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Z 19 bis 28 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest.

Ausdrücklich stelle ich damit auch fest, dass die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Wortfolge "§ 16 Abs. 5" in Artikel 1 Z 29 § 133 Abs. 16 Z 1... (Rufe: 131!)  – Ich korrigiere und wiederhole den gesamten Satz:

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Wortfolge "§ 16 Abs. 5" in Artikel 1 Z 29 § 131 Abs. 16 Z 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Wer dazu seine Zustimmung gibt, den ersuche ich um ein Zeichen der Bejahung. – Das ist die Mehrheit.

Die Wortfolge "§ 16 Abs. 5" in Artikel 1 Z 29 § 131 Abs. 16 Z 1 in der Fassung der Regierungsvorlage wurde allerdings nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Es liegt somit hinsichtlich dieser Bestimmung kein Beschluss des Nationalrates im Sinne des § 82 Abs. 2 Z 1 der Geschäftsordnung vor.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über Artikel 1 Z 29 § 131 Abs. 16 Z 2 bis 4 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle eine Mehrheit fest.

Artikel 1 Z 29 § 131 Abs. 16 Z 2 bis 4 in der Fassung der Regierungsvorlage wurde nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Es liegt somit hinsichtlich dieser Bestimmungen kein Beschluss des Nationalrates im Sinne des § 82 Abs. 2 Ziffer 1 der Geschäftsordnung vor.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die restlichen Teile der Z 29 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dafür eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest.

Ausdrücklich halte ich fest, dass damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist.

Die Abgeordneten Dr. Antoni und Genossen haben einen


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72. Sitzung / Seite 179

Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf Z 30 in Artikel 1 bezieht.

Wer dafür ist, den ersuche ich um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Die Abgeordneten Brosz und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich ebenfalls auf die Z 30 in Artikel 1 bezieht.

Ich ersuche jene Mitglieder des Hohen Hauses, die dafür eintreten, um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über Z 30 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Bei Zustimmung ersuche ich um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle fest: Das ist die Mehrheit.

Die Z 30 in Artikel 1 in der Fassung der Regierungsvorlage wurde nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Es liegt somit hinsichtlich dieser Bestimmung kein Beschluss des Nationalrates im Sinne des § 82 Abs. 2 Z 1 der Geschäftsordnung vor.

Wir kommen nun zur getrennten Abstimmung über die Z 31 und 32 in Artikel 1 sowie den Artikel 2 in der Fassung der Regierungsvorlage.

Wer dafür ist, den ersuche ich um ein Zeichen der Bejahung. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest.

Ausdrücklich halte ich fest, dass damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist.

Schließlich komme ich zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung der Regierungsvorlage.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle neuerlich die einstimmige Annahme fest und halte ausdrücklich fest, dass damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist.

Damit ist die zweite Lesung beendet.

Vor Durchführung der dritten Lesung unterbreche ich nunmehr die Sitzung. Die Unterbrechung wird voraussichtlich zirka eine halbe Stunde dauern. Ich unterbreche allerdings auf unbestimmte Zeit. Damit Sie Ihre Zeitdisposition entsprechend treffen können, gehe ich davon aus, dass die Unterbrechung nicht vor 20 Minuten beendet sein wird, das heißt frühestens um 20.23 Uhr.

Die Sitzung ist damit unterbrochen.

(Die Sitzung wird um 20.05 Uhr unterbrochen und um 20.49 Uhr wieder aufgenommen. )

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Wir kommen nun zur dritten Lesung.

Es liegt mir ein Antrag der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen vor, im Sinne des § 74 Abs. 2 der Geschäftsordnung die Behebung von Widersprüchen vorzunehmen, die sich durch die Beschlussfassung in zweiter Lesung ergeben haben.

Ich bringe den Antrag zur Verlesung:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Kollegen zur Regierungsvorlage betreffend eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes und der 12. Schulorganisationsgesetz-Novelle in der Fassung der zweiten Lesung

Der Nationalrat wolle in dritter Lesung beschließen:

1. Im Art. 1 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages sind die Z 15 bis 28 in "6.", "7.", "8.", "9.", "10.", "11.", "12.", "13.", "14.", "15.", "16.", "17.", "18." und "19." umzubenennen.

2. Im Art. I des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages ist die Z 29 in "20." umzubenennen und hat zu lauten:

"20. Dem § 131 wird nach Abs. 15 folgender Abs. 16 angefügt:

"(16) Die nachstehend genannten Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I, Nr. xxxx/2001 treten wie folgt in bzw. außer Kraft:

1. § 6 Abs. 1 und 3, § 7 Abs. 1 und 4, § 8a Abs. 1, 2, 3 und 3a, § 8c Abs. 1 Z 1, Abs. 4 und 7, § 8d Abs. 2, § 34 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Z 1, § 40 Abs. 3, § 41 Abs. 2, § 59 Abs. 1 Z 2 lit. b, § 63 Abs. 3, § 65, § 68 Abs. 1 Z 2a, § 69 Abs. 2, § 94 Abs. 1, § 98 Abs. 4, § 102, § 106 Abs. 4, § 117 Abs. 6, § 124 Abs. 7, § 131e Abs. 1 sowie § 133 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft;

2. § 83 Abs. 2, § 114 Abs. 2, § 122 Abs. 2 sowie § 131d Abs. 4 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt außer Kraft.""

3. Im Art. I des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages sind die Z 31 und 32 in "21." und "22." umzubenennen.

*****

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Antrags der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen, den ich soeben vorgetragen habe, in dritter Lesung.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle die einstimmige Annahme fest.

Ausdrücklich halte ich fest, dass damit auch die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit gegeben ist und dass die verfassungsmäßig erforderliche Anzahl von Abgeordneten anwesend ist.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend Fortsetzung der Schulversuche zur Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Polytechnischen Schule.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit und damit angenommen . (E 89.) (Abg. Mag. Schweitzer  – in Richtung des Abg. Antoni –: Dieter, darfst du nicht aufstehen, hält dich der Parnigoni fest?)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Schweitzer, Amon und Genossen betreffend Politische Bildung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen. (E 90.)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Antoni, Brosz und Genossen betreffend Integration an Spartenschulen.


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72. Sitzung / Seite 180

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich stelle fest: Das ist die Minderheit und damit abgelehnt.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 611 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Ich stelle fest: Das ist die Mehrheit und damit angenommen.

Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 581 der Beilagen. Da auch dieser Entwurf im Sinne des Art. 14 Abs. 10 B-VG nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden kann, stelle ich neuerlich die erforderliche Anwesenheit fest.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf die Zustimmung erteilen, um ein entsprechendes Zeichen. (Ein parlamentarischer Mitarbeiter deutet den Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP, sich niederzusetzen. Kein einziger Abgeordneter stimmt dem Gesetzentwurf zu. – Abg. Oberhaidinger: Da sind "Dirigenten" am Werk! – Abg. Schieder: Na ihr macht Gesetze!)  – Das ist eindeutig die Minderheit und damit abgelehnt. (Heiterkeit. – Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten aller Fraktionen.)

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 613 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dazu ihre Zustimmung geben, um ein entsprechendes Zeichen. – Ich stelle fest: Das ist die Mehrheit und damit angenommen.

9. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (582 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird (614 der Beilagen)

10. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 86/A der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz 1986, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 98/1999, geändert wird (615 der Beilagen)

11. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (583 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert wird (616 der Beilagen)

12. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 416/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Maßnahmen für die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (617 der Beilagen)

13. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 339/A (E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend Informations- und Maßnahmenpaket zur Konsumentenerziehung (618 der Beilagen)


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72. Sitzung / Seite 181

14. Punkt

Bericht des Unterrichtsausschusses über den Entschließungsantrag 369/A (E) der Abgeordneten Dr. Dieter Antoni und Genossen betreffend Sonder-Maßnahmenpaket zur Ausbildung von Experten in Informations- und Kommunikationsberufen (619 der Beilagen)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen zu den Punkten 9 bis 14 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Eine mündliche Berichterstattung findet nicht statt. Wir gehen somit direkt in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Antoni. Ich erteile es ihm hiemit. (Abg. Wenitsch: Sprechen wir über den Bauchfleck!)

20.59

Abgeordneter Dr. Dieter Antoni (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben uns ... (Anhaltende Unruhe im Saal. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Meine Damen und Herren! Ich bitte, nachdem wir jetzt den umfassenden Abstimmungsverlauf hinter uns gebracht haben, dem Redner die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Abgeordneter Dr. Dieter Antoni (fortsetzend): Geschätzte Damen und Herren! Vor wenigen Minuten noch haben Sie die SPÖ der Fundamentalopposition geziehen. Ich bin überzeugt, unser Abstimmungsverhalten hat eindeutig das Gegenteil bewiesen. (Ironische Heiterkeit der Abgeordneten Dr. Khol und Haigermoser. ) Es waren Sie, geschätzte Damen und Herren der Regierungsfraktionen, die ausnahmslos jeden Antrag, jedes Ansinnen der SPÖ brutal und automatisch niedergestimmt haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Lassen Sie mich jetzt aber zum relativ großen Problem von Verhaltensvereinbarungen in den Schulen kommen, zum Schulunterrichtsgesetz. (Zwischenrufe der Abgeordneten Böhacker und Ing. Westenthaler. ) Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben immer signalisiert, dass wir uns schulische Vereinbarungen sehr wohl vorstellen können. Wir haben aber auch immer gesagt und verlangt, dass schulische Vereinbarungen fair und ehrlich sein und alle Schulpartner gleichberechtigt einbinden müssen.

Ich möchte festhalten, dass die Sozialdemokraten in den letzten Monaten wirklich engagiert und ernsthaft bemüht waren, die von der Regierung angestrebten Verhaltensvereinbarungen durch seriöse Verhandlungen sinnvoll zu gestalten. Wir haben immer wieder, und das aus gutem Grund, darauf hingewiesen, dass eine Rückkehr zur schwarzen Pädagogik mit Sozialdemokraten nicht zu machen ist. Und tatsächlich, geschätzte Damen und Herren, sind in Gesprächen und Verhandlungen mit den Regierungsfraktionen auch erste Annäherungserfolge zu verzeichnen gewesen, die allerdings, und das ist schon auch zu betonen, vor allem auf unsere Beweglichkeit und auf unser Zugehen auf euch zurückzuführen waren. So auch die Annäherungen gestern bei den Verhaltensvereinbarungen. Durch das Hineinnehmen von wichtigen Aspekten wie Förderung der Schulqualität und der Qualität der Zusammenarbeit in der Schule und auch durch verantwortliche Einbindung aller Schulpartner in die schulischen Vereinbarungen war es wenigstens möglich, das Regierungskonzept der Untertanenschule zu entschärfen und eine Partnerschule zu ermöglichen.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Wir sind allerdings schon der Auffassung, dass es in einer funktionierenden Demokratie, also auch in diesem Parlament möglich sein sollte, nach erzielten Kompromissen Klarstellungen und Präzisierungen zu diskutieren und auch zu verlangen. Und genau das, sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie verweigert. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer  – in Richtung des Redners –: Mach es dir nicht so schwer! Sag: "Ich bin gescheitert", und setz dich wieder nieder!)


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72. Sitzung / Seite 182

Lassen Sie mich, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, ein kleines Beispiel aus dem Jahr 1998 aufgreifen. Wir haben damals über die Einführung einer Schuleingangsphase verhandelt und wollten auch unseren Wunsch, eine alternative Leistungsbeurteilung einzuführen, umsetzen. Nach mühsamen Verhandlungen – von Ihrer Seite waren Kollegin Brinek, die Frau Bundesministerin und Landesschulratspräsident Riedl
beteiligt – war es möglich, das gemeinsam positiv zu beurteilen. Wenige Tage später wurde uns mitgeteilt: Liebe Freunde, es tut uns Leid, wir schaffen das in unserer Fraktion nicht – und kein Mensch hat darüber geredet, sich darüber aufgeregt oder gesagt: Ihr brecht eure Versprechen beziehungsweise eure Zusagen.

Meine Damen und Herren! Sie haben die von uns ausgestreckte Hand knapp vor der Erreichung des Ziels ausgeschlagen, Sie haben die Verhandlungen abgebrochen und jede weitere Diskussion verweigert. Offenbar haben die Vertreter der Regierungsfraktionen heute eine andere Order bekommen: Keine Beweglichkeit mehr, keine Diskussionsbereitschaft, kein Wille zum Konsens war mehr zu spüren, obwohl Ihnen klar sein musste, dass Sie durch dieses Verhalten natürlich das Gesamtpaket gefährden. (Abg. Wochesländer: Der Text ist von Herrn Kostelka erstellt worden!)

Warum dieser Gesinnungswandel binnen Stunden? Darüber kann bei uns nur spekuliert werden. Offenbar haben Sie sich durch die SPÖ von Ihrem ursprünglichen Anliegen, Disziplinierungsinstrumente à la Schüler Gerber ins Schulwesen einzubringen, zu sehr weggedrängt gefühlt. Das wäre eine Erklärung, für die es durchaus ernst zu nehmende Hinweise gibt. Eine andere Erklärung wäre aber auch, dass diese Regierung partout keine Kompromisse mit der Opposition schließen will. Ja, sie ist vielleicht sogar besonders stolz darauf, ein neues Gesellschaftsmodell, nämlich eine Konfliktdemokratie statt der Konsensdemokratie zu etablieren. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

Noch einmal: Es ist – und wir sagen das mit Bedauern – mit Ihnen leider nicht möglich gewesen, die noch erforderlichen Klarstellungen auszudiskutieren. Sie haben in Aussicht gestellt, mit uns über Integration und Politische Bildung positiv weiterzudiskutieren. Das haben Sie damit ebenfalls verhindert. Ich möchte zur Klarstellung eindeutig feststellen: Es ist nicht möglich, dafür uns das alleinige Verschulden in die Schuhe zu schieben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Mag. Schweitzer  – in Richtung des Redners –: Dieter, mach es dir nicht so schwer! – Abg. Wochesländer: Thema verfehlt!)

21.06

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Amon. Die Uhr ist wunschgemäß auf 10 Minuten eingestellt. – Bitte.

21.06

Abgeordneter Werner Amon, MBA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ich bringe einen Abänderungsantrag der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend den Gesetzesantrag im Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage 582 der Beilagen betreffend eine Änderung des Schulunterrichtsgesetzes in 614 der Beilagen ein und ersuche Sie, Herr Präsident, um Verteilung an die Abgeordneten gemäß § 53 Abs. 4 GOG.

Ich erläutere die Kernpunkte unseres Abänderungsantrags wie folgt: Wir wollen die Verhaltensvereinbarung so, wie wir sie mit den Schulpartnern verhandelt und besprochen haben, und in der Form, über die es uns gestern erfreulicherweise gelungen ist, eine Vier-Parteien-Einigung zustande zu bringen, eigentlich auch umsetzen. Bedauerlicherweise ist das in dieser Form auf Grund des Wortbruchs der SPÖ nicht möglich. Daher sind wir gezwungen, diese Verhaltensvereinbarung auf einfachgesetzliche Weise umzusetzen.

Nach diesem Abänderungsantrag – so er beschlossen wird, wovon ich ausgehe – wird es künftig die Möglichkeit geben, dass die Schulpartner an den Schulen im Rahmen der Hausordnung auch so genannte Verhaltensvereinbarungen beschließen, wobei wir auch jene Formulierungen


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72. Sitzung / Seite 183

berücksichtigt haben, die wir gestern gemeinsam in einem Vier-Parteien-Antrag sozusagen beschlossen haben.

Darüber hinaus haben wir einen wichtigen Punkt in folgender Formulierung festgelegt: "wobei das Einvernehmen aller Schulpartner anzustreben ist." Es geht uns ausdrücklich darum, dass mit dieser Verhaltensvereinbarung den Schulen ein Instrument zur Konfliktlösung gegeben wird, das auf moderne Art und Weise mit einem mediativen Zugang die Möglichkeit schafft, Probleme zu lösen.

Ich weiß, Sie haben gerne von Rohrstaberl-Politik und Steinzeitpädagogik gesprochen. All das ist natürlich völlig frei erfunden! Unsere Intention war immer, mit dieser Maßnahme eine moderne Form neuer Schulkultur zu ermöglichen. Das wird bereits jetzt an vielen Schulen praktiziert, aber es hat eben auch den Wunsch der Schulpartner gegeben, hierfür ein entsprechendes rechtliches Backing, einen entsprechenden Rückhalt sicherzustellen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass die in diesem Zusammenhang insbesondere von sozialdemokratischer Seite sehr polemisch geführte Debatte auch gar nicht zielführend ist, denn der Wunsch, solche Verhaltensvereinbarungen einzuführen, kommt nicht von politischer Seite. In Wirklichkeit kommt der Wunsch nach solchen Verhaltensvereinbarungen von den unmittelbar Betroffenen: von der Lehrerschaft, und zwar durchaus auch von der sozialdemokratischen Lehrerschaft, von den Schülervertretern – die österreichische Bundesschülervertretung wollte das – und von den Elternvertretern. Und die Schulpartner und ihre Wünsche sollte man ernst nehmen und sie nicht dem parteipolitischen, klein karierten Gezänk, in dem sich die SPÖ offenbar augenblicklich bewegt, opfern. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wir bedauern sehr – und ich möchte das auch ausdrücklich so sagen –, dass Sie die Einigung, die wir erzielt hatten, platzen haben lassen, denn es wäre zweifelsohne sinnvoller gewesen, in dieser Frage einen breiten Konsens herzustellen. Es wäre deswegen sinnvoller gewesen, weil dann die entsprechenden schulpartnerschaftlichen Gremien auch die Möglichkeit erhalten hätten, sozusagen zusätzliche Hilfsstellen einzurichten, die sich mit konkreten Problemen auseinander setzen. Das wird jetzt nicht möglich sein. Daran sind Sie, die Sozialdemokraten, schuld, und Sie haben das daher auch zu verantworten.

Sie haben auch zu verantworten, dass es in Zukunft möglich sein wird, solche Beschlüsse mit einfacher Mehrheit in den schulpartnerschaftlichen Gremien zu fassen. Wir hätten gerne gehabt, dass alle Schulpartner berücksichtigt werden, aber Sie haben das vereitelt. Auch dafür tragen Sie die Verantwortung! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es ist – ich muss das wirklich sagen – sicherlich eine traurige Angelegenheit, dass eine von allen unterschriebene Abänderung, wie wir sie geplant haben, heute in der Form von uns nicht eingebracht werden kann. Es wäre auch nicht seriös, da Sie gesagt haben, Ihre Unterschrift sei nichts wert und gelte nicht. Daher mussten wir uns entschließen, einen eigenen Abänderungsantrag einzubringen. Das machen wir, weil wir den Schulpartnern im Wort sind, und wenn wir unser Wort geben, dann halten wir es auch. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

21.11

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der vorgetragene Antrag ist genügend unterstützt, und ich werde dem Wunsch Rechnung tragen, dass er in schriftlicher Form an alle Mitglieder des Hohen Hauses verteilt wird. Er steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Wortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Kollegen betreffend den Gesetzesantrag im Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage 582 der Beilagen betreffend eine Änderung des Schulunterrichtsgesetzes (614 der Beilagen)


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72. Sitzung / Seite 184

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

1. In Z 1 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages ist nach der Zitierung "§ 42 Abs. 10," die Zitierung "§ 44 Abs. 2," einzufügen.

2. In Z 2 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages ist nach der Zitierung "§ 42 Abs. 2, 3, 4 und 15," die Zitierung "§ 44 Abs. 1," einzufügen.

3. In Z 4 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 13 Abs. 3) hat in Z 2 des § 13 Abs. 3 die Wendung "nach Anhörung eines nach Maßgabe der autonomen Schulordnung gemäß § 44 Abs. 2 allenfalls eingerichteten schulpartnerschaftlichen Gremiums oder, wenn ein solches nicht besteht," zu entfallen.

4. In Z 6 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 13a Abs. 2) hat im letzten Satz des § 13a Abs. 2 die Wendung "nach Anhörung eines nach Maßgabe der autonomen Schulordnung gemäß § 44 Abs. 2 allenfalls eingerichteten schulpartnerschaftlichen Gremiums oder, wenn ein solches nicht besteht," zu entfallen.

5. In Z 9 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 21 Abs. 3 erster Satz) sind im ersten Satz des § 21 Abs. 3 die Worte "autonomen Schulordnung" durch das Wort "Hausordnung" zu ersetzen.

6. In Z 13 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 43 Abs. 1) sind im Abs. 1 des § 43 die Worte "autonome Schulordnung" durch das Wort "Hausordnung" zu ersetzen.

7. Z 14 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages hat zu lauten:

"14. Die Überschrift des § 44 lautet:

" Gestaltung des Schullebens und Qualitätssicherung""

8. Nach Z 14 ist folgende Z 15 einzufügen:

"15. Im § 44 Abs. 1 wird nach dem zweiten Satz folgender Satz eingefügt:

"In der Hausordnung können je nach der Aufgabe der Schule (Schulart, Schulform), dem Alter der Schüler sowie nach den sonstigen Voraussetzungen am Standort (zB Zusammensetzung der Klasse, schulautonome Profilbildung, Beteiligung an Projekten bzw. Schulpartnerschaften, regionale Gegebenheiten) schuleigene Verhaltensvereinbarungen für Schüler, Lehrer und Erziehungsberechtigte als Schulgemeinschaft und Maßnahmen zur Förderung der Schulqualität festgelegt werden, wobei das Einvernehmen aller Schulpartner anzustreben ist.""

9. Z 14a des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 45 Abs. 4) ist in "16." umzubenennen.

10. Z 15 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 49 Abs. 1 und 2) ist in "17." umzubenennen; die Novellierungsanordnung hat zu lauten:

"17. § 49 Abs. 1 lautet:"

11. In Z 15 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 49 Abs. 1 und 2; neue Z 17) sind im Abs. 1 des § 49 die Worte "autonomen Schulordnung" durch das Wort "Hausordnung" zu ersetzen und hat der Abs. 2 des § 49 zu entfallen.

12. Die Z 15a und 15b des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 57 Abs. 11 und § 58 Abs. 5) sind in "18." und "19." umzubenennen.

13. Die Z 15c des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 59b samt Überschrift) ist in "20." umzubenennen; Abs. 1 des § 59b hat zu lauten:


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72. Sitzung / Seite 185

"(1) Der Schulsprecher, in Schulen in welchen ein Abteilungssprecher zu wählen ist, der Abteilungssprecher, hat das Recht, die Schüler einer Klasse innerhalb der Schulliegenschaft zur Beratung und Information über Angelegenheiten, die sie in ihrer Eigenschaft als Schüler betreffen, zu versammeln."

14. Die Z 16 bis 23 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 63a Abs. 1, § 63a Abs. 2 Z 1 lit. c, § 63a Abs. 12, § 63a Abs. 14, § 64 Abs. 1, § 64 Abs. 2 Z 1 lit. d, § 64 Abs. 11 und § 64 Abs. 13) haben zu entfallen.

15. Z 24 und 25 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 66 Abs. 4 und § 70 Abs. 2a) sind in "21." und "22." umzubenennen.

16. Z 26 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 71 Abs. 1) ist in "23." umzubenennen und hat zu lauten:

"23. Im § 71 Abs. 1 zweiter Satz wird die Wendung "schriftlich, telegraphisch oder mittels Telekopie" durch die Wendung "schriftlich (nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten auch telegrafisch, fernschriftlich, mit Telefax, im Wege automatisationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise)" ersetzt."

17. Z 27 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 71 Abs. 2 lit. e) ist in "24." umzubenennen.

18. Z 28 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 71 Abs. 2) ist in "25." umzubenennen und hat zu lauten:

"25. Im § 71 Abs. 2 zweiter Satz wird die Wendung "schriftlich, telegraphisch oder mittels Telekopie" durch die Wendung "schriftlich (nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten auch telegrafisch, fernschriftlich, mit Telefax, im Wege automatisationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise)" ersetzt."

19. Z 29 und 30 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 73 Abs. 3a und § 76 Abs. 1) sind in "26." und "27." umzubenennen.

20. Z 31 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 82 Abs. 5g) ist in "28." umzubenennen; Abs. 5g des § 82 hat zu lauten:

"(5g) Die nachstehend genannten Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2001 treten wie folgt in Kraft:

1. § 3 Abs. 6, § 7 Abs. 1, 3 und 4, § 11 Abs. 6, § 12 Abs. 2 und 9, § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 3, 4 und 5, § 15 Abs. 1, 2, 3 und 4, § 17 Abs. 3, § 18 Abs. 7 und 10, § 19 Abs. 2, § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 9, § 23 Abs. 5, § 25 Abs. 5b, § 29 Abs. 6, § 31b Abs. 2, § 33 Abs. 2 lit. e, § 42 Abs. 2, 3, 4, 10 und 15, die Überschrift des § 44, § 44 Abs. 1 und 2, § 45 Abs. 4, § 54 a Abs. 2 und 3, § 56 Abs. 8, § 59a Abs. 12, § 63a Abs. 5, § 64 Abs. 19, § 66 Abs. 4, § 71 Abs. 2 lit. e, § 75 Abs. 1 und 3, § 76 Abs. 1, § 77 sowie § 83 Abs. 1 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft;

2. § 13 Abs. 3 und 4, § 13a Abs. 2, § 19 Abs. 4, § 21 Abs. 3, § 32 Abs. 3a, § 43 Abs. 1, § 49 Abs. 1, § 57 Abs. 11, § 58 Abs. 5, § 59b samt Überschrift, § 70 Abs. 2a, § 71 Abs. 1 und 2 sowie § 73 Abs. 3a treten mit 1. September 2001 in Kraft;

3. § 82a samt Überschrift tritt mit 1. September 2002 in Kraft."

21. Z 31a und 32 des eingangs bezeichneten Gesetzesantrages (§ 82a samt Überschrift und § 83 Abs. 1) sind in "29." und "30." umzubenennen.


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72. Sitzung / Seite 186

Begründung:

Bereits derzeit haben an verschiedenen Schulen die Schulpartner in der schuleigenen Hausordnung (§ 44 Abs. 2 des Schulunterrichtsgesetzes) Festlegungen über das Verhalten in der Schule getroffen. Der vorliegende Abänderungsantrag sieht nunmehr im Sinne eines weiteren Ausbaues des Subsidiaritätsgedankens vor, dass Verhaltensvereinbarungen im Sinne der Regierungsvorlage 582 der Beilagen nicht eigens in autonomen Schulordnungen, sondern an der jeweiligen Schule im Rahmen der Hausordnung getroffen werden können. Ebenso sehen die §§ 63a und 64 des Schulunterrichtsgesetzes bereits derzeit vor, dass Ausschüsse bzw. Unterausschüsse (§ 63a Abs. 9, § 64 Abs. 12) zur Beratung bzw. zur Beschlussfassung insbesondere in wichtigen Angelegenheiten der Erziehung vorgesehen werden können. Es erscheint daher nicht unbedingt erforderlich und auch dem Deregulierungsgedanken Rechnung tragend, dass im Gesetz ein zusätzliches schulpartnerschaftliches Gremium, das sich ausschließlich mit Erziehungs- bzw. Verhaltensfragen zu befassen hat, ermöglicht wird. Vielmehr kann diese Beratung durch die Schulpartnerschaftsgremien selbst bzw. durch deren Ausschüsse oder Unterausschüsse erfolgen.

Gleichzeitig soll klar zum Ausdruck gebracht werden, dass solche Verhaltensvereinbarungen – wenn sie beschlossen werden – das Zusammenwirken aller Schulpartner (Schüler, Lehrer und Erziehungsberechtigte) betreffen und darüber hinaus auch die Förderung der Schulqualität sowie der Qualität des Zusammenlebens in der Schule zum Ziel haben.

Das Ziel, die im Rahmen der Hausordnung festzulegenden schuleigenen Verhaltensvereinbarungen im Einvernehmen mit allen Schulpartnern abzuschließen, entspricht dem Geist der im § 63a und § 64 normierten erhöhten Zustimmungsquoren für bestimmte (autonome) Entscheidungen der Schulpartnerschaft.

Der vorliegende Abänderungsantrag sieht somit unter Verzicht auf die autonome Schulordnung sowie auf ein eigens einzurichtendes schulpartnerschaftliches Gremium eine wesentliche Vereinfachung des Novellentextes vor. Im Übrigen enthält der vorliegende Abänderungsantrag Adaptierungen (Inkrafttreten des § 82a samt Überschrift mit 1. September 2002) und sprachliche Verbesserungen (§ 59b Abs. 1).

Kompetenzrechtliche Grundlage:

Ein dem Gesetzesantrag (614 der Beilagen) in der Fassung des vorliegenden Abänderungsantrages entsprechendes Bundesgesetz gründet sich kompetenzrechtlich auf Art. 14 Abs. 1 B-VG, bezüglich der vom Geltungsbereich des Schulunterrichtsgesetzes umfassten land- und forstwirtschaftlichen Schulen auf Art. 14a Abs. 2 B-VG.

Besondere Beschlusserfordernisse:

Die Beschlussfassung über den Gesetzesantrag (614 der Beilagen) in der Fassung des vorliegenden Abänderungsantrages unterliegt nicht den besonderen Beschlusserfordernissen des Art. 14 Abs. 10 B-VG, da es sich nicht um Angelegenheiten der Privatschulen oder der Schulorganisation handelt.

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Brosz. – Bitte.

21.12

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Jetzt sind wir bei dem Punkt angelangt, zu dem es gestern Verhandlungen gegeben hat. Sagen wir es, wie es ist: Herausgekommen ist ein Kompromiss.

Ich möchte noch einmal darauf eingehen, warum wir versucht haben, diese gestrigen Gespräche in Gang zu bringen, warum wir das Ersuchen an Klubobmann Khol und Bundesministerin Gehrer gestellt haben, noch einmal zu verhandeln. Wir haben in den letzten Tagen gesehen,


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72. Sitzung / Seite 187

dass die Positionen grundsätzlich an sich nicht so weit auseinander liegen. Ich gestehe in dem Zusammenhang zu, dass es auf Seiten der Regierungsparteien und auch bei dem, was aus dem Ministerium gekommen ist, eine Entwicklung gegeben hat, die man zumindest zur Kenntnis nehmen muss.

Es gab einen ersten Referentenentwurf, der die Überschrift "Erziehungsrat" getragen hat. Der wurde als nicht koordiniert und nicht miteinander abgestimmt wieder zurückgezogen. Es gab dann einen Entschließungsantrag, den nur die Regierungsparteien beschlossen haben, in dem davon die Rede war, dass es zu erzieherischen Konsequenzen kommen soll, verbindliche Erziehungsvereinbarungen abgeschlossen und angemessene Erziehungsmittel angewandt werden sollen.

Wir haben in diesem Stadium immer gesagt: Das ist nicht unser Ansatz. Es geht uns nicht darum, festzuschreiben, dass bei Problemen in den Schulen nur ein Teil für Konflikte verantwortlich ist, dass es die Schüler sind, die es zu disziplinieren gilt. Wir haben von Beginn dieser Diskussion an immer eingebracht, dass es uns nicht um die Ablehnung einer Vereinbarungskultur, um die Ablehnung von Vereinbarungen geht, sondern darum, diese aufzumachen, sie so zu gestalten, dass es wirklich Vereinbarungen sind, die alle Schulpartner betreffen. (Beifall bei den Grünen.)

Wir haben das dann auch bei den Expertengesprächen, beim Hearing immer wieder eingebracht. Um vielleicht klarer zu machen, worum es bei der Auseinandersetzung letztlich gegangen ist, lese ich jetzt einmal die Passage vor, die – das muss man auch zugestehen – bereits anders geklungen hat als das, was ich vorhin angeführt habe. Nunmehr war die Rede davon, ein schulpartnerschaftliches Gremium – ich zitiere – "zur Beratung von Erziehungs- oder Orientierungshilfen, zur Hilfestellung in Konfliktsituationen ... und zur Förderung der Verhaltensentwicklung einzurichten".

Das ist schon eine ganz andere Terminologie, eine ganz andere Entwicklung als am Anfang. Uns ist es dann darum gegangen, zu sagen: Schauen wir einmal. Unsere Position war: Wir wollen das. Auch von der SPÖ ist dann argumentiert worden, es gehe in erster Linie darum, alle einzubinden. Wir haben uns offen und ohne Hintergedanken darauf eingelassen. Vor allem, als ich dann am Montag den Gastkommentar von Frau Ministerin Gehrer in der "Kronen Zeitung" gelesen habe, in dem sie noch einmal klargestellt hat, dass es auch ihr darum gehe, dass alle eingebunden seien, war, ehrlich gesagt, mein zentrales Anliegen, dass ich die Regierungsparteien auf die Probe stellen wollte: Gibt es den Willen, das, was hier nach außen transportiert wird, auch ins Gesetz hineinzuschreiben? Das geschah. (Abg. Mag. Schweitzer: Und?) Und so haben wir das gestern dann auch unterschrieben. (Beifall bei den Grünen, den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Mag. Schweitzer: Bravo! Sehr gut!)

Die gewählte Formulierung machte deutlich, dass diese Vereinbarungen für alle Schulpartner – Schüler, Lehrer und Eltern – gelten sollten. Wir sind bereit gewesen, diesen Kompromiss mitzutragen, und wir sind es nach wie vor. Ich bringe daher folgenden Abänderungsantrag ein, damit dieser Kompromiss, der gestern noch als Vier-Parteien-Antrag vorgesehen war, im Plenum auch zur Abstimmung gelangt:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Brosz, Freundinnen und Freunde betreffend den Gesetzesantrag im Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage 582 der Beilagen betreffend eine Änderung des Schulunterrichtsgesetzes (614 der Beilagen)

Der Nationalrat wolle in Zweiter Lesung beschließen:

1. In Z 14 lautet die Überschrift des § 44 neu: "Gestaltung des Schullebens, autonome Schulordnung und Qualitätssicherung".


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72. Sitzung / Seite 188

2. In § 44 Abs. 1 wird im letzten Satz nach der Wendung "schuleigene Verhaltensvereinbarungen" die Wortfolge "für Schüler, Lehrer und Erziehungsberechtigte als Schulgemeinschaft und Maßnahmen zur Förderung der Schulqualität" eingefügt.

3. Im § 44 Abs. 2 erster Satz, wird nach dem Wort "Verhaltensentwicklung" die Wendung "sowie zur Erstellung eines Aufgabenkatalogs zur umfassenden Förderung der Schulqualität und zur Qualität des Zusammenlebens in der Schule"

4. In Z 31 entfällt in § 82 Abs. 5g Z 2 die Wendung "sowie § 82a" und wird in § 82 Abs. 5g nachstehende Z 3 eingefügt:

"3. § 82a samt Überschrift tritt mit 1. September 2002 in Kraft."

*****

Ich hoffe, das war jetzt korrekt so. Das war das, was wir gestern vereinbart hatten. Wir wollen das heute abstimmen lassen, um zu dokumentieren, dass wir zu dem, was wir gestern vereinbart haben, stehen und diesen Kompromiss, so wie er gewesen ist, mitgetragen hätten. (Abg. Mag. Schweitzer: Schade, da können wir nicht mitstimmen!) Das ist eine Schwierigkeit, das habe ich schon mitbekommen.

Jetzt erkläre ich auch noch, warum wir der Variante, die vorhin als Abänderungsantrag eingebracht wurde, nicht zustimmen werden. Kollege Amon hat bereits angeführt, dass es eine zentrale Veränderung gibt, die notwendig geworden ist. Wir haben immer betont, dass es nicht so sein darf, dass Vereinbarungen – zumindest theoretisch – gegen den Willen der Schüler abgeschlossen werden können. Das ist jetzt allerdings nach dieser einfachgesetzlichen Regelung der Fall, da der Schulgemeinschaftsausschuss sie nunmehr einfach mit Mehrheit beschließen kann. Deswegen werden wir das so nicht mittragen. Aber ich denke, wir haben dokumentiert, dass wir an einem Kompromiss im Sinne dessen, was wir gestern vereinbart hatten, interessiert gewesen wären.

Ich will noch einmal kurz auf die Debatte, die es gegeben hat, zurückblicken. Ich war nie besonders glücklich darüber, wie sie in Einzelbereichen geführt worden ist, dass von Rohrstaberl-Pädagogik die Rede war. Ich war auch nicht wirklich glücklich darüber, dass anfangs doch das Disziplinelement stärker "mit eingepackt" war – drücken wir es einmal so aus. Das hat sich aber, wie gesagt, entwickelt. Ich habe es für falsch gehalten – und habe das auch gesagt –, wenn Argumente gekommen sind, dass über die Vereinbarungen auch "gesunde Watschen" und Ähnliches eingeführt werden könnten, weil das sachlich einfach unrichtig ist. Sachlich geht es natürlich darum, dass – und das war uns auch ganz besonders wichtig – die Erziehungsmaßnahmen, Erziehungsmöglichkeiten oder Strafmöglichkeiten – wie immer man das auch bezeichnen will – gesetzlich nicht ausgeweitet werden. Wenn in diesem Bereich der Rahmen erweitert worden wäre, hätten wir darüber nicht mit Zielrichtung Kompromiss diskutiert.

Letztlich gab es durchaus Rückmeldungen aus vielen Bereichen. Ich meine, man muss schon auch ernst nehmen, dass es auch an Schulen, von denen wir eher meinen, dass dort demokratische Kulturen eingeführt worden sind – beispielsweise Schulschiff in Wien, beispielsweise auch die Schule in der Rahlgasse –, Vereinbarungen gibt, die dort offenbar zumindest nicht schlecht funktionieren. Wir wissen auch, dass es im Alternativschulwesen eine Kultur der Vereinbarungen in sehr vielen Bereichen als verbindliche Form des Zusammenlebens gibt. Es ist uns also nie darum gegangen, zu sagen, Vereinbarungskulturen in Form der Bindung nicht nur der Schüler seien nicht wichtig.

Uns wäre ein Zeichen in Richtung stärkerer Einbindung auch der anderen Schulpartner wichtig gewesen. Dazu hätte es auch die Möglichkeit zu Verhandlungen in der Form, wie wir sie zum Schluss gehabt haben, gegeben. Wenn verschiedene Seiten etwas gewollt hätten, dann hätten sie auch etwas anbieten müssen. In diesem Prozess hätte es aus meiner Sicht eher die Möglichkeit dazu gegeben – bei allen Problemen, die man rundum noch sehen kann –, auch zu einer Stärkung der Stellung der Schüler speziell gegenüber den Lehrern und den Eltern beizutragen.


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72. Sitzung / Seite 189

Es ist mir klar, dass Erziehungsvereinbarungen – das ist überhaupt keine Frage – in dieser Form schlecht sind. Verhaltensvereinbarungen können positiv umgemünzt werden. Letztlich wird es an der Auslegung liegen, was dabei konkret herauskommt, auch so wie es jetzt gestaltet ist.

Was ich noch sagen wollte, ist, dass viele Probleme, die wir im Rahmen dieser Diskussion aufgezeigt haben, auch in der Vergangenheit schon da waren. Zum Beispiel die Nichteinbindung von Pflichtschülern in die Schulforen – etwas, was wir immer anders gesehen haben – ist bestehende Regelung. Die wird nicht neu gemacht, die gibt es nach wie vor, und sie war aus unserer Sicht auch jetzt schon unvollständig.

Was wir, gemeinsam auch mit der SPÖ, aufgezeigt haben, ist die Notwendigkeit einer Umformulierung so mancher Schulordnungen, in denen Beispiele drinnen gestanden sind wie jenes vom Kaugummientfernen – wir haben das auch hier schon dargestellt. Sie sind auch in der jetzigen Regelung enthalten – ich weiß nicht, warum. Meiner Meinung nach gäbe es da Gründe, dagegen einzuschreiten, aber sie sind jetzt da.

Zumindest das muss man in der Argumentation wirklich trennen. Es gibt Probleme, über die wir auch weiterhin reden sollten, aber die sind nicht nur an dieser Sache aufzuhängen.

Letztlich ist dieser Kompromiss jetzt gescheitert. Es wird eine Variante kommen, die aus meiner Sicht sicher schlechter ist als die, die beim Kompromiss herausgekommen wäre. Letztlich war es nicht wirklich erfolgreich, was wir da versucht haben, allerdings mit einer Ausnahme, und die ist mir ganz wichtig: Auch in dieser neuen Vereinbarung, wie Sie sie jetzt eingebracht haben, steht drinnen, dass das für Schüler, Lehrer und Eltern gelten muss. Zumindest diesen Erfolg nehme ich für uns mit: dass es uns, obwohl wir nicht zustimmen werden (Heiterkeit des Abg. Mag. Schweitzer ), gelungen ist, auch die Regierungsparteien davon zu überzeugen, dass man das ins Gesetz hineinschreiben soll. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Schweitzer: Das war jetzt köstlich!)

21.21

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Schweitzer. Die Uhr ist auf 8 Minuten eingestellt. – Bitte.

21.22

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim heutigen Verhandeln am Vormittag, als Noch-Klubobmann Kostelka verbal gezappelt hat, um das irgendwie hinüberzubringen ... (Abg. Dr. Kostelka: Gezappelt haben Sie! ) Sie haben wirklich verbal gezappelt, und Sie haben mich mit diesem verbalen Zappeln an diese Geschichte aus dem "Struwwelpeter" erinnert, weil gleichzeitig Kollege Antoni so nach dem Motto "Und der Dieter blicket stumm um den ganzen Tisch herum" dagesessen ist und nicht mehr sagen konnte, warum er sich von dem, was er gestern als hervorragende Einigung bezeichnet hat, unter Berücksichtigung all dessen, was die SPÖ noch hineinreklamieren wollte, heute distanzieren muss. Das wollte er nicht sagen, also ist er stumm sitzen geblieben.

Und Sie selbst haben ja auch eine tragische Figur machen müssen. Ich mache es Ihnen nicht zum Vorwurf, Sie haben sich halt dem neuen Klubobmann beugen müssen, der jetzt in der Schul- und Bildungspolitik eine andere Linie fährt, als Sie sie vielleicht gerne gefahren hätten. Denn Sie haben auch noch Bedenken geäußert, indem Sie gesagt haben: Wir sollten darauf achten – ich habe das mitgeschrieben, Herr Noch-Klubobmann Kostelka –, dass wir uns nicht in eine Situation hineinmanövrieren, in der wir uns dann der Lächerlichkeit preisgeben.

Herr Kollege Kostelka! Ich gratuliere Ihnen! Sie haben sich genau in diese Situation hineinmanövriert. Sie und die SPÖ haben sich mit diesem Verhalten der Lächerlichkeit preisgegeben. Das zeigt die "Kurier"-Schlagzeile von morgen, das hat die Berichterstattung in der "ZiB 1" gezeigt, und das werden noch weitere Diskussionen und Berichterstattungen zu diesem Thema zeigen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)


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72. Sitzung / Seite 190

Es tut mir Leid, Herr Kollege Kostelka, dass Sie als gar nicht so praktizierender Sportler gestern zum Salto vorwärts angesetzt haben, der einigermaßen gelungen ist, und heute zum Salto rückwärts ansetzen mussten, so nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? – Sie haben halt eine bereits schriftlich vorliegende unterzeichnete Vereinbarung gebrochen, weil sich nicht die Kostelkas und nicht die Antonis – und das bedauere ich sehr – durchsetzen konnten, sondern weil sich die Schaschings und die Kuntzls und die Caps durchgesetzt haben. Das gibt mir zu denken.

Das gibt mir zu denken auch im Hinblick auf die zukünftige Arbeit in diesem Haus. Was bedeutet es, wenn sich in vermehrtem Ausmaß die Caps, die Schaschings, die Kuntzls, und wie sie alle heißen, durchsetzen? Die gestrige Dringliche zur ÖIAG hat bereits den neuen Stil des designierten Klubvorsitzenden gezeigt, der polemisch hervorragend war, aber inhaltlich nichts beitragen konnte. Genau das Gleiche ist auch für die Bildungspolitik zu befürchten.

Ich habe, Herr Klubobmann Kostelka – wenn ich um Ihre Aufmerksam bitten darf –, noch einmal die Struktur des Koalitionsübereinkommens zwischen SPÖ und ÖVP hergenommen und habe auch hier auf Seite 49 genau das gefunden, was gestern und auch heute zur Beschlussfassung vorliegt, nämlich dass für eine neue Schulkultur moderne Erziehungsvereinbarungen notwendig sind. Die Erarbeitung und Erprobung unter Einbeziehung aller Schulpartner steht hier als Zielsetzung (Abg. Böhacker: Wo steht das?) der damaligen Verhandlungen von SPÖ und ÖVP. (Abg. Böhacker: Hört! Hört!)

Genau das, was Sie vereinbart haben, wurde hier zur Beschlussfassung vorgelegt, und Sie haben sich auf eine wirklich peinliche Art und Weise davon verabschiedet, obwohl es ganz im Gegensatz zu dem, was Sie behaupten, im Vorfeld eine Reihe von Gesprächen gegeben hat. Zwei Treffen mit den Schulpartnern hat es gegeben, es hat viele und lange Ausschussberatungen gegeben, und es hat auch weitere Zusammenkünfte zwischen den Parteien und Parteienverhandlungen gegeben. Das heißt also, es war genügend Zeit, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir haben es geschafft, aber dieser gemeinsame Nenner wurde dann mutwillig zerstört – warum auch immer.

Es hat wahrscheinlich mit einem Richtungsstreit zu tun, der Ihrer Partei immanent ist. Ich hoffe, die konstruktiven Kräfte können sich im Endeffekt doch noch durchsetzen. Es wäre schade, nicht nur für die Bildungspolitik, wenn sich Caps, Kuntzls, und wie sie alle heißen, durchsetzten.

Einige Worte noch zu diesen Erziehungsvereinbarungen, die seinerzeit von Ihnen als Rohrstaberl-Kultur bezeichnet wurden: Soll man Schüler, die sich häufig disziplinlos verhalten, meine Damen und Herren, in die Schranken weisen können? – Ich kann diese Frage nur mit Ja beantworten. Cap & Co sagen nein dazu. Mit unserem Vorschlag von Verhaltensvereinbarungen mit der Möglichkeit, auch Sanktionen festzulegen, stehen wir auf einer Seite mit einer großen Mehrheit der Eltern, mit einer großen Mehrheit der Schüler und mit einer großen Mehrheit der Lehrer. Von diesen großen Mehrheiten – auch bei den Schülern, Lehrern und Eltern – werden Sie für das, was Sie heute hier aufgeführt haben – man kann es nicht anders bezeichnen –, kein Verständnis finden. Nicht genügend, setzen! – Das ist das Einzige, was wirklich auf das passt, was Sie heute hier tatsächlich aufgeführt haben.

Herr Kollege Kostelka! Es ist Ihnen offensichtlich nicht angenehm, diese Debatte führen zu müssen, und es kommt Ihnen wahrscheinlich zugute, dass der Kollege Ex-Finanzminister jetzt neben Ihnen sitzt, damit Sie etwas abgelenkt wirken können, Herr Kollege Kostelka. Wollen Sie die Ausweitung von Gewalt gegen Mitschüler? Wollen Sie die Ausweitung vermehrter Sachbeschädigungen? Wollen Sie die Erpressung von Mitschülern und tatenlos zusehen, wohin das führt? (Abg. Silhavy: Sie greifen in die tiefste Schublade!)  – Mein Gott, die angenehmste Stimme des Parlaments darf ich hier zu später Stunde herzlich begrüßen! (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen.)  – Wollen Sie, dass wir zu Zuständen kommen, wie wir sie täglich aus den USA übermittelt bekommen? (Abg. Dr. Lichtenberger: Das sind Untergriffe!) In den USA braucht man inzwischen bereits schuleigene Sicherheitskräfte!


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72. Sitzung / Seite 191

Das ist nicht das, was ich mir von der zukünftigen Schule in Österreich vorstelle, meine Damen und Herren. So etwas wird in Österreich so lange nicht notwendig sein, solange vernünftige Bildungspolitik von diesen Regierungsparteien, hoffentlich auch immer wieder einmal mit Unterstützung der Grünen, gemacht wird.

Nicht immer führt – und das möchte ich Ihnen abschließend sagen – der Versuch des Vermittelns von Einsicht zum Erfolg. Das wird oft zu wenig sein – wer Lehrer ist, der weiß das genau. Ohne ein Mindestmaß an sinnvollen Verhaltensvereinbarungen kann eine Gemeinschaft nicht funktionieren, auch wenn die meisten guten Willens sind. Aber für die wenigen ist es gut, dass es in Hinkunft diese Verhaltensvereinbarungen gibt, auch wenn Sie nicht bereit sind, dem zuzustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

21.30

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt die Frau Bundesministerin. – Bitte, Frau Minister.

21.30

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! In einer offenen und freien Gesellschaft ist es wichtig, grundlegende Spielregeln zu vereinbaren, Spielregeln, die ein möglichst konfliktarmes Zusammenleben ermöglichen. Das haben zahlreiche Schulen erkannt und haben über die Hausordnung hinaus Verhaltensvereinbarungen getroffen.

Diese Vereinbarungen sind bereits erprobt – Beispiele von Schulen können bei uns auf der Homepage des Ministeriums abgerufen werden. Auf Grund dieser Entwicklung haben wir damals in den Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ auch diese Vereinbarung getroffen. Damals hat es noch "Erziehungsvereinbarungen" geheißen. In der Folge gab es zahlreiche Diskussionen mit dem Bildungssprecher der SPÖ. Dann wurde der Wunsch geäußert, nicht "Erziehungsvereinbarungen" zu sagen, weil das zu einseitig klinge, sondern "Verhaltensvereinbarungen". Wir sind diesem Wunsch nachgekommen, weil auch wir Verhaltensvereinbarungen wollten.

Jeder, der die Erläuterungen zum Gesetz genau gelesen hat, weiß auch ganz genau, was mit diesen Verhaltensvereinbarungen gemeint ist. Da steht ganz klar:

"Diese schuleigenen Verhaltensvereinbarungen sind Ausdruck der neuen Vereinbarungskultur an den Schulen, die wesentliche und gemeinsam erarbeitete Grundprinzipien in Form eines ... Konsenses für das Verhalten der Schüler untereinander, das Verhalten der Schüler zu den Lehrern aber auch umgekehrt widerspiegeln sollen. Selbstverständlich sind auch die Erziehungsberechtigten in dieses partnerschaftliche Zusammenleben einbezogen."

Wir haben also in den Erläuterungen ganz klar festgestellt, dass es darum geht, mit allen drei Schulpartnern derartige Verhaltensvereinbarungen zu erarbeiten. Wir haben es als Kann-Bestimmung im Gesetz festgehalten, denn es gibt Schulen, die brauchen solche Verhaltensvereinbarungen, und es gibt Schulen, die brauchen sie nicht.

Der Idee, die ich da heute in einer Tageszeitung gelesen habe, wo eine prominente Vertreterin der SPÖ-Bildungspolitik sagt, so etwas muss doch die Zentrale machen, so etwas muss doch zentral verordnet werden, kann ich nicht zustimmen. Meine Damen und Herren, der richtige Weg ist es, derartige Möglichkeiten in die Autonomie der Schule zu geben, denn die kleine Volksschule im Montafon braucht so etwas nicht (Abg. Dr. Lichtenberger: Da wäre ich nicht so sicher!), aber eine größere Schule in einem anderen Bereich braucht es vielleicht. Deshalb ist es richtig, das in die Kompetenz, in die Autonomie der Schule zu geben.

Warum wollten wir diese Möglichkeiten im Gesetz verankern? – Wir wollten sicherstellen, dass derartige Verhaltensvereinbarungen nur mit Zweidrittelmehrheit in jeder Kurie beschlossen werden können. Das heißt, zwei Drittel der Eltern, zwei Drittel der Lehrer und zwei Drittel der Schüler im Schulgemeinschaftsausschuss müssen zustimmen, damit es solche Verhaltensvereinbarungen gibt. Das war der Grund, warum wir das im Gesetz verankert haben wollten. – Das kommt nun leider nicht zustande.


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72. Sitzung / Seite 192

Zahlreiche Schulen erproben diese Verhaltensvereinbarungen. Ich kann Ihnen unverdächtige Zeugen nennen. Die Direktorin des Schulschiffes in Wien – sicher keine sehr konservative Schule – sagt: Wir sind dabei, Spielregeln des Zusammenlebens zu erarbeiten. Sie sagt wörtlich: Gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Voraussetzungen dafür sind gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung, mitunter auch ein Abgehen von eigenen Vorstellungen, wenn man das gemeinsame Ziel erreichen will. – Das ist also das, was das Typische der Verhaltensvereinbarungen ausmacht: Sie werden an der Schule erarbeitet, und zwar nach der Notwendigkeit, die an der Schule gegeben ist. Sie sind gleichzeitig Teil eines Schulentwicklungsprogramms, gleichzeitig aber auch ein positives Leitbild für die Schule, weil sie ja zusammen mit allen Schulpartnern erarbeitet werden. (Abg. Schwemlein: Aber auf der bestehenden Rechtsgrundlage!)

Meine Damen und Herren! Die ständige Vorhaltung, es handle sich um eine uralte Rohrstaberl-Pädagogik, ist ja gestern oder heute früh vom Herrn Kollegen Antoni in der Nachrichtensendung relativiert worden. Da hat er gesagt, sie hätten das nicht so ernst gemeint mit der Rohrstaberl-Pädagogik. Und es ist auch völlig falsch, denn die gesetzlichen Bestimmungen, was an Schulen verboten ist, was nicht sein darf, die werden nicht verändert. Da gibt es kein Zurück. Und das ist auch richtig so. Wir wollen einen weiteren Weg eröffnen, schulpartnerschaftlich vorzugehen, schulpartnerschaftlich Verhaltensvereinbarungen festzulegen.

Ich bedanke mich auch bei denjenigen, die positiv mitgedacht haben. Wir haben es als positiven Vorschlag aufgenommen, dass von Kollegem Brosz gesagt wurde, die Grünen wollen das mit der Partnerschaft auch noch im Gesetz verankert haben, nur in den Erläuterungen ist es ihnen vielleicht ein bisschen zu schwach. Deswegen habe ich auch gesagt, wir wollen diesen Abänderungsantrag gerne berücksichtigen, denn wir wollen ja diese Partnerschaft.

Meine Damen und Herren! Es ist traurig, dass wir nicht einmal in diesem Bereich, in dem es eine Möglichkeit, eine Chance für eine Schule geben soll, Verhaltensvereinbarungen festlegen, einen Konsens herstellen können. Ich hoffe, dass wir mit dem Alternativantrag, den wir heute einbringen, den Schulen die Möglichkeit eröffnen können.

Ich meine, dass sich nach einiger Zeit, wenn wir alle Verhaltensvereinbarungen, die es gibt, evaluieren und zusammenfassen, die Richtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellen wird: den Schulen Chancen und Möglichkeiten zu geben, ihren Herausforderungen zu entsprechen, die Richtigkeit, nicht alles zentral zu verordnen, sondern die Eigenständigkeit, die Autonomie und die gelebte Schulpartnerschaft in den Vordergrund zu stellen. – Und das ist das Ziel unseres Antrages. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

21.36

Präsident Dr. Heinz Fischer: Der Abänderungsantrag des Kollegen Brosz entspricht den Bestimmungen der Geschäftsordnung und steht in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Faul. – Bitte. (Abg. Mag. Schweitzer: Einen konstruktiven Vorschlag, Christian! Wie wäre das?)

21.36

Abgeordneter Christian Faul (SPÖ): Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn Sie von Spielregeln reden, dann kann ich Ihnen auch Recht geben. Die Grundsatzfrage allerdings ist immer die: Wer macht diese Spielregeln? Und wenn ich Ihnen heute diese Verhaltensvereinbarungen in die Hand drücke – Sie kennen sie sicherlich –, die ich da von einer Schule gesehen habe, dann ist ja wirklich die Frage, ob man dazu stehen kann, ob darin nicht Gefahr lauert. Das sind die Dinge, warum man sich eigentlich sehr skeptisch daran stoßen muss.

Die Frage des Kollegen Schwemlein ist ja berechtigt: Warum machen Sie die Verhaltensvereinbarungen nicht auf Grund der jetzt bestehenden Rechtsgrundlage? Warum muss man das Gesetz ändern?

Wenn Herr Kollege Amon herausgekommen ist und gesagt hat, er weiß schon, wer das will, nämlich die Lehrerschaft, die Lehrer, dann sage ich Ihnen, ich weiß auch, wer das will: Es will


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die ÖVP, und es will das Unterrichtsministerium diese Verhaltensvereinbarungen. Und ich sage Ihnen auch, warum. (Abg. Amon, MBA: Die sozialdemokratischen Lehrer wollen das auch!)

Ich bin nach der letzten Sitzung des Unterrichtsausschusses mehr oder weniger zufällig auf dem Nachhauseweg auf einen deutschen Unterrichts- und Erziehungswissenschaftler gestoßen, Professor Derrichs, der in einem Interview mit Ö1 zu den Themen der heutigen Sitzung Stellung genommen hat, und ohne dass er den Ausgang wirklich gewusst hat, hat er mich in vielen Dingen bestätigt.

Er hat aus meiner Sicht, Frau Ministerin, Dinge haarscharf getroffen, etwa in Bezug auf die Frage, warum Sie gerade zum jetzigen Zeitpunkt die so genannten Verhaltensvereinbarungen auf die Tagesordnung setzen: Sie haben durch die Strukturmaßnahmen und die Sparmaßnahmen die Situation der Lehrerinnen und der Lehrer an den Schulen derart verschlechtert, und diese beginnen, sich mit Recht darüber aufzuregen; aufzuregen über die überfüllten Klassen, die Schlechterstellung bei der Arbeitszeit und letztlich – und mit besonderer Berechtigung – auch über die Diffamierungskampagne gegenüber dem Lehrerbild, was leider von deiner Partei, lieber Karl Schweitzer, sehr forciert wird. (Abg. Böhacker: Das ist eine Unterstellung, die durch nichts bewiesen werden kann!)

Um hier quasi zu beruhigen, sehr verehrte Frau Ministerin, um Ihre Klientel, die ÖVP-Lehrer, zu beschwichtigen, letztlich aber auch der Entwicklung, wie sie sich beispielsweise aus den erzieherischen Schwierigkeiten, die durch die von Ihnen gesetzten Maßnahmen entstanden sind, ergeben hat – ich denke beispielsweise an die Aggression durch die Überfüllung im Klassenzimmer –, entgegenzuwirken, wollen Sie den Lehrern und Lehrerinnen mehr Erziehungsgewalt zurückgeben. (Abg. Mag. Schweitzer: Die Überfüllung der Klassen kann aber nicht schuld sein!) Es ist aber so. (Abg. Mag. Schweitzer: Na geh!)

Durch diese Vereinbarungen würden aus Ihrer Sicht und nach Ihrem Wollen den Lehrern einseitig Sanktionsmittel in die Hand gegeben und die demokratischen und partnerschaftlichen Elemente des Schulunterrichtsgesetzes 1974, das ein Meilenstein für uns Sozialdemokraten war und durch welches die Schulverfassung im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Schulpartner – Schüler, Lehrer, Eltern – eingeführt wurde, die vielen autoritären Mitgliedern Ihrer Gesinnungsgemeinschaft, Kollege Amon, permanent ein Dorn im Auge war, zurückgedrängt. Dem würde Tür und Tor geöffnet werden, um dem absolutistischen Regime der Lehrerschaft mehr Möglichkeiten zu geben, um die Lehrer mit mehr Sanktionsmitteln auszustatten, um gegen die Schülerinnen und Schüler vorzugehen, statt sie wie bisher in partnerschaftlicher Kooperation zu motivieren.

Ich darf mich jetzt auf Grund der fortgeschrittenen Zeit ganz kurz fassen: Nicht dieser Vereinbarung zwischen Schülern, Lehrern und Eltern können wir nicht zustimmen, nicht darin sehen wir das Problem, schon gar nicht, wenn sich die Schulen selbst diese Vereinbarungen quasi als Präambel für eine Qualitätssicherung an den Schulen vorgenommen haben oder die Schulpartner sich gemeinsam erarbeitete Leitbilder erstellen und diese in hervorragender Weise auch dokumentieren, nein, Frau Minister, nur an einer falsch verstandenen Handhabung dieser Vereinbarung reiben wir uns. (Abg. Mag. Schweitzer: Willst du ein absolutistisches Regime?)

Ich sage auch gleich, warum: weil die Schüler wieder verstärkt unter dem Sanktionsregime und der Disziplinargewalt der Erwachsenen leiden werden, weil die Schulen unter dem Vorwand der Konfliktlösung wieder verstärkt Strafsanktionen gegen die Schüler aussprechen können, weil das Prinzip der tendenziellen demokratischen Schulgemeinschaften abgeschafft wird, weil angstfreies Lernen an der Schule durch autoritäre Maßnahmen von Lehrern behindert wird. Das alles sind Fakten. (Abg. Mag. Schweitzer: Von welchen Lehrern sprechen wir? Du schädigst ja das Lehrerbild!) Ja, es ist so. (Abg. Mag. Schweitzer: Du gehst aber ordentlich auf die Lehrer los! Das fällt mir schon auf!)

Frau Ministerin! Ihnen laste ich an, dass Sie letztlich durch Ihre Maßnahmen, durch das falsche Sparen an den Schulen diese Diskussion ausgelöst haben. Sie, Frau Ministerin, hätten verhindern können, dass an den Schulen derart falsch gespart wird. Das ist Faktum. Sie hätten ver


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hindern können, dass der soziale Auftrag des Klassenvorstandes so sang- und klanglos verschwindet, Sie hätten verhindern können, dass die Lehrer ihre Erziehungsaufgaben durch die Erhöhung der Arbeitszeit so gefährdet sehen. Ob Sie das aufrechterhalten wollen oder können, ist eine andere Frage.

Sie, Frau Ministerin, hätten auch verhindern können, dass neue Bildungsbegriffe, dass die technokratischen Fächer und die Ausbildung der Schüler in diese Richtung Vorrang haben und Fächer mit kulturellen, musischen und sozialkundlichen Inhalten langsam aus der Schule verschwinden.

Sie, Frau Ministerin, hätten auch verhindern können, dass die Einrichtungen der Schule, die sich vorrangig den Erziehungsaufgaben und der Lösung von Konfliktfällen widmen, auch eingespart werden. Sie, Frau Ministerin, hätten sich schon lange dafür einsetzen müssen, dass Lehrer zu Sozialbetreuern, zu Mediatoren und Moderatoren ausgebildet werden.

Ein letztes Wort noch, Frau Ministerin: Es gäbe viel Wichtigeres zu tun, als dieses unsinnige Schulunterrichtsgesetz beschließen zu wollen. (Beifall bei der SPÖ. – Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

21.42

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Großruck. Die Uhr ist auf 8 Minuten gestellt. – Bitte.

21.42

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Hoch geschätzte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ein bekanntes Sprichwort lautet: Die Schlagzeile von gestern ist morgen nichts mehr wert. – Die Sozialisten haben dieses Sprichwort verschärft. Sie haben dafür gesorgt, dass es heißt: Die Schlagzeile von heute früh ist am Abend nichts mehr wert, denn "Gusenbauers VerhinderungsgesmbH", vormals SPÖ, hat es geschafft, hier einen Purzelbaum, einen Salto mortale vorwärts und rückwärts zu machen. Die Argumentation, die wir jetzt zu hören bekommen, der Eiertanz, der aufgeführt wird, um zu rechtfertigen, dass die gestern geleistete Unterschrift auf ein Dokument – und als solches bezeichne ich es – nicht so gemeint war – ich glaube, das spricht für sich selbst.

Gestern und heute in der Früh hat es im "Kurier" noch geheißen: "Neue Regeln für die Schule: Jetzt stimmen doch alle zu", heute Abend lesen wir: "Nicht genügend", "Die SPÖ auf der Eselsbank".

Meine Damen und Herren! Sie müssen mit dieser Qualifikation und diesen Schlagzeilen selbst fertig werden. Es ist Ihr Problem, wie Sie damit umgehen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Grabner: Lies, was in der "Krone" steht, was die Leute sagen!) Sie haben aber nur eines bewirkt: Die sozialistischen Falken und Scharfmacher und die Totaloppositionellen, die Neinsager haben sich durchgesetzt: zu Lasten der Schüler, zu Lasten der Eltern, zu Lasten der Lehrer und letzten Endes auch zu Lasten der Schulen. (Abg. Grabner: Das glaubst du ja selber nicht!)

Dieses Nein zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten eineinhalb Jahre, und wir hätten es wissen müssen (Abg. Schwemlein: Das Einzige, was du von Rot weißt, ist deine rote Krawatte!), wir hätten es ja ahnen müssen, dass es vielleicht heute nichts werden kann, auch wenn wir uns gestern über einen gemeinsamen Beschluss gefreut haben. Sie haben nein gesagt zum Ende der Sanktionen, Sie haben nein gesagt zur Sanierung des Budgets, Sie haben nein gesagt zu einer Zukunftssicherung für die Jugend, Sie haben nein gesagt zu mehr Geld für die Familien und für die Kinder, Sie haben nein gesagt zu einer Sicherung der Pensionen (Abg. Schwemlein: Wir sagen auch nein zur Besteuerung der Unfallrenten! Das musst du auch dazusagen!), Sie haben nein gesagt zu einer politischen Entflechtung des ORF, Sie haben nein gesagt zu einer Neugestaltung des Medienrechtes, der Medienvielfalt, und Sie sagen jetzt nein zum Wunsch und zu den Forderungen der Eltern, der Schüler, der Lehrer und der Schulen.

Eine traurige Angelegenheit, meine Damen und Herren! Ein erbärmliches oppositionelles Schauspiel! Und ein Glück für Österreich, dass es jetzt anders regiert wird! (Beifall bei der ÖVP.)


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Meine Damen und Herren! Sie haben nein gesagt zu den Eltern. Ich lese Ihnen vor, was der Bundesverband der Elternvereinigung an Höheren und Mittleren Schulen Österreichs und der Verband der Elternvereine an den Höheren Schulen Wiens dazu sagt. Auch wenn Sie jetzt sagen können, das sind lauter Schwarze oder Blaue, so sind das eben die Verbände, die ein gewichtiges Wort mitzureden haben.

Die Elternvereine der mittleren und höheren Schulen "appellieren nochmals an die Abgeordneten des Nationalrates, diesen Gesetzen die Zustimmung zu erteilen." "Besonders verweisen wir" – schrieben die Eltern – "auf jene Paragraphen, die die Möglichkeit der Errichtung eines schulpartnerschaftlich besetzten Gremiums zur Konfliktlösung ermöglichen. Die Feststellung einer autonomen Schulordnung durch die Schulpartner mit Zweidrittelmehrheit ermöglicht jeder Schule, der Situation angepasste persönliche Vereinbarungen zu treffen. Wir sehen darin einen eindeutigen Fortschritt und erwarten uns davon eine weitere Demokratisierung und Qualitätsverbesserung an den Schulen." – So die Elternvereinigungen in ganz Österreich. So Unrecht können sie nicht haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich habe mir die Mühe gemacht, in Oberösterreich die Lehrer zu befragen, und zwar die Lehrervertretung. Jetzt können Sie auch sagen: Das sind lauter Schwarze. (Abg. Grabner: Nein!) Jawohl, weil sie gute Lehrer sind, weil sie eine gute Personalpolitik machen, deshalb werden sie immer wieder gewählt. (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) Aber wissen Sie, was die fordern:

"Anzahl der verhaltensauffälligen Schüler steigt permanent". – "Lehrer wollen keine ‚Rohrstaberlpädagogik‘, sondern Vereinbarungskultur, die im schulpartnerschaftlichen Dialog getroffen wird." – Deshalb gab es das Ersuchen an Frau Bundesminister Gehrer, aktiv zu werden und mit Lehrervertretern, Schülern, Elternvertretern dieses heute zu beschließende, aber nicht mehr beschlossen werdende Gesetz mit allen Betroffenen auszuarbeiten. (Abg. Schwemlein: Bitte erklär mir diesen Satz nachher! Bis du Deutschlehrer?)

Betont wird weiters: "Lehrer wollen dem Bildungs- und Erziehungsauftrag selbstverständlich mit hohem Engagement nachkommen, leider wird der Unterricht allzu oft durch verhaltensauffällige Schüler gestört – darunter leidet der Schulalltag, und darunter leiden die Schüler!"

"Selbst Eltern ... fordern Maßnahmen". "Vereinbarungen brauchen aber auch, so wie im öffentlichen und privaten Leben, bei Nichteinhaltung Konsequenzen", so der O-Text der Lehrervertretung und der Lehrer. Und ich nehme an, das gilt nicht nur für Oberösterreich, sondern für ganz Österreich, meine Damen und Herren. Das ist die Realität. Das ist die Tatsache. (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn Sie jetzt ehrlich wären, dann würden Sie mir natürlich Recht geben, aber Sie dürfen nicht. Sie könnten es vielleicht versuchen, denn Ihr Vorsitzender und Ihr neuer Fraktionschef sind nicht hier. Vielleicht probieren Sie es einmal, nach der Vernunft zu entscheiden und nicht nach dem Diktat von oben, wo es heißt: Nein, wir machen Oppositionspolitik, koste es, was es wolle! Wenn die Vorschläge noch so gut sind, wir sagen trotzdem nein, weil unsere Politik momentan eine Neinsagerpolitik ist. – Gut, damit müssen wir rechnen.

Meine Damen und Herren! Sie kennen die Schlagzeilen in den Zeitungen, die Kommentare aus dem "Kurier". Lesen Sie sie, dann sehen Sie, wie falsch Sie mit Ihrer heutigen Entscheidung liegen werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Grabner: Lies die "Krone"! – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen. – Abg. Dr. Rasinger  – mit den Fingern die Zahl Fünf zeigend –: Noldi, Nicht genügend! Noldi, ein Fünfer!) Die SPÖ sollte sich umtaufen lassen in "Gusenbauers Rückschritts- und VerhinderungsgesmbH".

Kollege Schweitzer hat vorhin den "Struwwelpeter" strapaziert. Wir haben denselben Gedankengang gehabt. Im "Struwwelpeter" kommt auch der Suppenkaspar vor. Sie wissen, was mit dem passiert ist, der hat auch immer nein gesagt. Er hat gesagt: "Ich esse meine Suppe nicht, nein, meine Suppe ess’ ich nicht!", und Sie sagen: "Ich stimme dem Gesetz nicht zu, nein, dem Gesetz stimm ich nicht zu! Ich will diese Reformen nicht, nein, diese Reformen will ich nicht!" Und dann heißt es im "Suppenkaspar": "Er wog vielleicht ein halbes Lot und war am fünften


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Tage tot." – Für Sie, meine Damen und Herren, wird es heißen: "Er war nur der Reformenschreck und bei den nächsten Wahlen weg." (Lebhafte Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen. – Abg. Dr. Rasinger: Bravo, Wolfgang! Du kriegst einen Einser!)

21.49

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Schasching. – Bitte.

21.49

Abgeordnete Beate Schasching (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren! Also wer bei den nächsten Wahlen weg sein wird, Herr Kollege Großruck, das werden wir schon sehen. (Beifall bei der SPÖ.) Gott sei Dank ist es um diese Tageszeit manches Mal auch erheiternd.

Unter anderem muss ich mir doch vor Augen führen, dass Sie vor gut einer Stunde oder vor eineinhalb Stunden bei den Abstimmungen wahrscheinlich nicht anwesend waren, denn dann hätten Sie auch wahrgenommen, dass wir sehr wohl bei sehr vielen Gesetzen unsere Zustimmung gegeben haben, unsere konstruktive Mitarbeit angeboten haben. Wer eigentlich alles niedergestimmt hat, was die SPÖ eingebracht hat, das war wieder einmal die Regierungskoalition. Das ist Faktum! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie jetzt sagen: na gut, wir haben die Zweidrittelmehrheit für dieses Gesetz nicht erreicht, machen wir also ein Einfachgesetz!, dann ist das wieder einmal ein Beispiel dafür, wie Sie drüberfahren über alles, wo Sie nur drüberfahren können. (Abg. Gaugg: Nein!) O ja, genau das ist es: Kriegen wir keine Zweidrittelmehrheit, dann machen wir eben ein Einfachgesetz – freilich, wir ziehen das durch!

Ich frage mich, warum das genau jetzt, zu diesem Zeitpunkt, so sein muss und warum gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt, diese Verhaltensvereinbarungen von Ihrer Seite so wichtig genommen werden und so vordringlich in der Diskussion stehen sollen. Warum zu diesem Zeitpunkt?

Ich denke, das hat sehr wohl einen Grund und einen Hintergrund, denn es gibt sehr viele Unzufriedene, auch unzufriedene ÖVP-Lehrer und -Lehrerinnen in ganz Österreich, die nicht zufrieden sind mit der Sparpolitik, die Sie uns liefern, seit diese Regierung angetreten ist und gesagt hat: Wir wollen Bildung zu einem unserer zentralen Themen machen, die Bildung und Ausbildung der Jugend für die Zukunft ist uns wichtig.

Was aber haben Sie uns bisher gezeigt? – Sie haben überall den Sparstift angesetzt! Wir werden im nächsten Schuljahr 5 500 Lehrerinnen und Lehrer weniger haben. Wir haben aus diesem Grund auch weniger Qualität in der Schule. Das bedeutet, dass die Qualität des Miteinander leiden wird, die Qualität des Miteinander zwischen Lehrern und Schülern. Lehrer werden automatisch viel weniger Zeit für Schüler und für Schülergespräche haben. (Abg. Dr. Pumberger: ... lieber demonstrieren!)

Sie sagen: Der Klassenvorstand, das ist eine organisatorische Aufgabe. – Jeder, der auch nur einmal seinen Fuß in eine Schule hineingesetzt hat, weiß ganz genau, dass es etwas ganz anderes bedeutet, Klassenvorstand zu sein. Das heißt, sich zu engagieren, sich mit Schülerinnen und Schülern in vielen Gesprächen auseinander zu setzen und eine soziale Aufgabe zu erfüllen. Wenn Sie auf der anderen Seite sagen, dass das nur organisatorische Kompetenzen braucht und in dem Sinn hier eine Stunde weggestrichen werden muss: bitte schön, dann sind Sie Verursacher einer Krankheit, deren Symptom Sie jetzt mit genau diesen Verhaltensvereinbarungen bekämpfen wollen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Brinek: ... Geld gegeben dafür!)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Es ist schon so: Wenn unzufriedene Lehrer und Lehrerinnen meinen, dass es ihnen in Zukunft immer schwerer gemacht werden wird, das positive Schulklima, das sie anstreben, auch zu erhalten, wenn sie darum kämpfen, mit Schülerinnen und Schülern eine positive Atmosphäre herzustellen und all die Probleme, die die Kinder teilweise auch in die Schule mitbringen, auszuräumen und dies mit ihnen gemeinsam zu schaffen, dann brauchen sie Hilfe, Hilfe von der Regierung.


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Sie brauchen als erste Hilfe einmal auch die Zeit, die sie für die Kinder aufwenden müssen. Sie brauchen die Unterstützung, die positive Unterstützung – das ist unter anderem auch positive Motivation –, und nicht immer nur die Negativ-Zurufe von einer Seite der Regierungskoalition, die knapp vor Ferienbeginn wahrscheinlich auch wieder damit anfangen wird, sie zu diffamieren. Das haben wir im letzten Jahr sehr schön vorgeführt bekommen.

Was sie ebenfalls brauchen, ist, dass von Seiten der Regierung wahrgenommen wird, dass Kinder, die Probleme machen, natürlich Probleme haben. (Abg. Schwemlein: So ist es!) Das kommt nicht von ungefähr. Diese Probleme bringen sie mit, die haben sie in ihrem sozialen Umfeld, und dafür brauchen sie professionelle Hilfe. All das fehlt teilweise in der Schule, und all das fehlt auch deshalb, weil Sie damit begonnen haben, in diesem System ganz brutal den Sparstift anzusetzen.

Sehr verehrte Damen und Herren von den Regierungsparteien! Jetzt gehen Sie her und bekämpfen genau dieses Symptom, das Symptom einer Krankheit, die Sie selbst verursachen, indem Sie Lehrerinnen und Lehrern die Zeit nehmen, sich mit den Schülerinnen und Schülern entsprechend auseinander zu setzen. Es hilft keine wie immer geartete Erziehungsvereinbarung, vor Ort wirklich das Problem zu lösen, das einzelne Schüler mitbringen oder im sozialen Gefüge einer Klasse haben. Das hilft dort überhaupt nichts, denn das löst das Problem nur vor Ort, und als letzte Konsequenz wird eine solche Schülerin oder ein solcher Schüler von der Schule verwiesen. Was passiert dann? – Er macht wahrscheinlich in der anderen Schule wieder das gleiche Problem.

Das heißt, Sie beschäftigen sich nicht mit den Wurzeln. Sie beschäftigen sich nicht damit, warum ein Kind Probleme hat und daher in unserem Schulsystem Probleme macht. (Abg. Dr. Brinek: Wieso wissen Sie, dass es automatisch wieder so sein wird? Das ist eine Unterstellung!)

Verehrte Damen und Herren! In dieser Frage bin ich einig auch mit einigen Personen, die das – in der morgigen "Kronen Zeitung" kann man es nachlesen – auch in einer Umfrage festgestellt haben. Dort sagt zum Beispiel – ich entnehme das verschiedenen Beispielen, die dort aufgelistet sind, Sie können es selbst nachlesen – ein Angestellter:

"Die ganze Sache ist eine Augenauswischerei. Was an den Schulen wirklich fehlt, sind die Mittel für kleinere Klassen und für eine bessere psychologische Beratung. Ich würde auch daheim in der Familie keine Regeln aufstellen wollen, die auf Effizienz und Strafen aufbauen, so wie es jetzt in den Schulen geplant ist. Eine Nachdenkpause tut beim Verhaltenskodex gut."

Ich denke, das wäre ein wichtiger Hinweis für alle. Eine Nachdenkpause würde gut tun. Ich glaube, dass wir hier sehr wohl gemeinsam eine Lösung hätten finden können, wenn Sie nur wirklich gewollt hätten und wenn Sie konstruktiv mit uns verhandelt hätten – aber nicht auf diese Art und Weise, wie Sie es uns heute und auch in den letzten Tagen hier vorgeführt haben (Abg. Gaugg  – ein rotes Heftchen vorweisend –: Für diese Rede bekommen Sie die rote Karte!), denn einen Tag vor der Abstimmung tatsächlich in Verhandlungen einzutreten – Kollege Amon, Sie wissen das ganz genau –, ist keine Kultur des gemeinsamen Arbeitens! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

21.56

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Dr. Grollitsch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

21.56

Abgeordneter Mag. Dr. Udo Grollitsch (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Kollegin Schasching! Ich habe vergebens darauf gewartet, zu hören, was Sie als Alternative für die Schule und für einen besseren pädagogischen Output anbieten. Aus Ihrem Zitat am Schluss habe ich am ehesten herausgehört, dass ein paar Psychologen mehr in die Schule gehören – wenn ich Sie richtig verstanden habe. (Abg. Schwemlein: Ihren pädagogischen Background kennen wir ja!) Ich denke, Sie unterliegen noch immer dem Irrtum, dass finanzieller Input in die Schule a priori verbesserten Output in pädagogischer und inhaltlicher Sicht bedeutet. So geht das nicht.


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Wenn hier notwendigerweise Sparprogramme gefunden werden müssen, dann schauen Sie doch in den Spiegel, um zu sehen, warum es erforderlich geworden ist, Sparprogramme durchzuführen!

Ich möchte aber am Tag des Tony Blair zu später Stunde nur einen einzigen Aspekt kurz einbringen. (Zwischenruf des Abg. Schwemlein. ) Herr Schwemlein, es wäre sehr einfach, hier weiterhin in die Kerbe zu schlagen, in die seit Stunden geschlagen wird. (Abg. Haigermoser  – in Richtung des neben den Sitzreihen stehenden Abg. Schwemlein –: Schwemlein, auf den Sitzplatz, setz dich nieder!) Wie Sie sich im Zusammenhang mit diesem Schulpaket benommen haben, war nämlich wirklich blamabel!

Herr Schwemlein! Sie und Ihre Fraktion haben es heute ausgelassen, über Tony Blair zu sprechen oder über die Erfolge zu jubeln, die dort drüben erzielt worden sind. (Abg. Silhavy: Das ist nicht auf der Tagesordnung gestanden!) Es ist Ihnen auch entgangen, dass der Wahlkampf in England in erster Linie ein Bildungs-Wahlkampf war. Haben Sie das mitbekommen? Haben Sie möglicherweise auch mitbekommen (Zwischenruf des Abg. Schwemlein )  – es ist Ihnen egal, okay –, dass die Labour Party in England von der Gesamtschule – von Ihrer gemeinsamen Vision, die Sie jahrzehntelang vergebens angestrebt haben – endlich abgerückt ist?

Die Erfolge seiner Partei werden auch in den eigenen Reihen nicht so erwähnt und nicht so gelobt, wie Sie es natürlich auch nicht tun, denn "New Labour läßt von Labour nicht mehr viel übrig", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" – war doch das Flaggschiff der Labour-Partei die "comprehensive school", also jene Gesamtschule, die zentral organisiert alles das enthält, was Sie heute fordern!

Noch 1997 sagte der Sprecher von Blair: Wenn wir die Gesamtschule aufgeben, dann können wir gleich aufhören, Labour zu sein. – Das ist meiner Ansicht nach ungefähr der geistige Hintergrund, der bei Ihnen hier noch schwebt. Aber die Ergebnisse dieser Gesamtschule bestehen darin – das lässt sich ebenfalls in dieser Zeitung nachlesen –, dass über 60 Prozent der britischen Schüler in der Gesamtschule sind, jedoch nur 20 Prozent der Gesamtschul-Absolventen den Sprung an die Universitäten schaffen. Dort finden sich zu 80 Prozent Absolventen der so genannten gegliederten Schule.

Genau dorthin strebt Tony Blair: Schulen Autonomie zu geben, genau in der Art, wie wir es heute vorhaben, nämlich in den Schulen Übereinkünfte über das Verhalten zu treffen – das gehörte zu seinen Forderungen im Rahmen seines Wahlkampfs. Er will all die lokalen Behörden, die Einfluss auf die Schulen nehmen, abschaffen. Er möchte eine gänzliche Entstaatlichung des englischen Schulsystems herbeiführen, weil es eben mit seinen Möglichkeiten an den Rand gekommen ist. (Abg. Schwemlein: Ein mutiger Vergleich, Österreich und Großbritannien!)

Das heißt, dort wird international vorgegeben, was in sehr sensibler Form von der Frau Bundesministerin angegangen worden ist. Und Sie haben wirklich Zeichen gesetzt, dass Sie hier mittun; ich habe das aus dem Ausschuss noch im Ohr.

Ich habe aber im Ausschuss auch ein neues Vokabel kennen gelernt. Kollege Schweitzer hat es heute schon erwähnt, es heißt "verhaltensoriginell". Was früher als Vokabel für schlimme Kinder verwendet wurde, heißt also "verhaltensoriginell" (Abg. Schwemlein: Was, das haben Sie erst im Ausschuss gehört? Wo waren Sie letztes Jahr?), und gemeint ist wohl jenes Benehmen, das die Pubertierenden aus Trotz und Unsicherheit zum Selbstschutz an den Tag legen. Ich glaube, das wohlwollendste Vokabel für Ihr Verhalten im Zusammenhang mit diesem Schulpaket ist, dass Sie "verhaltensoriginell" waren. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich würde sagen, versuchen Sie, den Trotz und die Unsicherheit, die Sie als pubertierende Oppositionspartei noch begleiten, abzulegen. (Abg. Haigermoser: Richtig, das passt für dich, Schwemlein! – Abg. Schwemlein: Haigermoser, gib eine Ruh’!) Versuchen Sie, eine Linie zu gehen, damit man mit Ihnen auch ausreichend verhandeln kann. Handschlagsqualität haben Sie in den letzten Tagen bestenfalls in der Art eines Regenwurms bewiesen. – Danke. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

22.01


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72. Sitzung / Seite 199

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Rada. – Bitte. (Abg. Haigermoser: Das ist heute nicht der Tag der Sozialdemokratie! Ein schwarzer Tag der Roten!)

22.01

Abgeordneter Dr. Robert Rada (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Gut, ich nehme es zur Kenntnis, Herr Abgeordneter Grollitsch: Wir sind "originell". – Sie sind "auffällig", wenn wir das in dem Ton weiterbetreiben, in dem Sie es soeben begonnen haben.

Ich finde, es hat sich Herr Abgeordneter Amon heute enttarnt: Die ganze Zeit hat er in seinen beiden Redeauftritten zu den Schulpaketen über den Wortbruch der Sozialdemokraten gejammert, über dieses und jenes, was wir nicht getan haben. Vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen wegen seiner Drüberfahr-Mentalität (Abg. Dr. Spindelegger: Haben Sie eine Unterschrift gegeben oder nicht?), denn von dem Abänderungsantrag und von der Taktik der Verhandlungen vom Unterrichtsausschuss an bis gestern her kann man bei Ihnen nichts anderes feststellen als ein Drüberfahren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte es Ihnen noch einmal erklären, obwohl Kollege Antoni das heute bereits sehr ausführlich getan hat. Wenn es Ihnen von den Regierungsparteien wirklich ein Anliegen gewesen wäre, eine gemeinsame Lösung zu finden, dann hätten wir diese nach dem Unterrichtsausschuss, in dem unsere Positionen klar waren, sehr deutlich machen können.

Da heute so viel von Erschütterung gesprochen wurde, möchte ich sagen, dass ich auch erschüttert bin, eben wegen dieser Drüberfahr-Mentalität. Es hat sich die Angst, die wir angesichts dessen hatten, was mit Verhaltensvereinbarungen passieren kann, in dem Redebeitrag des Abgeordneten Schweitzer dokumentiert, denn er hat heute gesagt – ich zitiere ihn sinngemäß –: Wir stehen zu Verhaltensvereinbarungen mit Sanktionen; ja, dazu stehen wir. – Das ist eben genau das, was wir abgelehnt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz den Werdegang dieser Verhaltensvereinbarungen aufzeigen, weil das notwendig dafür ist, auch unser Verhalten zu verstehen. Es war im Jahr 1999, als die FCG im Personalvertretungswahlkampf versprochen hat, es werde neue Erziehungsmittel geben. – Die Lehrer haben applaudiert und gesagt: Hurra, jetzt bekommen wir etwas in die Hand, das unser Leben erleichtern wird und das uns den Umgang mit den Schülern erleichtern wird!

Folgendes geschah beim Umsetzen: Es war ein Erziehungsrat geplant – aber "Erziehungsrat" ist negativ besetzt. Man sagte: Das wollen wir nicht, machen wir also Erziehungsvereinbarungen! Das Wort "Erziehungsvereinbarungen" ist ebenfalls negativ besetzt und weist wieder auf Sanktionen hin. Also sagte man: Nehmen wir daher die Bezeichnung "Verhaltensvereinbarungen", das klingt schon viel kommoder, und das lassen wir innerhalb der Schulautonomie! – Es wurde nie ausgeräumt, dass diese Vereinbarungen ohne Sanktionen seien.

Frau Ministerin! Ich bin ganz Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, wir brauchen in jeder Gesellschaft, in jeder Familie Regeln, Spielregeln, Vereinbarungen. Keine Frage! Es wird sicherlich auch keinen einzigen Lehrer geben, der nicht mit seiner Klasse oder mit einzelnen Schülern Vereinbarungen trifft und Regeln des Zusammenlebens aufstellt. Problematisch wird es immer nur dann, wenn sich einer, einige oder mehrere nicht daran halten. Dann kommen die Sanktionen – ich behaupte jetzt nichts Falsches: die Kreativität mancher Lehrer ist in diesem Bereich schon sehr bewundernswert –, dann werden Schulordnungen aufgestellt, und diese kann man überdies autonom ergänzen.

Ich zitiere jetzt – es gibt viele Schulordnungen, gute, schlechte, ganz schlechte, manchmal sogar leicht sadistische – einen Punkt aus einer offiziellen Schulordnung: Bei der ersten Begegnung mit Lehrern oder mit dem Schulwart grüßen wir höflich. Wenn Erwachsene die Klasse betreten oder verlassen, stehen die Schüler in der Regel auf. – Jetzt kommt die Ausformulierung dazu: Unhöflichkeit hat zur Folge, dass der betroffene Schüler einen Tag lang in jeder Pause die notwendigen Unterrichts- und Lehrmittel des Lehrers, den er nicht gegrüßt hat, tragen muss.


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(Abg. Schwemlein: Das ist eine Frechheit! – Abg. Dipl.-Ing. Kummerer: Das darf es ja nicht geben! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das sind Sanktionen! – So könnten wir das weiterspielen, das zieht sich über Seiten hin.

Folgendes hat uns auch veranlasst, diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen: Es war bis jetzt bereits möglich, Schüler, die bei Schulveranstaltungen eine sittliche Gefährdung darstellen, von diesen auszuschließen. Das neue Gesetz hat geregelt, dass man das in weiser Voraussicht gleich von vornherein tun kann. Die Vorgangsweise sieht dann so aus: Weil man weiß, dass der Schüler A, der sonst immer schlimm ist, vermutlich auch im Schikurs oder beim Fußballspiel in der Sportwoche schlimm sein wird, nimmt man ihn gleich gar nicht mit, denn er wird sicher schlimm sein. – Solche Ausschlüsse auf Verdacht hin lehnen wir rundweg ab!

Was brauchen unsere Schulen und unsere Lehrer wirklich? – Frau Abgeordnete Schasching hat vieles davon gesagt. Wir brauchen Qualität, und daher war es uns in diesen Vereinbarungen auch ein Anliegen, nicht Verhaltensvereinbarungen, die alles offen lassen, sondern Qualitätsvereinbarungen einzufordern, und zwar Qualitätsvereinbarungen, die in erster Linie niedrigere Klassenschülerhöchstzahlen enthalten, damit sich die Lehrer wieder wohl fühlen können und auf die Individualitäten der Kinder eingehen können.

Wir brauchen pädagogische Unterstützung mit Zweitlehrern, mit ausgebildeten Lehrern, mit Psychagogen, mit Beratungslehrern. Wir brauchen psychologische Unterstützung und Schulpsychologen. Wie kann das in einem Bezirk mit ungefähr 30 oder 40 Schulen und den entsprechenden Schülern gehen: ein Schulpsychologe, der hoffnungslos überfordert ist? – Jetzt haben wir die Realität des Finanzausgleichs, mit dem noch vieles von dem, was wir haben, dem Sparstift zum Opfer fallen wird.

Ich komme zum Schluss. – Für uns und für mich waren die Verhaltensvereinbarungen ein Alibi, um Sanktionsmechanismen zu überdecken. Diese brauchen wir nicht, sondern wir brauchen Qualitätsvereinbarungen, die Eltern, Schülern und Lehrern zum Erfolg verhelfen werden. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Schwemlein: Genau so ist es!)

22.08

Präsident Dr. Heinz Fischer: Frau Abgeordnete Dr. Brinek, Sie haben als nächste Rednerin das Wort. – Bitte.

22.08

Abgeordnete Dr. Gertrude Brinek (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich möchte mit der Philosophie beginnen. "Die Vereinbarung ist die Basis der Freiheit" lautet eine Überschrift eines Kommentars, jüngst in der Zeitung "Die Presse" publiziert. Ich werde Ihnen gleich sagen, von wem dieser Kommentar stammt, weil er nämlich ideologisch fürs Erste zuordenbar zu sein scheint, es aber nicht ist.

Ich denke, dass wir diese Philosophie längst eingeführt haben und dass wir auf dieser Basis arbeiten. Wenn ich an die vielen Autonomiebestrebungen denke, wie zum Beispiel Profilbildung, Lehrplandifferenzierung, so muss ich sagen: All das sind Vereinbarungen auf der schulorganisatorischen Basis vor Ort! Ich frage mich daher: Warum gibt es so eine Aufgeregtheit, wenn es diesmal wieder um Vereinbarungen geht? – Es geht um Vereinbarungen – darauf müsste der Schwerpunkt gelegt werden! Nicht das Verhalten ist der dominante Aspekt, der Blickwinkel, sondern die Vereinbarungskultur. (Abg. Schwemlein: So leicht darfst es dir nicht machen!)

Hans Besenböck war der Autor, Chef des Privatsenders ATV, und er weist links-sozialistische Jugendsozialisation auf – nur damit man weiß, woher dieses Denken kommt. (Abg. Schwemlein: Darum geht es ja nicht!) Darum geht es schon auch, weil vielfach mit Unterstellungen gearbeitet wird; in vorangegangenen Reden sind Beispiele dafür geboten worden. Also es geht um Vereinbarung, die die Basis der Freiheit ist.

Selbstverständlich gab es im Zusammenhang mit den Verhaltensvereinbarungen auch andere Kommentare, aber diese haben sehr bald in einer Blamage-Ecke geendet. Wenn ich von einer Journalistin gelesen habe, die "Bildungsexplosion" sei nicht bewältigt, das Schulsystem sei in


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einem schlechten Zustand und so weiter, dann frage ich mich: Wer spricht im Zusammenhang mit Bildung von "Explosion"?

Es gab also auch einige blamable Äußerungen. Ich möchte hier meinem Entsetzen darüber Ausdruck geben, dass in einer SPÖ-Aussendung sogar von einer "Untertanenrepublik" die Rede ist, die mit diesen Vereinbarungen erzeugt werde. Also die Bezeichnungen "Rohrstaberl" und "Steinzeit" genügen schon nicht mehr, von einer "Untertanenrepublik" ist jetzt die Rede!

Ich habe auch am 31. März in einem Interview von Dieter Antoni mit dem "Kurier" einen Satz gegen die Vereinbarungen gelesen, in welchem es hieß, die Schulpartner, explizit die Eltern, seien gar nicht kompetent, solche Vereinbarungen zu schließen. – Da schau her, habe ich mir gedacht: Wir waren doch immer eines Sinnes bezüglich der Qualität der Schulpartner, und jetzt auf einmal wird den Eltern die Kompetenz aberkannt!

Ich habe eine ähnliche Idee zuletzt bei Gusenbauer wiedergefunden, der gesagt hat, na ja, dass die Eltern in der Schule mit einbezogen würden, das sei okay, man müsste aber vielmehr noch das Verhalten der Eltern definieren. – Aha, also von der Schule aus! (Abg. Schwemlein: Dazu musst du wissen, dass die Eltern ...!) Einerseits ist es für die SPÖ zu viel, andererseits zu wenig, weil man auch das Verhalten der Eltern noch viel stärker determinieren müsste.

Ich kenne mich da nicht mehr aus. Ich kann nur erkennen, dass hinter so manch schriller Warnung ein starkes ideologisches Problem steckt. Daher kann ich auf der anderen Seite wieder verstehen, dass die Grünen, die eher die basisorientierte Entscheidungsfindungsqualität schätzen, grundsätzlich nicht so viele Probleme damit haben.

Wir haben – bürgergesellschaftlich orientiert, wenn man so will – auch Vertrauen zu den ausgewiesenen Profis an der Schule. Wenn wir dieses nicht mehr hätten, dann müssten wir uns einige grundlegende Fragen stellen.

Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir mit diesen Erziehungsvereinbarungen das Vertrauen zu den Lehrern stärken, das Vertrauen zur Kompetenz der Lehrer, das Vertrauen zur Partnerschaft. Ich stimme auch jenen Psychologen zu, die sagen: Damit sind nicht alle Probleme aus der Welt geschafft. – Ich freue mich aber darüber, dass ich Zustimmung bekommen habe von so prominenten erziehungswissenschaftlichen Kollegen wie Eder, Linz, oder Thonhauser, Salzburg; alles keine konservativen Erziehungswissenschafter. Rathmayr hat zu vielen Dingen ... (Abg. Schwemlein: Thonhauser hat aber gesagt, das kann nicht mit der bestehenden Rechtslage ...!) Thonhauser muss man genau lesen!

Ich weise aber manche "untertönigen" Bemerkungen von heute Abend zurück, die erstens die nicht reduzierten Bildungsbudgets – noch nie waren sie so hoch! – oder die nicht gestiegenen Belastungen für Lehrer für verschiedene Maßnahmen verantwortlich machen wollen.

Ich verrate Ihnen jetzt auch ein Geheimnis, Herr Kollege Schwemlein: Ich weiß aus den Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ, dass Bundesminister a. D. Edlinger – damals Finanzminister – vehement die Anhebung der Lehrverpflichtung um zwei Stunden forderte. Wenn wir heute diesen Finanzminister hätten, dann müssten wir vielleicht jetzt den Lehrern dies verkünden. Also bitte nicht mit falschen Fakten operieren! (Abg. Schwemlein: Überhaupt keine!)

Als Wienerin muss ich auch Folgendes bemerken: Der Schlingerkurs meines Bürgermeisters in Wien irritiert mich sehr, denn beim Finanzausgleich sagte er in einer Pressekonferenz, Wien habe gewonnen, und vor der Wahl sagte er, wir müssten eine Unterschriftenaktion machen, es gebe eine Bildungskatastrophe. Dazu muss ich sagen: Er hätte dem später abgesetzten Präsidenten Scholz zuhören sollen, als dieser sagte, die Wiener Schulqualität könne gehalten werden. Das Ergebnis sieht so aus – wie ich aus dem Stadtschulrat höre –, dass wir in Wien mindestens 150 neue Lehrer anstellen können. Also 150 neue Lehrer in Wien, und dazu kommen 200 bis 250 neue Lehrer in Niederösterreich – meine Herrschaften, ich möchte, dass das die Wiener Schulverantwortlichen auch einmal beim Namen nennen! (Abg. Schwemlein: Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben!)


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Schließlich zum Kollegen Rada und zum Thema "Tasche tragen": Ich wünsche der SPÖ-Fraktion nicht, dass die Antoni-Anhänger – nämlich die der Vereinbarung – dem Dr. Cap ab nun die Tasche tragen müssen. (Abg. Schwemlein: Und was wünschst du uns?)  – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Abg. Schwemlein: Du hast nicht gesagt, dass Thonhauser gesagt hat: Das ist alles nicht auf der bestehenden Rechtsgrundlage!)

22.14

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Muttonen. – Bitte.

22.14

Abgeordnete Mag. Christine Muttonen (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Abgeordnete Brinek! Sie fangen so gern mit einem Spruch an. Ich möchte auch einen sagen: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? – Ich glaube einfach, Ihre Wirklichkeit ist eine andere als meine.

Herr Abgeordneter Grollitsch! Ihre Wahrnehmung in Bezug auf England ist auch eine völlig andere als meine. Was dort passiert ist, ist eine "Kaputt-Privatisierung" – Sie wissen alle, dass diese unter Margaret Thatcher vor sich gegangen ist –, ein "Kaputtsparen" des Schul- und Gesundheitssystems! New Labour versucht jetzt zu reparieren, wie immer es auch geht. Das hat übrigens in einer Geschwindigkeit stattgefunden, die Ihrem "speed kills" nicht unähnlich ist.

Es hat jetzt also keinen Kompromiss für ein Gesetz gegeben. Ich spreche von unseren angestrebten Qualitätsvereinbarungen, Sie sprechen – wieder dieser Bruch in der Wirklichkeit – vermutlich von sanktionierenden Verhaltensvereinbarungen. Diesen Kompromiss hat es nicht gegeben, weil von Ihnen keine Präzisierungen zugelassen wurden und weil Sie die Verhandlungen abgebrochen haben. Sie wollten mit der von Ihnen her bekannten Geschwindigkeit schnell ein Husch-Pfusch-Gesetz durchbringen, aber wir haben Widerstand geleistet und uns dem nicht gefügt.

Sie haben sich in den Ausschussberatungen auch immer geweigert, sich die Wurzel des Problems wirklich anzuschauen; Kollegin Schasching hat das schon näher erläutert. Das hat nichts mit Verhaltensvereinbarungen zu tun, sondern das Problem liegt ganz woanders. Wenn es tatsächlich Probleme mit Schülern und Schülerinnen gibt, dann muss man die Lehrer und Lehrerinnen unterstützen – keine Frage! –, aber man muss auch schauen, woher diese Probleme kommen, und man muss die Schüler und Schülerinnen unterstützen, und das vor allem durch kleinere Klassen; auch das ist bereits gesagt worden. Das unreflektierte Hinaufschrauben von Klassengrößen trägt nicht gerade zu einem entspannten Klassenklima bei.

Das alles findet also unter dem Deckmantel des Sparens statt. Eine langfristige Planung wäre da gefragt, denn es kommen noch stärkere Jahrgänge auf uns zu, und zwar in den Jahren 2006 bis 2009. Das heißt also: kleine Klassen – und auf der anderen Seite stehen Verhaltenssanktionen.

Punkt zwei: Ich denke, was von Seiten der Regierungsparteien laufend passiert, ist, dass das abbröckelnde Prestige der Lehrer und Lehrerinnen noch mehr beschädigt wird. Sie tun das, indem das Lohnniveau gesenkt wird, die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern und die Lehrer und Lehrerinnen von Ihnen – oder von einfachen Parteimitgliedern, und so weiter – öffentlich diskriminiert werden. Sie wissen, sie sind "Faulpelze" – so heißt es –, oder sie sind sogar so etwas wie "parasitäre Elemente".

Ein weiterer Punkt ist, dass alles, was Mediation oder Beratung betrifft, eingespart wird. Die Schülerberater und -beraterinnen haben es wesentlich schwieriger – ich habe schon oft darauf hingewiesen –, das Stundenausmaß ist zurückgeschraubt worden, und auch die Ausbildungsmöglichkeiten sind nicht mehr so gut, wie sie waren.

Auch das haben wir gehört: Schulpsychologen sind so gut wie – nein, nicht keine, sondern viel zu wenige vorhanden. Auch die Schülerinnen und Schüler werden in ein Korsett gepresst. Alle Bereiche, die persönlichkeitsentwickelnd und -fördernd wären, werden reduziert. Schlüsselqualifikationen, die auch von der Wirtschaft vehement gefordert werden, haben jetzt keinen Platz


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mehr; das sind Dinge wie Teamfähigkeit, Konfliktlösungsstrategien, Kreativität und Selbständigkeit. Dafür ist kein Raum mehr vorhanden.

Wenn Sie überall kürzen, wenn Sie sogar die pädagogisch sehr wertvolle Stunde des Klassenvorstands aus der Lehrverpflichtung herausnehmen und damit abwerten (Abg. Dr. Puttinger: Den gibt es aber schon!), dann frage ich mich wirklich, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien: Was wollen Sie denn? Was ist das für ein schizophrenes Spiel, dass Sie auf der einen Seite alles reduzieren und kürzen und es auf der anderen Seite diese Sehnsucht nach Sanktionen gibt? (Abg. Dr. Puttinger: Den gibt es aber schon noch, den Klassenvorstand!)

Anscheinend gibt es für Sie nur diesen einen Weg. Da können wir von der SPÖ leider nicht mit. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

22.20


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72. Sitzung / Seite 204

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Papházy. – Bitte.

22.20

Abgeordnete Dr. Sylvia Papházy, MBA (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! "Nicht genügend, setzen: SPÖ blockiert Schulgesetz" – diese Headline der morgigen Ausgabe des "Kurier" haben wir schon mehrfach gehört. Bei der SPÖ weiß der linke Flügel nicht, was der rechte tut, und verderben viele Klubobmänner den Brei, und derzeit schwänzen sie auch noch die Sitzung. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Gestern Ja, heute Nein: Ein glatter Pinsch für ein internes Chaos, das die SPÖ auf dem Rücken der Schüler, auf dem Rücken der Bildungspolitik auslebt. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dietachmayr: War das schon alles?)

Es ist schade, dass sich die SPÖ entschieden hat, nicht zum Wohle der Schüler zu agieren. Die Unterschrift des quer durch die Bildungslandschaft hoch angesehenen Dr. Dieter Antoni ist offenbar nicht das Papier wert, auf dem sie steht. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Dass der gestrige Abänderungsantrag von allen vier Parteien unterschrieben worden ist, hat Anlass zur Hoffnung gegeben, dass es Ihrer Fraktion, der SPÖ, doch um die Interessen und das Wohl der Schüler geht, doch weniger als 24 Stunden später ist diese Hoffnung wieder zunichte gemacht.

Die Regierungsvorlage enthält Schuldemokratie pur, ihr Ziel ist es, die gleichberechtigte Einbindung aller Schulpartner herbeizuführen. Ziel ist eine neue, auf Vereinbarung beruhende Schulkultur. Erstklassige Ausbildung in einem erstklassigen Schulklima sollte allen Fraktionen ein Anliegen sein, denn in angenehmer und konstruktiver Atmosphäre lehrt und lernt es sich wohl leichter.

FPÖ-Bildungssprecher Karl Schweitzer und Udo Grollitsch haben bereits das Thema "verhaltensoriginelle Schüler" angesprochen. Die Maßstäbe dürfen nicht von einzelnen verhaltensoriginellen Schülern diktiert werden, vielmehr ist notwendig, dass alle Schulpartner auch am Konfliktmanagement mitwirken. Das erziehliche Frühinformationssystem soll auch die Eltern ins Boot holen, die sich sonst nur wenig um das schulische und soziale Leben ihrer Sprösslinge kümmern. Es darf nicht so bleiben, dass der Erziehungsauftrag vielfach gänzlich an die Schule delegiert wird, dass sich die Lehrer als Löwenbändiger verstehen müssen, wie beispielsweise in der "Hannoverschen Allgemeine Zeitung" vom 3. November des Vorjahres zu lesen war. Das Mitwirken von Eltern und Schülern ist gerade auch dann einzufordern, wenn die Verhaltensoriginalität einzelner die Schulqualität aller übrigen massiv beeinträchtigt.

Herr Dr. Antoni hat sich gestern mit seiner Unterschrift zur Förderung der Schulqualität und der Qualität des Zusammenlebens in der Schule bekannt. Vielleicht wird sich Ihre Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion, auch zur Förderung der Qualität der Oppositionspolitik bekennen. Das könnte Ihrer Oppositionspolitik den nächsten Pinsch ersparen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Silhavy: Auf Qualität à la Struwwelpeter können wir gut verzichten!)

22.23

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Gaßner. – Bitte.

22.23

Abgeordneter Mag. Kurt Gaßner (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich weiß, es ist schon sehr, sehr spät, und ich sollte mich kurz fassen. (Abg. Schwarzenberger: Jawohl!) Ich werde das auch tun. (Abg. Wenitsch: Dafür bekommen Sie ein Sehr gut!)

Wenn Sie wissen wollen, warum wir gegen den Vorschlag sind, den Sie eingebracht haben, kann ich Ihnen das auf Grund der Debatte sehr genau begründen. Wenn man nämlich Herrn Kollegen Schweitzer zugehört hat, der, indem er die amerikanischen Verhältnisse heraufbeschwor, ganz klar gefordert hat, Disziplinierung müsse sein, dann haben wir einen gewichtigen Grund, dagegen zu sein. (Abg. Mag. Schweitzer: Nein, solche Verhältnisse wollen wir nicht!) Vom Struwwelpeter-Pädagogen Großruck, der genau in dieselbe Kerbe schlägt, rede ich gar nicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Frau Ministerin! Sie haben meiner Meinung nach eigentlich sehr einleuchtend und logisch dargelegt, worum es geht, ohne einmal das Wort "Verhaltenssanktionen" in den Mund zu nehmen. Dann haben Sie gesagt, es handle sich um eine Kann-Bestimmung, die Schulen könnten im Rahmen ihrer Autonomie diese Verhaltensvereinbarungen, oder wie immer man das jetzt auch nennt, festlegen. Jetzt frage ich Sie: Können sie das nicht auch jetzt schon auf Basis des zurzeit geltenden Schulunterrichtsgesetzes?

Ich sage Ihnen: Ja, sie können es! Ich habe ein konkretes Beispiel einer solchen Festlegung unserer Hauptschule in Schwertberg hier vor mir liegen. Vor drei Jahren ist man dort darangegangen, auf Grund einer Ist-Analyse ein Leitbild und dann auf Basis dieses Leitbilds eine Hausordnung zu erarbeiten. Wissen Sie, wie das dort gehandhabt wird? – Das alles ist von Schülern, Eltern und Lehrern gemeinsam gemacht worden. Immer zu Schulbeginn wird dieses Leitbild und auch die Hausordnung überarbeitet und von allen unterschrieben. Ich habe auch gefragt, welche Sanktionen sie denn hätten. Die Antwort war: Alle, die das Gesetz zulässt. Das Wichtigste ist aber das Gespräch zwischen dem verhaltensauffälligen Schüler, den Eltern und dem Lehrer, das auch wieder in dieser Dreier-Gemeinschaft stattfindet und genau protokolliert wird.

Das funktioniert seit nunmehr fast zwei Jahren hervorragend. 260 Schüler besuchen diese Schule, ganze vier Mal mussten solche Elterngespräche bisher durchgeführt werden. Da braucht es keine Sanktionierungen, keine Strafmaßnahmen, wie sie Schweitzer und Großruck und offensichtlich auch Ihr Vorschlag fordern.

Wissen Sie, was man mir dort an der Schule gesagt hat? – Wir bräuchten mehr Unterstützung durch Experten, durch Psychologen, durch Psychotherapeuten.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin und meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Wenn wir hier eine Qualitätsvereinbarung treffen könnten, dann können Sie mit uns rechnen, wenn aber nur an Strafen gedacht wird, damit auf der anderen Seite Geld eingespart werden kann, dann sind wir nicht dabei! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Großruck: Warum habt ihr gestern unterschrieben?)

22.27

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Jutta Wochesländer. Sie hat das Wort. (Ruf bei der SPÖ: Radio Niederösterreich!)

22.27

Abgeordnete Jutta Wochesländer (Freiheitliche): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Hohes Haus! Lieber Herr Dr. Antoni! Ich versichere Sie wirklich meiner persönlichen Wertschätzung, aber erlauben Sie mir trotzdem die Frage einerseits nach Ihrem Befinden und zweitens, ob meine Vermutung richtig ist, dass Sie bereits unter Kuratel stehen, und zwar unter der des alten wie auch unter jener des neuen Klubobmanns. Anders kann ich mir Ihr Vorgehen nicht erklären, denn wie kann man etwas an einem Tag unterschreiben, für gut und geglückt


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erklären und am nächsten Tag völlig anderer Meinung sein? Das gibt es doch nicht! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Sie haben um 19.50 Uhr eine Presseaussendung versandt, die mit den Worten begonnen hat: Sehr erfreulicher Erfolg für die SPÖ! (Ironische Heiterkeit bei Abgeordneten der Freiheitlichen.) Doch was war heute? – Um 11.52 Uhr fordern Sie in der Pressekonferenz weitere Nachbesserungen. Also bitte: Nicht einmal 24 Stunden hält Ihre Einstellung? Das dürfte auch kein Vorbild für Kinder sein! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Ing. Westenthaler: Ihr Rücktritt, Herr Antoni! – Zwischenrufe der Abg. Dr. Niederwieser und Mag. Schweitzer. )

Sie sprechen von Nachbesserungen. Ich frage Sie: Wozu Nachbesserungen bei einem perfekten Gesetzentwurf? (Ironische Heiterkeit und Widerspruch bei der SPÖ.) Perfekt – da brauchen Sie gar nicht zu lachen! (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Wenn Sie das machen könnten, was Sie wollen ... Ihre Handschrift in diesem Bereich waren Bildungsdefizite, meine Damen und Herren von der SPÖ! (Empörung und heftiger Widerspruch bei der SPÖ.)

Ich stimme zwar mit der Frau Minister darin überein, dass die Verhaltensvereinbarungen nicht direkt eine Erziehungsvariante darstellen, trotzdem gehe ich aber nicht davon ab und sage: Ich möchte Erziehung nicht ganz banalisieren.

Ich darf Ihnen vielleicht auch einmal ein Sprichwort vorhalten, das da lautet: Willst du für ein Jahr vorausplanen, dann säe Korn! Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume! Willst du für ein Jahrhundert vorausplanen, so erziehe dein Kind! – Das haben Sie in Ihrer Schulpolitik wirklich vergessen! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Verhaltensvereinbarungen im Zusammenspiel mit der Schulautonomie sind sicherlich eine Sache, die wirklich gewünscht wird – von den Eltern, von den Lehrern, von den Schülern. Doch Sie widersetzen sich dem ganz einfach! Was ich persönlich in der Vergangenheit gelernt oder gesehen habe: Nicht nur der Herr Bundeskanzler hat heute Morgen davon erzählt, wie es in den Schulen zugeht. Sie brauchen auch nicht weit zu fahren, nur nach Zöbern oder nach Neunkirchen, um zu sehen, was in den letzten Tagen oder Monaten von Schülern angerichtet wurde. (Ruf bei der SPÖ: Keine Ahnung! – Abg. Parnigoni: Demaskierend!) Schauen Sie sich das an! Oder lesen Sie keine Zeitungen? Das weiß ich nicht. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Da kommen heulende Lehrerinnen ... (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine Damen und Herren! Wir haben die ganze Debatte in relativer Ruhe geführt. Das muss jetzt auch für die letzte Rednerin gelten!

Am Wort ist Frau Abgeordnete Wochesländer!

Abgeordnete Jutta Wochesländer (fortsetzend): Danke schön, Herr Präsident! – Es kommen heulende Lehrerinnen aus der Klasse, brüllende Lehrer versuchen, Ruhe zu schaffen, Kinder ängstigen sich vor Mitschülern, und die Eltern sind verzweifelt und wissen nicht, was sie tun sollen. Sie gehen davon ab, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, und geben diese Verantwortung an die Schule weiter. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Genau da setzt diese Verhaltensvereinbarung an. Man muss miteinander reden, Vereinbarungen treffen und auch wahrnehmen, was Rechte und Pflichten sind. Ich glaube, darum geht es! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie aber verschanzen sich einfach hinter Querelen, lehnen im Sinne starrer Parteipolitik alles ab, um nur ja nicht ganz aus den Schlagzeilen zu verschwinden. Das ist Ihr einziges Um und Auf, und das ist alles, was Sie für die Kinder, die Jugendlichen dieses Landes empfinden! (Ruf bei der SPÖ: Unerträglich!)

Es wäre viel besser, wenn Sie diese Verhaltensvereinbarungen nicht ablehnten. (Zwischenruf der Abg. Silhavy. ) Frau Silhavy! Vielleicht hat bei Ihnen in der Jugend auch eine dementsprechende Erziehung gefehlt, das kann schon sein! (Heiterkeit bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP. – Widerspruch bei der SPÖ.)


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72. Sitzung / Seite 206

Wie kann eine verantwortungsvolle Partei so ein Plakat aufhängen? (Ein Plakat wird in die Höhe gehalten.) Zwölfjährige Schüler werden gefragt, ob sie nicht bis ein Uhr allein ausgehen dürfen. Wenn die dann unausgeschlafen und zu spät in die Schule kommen, dann wird es sicherlich Konsequenzen geben und Verhaltensvereinbarungen werden zum Zuge kommen. Das ist dann die Rohrstaberl-Methode, die Sie so sehr fürchten. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

22.33

Präsident Dr. Heinz Fischer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. Die Debatte ist daher geschlossen.

Ich nehme an, die Klubobmänner haben ein Croquis, und wir können abstimmen.

Wir gelangen also zu den Abstimmungen, die ich über die einzelnen Ausschussanträge getrennt vornehme.

Als Erstes stimmen wir ab über den Gesetzentwurf in 614 der Beilagen.

Der im Ausschussbericht 614 enthaltene Gesetzentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird, enthält Teile, die im Sinne des Art. 14 Abs. 10 B-VG nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden können. Sofern solche Teile des Gesetzentwurfes – und ich füge ein: oder eines Abänderungsantrages – zur Abstimmung gelangen, werde ich auf diesen Umstand aufmerksam machen.

Die Abgeordneten Brosz und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht.

Ferner haben die Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen einen Zusatz- beziehungsweise Abänderungsantrag eingebracht, der in seiner Begründung einen Hinweis darauf enthält, dass die Beschlussfassung über den Gesetzesantrag in 614 der Beilagen in der Fassung des vorliegenden Abänderungsantrages nicht den besonderen Beschlusserfordernissen des Art. 14 Abs. 10 B-VG unterliegt.

Weiters hat der Abgeordnete Brosz ein Verlangen auf getrennte Abstimmung gestellt.

Des Weiteren liegt auch ein Verlangen auf getrennte Abstimmung der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen vor. (Unruhe im Saal.)

Liebe Kollegen dort auf der rechten Seite! Wir sind jetzt beim Abstimmen, und ich bitte wirklich, dass wir uns konzentrieren.

Schließlich liegt ein ausreichend unterstütztes Verlangen auf namentliche Abstimmung vor.

Ich werde zunächst über die von den erwähnten Anträgen sowie den Verlangen auf getrennte beziehungsweise namentliche Abstimmung betroffenen Teile – und zwar der Systematik des Gesetzentwurfes entsprechend – und schließlich über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile der Vorlage abstimmen lassen.

Die Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf die Ziffern 1, 2, 4, 6, 9 und 13 bezieht.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die diesem Abänderungsantrag in diesen Ziffern zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Die Abgeordneten Brosz und Fraktion haben einen Abänderungsantrag betreffend Ziffer 14 des Gesetzentwurfes eingebracht.

Da Teile der Ziffer 14 den besonderen Beschlusserfordernissen des Art. 14 Abs. 10 B-VG unterliegen, stelle ich zunächst fest, dass das entsprechende Quorum gegeben ist.


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72. Sitzung / Seite 207

Jene Damen und Herren, die für den Abänderungsantrag Brosz eintreten, ersuche ich um ein entsprechendes Zeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag ist daher abgelehnt.

Ferner haben die Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen einen Abänderungsantrag hinsichtlich der Ziffer 14 eingebracht.

Ich darf bitten, dass jene Damen und Herren, die sich dafür aussprechen, ein Zeichen der Zustimmung geben. – Ich stelle fest, dass dieser Abänderungsantrag mit Mehrheit angenommen ist.

Ein Zusatzantrag der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen bezieht sich auf die Einfügung einer neuen Ziffer 15.

Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Das Verlangen ist von mehr als 20 Abgeordneten unterstützt, und es ist ihm daher Rechnung zu tragen. Ich gehe daher so vor.

Sie wissen, dass die Stimmzettel, die zu benützen sind, sich in den Laden der Abgeordnetenpulte befinden und die Bezeichnungen "Ja" – das sind die grauen Stimmzettel – beziehungsweise "Nein" – das sind die rosafarbenen Stimmzettel – enthalten. Es können nur diese amtlichen Stimmzettel verwendet werden.

Die Abgeordneten werden so wie immer namentlich aufgerufen und sind eingeladen, ihre Stimmzettel abzugeben. (Abg. Dr. Khol betritt den Sitzungssaal. Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei der ÖVP.)

Ich ersuche jene Abgeordneten, die für die Ziffer 8 in der Fassung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Amon, Mag. Schweitzer und Genossen stimmen, "Ja" -Stimmzettel, und jene, die dagegen stimmen, "Nein" -Stimmzettel in die Urne zu werfen.

Ich bitte nunmehr Frau Schriftführerin Parfuss, als Erste mit dem Namensaufruf zu beginnen; Frau Abgeordnete Haller wird sie später dabei ablösen. (Abg. Dr. Cap betritt den Sitzungssaal. Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei der SPÖ. – Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Frau Schriftführerin Parfuss ist in höchstem Maße erfreut, dass sie mit so viel Applaus begrüßt wird. – Bitte, Frau Abgeordnete.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Parfuss und Haller werfen die Abgeordneten die Stimmzettel in die Urne.)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich erkläre die Stimmabgabe für beendet und unterbreche die Sitzung, damit die Bediensteten des Hauses die Stimmenzählung vornehmen können.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Die zuständigen Beamten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 22.45 Uhr unterbrochen und um 22.50 Uhr wieder aufgenommen. )

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und darf Sie herzlich bitten, die Plätze einzunehmen, denn es kommt eine Reihe weiterer Abstimmungen.

Was die namentliche Abstimmung betrifft, darf ich das Abstimmungsergebnis bekannt geben:

Es wurden 170  Stimmen abgegeben; davon waren 96  "Ja"- und 74  "Nein"-Stimmen.

Das bedeutet, dass die Ziffer 8 in der Fassung des Abänderungsantrages der Abgeordneten Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Genossen mit Stimmenmehrheit angenommen ist.

Sie wissen, dass nach § 66 der Geschäftsordnung die Liste der Abstimmenden zusammen mit ihrem Abstimmungsverhalten im Stenographischen Protokoll aufscheinen wird.


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Stenographisches Protokoll
72. Sitzung / Seite 208

Mit "Ja" stimmten die Abgeordneten:

Achatz, Amon, Auer;

Bauer Gerhard, Bauer Rosemarie, Baumgartner-Gabitzer, Böhacker, Bösch, Brinek, Bruckmann, Brugger, Burket;

Dolinschek, Donabauer;

Egghart, Ellmauer;

Fallent, Fasslabend, Fekter, Feurstein, Firlinger, Freigaßner, Freund;

Gahr, Gatterer, Gaugg, Graf Martin, Grollitsch, Großruck;

Haigermoser, Hakl, Haller, Hartinger, Hetzl, Hofmann, Hornegger, Hornek;

Jung;

Kampichler, Khol, Kiss, Knerzl, Kopf, Kößl, Krüger, Kukacka, Kurzbauer, Kurzmann;

Leiner, Lentsch, Lexer, Loos;

Maderthaner, Mainoni, Miedl, Mitterlehner, Mühlbachler, Müller, Murauer;

Neudeck;

Ofner, Ortlieb;

Papházy, Pecher, Prinz, Prinzhorn, Pumberger, Puttinger;

Rasinger, Reindl;

Schender, Scheuch, Schoettel-Delacher, Schultes, Schwarzenberger, Schweisgut, Schweitzer, Sevignani, Sodian, Spindelegger, Stadler, Staffaneller, Steibl, Stummvoll;

Tancsits, Trinkl;

Wattaul, Weinmeier, Wenitsch, Westenthaler, Wochesländer, Wolfmayr;

Zellot, Zernatto, Zierler, Zweytick.

Mit "Nein" stimmten die Abgeordneten:

Antoni;

Bauer Hannes, Bauer Sophie, Binder, Brosz, Bures;

Cap;

Dietachmayr, Dobnigg;

Eder, Edler, Edlinger, Einem;

Faul, Fischer;

Gaál, Gartlehner, Gaßner, Grabner, Gradwohl, Grünewald, Gusenbauer;

Hagenhofer, Heindl, Heinisch-Hosek, Heinzl, Hlavac, Huber;

Jäger, Jarolim;


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Stenographisches Protokoll
72. Sitzung / Seite 209

Kaipel, Keppelmüller, Kiermaier, Kogler, Kostelka, Kräuter, Kubitschek, Kummerer, Kuntzl;

Lackner, Lapp, Leikam, Lichtenberger;

Maier, Mertel, Muttonen;

Niederwieser, Nürnberger;

Oberhaidinger, Öllinger;

Parfuss, Parnigoni, Pendl, Petrovic, Pfeffer, Pilz, Pirklhuber, Plank, Posch, Prähauser, Prammer;

Rada, Riepl;

Schasching, Schieder, Schwemlein, Silhavy, Sima, Stoisits;

Van der Bellen, Verzetnitsch;

Wimmer, Wittmann, Wurm.

*****

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gelangen als Nächstes zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Abgeordneten Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend die Z 14a und 15.

Ich bitte jene Mitglieder des Hohen Hauses, die für Z 14a und 15 im Sinne des Abänderungsantrages stimmen, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle fest, dass diese beiden Ziffern mit Stimmenmehrheit angenommen sind.

Wir kommen zur getrennten Abstimmung über die Z 15a bis c in der Fassung des Abänderungsantrages Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Genossen.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die hiefür ihre Zustimmung geben, um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle fest: Die Beschlussfassung dieser Bestimmungen ist mehrheitlich erfolgt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Abänderungsantrag Amon, Schweitzer und Genossen – unter Weglassung von Titeln – betreffend die Z 16 bis 23, 24, 25 und 26 bis 30.

Im Falle der Bejahung und Zustimmung ersuche ich um ein entsprechendes Zeichen. – Ich stelle fest, dass diese Bestimmungen mit Mehrheit angenommen wurden.

Die Abgeordneten Brosz und Fraktion haben einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich auf die Z 31 § 82 Abs. 5g Z 2 des Gesetzentwurfes bezieht.

Im Falle der Zustimmung bitte ich um ein bejahendes Zeichen. – Ich stelle fest, dass dieser Antrag abgelehnt wurde.

Weiters haben die Abgeordneten Amon, Schweitzer und Genossen einen Abänderungsantrag eingebracht, der sich ebenfalls auf die Z 31 § 82 Abs. 5g Z 2 bezieht.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dafür eintreten, um ein Zeichen der Bejahung. – Ich stelle fest, dass diese Bestimmung mit Stimmenmehrheit angenommen wurde.

Ferner haben die Abgeordneten Brosz und Genossen sowie die Abgeordneten Amon, Schweitzer und Genossen jeweils einen gleich lautenden Abänderungsantrag betreffend die Einfügung einer Z 3 in den § 82 Abs. 5g Z 31 eingebracht.

Ich lasse darüber abstimmen und bitte im Falle der Zustimmung um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist mit Mehrheit angenommen.


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72. Sitzung / Seite 210

Wir gelangen als Nächstes zur Abstimmung über die restlichen Teile der Z 31 des Gesetzentwurfes in der Fassung des Abänderungsantrages Amon, Schweitzer und Genossen.

Jene Damen und Herren, die dafür eintreten, ersuche ich um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass diese Bestimmungen mit Stimmenmehrheit angenommen wurden.

Wir stimmen ab über den Abänderungsantrag Amon, MBA, Mag. Schweitzer und Genossen betreffend die Z 31a und 32.

Bitte um ein Zeichen, falls Sie damit einverstanden sind. – Ich stelle fest: Diese Ziffern sind mit Stimmenmehrheit vom Nationalrat in zweiter Lesung beschlossen worden.

Schließlich komme ich zur Abstimmung über die restlichen, noch nicht abgestimmten Teile des Gesetzentwurfes samt Titel und Eingang in der Fassung des Ausschussberichtes.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem zustimmen wollen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass die Beschlussfassung dieser Teile des Gesetzes mit Stimmenmehrheit erfolgt ist.

Damit ist die zweite Lesung beendet. Ich glaube, wir können sogleich die dritte Lesung vornehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die der Vorlage auch in dritter Lesung zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Die Vorlage ist in dritter Lesung mit Stimmenmehrheit angenommen.

Wir gelangen nun als Nächstes zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 615 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die damit einverstanden sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Der Bericht ist mit Stimmenmehrheit angenommen.

Wir gelangen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Land- und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz geändert wird, samt Titel und Eingang in 583 der Beilagen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Gesetzentwurf zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig beschlossen wurde.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die der Vorlage auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass dieser Gesetzentwurf auch in dritter Lesung einstimmig angenommen wurde.

Ferner kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 617 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Im Falle der Zustimmung erbitte ich ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass dieser Bericht mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis genommen wurde.

Weiters kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 618 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Auch hier bitte ich um ein Zeichen, falls Sie damit einverstanden sind. – Ich stelle fest, dass dieser Bericht ebenfalls mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis genommen wurde.

Wir stimmen ab über die dem Ausschussbericht 618 der Beilagen beigedruckte Entschließung.


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72. Sitzung / Seite 211

Ich bitte jene Damen und Herren, die dieser Entschließung, die in 618 beigedruckt ist, zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass diese Entschließung vom Nationalrat einstimmig angenommen wurde. (E 91.)

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Unterrichtsausschusses, seinen Bericht 619 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem zustimmen, um ein entsprechendes Zeichen. – Dieser Bericht ist vom Nationalrat mit Stimmenmehrheit angenommen worden.

Damit haben wir diesen Punkt der Tagesordnung erledigt.

15. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Mag. Johann Maier und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Vorläuferstoffe (Suchtmittelgesetz – SMG) geändert wird (426/A)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zum 15. Punkt der Tagesordnung.

Es liegen mir dazu einige Wortmeldungen vor. Erster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Maier. Er hat das Wort für die Dauer – gemäß einer freiwilligen Redezeitbeschränkung – von 5 Minuten. – Bitte.

22.56

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollen hier in erster Lesung eine Änderung zum Suchtmittelgesetz diskutieren. Es geht um einen sachlichen Bereich, nämlich um einen umfassenden Drogenbericht, der jährlich erstellt werden soll. Ich halte einen derartigen Bericht für notwendiger denn je, da mit 1. Juni die Änderungen zum Suchtmittelgesetz mit den verschärften Strafandrohungen in Kraft getreten sind, eine Änderung der Grenzmengenverordnung sowie eine Änderung des Jugendgerichtsgesetzes vorgenommen wurde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Politik ist es absolut notwendig, über die entsprechenden Daten und Informationen zu verfügen, um legislative Entscheidungen treffen zu können. Seitens unserer Fraktion sei ausdrücklich festgehalten: Diese Änderungen, die die Mehrheit in diesem Haus vorgenommen hat, haben weder die Zustimmung der Experten gefunden, noch sind sie durch entsprechende Daten abgesichert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir brauchen einen umfassenden Drogenbericht, der insbesondere auf die Änderungen, die durch Ihre Mehrheit vorgenommen worden sind, eingeht, denn das Ende in der Drogenpolitik hat sich schon im Jahr 2000 abgezeichnet. Vielleicht nur zwei Zahlen zur Information:

Das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen hat 1999 noch 32 099 000 S für Drogenprävention aufgewendet, im Jahr 2000 waren es nur mehr 28 924 000 S.

Ein zweites Beispiel. Das Justizministerium hat zur medizinischen und therapeutischen Behandlung von Erkrankten 1999 60,8 Millionen Schilling aufgewendet, im Jahr 2000 nur mehr 55 Millionen Schilling.

Ihre Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, zieht sich durch die Förderung, durch Präventionsmaßnahmen, sie ist aber auch hinsichtlich der Strafsanktionen bemerkbar.

Ich möchte nur auf eines kurz eingehen. Die Experten haben sich sehr eindeutig zu der Frage geäußert, was von diesen neuen Normen zu halten ist. Ich zitiere Udo Jesionek, Präsident des Wiener Jugendgerichtshofs: Im Drogenbereich wird eine Tür aufgemacht, die lebenslange Haft auch in anderen Gesetzen nach sich ziehen könnte. – Zitatende. (Abg. Dr. Rasinger: Jacky, zum Thema reden!)


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72. Sitzung / Seite 212

Ein zweiter Strafrechtler, Manfred Burgstaller, meint: Eine neue Dimension des Strafens dämmert herauf. Erstmals wird auf das Kriterium der Todesfolge verzichtet. – Zitatende.

Nächstes Beispiel gefällig? – Wolfgang Aistleitner, Vizepräsident der Richtervereinigung, sagt: Wenn sich die Köpfe der organisierten Suchtgiftbanden von den bisher drohenden zwanzig Jahren Freiheitsstrafe nicht abschrecken lassen, ist auch eine lebenslange Strafdrohung sinnlos. – Zitatende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben mit Ihrer Mehrheit Gesetzesänderungen beschlossen, die insbesondere drogenkranke Menschen betreffen. Jetzt geht es darum, Daten zu gewinnen, Daten zu sammeln und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, damit wieder eine effiziente Drogenprävention und Drogenpolitik begonnen werden kann.

Unsere Fraktion ist daher der Auffassung, dass ein umfassender Drogenbericht, den es derzeit nicht gibt, beschlossen werden soll. Dieser Drogenbericht – und gestatten Sie, dass ich ausdrücklich darauf hinweise – hat unter anderem alle aktuellen epidemiologischen Daten zur Situation der Suchtkrankheiten und Suchterkrankungen in Österreich zu erfassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Möglichkeit, im Justizausschuss darüber zu diskutieren. Aber eines kann ich Ihnen schon jetzt sagen: Eine drogenfreie Gesellschaft werden Sie auch mit erhöhten Strafen nicht erreichen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

23.02

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich mache darauf aufmerksam, dass am Ende der ersten Lesung keine Abstimmung erfolgt, dann aber eine Abstimmung über einen noch ausständigen Antrag stattfindet.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Rasinger. – Bitte.

23.03

Abgeordneter Dr. Erwin Rasinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Nachdem die SPÖ heute einen veritablen Bauchfleck oder – in der Schulsprache – ein glattes Nichtgenügend eingefahren hat, würde ich jetzt im Hinblick auf den nächsten Antrag sagen: ein zweites Nichtgenügend!

Herr Abgeordneter Maier! Haben Sie eigentlich geschlafen im Ausschuss? Es gibt schon so einen Bericht! Warum müssen wir jetzt um 23 Uhr über etwas diskutieren, was es schon gibt? Es gibt einen umfassenden Drogenbericht (Abg. Mag. Maier: Nein!), der jährlich vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen erstellt und an die EU geschickt wird. Das reicht Ihnen nicht? (Abg. Mag. Maier: Nein!)

Ihre ganze Rede war ja eigentlich ganz klar aufgebaut: Sie wollen schlicht und einfach einen Wirbel, Sie wollen Ihre Law-and-order-Platte abspielen. (Abg. Mag. Wurm: Law and order ist ganz woanders!) Das hat mit dem Antrag überhaupt nichts zu tun gehabt. Sie haben heute schlicht und einfach das Thema verfehlt. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schwarzenberger: Typisch Maier! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich frage Sie: Was wollen Sie erreichen? Einen Bericht zum Bericht? Einen Doppelbericht? Was soll da anderes drinnen stehen? Wir lehnen eine neue Bürokratie ab, weil es schon einen Bericht gibt. Ihr Antrag hilft keinem einzigen Süchtigen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schwarzenberger: Bravo! Das war eine knappe, präzise Rede!)

23.03

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Pumberger. – Bitte.

23.03

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Johann Maier war der letzte Redner der sozialdemokratischen Fraktion am heutigen Tag – immerhin an einem Tag, der für die Fraktion der Sozialdemokraten doch ein ganz wesentlicher ist, ist es doch


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72. Sitzung / Seite 213

der letzte Tag des Klubobmannes Kostelka. Ich habe darauf gewartet, dass zumindest der letzte Redner der Sozialdemokraten sich nicht davor scheut, sich beim Klubobmann für dessen Arbeit zu bedanken. Ich hätte das schon gemacht. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Abg. Dr. Krüger: Vollkommen richtig!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Johann Maier hat nicht nur das verabsäumt, er verlangt heute einen jährlichen Bericht über die Drogensituation in Österreich, in dem er alles Mögliche fordert, zehn verschiedene Punkte, ein Sammelsurium von allen möglichen Daten, was nichts bringt, außer dass es Geld kostet. Er verlangt nicht, dass in dem Bericht die Statistik über die Drogenkriminalität, die ja in Österreich eskaliert, enthalten sein soll. Er verlangt nicht, dass über Missbrauch im Internet berichtet wird, über Werbung für Drogengebrauch, über Aufforderung zum Drogengebrauch. Er verlangt nicht, dass erfasst wird, wie viele der Drogensüchtigen in der Probezeit ertappt werden und rückfällig werden, wie viele Menschen Drogen konsumieren und trotz Drogenkonsums am Straßenverkehr teilnehmen, wie viele Unfälle und Tote durch Menschen, die vor der Inbetriebnahme von Verkehrsmitteln Drogen konsumieren, verursacht werden. Das alles fragt er nicht. Er weiß auch, dass es zu wenig Entziehungsplätze gibt, aber danach will er auch nicht fragen.

Aber das wundert mich gar nicht. Er will nur wissen, wie sich die Drogenpolitik der schwarz-blauen Koalition auswirkt. Da kann man ihn beruhigen. Das wird ein gutes Resultat ergeben. Wir haben strenge Strafen für Dealer eingebaut – bis zu lebenslänglich für Schwerstverbrecher, für schwere Drogenhändler –, aber wir behalten das Prinzip "Therapie statt Strafe" bei. Das ist unser Grundsatz! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Aber wir brauchen uns nicht zu wundern. Die SPÖ überholt in der Drogenpolitik bereits den Grünen Brosz. Kollege Grünewald! Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Fraktion? (Abg. Dr. Grünewald: Ja!) Als Arzt, als Primararzt, als Professor, als Dozent und was immer Sie sich auch schimpfen, in einer Fraktion ... (Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ und den Grünen.)


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72. Sitzung / Seite 214

Präsident Dr. Heinz Fischer:
Herr Abgeordneter! Ein Mitglied des Hohen Hauses schimpft sich nicht Arzt.

Abgeordneter Dr. Alois Pumberger (fortsetzend): Ein Arzt in einer Fraktion, die für die Freigabe von Suchtgiften eintritt! (Abg. Dr. Lichtenberger: Auch Sie schimpfen uns nicht! Benehmen Sie sich!) Ein Primararzt, ein Professor, der als gutes Beispiel vorangehen sollte! (Anhaltende Zwischenrufe.)

Der Antrag des Kollegen Brosz lautet: Die Bundesregierung wird aufgefordert, Maßnahmen zu setzen, die den Konsum von Cannabis ohne Strafverfolgung ermöglichen. – Da schau her! Genau das sagt seine Fraktion! Herr Professor, überlegen Sie es sich noch einmal! Schlafen Sie noch einmal drüber! Vielleicht können Sie einige in Ihrer Fraktion bekehren. (Abg. Edlinger: So eine intellektuelle Rede!) Auch Cannabis ist schädlich, ist giftig und ist abzulehnen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Aber da geht die junge SPÖ noch viel weiter. Die Sozialistische Jugend fordert eine klare Positionierung der Partei, der SPÖ, für eine andere Drogenpolitik, nämlich für eine Legalisierung der so genannten weichen Drogen. Das heißt, der Handel soll ähnlich dem Tabakmonopol organisiert werden. Drogen in der Trafik! Das fordert die Sozialistische Jugend. – Danke! Gute Nacht, sozialistische Drogenpolitik! (Abg. Grabner: Was ist mit der Droge Alkohol?)

Weiters fordert die Sozialistische Jugend die Entkriminalisierung aller anderen illegalen Drogen, die Entkriminalisierung von Heroin, Kokain und so weiter. Das fordert die Sozialistische Jugend!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor Sie einen weiteren Bericht verlangen, Herr Kollege Maier, schauen Sie, dass Sie Ihre Jugend auf Trab bringen (Abg. Grabner: Ja, ja! Links! Rechts!), dass Sie die Jugend darüber aufklären, wohin es führt, wenn wir diesen Weg gehen. Reichen Ihnen 230 Tote im Jahr 2000 noch nicht? Überlegen Sie Ihre Drogenpolitik und fordern Sie nicht unnötigerweise einen weiteren Bericht ein! (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

23.08

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Brosz. – Bitte.

23.08

Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Präsident! Wir unterstützen selbstverständlich diesen Entschließungsantrag – wie wir das schon mehrmals gemacht haben –, der die Forderung enthält, einen Drogenbericht vorzulegen, und zwar aus einem ganz einfachen Grund, Herr Kollege Rasinger: Die Intention ist, dass sich das Parlament jährlich damit auseinander setzt. Das war nämlich der Hintergrund.

Den zweiten Grund werden Sie auch kennen, wenn Sie den Drogenbericht lesen, den es jetzt gibt. Es gibt selbstverständlich einen, aber darin steht unter anderem immer wieder, dass viele Datengrundlagen fehlen. Man kann viele Dinge nicht erheben, weil in Österreich nicht das erhoben wird, was dazu notwendig wäre. Wenn Sie diesen Bericht lesen, dann wird Ihnen klar, dass allein in diesem Bericht genug Anregungen gegeben werden, was sinnvollerweise als Grundlage erhoben werden soll. Daher ist das eine sinnvolle Maßnahme.

Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung, die vor gar nicht so langer Zeit erfolgte, das Gesundheitsministerium und auch das Innenministerium festgestellt haben, dass es in Österreich keine getrennte Erhebung der Suchtgiftdelikte gibt. Das heißt, man kann in Österreich nicht sagen, welcher Anteil Cannabis ist, welcher Anteil Heroin ist und welcher Anteil welche anderen Drogen auch immer sind. (Abg. Dr. Martin Graf: Das ist nicht so wichtig!) Das interessiert mich sehr wohl, Kollege Graf. Absolut. Wenn man Drogenpolitik ernsthaft betreiben will, wird man sich zumindest ernsthaft anschauen müssen, wo die Problemfälle liegen.

Oder ist es schon so weit, dass hier nur blind eine Politik vertreten wird und man sich nicht einmal mehr die Grundlagen anschauen will? Diese Erhebungen sind etwas, was wir in diesem Bereich auch schon lange fordern. Wir wollen Datengrundlagen haben. (Abg. Dr. Martin Graf: Euch interessieren nur eure Giftler!)

Zur inhaltlichen Position: Herr Kollege Pumberger, ich kann Sie beruhigen, die Schweiz hat als Land das Gleiche beschlossen, was wir als Antrag eingebracht haben. In anderen europäischen Ländern gibt es eine eingehende Diskussion darüber, ob die Kriminalisierung, die Strafverfolgung von Drogenkonsumenten zum Ziel führt.

Wenn Sie der Meinung sind, in Österreich darf darüber nicht einmal diskutiert werden, ist das Ihre Meinung. Wir werden die Auseinandersetzung führen, wir werden die Diskussion führen. Drogenkonsumenten, auch Drogenabhängige mit der Keule des Strafrechts zu bedrohen, ist unserer Meinung nach der falsche Weg. (Beifall bei den Grünen und der Abg. Mag. Wurm. )

23.11

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte in der ersten Lesung ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 426/A dem Justizausschuss zu.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

Abstimmung über Fristsetzungsantrag

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Dolinschek, Steibl und Genossen, dem Familienausschuss zur Berichterstattung über die Regierungsvorlage 620 der Beilagen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Kinderbetreuungsgeldgesetz erlassen sowie das Familienlastenausgleichsgesetz und andere Rechtsvorschriften geändert werden, eine Frist bis zum 3. Juli 2001 zu setzen.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Fristsetzungsantrag zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, dass dieser Fristsetzungsantrag mit Mehrheit angenommen ist.

Einlauf

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bevor ich die nächste Sitzung des Nationalrates einberufe, die nur Zuweisungen dient, gebe ich noch bekannt, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 451/A (E) bis 462/A eingebracht wurden.

Ferner sind die Anfragen 2551/J bis 2581/J eingelangt.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßigen Mitteilungen und Zuweisungen dient, berufe ich für 23.12 Uhr – das ist im unmittelbaren Anschluss an diese Sitzung – ein.

Diese Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 23.12 Uhr