V-8 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des
Ständigen Unterausschusses des
Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Dienstag, 4. Dezember 2001

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Ständigen
Unterausschusses des
Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XXI. Gesetzgebungsperiode           Dienstag, 4. Dezember 2001

Tagesordnung

1. KOM (01) 425 endg.

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

(38072/EU XXI. GP)

und

KOM (01) 182 endg. ENV 418 AGRI 170 WTO 84 CONSOM 59 MI 119 CODEC 825

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückver­folgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und über die Rückverfolg­bar­keit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futter­mitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG

(38239/EU XXI. GP)

2. KOM (01) 94 endg.

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das mehr­jährige Rahmenprogramm 2002 – 2006 der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der For­schung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des Euro­päischen Forschungsraums

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 – 2006 der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) im Bereich der Forschung und Ausbildung als Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums

(28462/EU XXI. GP)

3. KOM (01) 522 endg.

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Über­gabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

(39830/EU XXI. GP)

und

RAT 12647/4/01 REV 4 DROIPEN 85 CATS 31

Beratungsergebnisse betreffend Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terroris­mus­bekämpfung

(43378/EU XXI. GP)

Beginn der Sitzung: 9.08 Uhr

Obmann Dr. Werner Fasslabend eröffnet die Sitzung des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union und begrüßt die Anwesenden, ins­besondere Bundesminister Mag. Haupt. Er weist darauf hin, dass einer Vereinbarung der Par­­lamentsklubs zufolge für jeden der drei Tagesordnungspunkte eine Debattenzeit von einer „Wie­ner Stunde“ vorgesehen ist. – Gegen diese Vorgangsweise wird kein Einwand erhoben.

Obmann Dr. Fasslabend gibt bekannt, dass von der Fraktion der Grünen bereits zwei Anträge auf Stellungnahme mit Bezug auf Tagesordnungspunkt 2 vorgelegt worden sind. Von diesen bei­­­den entspreche der Antrag mit der Aufforderung, das zuständige Regierungsmitglied solle in der bevorstehenden Ratssitzung dem vorläufigen Abschluss der Verhandlungen über das Energie­­kapitel mit der Tschechischen Republik nicht zustimmen, nicht der Geschäftsordnung, weil kein systematischer Zusammenhang mit dem Verhandlungsgegenstand bestehe.

1. Punkt

KOM (01) 425 endg.

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

 

(38072/EU XXI. GP)

und

KOM (01) 182 endg. ENV 418 AGRI 170 WTO 84 CONSOM 59 MI 119 CODEC 825

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rück­verfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebens­mitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG

(38239/EU XXI. GP)

Obmann Dr. Werner Fasslabend erteilt Bundesminister Mag. Haupt zu einer einleitenden Stel­lungnahme das Wort.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt stellt fest, er werde, weil Kürze geboten sei, zunächst nur einen knappen Bericht erstatten.

Nach dem Regierungswechsel in Italien habe die Regierung Berlusconi vieles von ihrem noch in den Vorgesprächen vertretenen Standpunkt zurückgenommen. Dadurch sei auch die Front je­ner Staaten im Abbröckeln, die bisher ein Moratorium für das Freisetzen von gentechnisch ver­än­der­ten Pflanzen vertreten haben. Inzwischen werde diese Position nur noch von Frankreich, Dä­ne­mark, Griechenland, Luxemburg und Österreich vertreten. Bundesminister Mag. Haupt fügt hinzu, er sei daher angesichts der sich ändernden Mehrheitsverhältnisse bestrebt, im Jahr 2002 zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Im Februar 2001 sei ein Beschluss im Landwirtschaftsausschuss in letzter Minute verhindert worden.

In Bezug auf die Schaffung gentechnikfreier Zonen setze sich Österreich dafür ein, möglichst rasch eindeutige Erkennungscodes – „unique identifiers“ – auszuarbeiten, damit diese Codes für ein Produkt und eine Produktmischung auf jeder Verarbeitungsstufe vollständig angegeben wer­­­den, und unterstütze damit auch die Position Frankreichs, da der Vorschlag der Euro­päischen Kommission in diesem Bereich nicht weit genug reichend sei. Österreich trete für eine Re­duzierung des von der Kommission vorgesehenen Grenzwerts von derzeit 1 Prozent ein. Die so­wohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht bestehenden Grenzwerte würden im einen Fall bei einem Zehntel, im anderen Fall bei einem Hundertstel der von der Kommission an­ge­ge­benen Höhe liegen. Offen sei aus österreichischer Sicht auch die Frage des Geltungs­bereichs im Hinblick auf die Erfassung von Enzymen. Was wiederum die Kennzeichnungs­pflicht betreffe, sollte die zentrale Bewertungsstelle möglichst bald einen Gesamtüberblick zu geben haben.

Hinsichtlich der Zulassung seien diverse regionale Probleme bisher nicht zufrieden stellend ge­löst worden. Aus österreichischer Sicht müsse die Möglichkeit dafür geschaffen werden, im Rah­­men der föderalen Struktur Österreichs unter Einbeziehung der Länder regionale Aus­nah­me­­­regelungen zugunsten gentechnikfreier Zonen – etwa im Bereich der Nationalparks oder auch in anderen sensiblen Naturgebieten – zustande zu bringen. Allerdings seien in dieser Hin­sicht die Reaktionen der Bundesländer bisher zurückhaltend ausgefallen, obwohl Naturschutz zu den Landeskompetenzen gehöre.

Dass die Festlegung von Grenzwerten notwendig sei, habe sich auch daran gezeigt, dass sogar im Saatgut aus Ländern, die derzeit als gentechnikfrei gelten, Verunreinigungen festzustellen ge­we­sen seien, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Daher liege die Annahme nahe, dass weltweit aus Einsparungsgründen von den klassischen Methoden der Hybridzucht abge­rückt werde, und zwar nicht nur in der derzeit öffentlich kritisierten Firma Pioneer. Auch im Saat­gut anderer Firmen seien teils erhebliche Verunreinigungen feststellbar gewesen. Es bedürfe da­­her einer eindeutigen Regelung, dass im Fall vorhandener Verunreinigungen der Rechtsweg be­schritten werden kann. Dabei sei die Problematik im Fall von Genmais noch eine geringere, da es dazu in Österreich keine parallel vorkommenden Pflanzen gebe, und nicht so groß wie zum Beispiel im Fall von Raps, weil da der Anbau verwandter Pflanzen in erheblicher Zahl üb­lich sei. Daher werde in diesem Bereich rechtzeitig die Herstellung von Rechtssicherheit er­for­derlich sein.

Mit dem Beharren auf einem an sich wünschenswerten Grenzwert von 0,0 Prozent drohe Öster­reich sich europaweit und unter den „Moratoriumsstaaten“ zu isolieren und in die Lage zu gera­ten, dass verträgliche und möglichst niedrige Grenzwerte nicht mehr erreichbar sein könnten. In der europäischen Rechtslage sei eindeutig festgelegt, dass die Freisetzung von wissen­schaft­lich als nicht gesundheits- und naturgefährdend klassifizierten Produkten zuzulassen ist. Die ös­terreichischen Nachbarstaaten hätten sich hinsichtlich solcher Zulassungen bereits in großem Aus­­maß sehr generös gezeigt, sodass Österreich in seinen Randzonen bereits selbst von der Ver­unreinigungsproblematik betroffen sei.

Österreich sei daher gut beraten, mit dem Bemühen um die Erreichung eines möglichst niedri­gen Grenzwertes in Verhandlungen einzutreten, solange die „Moratoriumsstaaten“ überhaupt noch existieren. Sonst könnten sich auch in diesen Staaten weitere politische Veränderungen zu­­gunsten der Industrie und zu Lasten von Natur-, Umwelt- und Konsumentenschutz auswirken.

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ) fragt nach, ob Bundesminister Mag. Haupt gemeint ha­be, er werde versuchen, mit den anderen „Moratoriumsstaaten“ eine gemeinsame Position zu finden.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt antwortet, das Ziel sei eine Reduzierung des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen, aus öster­rei­chischer Sicht eindeutig zu hohen Grenzwerts von 1 Prozent.

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ) meint, aus Sicht der SPÖ enthalte die vorgesehene Richt­­linie positive Punkte wie etwa die überfällige Kennzeichnung von Futtermitteln. Doch seien damit auch einige Probleme verbunden. So könnte zum Beispiel auf EU-Ebene eine gewisse Ver­wirrung daraus hervorgehen, dass damit auch in Bereiche der Novel-Food-Verordnung und der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG eingegriffen wird.

In dem jetzigen Vorschlag sei vorgesehen, dass die Zulassung von Lebensmitteln und Futter­mit­teln zentral über eine neu zu schaffende Novel Food Agency zu erfolgen haben wird, was auch eine grundlegende Veränderung des Verfahrens mit sich bringen werde. Anders als bisher seien für die Mitgliedstaaten keine Mitspracherechte in diesem Bereich mehr vorgesehen. Dabei stelle sich die Frage, wie einer derzeit noch gar nicht existenten Behörde derart weitgehende Rechte eingeräumt werden könnten. Was den Schlüsselbereich der Zulassung betreffe, habe Österreich schon manche Verschlechterung – zum Beispiel im Hinblick auf den gentechnisch veränderten Mais der Firma Novartis – verhindern können. Würden die Mitgliedstaaten diesen Ein­fluss völlig aus der Hand geben, so wären für die Zukunft zahlreiche Probleme zu erwarten.

Hinsichtlich des Grenzwertes sei Bundesminister Mag. Haupt darin zuzustimmen, dass Öster­reich – da angesichts der gegebenen europäischen Verhältnisse die erwünschte Reduzierung auf null nicht durchsetzbar sein werde – auf eine Strategie bedacht sein sollte, gemeinsam mit Ver­­bündeten eine möglichst weitgehende Herabsetzung zu erreichen.

Die Erfassung von Enzymen und Zusatzstoffen sei schon mehrfach eingefordert worden – zum Beispiel vor sechs Jahren im Zuge der Novel-Food-Verordnung –, trotzdem sei dieser Bereich bis­­her ausgespart geblieben, obwohl er zu den Hauptanwendungsgebieten von Gentechnik ge­hö­re. Eine entsprechende Regelung sei weiterhin nicht absehbar.

Bundesminister Mag. Haupt möge doch erläutern, inwieweit die vorgesehene Richtlinie auch für Saatgut zutreffen könnte.

Abgeordneter Ing. Gerhard Fallent (Freiheitliche) erachtet es für entscheidend, innerhalb der Europäischen Union Mehrheiten für diese Verordnungen zu finden. Aus österreichischer Sicht wäre es die schlechteste Variante, wenn überhaupt keine Regelung zustande käme, weil dann auch kein Grenzwert nach oben hin bestünde. Der Grenzwert von 1 Prozent müsse so weit re­du­ziert werden, dass Möglichkeiten für klare Aussagen in qualitativer und quantitativer Hin­sicht ge­schaffen werden. Österreich müsse sich dafür einsetzen, dass es zu einer Kennzeichnung kommt und die Zulassung entsprechend dem Ziel einer Zukunft mit gesunden Lebensmitteln ge­staltet wird. Es müsse auch darauf geachtet werden, dass es im Fall von Mischprodukten nicht zu einer Grenzwerterhöhung hinsichtlich der einzelnen Bestandteile kommen kann.

Österreich befinde sich auf dem richtigen Weg; im laufenden Diskussionsprozess wäre es falsch, der österreichischen Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt eine Bindung im Sinn des vor­lie­genden Antrags der Abgeordneten Mag. Sima, Dr. Cap aufzuerlegen. Vorerst müsse aus­ge­lotet werden, welche Positionen innerhalb der Europäischen Union mehrheitsfähig seien, und erst vor einer Beschlussfassung sollte im Ausschuss eine Stellungnahme – und wenn möglich eine einstimmige Erklärung – abgegeben werden.

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne) weist auf einen kürzlich in der Zeitschrift „Nature“ erschienenen, Be­sorgnis erregenden Bericht über den Einsatz der Gentechnik hin. Demnach sei im wild wach­sen­den Mais einer mexikanischen Bergregion gentechnisch verändertes Mate­rial von trans­ge­nem Mais entdeckt worden, obwohl dessen Anbaugebiet hundert Kilometer ent­fernt gelegen sei. Daher hätten nunmehr namhafte Wissenschafter die Diskussion über die Nut­zung von gen­mani­pulierten Pflanzen wieder aufgenommen. Diese Erkenntnisse müssten auch für die in der Europäischen Union geltenden Grenzwerte Konsequenzen haben.

Nach Ansicht der Grünen müsse die Verunreinigungsproblematik an der Wurzel gepackt wer­den. Bereits für den Bereich der Verpackung und der Abfüllung müssten Standards eingeführt wer­den, die eine Verunreinigung de facto unmöglich machen, um zu verhindern, dass in weite­rer Folge eventuell auch in biologischem Saatgut gentechnisch manipulierte Teile enthalten sein könnten. Bundesminister Mag. Haupt möge zu dem Ansatz, das Problem an der Wurzel zu packen, Stellung beziehen.

Besonders problematisch sei an dem vorliegenden Entwurf die Einschränkung der Mitsprache­rech­te der nationalen Behörden, weil eine übernationale Behörde nicht über die inhaltliche Kom­­petenz zur Beurteilung der Auswirkungen von genmanipulierten Getreidesorten auf die je­weils unterschiedlichen Ökosysteme verfüge. Das Know-how der nationalen Behörden über die ver­schiedenen nationalen Ökosysteme sei absolut unverzichtbar. Bundesminister Mag. Haupt mö­ge die Frage beantworten, wie diesem Einflussverlust, der Zentralisierung und der damit ver­bun­denen erleichterten Zulassung entgegengetreten werden könnte.

Wichtig wäre auch eine Auskunft hinsichtlich der Position, die Österreich nach Erlassung der Richt­linie in Bezug auf das Moratorium einnehmen werde.

Abgeordneter Georg Schwarzenberger (ÖVP) führt aus, dass der vorliegende Verordnungs­entwurf der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments über die sensible Fra­­ge der gentechnischen Veränderungen, der Zulassungen und der Kennzeichnungen erst den Beginn einer entsprechenden Diskussion bedeute. Österreich habe schon wiederholt bes­se­­­re Kennzeichnungsmethoden und eine bessere Verordnung für diesen Bereich verlangt und ha­be dafür im entsprechenden Weißbuch eine Zusage bekommen. Das EU-Parlament werde dar­über im nächsten Frühjahr eine erste Lesung abhalten.

Österreich habe auch bereits seit langem eine Regelung für Futtermittel verlangt. Bisher hätten euro­­päische Verordnungen immer nur für Lebensmittel gegolten, im europäischen Binnenmarkt wer­de jedoch auch mit Futtermitteln grenzüberschreitend gehandelt, sodass es entsprechender Re­­gelungen bedürfe, die für alle Mitgliedstaaten identisch sind. Es dürfe nicht dazu kommen, dass zum Beispiel die Verwendung eines bestimmten Futtermittelzusatzes in Bayern erlaubt und in Österreich verboten ist, das Fleisch der in Bayern damit gefütterten Tiere aber sehr wohl auch nach Österreich geliefert werden kann. Dadurch verschlechtere sich auch die Wettbe­werbs­­situation der österreichischen Landwirte. Daher trete Österreich für entsprechende Kenn­zeichnungsverpflichtungen ein.

Es dürfe aber nicht dazu kommen, dass bereits zu Beginn der Diskussion für Regierungsmit­glie­der verpflichtende Stellungnahmen abgegeben werden. Eine solche Vorgangsweise habe sich et­wa im Fall der Tiertransportregelung als nachteilig erwiesen, weil der österreichische Ver­hand­­lungs­teilnehmer im Ministerrat dadurch auch nicht mehr auf eine schärfere Regelung habe drin­gen können. In letzter Zeit wiederum sei im Fall der Marktordnung für Schafe und Ziegen kei­n­e qualifizierte Mehrheit für die Umsetzung von Verbesserungen zustande gekommen, weil der Vorschlag für die einen zu streng und für die anderen zu wenig weitgehend gewesen sei.

Sehr unterschiedlich seien die Vorstellungen auch in Bezug auf die Zulassung von Enzymen und Zusatzstoffen. Von den Organisationen der Biobauern in Österreich werde zum Beispiel ver­­langt, dass gentechnisch hergestelltes Lab auch für die Erzeugung von biologischem Käse ver­­wendet werden darf, weil es reiner als das aus dem Kälbermagen gewonnene Lab sei. Groß­britannien habe zwar die Verwendung von Lab aus dem Kälbermagen verboten, dürfe aber den dort erzeugten Käse auch in Österreich auf den Markt bringen. Derart unterschiedliche Rege­lun­gen seien in einem Binnenmarkt nicht verständlich, daher seien einheitliche Erfassungs- und Untersuchungsmethoden erforderlich. Deswegen seien Bestrebungen im Hinblick auf einheitli­che Bestimmungen zu begrüßen.

Österreich möge dazu beitragen – und in dieser Frage verdiene Bundesminister Mag. Haupt auch volles Vertrauen –, eine Kommissionsverordnung zu erreichen, die so streng wie möglich ist und zugleich für alle Mitgliedstaaten verpflichtend gilt.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt antwortet, der Bericht in der Zeitschrift „Nature“ habe ihm bestätigt, was er zuvor in Kenntnis der amerika­ni­­schen Verhältnisse selbst schon gedacht habe, nämlich wie diese Versuche enden würden. Der­artige Forschungsergebnisse seien für den Fall, dass ein begleitendes Monitoring zur An­wen­­dung kommt, schon im Vorhinein absehbar gewesen, und zwar wegen der Aggressivität der ameri­ka­nischen Landwirtschaft und der bedenkenlosen, zwangsweisen Einbeziehung des ge­samten amerikanischen Doppelkontinents in den Einsatz der Gentechnik, auch entgegen einem in Kanada feststellbaren Widerstand gegen diese Bestrebungen.

Es werde zwar darauf ankommen, sich in der Europäischen Union weiterhin die Möglichkeiten der klassischen Hybridzucht zu vergegenwärtigen, es sei aber nach wie vor ratsam, in Öster­reich die Gentechnik in möglichst geringem Ausmaß einzusetzen. Die Überlegungen vieler Ex­per­ten hätten gezeigt, dass unter den jetzigen Rahmenbedingungen die österreichische Land­wirt­schaft und die hiesigen Biobauern gegenüber Regionen wie etwa Spanien, Portugal oder Süd­italien wegen der dortigen Verbreitung der Gentechnik für den Fall, dass es nicht zur Einf­ührung von Grenzwerten und einer strengen Regelung mit 0,0 Prozent kommt, langfristig einen wirtschaftlichen Nachteil im Ausmaß von ungefähr 30 Prozent hinzunehmen hätten.

Die herkömmliche Zucht von Saatgut nehme ungefähr acht Jahre in Anspruch. Mit den entspre­chen­den Aufpfropfungsversuchen würden alle Verunreinigungen gentechnischer Art in das End­pro­dukt aufgenommen werden. Wenn in den Herkunftsländern wegen der dortigen Bedin­gun­gen – wie etwa Seehöhe oder Sonneneinstrahlung – die verbessernden Produkte nicht mehr ein­­­ge­kreuzt werden könnten, wäre unter den heutigen Rahmenbedingungen bei der Hybrid­zucht herkömmlicher Art langfristig ein Ertragsverlust von bis zu 30 Prozent zu erwarten, weil die­­se nicht mehr in der klassischen Form durchgeführt werden könnte. Viele früher zum Standard gehörige phytohygienische Maßnahmen seien inzwischen von den Großfirmen aus Kos­­ten­gründen aufgegeben oder reduziert worden, sodass jetzt geringfügige Verunreinigungen in Kauf genommen werden.

Bundesminister Mag. Haupt stellt fest, er habe sich aus diesen Gründen dazu entschlossen, für stren­­ge Grenzwerte zu plädieren, um die Verunreinigungen möglichst gering zu halten. Ein Grenz­­wert von 1 Prozent wäre eindeutig zu hoch, anzustreben wäre vielmehr ein Wert von 1 Pro­­mille. Die im Europäischen Parlament für Februar 2002 vorgesehene Debatte darüber wer­­de vieles präjudizieren, und dort mögen auch die österreichischen Abgeordneten den hiesi­gen Standpunkt nachhaltig vertreten.

Was die Frage des Saatgutes betreffe, sei darüber keine Bestimmung in den vorliegenden Ver­ord­nungsentwürfen enthalten, weil eine eigene Saatgutregelung vorgesehen sei.

Problematisch an den Verordnungsvorschlägen sei auch die Aufteilung dieser Problematik auf meh­rere Räte der Europäischen Union, und zwar in Entsprechung zu den verschiedenen Sach­bereichen Liberalisierung, Konsumentenschutz, Gesundheit und Landwirtschaft. Es werde in die­­sem Fall einer Koordinierung zwischen den dafür jeweils zuständigen Regierungs­mit­glie­dern bedürfen, damit es nicht in einem der Räte zur Schaffung eines Präjudizes kommen könnte, das in einem anderen Rat nur unter großen Schwierigkeiten wieder ausgebessert wer­den könnte.

In Bezug auf die Verarbeitungsstoffe liege eine Regelung nur insoweit vor, als es sich um Verar­bei­tungsstoffe handelt, die im Endprodukt verbleiben. Dies führe zu erheblichen Problemen im Hinblick auf die Kennzeichnung zum Beispiel jener Enzyme, die zwar nur im Zuge der Ver­ar­bei­tung eingesetzt werden, von denen aber trotzdem geringe Rückstände im Endprodukt ver­blei­ben. Wie sich etwa in den Diskussionen im Wirtschaftsrat gezeigt habe, bestehe wenig Hoff­nung darauf, in dieser Hinsicht europaweit die Einführung von Grenzwerten zu erreichen. In die­sem Zusammenhang sei auch an die Diskussionen um das Vitamin C zu erinnern. Heute stam­me dieses Vitamin fast nur noch aus dem Bereich der gentechnisch produzierenden In­dus­trie und werde nicht mehr aus Zitrusfrüchten gewonnen, es würden jedoch in der Lebens­mittel­kenn­zeichnung europaweit sämtliche Hinweise auf die Herkunft dieses wichtigen Anti­oxidans fehlen.

Was die neu zu schaffende Novel Food Agency angeht, stimmt Bundesminister Mag. Haupt der For­­derung zu, dass diese Behörde zuerst einmal zeigen müsse, wie sie arbeitet, bevor sie mit einer neuen Aufgabe betraut wird. Er habe daher – als Einziger auf europäischer Ebene – Pro­test dagegen eingelegt, dass das Vertretungsrecht im Lebensmittelkodex der EU-Mitglied­staaten auf WTO-Ebene nur noch durch die Europäische Kommission wahrgenommen wird. Zwar sei er daraufhin in der Europäischen Union als „Sturschädel“ bezeichnet worden, weil er bei einer Mehrheitsmaterie bis zuletzt dagegen gestimmt habe, aber die nachfolgende Konfe­renz auf WTO-Ebene in London habe Österreich Recht mit der Entscheidung gegeben, dass sich alle EU-Staaten weiterhin lebensmittelrechtlich selbst vertreten und nicht die EU-Kom­mission diese Vertretung übernimmt.

Im Zuge dieses Erfolges werde nun von der Europäischen Union ein Umdenkprozess im Hin­blick darauf erwartet, dass man auch in Mehrheitsmaterien, die auf weltweiter Ebene eine Rolle spielen, kleine Partner nicht einfach übergehen könne, sondern deren Beweggründe ernster als bisher zu nehmen habe, insbesondere auch im Hinblick auf mehr Sicherheit im Lebens­mittel­recht. Dies sei vor allem im Hinblick darauf festzustellen, dass die Europäische Kommission in der Vergangenheit die Hoffnung gehegt habe, mit einem Mehrheitsbeschluss das alleinige EU-Vertretungsrecht auf Weltebene zu erreichen.

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ) erachtet es für bedauerlich, dass Vertreter der Regie­rungs­­­­parteien eine ablehnende Haltung gegenüber dem von ihr und dem Abgeordneten Dr. Cap eingebrachten Antrag auf Stellungnahme betreffend die Position Österreichs zur Ver­hand­­lung über die so genannte „Food und Feed“-Richtlinie zum Ausdruck gebracht haben, ob­wohl ein sachlicher Dissens bisher nicht feststellbar gewesen sei. Der Antrag solle nur bereits am Beginn dieses Diskussionsprozesses einer Klarstellung über die wünschenswerten Ziele dienen – und darüber bestehe hier offensichtlich weitgehende Einigkeit –, lasse aber weiterhin breiten Verhandlungsspielraum zu.

Noch nicht klar geworden sei die weitere Entwicklung des angesprochenen EU-Moratoriums. Da stelle sich beispielsweise die Frage, ob weiterhin die Absicht bestehe, eine Haftungsbe­stim­mung auf EU-Ebene zu schaffen, bevor das Moratorium aufgehoben wird.

Für die Schaffung gentechnikfreier Zonen in Österreich gebe es derzeit noch keine zufrieden stellende rechtliche Verankerung. Nach Einführung der Grenzwertverordnung in dem sensiblen Bereich Saatgut sei es an der Zeit, auch entsprechende Rückzugsgebiete zu schaffen, nicht nur für die Biobauern, sondern auch in dem Sinn, dass eine strategische Option für den Fall zur Ver­­fü­­gung steht, dass sich nach ein paar Jahren herausstellen würde, dass etwas schief ge­laufen ist. Es sei zu prüfen, inwieweit die Schaffung von Rückzugsgebieten auch auf EU-Ebene verankert werden müsste.

Bundesminister Mag. Haupt möge auch Auskunft darüber geben, ob er für eine Kennzeichnung von Lebensmitteln in der Weise eintrete, dass an der Kennzeichnung von Fleisch erkennbar sein muss, inwieweit für die Fütterung des Tieres, von dem das Fleisch stammt, auch gentech­nisch veränderte Futtermittel verwendet worden sind.

Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen Mag. Herbert Haupt antwortet, der jetzige Entwurf sei hinsichtlich der Kennzeichnung derart weit gefasst, dass er über den Le­bens­mittelbereich hinausgehe, sodass sogar etwa für den Fall, dass Dieseltreibstoff aus Raps her­gestellt wird, erkennbar sein müsste, ob er aus gentechnikfreiem oder -verändertem Raps stammt. Hingegen müsse in Bezug auf die Fleischproduktion erst der Entwurf einer Saatgut­ver­ord­nung abgewartet werden. In der Kennzeichnung werde die einzig realistische Variante darin be­stehen, dass streng unterschieden wird zwischen Produkten, die vollbiologisch, also gen­technikfrei, hergestellt worden sind, und den anderen Produkten, für die das nicht gilt. Andern­falls käme es für Konsumenten nur zu einer Verwirrung – zum Beispiel bedingt durch zahlreiche Ab­stufungen, die zum Einkaufen ein Handbuch nötig machen würden –, und das Vertrauen zur Kenn­zeichnung wäre nicht gegeben. Von dieser Überlegung sei auch die österreichische Ver­handlungslinie getragen.

Für Aussagen über die künftige Entwicklung des Moratoriums sei es derzeit noch zu früh. Was die Grenzwerte betreffe, gebe es Bemühungen, Teile des Moratoriums außer Kraft zu setzen. Wür­de die Diskussion nicht bis spätestens 2003 beendet werden, so wären in dieser Mehr­heits­ma­­terie die Bedingungen für einen positiven Abschluss im Interesse aller Konsumenten nicht mehr gegeben. Bundesminister Mag. Haupt ruft dazu auf, den österreichischen Standpunkt auch auf allen Parlamentsebenen nachhaltig zu vertreten.

Obmann Dr. Werner Fasslabend schließt die Debatte zum ersten Tagesordnungspunkt und bringt den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG der Abgeordneten Mag. Ul­rike Sima, Dr. Josef Cap und GenossInnen betreffend die Position Österreichs zur Ver­hand­lung über die so genannte „Food und Feed“-Richtlinie zur Abstimmung. – Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

Obmann Dr. Fasslabend stellt fest, dass die Beratung zum Tagesordnungspunkt 1 schneller als er­wartet abgeschlossen wurde und Bundesministerin Gehrer als für den nächsten Tages­ord­nungspunkt zuständiges Regierungsmitglied noch nicht im Hause anwesend ist, und unter­bricht die Sitzung.

(Die Sitzung wird um 9.50 Uhr unterbrochen und um 10.20 Uhr wieder aufgenommen.)

2. Punkt

KOM (01) 94 endg.

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das mehr­jährige Rahmenprogramm 2002 – 2006 der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Ver­wirklichung des Europäischen Forschungsraums

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das mehrjährige Rahmenprogramm 2002 – 2006 der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) im Bereich der Forschung und Ausbildung als Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums

(28462/EU XXI. GP)

Obmann Dr. Werner Fasslabend nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf, begrüßt Bun­desministerin Gehrer sowie die anwesenden Beamten ihres Ministeriums und weist noch einmal auf zwei ihm bereits vorliegende Anträge der Grünen zu diesem Tagesordnungspunkt hin.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) fragt in einer Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung, warum Obmann Dr. Fasslabend bereits zu Beginn dieser Sitzung damit begonnen habe, einen von den Sozialdemokraten und den Grünen gemeinsam eingebrachten Antrag zu qualifizieren, ohne dass dieser noch eingebracht worden war.

Obmann Dr. Werner Fasslabend erläutert, ihm sei dieser Antrag vor der formalen Einbringung bereits vorgelegt worden. Er habe die Frage der Bewertung dieses Antrags im Sinn eines kon­sen­sualen Vorgehens bereits zuvor angesprochen, damit sich die Ausschussmitglieder im Vor­hinein entsprechend orientieren und ihre rechtlichen Auffassungen überprüfen könnten.

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne) erwidert, es seien zwar am Vortag alle Klubs über die beabsichtigte Einbringung eines bestimmten Antrags informiert worden, aber formal sei die­ser bis jetzt nicht eingebracht worden. Im Übrigen hätten die Grünen die Absicht, zu diesem Ta­ges­ordnungspunkt nicht zwei, sondern nur einen Antrag einzubringen. Dieser Antrag möge vor einer Bewertung auf nachvollziehbare Weise einer Prüfung unterzogen werden. Falls er nicht zu­ge­lassen werde, möge dies mit Bezug auf die im Ausschuss gepflegte Praxis begründet wer­den.

Obmann Dr. Werner Fasslabend antwortet, in genau diesem Sinn habe er auf die Möglichkeit von Mängeln in Anträgen aufmerksam machen wollen. Eine nähere Begründung sei mangels Ein­­bringung dieses Antrags bisher nicht möglich gewesen. Es möge hier nicht ein besonderes Ent­gegenkommen von Seiten der Vorsitzführung ins Gegenteil umgedeutet werden.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) meint, problematisch an dieser Vorgangsweise sei die darin enthaltene Mitteilung, dass auch jegliche Diskussion über einen solchen Antrag über­flüs­sig sei und dass er aus politischen Gründen nicht zugelassen werde.

Obmann Dr. Werner Fasslabend hebt hervor, er habe ausdrücklich nicht von der Einbringung, son­dern vom Vorliegen zweier Anträge gesprochen. Daraufhin erteilt er Bundesministerin Geh­rer für eine Stellungnahme zum Tagesordnungspunkt 2 das Wort.

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer stellt fest, dass mit dem 6. EU-Rahmenprogramm für Forschung der Entwicklung hin zu einer Wissensgesell­schaft Rech­­­nung getragen werde. Der zuständige EU-Kommissar Busquin habe anlässlich eines Be­suches in Österreich folgende Prioritäten dieses Programms dargelegt: Genomik und Bio­tech­nolo­­gie, Informationsgesellschaft, Nanotechnologie, neue Produktionsverfahren, Luft- und Raum­­­­fahrt, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit, nachhaltige Entwicklung, globale Ver­ände­rungen sowie Bürger und modernes Regieren.

Auch EURATOM sei Teil dieses Forschungsprogramms, das von Österreich vor allem unter den As­­pekten Nachhaltigkeit, Sicherheit und Strahlenschutz gesehen werde. Österreich habe auch stets den Standpunkt vertreten, es müsse in besonderem Maße Wert auf den Ausstieg aus der Atom­energie gelegt werden. In den Verhandlungen des COREPER sei es in verschiedenen Be­rei­chen bereits gelungen, den Strahlenschutz als wesentlichen Faktor in das EURATOM-Pro­gramm aufzunehmen. Für Österreich werde es wichtig sein, in diesen Bereichen aktiv mitzuar­beiten und sich den neuesten Forschungen nicht zu verschließen. Daher werde auch in Öster­reich, allerdings in sehr geringem Maße, in diesen Bereichen geforscht, das österreichische Haupt­augenmerk liege aber auf alternativen Energien, dem Ausstieg aus der Atomenergie, der Sicherheitsforschung und dem Strahlenschutz. Österreich habe sich dezidiert dagegen ausge­sprochen, Forschungsgelder für den Bau neuer Reaktoren auszugeben.

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne) spricht sich dafür aus, die Position der österreichi­schen Bundesregierung im Hinblick auf das Ziel einer europäischen Anti-Atompolitik ausführlich zu diskutieren sowie im Ausschuss entsprechende Stellungnahmen abzugeben, und bringt in die­­sem Sinn einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG ein.

Der erste Schwerpunkt dieses Antrags beziehe sich darauf, dass im EURATOM-For­schungs­pro­gramm insbesondere die Verwirklichung neuer Reaktorkonzepte, die Erhöhung der Ausga­ben für die Kernfusionsforschung und die Erstellung innovativer Konzepte zur Nutzung der Kern­energie angesprochen werden. Es handle sich daher um ein Forschungsprogramm, das mit 17 Milliarden Schilling das Überleben der westlichen Nuklearindustrie fördere und hinsicht­lich der geplanten Erhöhung der EURATOM-Kredite auch im Zusammenhang mit der EU-Erwei­te­rung stehe.

Der zweite Schwerpunkt des Antrags beziehe sich im Sinn einer europäischen Dimension der Atom­­politik auf ein Vorhaben der Europäischen Union, nämlich die Erweiterung und einen nächsten Schritt in den Erweiterungsverhandlungen, der in direktem Zusammenhang mit der Anti-Atompolitik stehe. Daher werde nun der Antrag gestellt, Österreich solle dem vorläufigen Ab­schluss des Energiekapitels im bevorstehenden Rat Allgemeine Angelegenheiten nicht zu­stimmen, bis die Sicherheitsmaßnahmen, die zwischen der Europäischen Kommission, Öster­reich und der Tschechischen Republik ausverhandelt wurden, entsprechend ergänzt, kon­kre­tisiert und finanziert worden seien oder ein Durchbruch in Richtung Stilllegung erreicht worden sei.

Wenn nun gegen letzteren Antrag argumentiert werde, es fehle ihm der systematische Zu­sam­menhang, dann sei dies sachlich in keiner Weise nachvollziehbar. Eine Nicht-Zulassung die­ses Antrags wäre eher als ein Versuch zu werten, das verfassungsmäßig abgesicherte Recht des Parlaments zu beschneiden, in entscheidenden Fragen der Europäischen Union Stel­lung­nah­men abzugeben. Denn es sei zum Beispiel am 31. Mai 2001 in diesem Ausschuss genau der­selbe systematische Zusammenhang vorgelegen, als zum Thema Erweite­rungs­be­richt auch über Anträge betreffend Temelín sowie EURATOM abgestimmt wurde.

Abgeordnete Dr. Glawischnig verweist ferner auf Artikel 23e Abs. 1 B-VG, der folgenden Wort­laut hat: „Das zuständige Mitglied der Bundesregierung hat den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“ Vor diesem Hintergrund müsse auch die auf das Kernkraftwerk Temelín bezogene Vereinbarung gesehen werden, die zwischen Österreich und der Tschechischen Republik unter der Ägide der Europäischen Kommission zustande ge­kom­men ist. Es sei vorgesehen, dass dieses Dokument in den europäischen Rechtsbestand Ein­gang finden soll, daher handle es sich sowohl um ein EU-Dokument als auch um ein Vorhaben der Europäischen Union. Da dieses Dokument nicht dem Nationalrat zugeleitet wurde, sei dadurch bereits das Recht auf Stellungnahme beschnitten worden.

Als drittes Argument für die Zulassung dieses Antrags führt Abgeordnete Dr. Glawischnig an, es wer­de aus dem rein politischen Grund, den Freiheitlichen eine unangenehme Abstimmung zu er­sparen, hier versucht, die Einbringung dieses Antrags mit „Geschäftsordnungstricks“ zu ver­hin­dern. Denn den Freiheitlichen gehe es darum, die Tatsache zu verschleiern, dass im Rat All­gemeine Angelegenheiten am 10. Dezember 2001 das Energiekapitel abgeschlossen wer­de. Vor diesem Hintergrund drohe sich nun der Vorsitz dieses Ausschusses zum Erfüllungs­ge­hilfen einer Partei zu machen, die zu einem unangenehmen Thema nicht Farbe bekennen wolle. Um nicht diesen Eindruck zu erwecken, möge die im Ausschuss gepflegte Praxis beibe­halten und der Antrag zugelassen werden.

Obmann Dr. Werner Fasslabend weist auf die bereits erfolgte Behandlung dieses Themas in der Präsidialkonferenz und die Vereinbarung über die zukünftige Vorgangsweise bei Abgren­zungs­­fragen hin. In diesem Sinn habe er eingangs seinen Appell ausgesprochen, Anträge ge­schäfts­ordnungsgemäß einzubringen. Im Übrigen werde nunmehr jedoch der Bereich der inhalt­li­­chen Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt verlassen, und es werde eine Geschäftsord­nungs­­debatte begonnen, die nicht in den Bereich der Medienöffentlichkeit falle. Er weist darauf hin, dass Geschäftsordnungsdebatten nicht im Beisein von Medienvertretern abgehalten wer­den. (Abg. Dr. Cap: Das ist keine Geschäftsordnungsdebatte!)

Obmann Dr. Fasslabend stellt den Antrag auf Entscheidung des Ausschusses darüber, ob eine De­batte über die Zulässigkeit des von der Abgeordneten Dr. Glawischnig eingebrachten An­trags auf Stellungnahme geführt wird.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) erachtet eine Klärung für erforderlich, ob Ab­geordneter Dr. Cap und Abgeordnete Dr. Glawischnig eine inhaltliche Debatte oder eine Geschäfts­ordnungsdebatte führen wollen. Im letzteren Fall müsse gemäß der Geschäfts­ord­nung, die vom Abgeordneten Dr. Cap hauptverantwortlich mitbeschlossen wurde, vorgegangen werden.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) erwidert, seine nächste Stellungnahme werde zu 85 Pro­zent inhaltlich und zum restlichen Teil geschäftsordnungsbezogen erfolgen.

Es komme jetzt darauf an, den von den Grünen gemeinsam mit der SPÖ nunmehr ordnungs­gemäß eingebrachten Antrag zu diskutieren. Mit seiner einleitenden Stellungnahme zu diesem Antrag habe Obmann Dr. Fasslabend bereits vor der formellen Einbringung versucht, die De­bat­te über diesen Antrag auf eine Geschäftsordnungsebene zu bringen, weil er anscheinend von An­fang an daran interessiert gewesen sei, dass bei dieser Diskussion keine Medien­vertreter an­wesend sind. Dies stelle eine völlig neue Vorgangsweise dar, die in höchstem Maße unde­mo­kratisch sei.

Daher sei Folgendes festzustellen: Obmann Dr. Fasslabend wolle im Ausschuss keine öffent­liche Debatte darüber zulassen, ob Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner gebunden werden solle, in der bevorstehenden Ratssitzung der Schließung des Energiekapitels nicht zuzu­stim­men, und auch keine Abstimmung herbeiführen, in deren Verlauf nicht nur die Oppositions­fraktionen, sondern möglicherweise auch Abgeordnete der Freiheitlichen für diesen Antrag stim­men könnten. Eine Vorgangsweise dieser Art bedeute einen Missbrauch der Geschäftsordnung.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) wendet ein, Abgeordneter Dr. Cap werde sicher­lich in der Lage sein, seine Stellungnahme entsprechend den Bestimmungen auf öffent­liche Debatte und Geschäftsordnungsdebatte aufzuteilen.

Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) resümiert, Obmann Dr. Fasslabend habe in Bezug auf den von der Abgeordneten Dr. Glawischnig zusammen mit Abgeordnetem Dr. Cap einge­brach­ten Antrag dessen Zulässigkeit in Frage gestellt. Seitens der Vorsitzführung könne ohne weite­res erklärt werden, dass ein Antrag nicht zulässig ist. Da aber Obmann Dr. Fasslabend eine Dis­kussion über die Zulässigkeit dieses Antrags angeregt habe, sei es richtig und logisch, dass der Ausschuss nun darüber entscheide, ob er eine Diskussion über die Zulässigkeit führen wol­le. Sofern darüber positiv entschieden werde, handle es sich bei dieser Diskussion um eine Ge­schäfts­ordnungsdebatte, und diese finde entsprechend der Geschäftsordnung – wie auch in allen anderen Ausschüssen – unter Ausschluss der Medienvertreter statt.

Es liege nunmehr der Antrag zur Geschäftsbehandlung vor, über die Zulassung des von der Ab­ge­ordneten Dr. Glawischnig eingebrachten Antrags eine Debatte durchzuführen. Über einen sol­chen Antrag zur Geschäftsbehandlung werde sofort abzustimmen sein.

Obmann Dr. Werner Fasslabend stellt fest, dass nach parlamentarischer Usance alle Fraktio­nen die Möglichkeit hatten, sich zur Geschäftsbehandlung zu Wort zu melden. Die geschäfts­ord­nungsmäßige Bestimmung über die Öffentlichkeit von Verhandlungen sei bereits vor gerau­mer Zeit gesetzlich beschlossen worden. Er fügt hinzu, er hätte persönlich nichts dagegen ein­zu­wen­den, wenn Geschäftsordnungsdebatten medienöffentlich geführt werden würden.

Obmann Dr. Fasslabend bringt den Antrag, über die Zulassung des von der Abgeordneten Dr. Gla­wischnig eingebrachten Antrags auf Stellungnahme eine Debatte durchzuführen, zur Abstimmung. – Dieser Antrag wird mehrheitlich angenommen.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) hebt in einer weiteren Wortmeldung zur Geschäftsbe­hand­lung hervor, nach § 31c Abs. 5 der Geschäftsordnung müsse erst ein Abgeordneter einen An­trag stellen, damit eine Diskussion nicht öffentlich stattfindet. Erst dann, wenn dieser Antrag eine Mehrheit finde, müssten die Medienvertreter den Saal verlassen. Daher solle Abgeordneter Dr. Khol, wenn er beabsichtige, die Medienvertreter auszuschließen, auch einen ent­sprechen­den Antrag stellen und diesen begründen.

Obmann Dr. Werner Fasslabend verweist darauf, dass er seine Vorgangsweise in Abstim­mung mit Parlamentsjuristen festgelegt hat.

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne) beantragt zur Klärung dieser Fragen eine Sitzungs­unterbrechung.

Obmann Dr. Werner Fasslabend beruft die Fraktionsvorsitzenden zu einer Besprechung ein und unterbricht die Sitzung.

(Die Sitzung wird um 10.47 Uhr unterbrochen und um 10.57 Uhr wieder aufgenommen.)

Obmann Dr. Werner Fasslabend nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf und gibt be­kannt, dass nach Rechtsmeinung der fachkundigen Beamten des Parlaments die Medienöffent­lich­keit in diesem Fall nicht vorliegt. Daher werden die Medienvertreter ersucht, bis zur Wieder­her­stellung der Öffentlichkeit das Ausschusslokal zu verlassen.

(Von 10.59 Uhr bis 11.37 Uhr findet die Sitzung nicht öffentlich statt.)

*****

Nachdem Obmann Dr. Werner Fasslabend festgestellt hat, dass der von der Abgeordneten Dr. Glawischnig eingebrachte Antrag auf Stellungnahme als nicht zulässig erachtet und ab­gelehnt wird, werden die Medienvertreter wieder in den Saal gerufen.

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ) zieht Aussagen von Regierungsseite in Zweifel, wonach kein österreichisches Steuergeld zur Finanzierung der im EURATOM-Nuklearforschungs­pro­gramm unter anderem vorgesehenen Entwicklung neuer Reaktortypen Verwendung finden wer­de, und bringt einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG der Abge­ord­ne­ten Dr. Josef Cap, Mag. Ulrike Sima und GenossInnen betreffend EURATOM-Forschungs­rah­men im Rahmen des mehrjährigen Rahmenforschungsprogramms 2002 bis 2006 ein. Damit wolle die SPÖ sicherstellen, dass aus österreichischem Steuergeld keine finanziellen Mittel in den Ausbau der Kernenergie, in die Entwicklung neuer Reaktorkonzepte oder in die Fusions­forschung fließen können.

Abgeordneter Karlheinz Kopf (ÖVP) weist darauf hin, dass die meisten der zahlreichen Ent­schlie­ßungsanträge zur österreichischen Anti-Atompolitik im Nationalrat mit den Stimmen aller Parla­mentsfraktionen beschlossen wurden, um zu dokumentieren, dass in mittel- bis langfristi­ger Perspektive Österreichs politische Parteien einhellig einen Ausstieg aus der Kernenergie in ganz Europa erreichen wollen und kurzfristig das Nachbessern bestehender Kraftwerke in Rich­tung hoher Sicherheitsanforderungen für erforderlich halten.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union habe Österreich auch EURATOM als Teil des Beitritts­ver­trages akzeptiert. Dem habe damals die Sozialdemokratische Partei ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung zugestimmt, und der sozialdemokratische Bundesminister Dr. Einem selbst habe dem 5. EU-Rahmenprogramm seine Zustimmung erteilt. Im Gegensatz zu diesem Pro­gramm sei es im jetzt vorliegenden 6. Rahmenprogramm dank massiver österreichischer Einwirkung zu einer klaren Akzentverschiebung dergestalt gekommen, dass die Mittel für die von den Oppositionsfraktionen jetzt kritisierten Teile des Programms eingefroren und zum Teil so­gar gesenkt wurden, wogegen zusätzliche Mittel für die Forschung im Bereich alternativer Energien und im Sicherheitsbereich verfügbar gemacht worden seien. Daher bestehe kein Grund zur Ablehnung des Rahmenprogramms 2002 – 2006.

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne) erachtet die jetzige Diskussion über die österrei­chi­sche Atompolitik in der Europäischen Union für doppelbödig. Das EURATOM-Forschungs­pro­­gramm könne nämlich keinesfalls als ein Programm zur Förderung alternativer Energien ge­sehen werden. Angesichts dieses Atomenergie-Förderungsprogramms in Höhe von 17 Milli­ar­den Schilling, wovon Österreich eine halbe Milliarde aufzubringen habe, könne nicht von einem Erfolg oder von einem Schritt zugunsten der Anti-Atompolitik gesprochen werden.

Unvereinbar seien auch die auf Regierungsseite vertretenen Positionen, einerseits in Österreich einen Veto-Kurs einzuschlagen und andererseits stillschweigend zu verhindern, dass der Natio­nal­rat in irgendeiner Form eine Bindung des zuständigen Mitglieds der Bundesregierung errei­chen und dem vorläufigen Abschluss des Energiekapitels entgegenwirken könnte. Wenn in die­sem Ausschuss in dieser Weise vorgegangen werde, sei dies sehr bedauerlich; dann könnte man ihn eigentlich gleich abschaffen, denn es werde ihm die verfassungsrechtliche Legitimation beschnitten, wenn dem Nationalrat nicht einmal mehr zugestanden werde, zur Europapolitik der österreichischen Bundesregierung Stellungnahmen abzugeben.

Dass sich im EURATOM-Forschungsprogramm die Atomlobby durchgesetzt habe, zeige sich auch darin, dass die für die Kernfusionsforschung vorgesehenen 700 Millionen € zwar zunächst auf Betreiben von EU-Kommissarin Schreyer um 100 Millionen € gekürzt, aber durch Beschluss des Europäischen Parlaments – auch mit den Stimmen der dortigen ÖVP-Mitglieder – schließ­lich doch in der ursprünglichen Höhe bereitgestellt wurden. Die Kernfusion könne jedoch wegen des langen Zeithorizonts und der massiven Abfallprobleme nicht als vernünftige energiepoli­tische Alternative betrachtet werden.

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer ist der Meinung, dass Grundlagenforschung in allen Bereichen notwendig sei. In diesem Fall gehe es darum, For­schungen zur Erhöhung der Sicherheit zuzulassen und auch herauszufinden, welche neuen und alternativen Energien nach dem Ausstieg aus der Atomenergie zur Verfügung stehen wür­den. Es dürfe nicht ein forschungsfeindliches Klima heraufbeschworen werden, weil dieses auch der wichtigen Grundlagenforschung etwa der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften oder der Technischen Universität Wien abträglich wäre. Die Forschung diene keines­wegs nur der Atomenergie, sondern es gehe auch um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, um die Frage der Entsorgung und um die künftige energiepolitische Richtung.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) stellt fest, es sei zwar der von der Abge­ord­neten Dr. Glawischnig eingebrachte Antrag auf Stellungnahme hier im Ausschuss nicht zu­läs­sig, es werde aber rechtzeitig, also noch vor der Entscheidung in der nächsten Woche, die Ge­le­genheit bestehen, diese Frage zu diskutieren und auch einen entsprechenden Antrag ein­zu­bringen.

Er macht weiters darauf aufmerksam, dass es die Freiheitlichen waren, die vor dem Beitritt Ös­ter­r­eichs zur EU vor den zu erwartenden Konsequenzen – insbesondere der Konsequenz, dass österreichische Standpunkte nicht mehr zu 100 Prozent durchsetzbar sein würden – gewarnt hat­ten. Obwohl es damals einer Festlegung darüber bedurft hätte, was künftig auf europäischer Ebene und was im nationalen Bereich entschieden werden solle, sei Österreich auf Betreiben der damaligen Regierungsparteien, also auch der SPÖ, ohne Wenn und Aber der Europäischen Union beigetreten. Nunmehr seien wie alle anderen Fraktionen auch die Freiheitlichen ge­zwungen, Abstriche von der österreichischen Position hinzunehmen.

Es sei notwendig, das vorliegende EURATOM-Forschungsprogramm durchzuführen, um den Aus­stieg aus der Kernenergie vorzubereiten und im Zuge dessen insbesondere zu erforschen, auf welche Weise die Folgen der jetzigen Nutzung der Kernkraft zu beseitigen sein würden. Um in Zukunft mit diesen Problemen fertig werden zu können, sei dieses Forschungsprogramm un­entbehrlich, auch wenn es in einigen Punkten nicht den österreichischen Vorstellungen entspre­che. Wer sich dagegen ausspreche, würde die Folgen der heutigen Kernkraftnutzung vernach­läs­si­gen. Ein solcher Standpunkt könnte auch von den Grünen nicht vertreten werden.

Abgeordnete Mag. Ulrike Sima (SPÖ) betont, dass in dem EURATOM-Forschungsprogramm vorgesehen sei, 9,6 Milliarden von den insgesamt 17 Milliarden Schilling für thermonukleare Fu­sions­forschung zu verwenden. Dies würde nicht dem Ausstieg dienen, sondern es bedeute in mas­siver Weise den Einstieg in eine neue Technologie. Auf diese Weise würden auch mit öster­reichischen Steuergeldern heute die Probleme von morgen finanziert werden. Es sei politisch kontra­produktiv, auf der einen Seite gegen das Kernkraftwerk Temelín anzukämpfen und auf der anderen Seite gleichzeitig 500 Millionen Schilling für Kernforschung auszugeben.

Wenn sich Abgeordneter Mag. Schweitzer für Forschungen zum Ausstieg aus der Atomenergie aus­spreche, befinde er sich damit auf der gleichen Linie, die auch in dem eingebrachten SPÖ-An­trag auf Stellungnahme verfolgt werde. Denn im jetzigen Programm liege der Schwerpunkt ein­deutig auf der Fusionsforschung und der Verlängerung der Laufzeit bestehender Atomkraft­werke, der Beitrag zur Ausstiegsforschung habe hingegen nur marginale Bedeutung.

Die vom Abgeordneten Kopf angesprochene Sicherheitsaufrüstung habe nicht nur positive As­pekte, sondern verlängere auch die Laufzeit von maroden Kraftwerken – dies gelte etwa für die Blöcke 5 und 6 in Kosloduj –, die andernfalls schon abgeschaltet worden wären, sodass damit auch zusätzliche Gefahrenquellen weiterbestünden.

Abgeordnete Mag. Sima fragt, wann – entsprechend dem Vier-Parteien-Entschließungsantrag aus der letzten Gesetzgebungsperiode, in dem unter anderem die Beseitigung der Vormacht­stel­lung der Nuklearenergie auf europäischer Ebene gefordert worden ist – das Problem EURA­TOM von österreichischer Seite in Angriff genommen werde.

Abgeordnete Inge Jäger (SPÖ) erläutert, dass sich auch die SPÖ dafür ausspreche, finan­ziel­le Mittel für die Erforschung von Ausstiegsszenarien bereitzustellen, und dazu diene auch der ein­gebrachte Antrag. Von Seiten der Freiheitlichen und der ÖVP werde zum Teil wider bes­se­res Wis­sen argumentiert, weil klar sei, dass es im EURATOM-Forschungsprogramm um die Ent­wicklung eines neuen Reaktortyps geht, denn der größere Teil des Geldes werde für die Her­stellung eines neuen Reaktortyps in Südfrankreich eingesetzt.

Auseinandersetzungen wie die hier derzeit stattfindende würden die österreichische Position auf internationaler Ebene enorm schwächen. Es sei empörend, wie unterschiedlich von Seiten der Regierungsparteien zum einen in diesem Ausschuss und zum anderen gegenüber der Öf­fent­lichkeit argumentiert werde.

Abgeordneter Karlheinz Kopf (ÖVP) widerspricht der Abgeordneten Jäger und meint, dass eher die Regierungsfraktionen Grund zur Empörung hätten, denn mit dem Beitritt zur Euro­päischen Union habe Österreich auch den EURATOM-Vertrag mit übernommen. Die heutige Bun­desregierung halte sich daran und stehe zugleich dafür, alles daranzusetzen, den EURA­TOM-Vertrag und seine Rahmenprogramme zu verändern. Die Haltung der SPÖ sei unglaub­wür­dig, da in der vorangegangenen Gesetzgebungsperiode Bundesminister Dr. Einem dem 5. Rah­menprogramm zugestimmt habe, und ihre Vorwürfe seien unangebracht, weil die jetzige Bun­desregierung bereits eine massive Verlagerung der finanziellen Mittel in die richtige Rich­tung erreicht habe. Da jedoch zahlreiche EU-Mitgliedstaaten nach wie vor auf die Kernenergie setzen, könne der EURATOM-Vertrag nicht in einem einzigen Verhandlungsschub zur Gänze ver­ändert werden. Daher sei es nicht angebracht, die bisher von der österreichischen Bundes­regierung erreichten Teilerfolge zu kritisieren.

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ) wirft der Bundesregierung Doppelbödigkeit in der Kom­muni­kation gegenüber der Öffentlichkeit vor. Sie habe es verabsäumt, sich intensiv um die Her­bei­führung eines Umdenkprozesses in Bezug auf EURATOM und den europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie zu bemühen. Die Auseinandersetzung mit den Kernkraft-Befürwortern in Europa, die insbesondere mit der Nachrüstung von Ost-Atomkraftwerken ein großes Geschäft machen wollten, stehe erst am Beginn. Im Gegensatz zu den jetzigen Versäumnissen habe die frühere Bundesregierung von SPÖ und ÖVP im Zusammenhang mit der Kreditvergabe zum Zweck der Nachrüstung von Atomkraftwerken bereits Schritte in Richtung des Zieles eines kernkraftfreien Mitteleuropas gesetzt.

Die jetzige Fixierung auf die Sicherheit von Temelín bewirke eine Vernachlässigung der Sicher­heits­fragen bei anderen Atomkraftwerken. Das Ökologie-Institut habe bereits aufgezeigt, dass auch noch weniger sichere Kraftwerke in Betrieb sind. Auch in diesem Sinn sei der Schwer­punkt in einer langfristigen Orientierung auf den Ausstieg aus der Kernenergie zu legen. Es müs­se damit gerechnet werden, dass die Auseinandersetzungen härter werden, wenn zum Beispiel – wie es sich derzeit abzeichne – die Electricité de France Teile der tschechischen Nuklearwirtschaft übernimmt.

Abgeordneter Dr. Cap stellt in Abrede, dass in der Vereinbarung Österreichs mit der Tschechi­schen Republik betreffend Temelín ein Durchbruch erzielt wurde. Darin sei nämlich nur festge­legt worden, dass Tschechien die eigenen Gesetze anerkenne und selbst feststelle, was als Sicher­heitsmangel einzuschätzen ist und ob irgendwelche Mängel zu beseitigen sind. Auch zum Beispiel daran, dass der rechtliche Status dieser Vereinbarung noch nicht klargelegt wurde, zeige sich die Doppelbödigkeit in der Vorgangsweise der Bundesregierung.

Wenn es nun zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung komme, könne Österreich als ein Land, das die Kernenergie nicht nutzt, eine Vorreiterrolle spielen. Was die Haltung der SPÖ be­treffe, sei zu beachten, dass die Generation, die sich heute in den Führungspositionen befindet, bereits 1978 dafür gekämpft habe, dass Österreich frei von Atomkraftwerken bleibt.

Eine Sitzung des Hauptausschusses noch vor Beginn der EU-Ratssitzung am 10. Dezem­ber 2001 sei unbedingt erforderlich, um die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten an die Vorgabe zu binden, dass sie dem vorläufigen Abschluss des Energiekapitels nicht die Zu­­stim­mung erteilt. Es handle sich dabei auch um eine Frage des Umgangs mit dem Parla­ment. Die Freiheitlichen müssten insbesondere im Hinblick auf ihr geplantes Temelín-Volksbe­geh­ren den Appell um eine rechtzeitige Abhaltung dieser Hauptausschusssitzung unter­stützen. Denn de facto werde am 10. Dezember das Energiekapitel geschlossen, daran würden auch verbale Uminterpretationen mit Hilfe von Ausdrücken wie „eröffnen“ oder „beiseite legen“ nichts ändern.

Obmann Dr. Werner Fasslabend ruft dazu auf, in den Debattenbeiträgen nicht zu weit von der Tagesordnung abzuweichen.

Abgeordneter Ing. Gerhard Fallent (Freiheitliche) weist darauf hin, dass Österreich mit dem EU-Beitritt auch den EURATOM-Vertrag übernommen hat, und räumt ein, Österreich sei mit man­­chen Punkten des EURATOM-Programms nicht zufrieden. Die Bundesregierung könne nicht von einem Tag auf den anderen alles ändern, setze sich aber weiterhin im Sinn der öster­reichischen Position ein, etwa für das Ziel, dass der EURATOM-Vertrag zu einem Vertrag über den Ausstieg aus der Atomenergie wird.

Auf Oppositionsseite zeige sich jetzt eine widersprüchliche Haltung, die darin bestehe, sich ge­gen Sicherheitsnachrüstungen auszusprechen und zugleich auf europäischer Ebene Sicher­heits­standards zu fordern. Es müsse zwischen Nachrüstungen zur Verbesserung der Sicherheit in alten, noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken und so genannten Leistungsnach­rüs­tun­gen unterschieden werden. Tatsächlich wäre es abzulehnen, wenn es unter dem Aspekt der Sicher­heit zur Leistungserhöhung von Atomkraftwerken käme, aber dies dürfe nicht zu einer ab­lehnenden Haltung in Bezug auf das Ziel führen, unsichere Kraftwerke sicherer zu machen. Finanzielle Mittel für die Verbesserung der Sicherheit vorzusehen sei als positiver Teil des EURATOM-Programms zu werten, und dies gelte es auch zu unterstützen.

Nach Ansicht von Abgeordneter Dr. Eva Glawischnig (Grüne) hat Abgeordneter Mag. Schweit­zer mit seiner vorangehenden Stellungnahme bereits die Garantie abgegeben, dass noch vor Abschluss des Energiekapitels auf EU-Ebene am 10. Dezember 2001 eine Sitzung des Hauptausschusses stattfinden werde. Die Bundesregierung behalte auch weiterhin eine Doppelstrategie derart bei, dass in Österreich selbst zwar einem Ausstieg aus der Kern­energie das Wort geredet werde, diese Absicht jedoch bei konkreten Entscheidungen wie jetzt in Bezug auf das Energiekapitel oder das EURATOM-Programm nicht eingelöst werde.

Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) hält fest, dass die derzeitige Bundesregie­rung in Richtung des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernkraft bereits jetzt wesentlich mehr als die früheren österreichischen Regierungen unternommen habe. So hätten sich etwa die Aktivi­täten des früheren Bundeskanzlers Mag. Klima gegenüber der Tschechischen Republik darin er­schöpft, dass „der Vikerl den František angerufen“ und sich mit ablehnenden Bescheiden des Letzteren begnügt habe.

Der jetzige Termin für den Hauptausschuss, nämlich der 10. Dezember 2001, sei mit Zustim­mung der Oppositionsfraktionen im Hinblick auf den Europäischen Rat in Laeken festgelegt worden. Nichtsdestoweniger würden sich die Freiheitlichen darum bemühen – eine Garantie darüber könne man jedoch nicht abgeben –, rechtzeitig und somit noch vor Beginn der Sitzung der EU-Außenminister eine Behandlung dieses wesentlichen Themas im Hauptausschuss zu­stande zu bringen.

Im Gegensatz zu Aussagen von Oppositionsseite sei es Österreich gelungen, in den Verhand­lun­gen über die Forschungsprogramme Schritte in Richtung des erwünschten Standpunktes zu erreichen, betreffend etwa die Forderungen „verstärkte Forschung zugunsten nichtnuklearer Energieträger“, „kein Geld der Gemeinschaft für den Bau neuer Kraftwerke“ und „kein Geld der Gemein­schaft für lebensverlängernde Maßnahmen in bestehenden Kernkraftwerken“. Öster­reich habe sich – wie auch Deutschland – grundsätzlich gegen die Forschung, die der Förde­rung des Baues neuer Kernreaktoren diene, ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach der künftigen Vorgangsweise des deutschen Umweltministers Trittin als eines Regierungsmitglieds der Grünen.

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ) fragt, wie die Forderung von Bundesministerin Dr. Fors­tinger, kein Geld für die Entwicklung neuer Atomreaktoren auszugeben, damit vereinbar sei, dass gemäß EURATOM-Programm bis zu 60 Prozent für die „Neu-Aufrüstung“ von Reakto­ren ausgegeben werden sollen.

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer erachtet eine Klä­rung im Hinblick auf die hier zitierten Zahlenangaben für erforderlich. Das 6. Rahmen­pro­gramm belaufe sich auf einen Gesamtbetrag von 17 Milliarden €. Davon seien 1,2 Milliarden € für EURATOM vorgesehen. Für Sicherheitsforschung und den Bereich der Kernspaltung wür­den in einem Zeitraum von vier Jahren 150 Millionen € ausgegeben werden. 700 Millionen € sei­en für die neue und wichtige Grundlagenforschung über Kernverschmelzung und -fusion ge­plant. Strahlenschutz und sonstige Forschungen seien mit 50 Millionen € dotiert worden. Für die gemeinsame Forschungsstelle seien 330 Millionen € vorgesehen.

Österreich habe erreicht, dass der Bau von neuen Reaktoren und die Konzepte für den Re­aktorbau entsprechend der althergebrachten Fission nicht mehr im Programm stehen. Öster­reich habe auch eine besondere Berücksichtigung des Strahlenschutzes im Forschungspro­gramm erreicht.

Es wäre falsch, hier durch eine Vermischung von wichtiger Grundlagen- und Sicherheitsfor­schun­gen mit der Frage des Kernkraftwerkes Temelín ein forschungs- und technologiefeindli­ches Klima zu erzeugen. Die Grundlagenforschung sei unentbehrlich, sowohl zugunsten des Aus­stiegs aus der Atomenergie, um Alternativen zur Kernspaltung zu erforschen, als auch zur Erhöhung der Sicherheit für die Menschen in Europa. In realistischer Einschätzung könne nicht so bald mit diesem Ausstieg gerechnet werden, daher müsse es für alle Fraktionen ein Anliegen sein, die bestmöglichen Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

Obmann Dr. Werner Fasslabend schließt die Debatte zum zweiten Tagesordnungspunkt und bringt den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG der Abgeordneten Dr. Jo­sef Cap, Mag. Ulrike Sima, Dr. Eva Glawischnig und GenossInnen betreffend EURATOM-For­schungsrahmen im Rahmen des mehrjährigen Rahmenforschungsprogramms 2002 bis 2006 zur Abstimmung. – Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.

 

3. Punkt

KOM (01) 522 endg.

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

(39830/EU XXI. GP)

und

RAT 12647/4/01 REV 4 DROIPEN 85 CATS 31

Beratungsergebnisse betreffend Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung

(43378/EU XXI. GP)

Obmann Dr. Werner Fasslabend erteilt Bundesminister Dr. Böhmdorfer für eine einleitende Stellungnahme zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer berichtet von einer außerordentlichen Sitzung des EU-Rates der Justiz- und Innenminister infolge der Terrorangriffe auf New York und Washington des 11. September 2001. In dieser Sitzung sei der Vorschlag unterbreitet worden, die Position der Europäischen Union zum Terrorismus zu überdenken, rechtliche Grundlagen kon­kreterer Art als bisher zur Bekämpfung des Terrorismus zu schaffen und Überlegungen zu dem so genannten Europäischen Haftbefehl anzustellen.

Seitens der Europäischen Union sei der Wunsch geäußert worden, dass die Auslieferungs­ver­fah­­ren zwischen den Mitgliedstaaten verkürzt werden. Derzeit seien bei Auslieferungs­verfah­ren prin­zipiell die jeweiligen Justizministerien zwischengeschaltet. Diese Zwischenschaltung solle nun wegfallen, und zwar auf der Grundlage der Ergebnisse des Gipfeltreffens in Tampere im Jahr 1999, als mit dem Projekt begonnen wurde, im Rahmen der Europäischen Union einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes zu schaffen. Darüber, dass die Justizmi­ni­ste­­­­rien künftig nicht mehr zwischengeschaltet sein sollen, bestehe Konsens zwischen den Mit­gliedstaaten.

Ansatzweise habe bereits eine Debatte darüber begonnen, wie im Fall der Auslieferung eigener Staatsbürger zu verfahren wäre und was hinsichtlich des Prinzips der doppelten Strafbarkeit zu geschehen hätte. Bisher bestehe im Auslieferungsrecht der Grundsatz, dass es nur bei Erfül­lung des Prinzips der doppelten Strafbarkeit zur Auslieferung kommt: Das Delikt, das den An­lass für ein Auslieferungsbegehren bildet, müsse sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar sein. Daneben gelte das Prin­zip, dass eigene Staatsbürger nicht ausgeliefert werden können und sollen. Auch an die­sem Prin­zip werde in der jetzt entstandenen Debatte gerüttelt. Eine weitere Frage bestehe darin, ob und inwieweit neue rechtliche Grundlagen für Auslieferungen rückwirkend Geltung haben könnten.

Nach dieser ersten Sitzung sei ein weiterer Rat der Justiz- und Innenminister abgehalten wor­den, und nun seien für den 6. Dezember 2001 die nächsten Entscheidungen im Hinblick auf das Ziel vorgesehen, im EU-Raum schneller und problemloser als bisher Auslieferungen zu ermögli­chen. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit solle zwar grundsätzlich bestehen bleiben, aber daneben sei eine Positivliste von Delikten vorgesehen, derentwegen das Vorliegen dieses Prinzips nicht mehr geprüft werde. Wenn also eines dieser Delikte vorliege und ein Auslie­fe­rungs­verfahren anhängig sei, solle künftig nicht mehr geprüft werden, ob das Prinzip der dop­pel­ten Strafbarkeit erfüllt werde.

Was die Frage der Auslieferung eigener Staatsbürger betreffe, bestehe in einer Mehrheit der EU-Mit­gliedstaaten offenkundig die Tendenz, solche Auslieferungen zuzulassen. Dies entspre­che nicht der österreichischen Tradition. Das Auslieferungsrecht sei geprägt vom Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz, in dessen § 12 im Verfassungsrang festgelegt sei, dass eigene Staats­bür­ger nicht ausgeliefert werden.

Welchen Verlauf die Diskussion am 6. Dezember nehmen werde, lasse sich derzeit noch nicht a­b­schätzen. Was das Prinzip der doppelten Strafbarkeit angehe, sei nach Ansicht Italiens die Positivliste derzeit noch zu weit gefasst, sodass eine Einschränkung gewünscht werde. Für die Vorschläge der Europäischen Union sei die so genannte EUROPOL-Liste maßgeblich, und die­s­e Auffassung sei von den Mitgliedstaaten zunächst ohne großen Widerspruch zur Kenntnis ge­nommen worden.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) sieht es für sinnvoll an, in einer Wirtschaftsunion auch gemeinsame strafrechtliche Regelungen zu schaffen, und spricht sich dafür aus, ent­spre­chend dem Beschluss von Tampere eine Harmonisierung des europäischen Strafrechts herbei­zu­führen. Die SPÖ fühle sich jedoch zu wenig in die Vorarbeiten für die Rahmen­beschlüsse des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Einführung des Europäischen Haftbefehls einbe­zogen.

Was das Ziel einer schnelleren Vollstreckung des Haftbefehls betreffe, seien auch bisher schon ver­einfachte Verfahren in Kraft gewesen. Daher sei zu fragen, ob es konkrete Anlassfälle in Euro­pa gebe, die es rechtfertigen könnten, dass eine derart grundsätzliche Entscheidung, wie sie für den kommenden 6. Dezember geplant sei, ohne umfassende Diskussion über damit ver­bundene Grundrechtsbeschränkungen getroffen werde.

Zwar lasse sich dem Europäischen Haftbefehl relativ viel abgewinnen, die Voraussetzung dafür seien aber identische Rechtsstandards in den einzelnen Mitgliedstaaten. Dazu gehöre etwa die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften von staatlichem Einfluss. Von einigen europäischen Staaten könne dies derzeit nicht gesagt werden. Eine entsprechende grundsätzliche Proble­ma­tik bestehe in einigen Bewerberländern, denen im jeweiligen Acquis communautaire in Be­zug auf die Justiz dieser Länder kein gutes Zeugnis ausgestellt worden sei.

Damit der Europäische Haftbefehl zu Verbesserungen führen könnte, müssten erst entspre­chen­de Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehöre etwa die Beantwortung der Frage, welche Straftaten unter diesen Haftbefehl fallen sollen. Abgeordneter Mag. Maier fragt, welche Hal­tung von den einzelnen EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf die in den Unterlagen angespro­che­ne Negativliste von Delikten eingenommen werde. Es müsse auch gefragt werden, in wel­cher Form bei Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls die Verteidigungsrechte abgesichert wären. Diese Rechte müssten verstärkt werden.

Ferner stelle sich die Frage nach der Entschädigung einer Person, die entsprechend dem Euro­päischen Haftbefehl verhaftet worden ist, im Gerichtsverfahren aber freigesprochen wird. Auch in Österreich selbst bestehe in dieser Frage Diskussionsbedarf. Was die Kosten betreffe, die mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls verbunden sind, seien den vorliegenden Unterla­gen keine Angaben darüber zu entnehmen, nach welchem Recht jemand für die Aufwendungen für Anwälte oder Rechtshilfe entschädigt werde, insbesondere wenn es nach Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zu einem Freispruch kommt.

Grundsätzlich lasse sich dem Europäischen Haftbefehl also etwas abgewinnen; allerdings müs­se auch an die Situation erinnert werden, die einst im WEB-Bautreuhand-IMMAG-Skandal ent­stand, als sich der ehemalige Staatsanwalt Dr. Graf die deutsche Staatsbürgerschaft beschaffte und nach Deutschland übersiedelte. Damals sei zu spät Anklage erhoben worden, sodass das Delikt nach deutschem Recht bereits verjährt war, und diese Art, straffrei zu bleiben, hätten die Geschädigten nicht verstehen können.

Abgeordneter Dr. Michael Krüger (Freiheitliche) führt aus, dass in dem Begriff des Euro­päischen Haftbefehls nicht die Tragweite der Veränderung zum Ausdruck komme, die mit des­sen Einführung verbunden wäre. Die Konsequenzen würden wesentlich über die Vollziehung eines Haftbefehls hinausreichen. Es sei damit nicht nur die Verpflichtung eines Mitgliedstaates ver­­bunden, einen woanders ausgestellten Haftbefehl zu vollziehen und das Strafverfahren in dem Staat abzuhandeln, in dem der Gesuchte festgenommen wurde, sondern der Europäische Haft­­befehl sei über den Vollzug der Verhaftung hinaus durch das Merkmal gekennzeichnet, dass mit ihm die Zwangsüberstellung einer Person von einem Mitgliedstaat in einen anderen ver­­bunden ist. Dies bedeute teilweise die Aufgabe der Souveränität der Mitgliedstaaten, wie sie bis­her mit einem Strafrecht bestanden habe, das nicht Gemeinschaftsrecht, sondern Recht der einzelnen Mitgliedstaaten sei.

Offensichtlich solle nun auf europäischer Ebene im Strafverfahren die im Exekutionsrecht vorzu­fin­­­dende Redewendung „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ Anwendung finden. Wer gegen je­man­­den, unabhängig von dessen Staatsbürgerschaft, die erste Verfolgungshandlung setze, ha­be sich den Zugriff auf diese Person verschafft und könne sofort die Auslieferung begehren; die anderen hätten das Nachsehen. Dies könne aber nicht im Interesse der Mitgliedstaaten sein, weil diese ihre jeweils eigene Rechtsordnung hätten und eine Gleichschaltung auf straf­recht­licher Ebene nicht existent sei.

Gegen die so genannte Negativliste, die gemäß den vorliegenden Unterlagen jeder Mitglied­staat erstellen könnte, um Handlungen zu kennzeichnen, für die er die Vollstreckung des Euro­päischen Haftbefehls grundsätzlich ablehne, wendet Abgeordneter Dr. Krüger ein, wenn schon eine derartige Vorgangsweise gewählt werde, dann müsste nicht eine Negativliste, sondern eine entsprechende Positivliste erstellt werden. In jedem Fall wäre damit die Folge verbunden, dass alle Jurisdiktionen und Rechtsordnungen aller in der Europäischen Union verbundenen Staaten untersucht werden müssten, und zwar nicht nur hinsichtlich der unter Strafe stehenden Tat­­bilder, sondern auch der jeweiligen Rechtsprechung, um Art und Ausmaß des Vollzuges in der Praxis festzustellen.

Abgeordneter Dr. Krüger stellt fest, er stehe aus diesen Gründen solchen Veränderungen eher ab­lehnend gegenüber, und dies gelte überwiegend auch für die freiheitliche Fraktion. Es wäre wün­­schenswert, auf den Kern der Sache zurückzukommen, nämlich auf die Ereignisse vom 11. Sep­tember 2001 als Anlass für die Diskussion über den Europäischen Haftbefehl. Dagegen, dass die zivilisierte Welt möglichst massiv koordinierte Maßnahmen zur Bekämpfung des Ter­roris­mus ergreift, sei nichts einzuwenden, aber es komme darauf an, nicht das Kind mit dem Ba­de auszuschütten. Es entstehe in dieser Sache überdies der Eindruck, dass auf europäischer Ebene versucht wird, diese Terroranschläge auch dafür zu benutzen, weit über eine gemein­same Terrorbekämpfung hinauszugehen und ein einheitliches Strafrecht sowie eine einheitliche Voll­­ziehung festzulegen. In diesem Fall wäre aber die Umsetzung nicht möglich, weil ver­schie­dene Rechtsordnungen und Rechtsstandards in Gebrauch seien.

Betreffend eigene Staatsbürger müsse der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit auf jeden Fall aufrechterhalten werden. Der Europäische Haftbefehl solle sich auf den Bereich der Ter­roris­musbekämpfung beschränken, und dafür müsse die Definition von Terrorismus geklärt wer-den. Es dürfe nicht so weit kommen, dass Menschen wahllos zu Terroristen erklärt werden kön­nen und rechtsstaatliche Errungenschaften über Bord geworfen werden.

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne) weist darauf hin, dass Themen wie der Euro­päische Haftbefehl und die Maßnahmen gegen Terrorismus von der Europäischen Kommission schon lange vor dem 11. September 2001 diskutiert worden seien. Dieses Datum spiele aber eine große Rolle, weil es dadurch zu einer Beschleunigung der Diskussion gekommen sei. Es sei nun Vorsicht vor zu großer Eile geboten, weil es um grundlegende Einschnitte in die Rechts­la­ge gehe.

Unter Fachleuten sei schon seit längerem unumstritten, dass die herkömmlichen Verfahrens­wei­­­sen effizienter gestaltet werden müssen. In der Regel mangle es nicht an den materiellen Vor­­aus­setzungen, sondern insbesondere wegen der personellen Voraussetzungen würden sich viele Verfahren zu lange hinziehen. Die Bestrebungen nach Verbesserungen und Vereinheitli­chungen im gesamteuropäischen Kontext sollten nun nicht mit dem Anlassfall des 11. Septem­ber vermischt werden. Zwar sei politisch Eile geboten, aber in sehr vielen Fragen werde es auch darauf ankommen, Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Vor allem dürfe es nicht dazu kom­­men, dass an rechtlichen Garantien gespart wird.

Es stelle sich nun die Frage, wie solche Vorhaben eingelöst werden könnten, solange es nicht etwas wie eine gemeinsame europäische Rechtskultur gebe. Die eklatanten Unterschiede in der jeweiligen Rechtskultur, wie sie sogar unter sehr gut vergleichbaren EU-Mitgliedstaaten bestün­den, müssten zuerst beseitigt werden. Eine Beseitigung dieser Problemfelder sei in dem kurzen Zeitraum von 11. September bis 6. Dezember – dem Tag, an dem bereits die Entscheidung darüber geplant ist – nicht möglich.

Von verschiedenen Organisationen sei bereits Kritik geäußert worden. So habe etwa die Euro­pean Criminal Bar Association kritisiert, es dürfe auch dann, wenn politischer Handlungsbedarf bestehe, nicht zur Einschränkung rechtsstaatlicher Garantien kommen. Auch in Österreich be­stehe diese Sorge. Zwar werde niemand widersprechen, wenn Maßnahmen zur Sicherheit der Unions­bürger ergriffen werden, aber mit gleicher Vehemenz müsse auch der Schutz der Ver­fahrens­rechte – insbesondere der Unionsbürger, aber auch der Angehörigen von Dritt­staaten – gewährleistet werden. In Österreich sei sowohl von politischer Seite als auch von Beamtenseite bereits große Skepsis geäußert worden, und dies gebe auch Oppositionsabgeordneten Anlass zur Vorsicht.

Wenn es um Terrorismusbekämpfung gehe, müsse zuerst eine stichhaltige Definition von Ter­roris­mus gefunden werden, um die Tatbestandsmerkmale von Terrorismus identifizieren zu kön­nen. Der Definitionsbedarf stelle sich auch im Hinblick auf die in der geplanten Positivliste auf­schei­nenden Delikte, zum Beispiel Betrugsdelikte.

Es sei bisher nicht klar geworden, welche Einwendungen Österreich in der EU-Minister­rats­sitzung am 6. Dezember aus seiner Sicht vorbringen werde. Was sich derzeit abzeichne, sei die Ansicht, dass die Auslieferung österreichischer Staatsbürger in der im Entwurf vorgesehe­nen Form nach österreichischer Auffassung nicht in Frage kommt. Ein entsprechender Vor­be­halt we­rde daher anzubringen sein. Auch die Frage der Voraussetzungen für die Umsetzung im inner­staatlichen Recht werde noch zu diskutieren sein.

Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter (ÖVP) äußert sich namens der ÖVP ebenfalls kri­tisch in Bezug auf den Europäischen Haftbefehl. Die Europäische Kommission zäume jetzt das Pferd von hinten auf, indem sie mit einem Vollstreckungsregulativ vorpresche, ohne dass zuvor eine Harmonisierung des Strafrechts insgesamt auf europäischer Ebene vorgenommen wor­den wäre. Ursache dieser Entwicklung sei offensichtlich der 11. September 2001 gewesen, aller­dings seien Vorbereitungsarbeiten – zum Beispiel mit Bezug auf die Funktion eines euro­päischen Staatsanwalts – schon seit längerer Zeit im Gang gewesen.

Besondere Probleme würden daraus erwachsen, dass der europäische Wertekatalog zwar durch die Charta der Grundrechte umrissen, aber der Rahmen in den einzelnen Strafrechts-Ge­setz­gebungen bei weitem nicht harmonisiert sei. Die Strafrechtsbestimmungen seien in den einzel­nen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich, und zwar nicht nur hinsichtlich der Strafaus­maße, sondern auch der Kennzeichnung der Delikte. Ein riesiges Manko bestehe in Bezug auf die Definition der einzelnen Strafrechtsnormen.

Abgeordnete Dr. Fekter begrüßt die Absicht von Bundesminister Dr. Böhmdorfer, dort, wo es darum gehen werde, die Grundsätze des österreichischen Systems für die gemeinsame euro­päische Haltung zu opfern, für die Beibehaltung dieser Grundsätze zu kämpfen. Dies betreffe etwa den Grundsatz der Gegenseitigkeit der Strafbarkeit. Eine Positivliste, in der klar dargestellt wer­de, welche Delikte darunter fallen, könne dieses Problem entschärfen, weil dann, wenn die Straf­barkeit in allen Staaten gegeben wäre, dieser Grundsatz nicht aufgegeben zu werden brau­­che.

Ebenfalls mit österreichischen Grundsätzen nicht vereinbar wäre eine rückwirkende Einführung dieser Änderung. Was die Auslieferung österreichischer Staatsbürger betreffe, gelte es die Ver­fas­sungsbestimmung im § 12 des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes zu beachten, sodass für eine Änderung eine entsprechende Mehrheit erforderlich wäre.

Österreich dürfe jedoch nicht den Eindruck erwecken, es sei ein Blockierer der Terrorbe­kämpfung und verhindere entsprechende europäische Initiativen. Neben der Sorge um die Rechts­grundsätze müsse auch die Wirkung politischer Signale Beachtung finden. Entstünde der Eindruck, dass Österreich keine Auslieferungen vornehmen wolle, so könnte dann der Vorwurf fol­gen, Österreich heiße Terroristen willkommen. Es handle sich dabei um eine schwierige Grat­wan­derung.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer stellt in Beantwortung der Frage des Abge­ord­neten Mag. Maier nach konkreten Anlassfällen fest, dass Österreich tatsächlich Schwierig­keiten bei Auslieferungen, wenn es selbst der ersuchende Staat sei, im Rechtshilfeverkehr mit Spanien, Frankreich und Großbritannien habe. In dieser Hinsicht sei eine Vereinfachung des Auslieferungswesens – ohne Aufgabe des Rechtsschutzgedankens – zu begrüßen.

Was die Frage nach gemeinsamen Rechtsstandards betreffe, bestehe tatsächlich eine grund­sätzliche Problematik in Bezug auf Beitrittskandidatenländer, und zwar insoweit, als Befürchtun­gen geäußert worden seien, die dortigen Standards könnten noch nicht ein entsprechendes Niveau erreicht haben. Österreich habe jedoch in der Praxis der Auslieferungen keine großen Pro­bleme mit diesen Ländern.

In der Frage des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit bei Auslieferungen fahre derzeit der Zug in die Richtung einer Positivliste und nicht einer Negativliste. Der Grundsatz bleibe be­stehen, aber es entstehe eine umfangreiche Positivliste von Delikten, bei denen die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit nicht mehr zu prüfen sei.

Die Verteidigungsrechte seien für die Verfahren bereits jetzt durch die Europäische Menschen­rechts­konvention abgesichert. Im Auslieferungsrecht gelte die EMRK nicht, wohl aber im Ver­fah­ren davor. Es wäre bei aller Richtigkeit von Bedenken nicht ratsam, Staaten, die der EMRK an­ge­hören, vorweg zu desavouieren. Eine Tendenz in Richtung einheitlicher Standards sei feststellbar.

In der vom Abgeordneten Mag. Maier ebenfalls angesprochenen Entschädigungsfrage habe das innerstaatliche Recht Gültigkeit. Eine genauere Klärung werde in weiterer Folge noch vor­zu­nehmen sein.

Betreffend die Aufgabe von Souveränität bestehe kein Anlass zu übertriebener Dramatisierung. Es würden prinzipiell nicht sehr viele Auslieferungsfälle übrig bleiben. Immer dann, wenn gegen einen Österreicher in Österreich ein Strafverfahren durchgeführt werden könne, gelte, dass er nicht ausgeliefert werde, gleichgültig, wie dieses Verfahren ende. Wenn also eine Anzeige nach § 90 StPO zurückgelegt werde, komme die Auslieferung eines eigenen Staatsbürgers nicht mehr in Frage. Es werde sehr schwer sein, einen Fall zu konstruieren, dass ein Österreicher, der im Inland kein Delikt begangen hätte, auszuliefern wäre.

Zusammenfassend könne daher gesagt werden, dass keine Übergabe von Österreichern bei der Durchführung eines Strafverfahrens im eigenen Staat erfolge, auch bei Einstellung eines Ver­fahrens. Zweitens finde keine Übergabe zur Vollstreckung eines Urteils statt, wenn das im Mit­gliedstaat ausgesprochene Urteil im eigenen Staat vollstreckt werde; würde also ein in einem anderen Mitgliedstaat Verurteilter nach Österreich flüchten, so käme es hier zur Einleitung eines Verfahrens, und eine Auslieferung käme nicht mehr in Frage. Zum Dritten erfolge auch dann keine Übergabe, wenn sowohl die Tat in Österreich begangen als auch der Täter in Österreich gestellt wurde.

Zwar bedeute es ein grundsätzliches Umdenken, würden von Österreich auch Inländer ins Aus­land ausgeliefert werden, aber es sei auch nach dem geltenden Auslieferungsrecht sehr schwie­­rig, einen Fall zu konstruieren, in dem dies zu einer als ungerecht empfundenen Situation füh­ren würde.

Bundesminister Dr. Böhmdorfer dankt der Abgeordneten Dr. Fekter insbesondere für ihre Aus­füh­rungen zur Güterabwägung. Auf der einen Seite stehe der Wunsch nach verbesserter Ter­ror­bekämpfung, vor allem auch im Vorfeld und in der Deliktsvorbereitung, weil die Terroris­ten, die sich bei ihren Taten töten, nicht mehr gesucht und bekämpft werden müssten. Dem ste­he auf der anderen Seite das Abrücken von bisherigen Prinzipien gegenüber.

Der Minister kündigt an, dass er in der Ratssitzung folgende Positionen vertreten werde: Öster­reich werde zu verhindern versuchen, dass Österreicher ausgeliefert werden müssen, vor allem sol­­che, die in Österreich kein Delikt begangen haben. Nach Möglichkeit werde auch gegen die Rüc­k­wirkung angekämpft werden. Hinsichtlich der Positivliste werde Österreich den italieni­schen Standpunkt unterstützen, dass dies Liste gekürzt werden müsse. Allerdings werde auch Folgendes zu beachten sein: Würde Österreich eine zu starre Haltung einnehmen, so könnte es sich den Vorwurf einhandeln, es täte zu wenig für die Terrorbekämpfung.

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ) erachtet die Vorbereitung der heutigen Sitzung des Ständigen Unterausschusses, etwa im Hinblick auf die Termingestaltung und die vorgeleg­ten Unterlagen, angesichts der Bedeutung der bevorstehenden Entscheidungen für nicht aus­reichend.

Die Diskussion müsse jetzt vor allem in die Zukunft gerichtet sein, weil auf längere Sicht das Ziel in einer Harmonisierung der strafrechtlichen Gegebenheiten, damit auch der Strafver­fol­gung, bestehen werde. In dieser Diskussion werde es insbesondere darum gehen, Alternativen auf­zu­zeigen, sowohl im Inland als auch im Ausland. In Vorbereitung der Maßnahmen zur Ter­ror­be­kämpfung werde festzustellen sein, welche Situation sich schon derzeit etwa im Hin­blick auf Auslieferungsbegehren darstelle.

Bei den auf das Inland bezogenen Maßnahmen spiele auch die Frage der Glaubwürdigkeit eine Rolle. In dieser Hinsicht sei es keine gute Vorgangsweise der Bundesregierung gewesen, die Ras­terfahndung im Zusammenhang mit Finanzdelikten abzulehnen.

Abgeordneter Dr. Jarolim fragt, ob eine Änderung der im siebenten Abschnitt des Strafgesetz-bu­­ches enthaltenen Regelungen, die auch die Verfolgung von Handlungen im Ausland regeln, vor­stell­bar sei, um sicherzustellen, dass nicht Österreicher, die nach inländischem Recht kein Delikt begangen haben, aus der Regelung herausfallen.

Er rät in Bezug auf die Positivliste zu einer distanzierten Haltung gegenüber Italien, weil dessen Ein­wendungen gegen die Aufnahme mancher Wirtschaftsdelikte in die Liste auch persönlich mit dortigen Regierungsmitgliedern zu tun hätten.

Österreich solle zwar nicht als Bremser von Maßnahmen auftreten, wohl aber klarstellen, dass da­für ein Rahmen erforderlich sei, wie es ihn derzeit noch nicht gebe. Es solle nicht aus einer plötzli­chen Aktivität heraus zu nicht vollständig durchdachten Schritten kommen. Die Positivliste sei zu begrüßen, es müsse jedoch sichergestellt werden, dass unter den Delikten überall das­selbe verstanden wird. Wenn die Positivliste die Zustimmung aller Mitgliedstaaten finde, stehe zu erwarten, dass darin nur Delikt enthalten sein werden, die in allen Staaten verfolgt werden.

Abgeordneter Ing. Gerhard Fallent (Freiheitliche) appelliert an alle Fraktionen, Bundes­minis­ter Dr. Böhmdorfer in dieser heiklen Materie bestmöglich zu unterstützen. Es werde darum ge­hen, zwei Punkte in den Vordergrund zustellen, erstens den maximalen Schutz der österrei­chi­schen Bevölkerung vor ungerechter Verfolgung, zweitens eine sinnvolle Gestaltung der Po­sitiv­liste.

Internationaler Terrorismus und organisierte Kriminalität seien auch in internationaler Zusam­men­arbeit zu bekämpfen. Österreich werde bestrebt sein müssen, andere Mitgliedstaaten als Verbündete für seine Anliegen zu gewinnen.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) stellt fest, es sei hier in der Diskussion zu einer Ver­mengung der beiden unter dem Tagesordnungspunkt 3 genannten Materien – Europäischer Haft­­befehl und Terrorismusbekämpfung – gekommen, und es werde nicht entsprechend diffe­ren­ziert. Ferner liege zu diesem Punkt auch der Entwurf für einen Beschluss des Rates über die Einrichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren organisierten Krimi­nalität vor.

Abgeordneter Mag. Maier fragt, welche Haltung Bundesminister Dr. Böhmdorfer zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung einnehmen werde, insbe­son­dere zu den in Art. 3 und folgende angeführten terroristischen Straftaten, und welche Straf­ta­ten auf der Positivliste, auf die sich der Europäische Haftbefehl beziehen werde, über die terroris­ti­schen Straftaten hinaus zusätzlich aufscheinen sollen.

Eine rückwirkende Anwendung derartiger Regelungen solle generell ausgeschlossen werden. Es werde auch erforderlich sein, die Rechtsprechung zu analysieren, die Tatbilder, Sanktionen und Verjährungsbestimmungen zu überprüfen. Ein einheitliches europäisches Strafrechts­kon­zept sei zwar in mehreren Erklärungen bereits angekündigt worden, aber diese Entwicklung ste­he erst am Anfang. Angesichts der damit verbundenen sensiblen Fragen habe die SPÖ kein Ver­ständ­nis für die Eile, mit der insbesondere über den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mit­glied­staaten entschieden werden solle.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer erläutert, Eurojust sei keine Behörde, son­dern eine Melde- und Informationsstelle ähnlich wie EUROPOL, aber im justitiellen Bereich. Österreich habe im Probelauf seit März 2001 zehnmal auf Eurojust zugegriffen, insgesamt seien 129 Fälle betreut worden. Da die Erfahrungen positiv seien, werde dem auch zugestimmt wer­den.

In der Terrorismusdebatte werde es auch um die Definition von Terrorismusdelikten gehen. Un­ter terroristischen Vereinigungen verstehe man Vereinigungen von mindestens zwei Perso­nen, die sich organisieren, auf die Zukunft hin angelegt sind und darauf abzielen, die rechtli­chen, wirt­schaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Strukturen eines Staates zu zerschlagen. Eine neue Definition von Terrorismusdelikten in unbestimmter Form lasse befürchten, dass die ein­zel­nen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Maßnahmen unterschiedlich vorgehen wer­den. Österreich trete dafür ein, die gemeinsamen Tatbestände neu zu formulieren. Dem stehe aber das System des halbjährigen Vorsitzwechsels entgegen, weil ein entsprechender Erfolg innerhalb dieser Periode nicht erreichbar wäre.

Im Zusammenhang mit der Terrorismusdefinition bestehe Einigkeit darüber, dass damit nicht in das Streikrecht oder in das Demonstrations- und Versammlungsrecht eingegriffen wird. Es wer­de in der Präambel festgehalten, dass kein entsprechendes Risiko für Demonstranten besteht. Aus österreichischer Sicht bestünden in der Terrorismusdebatte keine grundsätzlichen Beden­ken mehr.

Was den Europäischen Haftbefehl betreffe, werde von den anderen Mitgliedstaaten überwie­gend auch die Auslieferung eigener Staatsbürger befürwortet. Österreich vertrete in diesem Punkt die eindeutigste Position, unterstützt durch § 12 – Verfassungsbestimmung – des Auslie­fe­rungs- und Rechtshilfegesetzes. Eine Rückwirkung werde sich angesichts der Interessenlage vieler Mitgliedstaaten nicht ganz vermeiden lassen. Die Verhinderung der Auslieferung österrei­chischer Staatsbürger insbesondere für den Fall, dass sie kein Delikt begangen haben, entspre­che ebenfalls der österreichischen Position.

Eine Reduktion der in der Positivliste festgelegten Tatbestände werde nicht aus unlauteren, son­dern aus generellen Motiven angestrebt. Am störendsten an dem jetzigen Entwurf seien der Betrugstatbestand, die Kraftfahrzeugkriminalität, die Fälschung von amtlichen Dokumenten und der Handel damit, die Nachahmung von Produkten und Produktpiraterie – dabei handle es sich in Österreich zum Teil nur um Privatanklagedelikte –, der illegale Handel mit Kulturgütern ein­schließlich Anti­qui­tä­ten und Kunstgegenständen und der Tatbestand der Sabotage. In Bezug auf die Cyber-Kri­minalität sei in der Vorwoche eine Konvention mit einer entsprechenden Defini­tion von fast 30 Staaten unterzeichnet worden. Da aber die Mitgliedstaaten in weitaus überwie­gender Zahl nichts an dem Vorschlag für die Positivliste auszusetzen hätten, werde eine Reduk­tion der Liste sehr schwierig werden.

In einer Güterabwägung zwischen dem gemeinsamen Wunsch nach Terrorbekämpfung einer­seits und einzelnen Problemen im Fall von Maßnahmen andererseits müsse dem Aspekt der Terror­bekämpfung ein großer Stellenwert eingeräumt werden.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) verweist im Zusammenhang mit den vom Euro­päischen Parlament angenommenen Änderungen auf Art. 24 Abs. 2a, worin auf die Frage der Ent­­­schädigung zumindest Bezug genommen werde. In dieser Frage bestehe europaweit keine ein­heitliche Position.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer antwortet, er werde diesem Punkt noch be­sondere Aufmerksamkeit widmen.

Die Frage der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits (Grüne) danach, ob im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich auch derzeit noch zwölf Monate vorgesehen seien, beantwortet Bun­desminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer mit der Auskunft, es müsse das Delikt, um dessentwillen Auslieferung begehrt werde, im Heimatstaat mit einem Strafausmaß von min­destens zwölf Monaten und einer Verurteilung im Ausmaß von vier Monaten bedroht sein.

Obmann Dr. Werner Fasslabend dankt den Anwesenden und schließt die Sitzung.

Schluss der Sitzung: 13.32 Uhr

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