III-65 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Anonyme Geburt und ‚Babynest‘“
Rechtliche und faktische Fragen im Zusammenhang mit
der Einführung von anonymer Geburt und „Babynest“

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete

Freitag, 22. September 2000

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 

 

 

 

 


Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier


Parlamentarische Enquete

Freitag, 22. September 2000

(XXI. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Anonyme Geburt und ‚Babynest‘“
Rechtliche und faktische Fragen im Zusammenhang mit
der Einführung von anonymer Geburt und „Babynest“


Dauer der Enquete

Freitag, 22. September 2000: 10.14 – 15.36 Uhr

*****

Tagesordnung

8 Referate zu folgenden Themen:

a) Dr. Jürgen Moysich, Hamburger Projekt „Sternipark“: „Erfahrungen mit dem Projekt“

b) Regierungsdirektorin Perdita Kröger, Bundesministerium der Justiz, Berlin: „Straf- und zivilrechtliche Überlegungen zum Projekt ,Sternipark‘“

c) Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien: „Strafrechtliche Fragen der anonymen Geburt und des ,Baby­nests‘“

d) Ingrid Jenacek, Magistrat der Stadt Wien, MA 11 – Amt für Jugend und Familie: „Junge Mütter in Notsituationen“

e) Dr. Herbert Wiedermann, Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Amt für Jugend: „Fragen des Gesundheits- und Sozialwesens in Bezug auf das Projekt ,Sternipark‘“

f) Richterin Mag. Petra Smutny, Bundesministerium für Justiz: „Strafrechtliche Fragen der anonymen Geburt und des ,Babynests‘“

g) LStA Dr. Michael Stormann, Bundesministerium für Justiz: „Zivilrechtliche Fragen der anonymen Geburt und des ,Babynests‘“

h) Universitätsprofessor Primar Dr. Werner Grünberger, Kranken­an­stalt Rudolf­stiftung, First Love Ambulanz: „Praktische Erfahrungen“

*****

Referate

Dr. Jürgen Moysich .................................................................................... 5

Regierungsdirektorin Perdita Kröger .......................................................... 8

Univ.-Prof. Dr. Frank Höpfel ...................................................................... 11

Ingrid Jenacek .......................................................................................... 14

Dr. Herbert Wiedermann ........................................................................... 16

Richterin Mag. Petra Smutny .................................................................... 19

LStA Dr. Michael Stormann ...................................................................... 22

Univ.-Prof. Primar Dr. Werner Grünberger ................................................. 25

Diskussion

Abg. Theresia Zierler ................................................................................ 28

Abg. Edeltraud Gatterer ............................................................................ 28

Abg. Dr. Kurt Grünewald ....................................................................  29, 54

Abg. Mag. Barbara Prammer ..............................................................  30, 55

Abg. Ilse Burket ..............................................................................  4, 31, 47

Abg. Ridi Steibl ........................................................................................ 32

Abg. Dr. Elisabeth Pitterman ..............................................................  33, 59

Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger .....................................................  35, 53

Univ.-Prof. Dr. Marianne Springer-Kremser .........................................  36, 60

LR Dr. Silvia Stöger .................................................................................. 38

RA Dr. Brigitte Birnbaum .......................................................................... 39

Univ.-Prof. Primar Dr. Werner Grünberger ................................................. 39

LStA Dr. Michael Stormann ...................................................................... 41

Maria Gössler ........................................................................................... 43

Dr. Herbert Wiedermann ........................................................................... 44

Bundesrätin Hedda Kainz .......................................................................... 45

Abg. Dr. Sylvia Papházy MBA .................................................................. 46

Abg. Mag. Dr. Maria Theresia Fekter ........................................................ 47

GR u. LAbg. Alessandra Kunz .................................................................. 48

Bundesrätin Anna Höllerer ........................................................................ 50

Abg. Mag. Gisela Wurm ........................................................................... 50

LAbg. Helga Moser ................................................................................... 52

Mag. Eva Maria Fluch ............................................................................... 53

Dr. Jürgen Moysich .................................................................................. 55

Dr. Ewald Filler ......................................................................................... 57

Monika Pinterits ....................................................................................... 58

Schlussworte

Dr. Jürgen Moysich .................................................................................. 61

LStA Dr. Michael Stormann ...................................................................... 62

Univ.-Prof. Primar Dr. Werner Grünberger ................................................. 64

Regierungsdirektorin Perdita Kröger ......................................................... 66

Univ.-Prof. Dr. Frank Höpfel ...................................................................... 66

Ingrid Jenacek .......................................................................................... 67

Dr. Herbert Wiedermann ........................................................................... 68

Richterin Mag. Petra Smutny .................................................................... 69

Geschäftsbehandlung

Antrag im Sinne des § 98a Abs. 5 GOG, das Stenographische Protokoll dieser Enquete dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen – Annahme ............................................  4, 4

 

Beginn der Enquete: 10.14 Uhr

Vorsitzende: Abgeordnete Theresia Zierler, Abgeordnete Mag. Gisela Wurm, Abgeordnete Edeltraud Gatterer.

*****


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Ich eröffne die Sitzung der parlamentarischen Enquete „Anonyme Geburt und ,Babynest‘“ und darf alle Anwesenden sehr herzlich begrüßen.

Lassen Sie mich bitte am Anfang einige persönliche Bemerkungen machen. Die heutige Enquete behandelt einerseits das Thema „Anonyme Geburt“, andererseits das Thema „Baby­nest“. Durch die gerade in letzter Zeit steigende Zahl weggelegter Babys gewinnt dieses Thema in Österreich wieder an Aktualität, vor allem dann, wenn man sich vor Augen hält, dass jedes zweite weggelegte Baby nicht überlebt.

In Hamburg wurde im April dieses Jahres die so genannte Babyklappe eingerichtet, wo Frauen anonym und straffrei ihre ungewollten Neugeborenen abgeben können. Dabei werden Babys durch eine Klappe, die rund um die Uhr geöffnet ist, geschoben, hinter der sich ein Gitterbett befindet, dessen Sensoren jede Bewegung sofort melden. Nach acht Wochen werden diese Kinder dann zur Adoption freigegeben, sofern sich die Mutter in dieser Zeit nicht meldet und das Kind zurückhaben will.

Mit dieser Einrichtung will man einerseits verzweifelten Frauen, die auf jeden Fall anonym blei­ben, eine Hilfestellung geben und andererseits die sehr hohe Sterberate ausgesetzter Säug­linge senken.

Die in Österreich von Jahr zu Jahr steigende Anzahl weggelegter Säuglinge erfordert dringend Konsequenzen. Es hat ja schon einige Aktionen gegeben. Die Bundesländer Steiermark, Wien und Oberösterreich haben bereits Aktivitäten zur Eröffnung von „Babynestern“ gesetzt, dies jedoch, ohne dass die gesetzliche Lage geändert wurde. In Österreich macht sich derzeit eine Mutter, die ihr Kind weglegt, auf jeden Fall strafbar, auch dann, wenn sie ihr Kind in ein sicheres „Babynest“ bringt.

In der heutigen Enquete sollen die Vertreter von „Sternipark“ von den praktischen Erfahrungen berichten. Praktiker sollen akute und aktuelle Probleme in Österreich aufzeigen. Vor allem aber soll die Enquete eine Klärung der Frage bringen, welche gesetzlichen Änderungen die Einrich­tung von „Babynestern“ vor allem im Hinblick auf das Strafrecht, auf eine Modernisierung des Adoptionsrechts und vor allem im Hinblick auf den Schutz der Mutter erfordert.

Bevor wir nun in die Diskussion über dieses Thema eingehen, möchte ich kurz auf den geplan­ten Ablauf der Veranstaltung hinweisen. Alle vier parlamentarischen Fraktionen sind einhellig übereingekommen, am Beginn dieser Veranstaltung, quasi als Einleitung, zwei je 10 Minuten dauernde Filmbeiträge, die der ORF am 24. Juli 2000 in der Sendung „Thema“ gebracht hat, zur Aufführung zu bringen. Es handelt sich dabei um einen Beitrag über Kindesweglegung und einen weiteren über die Problematik „Leben eines adoptierten Findelkindes mit zwei Müttern“. Nach dieser Filmvorführung werde ich die Referenten, und zwar in der Reihenfolge der Tages­ordnung – Dr. Jürgen Moysich, Perdita Kröger, Univ.-Prof. Dr. Franz Höpfel, Ingrid Jenacek, Dr. Herbert Wiedermann, Richterin Mag. Petra Smutny, LStA Dr. Michael Stormann und Univ.-Prof. Dr. Werner Grünberger – einladen, ein kurzes Referat von maximal 15 Minuten zu halten.

Im Anschluss daran bitte ich die Teilnehmer, Grundsatzfragen sowie konkrete Fragen an die Referenten zu richten, und sodann werden wir in die Diskussion eingehen.

Die einzelnen Wortmeldungen sollen nicht mehr als 5 Minuten betragen, und es ist beabsichtigt, die Beratungen um spätestens 16 Uhr zu beenden.

Gibt es dazu eine Wortmeldung? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher so vorgehen. – Bitte um Verzeihung: Frau Abgeordnete Burket, bitte.

10.18


Abgeordnete Ilse Burket¦ (Freiheitliche): Laut Geschäftsordnung des Nationalrates wird von den Beratungen im Rahmen dieser Enquete ein Stenographisches Protokoll erstellt.

Ich stelle den Antrag, dieses Stenographische Protokoll gemäß § 98a Absatz 5 der Geschäfts­ordnung des Nationalrates als Verhandlungsgegenstand dem Nationalrat vorzulegen.

10.18


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Es liegt ein Antrag der Abgeordneten Ilse Burket vor, das Stenographische Protokoll dieser Enquete gemäß § 98a Absatz 5 der Geschäftsord­nung des Nationalrates dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen. Darüber ist abzustimmen.

Ich darf jene Abgeordneten, die für diesen Antrag eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung bitten. – Das ist einstimmig. Dieser Antrag ist angenommen.

Ich bitte nun, mit der Filmvorführung zu beginnen.

(Im ersten Filmbeitrag werden Fälle von weggelegten Babys aufgezeigt, und es wird auf die Not­lage mancher Mütter hingewiesen, die oft keinen anderen Ausweg sehen, als ihr Baby wegzu­legen oder, wie es leider auch immer wieder vorkommt, das Baby gar zu töten.

In Hamburg suchte man auf Grund der steigenden Zahl solcher Fälle einen Ausweg und errich­tete dort im April die erste „Babyklappe“. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland sind in Österreich die entsprechenden rechtlichen Grundlagen noch nicht geklärt. Das Weglegen von Babys ist hier strafbar. Unter dem Motto „Helfen statt strafen“ sprechen sich Ärzte, aber auch Politiker für eine entsprechende Lösung aus, obwohl, wie in diesem Beitrag auch gesagt wird, die anonyme „Babyklappe“ sicherlich nicht das Beste für das Kind ist – besser aber als die ein­gangs gezeigten verzweifelten Versuche, ungewollte Babys irgendwo wegzulegen.

Im zweiten Filmbeitrag wird die Situation eines nunmehr 10-jährigen Jungen gezeigt, der in einem Wiener Krankenhaus, in dem ihn seine Mutter – eine Ausländerin, die sich auf der Durch­reise befand – gebar, als Findelkind zurückgelassen wurde. Der Junge lebt heute bei seinen Adoptiveltern, wo er sich wohl fühlt und bleiben möchte, hat aber auch Kontakt mit seiner leiblichen Mutter.

Es wird darauf hingewiesen, dass diese Situation jedoch eher die Ausnahme ist und eine Adoption lange Zeit in Anspruch nehmen kann.)


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Bevor ich dem ersten Referenten das Wort erteile, möchte ich einen technischen Hinweis geben: Entsprechend der Geschäftsordnung des Nationalrates wird über die heutige Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst. Ich bitte daher die Referenten und auch alle anderen Teilnehmer, ihre Ausführungen via Mikrofon zu machen. Weiters ersuche ich, die Wortmeldungen bei den Bediensteten der Parlamentsdirek­tion abzugeben.

Zur Erinnerung noch einmal die Bitte, dass die Referate 15 Minuten nicht übersteigen sollen, sie sollten, wenn möglich, eher kürzer sein.

Referate


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Ich erteile nunmehr Herrn Dr. Jürgen Moysich, Geschäftsführer des Hamburger Projekts „Sternipark“, das Wort. – Bitte.

„Erfahrungen mit dem Projekt ,Sternipark‘“

10.43


Referent Dr. Jürgen Moysich¦ (Hamburger Projekt „Sternipark“): Guten Tag! Ich bedanke mich für die Gelegenheit, Ihnen hier die Erfahrungen des Projektes vorstellen zu können.

Der „Verein Sternipark“ ist ein privater Verein. Wir betreiben Kindertagesstätten in Hamburg. Wir bieten Hilfen zur Erziehung für junge Menschen, die mit ihren Eltern nicht mehr zusammen­leben können. Wir haben einen Schwerpunkt bei der Betreuung von jungen Mädchen gesetzt. Wir haben Mutter-Kind-Einrichtungen für junge Frauen, die schwanger sind.

Im Zusammenhang mit diesen Mutter-Kind-Einrichtungen haben wir aber auch gesehen, dass wir nicht alle Frauen, die in der Schwangerschaft in einer Notsituation sind, erreichen können. Das war dann der Ausgangspunkt für ein umfangreicheres Projekt, das wir „Findelbaby“ nennen. Die „Babyklappe“ ist nur ein Bestandteil, daneben gibt es einen rund um die Uhr be­setzten Notruf mit einer einprägsamen Nummer, der kostenfrei ist. Es gibt für junge Frauen auch die Möglichkeit, anonym, also ohne den Namen zu nennen, in eine unserer Mutter-Kind-Einrichtungen zu kommen, auch schon vor der Geburt, um eben zu sehen, ob das Leben mit dem Kind möglich ist, aber auch zu gehen, ohne die Identität zu hinterlassen.

Die öffentliche Diskussion hat sich natürlich an der „Babyklappe“ entzündet – Sie haben den Film gesehen –, das ist eine 30 mal 70 Zentimeter große Stahlklappe, dahinter steht ein Wärmebett. Die Klappe lässt sich nur einmal öffnen. Mütter, die sie in Anspruch nehmen, finden dort ein kurzes Informationsblatt – es sieht so aus (der Referent zeigt ein Informationsblatt) – und ein Stempelkissen, damit sie einen Fuß- oder einen Handabdruck von ihrem Kind mitneh­men können.

Es gibt Situationen, in denen jeder Mensch auf Hilfe angewiesen ist. Beim Projekt „Findelbaby“ haben sie Hilfe gefunden. Wir nehmen die Babys in Pflege, und wenn die Mütter sich erholt haben, können sie jederzeit mit uns und mit dem jeweiligen Baby Kontakt aufnehmen.

Wenn die Klappe dann geschlossen ist, erscheint das Bild auf einem Monitor eines Wach­dienstes, und innerhalb weniger Minuten sind dann zwei Mitarbeiterinnen des Projektes da, um das Kind an sich zu nehmen. Danach geht es in das Kinderkrankenhaus, und wenn nichts Besonderes vorgefallen ist, kommt das Baby nach einem Tag in eine ehrenamtliche Pflege­familie, wo es acht Wochen bleibt. Wenn sich die Mutter innerhalb dieser Zeit nicht meldet – in den bisherigen Fällen war es so, dass sich die Mütter nicht gemeldet haben –, kommt das Kind in Adoptionspflege.

Die erste Klappe haben wir Anfang April 2000 in der Goethestraße in Hamburg-Altona eröffnet – die erste Inanspruchnahme war 14 Tage später. Die zweite Klappe haben wir im August in Wil­helmsburg, das ist südlich der Elbe, in Hamburg eröffnet. In beiden Stadtteilen haben in den Vorjahren auch tatsächlich Kindesaussetzungen stattgefunden.

Wir haben das Projekt von Anfang an mit den Behörden in Hamburg abgestimmt. Dabei waren sich alle dahin gehend einig – also sowohl wir als privater Träger als auch die Behörden –, dass das ein privates Angebot sein muss, weil die Hemmschwellen für junge Frauen, sich gerade in dieser Konfliktsituation an den Staat zu wenden, besonders hoch sind.

Wir haben die juristische Problematik erörtert und sind uns einig geworden: Eine Kindesaus­setzung findet nicht statt, weil das Kind nicht in einem hilflosen Zustand zurückgelassen wird. Insofern können wir der Mutter auch immer sagen: Du machst dich nicht strafbar! Es ist auch nach keiner Mutter gesucht worden, nachdem sie das Kind abgegeben hatte.

Wir wissen aus der Vergangenheit – zumindest von Hamburg –, dass jede Suche nach Müttern von Findelkindern ergebnislos geblieben ist. Wir gehen sogar davon aus, dass die Chance, dass sich die Mutter wieder meldet, wenn sie zur Ruhe gekommen ist, bei diesem Projekt größer ist, als wenn nach der Abgabe eines Kindes irgendwelche polizeilichen Ermittlungen angestellt werden.

Bei der Bezeichnung „Babyklappe“ war uns zunächst nicht ganz wohl. Wir haben dann aber gesagt: Es handelt sich um eine extreme Lösung für eine extreme Situation, und das sollte man nicht verniedlichen, indem man einen harmloseren Begriff wählt. Deswegen sind wir dabei ge­blieben.

Es ist gesagt worden, dass in Österreich die Zahl der Kindesaussetzungen steigt. Für Deutsch­land ist festzustellen: In den fünfziger Jahren war dieser Anteil wesentlich höher, sind also wesentlich mehr Babys ausgesetzt worden. Es hat sich irgendwann auf etwa 40 Fälle im Jahr eingependelt, wobei 20 Kinder sterben. Es gibt natürlich eine erhebliche Dunkelziffer. Aber ich würde sagen, dass für Deutschland kein energisches Ansteigen dieses Problems festzustellen ist.

Umgekehrt ist es so, dass sich ja das gesellschaftliche Klima gewandelt hat, was Kinderfreund­lichkeit angeht. Ich glaube, dass das Entsetzen darüber, dass man einer Kleingruppe nicht helfen kann, und zwar mit fatalen Folgen für Kinder, im öffentlichen Bewusstsein größer gewor­den ist und auch das Interesse an diesem Hilfsangebot begründet.

Eine kleine Zwischenbilanz nach einem dreiviertel Jahr:

In Hamburg sind 1999 vier Babys ausgesetzt worden, zwei dieser Kinder sind gestorben. Seit Eröffnung unseres Projektes hat es in Hamburg keine Aussetzung mehr gegeben, kein Säug­ling ist tot aufgefunden worden. Gleichzeitig ist unser Projekt in fünf Fällen in Anspruch genom­men worden – in der Bundesrepublik haben wir bisher erst zwei öffentlich eingeräumt, aber Ihnen kann ich sagen, es sind fünf Fälle insgesamt. Wir gehen allerdings davon aus, dass es uns damit nicht gelingen wird, jede Aussetzung zu verhindern. Wir sind eigentlich sehr froh dar­über, dass in den letzten neun Monaten tatsächlich alle Kinder, wo eine Konfliktsituation gege­ben war, bei uns gelandet sind.

Der Umfang der Inanspruchnahme widerlegt eigentlich die Befürchtung, dass Hemmschwellen heruntergesetzt werden. Die Zahl jener Kinder, die bei uns abgegeben wurden, ist nicht wesentlich höher als die Zahl jener, die letztes Jahr ausgesetzt wurden. Wir gehen auch davon aus, dass einige der Kinder, die bei uns gelandet sind, nicht aus Hamburg kommen. Es ist also nicht so, dass man sagen kann, es gäbe einen Babyboom in der „Babyklappe“. Sie wird in An­spruch genommen, aber mehr auch nicht.

Die Säuglinge wurden sowohl über diese Klappe als auch über telefonische Verabredung abge­geben. Der telefonische Notdienst wird ohnehin sehr rege in Anspruch genommen, meistens sind es Beratungsgespräche sehr junger Frauen, die Probleme mit ihrer Schwangerschaft haben. In Einzelfällen gibt es aber eben auch Frauen, die sich verabreden wollen, um ein Kind zu übergeben – das sind dann sehr kurze Gespräche, in denen es auf sehr präzise Absprachen ankommt, in denen es gerade darauf ankommt, die Frauen am Telefon nicht noch zu beschwat­zen, nicht zu sagen: Überleg es dir noch einmal!, sondern sie zunächst zu treffen und dann die Übergabe durchzuführen, um das Kind in Sicherheit zu bringen. Die Frau kann dann noch immer überlegen, ob sie sich wieder melden will.

Die abgegebenen Säuglinge waren zwischen zwei Stunden und zehn Tagen alt. Die Konflikt­situation entsteht also unmittelbar nach der Geburt und in den Tagen danach. Der gesundheit­liche Zustand war mit einer Ausnahme gut. Das Problem, das allgemein beschrieben wird, ist, dass Säuglinge, wenn sie irgendwo zurückgelassen werden, schnell auskühlen. Wenn sie in ein Wärmebett gelegt werden, das mit 37 Grad temperiert ist, passiert genau das nicht.

Die medizinische Versorgung der Säuglinge ist wichtig; noch wichtiger ist jedoch, dass unsere Mitarbeiterinnen die Kinder zunächst einmal an sich nehmen, sie statt der Mutter im wahrsten Sinne des Wortes willkommen heißen und das Kind ein Gefühl der Geborgenheit findet. Es ist kein technischer Vorgang: Kind aus dem Wärmebett heraus nehmen und dann ab ins Kranken­haus, sondern es geht wirklich um Zuwendung, die dieses Kind braucht, gerade, wenn es erst ein paar Stunden alt ist.

Voraussetzung für das Funktionieren des Hilfsangebots war ein hoher Bekanntheitsgrad. Offen­kundig haben also sehr viele Frauen in Hamburg über die Medien erfahren, wo dieses Angebot besteht. Es waren nicht viele, die es in Anspruch genommen haben, aber es hat über die Medien genug Verbreitung gefunden, sodass es diejenigen, die es angeht, auch erreicht hat.

Die Medien haben dabei auf jeden Sensationsjournalismus verzichtet – wir hatten da viel größere Befürchtungen –, sie haben das sehr ernsthaft behandelt. Sie sind zum Beispiel auch nicht hinter sensationellen Fotoaufnahmen der Findelbabys her gewesen.

Ich muss dazu auch sagen, dass wir etwa acht bis zehn Wochen verstreichen lassen, ehe wir überhaupt die Öffentlichkeit informieren; dann auch mit Bild- und Fotomaterial. Für uns ist das im Wesentlichen ein Signal an die Mutter, zu sagen: Deinem Kind geht es gut!, auch in der Hoff­nung, dass sie sich einmal meldet – nicht unbedingt, um das Kind zurückzunehmen, aber um vielleicht eine Nachricht zu hinterlassen, die später an das Kind weitergegeben werden kann.

Ich habe gelesen, dass bei Ihnen in der Debatte gesagt wurde: Eine „Babyklappe“ ist ein Ding, wo man alles Mögliche hineinlegt! – Diese Erfahrung haben wir nicht gemacht. Bei uns gab es keinen Missbrauch mit Ausnahme eines Einbrechers, der auf diesem Weg in unsere Kinder­tagesstätte wollte, der natürlich aber gefasst wurde, weil er sofort gefilmt worden war.

Die Einrichtung der „Babyklappe“ besitzt in Deutschland hohe Zustimmung: 73 Prozent. Die Zu­stimmung ist bei den Frauen größer als bei den Männern.

Wir denken auch, dass ein Bewusstseinswandel oder ein Wandel in der öffentlichen Diskussion stattgefunden hat, sodass jetzt an erster Stelle wirklich das Verständnis für die Problematik der Mütter steht, die in solch einer Situation sind. Uns ist es einfach enorm wichtig, dass durch diese Diskussion jede Frau in der Schwangerschaft doch irgendjemanden findet, an den sie sich wenden kann, bevor sie dieses Angebot überhaupt in Anspruch nehmen muss oder will. Ich glaube, da haben wir vielleicht auch ein bisschen etwas erreicht.

Das, was wir auf jeden Fall erreicht haben, ist: In Deutschland hat es natürlich Aussetzungsfälle außerhalb Hamburgs gegeben, aber die Mütter haben überwiegend sichere Plätze ausgewählt: Kliniken, Ärztehäuser, wo die Babys abgelegt wurden.

Unsere „Babyklappe“ hat in Deutschland einige Nachahmer gefunden. In Lübeck gibt es eine, in Berlin ist erst vor einer Woche eine eröffnet worden. Geplant sind Einrichtungen in München, Frankfurt am Main, Köln. Geeignete Orte sind neben Kindertagesstätten zweifellos Kranken­häuser oder andere soziale Einrichtungen.

Noch ein letztes Wort: Drei der uns bisher übergebenen Kinder sind von ihrer Mutter offen­kundig ohne ärztliche Hilfe geboren worden. Wir vermuten, dass die Frauen völlig allein waren. Das stellt für Mutter und Kind ein erhebliches Risiko dar. Eines der Kinder hatte bei der Geburt eine Schädigung erhalten, die zwar auch bei Geburten im Krankenhaus vorkommen kann, dort aber durch rechtzeitige Behandlung praktisch folgenlos bleibt. Da die ärztliche Versorgung unterblieben war, wurde uns das Kind einige Tage nach der Geburt in einem Zustand übergeben, der eine Operation erforderlich machte. Inzwischen ist es wieder vollkommen gesund – das ist eine glückliche Fügung.

Dieser Fall hat uns aber sehr nahe vor Augen geführt, dass im Interesse von Kindern und Müttern die im Moment zum Beispiel in Frankreich schon gegebene Möglichkeit eröffnet werden sollte, in Krankenhäusern zu gebären, ohne dass die Mutter ihre Identität offenbaren muss. Diese anonyme Geburt findet heute bei uns in Deutschland bereits statt, bei Ihnen in Österreich offenkundig auch, allerdings dann eben unter falschem Namen mit einer falschen Krankenver­sicherungskarte. Die Frau macht sich, wenn sie das Krankenhaus verlässt, zwar nicht der Aussetzung strafbar, aber sie macht sich strafbar wegen Betruges, wird unter Umständen auch gesucht. Das heißt, zur Stresssituation der Geburt, der Belastung durch das Verlassen des Kindes – es ist wahrscheinlich keine so einfache Sache, aus dem Krankenhaus wegzugehen und sein Kind zurückzulassen – kommt die Furcht, polizeilich gesucht und bestraft zu werden.

Wir haben jetzt mit der „Babyklappe“ die Erfahrung gemacht, dass sie nur sehr wenige Mütter in Anspruch nehmen – und wir müssen davon ausgehen, dass diese in Notsituationen sind –, daher gehe ich davon aus, dass auch bei einer anonymen Geburt die Inanspruchnahme relativ gering sein wird und auf jene Fälle beschränkt sein wird, wo es wirklich notwendig ist. Insoweit, denke ich, braucht man keine Befürchtungen davor zu haben, dieses Instrument einzuführen.

Das, was ich hier vorgetragen habe, können Sie – wenn Sie wollen – im Internet unter „sternipark.de“ oder „babyklappe.de“ nachlesen; für den Fall, dass Sie auf Grund meines etwas norddeutschen Dialektes nicht alles verstanden haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall.)

10.55


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Ein herzliches Dankeschön, Herr Dr. Jürgen Moysich.

Ich bitte jetzt Frau Perdita Kröger um das nächste Referat.

„Straf- und zivilrechtliche Überlegungen zum Projekt ,Sternipark‘“

10.55


Referentin Regierungsdirektorin Perdita Kröger¦ (Bundesministerium der Justiz, Berlin): Vielen Dank. – Ich möchte kurz vorausschicken, dass dieses Referat auch in schriftlicher Form vorliegt. Wenn Sie Interesse haben, können Sie es auch in schriftlicher Form bekommen. Ich werde mich jetzt bemühen, es etwas zu kürzen.

Mein Thema sind die zivil- und strafrechtlichen Überlegungen im Zusammenhang mit dem Pro­jekt „Sternipark“ nach deutschem Recht. Ich beginne mit den zivilrechtlichen Überlegungen.

Personenstandsrechtlich ist ein Kind, das in einer „Babyklappe“ aufgefunden wird, nichts ande­res als ein Findelkind. Nach § 25 des Personenstandsgesetzes ist derjenige, der ein neugebo­renes Kind, ein Findelkind, findet, verpflichtet, es spätestens am nächsten Tag der Ortspolizei­behörde anzuzeigen, die die erforderlichen Ermittlungen anstellt und die zuständige Verwal­tungsbehörde benachrichtigt. Diese bestimmt dann nach Anhörung des Gesundheitsamts den vermutlichen Ort und Tag der Geburt und gibt dem Kind einen Familiennamen und einen Vor­namen.

Zivilrechtlich haben wir ein Kind, dessen Eltern nicht bekannt sind und das, da es nicht ge­schäftsfähig ist, eines Vormundes bedarf. Dieser wird durch das Vormundschaftsgericht bestellt. Falls keine geeignete Einzelperson vorhanden ist – was bei solch einem Kind ja nahe liegt, da keine Verwandten bekannt sind –, kann auch das Jugendamt als Vormund bestellt werden. Das wird wahrscheinlich regelmäßig der Fall sein, da für dieses Kind die Adoption die beste Lösung ist und man für diesen Übergangszeitraum nicht nach einer Einzelperson sucht.

Für eine Adoption ist normalerweise die Einwilligung des Kindes und der Eltern erforderlich. In diesem Fall wird für das Kind, da es ja noch nicht geschäftsfähig ist, der Vormund die Einwilli­gung erteilen. Und da der Aufenthalt der Eltern unbekannt ist, verzichtet das Gesetz in diesem Fall auf die Einwilligung der Eltern.

Wenn sich die leibliche Mutter meldet, bevor die Adoption des Kindes abgeschlossen ist, bevor es also tatsächlich die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erhalten hat, dann stehen ihr zunächst alle Elternrechte zu. Die Vormundschaft des Jugendamtes endet, und sie hat zunächst die Personensorge. Die Eintragungen im Geburtenbuch zum Personenstand sind entsprechend zu berichtigen.

Es ist also festzustellen: Wir haben nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch die erforderlichen Mög­lichkeiten, um mit der Situation, dass ein Kind in der „Babyklappe“ aufgefunden wird, umzu­gehen.

In strafrechtlicher Hinsicht ist Folgendes zu sagen: Es kommen einige Tatbestände in Betracht, was allerdings nicht in Betracht kommt, ist das, worauf man spontan als Erstes kommen würde, nämlich Kindesaussetzung. Das erfordert nach deutschem Strafrecht nämlich, dass das Kind in Gefahr, in Lebens- oder Gesundheitsgefahr, gerät, und das ist nach den Rahmenbedingungen auszuschließen.

Für die strafrechtlichen Überlegungen muss man zwischen der Strafbarkeit der Mutter und der möglichen Strafbarkeit desjenigen, der die Möglichkeiten bietet, dass das Kind anonym abge­geben wird, unterscheiden.

Für die Mutter kommen folgende Straftatbestände ernsthaft in Betracht:

§ 235 StGB – Entziehung Minderjähriger,

§ 169 StGB – Personenstandsfälschung und

§ 170 StGB – Verletzung der Unterhaltspflicht.

Es sind das also Sachen, an die man spontan eigentlich gar nicht denken würde.

Für die Personen, die die „Babyklappe“ einrichten, kann man ernsthaft nur prüfen, ob sie sich wegen Teilnahme, das heißt wegen Anstiftung oder Beihilfe zu Delikten der Straftaten der Mutter strafbar gemacht haben.

Ich möchte mit der Frage der Strafbarkeit der Mutter beginnen. In Frage kommt § 235 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch, Entziehung Minderjähriger. Danach macht sich unter anderem strafbar, wer ein Kind oder einen Jugendlichen durch Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht. Unter „Entziehung“ versteht man die Beeinträchtigung des wesentlichen Inhalts des Rechts auf Personensorge durch räumliche Trennung von gewisser Dauer.

Bei den Fallkonstellationen, um welche es jetzt geht, kommen eigentlich zwei, aber wohl eher theoretische Möglichkeiten in Frage, wie sich die Mutter strafbar macht. Die eine ist, wenn die Mutter verheiratet ist und dem Vater ebenfalls das Sorgerecht zusteht und sie mit List – was anderes kommt eigentlich nicht in Frage – das Sorgerecht des ehelichen Vaters vereitelt. Das ist theoretisch denkbar, aber ich denke, dass das bei diesen Fällen praktisch wohl kaum ge­geben sein dürfte. Theoretisch muss man aber daran denken.

Theoretisch ist es auch möglich, dass das Sorgerecht des Jugendamtes als Vormund verletzt wird. Das ist nur dann möglich – und auch das ist wohl eher theoretisch –, wenn das Kind schon einen Vormund erhalten hat. Aber in der kurzen Zeit nach der Geburt ist das eher wohl un­wahrscheinlich. Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass ein Kind schon vor der Geburt einen Vormund erhält, wenn man weiß, dass es nach der Geburt eines solchen Vormundes bedarf. Aber auch das sind eher theoretische Überlegungen. Praktisch wird es wohl nicht vorkommen, dass ein Kind, das schon das Jugendamt als Amtsvormund hat, dessen Existenz also bekannt ist, im Nachhinein in eine „Babyklappe“ gelegt wird. Man muss aber theoretisch daran denken.

Weiters kommt § 169 StGB, Personenstandsfälschung, in Betracht. Das kann auch in der Tat­bestandsalternative des Unterdrückens des Personenstandes geschehen, und darunter ver­steht man das Bewirken eines Zustandes, in dem das Bekanntwerden des wahren Personen­standes verhindert oder wesentlich erschwert wird. Dies ist natürlich bei einem Kind, das in eine „Babyklappe“ gelegt wird und dessen Mutter nachher verschwindet, praktisch gegeben.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist aber, dass das Unterdrücken des Bekanntwerdens des Personenstandes einer entweder zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststel­lung des Personenstands zuständigen Behörde gegenüber geschieht. Das wiederum geschieht nicht, wenn man ein Kind in die „Babyklappe“ legt.

Allerdings muss man daran denken, dass möglicherweise, und zwar gerade bei einer Geburt, bei welcher die Mutter allein gewesen ist, die Mutter verpflichtet ist, die Geburt beim Standes­amt anzuzeigen. Vorrangig verpflichtet ist immer der sorgeberechtigte Vater, die Hebamme, der Arzt und andere Personen, die bei der Geburt anwesend sind, aber wenn niemand anderer da ist, ist letztendlich die Mutter verpflichtet, die Geburt beim Standesamt anzuzeigen. Unterlässt Sie dies, macht sie sich deswegen – nicht wegen des Weglegens des Kindes in die „Baby­klappe“, son­dern wegen Unterlassens der Anzeige der Geburt beim Standesamt – nach § 169 StGB straf­bar.

Die Mutter kann sich auch wegen Unterhaltspflichtverletzung strafbar machen. Unterhaltspflich­tig ist sie dem Kind gegenüber, der Lebensbedarf des Kindes ist unter diesen Umständen auch gefährdet oder wäre ohne Hilfe anderer, insbesondere ohne öffentliche Hilfe gefährdet. Allerdings ist eine weitere Tatbestandsvoraussetzung, dass die Mutter überhaupt leistungsfähig ist. Auch in jenen Fällen, von welchen hier die Rede ist, kann man wahrscheinlich davon aus­gehen, dass die Mutter wohl auch nicht die Mittel hat, dem Kind Unterhalt zu leisten. Aber das ist letztlich alles eine Frage der Umstände von Einzelfällen. Es kann schon sein, dass sich eine Mutter, wenn diese ganz spezifischen Voraussetzungen gegeben sind, wegen einer dieser Straftatbestände strafbar macht.

Die wichtigere Frage ist allerdings sicherlich die Frage, inwieweit man sich eigentlich strafbar macht, wenn man eine „Babyklappe“ einrichtet, denn die Mutter, die ihr Kind weggibt, würde sicher unter anderen Umständen auch strafbar machen, sie würde sich wahrscheinlich noch in weit höherem Maße strafbar machen, und zwar wegen Aussetzung, wegen Körperverletzung, möglicherweise Körperverletzung mit Todesfolge, wegen Kindestötung; da gibt es ja mehrere Möglichkeiten.

Die Frage: Kann man sich strafbar machen, wenn man eine „Babyklappe“ einrichtet? ist im Ergebnis zu verneinen. Eigene täterschaftliche Delikte kommen überhaupt nicht in Betracht. Es käme nur eine Strafbarkeit wegen Teilnahme in Betracht. Das heißt, wegen Anstiftung oder Bei­hilfe nach § 26 oder § 27 des Strafgesetzbuches. Dafür ist zunächst einmal Voraussetzung, dass die Mutter sich strafbar macht, und das ist wiederum eine Frage des Einzelfalls. In diesem Fall muss derjenige, der sich wegen Teilnahme strafbar macht, einen Vorsatz hinsichtlich der rechtswidrigen Tat der Mutter haben, er muss also wissen, dass die Mutter eine Straftat begeht, und er muss dann der Mutter zu dieser Tat entweder vorsätzlich Hilfe geleistet haben oder sie vorsätzlich dazu bestimmt haben, den Tatentschluss in ihr hervorgerufen haben.

In diesem Zusammenhang außer Acht lassen kann man die Strafbarkeit der Mutter nach § 169 StGB, denn dieses Delikt begeht sie nicht dadurch, dass sie das Kind in die „Babyklappe“ legt, sondern möglicherweise dadurch, dass sie die Anzeige der Geburt des Kindes beim Stan­desamt unterlässt.

Für sehr unwahrscheinlich halte ich den Fall, für den die „Babyklappe“ gedacht ist. Das ist eigentlich nicht der Fall, wenn ein ehelicher sorgeberechtigter und sorgewilliger Vater da ist. Das ist eigentlich auch nicht der Fall, wenn die Mutter tatsächlich fähig ist beziehungsweise die Mittel hat, Unterhalt für das Kind zu leisten. Dass derjenige, der eine „Babyklappe“ einrichtet, mit dem unwahrscheinlichen Fall rechnen muss, dass ein Fall eintritt, bei dem man sagen kann, er habe einen Vorsatz in Bezug auf eine solche Haupttat der Mutter, ist sehr zweifelhaft. Dann müsste er entweder Beihilfe oder Anstiftung geleistet haben.

Wenn man davon ausgeht – und mein Vorredner hat das ja ganz deutlich gesagt, dass das für Extremfälle gedacht ist –, dass die Mütter ihre Kinder ansonsten töten oder sonst wie aussetzen, dann weiß man: Wenn diese „Babyklappe“ bestimmungsgemäß für solche Fälle genutzt wird, dann ist der Tatentschluss sicher nicht durch das Einrichten der „Babyklappe“ her­vorgerufen worden, sondern war ohnehin schon da, sodass auch der Tatbestand der Anstiftung fehlt.

Es gibt auch Bedenken bezüglich der „Babyklappe“, die in der Öffentlichkeit geäußert werden, nämlich dass man das Aussetzen eines Kindes dadurch erleichtert. Aber dass man diesen Ent­schluss überhaupt hervorruft, ist – dessen kann man sicher sein – niemals vom Willen des­jenigen umfasst worden, der die „Babyklappe“ eingerichtet hat.

Ich halte also Beihilfehandlung, den Tatbestand der Beihilfe zu den möglichen Straftaten der Mutter, für nicht gegeben, denn die „Babyklappe“ allein ermöglicht ja nicht die Weggabe des Kindes, sondern sie ermöglicht lediglich das Überleben des Kindes. Dass man Hilfe zur Weg­gabe des Kindes geleistet hat, kann man nicht sagen, weggegeben worden wäre das Kind wohl ohnehin.

Im Ergebnis kann ich also sagen: Zivilrechtlich ist das vom Instrumentarium her beherrschbar. Wir haben bisher nicht die Notwendigkeit gesehen, diesbezüglich auf zivilrechtlichem Gebiet Bestimmungen zu schaffen. Strafrechtlich kann sich die Mutter, wenn ganz bestimmte Um­stände gegeben sind, möglicherweise strafbar machen. Wer eine „Babyklappe“ einrichtet, macht sich meiner Meinung nach sicherlich nicht strafbar. – Danke schön. (Beifall.)

11.08


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Herzlichen Dank, Frau Kröger. – Ich bitte nun Herrn Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel sein Referat zu halten.

„Strafrechtliche Fragen der anonymen Geburt und des ,Babynests‘“

11.09


Referent Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel¦ (Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte, weil ich es für hilfreich halte, zunächst einmal mit einem historischen Rückblick begin­nen. Das Phänomen der Kindesweglegung und der Findelkinder zieht sich ja durch Jahrhun­derte. Es war vor allem im späten 18. und im 19. Jahrhundert eine soziale Massenerscheinung. In diesem Zeitraum stieg die Rate der unehelichen Geburten europaweit stark an und waren un­verheiratete Frauen vielfach gezwungen, sich ihrer Kinder zu entledigen, weil es ihre Lebens­verhältnisse nicht erlaubten, sie bei sich zu halten und großzuziehen.

Auch begünstigten die gesellschaftlichen Wertanschauungen immer einen Schwangerschafts­abbruch, eine Kindestötung oder eben Kindesweglegung.

Eine Deliktsumschreibung für die so genannte Kindesweglegung gibt es schon in der Con­stitutio Criminalis Carolina aus dem Jahre 1532. Sie unterschied in der Strafe danach, ob das Kind die Weglegung überlebt hat – da war dann eine Strafe nach dem so genannten Rat der Verständigen zu bilden – oder ob es tot aufgefunden wurde, was eine Strafe an Leib und Leben zur Folge hatte.

Die Theresiana aus dem Jahre 1768 differenzierte weiter danach, ob die Mutter mit Tötungsvor­satz handelt oder das Kind weglegt, damit es gefunden wird. Die Todesstrafe ist angeordnet, wenn das Kind an einem einsamen, verlassenen Ort weggelegt wird, mit dem Vorsatz, das Kind solle sterben. Wurde das Kind in diesem Fall lebend gefunden, war willkürlich, jedoch wohl empfindlich abzustrafen.

Milder ist die Strafe nach der Theresiana, wenn die Mutter, um der Schande dieses außer- oder unehelichen Kindes zu entgehen, dasselbe an einem besuchten Ort so ablegt, dass es dort von Passanten oder – extra erwähnt – vom Kindesvater gefunden und angenommen wird. Stirbt das Kind, sei es auch nach der Auffindung, kommt es zu einer empfindlichen Geld- oder Leibes­strafe.

Als mildernde Umstände führt die Theresiana ausdrücklich eine allgemeine Hungersnot, kon­krete Armut, besondere Einfalt und allzu große Furcht an.

Präziser ist dann die Josephina aus dem Jahre 1787. Nach dieser wird ausdrücklich nur die „gefährliche Weglegung“ unter Strafe gestellt, das heißt, wenn das Kind der Gefahr des Todes ausgesetzt oder seine Rettung dem Zufall überlassen wird.

Auch hier richtet sich die Strafe nach der Größe der Gefahr für das Kind, jedoch auch danach, ob das Kind von einem Sorgfaltspflichtigen weggelegt wurde. Ist das der Fall oder wurde das Kind an einem entlegenen Ort oder so verhüllt weggelegt, dass es nicht gefunden werden kann, dann kommt es zu einer Strafe ersten Grades Gefängnis. Stirbt das Kind, dann kommt es zu einer Strafe zweiten Grades Gefängnis. Wird das Kind jedoch an einem solchen Ort weggelegt, wo eine Findung zu erwarten ist, dann kommt es zu einer Strafe gelinderes Gefängnis und öffentliche Arbeit.

Drei Jahre vor der Erlassung der Josephina war auch das Wiener Findelhaus gegründet wor­den – und zwar im Jahre 1784 –, das bis zum Jahre 1910 bestand. Mit diesem Findelhaus wollte Joseph II. die Zahl der Abtreibungen, Kindesmorde und Kindesweglegungen verringern oder diese verhindern. Es sollte ein „Zufluchtsort“ für ledige Mütter sein und Schutz vor „der Schand und Noth“ gewähren.

In französischen, italienischen und russischen Findelhäusern wurden die Kinder anonym in eine Drehlade, die an der Außenwand des Hauses angebracht war, gelegt. Anders war es im Findel­haus in Wien, wo die Mütter ihre Kinder im Gebärhaus zur Welt bringen mussten. Die Mit­arbeiter waren aber zur Geheimhaltung verpflichtet, um so die Anonymität der Mütter zu wahren. So hatten diese Mütter Schutz vor der sozialen Stigmatisierung, und auch strafrechtlich konnten sie nicht belangt werden, da es sich nicht um eine „gefährliche Weglegung“ handelte. Die Findung wird ja nicht dem Zufall überlassen, so wie es das Gesetz für die Bestrafung verlangte.

Als Gegenleistung für die Geheimhaltung mussten die Frauen eine Taxe bezahlen. Die Mehr­heit der Hilfesuchenden war dazu jedoch nicht in der Lage. Sie konnten gegen Vorweisen eines Armutszeugnisses in die Gratisklasse des Gebärhauses aufgenommen werden. Ihre Gegen­leistung für die Gratisaufnahme und Geheimhaltung war ein Ammendienst zum Stillen der Säuglinge.

Ich verweise zu den näheren Hintergründen auf die ausführlichen historischen Untersuchungen von Verena Pawlowsky und Rosa Zechner, die schon vor Jahren erschienen sind. Frau Pawlowsky ist auch hier. Sie hat das kürzlich im „Standard“ aus sozialhistorischer Sicht her zusammengefasst.

Das Strafgesetz 1803 übernimmt zum größten Teil die Regelung der Josephina. Auch da setzt das Verbrechen der Weglegung eines Kindes immer den Vorsatz voraus, das Kind entweder der Gefahr des Todes auszusetzen oder seine Rettung dem Zufall zu überlassen. Ein solches Dem-Zufall-Überlassen war ausgeschlossen, sobald feststand, dass der Finder sich des Kindes annahm.

Anders sieht jedoch die heutige Regelung im Strafgesetzbuch aus. Wir haben zunächst immer an die Aussetzung nach § 82 zu denken. Dieser Straftatbestand ist in den Bereich Delikte gegen Leib und Leben herübergenommen worden. Dieser § 82 knüpft damit an die frühere Strafbestimmung wegen Kindesweglegung an. Dieser Verbrechenstatbestand hat dieselbe rechtspolitische Zielsetzung. Verpönt ist aber darüber hinaus jetzt auch die Aussetzung bezie­hungsweise das Im-Stich-Lassen anderer hilfloser Personen. Das ist also nicht mehr auf Kinder beschränkt.

Die Strafdrohung des § 82 schützt das Rechtsgut Leben und verlangt einen Lebensgefähr­dungsvorsatz. Die frühere Bestimmung ist also zu einem bestimmten Grad umgestaltet worden.

Wer jedoch eine unmündige Person, der gegenüber ihm eine Fürsorgepflicht obliegt, ohne Lebensgefährdungsvorsatz aussetzt, verantwortet das Vergehen nach § 197, Verlassen eines Unmündigen, und ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Das liegt also über dem Plafond für die Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198, aber deutlich unter der Aussetzung nach § 82.

§ 197 StGB stellt eine Kindesweglegung ohne Gefährdungskomponente dar. Das Verlassen muss in der Absicht erfolgen, sich des Kindes zu entledigen, ohne dass es auf eine Gefährdung ankommt. Es genügt somit die im Tatbestand umschriebene Fürsorgepflichtverletzung, wobei die Trennung für einen erheblichen Zeitraum, nach jüngster Ansicht aber nicht für immer, beab­sichtigt sein muss.

Das Gesetz will mit dieser Bestimmung vor allem jene Fälle erfassen, in welchen ein Kleinkind an einem Ort weggelegt wird, wo es auch nach der Erwartung des Täters alsbald gefunden wird und sich jemand um das Kind kümmert. Da geht es um ein Delikt, das hauptsächlich an belebten Orten begangen wird, wie zum Beispiel vor oder in einem Warenhaus oder in einem Bahnhofswartesaal oder in einem Kinderheim oder in einem Krankenhaus.

Eine Strafbefreiung kommt nach der Absicht des Gesetzgebers ausdrücklich nicht in Betracht, wenn das Verlassen eines Unmündigen auf wirtschaftliche Not zurückzuführen ist, und auch dann nicht, wenn der Täter oder die Täterin den Wunsch hat, dem Kind eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Das heben die Erläuternden Bemerkungen immer ausdrücklich hervor. In beiden Fällen werde trotzdem die von der Rechtsordnung gewollte Schutzbeziehung zwischen dem Fürsorgepflichtigen und dem Unmündigen widerrechtlich beendet.

In prozessualer Hinsicht ist noch zu bemerken, dass nach der Mutter nur dann gesucht werden muss, wenn die Weglegung des Kindes zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gekommen ist. Eine Anzeigepflicht von Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen besteht da nicht.

Die deutsche Rechtslage unterscheidet sich von der österreichischen grundsätzlich. Zum einen kennt das deutsche Strafgesetzbuch die allgemeine Personenstandsfälschung, die relevant werden kann, während sich unser § 200 enger auf die Unterschiebung eines Kindes be­schränkt, zum anderen kennt man in Deutschland nicht ein mit unserem § 197 StGB vergleich­bares Delikt. Es wird also dort, wie wir gehört haben, nur die Aussetzung als Delikt gegen Leib und Leben unter Strafe gestellt.

Die Neufassung von 1998, die erst kürzlich zustande gekommen ist, hat das Delikt unserem österreichischen § 82 weitgehend angenähert, ebenso übrigens Artikel 123 des schweize­rischen Strafgesetzbuches.

Nun zur Frage: Sollen auch Mütter, die ihr Kind in eine sichere „Babyklappe“ legen oder es ano­nym zur Welt bringen, bestraft werden? Wie uns vor allem der Blick in die Rechtsgeschichte ge­zeigt hat, waren früher nur „gefährliche Weglegungen“ mit Strafe bedroht. Erst durch das StGB wurde diese Lücke, die man da empfand, geschlossen. Mir scheint aber kein Strafbedürfnis in jenem Fall zu bestehen, in welchem das Kind an eine Einrichtung übergeben wird, die ersicht­lich zur Entgegennahme des Kindes bereit ist, ja geradezu dazu geschaffen wurde, Frauen in dieser ihrer Konfliktsituation zu helfen.

Haben wir nun entsprechende Einrichtungen oder sind im Begriffe, sie aufzubauen, so ist der Zeitpunkt auch gekommen, eine ausdrückliche Strafbefreiung zu normieren, denn sonst würden wir uns nicht nur selbst widersprechen, sondern auch die Gefahr unvermindert bestehen lassen, dass das Kind anderswo „entsorgt“ – unter Anführungszeichen – wird. Auch ist jeder Zweifel hinsichtlich der Frage auszuräumen, ob sich nicht die Einrichtung selbst strafrechtlich mitverant­wortlich macht.

§ 197 StGB sollte also um die Worte ergänzt werden: „es sei denn, die unmündige Person wird an eine öffentliche Einrichtung übergeben, die ersichtlich zur Übernahme der Obhut bereit ist.“

Dieser Formulierungsvorschlag ist vorläufig untechnisch gefasst, weil die adäquate jugendwohl­fahrtsrechtliche Regelung erst geschaffen werden, das Strafrecht aber nicht streng an eine solche gebunden werden muss. Für die Zwischenzeit bis zu einer Strafrechtsänderung muss unbedingt auf § 42 die Strafbefreiung wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat zurückgegrif­fen werden. Vor dieser Klarstellung haben wir ja auch ein Problem, wenn öffentliche Einrichtun­gen eingerichtet werden, und es müsste selbstverständlich auch da § 42 zum Zuge kommen. – Danke. (Beifall.)

11.26


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Danke, Herr Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel. – Ich bitte nun um das Referat von Frau Ingrid Jenacek, Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, MA 11.

„Junge Mütter in Notsituationen“

11.26


Referentin Ingrid Jenacek¦ (Magistrat der Stadt Wien, MA 11 – Amt für Jugend und Familie): Ich wurde ersucht, zum Thema „junge Mütter in Notsituationen“ ein Referat zu halten, da ich seit 20 Jahren im Rahmen der MA 11, Amt für Jugend und Familie, im Adoptionsbereich tätig bin.

Im Laufe dieser langen Zeit habe ich mit vielen Frauen Gespräche geführt, die eine Freigabe ihres zu erwartenden Kindes zur Adoption überlegt haben. Meist sind es schon sehr konkrete Überlegungen, die Frauen zu einem Beratungsgespräch in die Adoptionsstelle führen, oft ist ein Beratungsgespräch aber auch eine Entscheidungshilfe, wenn auf Grund eines Schwanger­schaftskonfliktes noch keine klare Linie gefunden werden konnte. Eine wertfreie und eine sehr klare Information ist daher oberstes Gebot in diesen Gesprächen.

Vorwiegend sind es noch sehr junge Frauen, die eine Freigabe überlegen, sie sind zirka 20 bis 25 Jahre alt. Die Mehrzahl dieser Frauen bemerkt die Schwangerschaft erst im fortgeschritte­nen Stadium, sie kommen dann zirka im fünften bis siebenten Schwangerschaftsmonat zu einer Beratung. In diesen Gesprächen zeigt sich dann sehr rasch eine ausweglos erscheinende Situa­tion der jungen Mütter. Viele wurden vom Partner verlassen, oder der Vater des Kindes ist nicht bereit, zu seinem Kind zu stehen, und hat der Frau die Entscheidung überlassen, sich für einen Schwan­gerschaftsabbruch zu entschließen oder das Kind allein aufzuziehen. Diese jungen Müt­ter stehen oft noch in Ausbildung, haben kein festes Einkommen oder keine eigene Wohnung. Es fehlt das soziale Netz, das dringend gebraucht wird, um sich der künftigen Auf­gabe auch gewachsen zu fühlen.

Wenn diese jungen Frauen dann auch vom Elternhaus keine geeignete Hilfe angeboten erhal­ten oder nicht in der Lage sind, diese Angebote anzunehmen, da die Beziehung nicht tragfähig genug ist, dann liegt für viele die Entscheidung nahe, das Kind zur Adoption freizugeben.

Besonders problematisch ist die Entscheidung für die Freigabe eines Kindes, wenn die wer­dende Mutter selbst noch minderjährig ist. Diese Jugendlichen haben oft enorme Ängste, sich ihren Eltern anzuvertrauen. Sie versuchen die Schwangerschaft bis zur Geburt des Kindes zu verheimlichen, was auch immer wieder gelingt, und hoffen darauf, dass das Kind nie geboren wird. Diese Mädchen haben sich wirklich nie mit dem Gedanken einer Freigabe auseinander gesetzt, haben auch nicht realistisch überlegt, was es bedeutet, ein Kind zu haben, und sind auf die Entscheidung ihrer Eltern angewiesen.

Die gesetzlichen Vertreter tragen die Entscheidung einer Freigabe ja auch rechtlich mit, und es hängt daher einzig und allein von den werdenden Großeltern ab, wie die Familie mit diesem Problem umgeht. Oft haben diese werdenden Großeltern auch Angst vor der Schande, wenn die Umgebung erfährt, dass ihre Tochter ein Kind zur Adoption freigegeben hat. Dazu kommen noch die Vorwürfe, als Großeltern versagt zu haben, wo es doch allgemein erwartet wird, dass man sich freut, wenn die Tochter ein Baby bekommt.

Da ich der Meinung bin, dass die Freigabe eines Kindes zur Adoption ein sehr schwerer und verantwortungsvoller Schritt ist, ist es mir in meinen Gesprächen immer wichtig, den Frauen zu vermitteln, dass diese Entscheidung wirklich gut überlegt werden muss, dass es sich um eine Unterschrift mit weitreichenden Folgen handelt und dass jede Mutter auch überlegen darf, wel­che Wünsche sie an die zukünftigen Adoptiveltern hat. Sie kann sowohl das Alter der Adoptiv­eltern als auch das Religionsbekenntnis ihres Kindes beeinflussen. Sie kann auch den Wunsch äußern, die Adoptiveltern persönlich kennen zu lernen, um einen Eindruck zu erhalten, wie diese beiden Menschen aussehen, wie sie sich einer Frau gegenüber verhalten, deren Kind sie einmal großziehen werden und dem sie eines Tages auch sagen müssen, wer die Frau war, die es geboren hat.

Dieses Kennenlernen von Mutter und Adoptiveltern schließt eine Inkognito-Adoption keines­wegs aus, es gibt aber beiden Teilen die Möglichkeit, einen Eindruck voneinander zu erhalten und sich dann sicherer in der Entscheidung zu fühlen. Damit meine ich, dass es auch Adoptiv­eltern Sicherheit geben kann, zu wissen, wer die Mutter ihres Kindes ist. Es geht somit über die zwingend vorgeschriebene Information hinaus, die ohnehin jede Frau bei der Unterzeichnung der Vollmacht für den Abschluss des Adoptionsvertrages erhalten muss.

Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Freigabe eines Kindes eben ein sehr schwerer Entschluss. Niemand macht diesen Schritt leichtfertig oder unreflektiert. Viele Frauen leiden noch Jahre unter ihrem Entschluss, einige aber können auch später sehr gut dazu stehen.

Je auswegloser eine Lebenssituation für eine junge Frau war, umso besser kann sie diesen Schritt ihrer Umwelt gegenüber vertreten, denn die Umwelt ist es, die trotz vieler Aufklärungs­arbeit eine Adoptionsfreigabe nach wie vor sehr negativ sieht und Frauen ihr Versagen als Mutter immer vorwirft. Wie ich in meiner Arbeit mit Müttern, die ihr Kind zur Adoption freigeben, immer wieder erlebe, kommt zu dem großen Schuldgefühl und dem großen Gefühl, versagt zu haben, auch noch die geringe Akzeptanz der Gesellschaft. Oft wird daher versucht, die Schwangerschaft zu verheimlichen. Diese Frauen sprechen nicht über ihr Vorhaben und sind mit ihren Problemen total isoliert. Das kann dann auch noch zu Kurzschlusshandlungen führen. Dieser Isolation müsste man vorbeugen, man müsste versuchen, rechtzeitig Hilfe und Stützung anzubieten.

Eine große Zahl dieser Frauen stammt aus dem Ausland. Sie leben hier oft ohne Dokumente, ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung und sind daher auch nicht krankenversichert. Es ist besonders schwierig, diesen Frauen Hilfestellung zu geben.

Im Laufe meiner Tätigkeit konnte ich jedoch auch beobachten, dass immer mehr Frauen den Mut gefasst haben, regelmäßig in der Adoptionsstelle nachzufragen, wie es dem Kind geht – in der Hoffnung, auch ein wenig über den Werdegang ihres Kindes informiert zu werden und später auch die Möglichkeit zu haben, einen Zugang zum Kind zu finden.

Für ein Adoptivkind ist es enorm wichtig, über seine Herkunft und seine Geschichte Bescheid zu wissen, und für leibliche Mütter kann es eines Tages sehr entlastend sein, dem Kind persönlich erklären zu dürfen, warum dieser Schritt gesetzt wurde.

Die Suche nach den Wurzeln beschäftigt sehr viele junge Erwachsene, die bei Adoptiveltern aufgewachsen sind, und es ist ein sehr sensibler Bereich, diesen jungen Erwachsenen bei dieser Suche behilflich sein zu können. Viele suchen auch nach leiblichen Geschwistern und erleben es als enorme Bereicherung, wenn sie Kontakte knüpfen konnten.

Da ich schon viele Treffen zwischen leiblichen Müttern und erwachsenen Adoptierten begleiten durfte und immer wieder erlebt habe, wie wichtig dieses Kennenlernen ist, wie enorm emotional es von beiden Seiten erlebt wird und wie wertvoll diese Erfahrung im Leben eines Adoptierten ist, glaube ich, dass jeder Adoptierte diese Chance haben sollte. Es ist daher von großer Bedeutung, wenn Adoptierte die Möglichkeit haben, in ihre Adoptionsunterlagen Einsicht zu nehmen. Ebenso wichtig ist es, den Adoptiveltern möglichst viele Informationen über die Vorge­schichte ihres Adoptivkindes zu geben, denn nur so können sie dem Kind auch über seine Herkunft berichten und sich selbst damit auseinander setzen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Mütter, die ein Kind zur Adoption freigeben, laufend ge­sunken. Es bleibt für jede Frau, die ihr Kind nicht selbst großziehen kann, ein enormes psychi­sches Problem, wenn sie sich zu einer Adoptionsfreigabe entschließen muss. Mir ist es ein großes Anliegen, diesen Frauen schon in der Schwangerschaft Hilfe anzubieten und so ein größeres Problem erst gar nicht aufkommen zu lassen. – Danke. (Beifall.)

11.34


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Danke, Frau Ingrid Jenacek. – Ich bitte jetzt Herrn Dr. Herbert Wiedermann vom Amt für Jugend der Freien und Hansestadt Hamburg, Abteilung „Hilfen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien“, um sein Referat.

„Fragen des Gesundheits- und Sozialwesens in Bezug auf das Projekt ,Sternipark‘“

11.35


Referent Dr. Herbert Wiedermann¦ (Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Amt für Jugend): Morgen, Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob man eine „Babyklappe“ braucht, hätte ich mit einem klaren Nein ge­antwortet. Ich war bisher davon ausgegangen, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Bundes-Sozialhilfegesetz, mit einem ausgezeichneten Kinder- und Jugendhilfegesetz und ins­besondere die Stadt Hamburg mit einem ganz ausgezeichneten und weit entwickelten Angebot an sozialen Dienstleistungen so etwas gar nicht brauche.

Ich wurde dann 1999 eines Besseren belehrt. Erschüttert hat uns die Nachricht, dass vier Kinder ausgesetzt wurden; zwei davon starben. – Herr Moysich hat schon darauf aufmerksam gemacht. – Folgender Fall hat mich besonders betroffen gemacht: Man fand ein Kind in einem Schuhkarton unter Papierbergen in einer Recycling-Firma. Für mich war das ein klares Signal der abgebenden Mutter, dass sie sich im Stich gelassen fühlte, und es wurde deutlich, dass da ein Handlungsbedarf besteht, von dem wir bisher jedenfalls nicht angenommen hatten, dass er in diesem Ausmaß bestehen könnte.

Deswegen haben wir versucht, das Ganze ein bisschen tiefer zu durchdenken und haben uns zunächst einmal gefragt: Warum und wie häufig werden eigentlich Findlinge getötet? Dabei muss man zwischen zwei Gruppen unterscheiden: Die Tötung eines Kindes am Tage der Ge­burt bezeichnet man als Neonatizid, die Tötung nach den ersten 24 Stunden ist ein Filizid. Die Motive der Frauen sind in diesen beiden Gruppen sehr unterschiedlich.

In meinem schriftlich aufliegenden Referat ist auch eine kurze Zusammenfassung der wich­tigsten Untersuchungsergebnisse enthalten. – Ich beschränke mich jetzt auf jenes, welches deutlich macht, worauf man sich konzentrieren muss.

Resnick hat beide Formen nach Diagnose, Motiv und Einstellung der Mutter untersucht und festgestellt, dass der Neonatizid, also die Tötung eines Kindes unmittelbar nach der Geburt, in 83 Prozent der Fälle aus der Motivation der Unerwünschtheit des Kindes erfolgte. Nur in 11 Prozent der Fälle fand er eine akute Psychose, 3 Prozent der Mütter gaben an, sie haben zum Wohl des Kindes so gehandelt, also eine „altruistische“ – unter Anführungszeichen – Motivation gehabt.

Dieses Verhältnis ist in der Kategorie Filizid durch die Mutter, also Aussetzung und Tötung nach den ersten 24 Stunden, anders: In dieser Gruppe ist nur noch in 11 Prozent der Fälle die Uner­wünschtheit das ausschlaggebende Motiv. Psychosen kommen wesentlich häufiger vor – in 22 Prozent der Fälle –, und in 56 Prozent der Fälle gibt die Mutter an, ihr Kind aus Altruismus getötet zu haben. In 7 Prozent der Fälle ist es ein Unfall gewesen, und in 2 Prozent der Fälle wurde festgestellt, dass ihre Ehegatten eine Rolle gespielt haben.

Also bei der Tötung eines Kindes, das noch keine 24 Stunden alt ist, liegt das Hauptmotiv in der Unerwünschtheit des Neugeborenen. Die Unerwünschtheit wird sehr stark durch die Bezie­hungs- und Familienverhältnisse der Mutter beeinflusst. Es sind dramatische – wirklich drama­tische! – Beziehungs- und Familienverhältnisse, die Frauen dazu veranlassen können, ein Kind auszusetzen oder gar zu töten.

Wir haben solche Mütter befragt – sowohl in Krankenhäusern als auch in Schwangerschafts-Beratungsstellen –, und wir glauben und sind uns ziemlich sicher, dass es vier Gruppen von Frauen sind, die besonders gefährdet sind, ungewollte Kinder auszusetzen oder zu töten.

Die erste Gruppe sind drogenabhängige und substituierende Mütter, die sich zum Teil in der Illegalität des Drogenkonsums bewegen, aber auch ihr Leben rund um die Droge organisieren müssen. Oft glauben sie, dass sie durch eine Schwangerschaft die Chance hätte, aus der Sucht auszusteigen, zugleich haben sie aber auch dramatische Ängste, dass die Jugendämter ihnen dieses Kind wieder wegnehmen könnten. Sie sind in der Regel extrem isoliert, bewegen sich in sehr gewaltbereiten Szenen. Die substituierenden Frauen haben ein bestimmtes Geschlechts­leben, aber durch die Substitution können sie wieder Kinder bekommen, sodass es hier zu ungewollten Schwangerschaften in einem größeren Ausmaß kommt.

Es werden in Hamburg zurzeit etwa 150 Kinder pro Jahr offiziell von Drogen gebrauchenden und substituierenden Müttern geboren. Daran kann man ersehen, dass es da eine große Gruppe gibt.

Die zweite große Gruppe sind Frauen, die unter extremer Gewalt in ihrer Familie leiden. Sie leben in sehr gewalttätigen Beziehungs- und Familienverhältnissen. Würden sie sich an ein Frauenhaus wenden, müssten sie mit Todesdrohungen, die sehr ernst zu nehmen sind, ihres Partners rechnen. Sie werden sich aus diesem Grunde eben nicht an professionelle Helferinnen und Helfer im Hilfesystem wenden. Manchmal versuchen sie die Kontaktaufnahme per Telefon, aber das läuft dann nur über Einzelkontakte und nur dann, wenn sie bestimmen, wo und wann sie sich mit dem Helfer treffen. Diese Frauen sind extrem isoliert.

Der für uns dramatischste Fall – ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben – war eine Frau, die schon mehrere Kinder geboren hatte, die dann ihre vier oder fünf Kinder getötet hatte und in ihrer Tiefkühltruhe entsorgte. Sie lebte in solch gewalttätigen Verhältnissen und hätte sich, weil sie wirklich lebensbedroht war, nicht an irgendjemand anderen wenden können.

Die dritte Gruppe – darauf hat ja Frau Jenacek schon hingewiesen – sind Migrantinnen. Migran­tinnen sind, wenn sie in der Stadt isoliert sind, natürlich kein Problem, unser Problem liegt eher im Bereich der neu zugezogenen Migrantinnen. Wir hatten in Hamburg zeitweilig viele Frauen aus Bosnien, die vergewaltigt worden waren, die Moslems waren und aus gutem Grunde das Kind ihres Vergewaltigers nicht aufziehen wollten. Aber es gibt auch in großen Städten wie Hamburg eine Gruppe von Migrantinnen, die sich illegal in der Stadt aufhält und die unter gar keinen Umständen Kontakt mit offiziellen Stellen haben kann.

Die aus meiner Sicht größte Gruppe sind minderjährige, sehr junge Frauen, die mitten im Pubertätsprozess stehen. Die haben das Gefühl, dass sie ihr Leben noch gar nicht gelebt haben und dass sie nicht in der Lage sind, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Zugleich haben sie Schuldgefühle, versagt zu haben, nicht verhütet zu haben. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen, die Frau Jenacek hat. Es kommt auch häufig zur Ablehnung der Schwan­geren durch den Freund, manchmal auch durch den eigenen Vater.

Diese Frauen brauchen eigentlich jemanden, von dem sie sich verstanden fühlen. Sie brauchen jemanden, der sie beim Prozess der Selbstfindung unterstützt. Das ist ein sehr ambivalenter und sehr lang andauernder Prozess. Ich glaube, dass wir unsere Beratungseinrichtungen sehr viel niedrigschwelliger anlegen müssen, damit wir diese Gruppe erreichen, denn in dieser Gruppe kann man, so glaube ich, durch Beratung noch sehr viel richten.

Ich möchte mich kurz auseinander setzen mit der Frage: Wie kann denn geholfen werden? Sicher muss man feststellen, die Regeldienste der öffentlichen und freien Jugendhilfe und der Sozialhilfe sind in der Lage, bei ungewollten Schwangerschaften effektive Hilfe zu leisten. Es gibt in Deutschland Untersuchungen, aus welchen ganz deutlich hervorgeht, dass es eine signi­fikante Reduzierung der Zahl aller Kindstötungen gibt. Die letzte Untersuchung, die wir diesbe­züglich kennen, bezog sich auf den Zeitraum von 1973 bis 1988, und in diesem gab es eine Reduzierung um rund 46 Prozent bei Babys und um rund 37 Prozent bei Kleinkindern.

Aber wir müssen zugleich anerkennen, dass es eine Reihe von Frauen gibt, die aus Angst vor Strafe oder Scham als Mütter unentdeckt bleiben müssen. Eine Lücke im Hilfesystem kann dann auftreten, wenn man Hilfen für diese Mütter organisieren will. Sie können sich eben nicht staatlichen Stellen zu erkennen geben, und das gilt es zu akzeptieren.

Deswegen haben wir unsere Position in dieser Hinsicht geändert, und seit April 2000 gibt es ein neues und funktionierendes Hilfesystem in Form der „Babyklappe“, wobei ich Wert auf die Fest­stellung legen möchte, dass es zwei Zugänge gibt: Man kann das Baby in der „Babyklappe“ ablegen, aber man kann sich auch über ein Nottelefon Beratung organisieren und einen länger­fristigen Beratungsprozess im Hintergrund haben.

Ich möchte mich noch kurz mit den Fragen des Rechts auseinander setzen. Wir sind in Ham­burg – sicherlich im Unterschied zu anderen Modellversuchen – einen ganz anderen Weg ge­gangen. In den ersten acht Wochen sagen wir, dass die Mutter dieses Kind im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrages übergibt, einer Geschäftsführung mit oder ohne Auftrag. Wir sehen also keine Notwendigkeit, dass es in diesen ersten acht Wochen in irgendeiner Art und Weise eine staatliche Intervention geben muss. Das ist so, als würde man sein Kind einer Nachbarin für eine Zeit übergeben. Auf dieser Ebene handhaben wir das. Ich weiß, dass es andere Städte gibt, die das offizieller regeln, aber wir haben uns in Hamburg aus gutem Grund für diesen Weg entschieden.

Das führt auch dazu, dass wir uns in Hamburg dahin gehend abgesprochen haben, dass es zu keiner Anwendung des § 25 Personenstandsgesetz kommt, wonach eben auch die Polizei infor­miert werden müsste, weil wir davon ausgehen, dass dies eben keine klassische Findelkind-Situation ist, sondern die Übergabe der Betreuung eines Kindes an jemand anderen. Ich wollte es Ihnen einfach als Überlegung mitgeben: Man muss nicht alles immer gleich verstaatlichen, verrechtlichen, manches geht auch durch Selbsthilfe.

Das Projekt hat aus meiner Sicht vier Ziele zusammengefasst: Es soll das Leben des Findlings schützen. Es soll für die abgebende und anonym bleibende Mutter Hilfen bereitstellen. Es soll die Notsituation dieses Findlings zumindest einem freien Jugendhilfeträger bekannt machen. Und nicht zuletzt wollen wir auch in der Bevölkerung Verständnis, Solidarität und Hilfsbereit­schaft für die abgebenden Eltern wecken.

Beim ersten Kind, das bei uns ausgesetzt wurde, gab es eine Hetzjagd auf diese Mutter, sowohl durch die Presse als auch durch die Stadt. Sie wurde sozusagen mit einem „Steckbrief“ zur Fahndung ausgeschrieben. Ich finde, das ist eine absolut absurde Situation, denn es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, diese Mutter zu suchen und sie mit ihrem Kind wieder zusammenzu­führen. Die Mutter hatte – davon können Sie ausgehen – sehr ernst zu nehmende Gründe, dieses Kind abzugeben. Also diese Hetzjagd wollen wir absolut nicht.

Herr Moysich hat bereits darauf hingewiesen: Forsa hat in Deutschland 1 005 Frauen befragt: 76 Prozent der Deutschen haben diese „Babyklappe“ begrüßt, und nur 20 Prozent haben sie abgelehnt. Sie merken daran, dass, ausgelöst durch die Debatte, wie wir sie ja auch schon im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs erlebt haben – sozusagen Hilfe geht vor Strafe –, sich dieser Bewusstseinswandel, jedenfalls in der deutschen Bevölkerung, weiter fortgesetzt hat und auch auf dieses Projekt überträgt. Also es gibt eine sehr breite Mehrheit der Bevölkerung, die sagt: Ja, diese Hilfe für das Kind geht vor der Strafe gegenüber der Mutter.

Ich möchte mich noch kurz mit drei Argumenten auseinander setzen, die gegen die „Baby­klappe“ vorgebracht werden. Das erste Argument wurde hier schon angeführt: Die Entwick­lungsperspektiven eines Findelkindes sind und bleiben psychologisch schwierig, weil es eben niemals seine eigenen Wurzeln kennen lernen wird. Das Zweite, was eingewandt wird, ist, dass die „Babyklappe“ es Müttern und Vätern sehr leicht mache, sich ihrer Unterhaltspflicht zu ent­ziehen. Drittens wird eingewandt, dass es Müttern und Vätern zu leicht gemacht würde, sich ihren Pflichten als Eltern zu entziehen.

Ich denke, man muss alle drei Einwände sehr ernst nehmen, aber mir geht es da genauso wie jenem Kinderarzt, den wir vorhin im Film gesehen haben: Das Leben eines Säuglings hat für uns absolute Priorität. Wir schützen in erster Linie das Leben des Kindes.

Deswegen haben wir uns entschieden, dieses Projekt erstens zu fördern und es zweitens auch durch Zusammenarbeit zu begleiten, aber es auch ganz deutlich außerhalb der Zuständigkeit eines staatlichen Jugendhilfeträgers zu organisieren.

Ich finde – und damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen –, wer A sagt muss auch B sagen: Es ist für uns unerträglich zu wissen, dass Frauen nach wie vor gezwungen sind, ihre Kinder allein, in isolierten Situationen zu gebären. Deswegen halte ich es für absolut zwingend, Möglichkeiten einer anonymen Geburt zu entwickeln. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Frauen dieses Angebot eher annehmen und wir die zweite Variante, sie in einer „Babyklappe“ ablegen zu müssen, vielleicht dadurch ein wenig reduzieren können.

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gelingt, viele „Babyklappen“ auch in Österreich zu installie­ren. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es funktioniert. Herr Moysich hat ja schon darauf aufmerksam gemacht: Seit April hatten wir fünf Babys in der „Babyklappe“. Es ist nicht so, dass man denken müsste, es würden auf diesem Weg massenhaft Probleme abgeschoben, sondern ich glaube, dass diese Babys, würde es diese Einrichtung nicht geben, ausgesetzt worden wären oder als abgelehnte Kinder sehr unfruchtbare Entwicklungschancen hätten. Es ist also ein sehr lohnendes Projekt, und ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Implementierung solcher „Babyklappen“. – Danke schön. (Beifall.)

11.50


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Danke, Herr Dr. Wiedermann. – Nächste Refe­rentin ist die Richterin Mag. Petra Smutny vom Bundesministerium für Justiz.

„Strafrechtliche Fragen der anonymen Geburt und des ,Babynests‘“

11.50


Referentin Richterin Mag. Petra Smutny¦ (Bundesministerium für Justiz): Strafrechtler und Strafrechtlerinnen werfen gerne einmal einen Blick in die Vergangenheit, und so möchte auch ich, ebenso wie Professor Höpfel, meine Ausführungen mit einem solchen Blick beginnen, und zwar möchte ich an ein Frauenschicksal beziehungsweise an ein Kinderschicksal erinnern, das uns Gottfried August Bürger überliefert hat. Es geht dabei um Rosa, ein junges Mädel, Pfarrers­tochter, die sich mit einem feschen jungen Mann einlässt. Sie wird schwanger und von der Familie verstoßen. Der Kindesvater lässt sie abblitzen, die Geburt verdrängt sie – offensichtlich auch heute noch ein Sachverhalt, der sehr häufig vorkommt – und wird von der Geburt als solche richtig überrascht. Es heißt dann:

„Es wand ihr ein Knäbchen sich weinend vom Schoß,

Bei wildem unsäglichen Schmerze.

Und als das Knäbchen geboren war,

Da riß sie die silberne Nadel vom Haar,

Und stieß sie dem Knaben ins Herze.

Erst, als sie vollendet die blutige That,

Mußt’ ach! ihr Wahnsinn sich enden.

Kalt wehten Entsetzen und Grausen sie an. –

,O Jesu, mein Heiland, was hab’ ich gethan?‘

Sie wand sich das Bast von den Händen.

Sie kratzte mit blutigen Nägeln ein Grab,

Am schilfigen Unkengestade.

,Da ruh du, mein Armes, da ruh nun in Gott,

Geborgen auf immer vor Elend und Spott!

Mich hacken die Raben vom Rade.‘ --“

Nun, Rosa könnte auch Luise heißen, so wie in Schillers „Kindsmörderin“, oder Gretchen, so wie in Goethes „Faust“. Gemeinsam ist ihnen, dass ihnen nach dem heutigen Strafgesetzbuch für ihre Tat eine Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren drohen würde. Gemeinsam ist ihnen aber auch, dass sie sich alle in ihrer Not völlig allein gelassen gefühlt haben oder allein gelassen waren und dass die Tötungshandlungen allesamt nicht als Aggressionshandlungen gegenüber dem ermordeten Kind geschildert werden.

In den wenigen Fällen, in denen diese Geschichten heutzutage auch vor Gericht aufgearbeitet werden, kann ich sagen, dass sich das in der Regel auch heute noch so darstellt. Dafür sprechen ja auch die Ausführungen von Frau Jenacek und Herrn Dr. Wiedermann.

In der Literatur des 18. Jahrhunderts finden sich Beispiele, die sich mit Kindsmord und Kindes­weglegung beschäftigen, zuhauf. Im Übrigen – auch das hat Professor Höpfel heute schon erwähnt – wurde in dieser Zeit, um 1784 herum, eines der größten Findelhäuser der Welt, näm­lich das Findelhaus in Wien, von Josef II. eröffnet, wo den Frauen eine anonyme Geburt zuge­sichert war.

Auch heute findet sich jeder Fall der Kindesweglegung, zumindest jener, der in der Öffentlich­keit bekannt wird, tagelang auf den Titelblättern. Wie oft beschäftigen diese Fälle nun tatsäch­lich die Gerichte? Mir scheint diese Frage, wie häufig diese Fälle tatsächlich auftreten bezie­hungsweise verfolgt werden, deshalb so wichtig, weil die Medienpräsenz, die sie alle haben, möglicherweise den Blick verzerrt in Bezug auf die Frage, welche Notwendigkeiten tatsächlich gegeben sind und welche Schritte die wichtigsten sind, um da Abhilfe zu schaffen.

Das Justizministerium hat im Jahre 1997 dazu eine österreichweite Erhebung durchgeführt, und zwar ging es um die Frage, wie häufig es zu Verfahren nach § 197 StGB, Verlassen von Un­mündigen, und zu Verfahren nach § 82 StGB, Aussetzung – das sind jene Fälle, in welchen mit Lebensgefährdungsvorsatz gehandelt wird –, gekommen ist. Es handelt sich um einen Er­hebungszeitraum von fünf Jahren, und zwar von 1992 bis 1997. Insgesamt wurden in Öster­reich in diesem Zeitraum 28 Verfahren wegen diesen beiden Delikten geführt. Dazu muss man sagen, in zwei dieser Fälle hat das Kind nicht überlebt. In vier Fällen wurde das Verfahren abgebrochen – es ist anzunehmen, dass da die Mutter nicht gefunden wurde. Ein Fall war zum Erhebungszeitpunkt noch offen. In drei Fällen kam es zu Freisprüchen, und in allen übrigen Fällen hat die Staatsanwaltschaft keinen weiteren Grund zur Verfolgung gefunden.

Ich habe hier auch Zahlen der Wiener Adoptionsstelle des Amtes für Jugend und Familie. Auch dort wurden Erhebungen gemacht, und zwar für die Jahre 1980 bis 1999. In diesem Erhe­bungszeitraum von 19 Jahren wurden 23 Findelkinder verzeichnet. Die meisten davon kamen zu Adoptiveltern, lediglich drei wurden schließlich von ihren Müttern übernommen. Nur bei 10 Kindern wurde die Mutter überhaupt gefunden.

Ein paar Zahlen aus jüngerer Zeit kann ich auch noch anbieten, und zwar für die Jahre 1999 und 2000, allerdings betreffen sie nur den Wiener Bereich.

Beim Jugendgerichtshof Wien wurde 1999 überhaupt kein Verfahren auf Grund dieser Delikte geführt und im Juli des heurigen Jahres erst ein Verfahren nach § 197 StGB, wobei es dabei um keine klassische Kindesweglegung ging, so wie wir sie heute besprechen, sondern um das Verlassen eines bereits vierjährigen Kindes.

Bei der Staatsanwaltschaft Wien wurden in diesen zwei Jahren 18 Verfahren nach diesen beiden Paragraphen geführt. Es kam in drei Verfahren zu Verurteilungen, wobei allerdings bei einem Verfahren das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Alle anderen Verfahren wurden abgebro­chen, beziehungsweise wurde auch hier von Seiten der Staatsanwaltschaft ohne weitere Erhebungen kein Grund zur weiteren Verfolgung gefunden.

Dieses Bild bestärkt insgesamt schon die Tendenz, dass die sehr geringfügige Inanspruch­nahme auch auf ein geringes gesellschaftliches Strafbedürfnis schließen lässt. Dennoch finden sich im Strafgesetzbuch zumindest sieben Tatbestände, die in einem Fall der Kindesweglegung, so wie wir sie heute besprechen, verwirklicht sein können – einige davon hat ja Professor Höpfel bereits erwähnt. Darunter befinden sich auch drei Delikte, deren Erfüllung bei Inan­spruchnahme eines „Babynestes“ derzeit zumindest zu prüfen ist. Wie bereits erwähnt – ich wiederhole das nochmals –, wäre das der § 197 StGB, in welchem es um das Verlassen eines Unmündigen geht, einen Tatbestand, der erst im Rahmen der Strafrechtsreform 1974 ge­schaffen wurde. Weiters wären das die Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 StGB und schließlich die Kindesentziehung nach § 195 StGB. Diese Bestimmung ist vor allem dann relevant, wenn es sich um ein eheliches Kind handelt und der Kindesvater noch die Erziehungs­rechte hat.

Im Hinblick auf das Zur-Verfügung-Stellen der „Babyklappe“ sehe ich grundsätzlich keine so großen Probleme. Natürlich ist grundsätzlich die Beitragstäterschaft zu prüfen, diese scheint aber aus vielfältigen Gründen nicht gegeben, insbesondere weil der Tatbestand selbst noch nicht ausreichend individualisiert ist beziehungsweise kein Vorsatz in dem Sinn anzunehmen ist, dass darauf hingewirkt oder dazu beigetragen wird, dass das Baby weggelegt wird, und es darum geht, wenn ein Vorsatz schon besteht, eine Alternative anzubieten. Also da sehe ich keine so großen Probleme. Auch das Vorliegen einer Gutheißung oder einer Aufforderung zu einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 282 StGB ist in diesem Sinne wohl eindeutig zu verneinen.

Meines Erachtens sollte sich die Justiz grundsätzlich in die Frage, ob das „Babynest“ oder die „Babyklappe“ die richtige oder eine richtige oder die vorrangige Maßnahme ist, um Kindesweg­legungen zu verhindern oder Schutz und Hilfe zu bieten, nicht zu sehr einmengen und diese Frage eher den Experten und Expertinnen überlassen. Ich denke, primär angesprochen sind natürlich diejenigen Personen, die sich um diese schwangeren Frauen in Notsituationen bezie­hungsweise dann um die Kinder kümmern.

Persönlich bin ich – ich glaube, das ist aus meinen Ausführungen schon etwas hervorgegan­gen – nicht völlig überzeugt davon, dass das die wichtigste und vorrangigste Maßnahme ist, die wir in diesem Bereich setzen könnten oder zu setzen hätten.

Eines sollte aber klar sein: Durch die Einrichtung einer „Babyklappe“ oder eines „Babynestes“ durch den Staat oder durch das Gemeinwesen als solches muss sich natürlich auch der Blick auf das Strafrecht völlig ändern. Es gibt natürlich auch heute schon in Einzelfällen Möglich­keiten, speziell in Notsituationen von Kindern, aus einer Strafbarkeit sozusagen rauszukommen. Das geht primär über die Entschuldigungsgründe, aber eventuell auch über § 42 StGB.

Ich denke, wir sollten uns aber einig sein – das haben ja auch die deutschen Kollegen und Kolleginnen schon angesprochen –: Ich wünsche es mir nicht, dass die Zweifelsfälle auf Kosten jener Mütter ausgehen, die dann eine solche „Babyklappe“ oder so ein „Babynest“ tatsächlich nützen. Es soll wohl nicht so sein, dass wir zugleich mit dem „Babynest“ auch eine Überwa­chungskamera installieren, damit nachher im Strafverfahren die Beweisführung relativ erleichtert wird und wir uns möglicherweise ein Gutachten ersparen.

Wenn man sich also entschließt, ein „Babynest“ einzurichten, und wenn es, wie ich meine, klar ist, dass diesbezüglich auch die strafrechtlichen Bestimmungen einer Änderung unterzogen werden müssen, dann ist natürlich die Frage zu stellen: Wie?

Ich habe Zweifel, ob man tatsächlich darauf abstellen sollte, nur in dem Fall, dass das „Baby­nest“ in Anspruch genommen wird, eine Strafausschließung vorzusehen, denn ich würde zwei Punkte erwähnen.

Erstens kann wohl der Unwert der Tat nicht höher bewertet werden, wenn ein solches Baby un­mittelbar zum Beispiel einer Säuglingsschwester übergeben oder eben ein solches „Babynest“ verwendet wird. Andererseits ist es wohl so, dass selbst dann, wenn nun „Babynester“ in vielen Städten Österreichs eingerichtet werden, regional nicht für jede Mutter, für jede Schwangere, für jede Gebärende ein solches „Babynest“ in ausreichender Nähe zur Verfügung stehen wird. Man muss sich auch den Zustand vorstellen, in dem sich eine Mutter nach der Geburt befindet.

Dann muss man noch bedenken, eine eventuelle Straflosigkeit für die Kindesweglegung als solche zu gewährleisten. Dazu muss gesagt werden, dass derzeit § 197 StGB nicht bloß den Fall betrifft, den wir hier heute besprechen, nämlich den Fall der Weglegung eines Säuglings unmittelbar nach der Geburt. Dieser Paragraph betrifft Unmündige, das heißt bis 14-Jährige. Es gibt da eine weite Palette und Fälle, die wir mitbedenken müssen.

Wenn wir nun sagen, es sollte zumindest Straflosigkeit für diesen Bereich der Kindesweglegung unmittelbar nach der Geburt geben, dann muss ich darauf hinweisen, es bleibt noch immer die Strafbarkeit oder eine mögliche Strafbarkeit nach § 198 StGB, also Verletzung der Unterhalts­pflicht, denn diese ist ja weiterhin gegeben – also auch in diesem Falle müsste man sich etwas überlegen –, und nach § 195 StGB, also Kindesentziehung, wie schon gesagt, hauptsächlich der Fall bei ehelichen Kindern. Da haben wir auch die Rechte des Vaters zumindest mit zu be­rücksichtigen.

Nun, eine weitere Möglichkeit wäre, auf den psychischen oder physischen Ausnahmezustand der Mutter unmittelbar nach der Geburt abzustellen und da einen Strafausschließungsgrund zu kreieren. In Bezug auf das „Babynest“ hat diese Möglichkeit allerdings den Nachteil, dass dann die Straflosigkeit immer vom Einzelfall abhängig wäre. Es müsste also in der Regel wohl ein Ermittlungsverfahren durchgeführt werden, um zu erheben, ob die Mutter sich tatsächlich in diesem physischen oder psychischen Ausnahmezustand befunden hat.

Eine Parallele, bei der dieser Ausnahmezustand nach der Geburt berücksichtigt wird, gibt es im Übrigen schon, nämlich in § 79 StGB für die Tötung des Kindes nach der Geburt.

Dieses Problem hätten wir wohl im Fall der anonymen Geburten nicht, allerdings bleiben da die strafbaren Delikte und die grundsätzlichen Probleme als solche ebenso bestehen. Die anonyme Geburt hätte sicherlich den Vorteil, die medizinische Versorgung von Mutter und Kind vom ersten Moment an zu garantieren.

Wie bei vielen anderen unerwünschten gesellschaftlichen Phänomen scheint es mir wichtig zu sein, klarzustellen, dass eine reine Änderung des Strafrechtes ohne einen entsprechenden multidisziplinären Ansatz keine geeignete Maßnahme zur Hintanhaltung von Kindesweglegun­gen darstellen kann und sollte. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

12.03


Vorsitzende Abgeordnete Theresia Zierler¦: Herzlichen Dank, Frau Mag. Petra Smutny.

Das nächste Referat kommt vom Leitenden Staatsanwalt Dr. Michael Stormann vom Bundes­ministerium für Justiz.

12.04


Referent Leitender Staatsanwalt Dr. Michael Stormann¦ (Bundesministerium für Justiz): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meinem Referat eine kleine Einlei­tung voranstellen. Denn wenn Sie dieses Referat hören werden, werden Sie vielleicht zur Über­zeugung kommen, der Vortragende ignoriere das Problem der „Babyklappe“, und zwar aus fol­gendem Grund: Ich glaube, wir sind heute alle hier, weil wir uns um Menschen Sorgen machen, um das Wohl von kleinen Kindern, die von der Weglegung, vom Tod bedroht sind. Ich meine aber auch, dass wir uns mit dem Gemütszustand der Mutter befassen müssen, mit deren Situa­tion, aber auch mit ihrem Gesundheitszustand.

Als Leiter der für das Familienrecht zuständigen Abteilung des Justizministeriums würde ich mich in meiner Haut nicht wohl fühlen, wenn ich in diesem Ausschusslokal sagte, dass man eher an eine anonyme Geburt denken sollte, bei der die Möglichkeit einer umfänglicheren Für­sorge gegeben ist, als an eine bloße Kindesabgabeeinrichtung in Form einer Klappe. Ganz ab­gesehen davon, dass vom nüchternen juristischen Standpunkt aus betrachtet die Probleme bei der anonymen Geburt natürlich größer sind als bei der Klappe, die an sich bereits durch ihre Technik gewisse Anonymisierungseffekte hervorruft.

Vermissen Sie also bitte bei mir nicht diese Klappenaspekte, man kann sie immer mitdenken, aber ich glaube, dass man sich primär einmal mit der Frage befassen sollte: Wieweit gibt es im österreichischen Recht Anhaltspunkte für eine anonyme Geburt?

Zunächst einmal möchte ich drei Fragen in den Raum stellen:

Erste Frage: Gibt es im österreichischen Zivilrecht eine Rechtseinrichtung der anonymen Ge­burt?

Zweite Frage: Wenn es eine solche Rechtseinrichtung nicht gibt, findet die anonyme Geburt überhaupt Raum im österreichischen Zivilrecht?

Dritte Frage: Sind ergänzende Regelungen in gesetzlicher oder tatsächlicher Hinsicht not­wendig?

Einleitend möchte ich zur ersten Frage, ob es in Österreich eine anonyme Geburt gibt, voraus­schicken, dass es in Europa meiner Nachforschung nach zwei Rechtsordnungen gibt, die mehr oder weniger ausdrücklich eine anonyme Geburt gesetzlich regeln. Am ausgeprägtesten ist dies in Frankreich, wo der zuletzt 1993 neu gefasste Artikel 341-1 Code Civil ausdrücklich das Recht der Mutter verankert, dass auf ihr Verlangen ihre Identität als Geheimnis gewahrt wird.

Ich bitte, diese Regelung aber in engem Zusammenhang mit der Besonderheit des französi­schen Rechtes zu sehen, das in Artikel 334-8 vorsieht, dass die Abstammung durch freiwillige Anerkennung, durch eine Art Besitz, durch „possession d’état“, aber auch durch Urteil festge­stellt wird. – Diese Regelungen beziehen sich allerdings, nicht wie wir als Österreicher auf den ersten Blick glauben mögen, auf den Vater, nein, diese Regelungen beziehen sich auf die Mutter.

Eine etwas weniger deutliche Regelung, die aber in die gleiche Richtung geht, findet man im Artikel 57 Absatz 3 des luxemburgischen Code Civil. Diese Bestimmung regelt zwar an sich das Personenstandswesen, doch spricht sie davon, dass es Fälle gibt, dass dem Standesbeamten „die Eltern oder ein Elternteil eines nichtehelichen Kindes“ nicht bezeichnet sein können. Diese Gesetzesstelle wurde im Jahr 1975 bewusst neu eingefügt und geht bewusst in Richtung Ermöglichung der anonymen Geburt. Das Vorhaben war seinerzeit heftig umstritten.

Auch Belgien kannte dem französischen Recht sehr nahe kommende Rechtsinstitute. Diese Rechtsinstitute sind allerdings im berühmten Fall „Marx“ vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einer Überprüfung zugeführt worden und haben dem prompt nicht standgehal­ten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Wesentlichen dargelegt, dass eine europäische Rechtsordnung, die dem Grundgedanken des Artikels 8 EMRK Rechnung trägt, dem Grundsatz „mater semper certa est“ zu folgen hat.

In Luxemburg bestehen derzeit Bestrebungen, das Rechtsinstitut der anonymen Geburt zu hin­terfragen. Keine Frage, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Fall „Marx“ war im Jahr 1979, die Entscheidung zur anonymen Geburt als Rechtsinstitut war vorher. Man muss es also hinterfragen.

Man muss aber auch die internationale Entwicklung auf dem Gebiet des Kindschaftsrechtes sehen. Es gibt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die in Artikel 7 Absatz 1 dem Kind ein Recht gibt, den Namen seiner Eltern zu kennen.

Für das österreichische Recht ist festzuhalten, dass § 137b ABGB regelt, dass die Mutter eines Kindes die Frau ist, die es geboren hat. Dieser Rechtsgrundsatz ist allerdings erst 1992 in das österreichische Zivilrecht geschrieben worden. Vorher gab es eine ausdrückliche Regelung nicht, aber nicht deshalb, weil es den Regelungsinhalt nicht gegeben hätte, sondern deshalb, weil der Regelungsinhalt so selbstverständlich war, dass von 1811 bis 1992 eine gesetzliche Regelung als nicht erforderlich erachtet wurde.

Praktisch werden die Regelungen des bürgerlichen Rechts über die Abstammung, über § 18 Personenstandsgesetz umgesetzt. Dieser verpflichtet zahlreiche Personen, angefangen vom Leiter der Krankenanstalt, dem Arzt, der Hebamme, die bei der Geburt anwesend waren, über Vater oder Mutter des Kindes und sogar sonstige Personen, die von der Geburt Kenntnis haben, dem Standesbeamten die Geburt innerhalb einer Woche anzuzeigen und dabei, „soweit der Anzeigepflichtige dazu in der Lage ist“, alle Angaben zu machen, die „für die Eintragungen in den Personenstandsbüchern benötigt werden“. Sanktioniert ist diese Regelung im Personen­standsrecht durch eine Verwaltungsstrafbestimmung. (Abgeordnete Mag. Gisela Wurm über­nimmt den Vorsitz.)

Ob diese Bestimmung auch noch durch Regelungen des österreichischen Strafrechtes zusätz­lich sanktioniert ist, ist eine Frage, die ich hier anwesenden Experten überlassen muss.

Es ist somit eindeutig festzustellen, dass es in der österreichischen Rechtsordnung kein aus­drückliches Rechtsinstitut einer anonymen Geburt gibt.

Nun zur zweiten Frage: Fände die anonyme Geburt dennoch Raum im geltenden Zivilrecht? – Das österreichische Kindschaftsrecht kennt Fälle, in denen die Feststellung der Abstammung unterbleiben kann. Nach § 163a ABGB ist grundsätzlich der gesetzliche Vertreter verpflichtet, die Vaterschaft eines unehelichen Kindes feststellen zu lassen. Diese Verpflichtung besteht aber nicht, wenn die Feststellung für das Wohl des Kindes nachteilig wäre oder die Mutter von ihrem Recht, den Namen des Vaters nicht bekannt zu geben, Gebrauch macht.

Das österreichische Recht geht somit davon aus, dass – hier am Beispiel des unehelichen Kindes – die Feststellung einer Abstammung dann unterbleiben kann, wenn dies für das Kind nachteilig ist oder aber wenn es auf eine Preisgabe der Intimsphäre der Mutter hinausliefe.

Obwohl es diese Regelung gibt, scheint sie in der Praxis keine sehr bedeutsame Rolle zu spielen. Die Statistik zeigt, dass in Österreich annähernd 96,5 Prozent aller hier geborenen unehelichen Kinder ihren Vater durch Vaterschaftsanerkenntnis erhalten, während bei nur 0,5 Prozentpunkten der unehelichen Kinder der Weg der Vaterschaftsfeststellungsklage gewählt wird. Diese Zahlen sind, vor allem wenn man berücksichtigt, dass sie alle im Inland ge­borenen Kinder, also auch Ausländer, umfassen, deren Vaterschaftsfeststellungsvorgang häufig nicht in Österreich stattfindet und sich somit nicht in unseren Personenstandsbüchern nieder­schlägt, im internationalen Vergleich außerordentlich hoch.

Doch weiter zu Regelungen über elternlose Kinder im österreichischen Zivilrecht, denn um diese geht es hier. Das österreichische Recht berücksichtigt auch, dass es Findelkinder gibt, also Kinder, die in einem Alter aufgefunden werden, in dem sie noch keine zielführenden Angaben über ihre Eltern machen können, und wo es auch nicht gelingt, ihre Eltern auszu­forschen.

§ 211 ABGB legt fest, dass der Jugendwohlfahrtsträger für diese Kinder bis zum Auftreten der Eltern Amtsvormund ist. Das österreichische Recht ist somit einfacher als das bereits hier dar­gestellte deutsche Recht. Ein gerichtlicher Bestellungsvorgang ist gar nicht mehr nötig. Der Jugendwohlfahrtsträger ist nach dem Gesetz bereits gesetzlicher Vertreter solcher Kinder.

Das Personenstandsgesetz regelt im § 20 die Beurkundung von Personen ungeklärter Herkunft im Geburtenbuch. Sinnvollerweise wird der Jugendwohlfahrtsträger Findelkinder gegebenenfalls nach Ablauf einer sozialarbeiterisch gebotenen Frist zur Adoption weiter vermitteln. Die Adoptionsvermittlung ist eine im Jugendwohlfahrtsrecht anerkannte, vorgesehene Aufgabe der Jugendwohlfahrt.

Zu erwähnen ist auch, dass der Jugendwohlfahrtsträger nach dem Gesetz zur Vertraulichkeit verpflichtet ist.

Da der Jugendwohlfahrtsträger gesetzlicher Vertreter ist und die Eltern unbekannt sind, bietet diese Fallkonstellation auch Gewähr für einen raschen und reibungslosen Ablauf eines allfälli­gen Adoptionsverfahrens, und zwar schon deshalb, weil sich eine Einholung der Zustimmung der Eltern oder ihre Anhörung erübrigt, da sie ja nicht bekannt sind, und die Adoptiveltern und das vom Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind die einzigen – also maximal drei – Verfahrens­parteien im gerichtlichen Adoptionsverfahren sind.

Somit zur dritten Frage: Steht einer anonymen Geburt, somit auch einer „Babyklappe“, in Öster­reich gar nichts entgegen? – Da führt mein Befund in die Richtung, dass es doch einen einge­schränkten Vertraulichkeitsschutz gibt. Dieser ist weniger im Bereich der Jugendwohlfahrt aus­zumachen, sondern mehr im Bereich des Krankenanstaltenrechtes. Denn wie praktische Beispiele des Auslandes und wie die Überlegungen zeigen, man kann das Problem nicht unabhängig von der Medizin, von der ärztlichen Leistung, von der Krankenanstalt denken. Die Verschwiegenheitspflicht nach dem Krankenanstaltengesetz umfasst zwar auch die persön­lichen Verhältnisse der Pfleglinge, also auch deren Namen – so ausdrücklich § 9 Abs. 1 Kran­kenanstaltengesetz –, allerdings sieht Abs. 2 vor, dass die Verschwiegenheitspflicht nicht be­steht, wenn ein öffentliches Interesse die Offenbarung des Geheimnisses rechtfertigt. Das heißt, der Vertraulichkeitsschutz des Krankenanstaltenrechtes ist somit so dünn, dass er gegenüber dem Standesamt nicht standhält.

Meines Erachtens könnte nach dem geltenden Recht der Vertrauensschutz nur dadurch ge­währleistet werden, dass das Personal der Krankenanstalt im Falle einer anonymen Geburt es überhaupt vermeidet, Mütter in entsprechenden Notsituationen, die aus berechtigtem Grund eine anonyme Geburt anstreben, nach dem Namen zu fragen.

Welche ergänzenden Regelungen sind nötig? – Meines Erachtens müsste der Geheimnisschutz im Krankenanstaltenrecht dahin gehend verbessert werden, dass die Ausnahme vom Vertrau­lichkeitsschutz wieder für einen Ausnahmefall eingeschränkt wird, nämlich wenn ein besonde­res Vertrauensverhältnis, das den Schutz des Lebens zum Ziel hat, zwischen Anstaltspersonal und schwangerer Frau besonders zu schützen ist.

Dieses Vertrauensverhältnis sollte auf besondere Notsituationen eingeschränkt bleiben, weil nur so eine Verträglichkeit mit dem Grundrecht des Kindes auf Familienleben nach Artikel 8 Men­schenrechtskonvention gegeben wäre.

Änderungen des Adoptionsrechtes sind ebenso wenig nötig wie Änderungen des Jugendwohl­fahrtsrechtes.

Bei der praktischen Ausgestaltung und bei der Bewerbung dieser Einrichtungen wird aber meines Erachtens viel Augenmaß nötig sein. Einerseits gilt es, Menschenleben durch Vermei­dung von Kindesweglegung zu retten. Andererseits gilt es auch, die vorbildliche Anerkennungs­rate bei unehelichen Geburten in Österreich zu erhalten. (Allgemeiner Beifall.)

12.19


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Ich bedanke mich beim Herrn Leitenden Staatsanwalt Dr. Michael Stormann für seinen Debattenbeitrag.

Ich bitte Herrn Univ.-Prof. Dr. Werner Grünberger um seinen Beitrag.

12.19


Referent Universitätsprofessor Primar Dr. Werner Grünberger¦ (Krankenanstalt Rudolf­stiftung, First Love Ambu­lanz): Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für die Einladung herzlich bedanken. Ich bin weder Jurist, noch habe ich etwas mit der „Babyklappe“ zu tun, ich beschäf­tige mich aber seit über 20 Jahren mit Kinder- und Jugendgynäkologie, bin Vorsitzender des österreichischen Arbeitskreises und habe schon 1977 die erste Kinder­ambu­lanz, damals im AKH, gegründet.

Wie Sie von allen meinen Vorrednern gehört haben, ist dieses Problem eines, das vor allem Jugendliche betrifft. Ich bin sicher, dass etwa zwei Drittel der Zahl der abgegebenen Kinder, Findelkinder, „Babyklappe“ oder sonst etwas von Jugendlichen stammen.

Wir haben dann in der Rudolfstiftung, wo ich Primararzt für Frauenheilkunde bin, 1988 auch eine Kinderambulanz gegründet, und ich musste feststellen, dass an dem Kollektiv von Mädchen, Teenagern, die zu uns um Rat kamen, der Anteil von Kindern, die kontrazeptive Fragen haben, also Fragen zum Schwangerschaftsschutz oder Probleme mit einer möglichen Schwangerschaft haben, sehr gering ist, dass also eine gewisse Schwellenangst bestanden hat, dass für diese Mädchen, die selbstverständlich mit einem Krankenschein in unsere Spezial­ambulanz gekommen sind, die immer mit der Mutter gekommen sind, dieses Thema tabuisiert war.

Wir haben dann eine Untersuchung an insgesamt 16 Schulen im Großraum Wien, die uns vom Stadtschulrat vorgegeben waren, damit sie bunt durchgemischt sind, vorgenommen. Von immerhin 1 200 Mädchen haben wir insgesamt 128 000 Antworten erhalten. Diese wurden mit dem Computer mit Plausibilitätskontrollen abgefragt. Es ist überraschenderweise dabei heraus­gekommen, dass die Mädchen an weiterer Aufklärung sehr interessiert sind, dass das Angebot gegenüber früher viel, viel größer ist – Sex-Koffer und, und, und –, dass sie aber nichtsdesto­trotz Fachqualität, Unterhaltung und Diskussion haben wollen.

Wir haben dann eine weitere Untersuchung betreffend Schwangerschaftsabbrüche gemacht und mussten feststellen, dass der Anteil von Teenagern am Gesamtkollektiv Ende der achtziger Jahre sehr stark angestiegen ist. Wir hatten damals bereits 18,7 Prozent, was ein enormer Anteil ist. Wir haben zuerst geglaubt, dass es fürchterlich ist, wenn so ein junger Mensch in einer Notsituation einen Schwangerschaftsabbruch machen muss. Wir haben uns dann inter­national schlau gemacht. Es gibt zwar fast keine Statistiken, aber in den USA zum Beispiel betrug der Wert damals 24 Prozent. In Großbritannien gibt es neueste Statistiken, wonach es heute noch um die 20 Prozent sind. Im Europarat gab es eine Diskussion darüber.

Ich habe dann jahrelange Initiativen gemacht und bin eigentlich stolz darauf gewesen, dass mich das schwarze Bundesministerium für Familie und der rote Gesundheitsstadtrat in Wien unterstützt haben und wir die First-Love-Ambulanz, diese erste Einrichtung in Österreich, im Jahre 1992 gegründet haben. Ich freue mich eigentlich, dass, wie ich meine, hier im Raum alle eine Meinung haben, nämlich dass es darum geht, Not zu verhindern. Wenn jetzt alle Frak­tionen an einem Strang ziehen, sollte man meiner Meinung nach auch eine anonyme Geburt durchbringen. Das soll das Ziel sein. Mich freut, dass alle Referenten die „Klappe“ als wichtig anerkennen, und ich bin auch deshalb da, weil ich das toll finde. Aber es ist immer noch eine Notsituation, und die anonyme Geburt wäre das Beste. Glauben Sie mir!

Unter der Zahl von 50 Prozent toter Kinder, die uns aus Deutschland bekannt ist, befinden sich sicher Kinder, die kurz vor der Geburt oder während der Geburt verstorben sind. Eine junge Frau oder auch eine ältere Frau, die ihre erste Schwangerschaft hat und das nicht wahrhaben will, die es verheimlicht, die irgendwo im Badezimmer oder auf der Toilette ihr Kind bekommt, hat nicht die Erfahrung, das Kind ordentlich abzunabeln. Wenn wir wissen, dass 20 Prozent aller Geburten Risikogeburten sind, dass wir im AKH in Wien an die 30 Prozent Sectiones, also Schnittentbindungen, haben, dass dazu noch Vakuum-Extraktionen kommen, Sauerstoff gege­ben werden muss, dann ist klar, dass bei diesem Anteil von Frauen, die nicht versorgt sind, die Risken viel, viel größer sind. Also die Kinder, die tot aufgefunden wurden, wurden sicher zu einem erheblichen Anteil nicht umgebracht, sondern sie sind ganz einfach verstorben, weil keine Versorgung da war.

Ich komme kurz auf unsere First-Love-Ambulanz zurück und möchte sagen, dass ich ein biss­chen stolz darauf bin, denn in Österreich wurde das Ganze jetzt teilweise unter dem selben Namen in Bad Ischl, in Linz, in Mistelbach und Deutschlandsberg nachgemacht. In Villach und Salzburg ist es in Planung. Auch in Deutschland, in Aachen und Hannover, in Spanien, in Griechenland, findet sich überall unter dem Namen „First-Love-Ambulanz“ diese Form von Ambulanz – übrigens ein Name, den sich die Jugendlichen selbst ausgesucht haben. Ich bin nicht so anglophil, dass ich meine deutsche Sprache verneinte, aber die Mädchen wollen das haben, und sie sollen das bekommen, was sie gerne haben, wenn sie es dann annehmen.

Wir alle haben keine Vorstellung davon, in welcher Notsituation die Mädchen sind, schon in der Kontrazeption. Sie haben keinen Krankenschein und können daher nicht zum Arzt gehen. Der Erfolg dieses Modells, das sicher das erfolgreichste Teenager-Mädchen-Modell ganz Europas ist, ist, dass es auf drei Säulen aufgebaut ist: dass die Spezialambulanz räumlich und zeitlich von anderen Ambulanzen getrennt ist – die Jugendlichen wollen nicht mit anderen Kranken bei­sammen sitzen, weil sie nicht krank sind – und dass es anonym ist. Und das führt mich wieder zur „Babyklappe“ und zur anonymen Geburt. Nur wenn es anonym ist, wird es funktionieren. Es wird der Anteil der Frauen, die ihr Kind zur Adoption freigeben, nicht viel höher werden, obwohl das auch nicht schaden würde. Wir haben gehört, in Wien warten 300 Ehepaare auf ein Adoptivkind, und zwar bis zu fünf Jahre. Sie sind dann oft schon zu alt, um selbst ein Kind zu bekommen.

Man muss bei der Jugend beginnen. Ich habe keine schriftlichen Unterlagen vorgelegt, aber ich habe eine Publikation ausgeteilt, einen Sonderdruck einer Arbeit über die First-Love-Ambulanz. Wenn Sie in einer Graphik nachschauen, dann werden Sie sehen, dass 14 Prozent der Mädchen, das sind 1 100 pro Jahr, diese Ambulanz beanspruchen, also die Zahlen sind enorm. Die Mädchen sitzen zweimal in der Woche von 2 Uhr Nachmittag bis manchmal 11 Uhr in der Nacht dort. 14 Prozent sind entweder schwanger oder haben Angst, schwanger zu sein. Dies, obwohl alle Mädchen aufgeklärt sind, in der Schule haben sie Sexual-Unterricht, jede hat eine Mutter, sie kann eine Pille bekommen und so weiter. 3,8 Prozent sind schwanger, 10 Prozent glauben und haben Angst, schwanger zu sein. Das sind unsere Zahlen.

Zwei Beispiele, dass auch Ärzte mit solchen Situationen schlecht zurechtkommen. Es ist viele Jahre her, ich habe noch Dienst im AKH gemacht, als ich auf die Unfallstation gerufen wurde: ein Mädchen mit der Mutter, eingeliefert worden wegen Nierenkolik, alle drei Minuten. Ich habe sie untersucht, ich habe einen Ultraschall gemacht, sie ist schwanger. Was macht die Mutter? – Sie holt aus, gibt ihr eine Ohrfeige rechts und links. Was habe ich dir gesagt, lass dich nicht mit den Männern ein! Was sagt sie? – Sie sagt: Wieso? Ich habe doch immer meine Bluejeans angehabt. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis. Ich meine, ein Mädchen, immerhin 15 Jahre alt, völlig unschuldig und hat die Schwangerschaft verdrängt.

Die andere, zwei Jahre her, alles belegt, in der Rudolfstiftung: Notaufnahme, Gallenkolik, sie wird auf die Chirurgie geschickt, die machen ein Röntgen. Die junge Röntgenologin ruft bei uns, bei mir im Zimmer an, es war am Vormittag, und sagt: Herr Professor, wir haben da ein Mädchen, keiner weiß was davon, da ist ein Kind drinnen im Bauch, ein Anenzephalus, ein Kind ohne Kopf. Da sage ich: Nein, nein, geschwind in den Kreißsaal! Der Kopf war schon in der Scheide, war bereits geboren, und das Mädchen hat noch immer nicht daran geglaubt, dass es schwanger ist und ein Kind bekommt. Das Kind kam im Lift, auf dem Weg zum Kreißsaal, auf die Welt, sie hat es nicht geschafft.

Also solche Mädchen, solche junge Frauen allein zu Hause. Ich befürworte das alles, aber die wird nicht wissen, dass die „Klappe“ im Wilhelminenspital außen an der Mauer ist. Und das Ganze womöglich im Jänner bei Schneetreiben um 2 Uhr in der Nacht.

Bitte unterstützen Sie uns mit den Juristen gemeinsam, und ich höre, alle sind dafür offen. Wir haben das von Kollegen Lischka und von Dr. Wiedermann gehört: Wer A sagt, muss auch B sagen. Bekennen wir uns dazu. Wenn alle zusammenarbeiten, werden die Kosten für einen anonymen Mutter-Kind-Pass – denn das wäre die Folge, darüber müssen Sie sich im Klaren sein, das kostet schon Geld –, werden also die Ressourcen für diese wenigen Frauen, denen wir helfen wollen, aufzutreiben sein. – Ich danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

12.28


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Herr Prof. Grünberger, für Ihre Ausfüh­rungen, für Ihr Referat.

Ich bedanke mich auch bei allen Referenten und Referentinnen für die disziplinierte Einhaltung der vorgegebenen Zeit. So sind wir genau im Zeitplan, damit auch jetzt in einer ersten Frage­runde die Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen zu Wort kommen. Ich bitte die Damen und Herren Referenten, doch anwesend zu bleiben. Ich meine, die eine oder andere Frage wird sicher an Sie gerichtet werden.

Zu Wort gemeldet hat sich unter anderem Frau Abgeordnete Zierler. Ich erteile es ihr.

Diskussion

12.29


Abgeordnete Theresia Zierler¦ (Freiheitliche): Frau Vorsitzende! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Referate, die wir zu diesem Thema gehört haben, sehr auf­schlussreich waren und dass eigentlich auch ein Tenor durchaus erkennbar war, nämlich wie wichtig die Institution des „Babynestes“ und auch die anonyme Geburt ist.

Angesichts der Situation in Österreich meine ich, dass wir voraussichtlich schon in nächster, in kürzester Zeit „Babynester“ haben werden. Es ist aber trotzdem notwendig, dass wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, um Strafen zu vermeiden, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass eine junge Frau, ein verzweifeltes Mädchen – wir haben gehört, dass es in den meisten Fällen sehr junge Mädchen sind – dieses „Babynest“ in Anspruch nimmt, wenn sie damit rechnen muss, nicht straffrei auszugehen. Das ist das eine, wie ich meine, wirklich sehr große Problem, das gelöst werden muss.

Das andere Problem – was wir auch jetzt im letzten Referat von Herrn Dr. Grünberger gehört haben – ist die Frage: Wie kann man das eigentlich in dieser Dimension auch bekannt machen? Das ist auch meine Frage an die Experten aus Deutschland, die die „Babyklappe“ in Betrieb haben. Da muss es eine wirklich sehr gute Zusammenarbeit mit den Medien gegeben haben.

Ich glaube, dass eine wirklich umfangreiche Information äußerst wichtig ist, denn man kann nicht davon ausgehen, dass ein junges Mädchen, das vielleicht nicht tagtäglich die Zeitungen liest, nicht tagtäglich eine Nachrichtensendung anschaut, auch diese Information bekommt. Diesbezüglich stellt sich für mich auch die Frage: Was haben Sie zusätzlich zu Ihrer Zeitungs­arbeit, zur Fernseharbeit gemacht, wie haben Sie eine breite Informationskampagne gestaltet?

Ich habe auch noch eine zweite Frage an die Experten – wir haben das auch intern des Öfteren diskutiert –: Es gibt ja sehr viele Frauen, die sich ein Kind wünschen, kein Kind bekommen können und dann vielleicht auf die Idee kommen, ein in einem „Babynest“ abgegebenes Kind ihr Eigen zu nennen. Welche Maßnahmen, welche Vorkehrungen kann man diesbezüglich tref­fen? – Danke.

12.31


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Gatterer. – Bitte.

12.31


Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦ (ÖVP): Frau Vorsitzende! Hohe Enquete-Mitglieder! Sehr geehrte Experten! Vorerst herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, die für uns recht interessant waren und die auch unsere Meinung widerspiegeln, dass das Leben vor allem anderen das Wichtigste ist und dass die Chance des Kindes zu überleben und die Chance auf ein gesun­des Leben in Wirklichkeit vor allen rechtlichen Fragen und Vorbehalten stehen müssen. Ich glaube, da ist es schon ein sehr guter Ansatz, dass wir überhaupt Rahmenbedingungen finden, dass wir einfach sagen: „Hilfe vor Strafe!“

Für mich interessant ist Folgendes: Man denkt, Findelkind, hinterlegtes Kind, das sei so weit weg, aber je mehr man nachdenkt, desto mehr muss man feststellen, dass es eigentlich von Anbeginn an Findelkinder gibt: sei es Moses, seien es Romulus und Remus oder sei es die Gretchenfrage. Das heißt, im Grunde genommen hat es diese Thematik immer gegeben. Es ist daher wirklich dringend notwendig, dass wir uns auch in der heutigen Zeit nicht nur überlegen, was wir von strafrechtlicher Seite her machen können, sondern dass wir wirklich Hilfe für die betroffenen Frauen anbieten.

Ich halte die Ausführungen von Herrn Dr. Moysich für ganz wichtig, denn die Festlegung, dass die Frauen straffrei bleiben, ist das Hauptargument dafür, dass vielleicht viel mehr Kinder abge­geben werden. Ich darf das aber noch einmal hinterfragen: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so ist mit der Einführung der „Babyklappe“ in Hamburg mehr oder weniger kein Ansteigen der Zahl der weggelegten Kinder zu verzeichnen gewesen. – Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Argument.

Zweitens möchte ich sagen: Je mehr man sich mit dem Thema befasst, umso mehr muss man erkennen – zumindest für unsere Fraktion gilt das –, dass es im Grunde nicht nur das Angebot eines „Babynestes“ oder einer „Babyklappe“ geben kann, sondern dass Hand in Hand damit die anonyme Geburt gehen sollte, der wir als Frauen doch eher der den Vorzug geben sollten, sei es – wie aus den Ausführungen hervorgegangen ist – zum Schutz des Kindes, der Gesundheit der Mutter, der Sicherheit; auch die rechtliche Seite würde einfacher zu lösen sein.

Wir haben heute auch eine exzellente Expertin hier, die sich, glaube ich, auf internationalem Gebiet sehr lange mit dieser Frage auseinander gesetzt hat, und ich möchte ihr die Frage stellen, welche Erfahrungswerte sie aus anderen Ländern kennt. Frau Professor Dr. Springer-Kremser ist ja in der Gesellschaft für Familienplanung tätig und hat daher auch internationale Erfahrungswerte. Ich bedanke mich auch dafür, dass sie bereit war, als Expertin zu kommen. Vielleicht kann sie für uns diese Seite noch stärker beleuchten, denn unsere Fraktion ist wirklich der Meinung, dass es beide Angebote geben soll.

Abschließend: Wie wir wissen, ist dieses Thema ja nur im Zusammenhang mit der Situation der Länder zu sehen, sowohl was die Kosten als auch die Umsetzung betrifft. Daher meine Bitte an die Experten: Vielleicht könnten wir diesen Zusammenhang noch näher beleuchten.

Für uns von der ÖVP ist klar – das möchte ich unterstreichen –, dass es natürlich Begleitmaß­nahmen, Prävention, dass es alle diese Schritte geben muss, dass es auch einen Notruf geben muss. Im Zusammenhang mit dem Notruf würde ich gerne die Experten aus Deutschland noch fragen, wie das mit dieser mobilen Hilfe gehandhabt wird. Wir sind auch draufgekommen, dass das notwendig ist, aber für uns war nicht klar, wie man es umsetzen kann.

Österreich hat sehr viele ländliche Regionen. In einer Stadt ist die Installierung einer anonymen „Babyklappe“ leichter umzusetzen, und wir werden auch versuchen, sie in allen Bundesländern zu installieren, aber wie ist das im ländlichen Bereich? Für eine junge Frau aus dem ländlichen Bereich, ohne Geld, die unter Umständen selber von ihrer Schwangerschaft nichts weiß und von der Geburt überrascht wird, ist es eine fast unüberwindbare Hürde, ihr Kind in die Stadt zu bringen und eben in der „Babyklappe“ abzugeben. Vielleicht kann mir dann irgendjemand diese Frage beantworten.

Ich glaube, wir müssen versuchen, einfache Lösungen zu finden – das ist immer das Schwie­rigste –, von denen die Frauen auch wissen, damit sie diese Hilfe, die wir ihnen anbieten, auch annehmen können.

12.36


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Professor Dr. Grünewald.

12.36


Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald¦ (Grüne): Vielen Dank. – Ich möchte versuchen, es mög­lichst kurz zu machen. Am Anfang sind Worte wie Priorität, Aktualität gefallen. Jetzt bezüg­lich Angemessenheit: Wenn fünf Personen in Not sind – 10, 20, 40 Weglegungen sind jährlich in Österreich üblich –, so ist das genügend Grund, dem Aufmerksamkeit zu schenken, Geld zu investieren und Zeit zu investieren. Allerdings: Angemessenheit von Parlamentarischen Enque­ten – das lässt mich schon ein bisschen grübeln. Es gibt derzeit so viele Probleme und Sorgen in der Gesellschaft, dass wir, wenn das angemessen ist, täglich zwei Enqueten parallel abhalten müssten. Man sollte das im Hinterkopf haben.

Es gibt wahrscheinlich eine relativ klare und schnelle Lösung. Mich würde es extrem wundern, wenn nicht alle vier im Parlament vertretenen Parteien dazu sofort ja sagen könnten. Die Frage ist nur: Was sind die juridischen Randbedingungen, was sind die Voraussetzungen? Was von dem, was juridisch gelöst werden kann, löst dann welche bürokratischen, organisatorischen et cetera pp. Probleme auf?

Das sollte nicht ins Lächerliche und Skurrile gehen. Ich habe mir gerade noch gedacht, ob nicht die Frage kommt: Wer tauft denn diese Kinder? Das hielte ich dann juridisch, bürokratisch, ge­sellschaftlich ... (Zwischenrufe.) Nein, ich warte nur noch darauf, dass solche skurrile Fragen auftauchen, um etwas zu verzögern.

Da alle ja sagen können, scheint mir ein Punkt doch noch wichtig zu sein: Auch wenn das Kind jetzt ganz im Zentrum der Debatte steht, darf man nicht vergessen, dass bei uns das Pferd immer wieder vom Schwanz aufgezäumt wird. Wenn man über Kunstfehler und Patientenrechte debattiert, dann ist im Vorfeld schon etwas passiert. Wenn ein Kind in der „Babyklappe“ landet – und das ist der fairere Ausdruck als „Babynest“, denn es ist euphemistisch, „Nest“ dazu zu sagen –, müssen wir uns fragen: Was ist da im Vorfeld passiert? Und: Darf sich die Politik aus diesem Vorfeld herausstehlen und dann nur mehr versuchen, sozusagen kosmetisch das Ärgste abzuwenden und etwas zu verbessern? Das heißt, auch darauf müssten einige Gedan­ken gerichtet werden.

Es sind auch einige Bemerkungen dahin gehend gefallen, dass ja nicht nur das Kind, sondern auch die Mutter mit schwerem Leid, Problemen und Sorgen behaftet ist. Ist da die medizi­nische Vor-, Für- und Nachsorge ausreichend? Was passiert mit ihr, in welcher Situation ist sie, und wie ist sie in diese Situation gekommen?

Auch wenn ich nach wie vor glaube, dass die „Babyklappe“ bei gutem Willen von allen vier Parteien schnell durchzusetzen ist – es gab sehr gute Vorschläge, einerseits von der Staatsan­waltschaft, ganz konkret auch von Höpfel, wie man das juridisch angehen kann –, meine ich doch, dass wir das Thema ein bisschen weiter fassen und uns davor einfach nicht drücken sollten. – Das war in etwa das Wesentliche.

12.39


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Frau Abgeordnete Prammer, bitte.

12.39


Abgeordnete Mag. Barbara Prammer¦ (SPÖ): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich bin auch sehr froh darüber, dass eine breite Palette an Experten-, Expertinnenmeinungen hier eingebracht wurde, und ich bin vor allen Dingen auch darüber sehr froh, dass nahezu bei allen Referentinnen und Referenten herausgeklungen ist, dass die „Babyklappe“, auch die ano­nyme Geburt als der letzte Zipfel umgesetzt werden müssen.

Ich möchte daran anschließen, was vor mir schon gesagt wurde. Die große Herausforderung ist es, zu erreichen, dass junge Mädchen gar nicht erst in diese Situation kommen. In erster Linie hat die Politik darüber zu diskutieren, welche Maßnahmen intensiviert gehören, auch immer wieder und aufs Neue intensiviert gehören, denn es gibt immer wieder junge Mädchen, das heißt, das erübrigt sich auch nicht im Laufe der Zeit, denn junge Mädchen werden älter und neue junge Mädchen kommen nach.

Das heißt, dass es auch eine große Herausforderung für die Schulen ist, sich intensiv darüber Gedanken zu machen, wie Aufklärung stattfinden kann, und zwar meines Erachtens nicht nur was die Schwangerschaftsverhütung betrifft, sondern das hat ja, wie wir mittlerweile auch alle wissen, sehr viele Zusammenhänge und Hintergründe.

Und letztendlich stellt sich auch die Frage: Wie kommen denn die Informationen zu den jungen Mädchen und Frauen? Da ist es meines Erachtens nach nicht nur wichtig, zu überlegen, wie die betroffene junge Frau erfahren kann, dass es eine „Babyklappe“ gibt, sondern es geht auch darum, wie es gelingen kann, die Einrichtungen und Angebote, die es gibt, überhaupt besser bekannt zu machen und besser nutzbar zu machen, um an das anzuschließen, was Professor Grünberger gesagt hat.

Das heißt, ich glaube, dass das Ganze auf der einen Seite schon auch weitgehend ein Kommu­nikationsproblem ist, auf der anderen Seite ist es natürlich auch wichtig, über Familienplanung, über Geburtenplanung, über Verhütung einen viel offeneren, breiteren Diskussionsprozess zu­zulassen und von der Politik her auch zu forcieren. Ich glaube, das wäre die wirkliche Hilfe­stellung für die jungen Frauen.

Ich möchte mich aber auf keinen Fall gegen die „Babyklappe“ stellen, vor allen Dingen auch nicht gegen die anonyme Geburt. Ich glaube auch, dass das eine wesentliche Hilfestellung sein kann, Kurzschlusshandlungen zu vermeiden.

Ich habe auch noch ein paar konkrete Fragen an unsere Expertinnen, etwa an Frau Dr. Wimmer-Puchinger, die sich ja seit Jahren – und das ist fast zu kurz gegriffen – mit diesem Thema beschäftigt: Wie werden denn die Risikogruppen der Mädchen von Ihnen eingeschätzt? Wo sind die Risikogruppen? Wer könnten denn die betroffenen Mädchen, betroffenen Frauen sein, die eine „Babyklappe“ und auch eine anonyme Geburt brauchen? Welche Auswege sehen Sie?

Ich bin auch sehr froh darüber, dass wir Frau Landesrätin Stöger unter uns haben, die sich ja schon klar geäußert hat, auch was die „Babyklappe“ betrifft. Frau Abgeordnete Gatterer hat auch erwähnt, wie notwendig es ist, die Kooperation mit den Ländern zustande zu bringen. Da­her auch meine Frage an Sie um Ihre Einschätzung der Umsetzung einer derartigen „Baby­klappe“.

12.43


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Burket.

12.43


Abgeordnete Ilse Burket¦ (Freiheitliche): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! In erster Linie ist man natürlich von diesem Thema emotional berührt, in zweiter Linie – nach den wirklich sehr umfangreichen Ausführungen der Experten – kommt man drauf, wie weitreichend dieses Thema ist. Das schätzt man im ersten Moment gar nicht ab. Man sieht die Situation: Eine Frau hat geboren, wohin mit dem Kind, jetzt egal, aus welcher Motivation heraus. Es ist einfach eine Lösung zu finden: Die „Babyklappe“ ist da.

Aber gerade das Stichwort „Mutter-Kind-Pass“ hat dann letztendlich in einem weiten Bogen der Ausführungen gezeigt, dass die Problematik eine sehr weitreichende ist, sowohl auf der mensch­li­chen, emotionalen Seite als auch auf der strafrechtlichen Seite und auch auf der Seite der Finanzierbarkeit. Wie weit geht diese Versorgung, und wo sind Grenzen zu setzen?

Vorrangig für mich persönlich ist, wie auch heute schon in dem Videofilm ausgeführt worden ist, dass es zu verhindern gilt, dass ein Säugling oder ein zu gebärendes Kind dadurch zu Schaden kommt, dass die Mutter im Moment nicht weiß, was sie tun soll. Dass dieses Leben zu schützen ist, hat absolute Priorität. Aber auch ich stehe dem Gedanken positiv gegenüber, dass man in allererster Linie versuchen sollte, diese Situationen überhaupt zu verhindern.

Es scheint mir auch à la longue gesehen die Möglichkeit der anonymen Geburt die wesentlich praktikablere zu sein, denn mir fällt es schwer, es als effektive Hilfestellung zu akzeptieren, dass eine Frau, die im 22. Bezirk wohnt, als einzige Möglichkeit dann die „Babyklappe“ im Wilhel­minen­spital hat. Das wird sich in der Realität ganz sicher nicht machen lassen. Sie wird diese Möglich­keit ganz einfach nicht annehmen können, und es wird dann doch zu solchen Vor­kommnis­sen kommen, die letztlich Auslöser dafür waren, dass wir uns hier versammelt haben.

Ich halte es auch für dringend notwendig, wie Kollege Grünewald schon gesagt hat, dass wir uns sehr schnell dazu entschließen, weiter zu gehen, wirklich alle Maßnahmen gemeinsam zu treffen, die österreichischen Gesetze so zu modifizieren, dass jene Institutionen, die bereit sind zu helfen, auch wirklich die Möglichkeit dazu haben, ohne Gefahr zu laufen, dass es letztendlich dann, wenn sich eine Situation geändert oder geklärt hat, doch möglich ist, dass aus den Helfern „Täter“ – unter Anführungszeichen – werden, weil die rechtliche Situation eben nicht klar ist.

Ich glaube auch, dass man die Hilfemöglichkeiten möglichst weit streuen muss, auch unter Ein­bindung der privaten Institutionen, die bereits vorhanden sind, und dass tatsächlich die effek­tivste Form der Hilfestellung die der anonymen Geburt ist. Alle – seien es Ambulanzen oder Spitäler – sollten den betroffenen Frauen die Möglichkeit geben zu kommen, ohne sich dekla­rieren zu müssen, ohne Erklärungen abgeben zu müssen, um dort ihr Kind zur Welt bringen zu können, und das möglichst stressfrei. Dann kann die Frau überlegen, ob sie ihr Kind dort lässt oder vielleicht doch mitnimmt. Sie hat die Möglichkeit, in diesen ersten zwei, drei Tagen, die eine Extremsituation darstellen, doch noch zu der Ansicht zu kommen, dass ihr ursprünglicher Entschluss, dieses Kind gleich dort zu lassen und dann wegzugehen, vielleicht doch nicht der beste war. Wenn sie dort im Spital schon Hilfe findet, wenn sie Menschen findet, die einen Weg, eine Lösung aufzeigen, kann verhindert werden, dass der Prozess in Gang gesetzt wird, dass das Kind zu Pflegeeltern kommt, adoptiert wird.

Die Adoption ist ein weiterer Punkt, der mich in diesem Zusammenhang sehr interessiert, weil in Österreich das Adoptionsrecht meines Erachtens ein äußerst renovierungsbedürftiges ist. Es muss die Möglichkeit geben, dass wesentlich schneller adoptiert werden kann. Es gibt so viele Eltern, die auf Kinder warten, und es gibt so viele Kinder, die eigentlich einen Platz bräuchten, wo sie versorgt sind und in Liebe angenommen sind. Das sollte möglichst Hand in Hand abge­handelt werden. Vom Eintreten der Situation bis dorthin, wo ein Kind dann wirklich gut versorgt ist und bei liebevollen Eltern ist, sollte man gemeinsam versuchen, Lösungen zu finden.

12.48


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steibl. – Bitte.

12.48


Abgeordnete Ridi Steibl¦ (ÖVP): Frau Vorsitzende! Werte Experten! Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zuerst einmal dafür, dass es wirklich machbar war, hier im Parlament partei­übergreifend diese Enquete zu veranstalten, und ich bedanke mich auch für die Ausführungen der Experten aus dem Nachbarland, die ja zum Großteil wirklich aufgezeigt haben, wie man das in der Praxis umsetzen kann, wenn es notwendig ist. Ich denke, dass Beratung und Vorsorge in diesem Bereich – wie Frau Kollegin Prammer auch gemeint hat – schon noch notwendig sind und nicht aufgegeben werden sollen, aber man muss jetzt einmal das Augenmerk auf diese leidige Notsituation lenken, die, wie sich ja zeigt, immer häufiger eintritt.

Es wurde auch immer wieder angesprochen, dass es eine Aufteilung der Zuständigkeit gibt. Einiges wird in Bundeskompetenz fallen, deswegen ist es auch notwendig, dass wir hier disku­tieren, weil die Gesetzgeber eben auf Bundesebene etwas regeln müssen, aber vieles fällt auch in die Länderkompetenz, jetzt nicht nur im Jugendwohlfahrtsbereich, sondern auch in der kon­kre­ten Umsetzung.

Dankenswerterweise ist nunmehr geplant, dass es in Wien als einem Bundesland eine „Baby­klappe“ und die anonyme Geburt geben soll. Ich bedanke mich bei Professor Grünberger, der das gut aufgezeigt und vorbereitet hat. Aber wie schon meine Kollegin Gatterer erwähnt hat, ist die Situation in den anderen Bundesländern ganz, ganz anders.

Wir in der Steiermark beschäftigen uns mit diesem Thema schon sehr lange, insbesondere Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic. Sie hat schon vor langer Zeit einen Antrag im Landtag eingebracht, der parteiübergreifend beschlossen wurde, und sie hat auch in Auftrag gegeben, noch bis Ende dieses Jahres beziehungsweise mit 2001 – und bis dahin ist nicht mehr sehr viel Zeit – ein ganz konkretes Projekt vorzustellen, das dann auch umgesetzt wird, damit in der Steiermark, die sehr viele ländliche Regionen hat, auch konkrete Hilfe angeboten werden kann. Die Frau Landeshauptmann hat die Caritas, insbesondere das Beratungszentrum für Schwan­gere mit Frau Gössler, Psychotherapeutin und Leiterin dieses Beratungszentrums, die als Ex­per­tin hier ist, damit beauftragt.

Ich habe an Frau Gössler ein paar Fragen, und zwar weil das auch immer wieder angespro­chen worden ist: Wie sehen die präventiven Maßnahmen bezüglich Kindesweglegung aus? Welche Begleitmaßnahmen sind notwendig? Ich denke da nur an die Aussage von Herrn Dr. Grün­berger, der sagte, dass ein Großteil dieser Babys nicht von der Mutter getötet wird und auch nicht sterben müsste, wenn es eine gute Begleitung gäbe.

Konkret wäre es interessant, etwas über den Projektstand zu hören. Speziell für die Steiermark, wo das Projekt jetzt wirklich umgesetzt werden soll, wäre das interessant, aber sicherlich auch für die übrigen Bundesländer.

Mich würde auch interessieren, inwieweit man wirklich österreichweit mit dieser telefonischen Absprache beziehungsweise mit diesem Notruf arbeiten könnte. Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Stormann – und ich hoffe, dass ich ihn richtig verstanden habe, denn es gibt da immer unterschiedliche Meinungen; ich bin Laie, keine Juristin –, dass er so klar formuliert hat, dass es eigentlich nicht wirklich ein großes Problem ist, in der nächsten Zeit gesetzliche Maßnahmen zu treffen, sondern vom Goodwill abhängt.

Auch die Expertin Dr. Brigitte Birnbaum möchte ich noch einmal dazu befragen, denn ich glaube, das ist der springende Punkt, auf Bundesebene etwas zu tun, damit die Länder dann vor Ort arbeiten können.

12.52


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Frau Abgeordnete.

Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Primaria Dr. Pittermann.

12.52


Abgeordnete Dr. Elisabeth Pittermann¦ (SPÖ): Frau Vorsitzende! Werte Expertinnen und Ex­perten! Meine Damen und Herren! Die Zusammensetzung dieser Enquete ist sehr interessant. Die Abgeordneten sind überwiegend weiblich, aber man sieht, in Gesellschaften, wo es um Macht und Geld geht, überwiegen die Männer. – Unter den Experten sind schon mehr Männer vertreten. Man hat auch von den „Rechten der Väter“ und von den „Pflichten der Mütter“ gespro­chen. Vielleicht nimmt man zur Kenntnis, dass Kinder nicht durch Jungfernzeugung oder durch Klonen entstehen, sondern dass beide gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben, und man sollte vielleicht auch daran denken, dass Männer Frauen auch nicht in Stich lassen dürfen, wenn sie schwanger sind, wodurch Frauen überhaupt in Notsituationen gebracht werden. Auch das sollte vielleicht einmal in die Judikatur eingearbeitet werden.

Sehr wichtig ist die Aufklärung der Jugendlichen und Frauen. Es gibt beispielsweise den „Sex­koffer“ in Schulen, obwohl ich mich frage, wie diese „Sexkoffer“ verwendet werden, ob es sie nur gibt oder ob sie als Unterrichtsmaterial auch herangezogen werden. Es ist sehr wichtig, dass beide Geschlechter alles erfahren, dass man die Verantwortung in einer Partnerschaft und für Kinder trägt und dass Sexualverkehr erst dann zu einem Kind führen soll, wenn man es möchte.

Besonders wichtig ist auch, dass die Aufklärung über Verhütungsmittel, vor allem über die Kon­dome, rechtzeitig stattfindet. Wir wissen, dass es sexuell übertragbare Erkrankungen gibt, jetzt abgesehen von HIV, die im späteren Leben auch für die Frauen zu sehr unangenehmen Folgen wie etwa Sterilität führen können. Es ist besonders wichtig, die Jugendlichen aufzuklären, und zwar bereits im Volksschulalter, vor Eintritt der Menarche, nicht erst danach, auch um zu lernen, nein zu sagen, wenn es zu sexuellen Handlungen an Kindern kommen könnte. Nur aufgeklärte Kinder können sich gegen sexuelle Handlungen auch wehren.

Ich möchte dich (in Richtung des Referenten Dr. Grünberger) in diesem Zusammenhang fragen: Hast du schon Erfahrungen mit Vikela, das ist ein neues Medikament? Wie schauen deine Erfahrungen aus? Es ist ja, ähnlich wie man das einst bei der Spirale gesagt hat, nicht nur als Verhütungsmittel, sondern eventuell auch als Abortivum zu bezeichnen. Wie weit ist die Zahl der durch den Mutter-Kind-Pass vorgeschriebenen Untersuchungen der Schwangeren zurück­gegangen, seit nicht mehr bezahlt wird? Die Kinderärzte klagen über einen starken Rückgang der Inanspruchnahme. Wie wird es ab 1. Jänner 2001 sein? Werden dann die jungen Mädchen eine Ambulanzgebühr zahlen müssen, oder werden sie in deiner Ambulanz von der Ambulanz­gebühr befreit sein?

Der Gesetzgeber hat ja wirklich immer die Schwangerschaft und die Geburtssituation als eine Ausnahmesituation anerkannt, weshalb etwa der Kindesmord – zumindest habe ich es in der Gerichtsmedizin noch so gelernt – unter einer geringeren Strafandrohung stand. Was kann man tun, um diese Ausnahmesituationen zu verhindern? Wie weit muss man die Umgebung aufklä­ren, dass sie sehenden Auges agiert, denn eine Schwangerschaft im 9. Monat, die von der Umgebung nicht wahrgenommen wird, ist schon sehr schwer erklärbar? Ich habe selbst solche Frauen gesehen, hatte selbst Patientinnen, die mit einem „unheilbaren Tumor“ kamen, während bereits die Geburt eingesetzt hatte.

Wie steht man dazu – es wird ja immer schwieriger für die Frauen mit der Unterhaltsbevor­schussung, vor allem dann, wenn sie keine Väter angeben, was ja manchmal auch passieren kann –, dass der Staat zur Bevorschussung und eventuell auch zur Übernahme bereit ist, auch wenn manchmal zu erwarten ist, dass die Väter nicht zurückzahlen oder im Gefängnis sind, denn der Staat kann es sich leichter zurückholen

Ich möchte auch noch an die unerquickliche Diskussion über das erhöhte Karenzgeld erinnern, das den Frauen nicht gewährt wurde, wenn sie die Väter nicht bekannt gegeben haben. Ich freue mich sehr, dass diese Fraktion jetzt bereit ist, den Frauen die anonyme Schwangerschaft beziehungsweise anonyme Geburt zuzugestehen. Ich erinnere mich noch an die Diskussionen, daran, dass ich wütend angefaucht wurde, es gehe um das Recht des Kindes, seine Herkunft zu kennen. Aus diesem Grund wolle man das nicht. Ich bin froh über diesen gesellschaftlichen Wandel.

Bei dem Fernsehfilm war sehr interessant, dass man noch immer von der genetischen und nicht von der sozialen Mutter als „echter“ Mutter spricht. Auch das ist aus gesellschaftlicher Sicht noch zu überlegen.

Meine Frage an die Juristen: Die Geburtsurkunde ist immer auf die genetischen Eltern oder nicht auch auf die Adoptionseltern ausgestellt? Ich glaube, dass die Adoptionseltern da schon auch eine Rolle spielen.

Unterschiebung eines Kindes. – Ich nehme an, dass das ja nur eine Straftat der Frau sein kann, die einen Mann als eventuellen Vater bezichtigt. Es ist ja auch wirklich möglich, dass man in manchen Fällen gar nicht wissen kann, wer der Vater sein kann, denn es ist ja nicht gesagt, dass man im fraglichen Zeitraum nur einen Mann näher gekannt hat. – Dieser Tatbestand gehörte auch gestrichen.

Ich möchte Frau Professor Wimmer-Puchinger fragen, wie sie sich das vorstellt mit der psycho­logischen Begleitung der Frauen in der anonymen Schwangerschaft. Ich halte das für ganz besonders wichtig, vor allem deshalb, weil es sich sehr oft um sehr junge Frauen handelt, die, wenn Schwangerschaft und Geburt ohne begleitende Hilfe ablaufen, für ihr Leben geschädigt sein können. Dem sollte man wirklich beikommen. Man soll ja die Frauen nicht bestrafen, sondern ihnen in dieser Situation die größtmögliche Hilfe von allen Seiten zukommen lassen. Das ist ganz besonders wichtig. Wir sollen weder Frauen noch Kinder als Sache sehen, denn es handelt sich dabei um Menschen, die der Staat, die die Politiker des Staates, die die Ärzte, die die Psychologen, die die Justiz schützen müssen.

Ich werde mich nie gegen die „Babyklappe“ aussprechen, ich glaube aber, dass es sinnvoller ist, dass man in jedem Spital oder in jedem öffentlichen Gebäude, wenn die Frauen die ano­nyme Schwangerschaft und Geburt nicht in Anspruch nehmen, durchaus ohne Strafe ein Kind in auffindbarer Nähe hinlegen kann, denn auch ich halte es eigentlich für fast undenkbar, dass man quer durch Wien ins Wilhelminenspital fährt. Überhaupt werden viele Frauen in dieser Situation gar nicht wissen, dass es die „Babyklappe“ gibt, denn es trifft ja Frauen, die verdrän­gen, verdrängen, verdrängen, die sich diese Information gar nicht verschaffen. Es muss breit propagiert werden, dass, wenn schon, das Kind dort aufgefunden werden kann und dass es auch nicht zu einer Strafe für die Mutter kommt.

Wie gesagt, auch uns ist es wichtig, dass jedes Kind gerettet wird, dass für die Zukunft jedes Kindes das Beste gewollt wird und man das Beste in Anspruch nimmt. Ich halte deshalb eine Adoption auch für wesentlich gescheiter als eine ewige Rechtsunsicherheit: Bleibt das Kind bei Pflegeeltern? Kommt es zurück? Also die Entscheidung, ob Adoption oder nicht Adoption, muss relativ rasch fallen. Nur: Das ist eine gesellschaftspolitische Debatte, und ich wünsche mir wirklich, dass man sie auch in diesem Sinne angeht.

Ich möchte Frau Dr. Stöger auch noch fragen, wie es in ihrem Bundesland mit Einrichtungen ausschaut. Und da sie Gynäkologin ist, nehme ich an, dass sie sich auch sehr damit auseinan­der setzt, wie man junge Mädchen aufklären kann, was man tun kann, um ungewollte Schwan­gerschaften zu verhüten. Ich möchte gerne wissen, wie diesbezüglich ihre Erfahrungen aus­sehen. – Danke.

13.01


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Ich bedanke mich und würde nun vorschlagen, dass wir die erste Fragerunde beenden. Es sind ja einige Anfragen an Experten und Expertin­nen gestellt worden, und ich würde diejenigen, die sich angesprochen gefühlt haben, um eine Antwort bitten. – Danke. (LAbg. Alessandra Kunz: Zur Geschäftsbehandlung! Es gibt noch Ex­pertInnen, die nicht zu Wort gekommen sind! Können sich die dann später noch melden?)

Dazu darf ich sagen: Das war jetzt die erste Runde, damit auch die PolitikerInnen zu Wort kommen konnten. Nach Abgabe der Stellungnahmen der Experten würde ich vorschlagen, in die Debatte einzugehen.

Ich möchte noch einmal das geschäftsordnungsmäßige Prozedere vorstellen, und zwar ist es so, dass sich dann jede Expertin, jede Politikerin zu Wort melden kann. Ich würde um die Dis­ziplin bitten, nicht mehr als zirka 5 Minuten in Anspruch zu nehmen, damit alle zu Wort kommen und Gedanken, Ideen und Erfahrungen austauschen können. – Danke.

Jetzt bitte ich Frau Professor Wimmer-Puchinger, das Wort zu ergreifen.

13.02


Professor Dr. Beate Wimmer-Puchinger¦ (Verbindungsstelle der Bundesländer): Ich werde mich bemühen, die komplexe Materie als Psychologin und Frauengesundheitswissenschafterin in ein paar Worte zusammenzufassen und die Fragen zu beantworten.

Ich möchte zunächst einmal sagen, dass meine Hoffnung hinsichtlich der heutigen Debatte, aber auch meine Hoffnung bezüglich der Ausführungen der Experten aus Hamburg, die mich ein bisschen optimistisch gestimmt haben, dahin geht, endlich – spät aber doch – ein Klima in diesem Lande zu erzeugen oder aufrechtzuerhalten, nämlich ein Klima der Toleranz und der Akzeptanz des Faktums, dass Schwangerschaft und Mutterschaft nicht nur gute Hoffnung be­deuten, sondern für einige Frauen eben auch wirklich ganz massive Probleme mit sich bringen, vor allem im Zusammenhang mit Teenager-Schwangerschaften.

Ich möchte hier Ergebnisse des Alan-Guttmacher-Instituts präsentieren, die zeigen, dass ein Drittel der schwangeren Teenager und jungen Mütter von Anfang an bis nach der Geburt mit niemandem über dieses Problem gesprochen haben – ich glaube, Sie haben das auch erwähnt – und dass das mit einem hohen Risiko an Suizid und Kindestötung verbunden ist. Das zeigen alle Studien.

Ich möchte ein zweites Ergebnis zeigen, nämlich dass 83 Prozent aller Teenager-Mütter aus eher sehr belastetem sozialem Milieu stammen, aus sehr deprimierenden Verhältnissen kom­men. Daher ist es wichtig, das zu akzeptieren, das zu sehen.

Bevor wir nun das Land mit ganz vielen „Babyklappen“ übersäen, würde ich als Expertin es lieber sehen – da würde ich mich gerne den Äußerungen der Richterin Smutny anschließen –, dass wir mehr in Sexualpädagogik investieren. Das ist eine wichtige Chance für soziales Lernen. Das ist nicht wirklich flächendeckend, hier besteht sehr viel Nachholbedarf.

Ich möchte auch Ergebnisse aus eigenen Studien in Österreich erwähnen. Daraus geht hervor, dass wir am Land weniger Wissen haben als in der Stadt und dass vor allem Jugendliche, und hier vor allem Burschen und junge Männer vom Polytechnikum, von Hauptschulen, generell ein sehr geringes Wissen über die Fertilität der Frau, über Empfängnisverhütung haben. Es wäre daher unbedingt wichtig – und das würde ich vorschlagen –, diese Wissensvermittlung als flan­kierende Maßnahme zu setzen.

Weitere wichtige Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien belegen, dass eine Risikogruppe jene Frauen sind, die sich auf Grund von Sprachbarrieren nicht in diesem Gesundheitssystem orientieren können. Als Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Familienpla­nung möchte ich sagen, dass wir vom Familienministerium immer wieder gefordert haben, dass es wichtig wäre, auch Broschüren über Empfängnisverhütung in mehreren Sprachen aufzu­legen, was derzeit nicht der Fall ist.

Als dritte flankierende Maßnahme fände ich es wichtig, eine Intensivierung der Vernetzung der an sich guten und gut funktionierenden psychosozialen Einrichtungen vorzunehmen.

Die psychologische Begleitung einer anonymen Schwangerschaft muss niederschwellig organi­siert sein und ist sicher am ehesten zu gewährleisten zum Beispiel im Rahmen von First-Love-Beratungen oder im Rahmen von Frauenberatungsstellen in Österreich. Ich glaube, das wäre eine von Frauen sehr leicht erreichbare und gut akzeptierte Maßnahme.

Generell meine ich, dass der Ausbau von Internetberatung speziell für Kids eine wichtige Maß­nahme wäre, wie überhaupt generell ein Ausbau von Öffentlichkeitsarbeit über Einrichtungen speziell für Jugendliche. Diese Einrichtungen sollten so gestaltet werden – was, glaube ich, noch nicht der Fall ist –, dass sie auch von Burschen und jungen Männern gut angenommen werden können.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass wir auf Grund der Zahlen, die auch im Alan-Gutt­macher-Institut publiziert sind, drei Tendenzen in Österreich erkennen können:

Die Zahl der Teenager-Schwangerschaften in Österreich ist in den letzten 15 Jahren um 75 Pro­zent gesunken. Das heißt, Panik ist nicht angebracht.

Das Lernen von Empfängnisverhütung bei jungen Mädchen und auch jungen Burschen – da allerdings weniger – ist in den letzten 15 Jahren gestiegen. Auf Grund der letzten Studien, die wir gemacht haben, nehmen 75 Prozent der Jugendlichen im Alter von 16, 17 Jahren beim ersten Mal Kondome und wechseln dann zu den Pillen. Aber dennoch bleibt sehr viel zu tun, denn immerhin ein Viertel verhütet nicht. Hier ist, wie gesagt, Handlungsbedarf an den Schulen gegeben.

Und eine letzte Tendenz möchte ich hier auch noch erwähnen: Auf Grund von Zahlen können wir sehen – das deckt sich mit internationalen Studien –, dass die Zahl der Schwangerschafts­abbrüche bei Jugendlichen – obwohl Sie, Herr Professor Grünberger, gesagt haben, dass die Zahl gestiegen sei – in den letzten zehn Jahren stabil ist und unter 10 Prozent liegt. – Danke.

13.08


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Frau Professor.

Als Nächste würde ich Frau Professor Dr. Springer-Kremser um eine Antwort bitten.

13.08


Universitätsprofessorin Dr. Marianne Springer-Kremser¦ (Österreichische Gesellschaft für Familienplanung): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner Funktion als Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung kann ich Ihnen zwei Informationsquellen zur Verfügung stellen, und aus diesen berichte ich jetzt.

Die erste ist eine Publikation des französischen Senats zur Accouchement, dit Sous X, wie es in Frankreich bereits seit dem Jahr 1941 besteht. Also wir brauchen nicht das Rad neu zu erfin­den. Es gibt unglaublich viel Erfahrung damit. Und zwar hat das Vichy-Regime 1941 die ano­nyme Geburt gesetzlich verankert. Später dann wurde die Gesetzeslage weiter ausgebaut und verändert. 1958 zum Beispiel, ebenso 1966. Damals wurde das Adoptionsrecht verändert. Die Franzosen nennen das die „erweiterte Adoption“. 1993 wurde die anonyme Geburt im Code Civil – das haben wir heute schon von Herrn Stormann gehört – verankert. 1996 wurde eine Regelung dahin gehend getroffen, dass von Seiten der Mutter die Anonymität jederzeit aufge­hoben werden kann – von Seiten der Mutter, das ist ganz interessant.

Jetzt möchte ich Ihnen – um aus meiner zweiten Informationsquelle zu berichten – kurz einige Untersuchungsergebnisse übermitteln. Sie stammen aus einer Studie, die zwischen 1989 und 1993 durchgeführt wurde und 557 Kinder betrifft.

Zuerst: Wer sind die Frauen? – Und da, glaube ich, ist es ganz wichtig, mit einer Mythologie, die heute durch diesen Raum geistert, aufzuräumen: Es sind nicht die Jugendlichen! Das Durch­schnittsalter beträgt 25 Jahre.

Die Mehrheit der Frauen sind Singles. 20 Prozent kamen aus Frankreich, etliche auch aus den Antillen, dann aus der zweiten Generation der maghrebinischen Migranten, aus Lateinamerika, aus dem Rest von Europa.

10 Prozent dieser Frauen waren Heimkinder, das heißt, sie hatten selbst eine Karriere als Heimkinder hinter sich, 19 Prozent waren Studentinnen, 50 Prozent waren arbeitslos und etwa 10 Prozent waren gravid als Folge von Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch.

Zu den Schwängerern: Die Mehrzahl der Schwängerer – also mehr als die Hälfte – hat die Frauen verlassen, nachdem sie über die Schwangerschaft informiert wurden. Eine große Zahl von Frauen wiederum hat auch – ohne Wissen noch um die Schwangerschaft – diese Bezie­hung abgebrochen, und die Schwängerer sind verschwunden.

Zu den Kindern: Ein gewisser Prozentsatz der Kinder war seropositiv, Syphilis, ein gewisser Prozentsatz der Kinder war AIDS-infiziert.

Noch ein paar Punkte zum Schicksal der Kinder: Über 50 Prozent wurden adoptiert, ungefähr 1 Prozent wurde nach einem bestimmten Zeitpunkt von den biologischen Müttern wieder zu sich genommen. Immerhin!

Ganz wichtig ist, dass in Frankreich diese Maßnahme ab einem bestimmten Zeitpunkt – das war 1989 – beforscht, wissenschaftlich begleitet wurde. Es waren vorwiegend Psychoanalytike­rinnen involviert, so etwa Francoise Dolto, die ja auch Kinderärztin war; sie ist leider schon ver­storben. Diese waren Mitglied eines multidisziplinären Teams, einer multidisziplinären Arbeits­gruppe, und ich bin der Meinung – im Anschluss auch an das, was Beate gesagt hat –, dass es ganz wichtig ist, dass auch hier in Österreich, wenn eine derartige Einrichtung wie die anonyme Geburt etabliert wird, ein multiprofessionelles Team diese Einrichtung mitberät, betreut und so weiter.

Ich habe noch einen Punkt, und der schließt an das sehr interessante Referat von Herrn Pro­fessor Höpfel an. Es ist ganz wichtig, dass die anonym Schwangeren und Gebärenden auch einen besonderen Schutz im medizinischen System genießen. Mit der durchschnittlichen Para­noia einer Ordinaria in der Medizin befürchte ich, dass – na, wollen wir sagen – wissenschaft­liche Untersuchungen diese Personen als Zielgruppe nehmen.

Denn wenn Sie sich erinnern – und das werden Sie sicher wissen –: Eine Geburt im Gebärhaus war an sich schon eine Strafe und in sehr vielen Fällen ein Todesurteil für die Frau. Das war nichts so besonders Klasses, denn Frauen, die im Gebärhaus geboren haben, wurden von jenen Ärzten betreut, die aus der Pathologie kamen. Bevor Semmelweis die Entdeckung machte, dass eine Infektion, das Kindbettfieber nämlich, über diesen Weg gekommen ist, waren das die Opfer dieser Infektion. Das heißt, die meisten Frauen, die „armen Dienstmädchen“ – unter Anführungszeichen –, die in Wien ihre Kinder geboren haben, haben dies an der Mauer des AKH heraußen getan, damit sie nicht ins Gebärhaus müssen, damit sie nicht an Kindbett­fieber sterben.

Dies nur noch als Aufhänger dafür, dass ich der Meinung bin, dass grundsätzlich ein beson­derer Schutz für diese Frauen notwendig ist.

Ich kann aus meiner Funktion als Leiterin der psychosomatischen Frauenambulanz, wenn es notwendig ist, später noch andere Fragen beantworten. – Danke.

13.15


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Frau Professor Dr. Springer-Kremser. Bei Ihren Schilderungen bekommt man heute noch wirklich die Gänsehaut.

Als nächste Referentin wurde Frau Landesrätin Dr. Stöger angesprochen. – Bitte.

13.16


Landesrätin Dr. Silvia Stöger¦ (Oberösterreich): Als Frauenärztin möchte ich mich einmal ganz klar in erster Linie für die anonyme Geburt aussprechen. Wir haben in Oberösterreich ja auch schon die ersten Standorte gefunden.

Für mich zeugt es nicht gerade von Wertschätzung gegenüber schwangeren Frauen und deren Kinder, wenn wir in der heutigen Zeit eine „Babyklappe“ einrichten müssen. Und das ist auch meine größte Kritik: dass wir damit im Jahre 2000 eigentlich eine Bankrotterklärung abgeben.

Interessant ist nämlich, dass vor allem Frauen aus sehr rigiden und sexualfeindlichen Gesell­schaften – also Migrantinnen – speziell Probleme haben, wenn eine ungewollte Schwanger­schaft eintritt. Wir brauchen es nicht als Kompliment zu nehmen, dass wir in Österreich derzeit in dieselbe Situation hineinkommen.

Ich glaube, einziger Ausweg ist wirklich, dass wir wiederum die Sexualaufklärung und die Sexualerziehung liberalisieren und dass wir Hilfen anbieten, bevor es zur Katastrophe kommt. Denn genau das ist eine ungewollte Schwangerschaft für ein junges Mädchen, und jeder, der diese Frauen einmal betreut hat, weiß das auch ganz genau.

Ich habe deshalb in Oberösterreich – um einmal wieder eine Wertschätzung für Mutter und Kind auszusprechen – ganz klar gefordert, dass wieder ein Bonus für den Mutter-Kind-Pass einge­führt wird, damit wir gesellschaftlich wieder zeigen, was wir für unsere Mütter und Kinder tun wollen.

Auf der anderen Seite habe ich versucht, bei den Schulen anzusetzen. Oberösterreich ist leider nicht in der glücklichen Lage, dieselbe Zahl an ungewollten Schwangerschaften bei Mädchen unter 14 Jahren wie Wien zu haben – das wird vielleicht an unserer etwas konservativen Gesell­schaft liegen –, und es ist nicht in der glücklichen Lage, praktisch so viel Aufklärung in die Schulen zu bringen. Deshalb bin ich mit dem Programm angetreten, dass wir das wieder auf­bauen.

Weiters bin ich nach wie vor dafür, dass junge Mädchen kostenlos die Pille erhalten sollen. Wir haben diese Einrichtung schon besessen, sie ist inzwischen wieder Vergangenheit. Ich glaube auch, dass es höchste Zeit wäre, die „Pille danach“ in den Schulen einzuführen, weil das neue Präparat praktisch keine gesundheitlichen Risken mehr mit sich bringt. Man könnte Vertrauens­lehrerinnen finden, die das verteilen können. Unsere Gesellschaft weigert sich nämlich, alle diese Verhütungsmittel den jungen Mädchen anzubieten. Teilweise werden sie in Apotheken falsch informiert und kommen gar nicht an das Präparat heran, zumindest nicht in der kurzen Zeit, innerhalb der das Präparat eingenommen werden muss.

Ich glaube also, wir sollten auf dieser Schiene mehr arbeiten und mehr tun und uns nicht im Jahre 2000 daran erinnern, welche Institutionen einmal von Maria-Theresia und Joseph einge­führt wurden. – Ich danke Ihnen.

13.19


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Ich bedanke mich.

Als Nächste angesprochen wurde laut der mir vorliegenden Liste Frau Birnbaum.

13.19


Rechtsanwältin Dr. Brigitte Birnbaum¦: Ich darf von der Ideo­logie zum Recht zurückkehren. Ich kann eigentlich den Worten von Herrn Dr. Stormann kaum etwas hinzufügen. Ich glaube, dass es nur marginaler rechtlicher Anpassungen bedarf, vor allem im Krankenanstaltengesetz, um diese Dinge – anonyme Geburt und „Babyklappe“; wobei Ersteres sicher das Bedeutungsvollere ist – auch tatsächlich zu installieren.

Aber auch im Strafrecht wird es kaum Probleme geben. Es bedarf einer kleinen Änderung des § 197 beziehungsweise wird man sich dann, wenn es diese Einrichtungen gibt und die Bestim­mungen vielleicht noch nicht geändert sind, auf § 42 berufen. – Danke.

13.20


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke.

Als nächstem Experten erteile ich Herrn Professor Dr. Grünberger das Wort.

13.20


Referent Universitätsprofessor Primar Dr. Werner Grünberger¦ (Krankenanstalt Rudolf­stif­tung, First Love Ambulanz): Ich möchte antworten auf die Anfragen der Frau Nationalratsab­ge­ordneten Primaria Dr. Pittermann und auch auf den Kommentar der Frau Professor Wimmer-Puchinger.

Erstens einmal war es sehr wichtig, dass sie erwähnt hat, dass man das Internet in die Aufklä­rung einbauen sollte. Wir sind alle schon uralt gegenüber denjenigen, die gefährdet sind, und die sind viel mehr im Internet als wir. (Zwischenbemerkungen von Frau Professor Wimmer-Puchinger und Frau Univ.-Prof. Dr. Springer-Kremser.) Ja, noch mehr.


Vorsitzende Mag. Gisela Wurm¦: Ich würde bitten, diese Diskussion abzukürzen. Herr Pro­fessor Dr. Grünberger ist am Wort. – Danke.


Referent Universitätsprofessor Primar Dr. Werner Grünberger¦ (fortsetzend): Also ich war immer der Meinung, dass Politikerinnen und Politiker gemeinsam mit Journalisten die Meinung eines Vol­kes innerhalb eines halben Jahres umdrehen können. Vielleicht nützen wir das jetzt, um das Volk darauf hinzuweisen, dass es das im Internet gibt. Denn nur davon, dass es drinnen ist, haben wir nichts. Machen wir also etwas Werbung dafür. Für meine Spezialambulanz wäre das: www.firstlove.at. Da gab es immerhin 380 000 Abfragen innerhalb der letzten Jahre. Also man sieht, wie gesurft wird. Auch wenn man jene weglässt, die nur wegen Sex hineinschauen, blei­ben doch einige übrig, die etwas dabei lernen.

Zur Verhütung: Es freut mich und es ist schon richtig, dass auf Grund der Aufklärung die Sech­zehn- und Siebzehnjährigen zu 50 Prozent jetzt mit Kondom verhüten, aber der Sonderdruck, den ich verteilt habe, enthält Tatsachen über 1 100 Teenager pro Jahr – insgesamt jetzt an die 8 000 –: Die Vierzehn- und Fünfzehnjährigen haben den ersten sexuellen Kontakt ungeschützt. Und das ist der Wahnsinn! Denn das sind die ganz Jungen, und da passiert sehr viel dabei!

Frau Abgeordnete Pittermann hat „Vikela“ angesprochen, das ist die emergency contraception, die es schon seit 20 Jahren gibt, also die „Pille danach“, wobei bisher eine Pille auf dem Markt war – in Deutschland, nicht in Österreich –, bei der ein Östrogen und Gestagen, also die zwei Sexualsteroide, gemischt waren, was sehr viel Übelkeit und sehr viele Nebenwirkungen be­wirkte. Dieses neue Produkt ist jetzt endlich auch zugelassen als „Pille danach“. Das heißt ja noch lange nicht, dass es vorher zu einer Kontrazeption kam, sondern es kommt zu einer Ver­änderung des Gesamtorganismus, des Cervixschleims, des Eierstocks, sodass es gar nicht zur Ovulation kommt, also eine Konzeption gar nicht stattfindet. Dieses Präparat ist verträglicher, trotzdem hat es reichlich Nebenwirkungen und ist sicherlich nicht zur Verhütung an sich gedacht; darum heißt es ja „emergency contraception“. Also es sollte nur im Notfall verwendet werden.

Paradebeispiel sind jene Jugendlichen, die zu uns kommen – das sind im Rahmen einer First-Love-Ambulanz von 2 Uhr bis 9 Uhr am Abend immerhin um die zehn und am Wochenende fünfzehn; da kommen die älteren in die Normalambulanz –, und deren Hauptargument ist: Das Kondom ist geplatzt. Also ich glaube nicht, dass in den letzten drei Monaten mehr Kondome geplatzt sind als früher. Das hat sich halt herumgesprochen, dass das ein Argument ist, um das Rezept zu bekommen.

Ich gebe zu, dass die Rezeptnotwendigkeit ein Problem für das Ganze ist, kann aber nicht akzeptieren, dass, wie in einigen Ländern, das Präparat in Apotheken verteilt werden kann. Wir haben erst unlängst ein Symposium darüber gehabt, und am 11.11. um 11.11 Uhr – damit man es sich merkt – haben wir in Salzburg im Renaissancehotel das nächste, wo wir von unserem Arbeitskreis, aber auch die Fachleute die Verteilung dieses Präparats praktisch anstelle des Kondoms und anstelle der Pille ablehnen werden. Es muss eine ärztliche Untersuchung vorge­nommen werden; nicht damit die Ärzte etwas dabei verdienen, sondern damit die junge Frau beraten werden kann. Wenn sie beraten ist, haben wir nichts dagegen, dass jede ein solches Präparat zu Hause im Nachtkastl hat, damit sie es, wenn „emergency“ besteht, verwenden kann. Aber dass eine Jugendliche ohne Aufklärung, ohne ärztliches, ohne psychologisches Ge­spräch das Präparat bekommt, das lehnen wir ab.

Zur Mutter-Kind-Pass-Untersuchung: Diese ist unterschiedlich je Bundesland zurückgegangen, bis zu 25 Prozent. Angeblich ist im Burgenland der Rückgang am stärksten.

Zur Ambulanzgebühr ab 2001: Wir sind in der glücklichen Lage, dass ja auch bisher die Mäd­chen teilweise anonym kommen. Es ist ein für mich tolles Phänomen, dass erstens einmal immer mehr Virgines kommen, also Jungfrauen – der Anteil ist jetzt fast ein Drittel, am Anfang betrug er 10 Prozent –, dass die Mütter diese Einrichtung immer mehr und mehr akzeptieren, dass sie teilweise mitkommen, dass sie den Krankenschein mitgeben. Also letztendlich wird das dann wieder billiger; am Anfang ist es natürlich teurer.

Ich bin 15 Jahre gereist und habe immer gesagt, man muss die Mütter aufklären, man muss die Lehrer aufklären, denn da kam irgendetwas mit „Sexkoffer“ und so weiter. Ich bin davon abge­rückt, denn die Mädchen sitzen in der Schule und hören es sich nicht an. Sie lesen „Bravo“ ver­steckt unter der Bank oder sonst etwas, weil sie im Moment keinen Partner haben. Und am Samstag ist das Saturday-Night-Fever, und es passiert – wie ein Schlag mit dem Hammer. Und dann ist es so weit. Die Mädchen müssen so weit gebracht werden, dass sie sich zurückhal­ten – wie wir schon gehört haben –, dass sie auch nein sagen können.

Wenn man immer sagt, gerade um die Mädchen aus jenen Familien, die nicht intakt sind, müssen wir uns kümmern: Aus meiner Erfahrung heraus stimmt auch das nicht. Gerade die Töchter, die ein besonders gutes Verhältnis zur Mutter haben, sagen der Mutter nicht, dass sie einen Freund haben und mit dem womöglich ins Bett gehen. Denn sie spüren irgendwie, dass die Mutter glaubt, in ihrem Herzen sei nur Platz für die Mama, und jetzt kommt da ein Wild­fremder, den die Mutter gar nicht kennt, und wenn sie ihr das sagen, dann tun sie ihr weh. Und daher sagen sie es ihr nicht. Das ist ein Phänomen, aber glauben Sie mir, das ist so. Gerade deshalb sagen sie es nicht, und deshalb bekommen sie natürlich auch keinen Krankenschein, können nicht zum Arzt gehen und bekommen keine Pille.

Die Ambulanzgebühr werden wir natürlich auch 2001 nicht einheben, weil die Ambulanz von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, von der Gemeinde Wien, von der Rudolfstif­tung gemietet ist. Die Mädchen haben vorher nichts gezahlt und zahlen auch in Zukunft nichts.

Dass viele die Schwangerschaft bis zur Geburt nicht erkennen: „Viele“ ist übertrieben, aber es gibt halt solche Fälle. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Fristenlösung etwas ist, was von allen akzeptiert ist, aber es gibt eben auch Frauen, vor allem junge, die bis zum vierten, fünften, sechsten Monat jeden Monat einmal eine Blutung haben und daher die Schwangerschaft nicht erkennen. Und diesen kann nur durch eine anonyme Geburt, durch die Erleichterung der Adoption – ich wiederhole das noch einmal – und durch die Politiker und die Medien geholfen werden, indem sie bewusst machen, dass ein Kind zur Adoption freizugeben keine Schande mehr sein sollte. Das ist wichtig, glaube ich. Damit kann es geändert werden.

13.27


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Herr Professor.

Anfragen sind auch an Herrn Dr. Stormann gerichtet worden.

13.27


Referent Leitender Staatsanwalt Dr. Michael Stormann¦ (Bundesministerium für Justiz): Es ist eine ganz Liste in Streulage. Ich werde sie nicht namensmäßig zuordnen.

Zunächst einmal Unterhaltsvorschuss: Der Staat, der Bund bevorschusst Unterhalt. Unterhalt kann nur dann bevorschusst werden, wenn es einen solchen Anspruch gibt. Und damit es einen Anspruch gibt, muss es einen Zahlungspflichtigen geben. Das heißt, steht die Vaterschaft nicht fest, dann gibt es keinen Unterhaltsanspruch, es sei denn gegen die Großeltern. Das wird häufig kontraindiziert werden, weil natürlich die Mütter verhindern möchten, dass ihre eigenen Eltern zur Kasse gebeten werden, denn gegen die richtet es sich primär, wenn die Vaterschaft nicht feststeht.

Aber das ist nicht anders machbar. Würde der Staat, der Bund Unterhaltsvorschuss für alle Kin­der gewähren, dann würde er in Bereiche der Sozialhilfe eindringen. Und das ist Ländersache. Das heißt, hier hat der Bundesgesetzgeber keine Kompetenzgrundlage. Das Unterhaltsvor­schussgesetz schöpft die Bundeskompetenz bis an den äußersten Rand aus.

Zweite Frage: Was steht in der Geburtsurkunde? Darf ich es vielleicht etwas von vorne aufzäu­men: Im Geburtseintrag stehen natürlich jene Personen, die zum Zeitpunkt der Geburt des Kin­des Eltern sind oder als solche angesehen werden, also beim unehelichen Kind die Mutter, bei einem französischen unehelichen Kind niemand bis zum Anerkennungsvorgang, wie ich Ihnen schon erzählt habe, bei einem ehelichen Kind die Mutter und der Vater. Wird das Kind adoptiert oder ändert sich in der Vaterschaftsfeststellung etwas, so wird das am Rand des Geburts­eintrages in das Geburtenbuch hineingeschrieben.

In einer Geburtsurkunde wird immer nur der aktuelle Stand ausgeworfen, also etwa die Adop­tiveltern, der Vater, der vor kurzem die Vaterschaft zum unehelichen Kind anerkannt hat. Das ist alles klar. Einziger Haken – und das ist auch der Grund, warum Adoptiveltern gut beraten wären, die Adoption vor dem Kind nicht zu verschweigen –: Zum Heiraten braucht man eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch. Der Grund ist der, dass die „bösartigen“ Erfinder des Personenstandsrechts – von denen einer hier sitzt – dafür gesorgt haben, dass Eheschlie­ßungen im Geburtenbuch vermerkt werden, damit die Bigamisten nicht so zahlreich werden. Somit braucht man diese beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch, weil da die Eheschlie­ßungen drinnen stehen und der Standesbeamte nachvollziehen kann, ob die betreffende Person ledig oder ob sie geschieden ist; da müssen dann die Eheschließungen durch Schei­dungsentscheidungen belegt werden.

In diesem Zusammenhang tritt für manche Adoptivkinder geradezu schockartig das Erlebnis ein, dass sie eben Adoptivkinder sind. Insofern sind Adoptiveltern gut beraten, die Adoption nicht zu verschweigen. Da muss man schon vorsichtig sein. Ich weiß auch aus Kreisen der Standesämter, dass es ungefähr ein- bis zweimal jährlich vorkommt, dass Personen um eine Eheschließung einkommen, die nach den im Geburtenbuch vorhandenen Aufzeichnungen blutsverwandt sind und daher nicht heiraten können. Daher ist es sehr wichtig, einen entspre­chenden Bezug herzustellen.

Nächste Frage: Erleichterung der Adoption. Diese Frage kommt immer wieder. Bei den Findel­kindern ist der Adoptionsvorgang folgender: Der Jugendwohlfahrtsträger sucht Adoptiveltern, und wenn er davon überzeugt ist, dass diese Adoptiveltern geeignet sind – und bitte, das ist der Punkt, der Zeit kosten könnte –, dann übermittelt er ein Konvolut von Papieren an das Pfleg­schaftsgericht: einen Antrag auf Genehmigung der Adoption, einen Adoptionsvertrag und einen Bericht des Jugendwohlfahrtsträgers über die Eignung der Adoptiveltern. Das Gericht oder der Jugendwohlfahrtsträger holt dann sinnvollerweise noch entsprechendes Material über die Adop­tiveltern ein, wie etwa Leumundszeugnis oder Strafregisterauskunft.

Bei Gericht – jetzt plaudere ich sicherlich aus der Schule – liegt ein solcher Akt als nicht beson­ders dringlicher Fall – das muss man auch sagen; es gibt wesentlich dringlichere Fälle – die normale Zeit lang, bis er erledigt wird. Ich würde annehmen, dass vom Einlangen des Antrages bis zum rechtskräftigen Abschluss der Adoption in etwa eine Zeit von maximal ein bis eineinhalb Monaten anzusetzen ist.

Wo im Adoptivsektor sozusagen das Problem liegt, ist die Frage des Erkenntnisses des Jugendwohlfahrtsträgers, die Frage: Passen diese Menschen wirklich zusammen? Bitte berück­sichtigen Sie, dass es ja mitunter auch um Kinder aus problematischen Verhältnissen, mit pro­blematischem Gesundheitszustand geht und dass nicht alle Adoptiveltern, die auf den ersten Blick sozial geeignet erscheinen, sich dann, wenn sie das Kind in faktische Pflege übernommen haben, auch als geeignete Adoptiveltern herausstellen.

Ich glaube, dass meine Kollegin aus dem Jugendamt der Stadt Wien, die in der Adoptionsver­mittlung tätig ist, hier wesentlich besser aus der Schule plaudern kann als ich, als einer, der das eher nur vom Hörensagen kennt.

Ich denke, da liegt eher das Problem. Wir haben hier ein großes Forum von Politikern vor uns, und ich nehme an, dass Sie alle in ganz massiver Weise mit dem Wunsch zahlreicher Men­schen nach Erleichterung der Adoption konfrontiert werden. Das ist sicherlich ein starker Wunsch der Bevölkerung, aber der Wunsch läuft vor allem darauf hinaus, dass es mehr Adop­tivkinder geben möge, die zur Verfügung stehen.

Die Bevölkerung hat die übliche Vorstellung, dass es Heime gibt, die vor lauter Kindern über­gehen und dass es irgendwelche bösartigen Menschen in der Administration gibt, die verhin­dern, dass diese Kinder zur Adoption freigegeben werden. – Das ist völlige Illusion! Es gibt ge­waltige Warteschlangen bei den Adoptionsvermittlungsstellen und zu wenig Kinder, sodass wir natürlich sagen müssen: Das Institut, über das wir hier diskutieren, muss auch die Eignung haben, den Adoptionskindermarkt ein wenig zu entlasten. Ich möchte aber dieses Argument nur ganz kurz verwenden und dann schon schweigen, weil ich glaube, es zu lange auszuwalzen, wäre schon Zynismus. Es soll eine Hilfseinrichtung sein und nicht eine Adoptionskinderbe­schaffungsmaschine. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.

Noch eine kleine Bemerkung zu der Sorge, die Frau Professor Springer-Kremser geäußert hat, nämlich dass an den Gruppen von gebärenden Frauen spezielle Forschungsvorhaben aus medizinischer Sicht durchgeführt werden. – Diesbezüglich kann ich beruhigen. Ich bin ad per­sonam vom Leitungskomitee des Europarates für Bioethik für jene Arbeitsgruppe namhaft ge­macht worden, die sich mit der Ausarbeitung internationaler Instrumente auf dem Gebiet der medizinischen Forschung von Menschen befasst. Und wir haben genau diese Materie als Problembereich ausgemacht und werden in dem internationalen Instrument auch in entspre­chender Weise zum Ausdruck bringen, dass medizinische Forschung unter Einbeziehung so genannter vulnerable groups nur dann zulässig sein soll, wenn diese Einbeziehung sich speziell auf diese Gruppierung bezieht, das heißt, wenn man diese Forschung so gezielt machen muss, um ganz speziell eine in die­sen Gruppen vorkommende Erkrankungsart besonders in den Griff zu bekommen. Aber es soll – vereinfacht ausgedrückt – nicht möglich sein, dies quasi als ver­ein­fachte Beschaf­fung von menschlichen Versuchskaninchen aufzufassen, um leichter an Perso­nen heranzukom­men, die ihre Einwilligung zur Partizipation geben. Genau das soll ausge­schlossen werden.

Ich meine, dass man hier durchaus zuversichtlich sein kann, wiewohl ich auch weiß, dass es in Österreich gegen dieses System der Abkommen – Internationales Übereinkommen über Men­schenrechte und Biomedizin und die dazu gehörenden Zusatzprotokolle – gewisse Vorbehalte gibt, aber ich glaube, der österreichische Gesetzgeber wird sich vielleicht auch an den Positiva orientieren können und vielleicht einmal im Rahmen eines medizinischen Forschungsgesetzes so etwas umsetzen können.

13.36


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Ich bedanke mich. – Auf meiner Liste scheinen keine Anfragen an Experten/Expertinnen mehr auf. Daher frage ich Sie: Halten die Fragestel­lerInnen ihre Fragen für erschöpfend beantwortet, beziehungsweise glaubt jemand von den ReferentInnen und Experten, dass noch eine Frage an sie, an ihn gestellt wurde?

13.36


Maria Gössler¦ (Caritas): Ich wurde von der Frau Nationalratsabgeordneten Ridi Steibl ange­sprochen, wie der Stand bezüglich der Einrichtung einer „Babyklappe“ beziehungsweise eines „Babynests“ in der Steiermark ist. Es geht vor allem auch um die präventive Arbeit, die von ihr angesprochen wurde.

Ich finde es auf Grund meiner oder unserer praktischen Erfahrung sehr gut, sehr positiv, dass jetzt auf Bundes- und Landesebene über die Einrichtung von „Babyklappen“ oder „Babynestern“ oder auch über die anonyme Geburt nachgedacht wird und dass das als Möglichkeit in Erwä­gung gezogen wird. Trotzdem möchte ich vorweg schon sagen, ich würde es eigentlich bedauerlich finden, wenn nach diesen Diskussionen nur das als Lösung für die Probleme der Frauen übrig bliebe, weil es, wie ich meine, wirklich mehr als nur einer „Babyklappe“ bedarf.

Die Frauen oder die Familien brauchen eigentlich mehr. Deshalb glaube ich, dass es vor allem um die präventiven Maßnahmen gehen muss. Ich denke, dass jede Kindesweglegung oder gar Kindestötung eigentlich nur die Spitze des Eisbergs ist. Wir dürfen, wie ich meine, auch nicht vergessen – und darin liegt auch eine Chance –, dass jede Kindesweglegung eine zumindest neunmonatige Vorgeschichte hat. Ich finde, diese Zeit gilt es zu nützen.

Es ist hier schon angesprochen worden: Natürlich ist Aufklärung ganz besonders wichtig. Aber ich glaube, es geht vor allem auch darum, dass wir daran denken müssen: Wie schauen die Rahmenbedingungen für junge Mütter in Österreich aus? Was wäre hier zu tun?

Wenn zum Beispiel eine 16-jährige Schülerin schwanger wird, dann muss man bedenken, die Situation ist so, dass sie ohne existenzielle Absicherung ist, dass sie nicht weiß, wo sie mit ihrem Kind wohnen wird, weil ihr die Mittel für den geeigneten Wohnraum fehlen. Wir erleben in der Beratung auch immer wieder, dass die Frage auftaucht: Bin ich dieser Aufgabe überhaupt gewachsen?

Ich denke, es ist ein Glück für jede Sechzehnjährige oder Jugendliche, die in dieser Situation ist, wenn sie einen familiären Rückhalt hat beziehungsweise wenn der Kindesvater dazu steht und sie unterstützt. Nur leider trifft das eben oft nicht zu!

Daher halte ich es für sehr wichtig, dass präventive Maßnahmen ausgebaut werden, dass die Rahmenbedingungen für junge Schwangere oder junge Mütter und Familien verbessert werden. Und ich denke, ganz besonders geht es auch um den Zugang zur Information, darum, dass die Jugendlichen, die Mütter, die Frauen Zugang zur Information haben, Antworten finden auf die Fragen: Wo bekomme ich Hilfe? Wo bekomme ich den Rat, den ich eigentlich brauche?

Ich meine, es geht um flächendeckende Beratungsangebote in Österreich. Man müsste hier auch daran denken, Schwangerenberatungsstellen auszubauen. Es geht wirklich um effiziente Schwangerenberatung, um Stellen, die den Frauen wirklich das anbieten, was sie brauchen.

Ich denke, es geht auch um die Schaffung spezieller Maßnahmen für extreme Notsituationen. Wir erleben in der Beratungsstelle immer wieder, dass Frauen ohne Versicherungsschutz da­stehen. Das betrifft sehr oft ausländische Frauen, die natürlich sehr große Sorge haben, wenn sie ins Krankenhaus gehen, dass sie die Geburtskosten nicht bezahlen können. Dabei geht es um etwa 30 000, 40 000 S, die diese Frauen einfach nicht haben.

Ich denke, es geht auch um finanzielle Überbrückungshilfen, die Frauen oft brauchen würden, es geht um Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung oder -finanzierung, und es würde zum Beispiel auch darum gehen, dass die Frauen, vor allem jugendliche Mütter, Hilfestellung bräuchten, damit sie ihre Aufgabe als Mutter gut bewältigen können. Eine Sechzehnjährige ist an und für sich noch in der Pubertät, und dann soll sie 24 Stunden lang auf ein Kind schauen?! Sie muss überfordert sein! Das heißt, da wären spezielle Hilfestellungen für Frauen notwendig.

Ich finde, speziell notwendig wäre auch eine Veränderung in der Haltung der Gesellschaft, die es Frauen sozusagen auch erlaubt, mit der Geburt eines Kindes überfordert zu sein. Ich glaube zwar, dass es für die Politik schwer sein wird, das zu leisten, aber ich glaube, das wäre ein ganz wichtiger Punkt. Eine Änderung von der Einstellung her wäre dringend notwendig.

Sinnvoll – das ist heute schon ein paar Mal angesprochen worden – wäre auch die Einrichtung eines Notrufes, und zwar aus zweierlei Gründen. Zum einen bestünde dadurch die Möglichkeit, dass sich Frauen früh genug an eine Beratungs- oder Hilfsstelle wenden, um sozusagen ihre Situation besprechen zu können, wodurch Weichenstellungen für die Lösung ihrer persönlichen Probleme früh genug möglich sind. – Im Extremfall könnte eine Mutter, die ihr Kind irgendwo weglegt, das mittels Notruf zumindest mitteilen.

Ich denke, wenn es in Österreich „Babyklappen“ oder die anonyme Geburt gibt, dann sind vor allem die Begleitmaßnahmen sehr wichtig. Ich möchte dazu ein paar Punkte, die für uns beson­ders wichtig sind, nennen.

Der erste Punkt ist zunächst einmal die Rückholung des Kindes. Man muss davon ausgehen, wenn eine Frau ihr Kind irgendwo ablegt, dass sie in einem extremen Stresszustand ist, dass es vielleicht eine Panikreaktion ist und dass sich dieser Zustand vielleicht wieder bessert, sodass man dieser Frau die Möglichkeit geben muss, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne sozu­sagen das Kind wieder zurückzuholen.

Wichtig ist vor allem auch die medizinische Nachbetreuung für die Mutter und natürlich auch für das Kind.

Wichtig ist vor allem auch die Zusicherung der Anonymität. Derzeit wäre es so: Wenn die Mutter das Kind irgendwo ablegt oder in die „Babyklappe“ legt, dann würde sie am nächsten Tag bereits auf der ersten Seite der Tageszeitungen aufscheinen. Ich meine daher, es wäre wohl auch wichtig, dass man versucht, die Medien herauszuhalten.

Ein weiterer Punkt, nämlich die Straffreiheit, ist heute bereits angesprochen worden.

Wichtig scheint mir auch zu sein, dass es die Möglichkeit gibt, die Anonymität auch wieder auf­zuheben, denn ich glaube, es könnte wohl so sein, dass es der Frau zu einem späteren Zeit­punkt möglich ist, zu sagen, ja, ich bin die Mutter dieses Kindes. Ich finde, für das Kind ist es sehr wichtig, dass es sozusagen weiß, wer die Mutter ist.

Ganz besonders notwendig ist auch die psychische Begleitung und die Unterstützung der Frau nach der Abgabe eines Kindes, damit man es ihr ermöglicht, dass sie gut mit den Schuld­gefühlen umgehen kann, die auf jeden Fall da sind, und damit man ihr bei der Aufarbeitung der Abgabe sozusagen behilflich ist.

Ich denke, ob „Babyklappe“ oder anonyme Geburt, für beides spricht etwas. Ein Punkt, der für die anonyme Geburt spricht, ist heute schon mehrfach angesprochen worden: Bei der ano­nymen Geburt wäre natürlich das medizinische Risiko reduziert. Sie ist natürlich auch, wie ich meine, ein höherschwelliger Zugang. Ich denke, gerade im ländlichen Bereich – dies trifft eher nicht auf den Großstadtbereich zu –, wenn man sich dort in ein Krankenhaus legt, muss man eigentlich damit rechnen, dass man jemandem begegnet, den man kennt. Das heißt, wenn man etwas anbietet, dann muss es schon sehr gut durchdacht sein, damit es für die Frauen auch wirklich gut ist und von ihnen genützt werden kann. – Danke.

13.45


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Ich bitte, die Debattenbeiträge so zu halten, dass die vorgesehenen 5 Minuten ungefähr eingehalten werden.

Herr Dr. Wiedermann, fühlen Sie sich angesprochen? Möchten Sie eine Antwort darauf geben? – Bitte.

13.46


Referent Dr. Herbert Wiedermann¦ (Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Amt für Jugend): Ja, ich würde gerne eine Antwort auf die Frage der Frau Abgeordneten Bauer geben.

Zunächst zum Notruf selbst. Ich glaube, dass ein Notruf-Telefon ein ganz zentraler Baustein im Hilfesystem ist. Es ist wichtig, dass dieser Notruf gratis angerufen werden kann, also keine Ge­bühren kostet. Ferner ist es wichtig, dass er rund um die Uhr erreichbar ist und dass er quali­fiziert ist. Er kann aber sehr wohl zentral sein. Wir haben in Hamburg die Erfahrung gemacht, dass Anrufe aus der ganzen Bundesrepublik eingehen und dass die Beratungen von Hamburg aus durchgeführt werden.

Wichtig ist nur, dass die Hilfseinrichtungen untereinander vernetzt sind und dass man den Frauen, die anrufen, regionale Adressen geben kann, an die sie sich wenden können. Oftmals – darauf wurde ja auch schon hingewiesen – haben sie kein Hilfesuchverhalten und wissen gar nicht, welche Hilfsangebote in ihrer Region eigentlich bestehen.

Das Zweite, worauf ich Wert legen würde, ist, dass man dieses Thema nicht auf die Frage der minderjährigen Mütter einengen darf. Es gibt sehr wohl Gruppen von Frauen – ich hatte das ja schon angeführt –, und zwar im Bereich der Migranten, der Drogen gebrauchenden Frauen und insbesondere von Frauen, die in Gewaltverhältnissen leben, die sozusagen niemals eine staatliche Stelle anlaufen können, weil das ihr Leben bedroht. Diese Frauen brauchen etwas ganz Anonymes. Und wenn diese Frauen ihr Kind abgeben, dann ist das sozusagen eine weise Entscheidung, die sie sich lange überlegt haben und vor der wir große Hochachtung haben müssen. Das ist etwas, was in sehr wenigen extremen Ausnahmesituationen stattfindet. Da muss man nicht befürchten, dass das inflationär wird, dass man Kinder leichthin abgibt. Eine Frau gibt ein Kind nicht leichterdings ab.

Unsere Erfahrung ist die, dass wir bis jetzt nur fünf solche Kinder haben. Vielleicht werden es bis zum Jahresende sechs, sieben oder acht Kinder sein, aber das ist sozusagen kein Massen­phänomen, sondern ein Hilfsangebot für eine ganz kleine Gruppe von Frauen.

Das Letzte, was ich gerne noch sagen möchte, ist: Es gibt eben sehr unterschiedliche Zugänge zu dieser „Babyklappe“. Es gibt Frauen, die brauchen ein regionales Angebot. Daher ist die erste „Babyklappe“, die wir eingerichtet haben, in der Nähe der Reeperbahn, in einem Rotlicht­distrikt. Wir haben eine zweite in einem sozial benachteiligten Bereich errichtet. Aber wir machen auch die Erfahrung, dass es offensichtlich Frauen gibt – und dafür gibt es Indizien –, die vom Land kommen und ihr Kind in Hamburg aussetzen.

Auch bei einem Kind, das in Hamburg gestorben ist, konnte man an Hand der Umstände nach­weisen, dass es jemand vom Land gewesen ist und nicht aus Hamburg, der das Kind dort abge­legt hat. Auch solche Entwicklungen gibt es, und dafür muss man Vorsorge treffen.

Zum Schluss möchte ich sagen: Ich finde, wir sollten von diesen kleinen Kindern lernen. Die kleinen Kinder lieben alle. Sie lieben missbrauchende, schlagende, abweisende Väter und Mütter, und ihre Liebe kann eigentlich nur durchbrochen werden, wenn man sie aussetzt oder tötet. Deswegen, finde ich, sollten wir Erwachsenen dann Verantwortung übernehmen und einem solchen Kind die Liebe und den Neustart geben, den dieses Kind braucht. – Danke schön.

13.49


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke.

Wir kommen nun zur zweiten Runde. Ich erinnere noch einmal daran, dass jetzt jeder zu Wort kommen kann, der einen Debattenbeitrag liefern möchte.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kainz. – Bitte, Frau Abgeordnete.

13.50


Bundesrätin Hedda Kainz¦ (SPÖ, Oberösterreich): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich werde meinen Debattenbeitrag ganz einfach um die Formulierungen der Fragen streichen. Im Grunde genommen ist es eine Fortsetzung der vorhergehenden Runde.

Ich glaube, dass diese Diskussion, diese Enquete um die „Babyklappe“ – ja oder nein – heute gezeigt hat, dass diese Frage nicht auf die „Babyklappe“ zu reduzieren ist, sondern dass es ein ganzes Bündel von Maßnahmen bedeutet, diesem Problem einigermaßen den entsprechenden Anspruch zu geben. Ich persönlich würde all jenen Fällen, in denen die Katastrophe schon ein­getreten ist, und natürlich auch allem, was vor der „Babyklappe“ passiert, den Vorrang geben, etwa auch der anonymen Geburt und vor allem auch der psychologischen Beratung der Frauen, die davon betroffen sind.

Der große Ansatzpunkt müsste aber viel weiter am Anfang der Problemkette liegen, nämlich bereits bei der Verhütung von unerwünschten Schwangerschaften. Es ist aber, wie ich meine, nicht damit getan, die Beratung zu erleichtern, sondern es ist vor allem der Zugang zu den Ver­hütungsmitteln zu erleichtern, sei es in der Situation von Jugendlichen, die durch gewisse ad­ministrative Hemmnisse nicht zum Gebrauch von Verhütungsmitteln kommen können, sei es bei Frauen, denen der Zugang einfach durch wirtschaftliche Schwierigkeiten verwehrt ist.

Die Situation, dass eine arbeitslose Frau, eine Alleinerzieherin mit einer halbwüchsigen Tochter, unter Umständen aus finanziellen Überlegungen nicht zur Verhütung greift, ist etwas, was es in der Praxis durchaus gibt. Ich glaube, dass da der Ansatzpunkt sein müsste, um jene Schwierig­keiten zu vermeiden, die dann in der Frage gipfeln, wie man die anonyme Geburt gewährleisten kann – mit all den Fragen, die sich daraus ergeben, etwa auch auf dem Gebiet des Straf­rechtes, aber auch mit allen administrativen Dingen –, in der Frage, wie man hier ansetzen kann, um das zu vermeiden. Ich bin im Endeffekt durchaus für die „Babyklappe“, glaube jedoch, dass das Vermeiden besser ist.

Meine Einstellung zur Adoption, die sich ja dann als Folge der „Babyklappe“ ergibt, ist doch etwas zwiespältig. So sehr ich den Wunsch kinderloser Ehepaare nach Adoption auch verste­hen kann, würde ich es doch eher vorziehen, eine unerwünschte Schwangerschaft gar nicht eintreten zu lassen, um zu vermeiden, dass eine Frau in die Situation kommt, ein Kind, das sie bereits geboren hat, weggeben zu müssen, denn ich glaube, für diese Frau ist das nicht ein­fach, selbst dann nicht, wenn das Kind durch die Adoption dann in einer glücklichen Umwelt aufwachsen kann.

Ich glaube, auch die Frau muss entsprechend von uns gesehen werden. Ich sehe hier Wider­spruch, ich nehme an, da wird es Widerspruch von Seiten der ExpertInnen geben, aber das ist meine persönliche Meinung zu diesem Thema.

13.53


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke. – Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Papházy. – Bitte.

13.53


Abgeordnete Dr. Sylvia Papházy MBA¦ (Freiheitliche): Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich bin der Ansicht, dass im Vorfeld Aufklärungsarbeit notwendig ist. Es interessiert mich sehr, von den Experten mehr über „Sternipark“ zu hören. Wie funktioniert das mit dem Notruf? Sind Sie auch an Schulen gegangen? Oder: Wie machen Sie die Aufklärung?

Zweitens bewegt mich auch die Frist von acht Wochen, nach denen das Kind dann zur Adoption freigegeben werden kann. Haben Sie einen bestimmten Grund für diese acht Wochen? Ließe sich eine solche Frist auch reduzieren? Wäre es nicht sinnvoller, allfälligen Adoptiveltern das Kind bereits früher zu geben? Ich habe ein Patenkind, das direkt aus dem Spital – etwa sieben Tagen alt – adoptiert wurde. Dadurch ist natürlich die Unmittelbarkeit der neuen Eltern noch viel stärker gegeben.

Zum Fragenkreis „anonyme Geburt“ hat Frau Abgeordnete Burket in der ersten Fragenrunde schon sehr viel gesagt. Ich möchte jetzt noch die Experten Stormann und Grünberger dazu befragen.

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der Ansicht sind, wenn man das Institut der ano­nymen Geburt sozusagen flächendeckend über ganz Österreich erstreckt, dass eine Frau sozu­sagen in jedes Spital kommen kann, dort gebären kann und sich dann deklarieren kann oder nicht, dass Sie das als Alternative zur „Babyklappe“ oder zum „Babynest“ ansehen? Wie wir ja wissen und gehört haben, bleibt bei der „Babyklappe“ ja noch das Risiko der Geburt. Das heißt, es bleibt ja immer noch das Risiko, dass dem Kind oder der Mutter im Vorfeld etwas passiert, bevor das Kind überhaupt zur „Babyklappe“ gelangt.

Meine Frage geht dahin: Hielten Sie diese flächendeckende Lösung für sinnvoll? Und wie sehen Sie die Kostenfrage? – Es ist immer wieder das Wort „Krankenschein“ gefallen. Aber wie wird das bei einer anonymen Geburt geregelt? Ich vermute, dass im Regelfall auch die finan­ziellen Möglichkeiten dieser Frauen nicht ausreichend sein werden. Ich finde, dass wir auch darauf Rücksicht zu nehmen haben.

Diese Frage – anonyme Geburt vor „Babyklappe“ – möchte ich auch an Frau Landtagsabge­ordnete Helga Moser stellen, weil Frau Helga Moser sich schon relativ intensiv, wie ich meine, mit diesen Fragen auseinander gesetzt hat. – Danke.

13.55


Vorsitzende Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Burket. – Bitte.

13.55


Abgeordnete Ilse Burket¦ (Freiheitliche): Ich möchte speziell auf das eingehen, was Frau Dr. Stöger gesagt hat. Zum einen war ich von dem etwas aggressiven Ton befremdet, und zum anderen bin ich ausgesprochen erschüttert über das Ansinnen, die „Gratispille“ und die „Pille danach“ zu verteilen, darüber, dass man das quasi wie das Zymafluor, das es einst in der Schule gegeben hat, verstreuen will. Und dass dieser Vorschlag noch dazu von einer Medizine­rin kommt, überrascht mich absolut. Ich hielte das für ein völlig falsches Signal.

Möglichkeiten zu schaffen, damit Jugendliche die Pille vielleicht leichter bekommen oder dass man sie von der Rezeptgebühr befreit, solange sie kein Einkommen haben, oder welche Möglichkeiten man da immer findet, dass die Pille für jedermann leistbar ist, das möge sein. Hilfestellungen sind erwünscht und er­beten, aber es kann doch nicht so sein, dass man dem Jugendlichen von Anfang an nicht bei­bringt, dass er Verantwortung für seinen Körper hat, wissen und lernen muss, was er zu tun hat, und dass er das berühmte „Nein“ auch tatsächlich aussprechen kann, soll und muss. – Das ist sicherlich ein Gedanke, den wir völlig ablehnen.

Zum Zweiten möchte ich im Hinblick auf die letzte Wortmeldung von meiner Kollegin zu meiner Linken doch bitten, dass wir uns nicht in der Breite verlieren, dass wir das Thema jetzt nicht zu Tode diskutieren. Denn dass an die Begriffe „Babyklappe“ und „anonyme Geburt“ vieles dran­zubinden ist, das ganze Thema Frau, das ganze Thema Jugend- und Kinderschutz, alles, was damit zusammenhängt, das ist klar, und all das kann man jetzt so breitwälzen, dass ich glaube, wir verlieren jetzt ein bisserl den Blick für das Wesentliche und sollten uns wieder zurück­bewegen zu unserem ursprünglichen Thema, wie es möglich sein kann, welche Maßnahmen zu setzen sind, um in Österreich die Voraussetzungen für die anonyme Geburt zu schaffen, die ich nach wie vor gegenüber der Alternative „Babyklappe“ präferiere. Dort sollten wir wieder anset­zen, weil das eigentlich unser Kernanliegen sein sollte.

13.57


Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦: Danke, Frau Abgeordnete. Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Maria Theresia Fekter.

13.57


Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter¦ (ÖVP): Ich möchte mich auf die juristischen Fragen konzentrieren und nicht sozusagen zu weit abschweifen in ein Thema, das heute nicht unser Thema ist.

Juristisch, haben wir gehört, ist das ganze Feld lösbar. Faszinierend war für mich dabei – das muss ich ganz ehrlich sagen, denn ich habe das so eigentlich nie angedacht – das, was Herr Dr. Wiedermann gesagt hat, dass diese Kinder als quasi in einem vertraglichen Status stehend angesehen werden und nicht eigentliche Findelkinder sind. Diese Hilfskonstruktion erscheint mir ausgesprochen geschickt.

Ich habe dazu konkret zwei Fragen: Sie gehen davon aus, dass die Übergabe ein konkludenter Vertragsabschluss ist, der eben bis zu dieser Frist gilt, wie immer man diese festlegt. Die Frage ist: Ist diese Vertragskonstruktion, die zweifelsohne eine juristische Hilfskonstruktion ist, irgend­wo verankert und determiniert im rechtlichen Inhalt?

Daran schließt sich gleich meine zweite Frage: Gilt diese Vertragskonstruktion mit der dazuge­hörigen Straffreiheit auch für den Fall, dass beispielsweise ein totes Kind hineingelegt wird? Werden auch dann keine Ermittlungstätigkeiten gemacht? Sagt man, auch dann ist es ein Ver­trag, obwohl inhaltlich diese Obhutsgabe für ein totes Kind unter Umständen so nicht gilt? – Das ist meine Frage.

Höchst interessant im Zusammenhang mit der Hamburger Erfahrung ist, dass ja nicht der ge­waltsame Tod die häufigste Variante ist, sondern dass sehr wohl die Todesfolge durch die Geburt häufig ist. Daher ist es juristisch sehr wohl relevant, wie man das betrachtet.

Das zweite juristische Problem, das mir erst heute bewusst geworden ist – das hat Frau Gössler von der Caritas gebracht, und das erscheint mir sehr wichtig –, ist der medienrechtliche Aspekt, nämlich, dass wir auch, wenn wir für die Anonymität sorgen wollen, medienrechtlich dafür sor­gen müssen, dass sich nicht – ich sage jetzt einmal so: durch Sensationsjournalismus rund um diese Einrichtung – irgendwer dauerhaft hinstellt und auf den ersten Schnappschuss wartet, den man machen kann. (Abg. Gatterer übernimmt den Vorsitz.)

Daher meine Frage an die deutsche Erfahrung. Ist medienrechtlich irgendeine Begleitmaß­nahme gesetzt worden, sei es legistischer Natur, sei es ein Appell an die Medien, sei es – ich sage es jetzt einmal so – ein Übereinkommen mit den Medien, dass nicht sofort eine Hetzkampagne in der Form entsteht, dass der Gesetzgeber nicht nachforscht, aber der Sensa­tionsjournalismus zum Nachforschen anfängt, wer die Mutter ist und so weiter? – Das sind Dinge, die mir aus juristischer Sicht spannend erscheinen. Sie sind lösbar, das ist gar keine Frage. Ich frage aber noch einmal: Wurden in Deutschland diesbezüglich schon Vorkehrungen, die als Vorbild dienen könnten, getroffen?

14.01


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Ich darf als nächster Rednerin Frau Kunz das Wort erteilen. – Bitte.

14.02


Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete Alessandra Kunz¦ (Landtag Wien) (Grüne): Danke für die Einladung zu dieser Enquete als Expertin der Grünen. Ich möchte gleich vorausschicken, ich will mich nicht als Landtagsabgeordnete und Gesundheitssprecherin der Wiener Grünen, die ich auch bin, positionieren, sondern ich möchte mich als Expertin verstehen. Ich möchte mich auf ein paar Dinge beschränken.

In der Diskussion, die wir heute geführt haben, ist für mich eines sehr deutlich sichtbar gewor­den: dass eigentlich sehr viele Diskussionsteilnehmerinnen und Diskussionsteilnehmer nach einfachen Lösungen verlangt haben, von denen vor allem die Frauen auch wissen. Ich glaube, dass da ein Schwerpunkt der Arbeit zu leisten sein wird, vor allem, wenn wir berücksichtigen, dass es zu einem großen Teil jüngere und junge Frauen betrifft – das ist auch schon sehr richtig gesagt worden –, die vielleicht nicht jeden Tag Zeitung lesen und vielleicht nicht jeden Tag Nachrichten hören.

Wir müssen uns fragen, wie die Nachricht, und zwar nicht nur betreffend die „Babyklappe“, nicht nur betreffend anonyme Geburt, sondern auch – was mir noch wichtiger erscheint – betreffend Hilfsmaßnahmen, die es gibt, in der Situation der ungewollten oder als katastrophal oder als Krise empfundenen Schwangerschaft an die Frau kommt. Frau Mag. Prammer hat das schön ausgedrückt, indem sie meinte: Es gibt immer wieder junge Mädchen, und es ist nicht damit ge­tan, einmal eine große Kampagne zu starten, weil wir zwei Jahre später vor dem gleichen Pro­blem mit einer quasi neuen Generation stehen.

Ich denke, es gibt viele Hilfsangebote, aber das Ganze ist so unglaublich unübersichtlich, so­dass wir, fürchte ich, mit der bisherigen Methode – jeder propagiert seine Notrufnummer, und jeder macht seine eigene Kampagne – nicht weiterkommen werden. Ich sehe zwei Lösungs­möglichkeiten, und wir wollen diese in Wien umzusetzen versuchen.

Das eine kommt leider für die Immigrantinnen nicht in dem gewünschten Ausmaß in Frage, für sie müsste man sich eine eigene Lösung einfallen lassen, aber es betrifft immerhin die in Öster­reich aufwachsenden jungen Mädchen, und zwar glaube ich, dass kein junger Mensch – da sage ich jetzt auch: kein junger Mann – die Grundschule, die Pflichtschule verlassen sollte, ohne in ein oder zwei Unterrichtsstunden Informationen darüber bekommen zu haben, dass es in einem Land wie Österreich für praktisch alle Krisensituationen des Lebens auch Hilfsein­richtungen gibt.

Wenn ich bei meiner eigenen Tochter sehe, was die Schüler in der Schule alles lernen und wie wenig sie über die praktisch in jedem Leben zu erwartenden Krisen hören, dann denke ich, da ist ein riesiges Defizit, und ich glaube, dass da die Öffentlichkeit, der Staat, die Länder, die Ge­meinden den jungen Menschen gegenüber eine Bringschuld haben, über die Schule, wo wir alle erreichen, weil eben einmal Schulpflicht in Österreich ist, diese Informationen an die jungen Leuten heranzutragen.

Wenn ich bedenke, dass sich die meisten gravierenden Krisen, mit denen man alleine nicht fer­tig wird, doch wahrscheinlich in der Zeit zwischen dem15. und 25. oder 30. Lebensjahr abspie­len – ob ungewollte Schwangerschaft, ein schwerer Unfall und Geldfolgen oder Scheidung et cetera –, dann glaube ich, auch wenn ein paar Broschüren, die wir verteilen können, veraltet sind, weiß man immerhin: Es gibt diese Einrichtungen, und ein Anruf bei der Auskunft könnte Hilfe schaffen.

Eine zweite Sache wäre aber, so glaube ich, genauso wichtig oder fast noch wichtiger, und zwar: Was ich eigentlich nicht verstehe, ist, dass wir in Österreich eine einzige Telefonnummer landesweit für die Rettung, für die Feuerwehr oder ähnliche Einrichtungen haben können, dass wir das aber für den sozialen Notruf nicht schaffen. Ich glaube, es müsste eine Nummer geben – es ist heute schon die notwendige Vernetzung der Organisationen untereinander ange­sprochen worden –, wo man erfährt, an wen man sich wenden kann. Diese Nummer muss aus ganz Österreich gratis erreichbar sein.

Ich glaube, dass das in Zeiten der modernen Telefonie nicht wirklich ein Problem sein kann und dass uns das sehr viel weiterbringen könnte. Es sind auch die so genannten 24-Stunden-Not­ruftelefone, die es zum Beispiel in Hamburg gibt, angesprochen worden; das kann ruhig zentral sein. Ich gehe noch weiter: Es könnte für ganz Österreich zentral sein, und wenn dort rund um die Uhr qualifizierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sitzen, dann wird man eben dorthin weitergeleitet, wo in der eigenen Region das eigene Problem anlassbezogen, konkret auch weiter bearbeitet werden kann.

Das sind die zwei Vorschläge, die ich heute einbringen wollte, und ich denke, dass es auch in diese Richtung eine parlamentarische Initiative der Bundes-Grünen geben wird, im Wiener Landtag und Gemeinderat sicher auch eine Initiative der grünen Rathausfraktion. Ich würde sehr hoffen, dass die anderen Fraktionen da auch mitgehen und sagen können: Sowohl die In­formation über Schulen als auch eine zentrale Notrufnummer sind etwas, was wir unterstützen können, und das wollen wir, und das setzen wir um. – Danke vielmals.

14.07


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke, Frau Landtagsabgeordnete. – Als Nächste auf der Rednerliste ist Frau Bundesrätin Anna Höllerer. – Bitte.

14.07


Bundesrätin Anna Höllerer¦ (ÖVP, Niederösterreich): Frau Vorsitzende! Werte Expertinnen und Experten! Meine Damen und Herren! Wir besprechen heute ein Problem, das eine Gruppe von Frauen betrifft, die in extremen Situationen eine Schwangerschaft haben und die – so sehe ich das jetzt ein­mal – den letzten Ausweg in einer ausweglos erscheinenden Situation darin sehen, ihr Kind in eine „Babyklappe“ zu legen. Außerdem diskutieren wir hier heute die Maßnahmen im Zusam­menhang mit der anonymen Geburt.

Ich komme aus dem ländlichen Raum und weiß da Bescheid und kann daher sagen: Ich halte es für sehr wichtig, folgenden Aspekt besonders hervorzuheben: Die anonyme Geburt sollte es in der Form geben, dass junge Frauen, die auf dem Land aufwachsen und daher nicht die Mög­lichkeit haben, städtische Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, in Anonymität ein Kind zur Welt bringen können. Wir haben gehört, dass aber nicht nur die ganz jungen Mädchen, die Minderjährigen davon betroffen sind, sondern dass die Gruppe der Frauen, die davon betroffen sind, Frauen sind, die mit Drogenproblemen zu kämpfen haben, die einer besonderen Gewalt in der Familie ausgesetzt sind oder die Immigrantinnen sind oder die Minderjährige sind, die ein großes Schuldgefühl haben.

In meiner unmittelbaren Umgebung kenne ich drei junge Frauen, die in gutbürgerlichen Familien aufgewachsen sind und die eine ungewollte Schwangerschaft so weit gedeihen ließen, dass es selbst ihre Eltern bis zum Termin der Geburt nicht bemerkt haben. Diese hatten ein Schuldge­fühl, weil sie sehr wohl aufgeklärt waren, weil sie sehr wohl über die Möglichkeiten der Verhü­tung wussten und trotzdem schwanger wurden. All diese jungen Frauen sollten, so denke ich, die Möglichkeit haben, sich während ihrer Schwangerschaft an Vertrauenspersonen zu wenden. Präventive Maßnahmen halte ich für besonders wichtig.

Zu bedenken ist aber auch, dass es sich dabei auch um Frauen handelt, die keinen Zugang zu Versicherungsleistungen haben. Ich bin natürlich von der First Love Ambulanz fasziniert, die hier von Dr. Grünberger vorgestellt wurde. Ich bin auch sehr fasziniert davon, dass es eine Internet-Homepage gibt, zu der der Zugang von jedem Ort aus möglich ist; mich fasziniert die Idee eines Notrufs. Aber ich meine, dass – und das halte ich für besonders wichtig – die Mög­lichkeit gegeben sein sollte, sich medizinische Betreuung dort zu holen, wo man wohnt bezie­hungs­weise in der nächsten Umgebung des eigenen Wohnsitzes, und das anonym. Damit kommen wir natürlich auch zur Frage der finanziellen Absicherung.

Ich möchte dazu auch noch sagen, dass ich es für sehr bedeutsam halte, dass man Aufklärung betreibt, damit allen bewusst ist, dass es die Möglichkeit der Verhütung gibt, und dass wir die jungen Frauen und vor allem die Jugend entsprechend informieren. Ich glaube, dass das Wissen um Verhütungsmaßnahmen sehr wohl in den Schulen transportiert wird, dass es aber die jungen Leute vor allem aus dem Grund nicht aufnehmen, weil es sie nicht unmittelbar be­trifft. Dann aber, wenn sie betroffen sind, fehlen die Ansprechpartner, wenn sie sie in der eige­nen Familie nicht finden.

Ich habe noch eine Frage, und zwar: Wie kann anonyme Geburt in Krankenhäusern stattfin­den? Ich denke, dass es da eine Rechtsänderung im Krankenanstaltenrecht geben muss. Ich habe gehört, dass es in Deutschland – ich darf die Frage an Sie, richten, die Sie aus diesem Land kommen – bei den Beratungsstellen so etwas wie ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt. Bedeutet das, dass die vollkommene Anonymität für Mutter und Kind gewahrt bleibt, oder ist die Möglichkeit gegeben, dass sich die Kinder später sehr wohl informieren können, wo sie her­kommen? Bedeutet dieses Zeugnisverweigerungsrecht ein Recht der Anonymität auch gegen­über allen Behörden, auch gegenüber dem Standesamt?

14.11


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Als nächste Rednerin zu Wort ge­meldet ist Frau Abgeordnete Mag. Wurm. – Bitte.

14.11


Abgeordnete Mag. Gisela Wurm¦ (SPÖ): Danke, Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich habe einige Fragen an die Expertinnen und Experten, zunächst einmal an Herrn Professor Höpfel, der eine Änderung des § 197 vorgeschlagen hat. Da einige Mitglieder des Justizausschusses da sind, könnten wir jetzt diesen Vorschlag aufnehmen. Es wäre näm­lich nicht der beste Ausweg – das ist meine Ansicht; ich möchte Sie aber auch um Ihren fach­männischen Rat fragen –, dass wir wieder auf § 42 ausweichen, so wie wir es zum Teil beim außergerichtlichen Tatausgleich gemacht haben. Ich glaube, dass einer Frau, die schon in einer so ausweglosen Situation ist, dass sie die „Babyklappe“ in Anspruch nehmen muss, dann die entsprechende Rechtssicherheit gegeben werden muss, dass sie danach nicht vor dem Straf­richter landet. Das ist, so glaube ich, ganz wesentlich und wichtig.

Ich möchte gleich die anderen Fragen, die ich noch habe, anschließen. Als Nächstes hätte mich das interessiert, was der Leitende Staatsanwalt Dr. Stormann angesprochen hat, nämlich Fol­gendes: Dass man erfährt, ob man adoptiert ist oder nicht, hängt davon ab – so ist die Rechts­lage –, ob man heiratet oder nicht. Habe ich das richtig verstanden? – Also das ist Zufall: Wenn ich heirate, dann erfahre ich es. Heirate ich nicht, dann erfahre ich es nicht. So habe ich das verstanden! (Staatsanwalt Dr. Stormann: Spätestens bei der Heirat erfährt man es!)

Da sind wir, glaube ich, bei etwas sehr Österreichischem angelangt: Man kommt auf etwas drauf, was substanziell ist, und dabei geht es immerhin um die Herkunft. Das sollten wir auch diskutieren. Wir sollten diskutieren, ob die leiblichen Eltern des Kindes bekannt sein sollen. Wenn ja, dann legen wir das doch offen und machen es nicht davon abhängig, ob man heiratet oder nicht. Wenn die leiblichen Eltern nicht bekannt sein sollen, dann sollten wir auch darüber sprechen. Ich glaube, dass das eine sehr wichtige Sache ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich gern Frau Professor Springer-Kremser fragen, ob sie aus ihrer Praxis als Ärztin, als Analytikerin Erfahrungen hat, wie es zu solchen Ausnahmesituationen kommen kann und wie die Frau damit zurechtkommt, wenn sie sich dazu entschließt, ein Kind wegzulegen. – Das zu erfahren, wäre mir wichtig, und ich bitte um Antwort, falls Sie da Erfah­rungen haben.

Wie würden Sie es einschätzen – ich frage Sie, weil Sie die französische Studie zitiert haben –: Sollten wir, sollte in Österreich eine „Babyklappe“ eingerichtet werden, dann auch eine beglei­tende Studie dazu durchführen? Das wäre mir nämlich auch ein Anliegen. Noch einmal: Ich würde gerne Ihre Einschätzung dazu hören, ob Sie glauben, dass man die französische Studie eins zu eins in Österreich übernehmen könnte.

Schließlich eine letzte Frage, und zwar bezüglich der Prävention und auch der Nachbetreuung. Ich glaube nicht, dass die Diskussionsbeiträge, die heute geliefert worden sind, nur Beiwerk sind, wie es Frau Abgeordnete Fekter gemeint hat. Ich habe nahezu jeden Beitrag als etwas empfunden, das mit diesem Problem zu tun hat und zum Kern der Sache gehört. Ich glaube, dass sehr wohl auch zu diskutieren ist, ob Aufklärung in den Schulen gemacht wird, ob junge Mädchen aufgeklärt werden, wie die Nachbetreuung vor sich gehen soll. Ich glaube, dass das eine wichtige Sache ist.

In diesem Zusammenhang habe ich an die Hamburger, bei denen ein diesbezügliches Pilot­projekt schon seit zirka einem Dreivierteljahr läuft, folgende Frage: Wie schaut es bei Ihnen mit der Nachbetreuung und vorhergehenden Auskünften aus? – Sie sagten, es gebe ein Notruf­telefon, bei welchem sich so manch eine Frau schon gemeldet und dann die Lösung so oder so ausgeschaut hat. Mich würde interessieren: Wie geschieht das? Geschieht das anonym? Gibt es eine längerfristige Therapie? Wie schaut es danach aus? Welche Angebote dieses Ham­burger Projektes gibt es für die Mutter, die ihr Kind weggegeben hat? Oder soll sie sich selbst darum kümmern? Oder ist das dann sozusagen nicht Ihre Sache. – Danke.

14.16


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke, Frau Abgeordnete.

Nun zunächst zwei organisatorische Sachen: Nachdem schon alle lange sitzen und am Freitag heimkommen wollen, werden wir keine Pause machen, aber ich habe jemanden von der Cafeteria holen lassen. Wenn jemand etwas essen oder trinken möchte, bitte tun Sie es!

Das Zweite: Es gibt noch zehn Wortmeldungen. Ich würde vorschlagen, dass ich jetzt frage, ob es noch Fragen gibt, und, wenn nicht, die Rednerliste schließe. Sind Sie damit einverstan­den? – Gut. Dann machen wir das so. Natürlich werden noch die Experten antworten.

Als Nächste auf der Rednerliste ist Frau Abgeordnete Helga Moser. – Bitte.

14.17


Landtagsabgeordnete Helga Moser¦ (Landtag Oberösterreich) (Freiheitliche): Ich bin vor über eineinhalb Jahren zum Grund unserer heutigen Enquete gekommen – ich bin nicht beruflich Ex­pertin –, und zwar durch die Auseinandersetzung mit der belasteten Situation der Frauen bei den Geburten. In der Gesellschaft sind lange die vielen Formen der postnatalen Depressionen nicht thematisiert worden. Über die Schiene „Gespräche mit Hebammen, mit Ärzten“ habe ich mich diesem Thema zugewandt.

Von daher kommt auch mein Zugang zum Thema „Babynest“. Ich sage deshalb „Babynest“, weil ich glaube, dass man Frauen, jungen Frauen, jungen Mädchen auch in unserer Zeit, wenn sie sich dazu entschließen, ich Kind wegzugeben, weil sie keinen anderen Ausweg mehr finden, das Gefühl geben sollte, dass jemand da ist, der sich um ihr Kind kümmert, und da ist mir der Begriff „Babyklappe“ zu theoretisch. Es mag zwar der eine oder andere darüber lächeln, aber ich glaube, dass man diese Dinge auch etwas menschlicher formulieren kann.

Deshalb soll es auch die „Babyklappe“ geben, weil auf Grund der durch die hormonelle Umstel­lung belasteten Situation für die Frau die anonyme Geburt als einzige Maßnahme nicht aus­reichen würde. Ich kann mich damit abfinden, dass man sagt: zwei Maßnahmen gleichwertig nebeneinander. Die anonyme Geburt wird nämlich meiner Meinung nach von den jungen Mäd­chen wenig in Anspruch genommen werden.

Ich darf an die Ausführungen erinnern, in welchen es um die First Love Ambulanz gegangen ist: Extraöffnungszeiten, Extraeingang, Anonymität. Ich glaube – da spreche ich aus Erfahrung, weil ich mit pubertierenden jungen Leuten zu tun habe –, da ist der Weg in das Spital, um anonym zu entbinden, eine Überforderung. Das heißt, wir müssen unterschiedliche Wege für unter­schiedliche Situationen finden. Ich glaube, dass es wichtig ist – diese Erkenntnis nehme ich auch mit nach Hause –, dass wir heute im Zuge dieser Enquete, bei welcher es um ein speziel­les Thema gegangen ist, sehr wohl wieder auf folgende Fragen zu sprechen gekommen sind: Wer klärt auf? Wer ist dafür zuständig?

Ich wage zu behaupten: Aufklärung, wenn sie im falschen Moment erfolgt, bedeutet nicht gleich Wissenserwerb. Es gibt sehr viele junge aufgeklärte Menschen. Das hindert sie aber nicht daran, schwanger zu werden oder ein Kind zu zeugen.

Ich glaube, dass die Maßnahmen viel individueller auf die jeweilige Lebenssituation abgestellt werden müssen – ob das die Situation der jungen Menschen im ländlichen Bereich oder jene der jungen Menschen in der Großstadt betrifft, ob das junge Menschen betrifft, die in Ausbil­dung sind, wie zum Beispiel Lehrlinge und Schüler, oder ob das Frauen betrifft, die auf Grund ihrer sozioökonomischen Situation nicht mehr die Kraft haben, ein weiteres Kind aufzuziehen. In dieser Bandbreite soll sich, so glaube ich, unsere Diskussion weiter bewegen.

Ich bin sehr froh darüber, dass sich etwas zu verändern scheint; das sage ich sehr vorsichtig. Wir haben vor über eineinhalb Jahren in Oberösterreich den ersten Vorstoß gemacht, in den Spitälern spezielle Angebote für Frauen mit postnatalen Depressionen zu machen. Wir sind da­mals leider – es scheint die Zeit dafür noch nicht reif gewesen zu sein – mit unseren Forderun­gen nicht durchgekommen. Wir haben in Oberösterreich den Antrag auf Einrichtung einer „Babyklappe“ gestellt. Dieser Antrag ist leider abgelehnt worden – es tut mir sehr Leid, dass Frau Landesrätin Stöger nicht mehr da ist –, und zwar aus juristischen Gründen und nicht des­halb, weil es unzumutbar ist, eine „Babyklappe“ einzurichten.

Was ich als Laie aber auch wissen möchte, ist: Sind unsere Präventivmaßnahmen, auf die wir uns immer sehr viel eingebildet haben, tatsächlich so gut? – Ich höre von Versagen in Bereich der Gesundheitspolitik. Wir haben zwar Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, aber ist da die medizinische Versorgung, der Zugang der schwangeren Frauen zur medizinischen Betreuung tatsächlich so gut, oder ist er es nicht? – Ich möchte in dieser Hinsicht nichts behaupten, son­dern nur anregen, darüber nachzudenken. Wir sollten etwa über die Frage nachdenken: Wie kann es sein, dass man eine monatelange Schwangerschaft nicht bemerkt, dass man nicht bemerkt, in welcher Ausnahmesituation sich eine Frau befindet, die dann das Kind weggibt oder als einzigen Ausweg die anonyme Geburt sieht?

Ich glaube auch nicht, dass es Konservatismus ist, und ich glaube auch nicht – bis auf wenige Ausnahmen –, dass in den Schulen zu wenig Aufklärung betrieben wird. Für mich ist bei all diesen Themen immer eines erkennbar: Es passieren Verdrängungen, es werden momentane Handlungen gesetzt, die man einfach nicht planen kann. Deshalb nehme ich für unsere weitere Arbeit die Anregung mit, dass wir in Bezug auf dieses Thema weiterarbeiten sollen.

Auch Folgendes ist für mich – das ist meine abschließende Frage – noch nicht ganz geklärt: Was machen wir wirklich – ganz gleich ob „Babynest“ oder anonyme Geburt zur Debatte stehen –, um das Problem in den Griff zu bekommen, dass Frauen den unheimlich schweren Schritt tun, ihr Kind wegzugeben oder es anonym zu gebären? – Es muss der Schritt möglich sein, jene Situation, in der sie überfordert waren, auch wieder ins richtige Lot zu rücken. – Danke.

14.24


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Frau Professor Dr. Beate Wimmer-Puchinger ist die Nächste. – Bitte.

14.24


Professor Dr. Beate Wimmer-Puchinger¦ (Verbindungsstelle der Bundesländer): Mein Inte­resse als Psychologin ist auch Richtung Hamburg gewandt, und zwar würde mich interessieren, wie Sie die psychosoziale Unterstützung sicherstellen. Wir wissen, dass das nur deshalb pas­siert – auch als Antwort an Sie –, weil es eine ganz massive psychische Krisensituation ist, die nach einer Krisenintervention ruft. Wie kann man das sicherstellen?

Das Zweite ist die Frage, die uns, so glaube ich, schon den ganzen Tag beschäftigt: Wie kann man sicherstellen, jene Frauen zu erreichen, die eben – sonst täten sie es nicht – in einem Ver­leugnungszustand oder einem absoluten Mangel an Informationszustand oder in einem sprach­lichen Orientierungsproblemzustand sind? Wie kann man sie erreichen, damit sie dann wissen, wo sie hingehen können, und was haben Sie sich in Hamburg dazu gedacht, zum Beispiel in Bezug auf Migrantinnen, die die Hamburger Sprache nicht verstehen?

14.25


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Als Nächste zu Wort kommt Frau Universitätsprofessor Dr. Marianne Springer-Kremser. (Frau Univ.-Prof. Dr. Springer-Kremser zieht ihre Wortmeldung zurück.) Sie hat ihre Wortmeldung zurückgezogen.  Wir machen zum Schluss noch eine Expertenrunde, weil vielleicht noch ein paar Fragen auftauchen, die mit be­antworten werden könnten.

Frau Mag. Eva-Maria Fluch, bitte.

14.25


Mag. Eva Maria Fluch¦ (Landeshauptleutekonferenz Steiermark): Frau Vorsitzende! Liebe Ex­pertinnen und Experten! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich vertrete hier heute Frau Landes­hauptmann Waltraud Klasnic. Es ist schon mehrmals angesprochen worden, dass wir in der Steiermark gemeinsam mit der Caritas an einem konkreten Modell arbeiten. Dieses Modell war für uns immer mehr als nur die „Babyklappe“, und deswegen sind wir besonders froh, dass auch hier in dieser parlamentarischen Enquete der breite Bogen von der Prävention bis hin zur spe­ziellen Hilfe in einer Ausnahmesituation gespannt wurde.

Wie gesagt, ich möchte aus unserer Sicht noch einmal die Wichtigkeit dieses Themas betonen. Wir sprechen in Österreich von zahlenmäßig sehr wenigen Fällen – glücklicherweise! – von Kin­desweglegungen und von Kindestötungen. Trotzdem ist jeder Fall tragisch, weil es jedes Mal um ein oder zwei Menschenleben geht. Das ist eine typische Geschichte, die auch in den Medien sehr viel Anklang findet; darauf möchte ich zum Schluss noch einmal zurückkommen.

Uns erscheint es wichtig, dass wir vor diesem Hintergrund und angesichts dieses Faktums ein­fach Vernunft walten lassen, uns zielgerichtetes Vorgehen zur Aufgabe machen und auch dar­auf schauen, dass es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, bei welchen Menschlichkeit spürbar ist. Im Lichte der bisherigen Diskussion würde ich es für die Steiermark ein bisserl so zusam­menfassen: Wenn die Ausnahmesituation eintritt, dass drei Modelle nebeneinander bestehen – wahrscheinlich auch nebeneinander bestehen sollen –, dann nehme ich da eine Wertung aus meiner Sicht vor.

Als erstes und eigentlich am begrüßenswertesten wäre nach dem, was ich bisher gehört habe, das Notrufsystem, weil es eine längere Begleitung gewährleistet, wenn sich jemand, zum Bei­spiel eine Frau in einer Notsituation, früh genug veranlasst fühlt, sich an diesen Notruf zu wen­den. Das würde allerdings voraussetzen, dass man die vorhandenen Träger stärkt, zu einer besseren Vernetzung beiträgt, sie bekannter macht und Bewusstseinsbildung betreibt.

Das zweite Modell, das mir wichtig erschiene und dann sozusagen in dieser Reihung als nächstes drankäme, wären die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen und die anonyme Geburt. Ich weise nur noch einmal darauf hin, dass vielleicht im ländlichen Raum die anonyme Geburt nicht überall so einfach durchzuführen ist. Sogar die Stadt Graz ist so klein, dass man dort einander kennt und Leute aus verschiedensten Teilen der Steiermark trifft. Das heißt, die Hürde ist wahrscheinlich relativ groß, anonym bleiben zu wollen, wenn man in ein Krankenhaus geht. Das gilt es zu bedenken, obwohl – und da möchte ich noch einmal betonen: Auch wir sehen es so – die anonyme Geburt eigentlich der weiter reichende und vernünftigere Ansatz ist als die „Babyklappe“.

Die „Babyklappe“ ist sozusagen die aktuelle Ergänzung in diesem Gesamtbündel von Maßnah­men. Was wir uns aus Landessicht wünschen würden, wäre, dass man beim Arbeiten an recht­lichen Rahmenbedingungen an dieses Zusammenspiel der verschiedenen Modelle denkt und dass man die regionalen Gegebenheiten berücksichtigt.

Ich komme, wie gesagt, zum Schluss – ich fasse mich ganz kurz – noch einmal auf das Thema Medien zu sprechen. Mir erschiene es ganz wichtig, so etwas wie eine Medienkooperation zu­sammenzubringen und die Medien für die Bewusstseinsbildung zu gewinnen und darauf einzu­wirken, dass weniger Schuldzuweisungen und das Sich-ein-Fähnchen-auf-den-Hut-Heften im Vordergrund stehen. Wenn man die Medien dafür als Partner gewinnen könnte, erschiene uns das sehr wertvoll. – Danke.

14.29


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Abgeordneter Dr. Kurt Grüne­wald. – Bitte.

14.29


Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald¦ (Grüne): Wir sind zuvor ganz kurz gemahnt worden, nicht so sehr vom Thema abzuschweifen. Ich verkompliziere nichts gerne, aber Klappen – ob das jetzt „Babyklappen“ oder Scheuklappen sind – neigen dazu, etwas so sehr einzuschränken, dass man die wichtigsten Dinge rundherum nicht sieht. Daher begrüße ich sehr, was Sie sagen, nämlich, dass man mehrere Sachen parallel andiskutieren muss. Die anonyme Geburt steht auch für mich im Vordergrund, aber natürlich soll es auch die „Babyklappe“ geben. Es soll eine breite Diskussion keinesfalls etwas verzögern, aber auch Prävention und Ursachenforschung sind wichtig.

Man mag mich korrigieren, aber ich glaube schon, dass die Rechtsprechung auf gesellschaft­liche Wünsche und Einstellungen reagieren und sozusagen vor dem Missbrauch von Juristin­nen und Juristen schützen soll. Man soll nicht einfach das, was im Moment am meisten stört oder in den Zeitungen irritiert, wegräumen wie ein Eisbrecher, ein paar Spitzerln von Eisbergen, und alles andere drückt weiterhin jahrzehntelang nach. Das kann es im Prinzip auch nicht sein.

Ich würde versuchen, das als Chance zu sehen, auch den Männern und einem breiteren Kreis der Gesellschaft klar zu machen, dass die Situation, die uns da zusammengeführt hat, schon eine ist, die mit Not, Verzweiflung, Scham und vielen anderen unguten Dingen zu tun hat und nichts mit Brutalität, Dirnenhaftigkeit oder Lotterleben. Man sollte die schwierige Situation der Frau jetzt einmal darstellen und aufzeigen, dass sie oft einiges ausbaden muss, was im wahrs­ten Sinn des Wortes verbockt worden ist.

Wenn man das bewusst machen kann, würde dadurch ein Ansatz entstehen, juridisch län­gerfristige und ein bisserl breitere und anhaltendere Lösungen zu finden und auch die nötige Akzeptanz dafür herzustellen. – Das wäre es.

14.32


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Frau Abgeordnete Mag. Barbara Prammer. – Bitte.

14.32


Abgeordnete Mag. Barbara Prammer¦ (SPÖ): Mich haben einige Wortmeldungen motiviert, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ich glaube auch, dass man den Ansatz, der aus der Steiermark gekommen ist, die Sache auf drei Beine zu stellen, erweitern sollte, denn er braucht mehr als drei Beine.

Ich gehe nicht davon ab, dass es notwendig ist, diese Problematik umfassender zu sehen. Auch wenn es zehn Mal zur Kindesweglegung oder gar zur Kindestötung kommt, dürfen wir nicht blind sein vor der Situation, dass viele junge Frauen, junge Mädchen sehr wohl beim Kind blei­ben – und dann geht das Elend los. Das heißt, wir sollten die ungewollte Schwanger­schaft nicht nur aus dem Blickwinkel sehen, dass die Frau diese als so katastrophal ansieht, dass sie oft als letzten Ausweg nur mehr die Kindesweglegung sieht, sondern wir sollten vor allem dazu kommen, ungewollte Schwangerschaften überhaupt zu verhin­dern, weil nur wirklich gewollte Kinder glückliche Kinder sein können! (Abg. Steibl: Das ist nicht das Thema! Wir reden von einer anderen Situation!)

Das ist das Thema! Das kann man nicht davon lösen. Wenn man „nur“ – unter Anführungs­zeichen – die „Babyklappe“ und die anonyme Geburt diskutiert, ohne dass gleichzeitig auch das Bemühen dahinter steht, wieder einen neuen Ansatz zu finden, um von vornherein die Probleme für viele junge Mädchen und junge Frauen zu lösen, dann ist das nur eine halbe Sache.

Ich glaube auch, dass ein derartiger Notruf, wie er diskutiert wurde, ein sehr breites Spek­trum abdecken könnte. Mir gefällt das unglaublich gut, weil solch ein Notruf tatsächlich gewähr­leisten kann, dass einmal eine Sechzehnjährige, die sich in einer schwierigen Situation befindet, anrufen kann, und zwar möglichst schon drei Wochen bevor sie die Wehen bekommt.

Ich denke, all diese Dinge sind hervorragend, aber sie sind ganzheitlich zu sehen. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass dabei das Thema „Babyklappe“ und anonyme Geburt in aller Ordnung sowohl organisatorisch als auch rechtlich geklärt sein muss. – Das wollte ich einfach noch ein­mal sagen.

14.34


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Dr. Jürgen Moysich, bitte.

14.34


Referent Dr. Jürgen Moysich¦ (Hamburger Projekt „Sternipark“): Ich möchte zu ein paar Fra­gen, die die Verhältnisse in Hamburg betreffen, noch die entsprechenden Informationen geben. Die Acht-Wochen-Frist für Frauen, innerhalb der sie sich melden können, ist zwei Elementen nachgebildet. Das eine Element ist, dass in Deutschland die Zustimmung zur Adoption generell erst nach acht Wochen erteilt werden darf, weil man eben davon ausgeht, dass man einen be­stimmten Zeitraum braucht, um darüber nüchtern nachzudenken und zur Ruhe zu kommen. Deswegen gibt es diese Acht-Wochen-Frist.

Das andere Element ist, dass Pflegeverhältnisse, wie wir sie betreiben, bei der Aufnahme des Kindes für acht Wochen nach dem deutschen Jugendhilferecht einfach nicht genehmigungs­pflichtig sind. Jeder kann acht Wochen lang das Kind von der Nachbarin nehmen und dann war­ten, ob sie wiederkommt oder nicht. – Soviel zu diesem Komplex.

Natürlich findet bei der Übergabe durch die „Babyklappe“ im Prinzip keine Nachbetreuung statt, also keine Nachbetreuung der Mutter, es sei denn, sie meldet sich. Sie bekommt natürlich dieses Angebot. Sie weiß auch, wo sie sich melden kann. Bisher hat sich nur eine Mutter ge­meldet, um sich – sagen wir es so – in gewissem Sinne noch einmal ordnungsgemäß von ihrem Kind zu verabschieden, nicht um es wieder zu sich zu nehmen.

Das ist immerhin die Bilanz. Wir wissen, was sonst bei Aussetzungsfällen an Rückmeldungen von Müttern kommt. Ich glaube auf jeden Fall, die Chance ist größer, wenn die Frauen wissen, sie können sich irgendwann noch einmal melden. Wir fragen dann auch nicht nach dem Namen oder nach dem Personalausweis für die Geburtsurkunde. Ich schätze die Chance in diesem Fall also höher ein, aber viel mehr Nachbetreuung kann man da natürlich nicht machen.

Hinsichtlich der Information haben wir in Hamburg den Vorteil gehabt, dass die Medien über die erste „Babyklappe“ so ausführlich berichtet haben, dass es sich langsam herumgesprochen hat, wo es diese Einrichtung gibt. Wir haben von uns aus Handzettel und Aufkleber in den verschie­densten Sprachen, von denen wir wissen, dass sie in der Region gesprochen werden, verteilt, auf denen die Adresse und die Notrufnummer stehen. Wir haben dann eine Plakataktion ge­schaltet mit Plakaten, die sowohl diese Frauen erreichen als auch die Öffentlichkeit beeinflus­sen sollen. Wir haben ein paar von diesen Plakaten mitgebracht. (Der Redner hält ein Plakat in die Höhe.)

Auf dem schwangeren Bauch sind verschiedene Motivationslagen oder Notlagen dargestellt, wie zum Beispiel „In der Schule verführt“, „In Panik verschwiegen“, „In Lügen verstrickt“, „Im Keller geboren“, „Im Müll entsorgt“. Insgesamt sind es also fünf Motive, die ausgehängt worden sind. Dadurch haben wir vielleicht auch einen relativ hohen Bekanntheitsgrad bekommen.

Ich kann allerdings vom letzten Fall sagen, da war es schlicht und ergreifend so, dass eine junge Frau um 11.30 Uhr im Kinderkrankenhaus angerufen und gefragt hat, ob die Klappe da ist. Die Leute vom Krankenhaus haben gesagt, nein, die ist nicht bei uns, die ist dort und dort, und haben den Ort genannt. – Eine Stunde später war das Baby dann auch da. Diese Frau war also durchaus findig, was die Informationsgewinnung angeht.

Der Notruf selbst – das habe ich bereits gesagt – wird sehr oft im Vorfeld in Anspruch genom­men. Da rufen überwiegend in der Tat junge Frauen an, insbesondere wenn sie schwanger sind. Aber gerade dann, wenn die ersten drei Schwangerschaftsmonate vorbei sind, haben sehr viele Frauen Fragen, die sie auch woanders beantwortet bekommen. Diese Fragen lauten zum Beispiel: Muss ich meinen Eltern das erzählen? Darf der Arzt etwas erzählen? Was ist mit meinem Freund? – Mein Problem ist, dass ich diese Notrufe nicht selbst entgegennehme. Ich kann die Fragen nur aus den Berichten, die ich erhalte, wiedergeben. Diese Fragen können sicher auch andere beantworten.

Das Wesentliche ist, ob die Frau von weit herkommt. Es kann passieren, dass mitten in der Nacht um 4 Uhr eine junge Frau aus Thüringen anruft, und die Mitarbeiterin am Notruf, tech­nisch ausgerüstet mit einem Handy, sitzt irgendwo in Hamburg oder in Schleswig-Holstein. Das ist ja eine gewisse Entfernung. Das Problem besteht dann darin, dass der Versuch unternom­men werden muss, dort irgend jemanden zu finden. Man klappert das Umfeld ab und versucht, gemeinsam mit dieser Frau auf eine Idee zu kommen, wohin man sie verweisen kann. Inzwi­schen sind wir schon so weit, dass wir aus einer ganzen Menge Regionen auch konkrete Adres­sen haben und wissen, dort gibt es diese und jene Beratungsstelle, und dort sitzt jemand. Die wesentliche Frage geht immer darum: Wen kannst du im Umfeld finden, dem du dich ohne Furcht und Angst anvertrauen kannst?

Das setzt natürlich bei den Mitarbeiterinnen, die beim Notruf arbeiten, voraus, dass sie das auch wirklich lernen, dass sie wissen, wann sie wirklich ausführlich beraten, telefonieren müssen und dass sie genau wissen, das ist ein Anruf, da ist jedes Wort, das ich sage, zuviel, da muss ich versuchen, mich mit der Frau zu treffen oder sonst etwas. – Das muss man lernen, das kann sicherlich nicht jeder machen.

Es wurde auch die Frage nach dem Medienrecht aufgeworfen. Sie haben gesehen, auch im Beitrag des ORF sind Aufnahmen von Ronja, dem ersten Kind, das in die „Babyklappe“ gelegt worden ist, zu sehen. Ich habe auch gesagt, dass die Öffentlichkeit, die Medien nicht sensa­tionslustig gewesen sind, ganz im Gegenteil.

Wir haben es so gemacht, dass wir eine gewisse Zeit, also acht bis zehn Wochen ins Land gehen haben lassen und dann Fotomaterial und auch Filmmaterial – allerdings in einer Form, in der das Kind nicht identifizierbar ist – zur allgemeinen Veröffentlichung hinausgegeben haben. Diesbezüglich gibt es auch medienrechtlich in Deutschland keine Probleme. Man muss auch umgekehrt sehen, dass die Presse in Deutschland wirklich einen Anspruch darauf hat, so etwas abdrucken zu dürfen, sofern nicht die Intimsphäre zu sehr verletzt wird. Ich glaube, da gibt es keinen Handlungsbedarf medienrechtlicher Natur, dass man so etwas verbieten müsste, so­lange nicht relativ deutlich herausgestellt wird, jeder kann das Kind dann dort und dort besich­tigen. Aber diese Informationen bekommen die Medien von uns nicht, und das würden sie auch nicht machen.

14.40


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Dr. Ewald Filler, bitte.

14.41


Dr. Ewald Filler¦ (Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen): Ich möchte nur drei kurze Kommentare zu dieser Thematik anbringen.

Erstens: zur Frage der Anonymität. Ich möchte auf eine kleine Diskrepanz zwischen dem Recht auf Anonymität der Frau auf der einen Seite und der des Mannes auf der anderen Seite hin­weisen.

Es gibt die Bestimmung, dass die Mutter den Vater des Kindes nicht bekannt zu geben braucht. Das heißt, der Vater kann in den Genuss der Anonymität allein dadurch kommen, dass die Mutter ihn nicht bekannt gibt. Ich würde davon ausgehen, dass auch die Mutter selbst sich quasi nicht bekannt zu geben braucht. Davon würde ich ausgehen. Dennoch, in dem Moment, in dem sie in das System eintritt, sprich, in ein Krankenhaus et cetera geht, ist es nicht mehr eine Frage des Privatrechts, sondern es geht um die Frage: Wer bezahlt die Kosten? Das heißt, damit ist sie sozusagen in der Situation, dass ihre Identität bekannt wird. – Das ist das eine.

Ich persönlich bin aber gar kein großer Verfechter der Anonymität, und zwar aus einem sehr bestimmten Grund, weil ich an dieser Stelle auch eine Lanze für die Rechte des Kindes brechen möchte. Die Kinder haben ein Interesse, haben auch ein Recht, ein Menschenrecht auf Kennt­nis ihrer Eltern, und ich würde in Zweifel stellen, ob eine Gesellschaft ohne weiteres die Legiti­mation hat, leichtfertig zu Lasten von Kindern, die noch keine Sprache, noch kein Sprachrohr haben können, auf dieses Recht zu verzichten.

Ich will aber dennoch Folgendes klar zum Ausdruck bringen: Natürlich ist es besser, anonym geboren als – wie auch immer – gestorben zu sein. Das will ich wirklich außer Diskussion stellen. Ich denke mir, wenn wir von Anonymität sprechen, von dem berechtigten Wunsch nach Anonymität, dann sollte, wie ich meine, im Vorfeld primär die Frage der Anonymität gesichert sein. Die einzige Einrichtung, die Anonymität in diesem Bereich gewährt, sind die Familienbera­tungsstellen. Es gibt sonst keine Systeme, welche Anonymität gewähren, weil sie mit Kosten verbunden sind, und Kosten brauchen quasi Begünstigte, für die sie abgerechnet werden können.

Zuallerletzt wollte ich noch die Idee, die Herr Moysich aus Hamburg hier eingebracht hat, kurz ergänzen. Er hat die Idee vorgebracht, dass in Hamburg der Frau, welche das Kind quasi depo­niert, wenn ich das so sagen darf, eine Art Dokument oder wie immer man das bezeichnen kann, ausgehändigt werden könnte, auf dem sie selbst noch den Fingerabdruck des Kindes deponieren kann, also quasi ein Identifikationsmerkmal.

Ich will jetzt nicht in die Orwell’sche Dimension gehen, aber es wäre auch denkbar, dass, wenn schon Findelkinder sozusagen verwaltungsrechtlich behandelt werden und irgendwann einen Namen bekommen, dem Kind auch gleich ein Name gegeben wird. Das ist zwar noch eine unreife, noch nicht ausgegorene Idee, aber prinzipiell kann es sein, wenn die Mutter in einem bestimmten Zeitraum nicht in der Lage ist, es nicht schafft, zu dem Kind zu stehen, aber zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt diese Möglichkeit hat, dass sie dann einen Anknüpfungs­punkt hat, wer dieses Kind ist. Das heißt, dass sie Jahre später oder wann immer zu diesem Kind Kontakt aufnehmen kann.

Ich glaube, niemand hier von uns ist davon betroffen. Wir alle kennen unsere Eltern, ich glaube es, ich nehme es einmal an. Ich frage jetzt nicht wirklich danach. Wir dürfen aber nicht verges­sen: Kinder, die ihre Eltern nicht kennen, laufen ihren Eltern ein Leben lang nach! Wenn es bei all dieser Problematik schaffbar ist, dass Kinder eine Chance haben – egal, wann –, ihre Eltern kennen zu lernen, dann sollte man, wie ich meine, nichts unversucht lassen, das zu realisie­ren – bei all diesen großartigen Ideen, die wir heute gehört haben.

Ein letzter Punkt: Natürlich liegt es gewissermaßen in der Natur der Sache, dass wir hier immer von den Frauen, auch von den sehr jungen Frauen sprechen. Ich glaube, ich kann aber auch von den Männern sprechen. Ich bin immer wieder fasziniert von der enormen Verwunderung, die bei Männern – meistens bei jungen Männern – ausgelöst wird, wenn sie sozusagen den Kausalzusammenhang erkennen. Wenn sie mit einer Frau ins Bett gehen, wundern sie sich extrem darüber, dass erstens ein Kind entstehen kann, aber noch viel größer ist die Verwunde­rung, dass sie damit eine Art Personenbezug, eine Rechtsbeziehung zu diesem Kind haben könnten. Das ist wie ein Wunder, wenn man ihnen das sagt.

Ich glaube, wenn wir von bewusstseinsbildenden Maßnahmen sprechen, dann sollte man da eine gewisse Normalität einführen, sodass es auch für junge Männer zur Selbstverständlichkeit wird, dass, wenn sie mit einer Frau ins Bett gehen, ein Kind daraus entstehen kann. Das ist ganz klar.

Ein ganz kurzer Aspekt und letzter Gedanke zu der Thematik der Anonymität und diesem schönen Film, den wir gesehen haben. Dass Kinder auch adoptiert werden können, sollte, wie ich meine, entdramatisiert werden, und zwar in beide Richtungen. Es darf erstens kein Drama sein, wenn ein Kind entsteht, und es sollte noch weniger ein Drama sein, wenn das Kind nicht bei der leiblichen Mutter oder bei den leiblichen Eltern aufwächst, sondern bei einer Adoptiv­familie. Ich glaube, ein Teil dieser Probleme, die wir hier haben, hat auch mit der öffentlichen Dramaturgie zu tun, wobei eine Mutter, die ihr Kind weggibt, sehr leicht als Rabenmutter abge­stempelt wird. Das ist nicht der Fall, aber ich will das jetzt nicht etwa im Zuge einer Abtreibung thematisieren; da schaut es schon etwas anders aus. Aber ein Kind wegzugeben wird schon als ein recht schwerer Verstoß gegen eine Art von Humanverantwortung gegenüber einem Kind verstanden. Wenn wir da mehr Normalität entwickeln, so wie es in dem Film auch gezeigt worden ist, dann werden manche dieser Probleme etwas pragmatischer lösbar sein.

14.48


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Frau Monika Pinterits, bitte.

14.48


Monika Pinterits¦ (Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien): Jetzt kommen die Kinderrechtlerin­nen zu Wort. Ich denke mir, die Diskussion kann nicht sein: entweder – oder, sondern Kinder haben, wenn sie geboren sind, ein Recht auf Leben. Das heißt, sie haben ein Recht auf eine Hotline, sie haben ein Recht auf eine Klappe oder wie immer man das nennt – auch ich kann mit Klappe besser leben –, und sie haben ein Recht auf eine anonyme Geburt.

Ich erlebe es immer wieder, es gibt Enqueten, bei denen ganz tolle Dinge diskutiert werden. Die Prophylaxe ist etwas ganz Wichtiges, und ich wünsche mir, dass ein Package gepackt wird. Das heißt, nicht nur das, das oder das, sondern zum Schutz und zum Wohle unserer Kinder, der Frauen oder wem auch immer soll da etwas weitergehen. – Das würde ich mir wünschen, und das soll beschlossen werden.

Aufträge an die Juristen oder an wen auch immer können jetzt schon, so denke ich mir, erfol­gen. Es gibt ohnehin sehr gescheite Vorstellungen. Das, was du bezüglich des Rechts auf das Kennen der Eltern gesagt hast, habe ich mir auch überlegt. Ich weiß nicht, ob man das diskutie­ren kann. Ich weiß nicht, ob es rechtlich sinnvoll ist. Ich fürchte, es wird nicht machbar sein. Aber es ist natürlich ein Aspekt, der mir auch am Herzen liegt. Aber vorrangig ist natürlich das Leben der Kinder.

14.49


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke vielmals. – Frau Abgeordnete Dr. Pittermann, bitte.

14.49


Abgeordnete Dr. Elisabeth Pittermann¦ (SPÖ): Ich habe mich zwar vorher nur zu Wort gemel­det, um Sie darauf aufmerksam zu machen, dass man doch einmal die Cafeteria rufen sollte, aber jetzt bin ich froh, dass ich mich gemeldet habe und meine Punkte in die Diskussion einbrin­gen kann.

Ich muss sagen, manche Ansichten sind schon ein bisschen eigen. Mir kommt es fast so vor, als betrachtet man uns Frauen auch als Brutkästen für jene Frauen, die keine Kinder bekom­men können. Ich finde es sehr gut, dass adoptiert wird, aber ich finde es ganz besonders wich­tig, dass ungewollte Schwangerschaften möglichst nicht zustande kommen. Auch möchte ich sagen, es sind nicht so sehr die jungen Männer, die sich von den Frauen verabschieden, son­dern es sind eher die erfahrenen Männer oder die Familienväter, denen es unangenehm ist, dass sie noch irgendwo ein Kind haben und die dann die Frauen unter Druck setzen und in Not versetzen!

Es ist sehr wichtig, die gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern. Eine Frau hat nichts da­von, wenn sie für einige Zeit nur ein bisschen Geld bekommt und dann dasteht oder nach einem befristeten Beschäftigungsverhältnis dann vier Wochen lang keine Arbeitslose bekommt. Das Kind hat auch in diesen vier Wochen Hunger! Es geht den Frauen nicht so gut, denn die Frau, der es gut geht und die willentlich und wissentlich ein Kind zeugt, braucht das auch nicht!

Ich möchte auch noch fragen, da wir so viel von der schönen Adoption reden: Wie viele behin­derte Kinder werden adoptiert, Kinder, die nicht ganz allen Anforderungen entsprechen? Was ist mit diesen Kindern, da man immer sagt, wie schön das alles ist?

Ich bin wirklich dafür, dass man alles tut, damit diese Frauen in keiner Notsituation sind, aber sie sind in einer Ausnahmesituation. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es, auf ihr Leben bezo­gen, leichter ist, wenn sie das Kind irgendwo hineingelegt haben, als es letzten Endes dann doch getötet zu haben, wenn sie wieder zu sich kommen. Ich stelle mir durchaus vor, dass sie das aus einem Zwang, aus einer geistigen Absenz heraus tun, die auch immer wieder aner­kannt worden ist, da die Frau um die Geburt herum in einer Ausnahmesituation ist. Wir müssen in erster Linie alles tun, um das wirklich zu verhindern. Und das beginnt mit frühzeitiger Aufklä­rung, das beginnt mit dem Zugang zu Verhütungsmitteln, und das beginnt mit rechtzeitiger Be­treuung.

Wie gesagt, wir sollten uns das alles nicht so einfach machen. Die Kinder sind nicht dazu da, um dem Staat zu dienen, sondern die Kinder sind eigenständige Menschen, die ein Recht auf ein Leben für sich haben und nicht nur als ein Teil des Gefüges der Gesellschaft, das man benötigt. Und genauso ist es mit den Frauen.

Ich wünsche mir auch mehr gesellschaftliche Verantwortung der Männer. Wir dürfen nicht nur von den Pflichten der Frauen reden. Früher galt es auch als Verletzung der Aufsichtspflicht, wenn einem Kind etwas passiert ist, da hat man immer die Mutter beschuldigt und fast niemals den Vater. Wir müssen sagen: Für ein Kind sind – wenn schon – beide verantwortlich, und das ist unbedingt zu verankern.

Ich habe noch eine Frage an die Frau Vorsitzende: Ist es mit der Parlamentsdirektion abgespro­chen, dass wenigstens für die Experten, denen man nur ein abgestandenes Wiener Wasser ge­bracht hat, die Kosten für den Kaffee und die Mehlspeise übernommen werden, wenn sie schon keine Mittagspause hatten?

14.53


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Das ist nicht abgesprochen, und die Experten zahlen sich das selbst. Ich glaube, das ist zumutbar. Seid mir nicht böse, es ist nicht abgespro­chen. Wenn sich ein Experte außer Stande sieht, das Getränk zu zahlen, übernehme ich es persönlich. Es ist nicht mit der Parlamentsdirektion abgesprochen, es ist nicht vereinbart wor­den. Wir Abgeordneten, aber auch Experten und Regierungsmitglieder haben oft Enqueten ohne Mittagspause. Mir tut das wirklich Leid.

Ich freue mich, dass das geklappt hat. Sagt mir, wer es nicht bezahlen möchte.

Ich würde jetzt bitten, dass alle diejenigen – ich schließe da durchaus auch die Experten der Parteien mit ein –, die angesprochen worden sind, jetzt eine Antwortrunde machen. Ich möchte bei den Experten der Parteien anfangen und dann die anderen Experten bitten, dass sie noch einmal, wenn sie angesprochen sind oder glauben, dass sie noch etwas Wesentliches beitra­gen können, was sich aus der Diskussion ergeben hat, eine Abschlussrunde machen.

Bitte, Frau Professor, Sie haben sich schon früher zu Wort gemeldet und gesagt, Sie möchten eine Zusammenfassung geben. – Bitte.

14.54


Universitätsprofessorin Dr. Marianne Springer-Kremser¦ (Österreichische Gesellschaft für Familien­pla­nung): Ich möchte nur auf die Fragen antworten, die mir gestellt wurden.

Die erste Frage war: Um welche Ausnahmesituationen handelt es sich, in denen die Frauen sind? Die zweite Frage hat sich auf Forschungsdesigns oder – so habe ich es verstanden – auf die anonyme Geburt in Frankreich bezogen.

Zur ersten Frage: Um welche Ausnahmesituationen handelt es sich? – Da muss ich ein biss­chen ausholen. Grundsätzlich wird hier im Raum immer so getan, als ob Sex haben, schwanger werden, schwanger bleiben, ein Kind gebären und ein Kind aufziehen ein Kontinuum sind. – Das ist es nicht. Es sind völlig unterschiedliche psychologische Komplexe involviert.

Auf die Gefahr hin, Sie zu langweilen, Frau Vorsitzende, muss ich das wiederholen, was ich schon gesagt habe: Es gibt Frauen, die haben gerne und mit Vergnügen Sex, und es gibt Frauen, die haben das nicht. Es gibt Frauen, die werden gerne schwanger und leicht schwan­ger, können aber aus irgendwelchen Gründen nicht schwanger bleiben. Es gibt Frauen, die haben Sex, werden schwanger und bleiben schwanger, haben aber unglaubliche Schwierigkei­ten, zu gebären. Und dann gibt es Frauen, die haben Sex, werden schwanger, bleiben schwan­ger, gebären ein Kind, können aber – aus welchen Gründen auch immer – keine sozialen Mütter sein. – Das ist der erste Punkt Ihrer Frage betreffend die Ausnahmesituation.

Es gibt Frauen, die können keine soziale Mutter sein. Das mag etwas mit ihrer eigenen Bio­graphie zu tun haben, das sind Frauen, die irgendwie sozial sehr depriviert sind, das sind viel­leicht auch Frauen, die einer extremen Gewalt oder anderen sozialen Deprivationen ausgesetzt sind. Das gibt es. Es gibt aber auch Frauen, die von ihrer intrapsychischen Situation her nicht dazu im Stande sind. – Das ist die eine Gruppe.

Es gibt aber auch Frauen, die nicht im Stande sind, sich diese Informationen zu verschaffen, von denen hier immer wieder geredet wird, und das ist das zweite Missverständnis, das hier durch den Saal geistert, nämlich dass Fruchtbarkeit so wunderbar planbar und rational beein­flussbar ist. – Sexualität ist ein Trieb, und ein Trieb ist dadurch charakterisiert, dass „es treibt“ – ich hoffe, dass alle hier im Saal damit Erfahrung haben, wie lustvoll das sein kann –, und dadurch lässt mitunter die Vernunft aus.

Für diese Situationen muss es Hilfsmaßnahmen geben. Eine der Hilfsmaßnahmen ist meiner Meinung nach nicht nur – diese muss es immer geben – die Aufklärung und alles, was darüber gesagt wurde. Das alles kann man unterschreiben und unterstreichen, aber etwas anderes hilft mehr – das weiß man, denn darüber gibt es Untersuchungen in Ländern; die IPPF hat all das im Internet abrufbar –: Es gibt viel weniger ungewollte Schwangerschaften in den Ländern, in denen eben diese Dinge verteilt werden, ob das jemandem gefällt oder nicht. Es werden Kon­dome und die „Pille danach“ verteilt und so weiter. Das heißt, die Leute haben das dann in der Tasche, und der Weg von der Tasche auf den Penis ist immer noch schneller als vom Hirn auf den Penis oder in den Mund, wie auch immer Sie wollen. – So ist das. So viel zur ersten Frage.

Zu Ihrer zweiten Frage, zur anonymen Geburtsbegleitung: Auch da ist etwas angeklungen, was ich in meinem ersten Statement gesagt habe. Es wurde ein multidisziplinäres Team geschaffen, das zuerst einmal in langen Diskussionen – diese Diskussionen sind als Protokolle abrufbar – darüber geredet hat: Was gibt es alles? Woran muss man denken? Was gibt es an Vorbeu­gung, an Begleitung, an Auffangmöglichkeiten für die Frauen? – Dafür braucht es ein multidiszi­plinäres Team. Ich würde einfach vorschlagen, wenn ein solches organisiert wird, dass man jemanden aus Frankreich, der mit dieser anonymen Geburt Erfahrung hat, dazu einlädt. Man braucht wahrscheinlich Übersetzer, weil es immer ein Sprachproblem mit Französisch gibt, aber das wäre mein ganz konkreter Vorschlag.

Über das spezifische Forschungsdesign hier zu referieren, ist einfach zu kompliziert. Das, was ich Ihnen referiert habe, war eigentlich mehr die Übersicht über die demographischen Merkmale der betroffenen Population. – Danke.

14.59


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Ich bitte jetzt die Experten der Reihe nach um eine kurze Abschluss- oder Antwortrunde. – Bitte.

Schlussworte

14.59


Dr. Jürgen Moysich¦ (Hamburger Projekt „Sternipark“): Ich wollte nur noch zu einem Aspekt etwas sagen, und zwar zur Frage des Rechtes des Kindes, seine Her­kunft zu erfahren. Wir müs­sen uns damit relativ hautnah beschäftigen, weil wir von Zeit zu Zeit Säuglinge auf dem Arm halten, die in dem Moment wirklich nicht wissen, wer ihre Mutter ist.

Wir sagen dann in der öffentlichen Diskussion immer: Liebevoll geht vor leiblich. Das heißt, wir wissen, wenn die Mutter nicht wiederkommt, dann werden diese Kinder zu liebevollen Adoptiv­eltern kommen. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass man das Recht des Kindes, seine Herkunft kennen zu lernen, bestreitet oder niedrig schätzt – das sollte man mit Sicherheit nicht machen. Das ist auch in der UN-Konvention festgehalten, wobei die Einschränkung auch in der UN-Konvention lautet: so weit möglich; also so weit möglich, soll es seine Herkunft erfahren.

Zum einen kann man das Recht, seine Herkunft zu erfahren, natürlich nur wahrnehmen, wenn man am Leben bleibt. Wenn man bei einer Aussetzung zu Tode kommt, dann kann man dieses Recht nicht mehr wahrnehmen. Zum anderen bin ich der Ansicht, dass solche Konzepte wie „anonyme Geburt“ oder „Babyklappe“ die Chancen der Kinder eher erhöhen, irgendwann ein­mal doch ihre Herkunft zu erfahren, denn die Mutter mag zwar vielleicht meinen, sie habe un­moralisch gehandelt, aber sie weiß auf jeden Fall, dass sie sich nicht strafbar gemacht hat. Ich denke, wenn man ein wenig Geduld hat, dann werden wir auch erleben, dass sich die Mütter dieser Kinder vielleicht nicht im selben Jahr und auch noch nicht im darauf folgenden, sondern irgendwann einmal, wenn sie das Kapitel verarbeiten konnten, wieder melden werden, weil sie wissen, dass sie ein anerkanntes Hilfsangebot in Anspruch genommen haben. Sie werden sich also melden, wenn sie das Gefühl haben werden, dazu wirklich in der Lage zu sein. Dann ist zwar die Zeit für die Rückgabe des Kindes vorbei, weil es dann im Allgemeinen schon adaptiert sein wird. Dennoch verspreche ich mir von diesem Konzept wesentlich mehr als davon, Mütter ausgesetzter Kinder von der Polizei suchen zu lassen. Das ist, zumindest in Deutschland, nahezu immer erfolglos geblieben, selbst in den schweren Fällen, wenn Kinder zu Tode gekom­men sind.

15.01


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Dr. Stormann. – Bitte.

15.01


Referent Leitender Staatsanwalt Dr. Michael Stormann¦ (Bundesministerium für Justiz): Zunächst einmal gab es die Frage, ob ich mir eine flächendeckende Einrichtung wünsche. Ich würde schon meinen, dass man sicherstellen sollte, dass die anonyme Geburt – wenn man dem näher tritt – in weiten Bereichen möglich wird. Gerade bei Geburten ist zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Einrichtungen möglichst im Nahbereich angeboten werden müssten, um zu vermeiden, dass hochschwangere Personen durch die Lande reisen müssen.

Schwieriger wird das natürlich im Hinblick auf die „Babyklappe“, allein wenn ich mir vorstelle, welche Kosten eine „Babyklappe“ verursacht und dass sie wahrscheinlich nur noch subsidiäre Funktion zur anonymen Geburt haben wird. Von Frauen, die gerade eben ein Kind geboren haben, kann man nicht erwarten, dass sie mit dem neugeborenen Kind größere Distanzen zu­rücklegen. Ich fürchte daher, das wird einfach zwangsläufig Ballungsräumen vorbehalten blei­ben. – Wie gesagt, ich glaube, wenn man das Anliegen hat, der Kindesweglegung und deren tödlichen Folgen entgegenzuwirken, dann muss man ein möglichst geschicktes Design finden.

Zur Frage nach den Fristen, also danach, wann eine Adoption möglich wird: Wir sind in Öster­reich in einer – wie ich immer wieder feststelle – relativ glücklichen Situation, die darauf zurück­zuführen ist, dass sich das Parlament bei pragmatischen Fragen mit Regelungen zurückhält, daher haben wir keine. Es ist relativ einfach: Kinder, die unter solchen Umständen zur Welt kommen, sind Findelkinder. Der Jugendwohlfahrtsträger kann diese Kinder in Pflege geben und wird dies wohl auch in der Regel tun. Dieses Pflegeverhältnis begründet er selbst, weshalb es von der Pflegebewilligung ausgenommen ist. Das heißt, wir haben in diesem Fall keinerlei Fristen zu wahren. Es kommt einzig und allein darauf an, was man sozialarbeiterisch, psycho­logisch für sinnvoll hält.

Warum will man Fristen? – Einerseits geht es darum, die Integration des Kindes in die neue Familie zu fördern, andererseits darum, der leiblichen Mutter doch eine Chance zur Rückkehr offenzuhalten. – Da ich nun schon einmal beim Thema „Rückkehr“ bin: Wenn die Adoption voll­zogen ist, dann ist für die leibliche Mutter eine Rückkehr in die soziale Mutterschaft nicht mehr möglich. Es wird zwar vielleicht möglich sein, den Geburtseintrag zu korrigieren – ich würde annehmen, das geschieht in einem Berichtigungsverfahren –, aber das ist es dann auch schon. Damit muss man sich auf dem Gebiet des Kindschaftsrechts abfinden. Kinder sind keine Fund­gegenstände, auf die es Eigentumsansprüche gibt, sondern sie bedürfen der Pflege. Es geht um Menschen und nicht um Sachen.

Zur Frage „Vertragsverhältnis“: Selbstverständlich muss man davon ausgehen, dass jemand, der ein Kind anonym gebiert – insbesondere dabei, wie ich vermute, sicher auch sozialarbeite­rische Betreuung vor Ort stattfindet – oder es in die berühmte „Klappe“ legt, davon ausgeht, dass dieses Kind entsprechend weiter betreut wird und letztlich bei guten Adoptiveltern landet.

In diesem Haus wurde im Jahr 1989 ein vorbildliches neues Jugendwohlfahrtsrecht beschlos­sen, und dieses neue Jugendwohlfahrtsrecht stellt nur minimal auf hoheitliche Akte ab. Die Pflegeplatzbewilligung, die Heimbewilligung, die Beurkundung des Vaterschaftsanerkenntnisses wird man mit relativ großer Mühe gerade noch als hoheitliche Akte ausmachen können. Im Wesentlichen ist die gesamte Jugendwohlfahrt jedoch Privatwirtschaft. Dieses vorbildliche Ge­setz ist also ein privatwirtschaftliches Förderungsgesetz. Somit ist auch die Adoptionsvermitt­lung ein privatwirtschaftlicher Akt des Jugendwohlfahrtsträgers. Das heißt, wenn jemand ein Kind geboren hat, nach zwei Jahren für das Kind im Leben keinen Platz mehr hat und sich an das Jugendamt wendet, um eine Adoption vermitteln zu lassen, ist das, glaube ich, ebenso ein vertraglicher Vorgang, wie wenn jemand das Kind einer Einrichtung übergibt und in die „Klappe“ legt. Hierbei wird das Vertragsverhältnis eben konkludent begründet. Beide Fälle bewegen sich durchaus auf gleicher Ebene.

Wie sieht es medienrechtlich aus? – Ich muss ganz offen sagen: Ich habe immer wieder eine gewisse Angst vor dem Sensationsjournalismus. Eine meiner großen Bemühungen geht dahin, Familie und Privatleben vom Sensationsjournalismus fernzuhalten. Ich würde also meinen, dass jene Journalisten, die sich mit langen Teleobjektiven vor der „Klappe“ auf die Lauer legen, die in diese anonymen Stationen hineinfilmen, im Falle einer Publikation relativ eindeutig gegen § 78 Urheberrechtsgesetz verstoßen und auf Unterlassung geklagt werden können. Viel Ärgeres würde ihnen wohl passieren, wenn sie nach den §§ 16, 1330 ABGB belangt würden. Da ich kein Experte des zum Strafrecht gehörenden weiteren Medienrechtes bin, möchte ich mich hier einer weiteren Aufzählung enthalten. Ich vermute, dass irgendwelche abschreckenden Graus­lichkeiten auch von anderen Rechtsgebieten beschert werden können.

Eine gewisse Lücke besteht allerdings – und das müssen wir natürlich auch sagen –: Der Per­sönlichkeitsrechtsschutz funktioniert immer nur dann, wenn die betreffende Person ihn selbst einfordert, also gerichtlich Klage erhebt. Das ist natürlich für jemanden, der anonym bleiben will, ein delikates Problem. Es gibt hier also ein gewisses Eck, das man vielleicht einmal mit berück­sichtigen sollte, sollte es eine Art Popularklage in diesem Bereich geben. Seitens des Kindes ist die Sache klarer: Wenn das Kind erkennbar wiedergegeben wird, könnte der gesetzliche Vertre­ter, der Jugendwohlfahrtsträger durchaus etwas unternehmen.

Ich muss aber auch sagen – und das ist vielleicht ein ganz wichtiger Punkt –, dass es gerade im familiären Bereich sehr weitgehend gelingt, den Sensationsjournalismus – ich will immer „den Journalismus“ sagen, aber man muss ihn doch ein bisschen klassifizieren – doch auch ein wenig in Schranken zu halten. Ich habe es in zahlreichen Telefongesprächen doch immer wieder geschafft, die Sensationslust von Journalisten gerade in sensiblen Fällen einigermaßen einzudämmen, indem ich an ihr Verantwortungsbewusstsein appelliert habe. So vermute ich auch, dass es dann an den Einrichtungen vor Ort liegen wird, eine entsprechende Partnerschaft zu schließen.

Dann ist noch das Problem „Notrufnummer“ angesprochen worden. – Mit der Notrufnummer sieht es so aus: Schon rein mathematisch gesehen gibt es nur relativ wenige dreistellige Num­mern. Daher hat es sich die oberste Fernmeldebehörde vorbehalten, dreistellige Telefonnotruf­nummern selbst zuzuteilen, und dies nur, wenn ein massiver Bedarf besteht. Es hängt also auch von der Menge ab, die bei der Zuteilung eine Rolle spielt. Man müsste daher überlegen, wenn man solche Einrichtungen über eine zentrale dreistellige Notrufnummer servicieren will, ob man nicht bestehende, vorhandene Notrufnummern für soziale Bereiche mitbenutzen könnte. Mir drängt sich in diesem Zusammenhang auf: „Rat auf Draht“ zum Beispiel hat eine derartige Notrufnummer. Da es sich in der Regel um junge Menschen handelt, ist die Zielgruppe vielleicht nahe liegend. Ich möchte hier keineswegs abschließende Voten abgeben, aber ich denke, das ist in den Griff zu bekommen.

Und jetzt bitte noch einmal zurück zur Problematik Geburtsurkunden und Adoption. Dazu möchte ich noch Folgendes zu bedenken geben: Selbstverständlich hat in Österreich jedes Kind, das adoptiert wird, gegenüber dem Staat Anspruch darauf, dass ihm auf Verlangen Aus­kunft gegeben wird. Selbstverständlich kann das Kind in die Gerichtsakten Einblick nehmen – wobei ich wohl sagen würde, selbst im Wortsinne ab dem 14. Lebensjahr, darunter eher durch den gesetzlichen Vertreter. Selbstverständlich kann das Kind in seine Personenstandsurkunden Einblick nehmen.

Das Problem ist aber, dass man natürlich nur dann Einblick nimmt, wenn man eine Ahnung hat. Diese Ahnung müssen aber die Adoptiveltern herbeiführen. Ich bitte Sie aber auch um Ver­ständnis, dass man von der Justiz nur schwer verlangen könnte, an heranwachsende junge Menschen, die das Problem hatten, adoptiert werden zu müssen, die vielleicht mit ihrer Pubertät raufen und womöglich auch gerade in die Schwierigkeiten einer ersten Liebe verwickelt sind, mit einem förmlichen Gerichtsbrief heranzutreten, in dem ihnen mit freundlichen Worten mitgeteilt wird, dass sie Adoptivkinder sind. Ich glaube, das geht nicht! Das können wir nur den Adoptiv­eltern auferlegen und dabei an ihre Vernunft appellieren.

Es gibt natürlich Berichte darüber – ich höre das immer wieder von Standesbeamten, zu denen ich ein enges Verhältnis habe –, wie die Menschen reagieren, wenn sie von einer Adoption, von der sie bis dahin keine Ahnung hatten, erstmals als Heranwachsende erfahren. Das ist in der Tat meistens ein sehr einschneidendes Erlebnis, und ich denke, dass die Adoptionsvermittlung gefordert ist, den Adoptiveltern die diesbezügliche Verantwortung deutlich und klar zu machen.

Das ist auch einer der Gründe dafür, warum ich das hier so betone und so wiederhole. Ich weiß, dass gerade Menschen, die sich nach einem Kind sehnen, nichts unversucht lassen, an ein solches Kind zu kommen, dass sie dann aber mitunter Verantwortungen gerade in diesem Punkt nicht ernst genug nehmen. Daher hoffe ich auf Sie als Multiplikatoren, dass das entspre­chend weitergetragen wird. Ich sage es immer wieder, wenn ich Anrufe aus der Bevölkerung erhalte.

Zusammenfassend komme ich zu folgendem Ergebnis: An sich sind Einrichtungen wie eine „Babyklappe“ oder eine anonyme Geburt sicher problematisch. Man muss ihnen aber zugeste­hen, dass sie helfen, Kindesweglegungen und deren massive weitere Folgen für Mutter und Kind einzudämmen. Es ist daher sinnvoll, sie einzurichten. Es ist sehr sinnvoll, Überlegungen anzustellen, wie man das Design für derartige Einrichtungen gestaltet, wie man dafür wirbt, damit die Zielgruppe auch erreicht wird.

Ich muss aber auch sagen – und das ist vielleicht ein ganz wichtiger Punkt –, es ist diesem Nationalrat mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz, ebenfalls aus 1989, gelungen, eine Struktur zu schaffen, die darauf hinausläuft, dass sich die österreichischen Väter in geradezu exemplarischer Weise zu ihren Kindern bekennen. Und da muss man aufpassen, dass nicht in der Bevölkerung, im Verantwortungsgefühl der großen Masse der Bevölkerung ein Knick ent­steht und man Gedanken daran fördert, sich der Verantwortung zu entziehen.

Es soll eine Einrichtung für die ärgsten Notfälle sein, es soll aber nicht eine Einrichtung für die leichtfertige Abschiebung von Verantwortung sein. Ich glaube, wenn wir ein solches Design schaffen, dann können wir glücklich sein, und wir müssen im Befund auch sagen, dass uns die österreichische Rechtsordnung bereits sehr weitgehend entgegenkommt.

15.14


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Univ.-Prof. Dr. Grünberger. – Bitte.

15.14


Referent Universitätsprofessor Primar Dr. Werner Grünberger¦ (Krankenanstalt Rudolf­stiftung, First Love Ambulanz): Es ist interessant, ohne dass wir es abgesprochen hätten, habe ich die gleiche Reihenfolge bei der Beantwortung von Fragen wie der Herr Staatsanwalt.

Ich beginne ebenfalls mit dem Recht des Kindes auf Kennen der Eltern beziehungsweise der Herkunft: Die Menschenrechtskonvention besteht darauf, habe ich von irgendwo hinten gehört. Andererseits hat die Mutter – und das weiß ich ja aus der Geburtshilfe – ein Recht darauf, den Vater nicht anzugeben. Also hat das Kind schon einmal keine Chance, den Vater kennen zu lernen. Das ist eine Tatsache. Genauso müsste es doch auch mit der Mutter bei einem Findel­kind, in der „Babyklappe“ oder bei einer anonymen Geburt funktionieren.

Die Filme, die wir gesehen haben, waren wunderschön. Ich darf Sie aber daran erinnern, dass der Sohn nach Jugoslawien eher auf Urlaub gefahren ist. Eigentlich hat er sich bei seinen Eltern, die ihn aufgezogen haben, sehr wohl gefühlt. Ich glaube, jedes Kind, jedes unschuldige Kind sollte das Recht haben, liebevoll und möglichst sorgenfrei aufgezogen zu werden. Man sollte es nicht ununterbrochen fragen, ob es nicht wissen möchte, wer seine leiblichen oder genetischen Eltern sind.

Das gilt übrigens genauso beim Fortpflanzungshilfegesetz, in das der Samenspender eingebaut wurde. Das gehört zwar nicht unmittelbar hierher, aber es macht sehr, sehr viele Probleme. Ich habe sicher an die 200 heterolog inseminierte Kinder, und in 15 Jahren gab es nur zwei Schei­dungen. Das Ganze ist ein ethisch-moralisches Problem der Ärzte. Man darf es nur dann machen, wenn die Ehe intakt ist, das Paar einander liebt und das Kind das Tüpfchen auf dem i ist. Wenn man hilft und es kommt zur Scheidung, will der Ehemann genauso das Kind haben wie die Mutter, obwohl es nicht sein leibliches Kind ist. Man soll das mit der Genetik und der Herkunft nicht so überbewerten. Ich halte die Erziehung für das Wichtigste.

Zur Aufklärung im richtigen Moment kann ich etwas sagen. Ich glaube, Frau Kunz hat etwas ge­sagt, was ich seit 20 Jahren fordere, nämlich dass man den Mutter-Kind-Pass erweitern soll. Er ist jetzt bereits erweitert in die Kleinkindphase. Man könnte alle fünf Jahre irgendetwas ein­bauen, das kostet fast kein Geld. In der Pflichtschule ist die einzige Chance, einen Jugend­lichen noch zu erfassen. Danach ist er weg, dann ist alles nur mehr auf freiwilliger Basis mög­lich. Wir dürfen unsere Jugendlichen nicht unterschätzen, die sind mit 13, 14 Jahren Persönlich­keiten. Der größte Fehler ist, dass man immer von Kindern und den kleinen Dummen redet und denen alles vorschreiben will. Ein Bub ist mit 13 und ein Mädchen mit 13, 14 Jahren oft viel gescheiter als die Mutter. Das sehe ich in meinen Ambulanzen.

Diese Jugendlichen sollten etwas bekommen, was ihnen gehört, worum sie nicht bei den Eltern betteln müssen wie sonst immer: bitte Taschengeld, bitte Kino, bitte Handy. Sie sollten vom Staat einen Zettel, einen Gutschein, einen an der Perforation abreißbaren Teil aus dem Mutter-Kind-Pass erhalten, der ihnen gehört. Und mit diesem Abschnitt könnten sie beispielsweise in eine First Love Ambulanz gehen, und zwar dann, wenn sie es brauchen, und nicht dann, wenn gerade jemand aus der First Love Ambulanz in die Schule kommt und dort eine Stunde lang über Verhütungsmaßnahmen erzählt. Das interessiert sie nicht. (Abg. Mag. Prammer: Das stimmt nicht!)

Ich werde doch von Direktorinnen angerufen, die mich ganz lieb bitten, und zwar ganz egal, aus welchem Lager sie sind, sie sind aber modern. Sie rufen uns also an und sagen: Bitte schicken Sie mir eine Kollegin, die bei uns in der Schule Aufklärung macht. – Wir machen das gerne, aber ich weiß, dass das nicht viel bringt. Wir müssen den Jugendlichen aufwerten und sagen: Wenn du es haben willst, dann musst du es haben können, anonym und umsonst. Mit dem Zettel kannst du wo hingehen. Und dann wird er ganz stolz darauf sein. In muss es sein, denn wenn es in ist, dann wird er es machen, dann wird er gehen. Bei uns dauert eine solche Auf­klärung durch Psychologen und unsere Frauenärztinnen und Frauenärzte eine Dreiviertel­stunde. Wenn es 200 S kosten würde: Wir haben 75 000 Geburten im Jahr, wenn alle gingen, so kostete es 15 Millionen Schilling im Jahr. Das ist sicher weniger, als für flächendeckende „Babyklappen“ benötigt würde. Die brauchen wir aber auch.

Zur Anfrage, ob „Babyklappen“ durch die Ermöglichung anonymer Geburten in jedem Kranken­haus ersetzt werden könnten: Ich persönlich bin dafür, dass anonyme Geburten in jeder öffent­lichen Einrichtung, in der geboren werden kann, möglich sein müssen. Man kommt dorthin, dort sind Hebammen, und man bekommt ärztlich versorgt ein Kind. Die „Babyklappen“ werden wir zwar nicht ersetzen können, denn im ländlichen Raum kennt die Frau ein jeder, wenn sie dort­hin geht. Da kann man dann nicht mehr von anonym sprechen. Das heißt, wenn eine Schwan­gerschaft verheimlicht wurde – und das gibt es leider immer noch –, muss es irgendwo eine Möglichkeit geben, das Kind abzugeben.

Die „Babyklappe“ ist zwar schlechter als die anonyme Geburt, aber immer noch besser als gar nichts. Die rechtlichen Probleme müssen aus dem Weg geräumt werden, die finanziellen Pro­bleme müssen aus dem Weg geräumt werden, und zwar nicht nur für die Schwangere, sondern auch für das Haus, denn irgendwer muss das ja zahlen. Und auch die gesellschaftlichen Pro­bleme müssen gelöst werden. Die Frau darf nicht als Böse gelten, sie darf nicht als Raben­mutter angesehen werden, sondern es handelt sich um eine Frau in einer Notsituation, und es gehört ihr geholfen. Vor allem darf es in der Umgebung keine Schande sein, und es muss eine strikte Anonymität sein. Die Frau muss sich darauf verlassen können, dass nichts nach außen dringt.

Journalisten: Ich denke, wir alle sind dazu angehalten, zu verhindern, dass es eine „Klappe Orange“ gibt.

15.19


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Frau Kröger. – Bitte.

15.19


Referentin Perdita Kröger¦ (Bundesministerium der Justiz, Berlin): Es ist eben noch die Frage gestellt worden, ob das Zeugnisverweigerungsrecht von Beratungs­stellen in Deutschland auch gegenüber dem Standesamt Geltung hätte. Da gehen eigentlich zwei Sachen ein bisschen durcheinander: Beratungsstellen, anerkannte Schwangerschaftskon­fliktberatungsstellen, eher Lebensberatungsstellen, haben Zeugnisverweigerungsrecht im Pro­zess und auch die Pflicht zu schweigen. Die machten sich sogar strafbar, wenn sie es nicht täten. Diese müssen auch nicht zum Standesamt gehen. Nicht einmal dann darf die Beratungs­stelle etwas sagen, wenn eine Frau in der Beratung sitzt und sagt: „Ich kann das Kind nicht bekommen und stelle mir vor, ich werde es halt irgendwo, wo es nachher versorgt werden kann, niederlegen und mache mich aus dem Staub.“

Noch einmal etwas anderes ist, dass es, wenn es um eine anonyme Geburt geht, Anzeigepflich­ten gegenüber dem Standesamt gibt. Die treffen aber nicht die Beratungsstelle, die treffen eigentlich, ganz vereinfacht ausgedrückt, denjenigen, der bei der Geburt dabei ist, und den Vater: also in erster Linie den Vater, wenn er das Sorgerecht hat, in zweiter Linie die Hebamme, den Arzt, jeden anderen, der bei der Geburt dabei ist, und erst in letzter Linie die Mutter, und wenn die Geburt in einem Krankenhaus stattfindet, den Leiter des Krankenhauses.

Das hat nichts mit den Beratungsstellen zu tun. Aber es ist natürlich ein Problem im Hinblick auf eine anonyme Geburt in Deutschland, dass eben diese Anzeigepflichten bestehen. Deshalb fin­det eine anonyme Geburt eigentlich nur dann statt, wenn ein falscher Name angegeben wird oder eben gar kein Name, denn man kann natürlich nur anzeigen, was man weiß.

Also, wie gesagt, in den Schwangerschaftsberatungsstellen kann man das alles sagen, ohne dass das dann nachher irgendjemandem offenbart wird. – Danke.

15.21


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Dr. Höpfel, bitte.

15.21


Referent Universitätsprofessor Dr. Frank Höpfel¦ (Rechtswissenschaftliche Fakultät der Uni­ver­sität Wien, Institut für Strafrecht und Krimino­logie): Darf ich noch an die Frage von Frau Ab­geordneter Mag. Wurm anknüpfen: Sie haben noch einmal die Frage in den Raum gestellt, ob man mit einer Änderung, wie ich sie vorgeschla­gen habe, besser arbeiten könnte oder mit der Krücke des § 42 über die mangelnde Straf­würdigkeit der Tat oder mit anderen Prinzipien all­ge­mei­nerer Art des Strafausschlusses. Das reicht von den von Kollegin Smutny ange­schnitte­nen Not­standsfiguren verschiedener Art bis hin zu den jetzt öfter zur Sprache gekomme­nen psychiatrischen, psychologischen Aspekten dieses Ausnahmezustandes.

Grundsätzlich denke ich, dass diese allgemeinen Figuren nur dort eine Berechtigung haben, wo es im Hinblick auf das konkrete Delikt nicht gelingt, eine klare Aussage zu treffen. Ich habe mich deshalb um eine möglichst einfache Formulierung im Rahmen des § 197 bemüht. Die anderen möglichen Lösungsansätze sind wahrscheinlich nicht so leicht zu transportieren. Es ist sicher­lich auch das Anliegen der Rechtssicherheit, dem hier besonderer Stellenwert zukommt.

Wir wollen letztlich die betroffenen Frauen mit der Botschaft erreichen. Das trifft mit dem von verschiedenen Seiten angesprochenen Informationsproblem zusammen. Hierbei würde ich ein­fach das gleiche Prinzip vertreten: Der Weg, den die betroffene Frau gehen soll, ist möglichst deutlich zu beschildern. Um einen Vergleich aus dem Straßenverkehr zu nehmen: Auch bei den Geisterfahrern stellt sich immer wieder die Frage: Wie kann man möglichst einfach und auch in Ausnahmesituationen erkennbar machen, wo es langgeht?

Schließlich soll es auch eine bleibende Message an die Mutter sein, um ihr auch in einer spätere Phase, wenn sie eventuell umdenkt, Schuldgefühle zu ersparen. Es geht um die ganz klare Aussage, dass sie sich nicht schuldig gemacht hat, dass sie sich nicht strafbar gemacht hat. Und dazu gehört sicher nicht nur das Bundesgesetzblatt, sondern auch eine umfassende Medienarbeit einschließlich des Appells an die Medien, reißerische Einzelfallberichterstattungen zu unterdrücken. Ich erinnere an eine Initiative vor Jahren, die funktioniert hat: bei der Unter­drückung von Berichten über U-Bahn-Selbstmorde in Wien.

Bei den Medien geht es, wie ich meine, vorrangig um die Boulevardzeitungen und nicht um das Internet. Wenn wir hier jetzt einmal an die Adressaten denken, dann muss man sagen, es geht auch um die Einbeziehung aller wichtigen Sprachen. Dafür wären Kontakte mit den relevanten Sprach- und Kulturgruppen notwendig, um diese einzubeziehen und zu eigenen adäquaten Beratungs- und Hilfsdiensten anzuregen.

Die Breite des Spektrums an notwendigen Maßnahmen, die sich hier gezeigt hat, soll aber nicht hindern, dass Strafgesetzbuch rasch zu ändern. Diese kleine Novelle hielte ich für etwas drin­gender als die Verschärfung des Jugendstrafrechts. (Beifall.)

15.26


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Frau Jenacek, bitte.

15.26


Referentin Ingrid Jenacek¦ (Magistrat der Stadt Wien, MA 11 – Amt für Jugend und Familie): Ich möchte ergänzend zu Adoptiveltern, behinderten Kindern und auch zum Recht eines Adoptiv­­kindes auf Information etwas sagen.

Ich arbeite in der Adoptionsstelle auch mit Paaren, die ungewollt kinderlos sind. Daher ist mir dieses Problem sehr wohl bewusst. Das heißt, mir ist sehr wohl klar, wie sehr diese Paare dar­unter leiden. Ich erlebe aber genauso Frauen, die ihr Kind nicht wollen oder nicht behalten können. – Ich korrigiere: „nicht wollen“ ist nicht richtig, es soll heißen: „nicht behalten können“. – Und ich sehe diese Frauen durchaus nicht als Lieferantinnen für ungewollt kinderlose Paare, sondern das ist wirklich ein massives Problem. Es ist schön, dass es Paare gibt, die gerne Kinder haben wollen, aber es ist sehr traurig, wenn eine Frau ihr Kind nicht selbst behalten kann.

Behinderte Kinder können wir kaum vermitteln. Wenn die Behinderung sehr gravierend ist, dann findet man niemanden, der das Kind haben will. Leichte Behinderungen akzeptiert fast jeder, aber schwere Behinderungen keineswegs und geistige Behinderungen überhaupt nicht.

Ein Recht auf Information gibt es laut Gesetz zwar an und für sich nicht, aber alle Adoptiveltern werden von uns immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dem Kind zu sagen, dass es ein Adoptivkind ist, dass man das möglichst früh in die Aufklärung über die Sexualität mit hin­einverpacken soll, denn in diesem Zusammenhang ist es am einfachsten, einem Kind zu ver­mitteln, dass es nicht das leibliche Kind ist. Es ist tatsächlich ein großes Problem, wenn jemand erwachsen ist, sich einen Auszug aus dem Geburtenbuch holt und dabei feststellen muss, dass er adoptiert ist. Das ist dann häufig der schlechteste Augenblick, um zu erfahren, dass es nicht die leiblichen Eltern sind, bei denen er oder sie aufgewachsen ist.

Man darf auch nicht vergessen, dass es eine Umwelt gibt, und wenn es einem die Adoptiveltern nicht sagen, dann sagt es irgendjemand, ein wohlmeinender Freund oder Nachbar. Ich meine, auch das sind nicht die geeigneten Personen, um solche Informationen weiterzugeben. – Danke.

15.28


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Herr Dr. Wiedermann, bitte.

15.28


Referent Dr. Herbert Wiedermann¦ (Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Amt für Jugend): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich noch einmal kurz mit einigen Anfragen von Abgeordneten auseinander setzen. Frau Abgeordnete Fekter, glaube ich, hat mich gefragt, wie wir das Rechtsinstitut Ge­schäftsführung mit und ohne Auftrag nehmen.

Natürlich, Sie haben vollkommen recht, das ist alles ein bisschen gedehnt, aber wir haben die fachliche Auffassung, dass wir in der Tat wollen, dass die Mutter acht Wochen Zeit hat, sich für oder gegen ihr Kind zu entscheiden. Wir wollen nicht, dass dieser Zeitraum endlos ist, weil wir schon auch wollen, dass, wenn es einen neuen Start gibt, dieser rasch stattfindet. Aber acht Wochen wollen wir einräumen, und nach allem, was wir aus der Adoptionsvermittlungsstelle wissen, ist das auch ein akzeptabler Zeitraum.

Was wir nicht wollen – und das haben Sie ja gemerkt, dazu gibt es auch unterschiedliche Ein­schätzungen –, ist, dass es eine Meldung an die Polizei gibt. Sie können mit einer solchen Frau nicht über die Zukunft ihres Kindes debattieren, wenn Sie eigentlich im selben Atemzug ver­pflichtet sind, die Polizei zu informieren und Nachforschungen nach ihr anzustellen. Insofern haben wir bei uns in Hamburg eine praktikable Lösung gefunden, finde ich, aber man muss in der Tat darüber nachdenken – jetzt für uns, was wir lernen müssen –, ob man das Personen­standsgesetz im § 25 an diesem Punkt nicht verändern muss.

Das, wozu ich Sie einfach ermutigen möchte, ist: Suchen Sie sich die organisatorische Lösung, die auf Sie am besten passt. Wir haben diese Form gefunden. Ich weiß, andere Städte in der Bundesrepublik denken über Inobhutnahme nach § 42 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes nach – also man muss immer Lösungen suchen, die für einen selbst am besten passen und versuchen, das rechtlich abzusichern.

Frau Wurm hat nach der psychosozialen Versorgung insbesondere bei Migrantinnen gefragt. Das berührt mich auch jedes Mal, weil ich natürlich weiß, dass Frauen, die aus östlichen Län­dern kommen, aus Russland zum Beispiel, an der Reeperbahn in der Illegalität der Prostitu­tion nachgehen. Man hat ihnen ihre Papiere abgenommen. Würden sie von öffentlichen Stellen auf­gegriffen, dann würden sie sofort abgeschoben.

Wie, um Gottes willen, soll sich diese Frau an – natürlich vorhandene – Beratungsangebote wenden? – Das ist auch für uns ein offener Bereich. Das Gleiche gilt für Personengruppen wie etwa Sinti und Roma. Diese Frauen haben zwar sozusagen Rückhalt in ihrer Ethnie und finden dort Hilfsmöglichkeiten, haben es aber ganz schwer, Zugang zum Hamburger Hilfesystem zu finden. Das wissen wir, es gibt also auch solche Beratungsstellen.

Aber wir machen ja mit dem Notruf überhaupt erst den Versuch, diese Frauen an dieses Hilfe­system heranzuführen. Wenn sie das wollen und annehmen, dann steht ihnen sozusagen die ganze breite Palette an Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung. Das geht auch in Richtung von Frau Prammer: Wir haben Möglichkeiten nach § 19 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, Mutter und Kind gemeinsam in Einrichtungen unterzubringen und dort sozusagen auch mit der Mutter, mit einer eigenen Beraterin zu klären: Kannst du es mit dem Kind aushalten? Kannst du dich ihm annähern, oder kannst du das nicht?

Diese Möglichkeiten gibt es, aber die setzen zunächst einmal voraus, dass sie überhaupt an das Hilfesystem angebunden werden. Daher, glaube ich, braucht man unbedingt absolute Ano­nymität, ganz wenig Bürokratie und ganz wenig Recht.

Als ich hergefahren bin, habe ich in Hamburg ein Plakat gesehen, darauf war ein Baby, und darunter stand: 3 000 Gramm verändern die Welt. – Nachdem ich die Debatte hier wahrgenom­men habe, glaube ich, das hat auch noch eine ganz andere Dimension. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei, diesen Kindern das Leben zu retten und ihnen einen neuen Start zu organisie­ren! – Danke schön. (Beifall.)

15.32


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke. – Frau Mag. Smutny, bitte.

15.32


Referentin Richterin Mag. Petra Smutny¦ (Bundesministerium für Justiz): Als Legistin werde ich immer etwas hellhörig, wenn der Ruf nach einfachen Lösungen kommt. Das ist mir aus meiner beruflichen Tätigkeit schon irgendwie zu vertraut: Da streichen wir doch nur den Halb­satz weg, da fügen wir doch nur diesen Gliedsatz ein, und schon passt es – und in Wahrheit folgt ein Rattenschwanz an Problemen, den man sich vorher gar nicht hat vorstellen können.

Ähnlich scheint es mir, ganz ehrlich gesagt, auch hier zu sein. Dabei glaube ich nicht, dass diese Dinge nicht lösbar sind. Das Strafrecht verliert wohl dort seine Legitimation, wo kein ge­sellschaftliches Strafbedürfnis mehr besteht. Wenn also die Kindesweglegung unter bestimmten Umständen straflos sein soll, dann muss es aber wohl strafrechtliche Änderungen geben. Ich bin eher dagegen, mir mit Krücken wie § 42 oder vielleicht der Zurechnungsunfähigkeit oder dem Notstand zu helfen, vor allem dann, wenn es eigentlich den Hauptanwendungsfall des § 197 betrifft, das heißt, nicht für Ausnahmefälle, sondern für den Regelfall gelten soll.

Allerdings habe ich schon zuvor einige Punkte angesprochen, über die wir heute noch gar nicht gesprochen haben; ich denke, die werden aber sicher bei der Umsetzung kommen, etwa: Soll die Abgabe des Kindes in jedem Fall strafbar sein in dem Sinn, oder sollen nur Notlagen be­rücksichtigt werden? Was ist mit dem vierjährigen Kind, das abgegeben wird? Sollen wir es genauso behandeln wie ein einen Tag altes Kind? Soll auf den Zustand der Mutter abgestellt werden, oder soll es auch dann, wenn es der Mutter blendend geht, ermöglicht werden, das Kind abzugeben? Was ist mit der Strafbarkeit nach § 198? Soll die Verletzung der Unterhalts­pflicht bestehen bleiben oder nicht? Sollen wir die Kindesentziehung nach § 195 weiter berück­sichtigen oder nicht?

Ich denke daher, es gibt da noch einen Rattenschwanz, der sich irgendwie anschließt. Aller­dings ist das alles, wie schon gesagt, meiner Ansicht nach durchaus lösbar. Nur würden wir den Frauen einen Bärendienst erweisen, wenn wir solche Möglichkeiten anbieten, ohne diese Fra­gen vorher geklärt zu haben. Das denke ich mir. – Danke. (Beifall der Abg. Mag. Wurm.)

15.34


Vorsitzende Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦: Danke vielmals. – Wir haben diese Enquete einberufen – und ich danke all jenen, die daran teilgenommen haben, den Herren und den Damen, den Abgeordneten, den Experten –, weil wir einfach einen Überblick haben wollten und wissen wollten: Wo sind die Ansatzmöglichkeiten? Wie breit ist die Palette? – Dass es im parlamentarischen Geschehen noch nie gelungen ist, in einer Enquete alle Fragen zu beant­worten, ist klar, und ich glaube, die Profis hier wissen, dass das nicht möglich ist. Aber es ist wichtig, sich einen breiten Wissensstand anzueignen und dann zu handeln.

Wir haben schon eingangs beschlossen, dass das Stenographische Protokoll dieser Enquete im Nationalrat behandelt werden wird. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass unter der Homepage des Parlaments, also unter der Adresse „www.parlinkom.gv.at“, schon ab heute eine zusammenfassende Presseaussendung der Parla­mentskorrespondenz abzurufen ist. In wenigen Wochen wird auch das Stenographische Proto­koll dieser Enquete über die Homepage des Parlaments einsehbar und abrufbar sein.

Es war eine sehr lange Sitzung, aber wir haben etwas früher aufhören können. Ich möchte nur in drei Punkten eine Zusammenfassung machen: dass für alle Parteien Beratung, Prävention und Hilfe für die Mütter die erste Säule ist – ich glaube, das ist unumstritten, und ich möchte das noch einmal unterstreichen –, dass wir uns die anonyme Geburt und als letzten Ausweg das „Babynest“ vornehmen sollen. Ich glaube, das hat sich auch mehrheitlich herausgestellt. Ich bitte Sie und lade Sie ein, uns beim Zugang und der Umsetzung mit Ihrem Wissen zu unter­stützen und zu helfen.

Ich möchte mich vor allem bei den Experten hier am Podium sehr herzlich bedanken – auch für Ihren Beitrag zur „Budgetsanierung“! (Heiterkeit.) Ich bedanke mich dafür, und ich bedanke mich für Ihre Zeit, für Ihre Geduld, für Ihr großes Wissen und dafür, dass Sie bereit waren, an dieser Enquete teilzunehmen. Ich möchte auch Ihnen gegenüber noch einmal die Bitte und den Wunsch anschließen, dass wir, wenn es um Detailfragen geht, an Sie herantreten dürfen.

Ich bedanke mich und schließe diese Enquete. (Beifall.)

Schluss der Enquete: 15.36 Uhr

 

 

 

 

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