III-106 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Solidarität mit unseren Sterbenden –
Aspekte einer humanen Sterbebegleitung
in Österreich“

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete

Dienstag, 29. Mai 2001

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 

 

 

 

 


Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier


Parlamentarische Enquete

Dienstag, 29. Mai 2001

(XXI. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Solidarität mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“


Dauer der Enquete

Dienstag, 29. Mai 2001: 9.14 – 15.35 Uhr

*****

Tagesordnung

Eröffnung:

Kardinal DDr. Franz König: „Den Menschen im Sterben würdigen“

Dr. Reinhart Waneck, Staatssekretär im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen: „Menschlich-kompetente Sterbebegleitung: eine Aufgabe der Gesundheitspolitik“

Referate:

Mag. Sr. Hildegard Teuschl cs., Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz Öster­reich: „Warum vom Sterben reden?“

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner, Institut für Systematische Theologie an der Universi­tät Wien: „Der Gatterer-Bericht des Europarates zu den Menschenrechten Sterben­der und dessen Bedeutung für Österreich“

DDr. Michael Landau, Direktor der Caritas Wien: „Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen“

Univ.-Prof. Dr. Jochen Taupitz, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Mannheim: „Sterbebegleitung im internationalen Vergleich“

Ao. Univ.-Prof. DDr. Christian Stadler, Institut für Rechtsphilosophie und Rechts­theorie an der Universität Wien: „Die Rechtslage in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der Patientenverfügung“

Univ.-Prof. Dr. Eberhard Klaschik, Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität Bonn: „Palliativmedizin statt Sterbehilfe: Leiden lindern – Würde und Autonomie bewahren!“

Ass.-Prof. Dr. Holger Baumgartner, Institut für Biochemische Pharmakologie an der Universität Innsbruck: „Ethische Aspekte der Palliativmedizin“

Dr. Harald Retschitzegger, Ärztlicher Leiter der Palliativstation am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried – Hospiz St. Vinzenz: „Standards in der ambulanten und stationären Hospizarbeit“

Univ.-Prof. Prim. Dr. Paul Sporn, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und opera­tive Intensivmedizin der Krankenanstalt Rudolfstiftung: „Sterbebegleitung aus der Sicht der Intensivmedizin“

Dr. Roland Paukner, niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, Wien: „Sterbebegleitung und extramuraler Bereich“

DGKS Angelika Feichtner, Pflegedienstleiterin des Hospizes Innsbruck: „Aspekte der begleitenden Pflege in der letzten Lebensphase“

*****

I. Eröffnung

Kardinal DDr. Franz König .......................................................................... 5

Staatssekretär Dr. Reinhart Waneck ............................................................ 7

II. Referate

Mag. Sr. Hildegard Teuschl cs. ................................................................. 11

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner .................................................................... 14

DDr. Michael Landau ................................................................................ 17

Univ.-Prof. Dr. Jochen Taupitz .................................................................. 19

Ao. Univ.-Prof. DDr. Christian Stadler ....................................................... 22

Univ.-Prof. Dr. Eberhard Klaschik ............................................................. 26

Ass.-Prof. Dr. Holger Baumgartner ............................................................ 30

Dr. Harald Retschitzegger ......................................................................... 33

Univ.-Prof. Prim. Dr. Paul Sporn ............................................................... 37

Dr. Roland Paukner .................................................................................. 39

DGKS Angelika Feichtner ......................................................................... 41

III. Diskussion

Abg. Günter Kiermaier .............................................................................. 44

Abg. Mag. Beate Hartinger ........................................................................ 45

Abg. Dr. Erwin Rasinger ........................................................................... 45

Abg. Dr. Kurt Grünewald .......................................................................... 46

Abg. Mag. Brunhilde Plank ...................................................................... 47

Abg. Evelyn Freigaßner ............................................................................ 48

Abg. Edeltraud Gatterer ............................................................................ 48

Abg. Theresia Haidlmayr .......................................................................... 50

Abg. Manfred Lackner .............................................................................. 50

Abg. Dr. Alois Pumberger ......................................................................... 51

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon ..................................................... 52

Abg. DDr. Erwin Niederwieser ................................................................... 53

Abg. Ilse Burket ........................................................................................ 54

Abg. Mag. Walter Posch ........................................................................... 54

Abg. Jutta Wochesländer .......................................................................... 55

Stadtrat Dipl.-Ing. Helmut Strobl ............................................................... 56

Ministerialrat Dr. Gerhard Aigner .............................................................. 57

Dr. Gerald Bachinger ................................................................................ 58

Dr. Franz Zdrahal ..................................................................................... 59

Dr. Johann Baumgartner ........................................................................... 60

Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg ............................................................. 60

Dr. Harald Retschitzegger ...................................................................  62, 86

Ao. Univ.-Prof. DDr. Christian Stadler ....................................................... 62

Univ.-Prof. Dr. Werner Waldhäusl ............................................................. 63

Prim. Univ.-Doz. Dr. Ernst Berger .............................................................. 65

Oberrat Dr. Albin Dearing ......................................................................... 66

Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits ..................................................................... 68

Prof. Josef Wille ....................................................................................... 70

Staatssekretär Dr. Reinhart Waneck ....................................................  72, 87

Dr. Heinz Trompisch ................................................................................. 73

DDr. Michael Landau ................................................................................ 74

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner .................................................................... 76

Univ.-Prof. Dr. Jochen Taupitz .................................................................. 78

Mag. Sr. Hildegard Teuschl cs. ................................................................. 79

Mag. Gerlinde Loibner .............................................................................. 80

Dr. Gertraud Steindl .................................................................................. 81

Ass.-Prof. Dr. Holger Baumgartner ............................................................ 82

Dr. Roland Paukner .................................................................................. 83

Univ.-Prof. Prim. Dr. Paul Sporn ............................................................... 84

DGKS Angelika Feichtner ......................................................................... 85

Ministerialrat DDr. Franz Sedlak ............................................................... 85

Abg. Mag. Dr. Maria Theresia Fekter ........................................................ 86

DGKS Monika Schmid .............................................................................. 87

Geschäftsbehandlung

Antrag der Abgeordneten Dr. Erwin Rasinger, Dr. Alois Pumberger, Man­fred Lackner, Dr. Kurt Grünewald und Genossen im Sinne des § 98a Abs. 5 GOG, das Stenographische Protokoll dieser Enquete dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen – Annahme ............  43, 44

Beginn der Enquete: 9.14 Uhr

Vorsitzende: Abgeordneter Dr. Alois Pumberger, Abgeordneter Manfred Lackner.

*****


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Meine verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie sehr herzlich zur heutigen parlamentarischen Enquete mit dem Thema „Solidarität mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“ begrüßen.

Die Einladung ist Ihnen zugegangen, irrtümlich steht aber in den Medien, es handle sich um eine Veranstaltung des Nationalrates. Ich darf der Korrektheit halber darauf hinweisen, dass das eine Veranstaltung des Nationalrates und des Bundesrates ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einladung, die Ihnen zugegangen ist, ist nicht zu entnehmen, wer hier vor Ihnen sitzt. Ich darf mich daher kurz vorstellen: Ich bin der Vorsitzende des parlamentarischen Gesundheitsausschusses. Mein Name ist Dr. Alois Pumberger; ich bin Gesundheitssprecher der FPÖ. Von Beruf bin ich praktischer Arzt und daher auch in meinem Beruf mit der Problematik, die wir heute diskutieren, immer konfrontiert.

Das öffentliche Interesse im Vorfeld dieser Veranstaltung ist groß. Es handelt sich um ein Tabu­Thema, das bisher nicht in dieser Intensität angesprochen wurde, und daher sind wir froh dar­über, dass ein Vier-Parteien-Antrag Zustimmung fand und dass diese parlamentarische Enquete heute mit der Zustimmung aller vier im Parlament vertretenen Parteien abgehalten werden kann.

Ich eröffne hiemit diese Sitzung der parlamentarischen Enquete „Solidarität mit unseren Ster­benden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“ und begrüße Seine Eminenz Kardinal DDr. Franz König. (Beifall.)

Weiters begrüße ich Herrn Staatssekretär für Gesundheit Professor Dr. Reinhart Waneck (Bei­fall) sowie die Referenten und alle übrigen Teilnehmer dieser Enquete. Das sind immerhin 118, also sehr viele.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir nun in die Diskussion eingehen, möchte ich kurz auf den geplanten Ablauf der Veranstaltung hinweisen: Im Anschluss an die Einleitungs­statements von Kardinal König und Herrn Staatssekretär Dr. Waneck werde ich zunächst die Referenten einladen, ein kurzes Statement von zirka 10 Minuten abzugeben. Im Anschluss daran werden wir in die Diskussion eingehen. Zunächst werden die Mandatare, also die Abge­ordneten zum Nationalrat und die Bundesräte, Gelegenheit haben, ihre Fragen an Referenten und Experten zu stellen. Sodann werden Referenten, Experten und Teilnehmer ersucht, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Danach folgt eine abschließende Runde für Stellungnahmen der Abgeordneten.

Ich ersuche, die Wortmeldungen vorab bei der Parlamentsdirektion anzukündigen und bei der Worterteilung eine kurze Vorstellung vorzunehmen, um die Beiträge der Diskussionsteilnehmer im Protokoll korrekt wiedergeben zu können.

Für die Diskussion wurde eine Redezeit von 5 Minuten für die Experten vereinbart. Weiters möchte ich vorschlagen, für die Mandatare eine freiwillige Redezeitbeschränkung von 3 Minuten vorzusehen. Im Hinblick auf die große Teilnehmerzahl darf ich alle Anwesenden um möglichst knappe Ausführungen ersuchen.

Gibt es Einwendungen gegen diese Vorgangsweise? – Das ist nicht der Fall; wir werden daher so vorgehen.

Wir kommen daher zuerst zu den beiden Einleitungsstatements, und ich bitte nunmehr Seine Eminenz, Kardinal Franz König, um sein Eröffnungsreferat.

I. Eröffnung

„Den Menschen im Sterben würdigen“

9.20


Kardinal DDr. Franz König¦: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Der Hauptaus­schuss des Nationalrates hat am 7. Februar dieses Jahres beschlossen, eine parlamentarische Enquete zum Thema „Solidarität mit unseren Sterbenden“ vorzubereiten.

Als österreichischer Staatsbürger und als emeritierter Erzbischof von Wien wurde ich einge­laden, bei dieser Gelegenheit ein einleitendes Statement vorzulegen. Ich habe dieser Einladung gerne entsprochen, weil das Thema dieser Enquete mir als Mensch und als Christ besonders am Herzen liegt und weil es sich dabei auch um eine Schicksalsfrage handelt, die unser Volk und den ganzen europäischen Kontinent angeht.

Damit möchte ich aber auch allen im österreichischen Parlament vertretenen politischen Par­teien für ihre Zustimmung zu einem solchen Vorhaben danken. Davon könnten, falls die vorlie­genden Initiativen zu entsprechenden Konsequenzen führen, von Österreich Signale ausgehen, die auch im europäischen Kontext eine demokratische Meinungsbildung fördern würden.

Ich meine damit das Interesse aller Staatsbürger am Gemeinwohl unseres Staates. Unter­schiedliche politische Konzepte und Meinungen gehören zum demokratischen Alltag. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass es trotz allem Anliegen im demokratischen Gemeinwesen gibt, die außer Streit stehen sollten oder müssten. Dazu gehört, so meine ich, wohl auch das Problem der Euthanasie und die dadurch notwendig gewordene Solidarität mit unseren Ster­benden.

Die großen Fortschritte der modernen Medizin und der medizinischen Technik im Spannungs­feld der Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft haben diese in die Lage versetzt, nicht nur immer größere Heilerfolge aufzuweisen, sondern sie haben es auch zunehmend möglich ge­macht, die Lebenszeit zu beeinflussen.

Damit stehen wir heute vor der Frage: Darf man das Leben des Menschen, aus unterschied­lichen Gründen darum gebeten, aktiv beenden, das heißt: den Menschen töten? Manche sind der Meinung, es gäbe Gründe, die dafür sprechen, und dies müsse daher staatlicherseits zur Kenntnis genommen werden. Sie begründen diese ihre Meinung mit dem Mitleid und der Barm­herzigkeit gegenüber unheilbar Kranken.

Als Mensch und als Christ kann ich mich einer solchen autonomen Verfügung über das menschliche Leben nicht anschließen. Mit dieser Meinung befinde ich mich in Übereinstimmung mit der fast einheitlichen Auffassung der Ärzte auf internationaler Ebene, und aus diesem Grunde begrüße ich die große Rede des deutschen Bundespräsidenten vor einigen Tagen in Berlin, in der er die Feststellung traf: Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Ich begründe diese auch von mir vertretene Überzeugung. Ich tue es in Übereinstimmung mit den elementaren Menschenrechten und der unantastbaren Würde jedes menschlichen Lebens, ich tue es in Übereinstimmung mit der weltweiten Glaubensgemeinschaft der Christen. Die un­antastbare Würde des Menschen mit seinen elementaren Grundrechten des Lebens gehört einerseits zum humanistischen Weltbild auf der Grundlage der allgemeinen ethischen Normen und – mit Nachdruck – zum christlichen Menschenbild.

Damit nehme ich Bezug auf die Heilige Schrift der Christen, das Buch der Genesis, wo es heißt: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis.“ Der Dekalog zieht aus diesem Satz die entsprechende Folgerung. Im fünften Gebot heißt es: „Du sollst nicht töten!“, das heißt, du hast kein Verfügungsrecht über einen anderen Menschen, über sein Leben – ganz gleich, in welcher Situation er sich befindet. Und im achten Gebot heißt es: „Du sollst nicht lügen!“, das heißt, auf Grund eurer Würde seid ihr im gegenseitigen Respekt zur Wahrheit, zur Wahrhaftigkeit ver­pflichtet. Oder wie es in der Bergpredigt heißt: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“

Durch solche Überlegungen wird der ganze Mensch vom Anfang bis zum Ende auch durch die medizinische Ethik wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Aus der europäischen Geschichte wissen wir, wie sehr das christliche Menschenbild in seiner Gottesebenbildlichkeit die Würde des Menschen im Einzelnen wie in der Gesellschaft zur Grundlage des christlichen Abend­landes gemacht hat. Und das heißt, das christliche Menschenbild steht nicht im Widerspruch zu einem humanistischen, sondern vertieft es. So stehen das humanistische und das christliche Menschenbild im Mittelpunkt unserer heutigen Überlegungen.

Damit geht es um eine würdevolle Bewältigung der ganzen Lebenszeit, besonders aber geht es um die letzte Wegstrecke, wenn der Kranke über medizinische Hilfe hinaus besonders auf mitmenschliche Zuwendung und Liebe angewiesen ist. Und genau da setzt die Forderung nicht nur an den Einzelnen, sondern an die demokratische Gesellschaftsordnung an, denn ein Ge­meinwesen wird gemessen an seinem Umgang mit den schwächsten Gliedern. Daher ist es unsere gemeinsame Aufgabe, davor nicht die Augen zu verschließen, sondern im Interesse des Gemeinwohles zu überlegen, wie dies am besten geschehen kann.

Es geht dabei nicht um eine Bevormundung des Einzelnen durch den Staat, wie manche meinen, sondern darum, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wunsch, getötet zu werden, kaum aufkommen lassen, wie die Erfahrung zeigt, weil sich der Patient auf der letzten Wegstrecke umsorgt, geborgen und geliebt fühlt. Voraussetzung dafür ist eine gute Schmerz­therapie, Palliativmedizin, deren Leistungen heute bereits beachtlich sind.

Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang die Aussage des deutschen Pioniers der Schmerztherapie, Professor Eberhard Klaschik – ich zitiere aus einem seiner Interviews wörtlich –:

„Ich behandle seit fast 20 Jahren Patienten, die nicht heilbar sind. Viele, die zu mir kommen, sagen: Ach so kann ich nicht mehr leben, ich will nicht mehr leben, die Schmerzen sind zu groß! All diesen Patienten haben wir helfen können.“ – So das Zitat.

Eine weitere Voraussetzung dafür ist eine wachsende Verantwortung, nicht nur des Einzelnen, sondern vor allem auch der menschlichen Gesellschaft, Solidarität mit unseren Mitmenschen besonders auch auf der letzten Wegstrecke.

Jenen, die Euthanasie oder aktive Sterbehilfe befürworten, ist offenbar nicht bewusst, welche Bedeutung die letzte Lebenszeit für den Menschen sehr oft hat oder haben kann. Das heißt, die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn der Krankheit wird auch im Interesse des Patienten zur Kenntnis genommen und neu gestellt. Jeder Patient, jeder Sterbende ist und bleibt als Mensch eine einmalige Persönlichkeit, ein Ich und seiner selbst bewusst, mit seiner unantastbaren Würde und Eigenart vom Anfang bis zum Ende. Ja die letzte Lebensphase ist oft entscheidend für eine abschließende Orientierung, Antwort auf letzte Lebensfragen.

Viktor Frankl war es, wie Sie wissen, der mit seinen zehn Thesen in seinem Buch „Der Wille zum Sinn“ als Psychologe auf die Bedeutung der Sinnfrage im menschlichen Leben aufmerk­sam gemacht hat. Das gilt für den gesunden, ebenso oder noch mehr aber für den kranken Men­­schen. Es geht um die Frage: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Welchen Sinn hat das Leid? Welches ist das letzte unsagbare Geheimnis meiner Existenz, aus der ich komme und wohin ich gehe?

Eine Antwort auf solche Fragen kann, gerade in der letzten Lebensphase bewusst überlegt, von schicksalhafter Bedeutung sein, denn letztlich steht der Gesunde wie der Kranke vor der Entscheidung, Glaube und Leben miteinander zu verbinden, und erst hier, im innersten Bezirk seines Denkens, findet der Mensch, findet der kranke Mensch eine persönliche und damit auch eine religiöse Antwort auch auf die Frage nach dem Warum seiner Krankheit. Er erkennt die Gesundheit und die Krankheit als Wegabschnitte, die in seinem irdischen Dasein ineinander greifen. Sie verweisen ihn, den kranken wie den gesunden Menschen, auf seine eigentliche Be­stimmung und sein letztes Ziel. Und so wird die Krankheit – ich zitiere Viktor von Weizsäcker – für den Kranken „ein Etappe auf dem Weg zu seiner eigenen Bestimmung“.

Der Arzt stellt, wie man weiß, heute oft fest, im Heilungsprozess kommt es sehr darauf an, was der Patient aus seiner Krankheit macht oder wie er mit seiner Krankheit umgeht beziehungs­weise wie er sein eigenes Lebensende, sein Sterben in die Überlegungen während seiner Krankheit mit einbezieht, denn ein Ausklammern des Gedankens an das Lebensende kann oft mehr belasten als eine Auseinandersetzung damit im verständnisvollen Gespräch.

Es erscheint mir daher wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Menschliche Größe liegt nicht nur in Gesundheit und Leistung, sondern ebenso in der Art und Weise, wie jemand mit seiner Krank­heit, mit dem Wissen um seine Grenzen zurechtkommt. Was hier ein liebevolles Wort bewirken kann, wissen Sie wohl besser. So gesehen ist Krankheit, ist das Sterben nicht nur negativ zu sehen.

Zu den bleibenden Erinnerungen an meine eigene Kindheit gehört es, am Bette einer sterben­den Verwandten gestanden oder gekniet zu sein, um mit der Kranken im Gebet soweit als nur möglich das letzte Stück des Weges, ein entscheidendes Stück, zu gehen: in menschlicher Ge­borgenheit und Fürsorge. Mit Kinderaugen konnte ich sehen, wie das Leben am Ende in Ruhe, Gelassenheit und Frieden heimkehrt zum Schöpfer, von dem es ausgegangen ist. – Danke. (Beifall.)

9.33


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke dem Herrn Kardinal und erteile nun Herrn Staatssekretär Professor Dr. Reinhart Waneck das Wort.

„Menschlich-kompetente Sterbebegleitung: eine Aufgabe der Gesundheitspolitik“

9.33


Staatssekretär im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen Dr. Rein­hart Waneck¦: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Eminenz! Es ist eine besondere Ehre für mich, Ihnen heute in diesem Hohen Haus anlässlich der Enquete zur Sterbebegleitung – sozusagen auch als höchstrangigen Abschluss zur gesundheitspolitischen Meinungsbildung im sensiblen Bereich Euthanasie versus Sterbebegleitung und Palliativmedizin – als Arzt und ressortverant­wortlicher Politiker einige Gedanken näher bringen zu können.

Ärzte wollen keine Henker sein, heißt es sehr plakativ. Tatsächlich sind es 89 Prozent der Wiener Ärzteschaft, die nach einer kürzlich erhobenen Umfrage das holländische Modell der Euthanasie ablehnen. Unser Regierungsprogramm sieht vor, dass jeder Schritt in Richtung einer aktiven Sterbehilfe von der österreichischen Bundesregierung entschieden abgelehnt wird. Vielmehr wurden bereits in den Verhandlungen zum österreichischen Krankenanstalten­plan 2001 Verbesserungen für den stationären Bereich vorgesehen. Darüber hinaus wird ein Plan für den Ausbau des Hospizwesens und der Palliativmedizin entwickelt, der die Schaffung zusätzlicher stationärer Kapazitäten vorsieht. Aber auch extramural sind entsprechende Voraus­setzungen zu schaffen, die ein Lebensende zu Hause im Kreis der Familie und des gewohnten Umfeldes in optimaler Weise ermöglichen sollen, denn Sterben ist ein Teil des Lebens.

Am 10. April 2001 hat der niederländische Senat mit einer Stimmenmehrheit von 46 zu 28 ein Gesetz zur Legalisierung der Euthanasie angenommen. Dies wurde unter anderem damit be­gründet, dass dadurch eine langjährige Praxis und Rechtsunsicherheit beendet worden sei. Nicht beachtet wurde allerdings, dass sich mit den Niederlanden zum ersten Mal ein Mitglied der EU außerhalb der europäischen Wertegemeinschaft stellt, weil es in keinem anderen EU-Land – aber natürlich auch nicht darüber hinausgehend – diesbezügliche staatliche und medizi­nische Aktivitäten gibt. Dies wurde bereits eindrucksvoll 1998 im Rahmen des Deutschen Ärzte­tages bei unserem Nachbarn, 1999 im Rahmen der Konsultationstagung der Fédération Européenne des Médecins Salariés unter meinem Vorsitz in Salzburg innerhalb der EU, aber auch noch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten von fast allen europäischen Ärzteorganisa­tionen festgehalten.

Bevor ich mich in die Begründung einer ablehnenden Haltung und damit die der Bundesregie­rung, aber auch meiner persönlichen als Arzt begebe, lohnt es sich, ein bisschen in der Geschichte zu forschen, wie es zu dieser Gesetzwerdung kam und auch wie die Haltung der holländischen Ärzteschaft, die sich sonst nicht nur auf einem ausgesprochen hohen medizini­schen Niveau bewegt, sondern darüber hinaus in der Gestion nicht von anderen europäischen Ärztegruppierungen unterscheidet, zu verstehen ist.

Hiezu empfiehlt es sich, bis in das 17. Jahrhundert zurückzugehen. Der großzügige Umgang der Niederländer mit der Euthanasie liegt offenbar in einem für dieses Land charakteristischen Phänomen begründet, nämlich der Duldungspolitik.

In einem von Bert Gordijn, Professor für Ethik, Philosophie und Geschichte der Medizin an der Katholischen Universität Nimwegen veröffentlichten Artikel In der Zeitschrift „Ethik in der Medi­zin“ geht dieser auf die Ursache dieser Duldungspolitik genauer ein. Diese entstand in der Blütezeit der niederländischen Republik, im 17. Jahrhundert. Sie ist das Ergebnis zweier gegen­sätzlicher gesellschaftlicher Faktoren, nämlich der des Handels einerseits und des Calvinismus andererseits. Nach Ablösung von der spanischen Krone sei man vor allem an einem freien, ungehinderten Handel interessiert gewesen. Den Städten ging es daher mehr um Erhaltung des Friedens. Um Unruhe zu vermeiden, habe man die Vertreter in der Generalversammlung ange­wiesen, bei Gesetzesübertretungen oder bei politischen Streitigkeiten Ausnahmeregelungen zu treffen und Kompromisse zu schließen, wenn die Abwicklung des Handels bedroht war.

Diese Tendenz zur Duldung wurde durch den Calvinismus verstärkt, der eine strenge Sitten­lehre vertrat und auf Disziplin und Ordnung achtete. Handel und Calvinismus standen ein­ander oft konträr gegenüber. Da die Gesellschaft aber vor allem nach einer Maximierung der Gewinne trachtete, wollte man der Ordnung wegen keine Einschränkung auf sich nehmen. Weil man sich gleichzeitig vor dem Calvinismus zu verantworten hatte, war man bestrebt, dieses so genannte Durch-die-Finger-Sehen klar zu regeln. Deshalb legte man die Bedingungen fest, unter denen Gesetzesübertretungen geduldet werden durften.

Dieses pragmatisch auf Kompromisse ausgerichtete Vorgehen prägt noch immer die nieder­ländische Gesellschaft und deren Justiz. Man duldet, um Schlimmeres zu verhüten, kleinere Übel, die aber in streng überwachten Bahnen abzulaufen haben.

Liegt der Beginn der Euthanasiebewegung in den späteren sechziger Jahren – etwa gleichzeitig begann sich übrigens die moderne Hospizbewegung in Großbritannien durchzusetzen –, so war die nunmehrige Verabschiedung des Gesetzes eine logische Konsequenz einer Einstellung, wonach der Arzt das menschliche Leben nur dort zu erhalten und zu verlängern habe, wo es sinnvoll ist. Andernfalls soll es ihm gestattet werden, das Leben zu beenden: sei es durch Ab­bruch lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen oder durch Tötung.

International ist die aktive Sterbehilfe aber weitgehend verpönt und verboten. In den meisten Staaten wird sie mit dem Tatbestand Mord gleichgesetzt oder nicht zum Thema gemacht. Das in dieser Debatte oftmals gebrauchte Argument, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten würde durch das Verbot der aktiven Sterbehilfe verletzt, ist für Österreich nicht stichhaltig. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist insbesondere durch den § 110 StGB geschützt, wonach jeder zu bestrafen ist, der einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt. Es steht daher grundsätzlich jedem Patienten frei, eine Behandlung, die sein Sterben lediglich hinauszögert, zu verweigern.

Bei Äußerungen des Todeswunsches handelt es sich aber sehr oft um verdeckte Mitteilungen, die als Hilferuf für menschliche Zuwendung zu verstehen sind. Sie widerspiegeln daher eher Soli­daritätsdefizite in unserer Gesellschaft und die Neigung, den Tod zu verdrängen und zu tabui­sieren, nicht jedoch das Bedürfnis nach Sterbehilfe.

Im Gegenteil: Wie uns Erfahrungen aus dem US-amerikanischen Bundesstaat Oregon zeigen, wo 1997 durch einen „Death with Dignity Act“ ärztlicher Beistand bei der Selbsttötung ermög­licht wurde, haben ein Drittel der unter ärztlicher Aufsicht im Jahre 2000 Getöteten wegen Über­forderung der Angehörigen beziehungsweise um Angehörigen nicht zur Last zu fallen um den Tod gebeten. Diese gut dokumentierte Auflistung beweist eine in keinster Weise akzeptierbare unmenschliche Erhöhung des Drucks auf alte und kranke Menschen und ist die reale Wider­legung des Märchens vom humanen Töten. Die Lösung für Leid kann nicht darin liegen, die Leidenden zu beseitigen.

Die Entwicklung der Naturwissenschaften in der jüngeren Vergangenheit führte gerade in der Medizin zu einem Qualitätssprung und zu ersten Hinterfragungen des bisher geltenden Men­schenbildes. Die Eingriffe des Staates beschränken sich da im Wesentlichen – wie auch heute – auf die Regelung der Ausbildung der Ärzte sowie die Planung und Sicherung der medi­zinischen Grundversorgung.

Der sich aus den Möglichkeiten der medizinischen Neuzeit ergebende gesellschaftliche Nutzen technischer Entwicklungen steht in einer völlig neuen Dimension den eher allgemein gehaltenen Postulaten der Ethik gegenüber. Die Frage der Abtreibung erhielt eine sozialpolitische Dimen­sion, das Klonen von Embryos zu therapeutischen Zwecken wird zulässig, und die Veränderung des genetischen Codes zur „Verbesserung“ des Menschen wird möglich.

12 Prozent aller Eltern in den USA würden abtreiben lassen, wenn der Fötus die Veranlagung zu Fettleibigkeit hätte, mehr als die Hälfte wäre dazu bereit, ihre zukünftigen Kinder genetisch „verbessern“ zu lassen.

Oder medizinische Leistungsreduktion: Ansätze in dieser Richtung gab es schon in der DDR, aber auch in Großbritannien, wo gewisse Eingriffe und Methoden, zum Beispiel ein Gelenkser­satz, ab einem gewissen Alter nicht mehr angeboten wurden beziehungsweise werden.

Bleibt die Solidargemeinschaft für alte, kranke und behinderte Menschen auch in Zukunft er­halten? Wird die Sterbehilfe möglicherweise zu einer Frage der Kosten-Nutzen-Rechnung? Werden sich alte Menschen, deren Gesunderhaltung und Pflege den Jüngeren zu teuer und zu mühsam wird, in Zukunft für die Euthanasie als „Ausweg“ aus einer für sie nicht mehr lebens­werten Welt entscheiden?

Laut jüngster Umfrage – publiziert in österreichischen Printmedien – befürworten über 50 Pro­zent der Österreicher, 70 Prozent der Deutschen, 50 Prozent der Franzosen die Euthanasie, wobei es – wie in allen Umfragen, zu welchem Thema auch immer – nicht nur auf die Art der Fragestellung ankommt, sondern auch darauf, zu welchem Zeitpunkt die Befragung erfolgt und wie der Informa­tionsstand der Bevölkerung zum Zeitpunkt der Befragung ist. Diese Zahlen lassen aber auch erkennen, dass bei einem entsprechenden Angebot Bedürfnisse entstehen können, die geeignet erscheinen, das bisherige historisch gewachsene Bild der gesellschaft­lichen Wirklichkeit nachhaltig zu verän­dern.

Wird in der Konsequenz die „gute“ vielleicht bald zur „günstigsten“ Sterbestunde? – Karl Kraus hat gesagt: „Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davor steht.“

Palliativmedizinische Leistungen sehen den Menschen, also den Patienten und seine Angehöri­gen, als Mittelpunkt eines Kreises, um den herum ein multidisziplinäres Team aller Gesund­heits- und Sozialberufe wie auch des seelsorgerischen Bereiches steht. Dieser wird wiederum von einem äußeren Kreis, bestehend aus niedergelassenen Ärzten, ambulanten und stationä­ren Diensten, Freunden et cetera, unterstützt. Es geht also darum, die Lebensqualität schwerst­kranker Menschen zu verbessern, das heißt vor allem, Schmerzen zu lindern beziehungsweise die Angst davor zu nehmen und dem Kranken beziehungsweise Sterbenden in jeder möglichen Form zu helfen.

Da ist Kommunikation und insbesondere auch Kooperation aller Beteiligten gefordert und sicherlich verbesserungswürdig, denn die Versorgung schwer kranker Menschen erfordert be­sonderes Einfühlungsvermögen und ein besonders gutes Management.

All das bedeutet jedoch eine Abkehr vom Dogma der Reparatur- und Apparatemedizin hin zu einer patienten- und bedürfnisorientierten Zuwendungsmedizin, in der Zeit und Qualität geboten werden. Und dies werden wir auch bei der Reform des Gesundheitswesens berücksichtigen.

Wie wir aus der Arbeit und den Erfahrungen der Hospizbewegung wissen und wie dies zuletzt auch bei einem sehr eindrucksvollen Symposium über Palliativmedizin des Staatssekretariats Gesundheit und der Österreichischen Palliativgesellschaft am 9. Mai dieses Jahres dargestellt wurde, wollen Menschen, obwohl sie unheilbar krank sind, bis zuletzt leben, wenn ihnen eine qualifizierte Schmerztherapie, individuelle Pflege und mentale Unterstützung geboten werden. Die Voraussetzungen dafür wurden auch durch das novellierte Suchtmittelgesetz für die Verschrei­bung von und die Behandlung mit suchtgifthaltigen Arzneimitteln neu geregelt. Die Verankerung der Schmerztherapie sollte ungenügende Verschreibungen aus Angst vor der Entwicklung einer eventuellen Sucht verhindern helfen und eine dem jeweiligen Schmerzniveau angepasste ärzt­liche Behandlung forcieren.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die Verpflichtung des Anstalts­trägers, für ein würdevolles Sterben zu sorgen, im Krankenanstaltengesetz festgelegt ist. In der Patienten-Charta, die der Bund bereits mit den meisten Bundesländern abgeschlossen hat beziehungsweise die sich im Stadium des Abschlusses befindet, ist darüber hinaus festgelegt, dass in stationären Einrichtungen ein Sterben in Würde zu ermöglichen ist.

Es muss daher ein Anliegen sein, alles zu unternehmen, um eine optimale palliative Betreuung sowohl intra- als auch extramural zu ermöglichen, um der Debatte über Euthanasie so weit wie möglich den Boden zu entziehen.

Diese österreichische Haltung findet sich vollkommen im Einklang mit der Empfehlung des Europarates im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte und der Würde von unheilbar Kranken oder Sterbenden und den Prinzipien der Bioethik-Konvention.

Sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Es genügt nicht, dass wir der Euthanasie ablehnend gegenüberstehen, dass wir ein präzises Argumentarium da­gegen zur Verfügung haben, dass wir Palliativmedizin und menschlich begleitende Sterbehilfe in den Vordergrund unseres Handelns stellen, sondern wir müssen auch die Voraussetzungen zur ent­sprechenden Umsetzung schaffen. Aufgabe der Politik ist es nämlich nicht, Bekenntnisse in Sonn­tagsreden zu äußern, sondern die Aufgabe der Politik besteht in erster Linie darin, den Be­dürfnis­sen des Bürgers eines Landes – in diesem Fall Österreichs – zu entsprechen.

Gerade in der Gesundheitspolitik ist der Servicegedanke, also die zentrale Fokussierung auf die Bedürfnisse des kranken Menschen, von essenzieller Bedeutung. Das heißt aber, dass auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit richtig erkannte Tatsachen sukzes­sive in die Realität umgewandelt werden. Es macht daher wenig Sinn, zum Beispiel den Bedarf an so genannten Palliativbetten in Österreich mit 400 zu beziffern, wenn man nicht auch die materiellen und personellen Voraussetzungen für deren Umsetzung schafft. Sie werden da­her auch diese Zahl im gegenwärtig gültigen österreichischen Krankenanstaltenplan im Rahmen der Artikel-15a-Vereinbarung mit den Bundesländern nicht finden, sondern lediglich einen Pla­nungshorizont von 275 Betten bis zum Jahre 2005, da es nur Sinn macht, einhergehend mit der Einrichtung solcher Abteilungen auch das entsprechend geschulte Personal für diese zuneh­mend wachsende Aufgabe heranzubilden: sei es auf ärztlicher Seite, sei es auf pflegerischer Seite.

Weiters besteht die Aufgabe der Politik darin, alle damit befassten Institutionen, die mit dieser Situation konfrontiert werden, die in Österreich zwar eine lange Tradition hat, aber erst seit wenigen Jahren gezielt organisatorisch Eingang gefunden hat, mit einzubinden.

Es wird dazu aber auch notwendig sein, dass die Politik die Finanzierung dieser Einrichtung sichert. Es wird notwendig sein, im Rahmen der Tätigkeit der Strukturkommission mit den Bun­desländern über die Umsetzung einer Bewertung im Rahmen der derzeitigen leistungsbezoge­nen Krankenhausfinanzierung zu sprechen, und es wird notwendig sein, diese Bewertungen auch im geplanten Zeitraum umzusetzen. Es kann und darf nicht sein, dass Altenvorsorge und Palliativmedizin und damit die Behandlung schwerstkranker Menschen, welche nicht nur aus den höheren Jahrgängen unserer Bevölkerung kommen, mit Almosen auskommen müssen, das heißt, es letztlich im Ermessen eines Bundeslandes läge, ob es für diesen Bereich Mittel zur Verfügung stellt oder nicht. Ganz im Gegenteil: Da ist eine Institutionalisierung notwendig, die, so wie in den übrigen Bereichen der Medizin, wo eine Planungsstrategie längst Platz gegriffen hat, jenem Bereich, der in der Thematik dieser Enquete dargestellt wird, gerecht wird.

Seien Sie daher nicht ungehalten, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass ich mich am Ende meiner Betrachtungen derart profan in die Realität begeben habe, aber ich glaube, dass wir es den Menschen schuldig sind, nicht nur Maßnahmen anzukündigen, sondern auch jenes Umfeld zu schaffen, das die Möglichkeit, an ein vorzeitiges, aktives Ausscheiden aus dem Leben zu denken, erst gar nicht aufkeimen lässt.

Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, dass aktive Sterbehilfe sowohl aus politischer Sicht als auch aus meinem Selbstverständnis als Arzt, der verhalten ist, alles zum Wohle der Patienten zu unternehmen, grundsätzlich abzulehnen ist. – Danke. (Beifall.)

9.49


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke dem Herrn Staatssekretär für sein Statement.

II. Referate


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich erteile nunmehr der ersten Referentin, Frau Mag. Sr. Hildegard Teuschl, das Wort. – Bitte.

„Warum vom Sterben reden?“

9.50


Referentin Mag. Sr. Hildegard Teuschl cs.¦ (Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz Öster­reich): Meine sehr geehrte Damen und Herren! Dass sich das österreichische Parlament heute mit dem Thema „Solidarität mit unseren Sterbenden“ beschäftigt, ist ein Zeichen dafür, dass es sich um ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema handelt, dass die Sorge um die letzte Lebensphase der Menschen nicht den Medizinern, nicht den Pflegenden, nicht den Kirchen, nicht den Sozialpolitikern, nicht den Philosophen überlassen wird, sondern dass es ein Thema der Menschen ist.

Das Sterben geht uns alle an. Wir leben heute in einem überalterten Mitteleuropa. Noch nie gab es so viele hochbetagte Menschen wie heute. Die Lebensqualität sinkt aber mit zunehmendem Alter durch die Multimorbidität. Viele Menschen haben viele Krankheiten und dadurch – und auch aus finanziellen Gründen – eine sinkende Lebensqualität.

In unserer Gesellschaft wird Schwäche und Hilflosigkeit negativ bewertet. Das führt dazu, dass viele wachsende Angst haben, nur mehr eine Belastung oder ein Kostenfaktor für die Angehöri­gen zu sein. Es gibt viele große Erfolge der Medizin – täglich kann man in den Medien davon hören und lesen –, das führt aber dazu, dass es schnell zu einer Enthäuslichung auch des Sterbens gekommen ist, weil viele meinen, in der letzten Lebensphase, im Sterben, im Spital doch besser aufgehoben zu sein, und nicht selten werden Menschen noch am Tag ihres Todes schnell ins Spital eingeliefert.

In Österreich sterben jährlich ungefähr 85 000 Menschen, dadurch sind aber 400 000 mit dem Sterben konfrontiert: die Angehörigen, die Freunde, die Kollegen, die Pflegenden, die Betreuen­den. Zwei Drittel dieser Menschen sterben nach wie vor in Spitälern und Pflegeheimen, und dar­um muss unsere Sorge um ein gutes Sterben, um eine gute letzte Lebensphase vor allem auch an diesen Orten ansetzen.

81 Prozent der Menschen sagen, sie möchten daheim sterben, wobei dieses Daheim ein sozialer Begriff ist und bedeutet: Ich möchte dort sterben, wo vertraute Menschen um mich sind, wo ich mich noch auskenne, wo ich ein Stück zu Hause bin.

75 Prozent der Menschen sagen, plötzlich und schnell soll es gehen, und ich höre im Alters­heim, wo ich sehr oft hinkomme, immer wieder: Ich möchte am Abend einschlafen und in der Früh nicht mehr aufwachen.

83 Prozent der Menschen in Österreich sagen, sie möchten ohne Schmerzen sterben, und wir wissen, dass es die Palliativmedizin heute möglich machen könnte, dass viele, viele Menschen wirklich auch ohne Schmerzen sterben können.

92 Prozent sagen, sie möchten die Wahrheit wissen, über ihre Diagnose informiert sein. Das ist erstaunlich, wenn wir daran denken, wie selten in Aufklärungsgesprächen den Patienten wirklich die volle Wahrheit zugemutet wird, wie oft nur mit den Angehörigen darüber gesprochen wird.

Schmerzfreiheit und Wahrhaftigkeit sind Grundelemente der Hospizidee, die an allen Orten um­setzbar sind, nicht nur in ein paar auserwählten Hospizen.

41 Prozent der Österreicher wissen heute um die Möglichkeiten der Hospizbegleitung – das ist eine Zahl aus einer Umfrage, die Professor Zulehner gerade in jüngster Zeit gemacht hat –, und dieses Wissen um die Hospizbegleitung muss unseres Erachtens noch weiter ausgeweitet werden.

Wir alle wissen aber, dass unser Gesundheitssystem finanziell überlastet ist, dass vor allem die letzten Lebenswochen sehr teuer kommen. Wir wissen, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben, die entsorgt, was nicht mehr brauchbar scheint und was stört. Und manche alte Men­schen, mache Sterbende erleben sich in dieser nicht mehr brauchbaren Situation.

Unsere Mediziner, unsere Ärzte erleben den Tod oft als Niederlage oder als Berufsversagen. Sie haben in ihrer Ausbildung gelernt, dass sie für Heilung, für Wiederherstellung zuständig sind; der Tod stellt für sie daher oft ein Berufsversagen dar. Sie haben auch Angst vor den Rechtsfolgen, Angst davor, dass sie von Angehörigen angezeigt werden, wenn sie nicht bis zur letzten Minute wirklich alles getan haben. Daher sagen manche: Da kann ich ohnehin nichts mehr machen! und weichen den Zimmern der Sterbenden aus. Wir meinen aber: Wo man sozu­sagen nichts mehr machen kann, ist noch sehr viel zu tun: an Schmerztherapie, an Kommuni­kation, an liebevoller Zuwendung.

Das Sterben bleibt damit den Pflegenden überlassen, die überlastet sind. Und auch da haben wir bereits erfahren, dass das zu Katastrophen führen kann.

Noch ein Faktum: Wir leben heute länger als früher, aber viele Menschen haben den Glauben an ein Leben danach verloren und meinen: Dann ist sowieso alles aus, also muss ich aus dem Leben herausholen, was geht, denn nachher gibt es für mich nichts mehr.

Das alles gibt uns zu denken. Die großen Erfolge der Medizin fördern aber gleichzeitig die Ängste vor einer Lebensverlängerung gegen den Willen der Menschen oder auch vor einer Lebensverkürzung gegen deren Willen. Die aktive Sterbehilfe in den Niederlanden lässt uns erschauern und fragen: Gibt es den Dammbruch bald auch bei uns?

Die philosophische Diskussion um die Selbstbestimmung lässt meines Erachtens die gesell­schaftspolitische Dimension und die sozialen Aspekte außer Acht. Es darf zu keiner Isolierung des Menschen aus seiner Umwelt kommen, denn Freiheit ist nicht etwas Individualistisches. Die Frage nach der Selbstbestimmung, nach der Freiheit ist in einer Freiheitsgesellschaft legitim, was aber philosophisch möglich ist, das kann gesellschaftspolitisch zum Missbrauch dieser Freiheit führen.

In Würde sterben ist daher eine Herausforderung an die Gesellschaft. Es ist nicht in erster Linie ein medizinisches Anliegen, auch nicht ein Anliegen der Kirchen, sondern die Kirchen und die Medizin haben da eine Dienstfunktion. Das Tötungsverbot braucht das Zusammenspiel aller Kräfte einer humanen Gesellschaft. Die Hospizbewegung und Palliative Care bieten eine Ant­wort auf Defizite in unseren Familien, auf Defizite in unserem Gesundheitswesen.

Historisch gesehen ist die Hospizbewegung durch einen Impuls der Gründerin Dr. Cicely Saunders entstanden, die 1967 in London das St. Christopher Hospice gegründet hat. Sie war Sozialarbeiterin, Krankenschwester und hat dann Medizin studiert, um sich besser als Schmerz­therapeutin auszubilden, und ihr verdanken wir diese Grundidee. – Heute hat die Hospizbewe­gung längst die Mauern übersprungen und ist zu einer Bürgerbewegung, zu einer Basisbewe­gung geworden, die an allen Orten realisierbar ist.

Einer zweiten Frau verdanken wir die Herausführung des Sterbens aus dem Tabubereich, näm­lich Elisabeth Kübler-Ross. Sie hat 1969 ihr erstes Buch – „Interviews mit Sterbenden“ – veröffentlicht. Sie ist eine Schweizer Psychiaterin, die heute noch in Amerika lebt. Beide Frauen leben noch, und ich freue mich immer, sagen zu können, dass es zwei Frauen waren, die uns diese Wege gewiesen haben.

Hospiz, das ist also, im Zentrum den Sterbenden und seine Angehörigen zu sehen. Das ist viel­leicht ein Unterschied zur „üblichen“ Medizin: Der Angehörige, das Umfeld des Patienten wird in den Mittelpunkt gerückt. Es geht um eine Lebensqualität bis zuletzt für alle, die zunächst einmal durch Schmerztherapie, durch Symptomkontrolle geschaffen werden muss. Der Hospizgedanke ist offen für alle. Es geht um eine bedingungslose Gastfreundschaft, um Offenheit für alle Reli­gionen, für alle Nationen – und es darf auch aus finanziellen Gründen niemand ausgegrenzt werden.

Das ist nur in der Zusammenarbeit eines interdisziplinären Teams möglich, dessen Teilnehmer alle geschult werden müssen, die sich gegenseitig in dieser schweren Aufgabe auch stützen können. Dazu gehören hauptamtliche Mitarbeiter ebenso wie ehrenamtliche. Gerade die ehren­amtlichen Mitarbeiter als Ressource haben uns geholfen, die Hospizbewegung neu zu ent­decken. Der Hospizbewegung geht es darum, keine aktive Sterbehilfe, aber auch kein Hinaus­zögern des Todes zu propagieren. – Sie sehen, meine Damen und Herren, da gibt es nicht ein Erstens, Zweitens, Drittens, sondern das greift ineinander wie eine Bienenwabe.

Die Hospizarbeit, die Palliativarbeit in Österreich ist noch sehr jung. 1989 haben wir begonnen, in einer gemeinsamen Initiative von Caritas und Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis in Wien den ersten Mobilen Hospizdienst zu errichten. 1992 wurde das erste stationäre Hospiz „St. Raphael“ in Wien gegründet. Dann haben sich sehr rasch auch die Bundesländer dazu ent­schieden, solche Initiativen zu gründen. Zwischen 1993 und 1997 waren es zunächst mobile Angebote der Hospizarbeit; zwischen 1995 und 2000 wurden weitere 90 Hospizbetten in derzeit zehn österreichischen Hospizen und Palliativstationen, verteilt auf fast alle Bundesländer, ge­schaffen.

Im Jahre 2000 kamen die ersten beiden Tageshospize – so ähnlich wie eine Tagesklinik – als Modelle zur Eröffnung. In Salzburg war das erste, das zweite dann in Wien, und heute gibt es ungefähr 100 Hospizinitiativen und -dienste, die den Bürgern angeboten werden. Sie sind im Dachverband Hospiz Österreich vernetzt, der 1993 – mit dankenswerter Unterstützung auch des Parlaments – gegründet werden konnte. Seit 1999 gibt es auch eine Österreichische Pallia­tivgesellschaft.

Zukunftsperspektiven wurden bereits genannt. Ich muss diese Zahl (die Referentin weist auf eine Overheadfolie) in der Zwischenzeit korrigieren. Vom Herrn Staatssekretär haben Sie ge­hört, dass die Zahl von 400 Hospizbetten aus personellen und finanziellen Gründen auf 275, glaube ich, herabgesetzt wurde.

Warum brauchen wir überhaupt Hospizbetten?, das werden wir oft gefragt. Stationäre Betten sind die notwendige Rückendeckung für die ambulante Arbeit, und sie sind „Lernorte“ für die Begleitung sterbender Menschen.

Letztendlich darf ich Sie noch darauf hinweisen, wie wichtig die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich ist. Seit 1989 gibt es Lehrgänge für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung, die damals an den Caritas-Sozialfachschulen entstanden sind und bis heute weitergeführt werden. Seit 1998 gibt es einen interdisziplinären Universitätslehrgang, der auch die Basisstufe bis hin zu einer Mastergraduierung ist. In den letzten drei Jahren haben 345 Personen diesen interdis­ziplinären Lehrgang absolviert, davon 115 Ärzte. Aber wir meinen, dass Sterbebegleiter/Ster­bebegleiterin kein eigener Berufszweig werden darf, sondern dass es um die Aufnahme von Palliative Care in die Ausbildung aller relevanten Berufe geht, vor allem auch, dass Befähi­gungskurse für ehrenamtliche Mitarbeiter in einer großen Zahl erforderlich sind.

Die Hospizidee ist also ein Weg des Miteinander, ist eine Haltung der Zuwendung und ist ein multiplizierbares Modell der Solidarität mit den Sterbenden, aber auch mit den Angehörigen, mit allen Begleitern. Und die Hospizarbeit kann an allen Orten, wo Menschen leben und sterben, realisiert werden.

Ich hoffe, dass sich auch durch diese Enquete Folgendes wieder ein bisschen bewahrheitet: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum, wenn viele gemeinsam träumen, so ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.04


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Frau Mag. Sr. Hildegard Teuschl.

Ich bitte nun den nächsten Referenten, Herrn Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner, zu Wort und er­laube mir, nochmals auf die Vereinbarung hinsichtlich der 10 Minuten Redezeit hinzuweisen.

„Der Gatterer-Bericht des Europarates zu den Menschenrechten Sterbender und dessen Bedeutung für Österreich“

10.05


Referent Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner¦ (Institut für Systematische Theologie an der Universi­tät Wien): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich bin gebeten worden, über den sogenannten Gatterer-Bericht des Europarates zu den Menschenrechten Sterbender und dessen Bedeutung für Österreich zu sprechen.

Europaweit wird das Recht auf menschenwürdiges Sterben diskutiert. Die Verdrängung des Todes führt in den westlichen Gesellschaften zu offenkundigen Defiziten in der Begleitung von Todkranken und Sterbenden. Dies ist nicht nur eine medizinische und medizinrechtliche, eine gesundheitspolitische oder eine allgemein ethische Frage, sondern speziell auch eine Frage der Menschenrechte.

Im Sommer 1999 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden. Berichterstatterin war die österreichische Europaratsabgeordnete und Abgeord­nete zum Nationalrat Edeltraud Gatterer.

Der Entwurf ihres Berichtes wurde vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universi­tät Wien unter Leitung von Professor Dr. Günter Virt erarbeitet, den ich hier vertrete, weil er heute dringend in Brüssel sein muss. Deshalb auch die Änderung des Programms.

Im Zentrum dieses Dokuments steht die Frage, wie weit das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der letzten Lebensphase gilt, reicht und inwieweit es durch das Recht auf Leben nach Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welches das Verbot jeder absichtlichen Tötung einschließt, begrenzt wird. Während der Europarat die Legalisierung des Tötens auf Verlangen, also die freiwillige Euthanasie, mit den Menschenrechten für unvereinbar hält, haben die Niederlande die Strafrechtsbestimmung zur Euthanasie inzwischen weitgehend libe­ralisiert. Befürworter des niederländischen Euthanasiegesetzes berufen sich unter anderem auf Artikel 8 der Menschenrechtskonvention, in dem es um den Schutz der Privatsphäre geht.

Nimmt man die Debatte in Nordamerika und Australien hinzu, so werden nicht nur kulturelle und rechtliche Unterschiede deutlich: Vielmehr werden innerhalb der Medizin, der Philosophie und der Rechtswissenschaft, aber auch in der Theologie in der Frage der freiwilligen Euthanasie oder des medizinisch assistierten Suizids abweichende Positionen vertreten.

Die allseits erhobene Forderung, die Einheit Europas nicht nur als wirtschaftliche oder poli­tische, sondern auch als kulturelle Herausforderung zu begreifen, ist auf dem Gebiet der medizi­nischen Ethik besonders dringend. Nicht nur die durch die Globalisierung ausgelösten ökonomi­schen Umwälzungen, sondern auch die rasanten Entwicklungen im Bereich der Medizin, insbe­sondere der Biomedizin und der Genetik, müssen als eine gesamteuropäische Herausforderung begriffen werden.

Mit dem Gatterer-Bericht liegt nun erstmals auf europäischer Ebene ein Menschenrechtsdoku­ment vor, das bislang freilich noch nicht den erwünschten Grad an rechtlicher Verbindlichkeit erlangt hat. Ich sehe eine Aufgabe der österreichischen Politik darin, sich hiefür international zu engagieren. Ein erster Schritt wäre die Behandlung des Gatterer-Berichtes im Ministerkomitee des Europarates. Wünschenswert erscheint mir, dieses Dokument zur verbindlichen Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu erklären. Ferner könnte der Gatterer-Bericht als Grundlage für ein Zusatzprotokoll zur Bioethik-Konvention des Europarates dienen, was ich deshalb für wünschenswert halte, weil die medizin-ethischen Fragen am Lebensende in der Bio­medizin-Konvention nicht behandelt werden.

Will sich Österreich auf diesem Gebiet nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch engagie­ren, ist freilich auch über die bislang nicht erfolgte Ratifikation der Biomedizin-Konvention zu diskutieren. Unbeschadet aller Einzelkritik, die ich teilweise selbst für berechtigt halte und ver­schiedentlich geäußert habe, sprechen inzwischen gute Gründe für eine Ratifizierung. Einen parteiübergreifenden Konsens im Nationalrat halte ich in dieser Frage nicht für ausgeschlossen. Eine entsprechende Initiative erscheint mir dringend wünschenswert.

Die Probleme des medizinisch assistierten, besser gesagt, des medizinisch begleiteten Ster­bens haben keine geringere Sprengkraft als diejenigen der Biomedizin. Mit Ausnahme von Un­fallopfern, Opfern von Gewaltverbrechen oder unvorhersehbaren natürlichen Todesfällen befin­den sich ja die meisten Sterbenden in ärztlicher Behandlung. Ein Großteil von ihnen – wir hörten es schon – stirbt im Krankenhaus oder in Alters- und Pflegeheimen.

Das durch medizinische Interventionen begleitete Sterben ist also in der westlichen Welt der Regelfall. Daher wäre es völlig verfehlt, in den Debatten über Sterbehilfe und Euthanasie nur Indizien eines Verfalls kultureller Standards und moralischer Werte erblicken zu wollen. Es ist vielmehr notwendig, zu prüfen, wieweit die Anwendung des heutigen Potentials medizinischer Möglichkeiten in bestimmten Situationen überhaupt sinnvoll ist und wo die Humangrenzen der modernen Medizin liegen.

So dringend und wünschenswert die auch hier vor Augen geführte Verbesserung der palliativ­medizinischen Versorgung und Ausbildung in Österreich, so vorbildlich und förderungswürdig insbesondere die Arbeit der Hospizbewegung ist, so wenig darf die Diskussion über Sterbebe­gleitung und menschenwürdiges Sterben hierauf beschränkt werden. Zu entwickeln sind viel­mehr Konzepte eines medizinisch begleiteten Sterbens, das als allgemeiner Bestandteil der medizinischen Grundversorgung flächendeckend die Lebensqualität von unheilbar Kranken und Sterbenden verbessert.

Allerdings sollte man sich auch darüber im Klaren sein, dass die geforderten und auch zu finan­zierenden Verbesserungen keineswegs zu einem Ende der Euthanasie-Debatte führen werden. Etliche Hauptargumente der Euthanasie-Befürworter sind seit der Antike hinlänglich bekannt. Sie resultieren nicht aus neuen medizinisch-technischen Entwicklungen, sondern aus einem Menschenbild, das zumindest der christlichen Anthropologie widerspricht.

Falsch ist jedenfalls die häufig geäußerte Ansicht, die Fortschritte der modernen Medizin, insbe­sondere der Intensivmedizin, machten das Problem der Euthanasie besonders drängend. – Die Fortschritte der Intensivmedizin sind allenfalls der Anlass, nicht aber der eigentliche Grund für die neue Euthanasie-Debatte.

Gleiches gilt für die Diskussion über die ethische Relevanz der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen. Die Argumente, mit denen ethisch und rechtlich für eine Legalisierung der frei­willigen Euthanasie oder auch der ärztlichen Beihilfe zum Suizid plädiert wird, zeigen, dass sich keineswegs nur der medizinisch-technische, sondern auch der geistesgeschichtliche Kontext verändert hat. Davon bleibt auch das ärztliche Standesethos nicht unberührt. Der gesellschaft­liche Pluralismus zieht einen Pluralismus von Moral und Ethik nach sich, der die medizin-ethische, aber auch die politische und juristische Konsenssuche erheblich erschwert.

Angelpunkt der Diskussion über menschenwürdiges Sterben ist das Verständnis der Autonomie des Menschen. Dieses Recht aber ist – wie auch der Gatterer-Bericht hervorhebt – ethisch be­gründet, zugleich aber auch begrenzt. Daher darf das Prinzip der Autonomie nicht verabsolutiert werden, sondern schließt die Verantwortung für sich und andere ein.

Auch nimmt ein abstrakter Autonomiebegriff die besondere Hilfs- und Schutzbedürftigkeit von Schwerkranken und Sterbenden nicht wahr. Aus ethischer Sicht ist es höchst problematisch, die Würde des Menschen an ein abstraktes Autonomiekonzept zu binden, das Individualität mit Autarkie und völliger Unabhängigkeit verwechselt, und umgekehrt jede Form von Abhängigkeit, von Hilfsbedürftigkeit oder Angewiesenheit auf andere als narzisstische Kränkung erlebt. Ein solcher Autonomiebegriff führt dazu, Leiden und Schwäche als menschenunwürdig zu betrach­ten und nur ein abstrakt selbstbestimmtes Sterben als menschenwürdig zu akzeptieren.

Grundsätzlich ist – wie der Gatterer-Bericht fordert – das Selbstbestimmungsrecht von Schwer­kranken und Sterbenden zu stärken, sofern es nicht gegen das aus dem Recht auf Leben abgeleitete Tötungsverbot ausgespielt wird.

Diese Position vertritt übrigens auch der Ökumenische Rat der Kirchen in einer im Jänner 2000 veröffentlichen Stellungnahme, die auch an alle im Parlament vertretenen Parteien ergangen ist. Persönliche Überzeugung und Werthaltung von Patienten sind zu achten. Der ausdrückliche Wille eines Menschen, was seine medizinische Behandlung betrifft, ist zu respektieren. Gegen seinen ausdrücklichen Willen – das wurde auch vom Herrn Staatssekretär schon zitiert – darf ohnehin niemandem, der entscheidungsfähig ist, eine medizinische Behandlung aufgezwungen werden.

Auch sind sogenannte Patientenverfügungen, das heißt Willenserklärungen, in denen jemand bereits zu einem früheren Zeitpunkt Vorkehrungen für den Fall seiner Entscheidungsunfähigkeit als Sterbender getroffen hat, innerhalb ethischer Grenzen zu respektieren, was allerdings auch eine rechtliche Präzisierung dieser Materie voraussetzen würde. Das Gleiche gilt für Vorsorge­maßnahmen, in denen jemand für eine solche Situation eine Vertrauensperson zur Entschei­dung benennt. Allerdings muss eben gesehen werden, dass es da nach wie vor juristische Un­klarheiten gibt, was die Verbindlichkeit sogenannter Patientenverfügungen betrifft. Manche der im Umlauf befindlichen Vordrucke sind nach Ansicht von Rechtsexperten unbrauchbar.

Die Fürsorge- oder Garantenpflicht des Arztes und seine Verantwortung für den Einsatz medizi­nisch sinnvoller Mittel bleiben in jedem Fall bestehen. Das Autonomieprinzip bedeutet keines­falls, dass der Arzt auf unethische Forderungen eines Patienten oder seiner Vertrauensperson einzugehen hätte.

In diesem Zusammenhang sollte gesehen werden, wie sehr gerade Ärzte und Pflegende, wie überhaupt alle, die Sterbende begleiten, auf Unterstützung und öffentliche Solidarität, aber auch auf qualifizierte medizinische Aus- und Fortbildung angewiesen sind. Die Möglichkeiten, das Leiden zu bekämpfen, finden ihre Grenzen jedenfalls dort, wo dies nur um den Preis gelänge, das Subjekt des Leidens, den Sterbenden, „auszulöschen“. Die Zubilligung einer solchen Hand­lungsweise hätte für das Ethos der Ärzte und der Heilberufe unabsehbare Folgen.

Meines Erachtens weist die niederländische Gesetzgebung in die falsche Richtung. Das größte gesellschaftliche Problem ist nicht die medizinische Überversorgung, sondern die Ein­samkeit der Sterbenden, die der Soziologe Norbert Elias in einem gleichnamigen Buch ein­drücklich beschrieben hat.

Was Sterbende brauchen, ist unsere Solidarität, nicht die todbringende Spritze. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

10.16


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Univ.-Prof. Dr. Körtner.

Ich bitte nun Herrn DDr. Michael Landau um sein Referat.

„Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen“

10.16


Referent DDr. Michael Landau¦ (Caritas Wien): Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn etwas sicher ist in unserem eigenen Leben, dann unser eigener Tod und unser eigenes Sterben, also jenes letzte Stück Weges, das wir als Lebende zurücklegen werden. Sterben ist ja immer ein kürzeres oder längeres Stück Leben. Das aber hat eine doppelte Implikation.

Erstens: Die Kunst des Sterbens zu lernen, bedeutet vorgängig, die Kunst des Lebens gelernt zu haben, denn in der Einsamkeit der Sterbenden spiegelt sich die Einsamkeit der Lebenden wider.

Zweitens: Jeder Sterbende ist ein Lebender, und zwar so lange, bis er stirbt, also bis zuletzt.

Es geht um einen Dienst der Lebenden an den Lebenden. Es geht um eine Kultur des Lebens, zu der eine Kultur des Sterbens, eine Kultur der Solidarität mit den Sterbenden gehört. Oder anders gesagt: Sterbebegleitung und Hospizarbeit stehen unter dem Anspruch, ein wesent­liches Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: eine Gesellschaft, die ein menschliches Antlitz hat. Ein Gradmesser für die Menschlichkeit der Gesellschaft aber ist, wie sie mit den Schwächeren umgeht.

In Österreich gibt es darüber breiten politischen Konsens: Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben – und nicht durch die Hand eines anderen Menschen. Daraus er­gibt sich auch das Thema dieses Impulses: Wer Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbe­begleitung sorgen, denn das Nein zur Euthanasie bedingt notwendigerweise ein Ja zu all dem, was erforderlich ist, damit Menschen leben können – bis zuletzt.

Die heutige parlamentarische Enquete ist mit den Stimmen aller im Parlament vertretenen poli­tischen Parteien zustande gekommen. Das ist ein gutes Zeichen. Das Thema ist zu wichtig, um es in die tagespolitische Auseinandersetzung hineinzuziehen. Ich appelliere an alle politischen Parteien, den Weg des Miteinanders um der Menschen willen nicht zu verlassen.

Vor allem aber ist der heutige Tag eine Gelegenheit für die politisch Verantwortlichen, den öffentlich geäußerten Willen und die gute Absicht nun auch durch konkrete Schritte zu bele­gen. Wirklich erfolgreich ist diese Enquete dann, wenn sie dazu führt, dass die rechtlichen und finanziellen Grundlagen der Sterbebegleitung und Hospizarbeit geschaffen und gesichert wer­den; das gilt für Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Die Zeit ist reif, dass die Verantwort­lichen den guten Worten nun auch entsprechende Taten folgen lassen. Gespräch und poli­tisches Bekenntnis mögen wichtig sein, entscheidend aber ist, was die Not der Sterbenden tatsächlich lindert. Das zählt. Und da bleibt noch viel zu tun – auch in unserem Land.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich unterstreiche diesen Punkt, denn die Situation schwer kranker und sterbender Menschen ist in Österreich nach wie vor vielfach prekär. Es ist für sie im Medizin- und Sozialsystem weder ausreichend Zeit noch ausreichend Raum noch ausreichend Kompetenz der Betreuenden gegeben. Gerade am Ende des Lebens werden viele Menschen nach wie vor gesellschaftlich ausgelagert und ghettoisiert. Dieser Notstand aber wird noch immer nicht hinreichend wahrgenommen, und daher wird darauf auch nicht systematisch reagiert.

Engagierte Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegepersonen, Seelsorger und Sozialarbeiter haben in den vergangenen Jahren Pionierprojekte begonnen. Hospizinitiativen in allen Bundesländern geben wertvolle Antworten und konkrete Hilfe, und zwar offen für alle, wie es den Grundsätzen der Hospizarbeit entspricht. Doch weiterhin kommt die menschliche und palliative Unterstützung in der letzten Lebensphase im etablierten österreichischen Gesundheitswesen zu kurz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen so etwas wie einen nationalen Hospizplan für Österreich, und wir brauchen Hospizpläne für alle Bundesländer, denn gerade im Bereich der Hospizarbeit kommt ja den Ländern entscheidende Bedeutung zu. Es geht darum, im Blick auf die Betroffenen und ihre Angehörigen klare, überprüfbare und verbindliche Ziele zu definieren und Mindeststandards zu sichern. Bund, Länder, Gemeinden, auch die Krankenkassen, sie alle sind gefordert, wobei es im Wissen um die vorhandenen positiven Beispiele, etwa in Wien und Niederösterreich, oder im Blick auf die Wiener Krankenkassen nicht zuletzt um die Frage der Regelfinanzierung von Hospizarbeit geht.

Doch es geht um mehr als um Geld. Andreas Heller hat es einmal so gesagt: Letztlich wird es darauf ankommen, ob und wie es gelingt, die Erfahrungen aus den Hospizmodellen in die Regelversorgung einzubringen, und ob es möglich ist, ein gutes Sterben nicht nur für eine kleine Minderheit zu sichern, sondern zum Standard und zum Indikator von Humanität der Ge­sellschaft auch in allen anderen Versorgungskontexten zu machen. Denken Sie an die Spitäler, an die Senioren- und Pflegeeinrichtungen und nicht zuletzt an den ganzen Bereich der Geriat­rie!

Die Caritas hat ihre Erfahrungen und Forderungen in der Broschüre „Hospiz, ein Auftrag der Nächstenliebe“ zusammengefasst, an die ich ebenso erinnern möchte wie an die Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich vom 14. Jänner 2000 zum menschenwür­digen Sterben. Ich werde mich daher in der Folge auf vier exemplarische und zentrale Felder konzentrieren.

Erstens: Hospizdienste sollen ein fixer Bestandteil der medizinisch-pflegerischen Grundversor­gung der Bevölkerung werden. Dazu gehören der Ausbau und die Finanzierung der stationären, semi-stationären und ambulanten beziehungsweise mobilen Hospizversorgung. Grundsatz dabei soll sein: So viel mobil wie möglich und so viel stationär wie nötig! Es entspricht ja dem Wunsch der meisten Menschen, wo es geht, bis zuletzt im Kreis der Nahestehenden leben zu können. Sinnvoll wären in diesem Zusammenhang auch interdisziplinäre Support-Teams oder Palliative-Care-Teams. Diese könnten Nahtstellen zwischen der stationären Versorgung im Krankenhaus und der Versorgung durch Hausärzte, aber auch durch die Hauskrankenpflege werden und da ergänzend wie unterstützend tätig sein.

Zweitens: Die Integration der Hospizgrundsätze und damit der Hospizarbeit in das gesamte Ge­sundheits- und Sozialwesen in Österreich erfordert auch eine entsprechende Aus- und Weiter­bildung. Die Caritas fordert schon seit längerer Zeit einen Lehrstuhl für Palliativmedizin und die Implementierung eines Zusatzfaches Palliativmedizin. In Österreich soll also eine gelebte Palliativmedizin etabliert und gefordert werden.

Zugleich fühlen Sie selbst, sehr geehrte Damen und Herren: Es geht dabei um eine umfas­sende Sicht, die neben den physischen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Leiden der Betroffenen ernst nimmt, also um eine vernetzte und vernetzende Arbeit. Und Sie spüren auch, wie wichtig die Sicherung der Aus- und Weiterbildung im Palliative Care für alle relevan­ten Berufsgruppen – Medizin, Pflege, Sozialarbeit, Seelsorge – in interprofessioneller Form ist. Ich danke in diesem Zusammenhang ausdrücklich der Österreichischen Ärztekammer und ihrem Präsidenten für die klaren Worte und das wichtige Bekenntnis zur Sterbebegleitung statt Euthanasie. Und ich hielte es für ein wertvolles Signal, etwa die Weiterbildung von Ärzten im Palliative Care auch offiziell in geeigneter Weise anzuerkennen.

Drittens: So wie Eltern heute ein Recht haben, ihre Kinder am Anfang des Lebens in das Leben hineinzubegleiten, sollen Kinder künftig ein Recht haben, ihre Eltern aus dem Leben hinauszu­begleiten. Ich halte daher die Schaffung von Karenzierungsmöglichkeiten für die Begleitung und Pflege sterbender Angehöriger für ein Gebot der Stunde. Es gilt, entsprechende Modelle zu entwickeln, die rasch und flexibel sind und sich an der Wirklichkeit der Betroffenen orientieren. Wesentlich wäre aus Sicht der Praxis ein klarer Rechtsanspruch, wie er etwa heute schon in Frankreich gesetzlich verankert ist. Entscheidend aber wird die existenzielle Absicherung für die Zeit der Karenz sein. Sterbebegleitung darf nicht zum Privileg einiger Weniger werden, bei dem sozial Schwache vor der Tür bleiben. Denken Sie etwa an die Kassierin im Supermarkt und an ihre sterbende Mutter zu Hause. Da darf es zu keinen sozialen Ausgrenzungen kommen! Wichtig im Zusammenhang damit ist auch die Perspektive danach, also ein Rückkehrrecht und ein entsprechender Kündigungsschutz, wie das heute schon im Bereich der Babykarenz selbst­verständlich ist.

Viertens: Die Betreuung Schwerstkranker und Sterbender erfordert immer palliativ-medizinische und palliativ-pflegerische Professionalität im hauptamtlichen Bereich, aber sie erfordert gleicher­maßen auch entsprechend vorbereitete und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie sie für diesen Dienst im Sinne der Hospiz-Idee unerlässlich sind. Nicht zuletzt im Blick auf das internationale Jahr halte ich eine Förderung dieser Freiwilligenarbeit für wichtig. Das könnte etwa durch die Finanzierung von hauptamtlichen Kräften, die gezielt ehrenamtliche gewinnen, befähigen und begleiten, geschehen oder auch durch die Übernahme der Kosten für die not­wendige Fort- und Weiterbildung aller Beteiligten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind als Gesellschaft an den Rändern gefordert, auch und gerade an den Rändern des Lebens. Und Sie fühlen dabei selbst: Es geht nicht zuletzt um unsere eigene Zukunft. Joseph Beuys aber hat dazu einmal sehr treffend gesagt: Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen. – Danke. (Beifall.)

10.28


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Direktor Landau und bitte nun Herrn Univ.-Prof. Dr. Taupitz um sein Referat.

„Sterbebegleitung im internationalen Vergleich“

10.28


Referent Univ.-Prof. Dr. Jochen Taupitz¦ (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Mannheim): Herr Vor­sitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „Sterbebegleitung im internationalen Vergleich“ in zehn Minuten abzuhandeln ist nur dann möglich, wenn man nur zu einigen weni­gen Schwerpunkten einige wenige Stichworte gibt und sich im Übrigen auf eine zusammenfas­sende Darstellung beschränkt.

Unter diesem Vorbehalt lässt sich sagen, dass es im internationalen Vergleich zwei Extremposi­tionen gibt, die beide gleichermaßen durch Gesetz oder Rechtspraxis verwirklicht sind. Zwi­schen ihnen existieren in anderen, und zwar in den meisten, Ländern zahlreiche vermittelnde Mischformen.

Die eine Extremposition ist durch eine individualistische Betonung des Selbstbestimmungs- und Selbstverwirklichungsrechtes gekennzeichnet, das keiner objektiven Vernünftigkeitskon­trolle unterliegt und bis hin zur Berechtigung reicht, andere Personen in das ganz dem eigenen Willen unterworfene Sterben einzubeziehen. Am deutlichsten wird diese extrem-individualis­tische Perspektive in jenen Ländern, die die aktive Sterbehilfe auf Verlangen zulassen. Hierin ist bekanntlich die neue niederländische Regelung anzusiedeln, von der ich annehme, dass sie Ihnen bestens bekannt ist, aber auch zum Beispiel die japanische Rechtsprechung, jedenfalls mancher Gerichte. Zudem galt von 1995 bis 1997 im australischen Northern Territory ein Gesetz, das aktive Sterbehilfe erlaubte, wovon allerdings nur – aus anderem Blickwinkel immer­hin – vier Personen Gebrauch gemacht haben.

Insgesamt zeigt der internationale Vergleich, dass die Zulassung der aktiven Sterbehilfe den seltenen Ausnahmefall darstellt. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass in jenen Län­dern, in denen die aktive Sterbehilfe nicht zugelassen ist, ein wichtiges Argument dahin geht, dass es unendlich schwierig ist, im Einzelfall festzustellen, ob der entsprechende Sterbewille wirklich frei verantwortlich gebildet wurde – oder ob nicht umgekehrt zum Beispiel mehr oder weniger deutlicher Druck von außen im Hintergrund stand. Dabei kann derartiger Druck ja nicht nur individuell von Familienmitgliedern, zukünftigen Erben oder wem auch sonst ausgehen, son­dern auch gesellschaftlicher Druck sein, und zwar mit dem Tenor: Es gehört sich nicht, der Gesellschaft, den Erben, der Familie noch weiter zur Last zu fallen.

Grundsätzliche Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit der Willensbildung in Lebensentschei­dungen, eine andere Grundeinstellung zum Individuum und seinem Selbstbestimmungsrecht, verbunden mit der Auffassung, dass das Leben das höchste Gut sei, haben in manchen Län­dern denn auch zu der extremen Gegenposition geführt. Danach wird das Wohl des Menschen von der Rechtsordnung oder von der Medizin festgelegt, nicht aber der Willensentscheidung des Betroffenen selbst überlassen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Frage, ob ein Veto des Patienten gegen eine medizinische Behandlung zu beachten ist. Dies ist nämlich keineswegs in allen Ländern der Fall.

So kann beispielsweise nach türkischem Recht ein Patient eine lebensrettende Behandlung nicht, auch nicht aus religiösen Gründen, verweigern. Der Arzt ist vielmehr verpflichtet, den Patienten in Lebensgefahr auch ohne oder gar gegen seinen Willen zu behandeln.

Eine abgeschwächt paternalistische Regelung enthält das israelische Recht. In Fällen schwer­wiegender Gefahr, die eine alsbaldige medizinische Behandlung erfordert, lässt ein Gesetz von 1996 eine Zwangsbehandlung zu, sofern eine Ethikkommission unter anderem bestätigt hat, dass begründeter Anlass zu der Erwartung besteht, der Patient werde nach Erhalt der Behand­lung rückwirkend seine Zustimmung geben.

Zu erwähnen ist auch die spanische Rechtsprechung, wonach die – zum Beispiel religiös motivierte – Ablehnung einer vital-indizierten Gabe von Blutprodukten nicht vom Selbstbestim­mungsrecht des Patienten umfasst ist.

Eine Rechtsordnung, die das Wohl der Menschen in dieser Weise von sich aus festlegt und nicht darauf vertraut, dass jeder Mensch selbst weiß, was für ihn gut ist, steht natürlich vor der Frage, nach welchen Kriterien denn das wohl zu bestimmen ist.

Auch da gibt es große Unterschiede. Während wenige Rechtsordnungen das Leben als das wirklich absolut höchste Gut ansehen, das keiner Abwägung – auch nicht mit gegenläufigen In­teressen des Patienten selbst – zugänglich ist, wird in den meisten Ländern das Recht des Patienten auf Leidensminderung dem Lebensrecht entgegengesetzt. Konkret führt dies dazu, dass die sogenannte indirekte Sterbehilfe als zulässig erachtet wird, also jene ja durchaus aktive Sterbehilfe, deren primäres Ziel aber nicht in der Tötung, sondern in der Schmerzbe­handlung oder in sonstigen palliativ-medizinischen Maßnahmen besteht, während der dadurch verursachte Tod lediglich als unvermeidbare Folge in Kauf genommen wird.

Heftig umstritten ist wiederum in vielen Ländern, ob neben der – ich möchte sagen – fühlbaren Leidensminderung auch andere Umstände dem Lebensrecht gegenübergestellt werden können. Das Schlagwort vom menschenwürdigen Sterben kennzeichnet die Problematik sehr deutlich, weil in die Menschenwürde, je nach Standpunkt, sehr viel hineininterpretiert werden kann. Gerade von da her ist es auch von erheblicher Bedeutung, inwieweit die konkretisierende Ausfüllung der Begriffe „Wohl“, „Interesse“, „Menschenwürde“ ganz maßgeblich der Ärzteschaft überantwortet ist, wie es besonders ausgeprägt etwa in Dänemark der Fall zu sein scheint.

So schwierig und problematisch es letztlich ist, das objektive Wohl der Menschen allseits ver­bindlich von Seiten der Rechtsordnung oder von Seiten der Medizin zu bestimmen, so kon­trovers sind aber auch die Auffassungen darüber, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Rechtsordnung umgekehrt das Selbstbestimmungsrecht der Menschen anerkennen und achten soll.

Diese Frage betrifft schon das Grundproblem, wer von der Rechtsordnung überhaupt als ent­scheidungsfähig akzeptiert wird. Diese Frage wird unter dem Stichwort „Einwilligungsfähig­keit“ diskutiert, betrifft aber gleichermaßen auch die Frage, ob ein Veto der betroffenen Person gegen eine Behandlung zu befolgen ist. Auch in dieser Grundfrage gelten international ganz un­einheitliche Kriterien.

Nach dem niederländischen Recht kann schon ein Patient ab dem 16. Lebensjahr den recht­lich erheblichen Wunsch sogar nach aktiver Sterbehilfe äußern, wobei der Arzt dem Wunsch, abgesehen von weiteren Voraussetzungen, dann nachkommen kann, wenn die Eltern, wie es sehr vage heißt, „in den Prozess der Beschlussfassung einbezogen worden sind“.

In anderen Ländern werden demgegenüber jedenfalls bestimmte Lebensentscheidungen expli­zit an die Volljährigkeitsgrenze von 18 Jahren geknüpft. Dies gilt etwa für die auf zukünftige Be­handlungssituationen ausgerichtete Patientenverfügung, die in mehreren Ländern, etwa in Dänemark, erst ab dem 18. Lebensjahr wirksam errichtet werden kann.

Im Übrigen stellen die meisten Rechtsordnungen für die Einwilligungsfähigkeit auf die indivi­duelle Reife, die individuelle Urteilskraft, Einsichts- oder Selbstbestimmungsfähigkeit ab. Das allerdings führt in der Praxis zu großen Unsicherheiten, weil die genannten Fähigkeiten nun ein­mal mehr oder weniger stark ausgeprägt vorhanden sein können, zudem Art und Bedeutung der jeweiligen Behandlung einer generalisierenden, also verallgemeinernden Beurteilung entge­genstehen sollen.

Da die Frage der Einwilligungsfähigkeit aber doch nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, nicht aber graduell abgestuft, und da eine Rechtsordnung gerade in einer derart funda­mentalen Frage klare Kriterien entwickeln müsste, sehe ich da im internationalen Bereich noch erheblichen Klärungsbedarf.

Ein großes Problem ist für sämtliche Rechtsordnungen naturgemäß auch jene Situation, in der der Patient keinen Willen mehr äußern kann, etwa weil er bewusstlos ist. Auch in dieser Situa­tion beinhaltet das Abstellen auf objektive Kriterien, wie auch immer sie beschaffen sein mögen, die Gefahr der Fremdbestimmung. Deshalb rekurrieren die meisten Rechtsordnungen in die­ser Situation auf den so genannten mutmaßlichen Willen des Patienten ab, versuchen sie näm­lich seine früher geäußerten Wünsche und Vorstellungen auf die spätere Situation zu extra­polieren. Macht man in dieser Weise die Behandlung oder Nichtbehandlung und auch den Be­handlungsabbruch von Äußerungen abhängig, die der Betroffene selbst nicht als bindend und endgültig gedacht hat, die er selbst nicht auf die konkrete Situation bezogen und nicht bis zu Ende durchdacht hat, führt dies allerdings leicht zur Fiktion und zur bequemen Möglichkeit, den eigenen Willen des späteren Entscheiders als denjenigen des Patienten selbst auszugeben, ihn dem Patienten also unterzuschieben.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund gehört zum Thema Sterbehilfe und dem damit unlösbar verbundenen Spagat zwischen Fremd- und Selbstbestimmung auch die Frage, ob die Men­schen denn nicht in guten Tagen Vorsorge für lebensbedrohliche Situationen treffen können. Eine solche Vorsorge ist zum einen durch eine eigene antizipative Entscheidung des Betroffe­nen selbst möglich, also durch die schon angesprochene Patientenverfügung. Allerdings besteht da die Grundproblematik darin, dass zukünftige Situationen und zukünftiges Leiden nur mehr oder weniger vage antizipierbar sind und spätere Willensänderungen oder das spätere Schwanken zwischen Hoffnung und Resignation im wahrsten Sinne des Wortes nicht „end-gültig“ erfasst werden können.

Nicht von ungefähr unterscheiden sich die Rechtsordnungen ganz erheblich in der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung verbindlich ist, inwieweit dem Betroffenen, anders gesagt, aus seinem Selbstbestimmungsrecht heraus auch Selbstverantwor­tung für die eigene Zukunft überantwortet wird.

Die nationalen Lösungen reichen denn auch von der Position, die den antizipativ geäußerten Willen gar nicht beachtet – so im Grundsatz in der Türkei –, über Auffassungen, dass die Ver­fügungen ein, wenn auch nicht unbedeutender, Anhaltspunkt bei der Ermittlung des mutmaß­lichen Patientenwillens sind – so eine verbreitete Auffassung in Deutschland –, bis hin zu ge­setzlichen Bestimmungen, wonach in bestimmten Grenzen und unter bestimmten formalen Vor­aussetzungen die Patientenverfügung aus sich heraus verbindlich ist – so zum Beispiel in Dänemark.

Eine weitere Form vorsorgender Selbstfürsorge ist die Bestellung eines Vertreters in Gesund­heitsangelegenheiten. Dieser soll in der konkreten Behandlungssituation eine mehr oder weniger strikt an den Patientenwillen gebundene eigene Entscheidung treffen. Auch da reicht die Bandbreite nationaler Lösungen von strikter Ablehnung der Stellvertretung, weil die Ent­scheidung über die medizinische Behandlung höchstpersönlicher Natur sei, über vermittelnde Lösungen, die zum Beispiel eine bestimmte Form der Vollmachtserteilung verlangen und/oder eine gerichtliche, also staatliche Kontrolle der vom Vertreter konkret getroffenen Entscheidung vorsehen – so bezogen auf Lebensentscheidungen die Rechtslage in Deutschland –, bis hin zur grundsätzlich unlimitierten Vertreterbefugnis wie in mehreren Staaten der USA.

Zieht man ein Fazit, dann lautet dies, dass der dem Rechtsvergleicher sonst vertraute Ergebnis­gleichlauf nationaler Regelungen beim Thema Sterbehilfe offenkundig nicht gegeben ist. Aus­gehend von grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen über den Stellenwert des Selbstbe­stimmungsrechts, ausgehend von unterschiedlichen Auffassungen über den Stellenwert staat­licher Schutzpflichten, die den Betroffenen vor dem Handeln oder Unterlassen anderer, unter Umständen aber auch vor sich selbst schützen sollen, und ausgehend von unterschiedlichen Auffassungen über die Verantwortungsbereiche der Familie, der Ärzteschaft und des Staates haben die nationalen Rechtsordnungen einen nahezu unerschöpflichen Vorrat an unterschied­lichen Lösungen entwickelt. In der Tendenz zeichnet sich allerdings sehr deutlich ab, dass dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen immer mehr Raum gegeben wird, wie überhaupt die Individualisierung der Gesellschaft, dabei allerdings auch die Vereinzelung der Menschen, ein prägender Zug der modernen Zeit ist.

Von der Vereinzelung ist es wiederum nicht weit zur Einsamkeit, und aus diesem Blickwinkel Ist es nachdrücklich zu begrüßen, dass beim Thema Sterben auch im internationalen Vergleich Be­griffe wie „Zuwendung“ und „Begleitung“ wieder größere Bedeutung erlangen. Auch von Rechts wegen sollte man sich immer dessen bewusst sein, dass die Macht der Gesetze begrenzt ist und nicht alles vom Staat dekretiert werden kann. Dies betrifft insbesondere gelebte Mitmensch­lichkeit in den wirklich existenziellen Situationen im Leben und Sterben der Menschen. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

10.43


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Professor Taupitz und bitte nun Herrn Univ.-Prof. Dr. Stadler um sein Referat.

„Die Rechtslage in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der Patientenverfügung“

10.43


Referent Ao. Univ.-Prof. DDr. Christian Stadler¦ (Institut für Rechtsphilosophie und Rechts­theorie an der Universität Wien): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin eingeladen worden, als Rechtsethiker zur Fragestellung „Die Rechtslage in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der Patientenverfügung“ einige kurze Ausführungen zu machen.

Es gibt für diese parlamentarische Enquete einen juristischen und demoskopischen Grund. Der juristische Grund ist die schon mehrfach zitierte neue niederländische Regelung, die aktive direkte Euthanasie rechtlich zuzulassen, der demoskopische Grund wurde uns vor kurzem nachgeliefert in der jüngst im „profil“ veröffentlichten Umfrage, gemäß der 52 Prozent der Öster­reicher – je nachdem, wie repräsentativ das jeweils gemacht wurde – dafür seien, nach hollän­dischem Vorbild aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, 30 Prozent seien dagegen, 18 Prozent hätten dazu keine spezifische Meinung.

Ich möchte zunächst kurz eine definitorische Klarstellung deswegen abgeben, damit die weite­ren Ausführungen alle gleichermaßen wahrgenommen werden können. Unter aktiver Euthana­sie möchte im Folgenden das, was aktive, direkte Euthanasie ist, verstehen: eine direkte primäre Tötungshandlung. Unter indirekter Euthanasie möchte ich eine Schmerztherapie mit akzeptierter Todesbeschleunigung verstehen. Und unter passiver Euthanasie möchte ich das Unterlassen weiterer lebensverlängernder Behandlungsmethoden verstehen.

In Ergänzung zu meinen Vorrednern möchte ich auch darauf hinweisen, dass das Euthanasie-Problem so alt ist wie die Menschheit und die ärztliche Kunst. Nicht umsonst ist im Hippokra­tischen Eid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Arzt das gerade nicht zu tun habe, nämlich den Patienten zu töten. Es ist nicht einzusehen, warum in der Antike aktive Euthanasie, eine direkte Tötungshandlung, nicht möglich gewesen sein sollte, es ist nicht einzusehen, war­um indirekte Euthanasie, eine Schmerztherapie mit Todesfolge, nicht möglich gewesen sein sollte. Einzig der Bereich der passiven Euthanasie hat sich dramatisch verschärft, und zwar da­durch, dass wir jetzt völlig neuartige Methoden zur Verfügung haben, das Leben zu verlängern und damit das ethische Problem nach dem alten Prinzip „Ultra posse nemo tenetur“ virulent wird, und das „posse“ hat sich dramatisch erweitert. Damit hat sich das moralische Problem ver­schärft.

Der juristische Anlass ist die niederländische Euthanasiegesetzgebung. Es ist zwar anzu­nehmen, dass Sie alle davon gehört haben, aber es ist nicht unbedingt anzunehmen, dass Sie all diese Bestimmungen im Detail kennen. – Ebenso ist nicht anzunehmen, dass all jene, die sich an dieser Umfrage in Österreich beteiligt haben, genau gewusst haben, welches niederlän­dische Modell sie da für sich angewandt wissen wollen.

Zu diesem Zweck habe ich mir den Text in deutscher Version vom holländischen Justizministe­rium, also obwohl übersetzt, doch halbamtlich sozusagen, aus dem Internet geholt.

Was ist konkret geschehen? Ich möchte das kurz darstellen, um dann die vergleichbare öster­reichische Rechtslage zu beleuchten, damit wir wissen, wo wir uns selbst im Verhältnis zur holländischen Konzeption befinden.

Es hat sich der Artikel 293 des holländischen Strafgesetzbuches verändert. Der Artikel lautet nun – wobei Punkt 1 gleich geblieben ist –:

„1. Wer einen anderen Menschen auf dessen ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin tötet, wird mit Gefängnisstrafe bis zu zwölf Jahren und einer Geldstrafe der fünften Kategorie bestraft.“ – Holländisches Geldstrafensystem.

Punkt 2 ist neu:

„2. Die im ersten Absatz bezeichnete Tat ist nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen worden ist, der dabei die Sorgfaltskriterien im Sinne von Artikel 2 dieses Gesetzes erfüllt und den kommunalen Leichenbeschauer gemäß Artikel 7 Abs. 2“ – eines anderen Gesetzes – „infor­miert hat.“

Für die weitere Diskussion ist also der Verweis auf die Sorgfaltskriterien des Artikels 2 dieses neuen Gesetzes entscheidend, damit man weiß, was wirklich Sache ist.

Im Artikel 2 findet sich nun die Ausführung:

„1. Die Sorgfaltskriterien im Sinne von Artikel 293 Absatz 2 Strafgesetzbuch“ – also das, was ich soeben zitiert habe – „beinhalten, dass der Arzt:

a) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient freiwillig und nach reiflicher Überlegung um Sterbehilfe gebeten hat“ – ich ersuche, auf die Wendung „zu der Überzeugung gelangt ist“ zu achten –,

„b) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich war,

c) den Patienten über seinen Zustand und dessen Aussicht informiert hat,

d) mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist“ – mit ihm zusammen! –, „dass es in dem Stadium, in dem sich der Patient befand, keine angemessene andere Lösung gab,

e) mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt hinzugezogen hat, der den Patienten gese­hen und sein schriftliches Urteil über die in den Punkten a) bis d) bezeichneten Sorgfalts­kriterien abgegeben hat“ – der hinzugezogene Arzt hat den Patienten zu sehen gehabt –, „und

f) die Lebensbeendigung medizinisch sorgfältig ausgeführt wird.“

Dann kommt das, was wir jetzt auch gerade gehört haben:

„2. Wenn ein Patient von 16 Jahren oder älter nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, jedoch in einem früheren Zustand, als davon ausgegangen werden konnte, dass er zu einer angemessenen Einschätzung seiner diesbezüglichen Belange in der Lage war, eine schriftliche Erklärung mit der Bitte um Lebensbeendigung abgelegt hat, kann der Arzt dieser Bitte nachkommen. Die Sorgfaltskriterien im Sinne von Absatz 1 gelten entsprechend.“

Die nächsten Bestimmungen betreffen die Sterbehilfe von Personen ab 12 Jahren, die in den Niederlanden ebenfalls zulässig ist, und zwar von 12 bis 16 Jahren, wenn die Eltern das auch so sehen, und ab 16 Jahren, wenn sie in den Willensbildungsprozess involviert waren.

Nun zu einem weiteren Punkt, der eine ganz große Rolle spielt und der in den Medien immer mit den Worten, es sei dies „streng geregelt und kontrolliert“, wiedergegeben wird. Nun, wie streng ist denn das geregelt und kontrolliert?

Der Arzt hat dies einer Regionalen Kontrollkommission zu melden.

„Eine Kontrollkommission besteht aus einer ungeraden Zahl von Mitgliedern, zu denen in jedem Fall ein Jurist zählt“ – es wird nicht spezifiziert, welcher Fachrichtung –, „der gleichzeitig Vorsit­zender ist, ein Arzt“ – es wird nicht spezifiziert, welcher Fachrichtung – und ein Spezialist in ethischen Fragen.“ – Das ist eine deutsche Spezialübersetzung eines holländischen Wortes für „Ethiker“ oder „Philosoph“.

Und weiters: „Außerdem gehören zur Kommission stellvertretende Mitglieder jeder im ersten Satz genannten Kategorien.“ – Also eben Stellvertreter.

Im Wesentlichen arbeitet diese Kommission so, dass ihre Mitglieder über eigenen Antrag oder vom Minister entlassen werden können. – Das wirft ein interessantes Bild auf die „Unabhängig­keit“. – Die Entlassung hat stattzufinden wegen Untauglichkeit, Unfähigkeit oder aus anderen schwerwiegenden Gründen, die jedoch nicht näher spezifiziert sind.

Die Besoldungsfragen stellen hier nicht das Problem dar.

In weiterer Folge findet ein über weite Strecken nichtöffentliches Verfahren statt, in welchem lediglich überprüft wird, ob der Arzt zu der zitierten Überzeugung gelangt sei. Es ist nicht vorge­schrieben – das mag eine Spitzfindigkeit sein, aber es regt doch zum Nachdenken an –, dass nachgewiesen werden muss, ob der Patient den Willen geäußert hat, sondern es muss nachge­wiesen werden, dass der Arzt zur Überzeugung gekommen war, dass der Patient diesen Willen geäußert habe.

Ich denke, die weiteren Details würden uns jetzt zu weit vom österreichischen Punkt abbringen. Es ist dieses Dokument jedenfalls im Internet in deutscher Übersetzung einsichtig.

Auf dieser Grundlage möchte ich jetzt ein paar Worte – es sind ja die 10 Minuten einzuhalten – zur österreichischen Rechtslage verlieren.

Durch dieses Gesetz wurde in Holland technisch das Strafrecht berührt, es ist reformiert worden, also müssen wir auch in Österreich ins Strafrecht schauen. Dort finden wir unter § 75 StGB die Vorschriften über Mord, unter § 77 StGB die Vorschrift zur Tötung auf Verlan­gen – das ist genau jene Bestimmung, die in den Niederlanden reformiert wurde, genau an die­ser Stelle wurde angesetzt – und unter § 78 StGB die Vorschrift über Beihilfe zum Selbstmord.

Diese Bestimmungen drücken in Österreich klipp und klar aus, dass jemand auf sein ernst­haftes Verlangen hin nicht getötet werden darf. Eine ganz klare rechtliche Aussage. Es wird im öster­reichischen Strafrecht ausdrücklich dargestellt, dass Beihilfe zum Selbstmord, An­regung oder Unterstützung bei demselben ebenfalls als Rechtsunwert betrachtet und unter Strafe gestellt wird.

Sie sehen also, wie in Relation zum Leben von der österreichischen Strafrechtsordnung der Stellenwert der Autonomie gesehen wird. Er findet seine natürliche Schranke in der Grundlage von Autonomie, nämlich im Leben selbst. Man kann das Leben bestimmen, aber man kann es nicht negieren und das als Bestimmung betrachten, sonst hat man ja die Voraussetzung, auf die hin sich die Bestimmung richtet, außer Kraft gesetzt.

Es gibt aber im selben Strafgesetzbuch andere Bestimmungen, die durchaus den Stellenwert der Autonomie klarmachen. Das ist einerseits – nicht ganz einschlägig, aber auch zu erwäh­nen – § 90 StGB, „Einwilligung bei Körperverletzung“. Hier wird schon darauf hingewiesen, dass man aus bestimmten Gründen durchaus zu seiner Körperverletzung einwilligen kann, aber eben nicht zu seiner Tötung. Die entscheidende Passage ist jene über die eigenmächtige Heilbe­handlung: „Es ist prinzipiell niemand zu behandeln, in dessen Autonomie nicht der Wunsch gefasst wurde, behandelt zu werden.“ – Behandelt zu werden!

Sie sehen also, wir haben zwei verschiedene Ebenen der Bestimmung. Auf der einen Ebene ist die Autonomie in der österreichischen Strafrechtsordnung vollkommen gesichert und hundert­prozentig durchgeführt, nämlich in der Frage der Heilbehandlung, sie ist aber absolut nicht rele­vant im Bereich der Tötung; ausgenommen die Frage des Strafmaßes, aber der Rechtsunwert­gehalt bleibt gleich.

Jetzt ist immer wieder – auch in meiner Themenstellung – die Patientenverfügung erwähnt worden. Diese stellt an und für sich schon ein ethisches und juristisches „Minenfeld“ der beson­deren Art dar. Ich möchte daher nur zwei kurze Eckpunkte zitieren und dann ihre Relevanz für unser Thema kurz streifen.

Zunächst ist zu sagen, dass eigentlich die Patientenverfügung an sich die zeitliche und räum­liche Verlegung der Äußerung eines Patientenwillens darstellt. Zeitlich und räumlich verlegt, also nicht im Augenblick der Entscheidung, sondern an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen. Das ist eine Patientenverfügung oder ein Patiententesta­ment – oder wie immer Sie es nennen möchten.

Das zentrale rechtliche Problem – es wurde schon angeschnitten – ist die Frage der Verbind­lichkeit. Dies kann von überhaupt keiner Verbindlichkeit über eine Indizwirkung und eine be­weisähnliche Wirkung bis hin zur totalen Bindungsverpflichtung reichen. Das grundsätzliche Abwägungsproblem ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich die Selbstbestimmung des Patienten mit der Fürsorgepflicht des Arztes verträgt.

Eine Patientenverfügung – das möchte ich an dieser Stelle betonen, um sozusagen keine Un­klarheiten aufkommen zu lassen – kann aber natürlich auch nur das örtlich und zeitlich versetzt zum Ausdruck bringen, was überhaupt im Bereich des rechtsrelevant Ausdrückbaren gelegen ist. Wenn ich also, unmittelbar befragt, von der Rechtsordnung nicht die Möglichkeit vorgesehen bekommen habe, meinen Tod zu verlangen, dann kann ich dies natürlich auch nicht in einer Patientenverfügung an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit tun. Das heißt also, durch die Patientenverfügung kann ich die Rechtslage in keiner Weise ändern, sie ist nur eine Dis­lozierung der Entscheidung und hat sehr hilfreiche Funktion im Moment der Nichtentschei­dungsfähigkeit des Patienten, wenn etwas zu entscheiden wäre. Aber ich kann durch die Ge­stalt oder die Konzeption einer Patientenverfügung das grundsätzliche Problem überhaupt nicht klarer definieren oder diskutieren, nämlich die Frage, ob es im Rahmen meiner Autonomie denkbar ist, dass ich meinen eigenen Tod wünsche. – Das ist das Problem, deswegen kann die Patientenverfügung da keinen weiteren Schritt zulassen.

Wie sieht es jetzt in der österreichischen Rechtslage aus? – Wobei ich da zugestehen muss, dass es eine ausdrückliche Normierung nicht gibt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Rechts­ord­nung können wir aber erkennen, dass erstens die passive Euthanasie, das Unter­lassen weite­rer Behandlungsakte, natürlich unter der Klasse § 110 StGB der Autonomie des Patienten unterliegt. Er kann daher im entscheidenden Augenblick sagen, dass er keine weitere Behand­lung mehr möchte, und er kann auch zeitlich und örtlich verschoben in der Patientenverfügung erklären, dass er keine weitere lebensverlängernde Behandlung akzeptiert. Das liegt im Rah­men seiner Autonomie, das ist rechtlich relevant und daher auch rechtlich zulässig und hat auch entsprechende juristische Wirkung für den Arzt.

Die nächste Station, die indirekte Euthanasie – die Schmerztherapie mit Todesbeschleu­nigung, könnte man es kurz formulieren –, ist noch im Rahmen des Heilungsbegriffes zu ver­ste­hen. Sie müssen ja Gesetze interpretieren, und wenn die Heilbehandlung angesprochen wird, ist natürlich die kurative Medizin inkludiert, und ein Aspekt der Heilung ist auch die Schmerzbe­kämpfung. Dies ist also auch ein Aspekt der Heilung, und daher sind auch die palliative Medizin und ihre Maßnahmen im Begriff „Heilbehandlung“ inkludiert, weswegen die Patientenautonomie rechtlich ebenfalls noch relevant ist. Kurz gesagt: Auch da kann der Patient durchaus verlan­gen, das optimalste Schmerzlinderungsmittel zu bekommen – auch unter der Akzeptanz der Folge, dass damit sein Leben verkürzt wird. Es handelt sich immer noch um eine Heilbehand­lung.

Was dagegen von der österreichischen Rechtsordnung aus ihrer gesamten Konzeption heraus unzulässig ist – und Sie können dies vom Staatsvertrag von St. Germain an verfolgen, wo Österreich verpflichtet ist, voll und ganz den Schutz des Lebens aller seiner Bürger zu gewähr­leisten, bis herauf in die Menschenrechtskonvention, Artikel 2: intentionale Tötung des Men­schen ist nicht zulässig – das hat bei uns Verfassungsrang –, bis hin zur gesamten Rechtsord­nung und den hier ausgedrückten Grundwerten, dass die aktive, direkte Euthanasie eben nicht mehr als eine Heilbehandlungsmaßnahme zu verstehen ist, weswegen die Autonomierelevanz für sie nicht mehr gilt und wir uns daher wieder auf den ausdrücklich im österreichischen Recht klipp und klar formulierten Tatbestand zurückziehen können: Die Tötung auf ernsthaftes Verlan­gen ist strafbar; daher kann das in Österreich vom Arzt nicht wahrgenommen werden.

Dies ist, glaube ich, die entscheidende Konsequenz. Noch einmal mein Hinweis in diesem Zu­sammenhang: Eine Patientenverfügung kann nur über etwas verfügen, was überhaupt verfüg­bar ist. Da nach der österreichischen Rechtsordnung der Wunsch nach Sterben und auch nach Tötung nicht verfügbar ist, kann er auch über den Umweg einer Patientenverfügung nicht ver­fügbar gemacht werden. Nochmals: Es ist eine Dislozierung von Ort und Zeit und keine beson­dere Legitimationsform. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.59


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Professor Stadler. – Nun bitte ich Herrn Professor Klaschik um sein Referat.

„Palliativmedizin statt Sterbehilfe: Leiden lindern – Würde und Autonomie bewahren!“

11.00


Referent Univ.-Prof. Dr. Eberhard Klaschik¦ (Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität Bonn): Eminenz! Herr Staatssekretär! Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, dass es eine ausgesprochene Freude und auch eine Ehre für mich ist, dass ich heute aus Deutschland kommen durfte, um hier im Parlament ein paar Gedanken über die Palliativmedizin als Alternative zur aktiven Sterbehilfe darzustellen.

Ich bin jenen Rednern, die wir bereits gehört haben, sehr dankbar, da ich mich nun ausschließ­lich auf die Darstellung des praktischen Teils meiner Arbeit konzentrieren kann. Ich möchte Ihnen – sowohl der Herr Vorsitzende als auch der Herr Staatssekretär sind ja Ärzte – im Rah­men meiner Ausführungen unter anderem Patientenbilder zeigen. Wenn man sich fragt, was Palliativmedizin leisten kann, was Leidenslinderung bedeutet, muss man sich im Klaren darüber sein, dass spirituelles Leiden oder soziales Leiden natürlich nicht bildlich darstellbar sind. Ich möchte deswegen jene Abgeordneten und Damen und Herren aus anderen Bereichen, die nicht mit der Medizin zu tun haben, im zweiten und letzten Teil meines Vortrags, wenn ich Patienten­bilder zeigen werde, bitten, die Bilder nicht als sensationsheischende Darstellung zu werten. Sie sollen vielmehr zeigen, was wir im Alltagsleben sehen und – ich möchte das vorweg sagen – wie wir Leidenslinderung durchführen und Lebensqualität verbessern konnten.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich kurz hinterfragen und in einigen Aufstellungen zeigen, warum holländische Bürger aktive Sterbehilfe einfordern. Aus einer großen Auflistung lassen sich drei Hauptgründe herausschälen:

Der erste Grund ist Leiden in seiner ganzen Vielfalt, in der es vorkommen kann. Das wird in Holland sehr sorgfältig aufgegliedert. Der zweite Grund, der am häufigsten genannt wird, ist Würdelosigkeit, Entwürdigung, Verlust von Autonomie, und der dritte Grund sind Schmerz oder andere körperliche Symptome.

Ich möchte anhand der nächsten Tabelle zeigen, wo das Hauptproblem in Holland wirklich liegt. Hervorheben möchte ich die erste Zeile, die zeigt, dass die aktive Sterbehilfe überwiegend bei Patienten, die tumorkrank sind, durchgeführt wird. Also: 80 Prozent aller Menschen, die in Holland euthanasiert werden, sind Patienten mit Krebserkrankungen. Das ist für mich deswegen so enorm wichtig, weil wir in dem Bereich, in dem ich tätig bin, überwiegend Tumorpatienten behandeln und das Hauptproblem in Holland offensichtlich die Krebserkrankung ist. Erkrankun­gen aus dem neurologischen Bereich sind nur marginal – mit insgesamt nur etwa 4 Prozent – betroffen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich, dass es in Holland nicht nur die aktive Sterbehilfe gibt, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt wird, sondern es gibt auch eine gewisse Anzahl von Todesfällen, etwa 1 000 pro Jahr, in denen Ärzte aktive Sterbehilfe betrieben haben, obwohl zu diesem Zeitpunkt die holländischen Bürger nicht nach aktiver Sterbehilfe gefragt haben, dies also auch nach holländischem Recht letzten Endes Mord wäre.

Die Holländer werfen uns in Deutschland, aber sicherlich auch Ihnen in Österreich vor, dass wir ein Problem nur kaschieren. Tatsache ist, dass – das sind Zahlen einer Dokumentation aus Holland – 60 Prozent der Fälle aktiver Sterbehilfe nicht gemeldet werden. Das holländische Gesetz, das gerade beschlossen wurde, hat, was die Sorgfaltspflichten betrifft, gar nicht so viele Änderungen herbeigeführt. Vieles gab es auch vorher schon. Mit anderen Worten, es wird auch nach der Legalisierung das Problem geben, dass Fälle aktiver Sterbehilfe letztendlich nicht gemeldet werden.

Zu den Gründen, weswegen Ärzte aktive Sterbehilfe nicht melden, gibt es einige Auflistungen: Es spielt der Wunsch eine Rolle, sich selbst Scherereien zu ersparen, die Angst vor Strafverfol­gung, weil die Sorgfaltspflicht nicht umfassend genug beachtet wurde. Das bedeutet, dass trotz Beachtung der Sorgfaltspflicht einige Dinge passieren, die letzten Endes nicht den Vorschriften entsprechen und nicht legal sind.

Es gibt in der Zwischenzeit zwei interessante Stellungnahmen aus Holland selbst, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Das holländische Gesundheitsministerium hat im vergangenen Jahr eine Stellungnahme abgegeben und darin auch festgehalten, dass die Forderung nach Eutha­nasie in Holland dadurch entstanden ist, dass es nur eine unzureichend entwickelte Palliativ­medizin gibt.

Was mich insgesamt besonders betrübt – und was nicht nur Holland betrifft, sondern ganz Europa –, ist, dass Befürworter der Euthanasie sagen, selbst die Palliativmedizin könne nicht so viel erreichen. Ich werde noch darstellen, dass die Palliativmedizin bisher nur ganz rudimentär entwickelt ist, es gibt ungeheure Defizite. Ich würde sagen: Geben Sie doch erst einmal der Palliativmedizin die Chance, sich zu entwickeln! Erst anschließend sollten wir fragen: Ist aktive Sterbehilfe notwendig?

Die zweite Äußerung aus Holland stammt von der Arbeitsgruppe an der Universität Nimwegen um Janssens und ten Have und besagt, dass die Akzeptanz der aktiven Sterbehilfe die kreative Entwicklung der Palliativmedizin behindert. Darin sehe ich persönlich eine große Gefahr für die Holländer: Sie haben schon vor 25 Jahren zuerst einmal an den ethischen Grundlagen, in den letzten 15 Jahren an der technischen Durchführung der aktiven Sterbehilfe gehangen, und damit ist der Zug für sie bereits abgefahren. Die Holländer werden zwar auch Palliativmedizin entwickeln, ich bin aber der Meinung, dass es sicherlich ein sehr viel leichterer Weg ist, die aktive Sterbehilfe durchzuführen, als eine qualifizierte Palliativmedizin einzuführen. – Soweit die Vorbemerkungen zur aktiven Sterbehilfe in Holland.

Die Hospizbewegung und die Palliativmedizin haben sich deshalb entwickeln können, weil, wie Frau Teuschl dargestellt hat, Defizite entdeckt worden sind, und ich freue mich auch, dass es zwei Frauen waren, nämlich Frau Cicely Saunders und Frau Kübler-Ross, die das getan haben. Das muss man festhalten! Und diese Defizite sind bis zum heutigen Tage nicht ausreichend abgebaut. In Holland hat man mit der Palliativmedizin und der Hospizbewegung begonnen, und wir haben gehört, dass es einen Riesenbedarf gibt, das noch weiter zu entwickeln. Ich werde Ihnen gleich noch zwei Daten-Aufstellungen aus Deutschland zeigen.

Wir sollten festhalten: Ärzte und Pflegekräfte sind bis zum heutigen Tage, unter dem Gesichts­punkt der Flächendeckung betrachtet, nur unzureichend ausgebildet, was die gesamte Symp­tomkontrolle, die Schmerztherapie, die Kontrolle anderer Symptome wie Dyspnoe, Übelkeit/Er­brechen betrifft, aber auch in Bezug auf die Kommunikation: Eine der häufigsten Klagen von Patienten oder Angehörigen über Ärzte betrifft die unzureichende Kommunikation mit den Patienten, mit den Angehörigen, die unzureichende Aufklärung. Und natürlich sind auch die Ärzte in Fragen der Ethik bis zum heutigen Tage nicht ausreichend ausgebildet.

Zwei Graphiken zur Entwicklung der Palliativmedizin in Deutschland: Anfang der achtziger Jahre gab es die erste Palliativstation, Mitte der achtziger Jahre das erste Hospiz. Diese Graphik soll demonstrieren, dass es im Laufe der achtziger Jahre nahezu keine Bewegung in Deutschland gegeben hat, mit Beginn der neunziger Jahre aber dann doch relativ rasch bergauf ging. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Palliativmedizin in Deutschland in Bewegung geraten ist, wie das auch europaweit geschieht. Insgesamt aber sind wir weit entfernt von einer zufrieden stel­len­den, flächendeckenden Versorgung!

Sie wissen vielleicht, dass das Land Nordrhein-Westfalen das größte Bundesland Deutschlands und auch das Bundesland mit der aktivsten Entwicklung der Hospizmöglichkeiten und der Palliativmedizin ist, aber auch dort gibt es in diesem Bereich noch viele weißen Flecken. (Es wird eine Karte projiziert.) Überall dort, wo Sie weiße Flecken sehen, gibt es kein einziges Palliativbett; die Stadt Düsseldorf zum Beispiel verfügt über kein einziges Palliativbett. Der Regierungsbezirk Köln-Bonn, hier dunkel dargestellt, hat die höchste Palliativbettendichte.

Wenn wir ein aktives Handeln gegen Euthanasie entwickeln wollen, müssen wir darauf hinarbei­ten, dass wir in dieser Hinsicht eine Flächendeckung erreichen. Flächendeckung bedeutet zu­nächst einmal die Arbeit im ambulanten Bereich und natürlich, wie auch Frau Teuschl das dargestellt hat, als Backup die Stationen. Nur wenn es diesbezüglich eine Flächendeckung gibt, können wir auch flächendeckend Leiden lindern. Der Bürger Düsseldorfs hat in der Regel nicht die Chance, zur Leidenslinderung nach Köln oder nach Bonn zu fahren.

Palliativmedizin will eine Verbesserung der Lebensqualität erreichen, und zwar durch Zuwen­dung, hohe fachliche Kompetenz und Pflege, um die Kluft zwischen dem Unerträglichen und dem Erträglichen zu überbrücken, die Kluft zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung, die Kluft zwischen Würdelosigkeit und Würde, um den Todeswunsch zum Lebenswunsch zu entwickeln.

Meine Damen und Herren! Ich habe angekündigt, dass ich Ihnen Patientenbilder zeigen werde. Das mache ich immer gerne, nachdem ich einleitend etwas zur Palliativmedizin gesagt habe, und verbinde das mit einigen Kernsätzen, die ich wichtig finde.

Palliativmedizin ist eine ungeheuer aktive Medizin im Sinne der Verbesserung der Lebensquali­tät. Das heißt eben nicht, die Hände in den Schoß zu legen und nur empathisch zu sein, son­dern das erfordert hohe fachliche Kompetenz. Die Frage kann nicht sein: Behandeln oder nicht behandeln? Die Frage ist: Was ist für den Patienten die zu diesem Zeitpunkt adäquate Behand­lung?

Hier sehen Sie eine Patientin mit einer extremen Mammakrebs-Veränderung, die die gesamte Brust erfasst hatte. Die Patientin hat zunächst jede Form ärztlicher Behandlung abgelehnt, sie konnte sich selbst nicht mehr ertragen, und dies nicht nur wegen des Schmerzes, sondern auch wegen der extremen Geruchsbelästigung.

Was mir persönlich besonders wichtig erscheint, erwähnt zu werden – und in diesem Zusam­menhang entsteht immer wieder das Begehren nach Euthanasie –, ist der Verlust der Würde. Kein Mensch verliert in seinem Leben je die Würde! Die Palliativmedizin hat sich ganz be­sonders auf die Fahnen geschrieben, dass sie die Würde des Patienten respektiert, im Leben, im Sterben und danach.

Hier sehen Sie eine Patientin mit einer extremen Ausprägung eines blumenkohlartigen Krebses im gesamten Halsbereich, natürlich verbunden mit extremen Schmerzen. Diese Patientin, ge­nauso wie der nächste Patient, den Sie sehen werden, mit einem Durchbruch am Hals, kamen zu uns und sagten: So kann und will ich nicht mehr leben. Der Patient, den Sie zuletzt gesehen haben, hat zuvor zu Hause in einer dunklen Kammer gelebt, hat sich seiner Familie nicht mehr gezeigt, als der Geruch das Haus durchzogen hat. Er wollte zunächst gar nicht auf die Palliativ­station. Der Patient kam zu uns und sagte: Geben Sie mir eine Spritze! Jeder Hund hat ein Recht zu sterben. Ich möchte sterben.

Nachdem wir diesen Patienten geruchsfrei gemacht und ihm den Schmerz genommen haben, hat er für sich noch eine extreme Lebensperspektive entwickelt. Der Patient ist in die Stadt ge­fahren, einkaufen gegangen und hat uns noch ganz viel besorgt. Er hat noch etwa drei oder vier Monate gelebt, dank sozialer Regeneration sein Leben wieder entwickelt.

Palliativmedizin, das wurde auch immer wieder dargestellt, bedeutet letzten Endes Umgang mit unheilbaren Erkrankungen, die weit fortgeschritten sind, auch weiter fortschreiten und die Lebenszeit begrenzen. Sterben beginnt nicht erst dann, wenn etwas terminal ist, sondern be­deutet letzten Endes, einem Patienten, der nicht mehr heilbar ist, möglichst lange eine Lebens­gestaltung zu ermöglichen. Was beispielsweise Tumorerkrankungen so problematisch und dramatisch macht, ist, dass die Krankheit tagtäglich fortschreitet, was zum Teil nicht jeden Tag zu bemerken ist. Patienten, die eine Infiltration eines Nervengeflechts haben, merken eines Tages plötzlich, dass ihr Arm lahmer wird. Wir können diese beginnende Lähmung nicht mehr aufhalten, und das bedeutet für den Patienten, erneut weniger machen zu können, Abschließen mit bisherigen Möglichkeiten und Ressourcen.

Die Palliativmedizin ist angetreten, für diese Patienten neue Hoffnung zu kreieren. Das bedeu­tet, die Hoffnung aufzugeben, dass dieser Arm wieder bewegbar wird, aber darauf zu hoffen, dass der Patient, so weit es geht, auch dann noch autonom bleiben kann.

Hier sehen Sie eine Patientin – auch sie hat ein Mammakarzinom –, die eine solche Infiltration des Nervengeflechts hatte. Sie konnte weite Bereiche ihres Armes dann nicht mehr bewegen, aber durch die Einbin­dung von Ergotherapeuten war es möglich, dass die Patientin wieder selbstständig sein konnte, sich selbst versorgen konnte.

Meine Damen und Herren! Ich habe versucht, Ihnen die Schicksale einiger Patienten darzustel­len, denen wir eine Lebensperspektive angesichts begrenzter Lebenszeit eröffnen konnten. Aber es gibt bei all unseren Patienten – auch bei uns – die Situation des „point of no return“, an dem Sterben angesagt ist. Hier sehen Sie einen Patienten mit Lungenkrebs in Agonie, etwa drei Stunden vor dem Tod, mit einem so genannten oberen Einflussstau, daher die totale Verquel­lung des Gesichtes. Es geht darum, auch diesen Patienten in den letzten Stunden adäquat zu versorgen. – Vielleicht können wir nachher im Rahmen der Gesamtdiskussion noch mit Herrn Stadler diskutieren. – Für mich ist indirekte Sterbehilfe etwas anderes als Sie definiert haben: Bei diesem Patienten ist es tatsächliche Schmerztherapie, Symptomenkontrolle, Beseitigung von Atemnot.

Alles, worauf ich abziele, ist letzten Endes eine Begleitung in der Sterbephase. Schmerzthera­pie, wie wir sie betreiben, ist praktisch niemals, abgesehen von marginalen Zeitspannen, also Sekunden oder Minuten – und da könnten wir beginnen, zu philosophieren –, eine Lebensver­kürzung. Ich fordere die Ärzte auf, Schmerztherapie und Symptomenkontrolle in einer Qualität zu erlernen, dass eine Schmerztherapie keine Lebensverkürzung bewirkt, es sei denn im margi­nalen Bereich.

Ich frage mich: Welchen Standard haben wir denn heutzutage – ich sage einmal auch hier in Österreich – in der Anästhesie? Wir werden ja gleich noch einen Intensivmediziner hören. Ein Jurist wird das doch keinem Arzt mehr abnehmen, wenn er behauptet, aus Versehen die Narkose zu hoch aufgedreht zu haben, sodass der Patient auf dem Operationstisch verstorben ist. Deswegen muss Schmerztherapie in hoher Qualität erlernt werden, und das wiederum bedeutet letzten Endes spezifische Fachkenntnisse.

Meine Damen und Herren! Ich habe versucht, in der gebotenen Kürze darzustellen, dass die palliativmedizinische Betreuung eine wirklich aktive Behandlung von Patienten ist, die hohe Verantwortung von Seiten aller Pflegenden, der seelsorgerischen, sozialen, ärztlichen Seite er­fordert, und meines Erachtens eine echte Alternative zur aktiven Sterbehilfe ist. Es ist natürlich viel aufwendiger, sie in dieser hohen Qualität zu betreiben und zu entwickeln.

Ich bin der Meinung: Palliativmedizin ist aktive Lebenshilfe! Und jeder Mensch hat ein Recht auf palliativmedizinische Behandlung! – Ich bin sehr froh, hier diese Worte des Staatssekretärs gehört zu haben, der gesagt hat, wir müssten daran pragmatisch herangehen. In Österreich, Deutschland, europaweit und weltweit haben alle Gesundheitssysteme die Verantwortung und letzten Endes die Verpflichtung, die palliativmedizinische Behandlung wirklich zu ermöglichen. Das bedeutet auch ein Umdenken im Gesundheitssystem.

Zum Abschluss möchte ich Ihnen eines meiner Lieblingsbilder von einer Patientin zeigen, die über Wochen mit wirklich grauenhaften Schmerzen zu Hause gelegen hat und hier nach vier Tagen auf der Palliativstation ein strahlendes Lächeln voller Lebensqualität zeigt. – Recht schönen Dank. (Beifall.)

11.15


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Professor Klaschik und bitte nun Herrn Professor Dr. Baumgartner um sein Referat.

„Ethische Aspekte der Palliativmedizin“

11.16


Referent Ass.-Prof. Dr. Holger Baumgartner¦ (Institut für Biochemische Pharmakologie an der Universität Innsbruck): Meine Damen und Herren! Ich rede über ethische Aspekte der Palliativ­medizin und möchte uns alle hier einladen, uns in dieser Reise durchs Leben ein wenig zu posi­tionieren. Theoretisch könnten wir etwa 120 Jahre lang leben. Wir realisieren wesentlich weni­ger, die Frauen mehr als die Männer, und das wäre der Abstand zwischen Ist und Soll. Meinen Ausführungen möchte ich folgendes Motto voranstellen: Wahrheit, realistisches Menschenbild und ein solidarisches Gesellschaftsmodell.

Wenn wir jung sind, orientieren wir uns an den Sternen. Dann treten wir in eine Lebensphase ein, in der wir uns verhalten, als würde sich lange nichts ändern. Wir leben so, als ob der Weg das Ziel wäre. Wenn wir aber am Ziel angelangt sind, können wir die Umstände nicht mehr beeinflussen. Es geht auch um Sie! Sie müssen sich selbst positionieren, beurteilen, wo Sie ste­hen. Ich weiß ungefähr, wo ich mich befinde, und auch Sie alle miteinander sind gar nicht mehr so weit vom Ende entfernt. In 100 Jahren wird dieser Saal noch stehen, wir aber werden sicher nicht mehr hier sein. Je näher wir dem Ende kommen, desto mehr verlieren wir die Initiative und desto mehr sind wir auf die Solidarität und das Vordenken derer angewiesen, die nun hier sitzen und das Leben noch aktiv gestalten können.

Wir haben die Bilder von Professor Klaschik gesehen, dieses hier ist von Sheila Cassidy. Das kann passieren: Sie greifen sich an die Brust – ob das die Wahrheit ist, will ich jetzt nicht sagen, aber das ist es für viele dann. Und damit ist die Reise für manche wesentlich kürzer, als es die Statistik erwarten lässt.

Wo stirbt der Österreicher? – Vor dem LKF, in der Zeit 1992 bis 1997, sind in manchen Bundes­ländern immerhin bis zu 19 Prozent der Patienten auf Intensivstationen verstorben. Ich vermute, dass das nicht unbedingt der richtige Ort ist, und dass dahinter ein Organisations- und Struktur­mangel steht, den wir einfach erkennen müssen. In der Intensivmedizin – Sie haben einen Un­fall, Sie stürzen ab, Sie sind fast am Tode; Geräte, Medikamente, die Kunst der Ärzte, die Kunst der Intensivpflege hält Sie am Leben – wäre die Lebensqualität katastrophal, würden nicht ge­eignete Maßnahmen das irgendwie erträglich machen. Wir muten den Patienten das zu, in der Hoffnung auf eine Wiederkehr der Lebensgeister, der Heilung und der Entlassung.

Davon müssen wir den Palliativbereich klar unterscheiden. Hierbei handelt es sich um einen schrittweisen Zusammenbruch von Systemen und ein dem entsprechendes Auftreten von Symptomen – und das können wir heute beeinflussen! Wenn wir das nicht tun, dann verweigern wir unseren Sterbenden medizinische Möglichkeiten. Wir verletzen damit das Krankenanstalten­gesetz, wir verletzen das Ärztegesetz, wir verletzen letztlich elementare, primitive humanitäre Forderungen, die wir eigentlich an uns selbst stellen müssten. Das wäre theoretisch auch einklagbar.

Zwei Differenzierungen: In der Palliativmedizin geht es um die terminale Lebensphase. Unsere Onkologen und Strahlentherapeuten verwenden den Begriff „palliativ“ auch für etwas anderes: Noch lange bevor Heilung das Ziel ist, kann durch einen Palliativeingriff etwas korrigiert werden. Diese Patienten leben aber vielleicht noch zwei, drei, vier Jahre. Von dem reden wir hier nicht. Wenn palliativ tätig zu sein LKF-mäßig belohnt wird, müssen wir aufpassen, dass nicht plötzlich alle Palliativmedizin betreiben. Im Extremfall könnte das auch mein Zahnarzt für sich beanspru­chen, der mir demnächst eine Brücke einsetzen wird, denn in dem Zusammenhang besteht auch keine Aussicht auf Heilung. Das ist aber nicht die Palliativmedizin, von der wir hier reden. Hier geht es um die terminale Lebensphase.

Wir reden immer vom Schmerz. Die Symptome – das Folgende ist aus einer Zusammenstellung von Zdrahal – sind Schwäche, Inappetenz, Schmerzen, Obstipation, und immerhin 50 Prozent der Menschen leiden terminal unter Atemnot, das können Sie als Erstickungsgefühl übersetzen.

Und es kann furchtbar schief gehen (Projektion einer Grabinschrift): Das ist aus St. Andrä im Lavanttal, 1805 – ich zitiere –:

„Die biederste Mutter ihrer Kinder und stille Wohlthäterin der Armen, sie entschlief den 21sten Hornung 1805 nach vorhergegangenen unaushaltbaren Leiden ruhig in dem Herrn.“ – Zitat­ende.

So etwas sollte heute nicht mehr vorkommen! Dass so etwas in Stein gemeißelt wird, zeigt, dass es Dinge gibt, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Solidarität alleine nützt aber auch nichts, die hat es damals auch schon gegeben. Das Folgende stammt von Frau de Stoutz aus dem St. Gallener Hospiz – damals war sie noch dort. Ich habe sie einmal angeschrieben und sie zur Funktion der Ärzte im Hospizwesen befragt. Sie antwortete – ich zitiere –:

„Es wird ja oft vergessen, dass die ganze psychosoziale und spirituelle Problematik des Ster­bens primär durch körperliche Vorgänge ausgelöst wird. In der Terminalphase treten in allen Organsystemen multiple Funktionsausfälle auf, was zu multiplen Symptomen sowie auch meta­bolischen, pharmakologischen Veränderungen führt. Palliative Betreuung ist nur möglich, wenn die subjektiven Beschwerden, die durch all diese pathophysiologischen Kettenreaktionen ent­stehen, von außerordentlich kompetenten Ärzten“ – das haben wir schon von Klaschik gehört: kompetente Ärzte, denn nicht jeder, der Arzt ist, kann das – „kontinuierlich vorhergesehen, erkannt und behandelt werden.“ – Zitatende.

Darum geht es! Wer agiert? – Das ist das Palliativteam – das Folgende ist aus „Europe against Cancer“, einer EU-Erhebung –, ein interdisziplinäres Team: Nursing/Pflege, Ärzte, Sozialarbei­ter, Physiotherapeuten und so weiter, und auch die Freiwilligen, die mithelfen. Es ist eine kollek­tive Anstrengung nötig, denn es kann einiges schief gehen.

Durch das LKF-System werden Patienten heute früher entlassen. – Das Geld ist da, der Patient kann gehen. Der Patient kommt dann in einem Zustand zum Hausarzt, mit dem der Hausarzt bei allem, was er zu bieten haben mag, nicht mehr zurechtkommt, überfordert wird. Es mangelt ihm an Unterstützung – und das ist unfair und unkorrekt von Seiten des Systems. Oder: In einer anderen Phase wird der Patient aus Hilflosigkeit auf die Intensivstation verlegt. Dort steht zwar ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung, das dortige Personal ist aber eigentlich auf anderes orientiert und weist den Patienten nur aus Solidarität nicht ab, sondern versorgt ihn. Dahinter steckt doch ein Strukturmangel!

Eine weitere Kernfrage, entnommen aus Unterlagen des englischen Hospizwesens und für mich eine entscheidende Frage, lautet: Do you have to pay? – Die Antwort ist: No! Das ist der Kern des englischen Hospizwesens! Kein Zweiklassensterben! Dass die einen unter besonders aufgemascherlten Umständen sterben, während die anderen irgendwo hinter verschlossener Tür verenden, das darf es nicht geben! Wenn Palliativmedizin geboten werden soll, dann muss sie so geboten werden, dass die Betroffenen und auch die Angehörigen nicht noch zusätzlich belastet werden.

„Zum Schluss kostet der Mensch viel“, heißt es. – Das stimmt, aber die Menschen haben dann doch auch die längste Zeit über eingezahlt. Was ist denn das für ein Konzept von Gesundheits­politik, wenn jemandem am Schluss die Kosten vorgehalten werden, dafür, dass er sein ganzes Leben lang Steuern und Krankenversicherungsbeiträge bezahlt hat? Dann stimmt doch etwas in der Kalkulation nicht! Man hätte sagen sollen: Österreicher! Verlängere deine Lebenserwar­tung nicht so! Oder man hätte rechtzeitig finanziell vorsorgen müssen. – Aber dafür bin ich kein Experte.

Was wir derzeit erleben, ist immerhin eine kollektive Anstrengung. Das Folgende ist aus einem Antrag aus dem Jahr 1998 an die Frau Gesundheitsminister, und das muss man auch sehr genau anschauen. Es geht darin um die Umstrukturierung überzähliger Akutbetten zu Palliativ­stationen. Sehen Sie, so kommt die Palliativmedizin nach Österreich! – Sie wurde natürlich durch Idealisten initiiert, und denen müssen wir alle dankbar sein. – In das österreichische Sys­tem kommt sie also im Zuge von Überlegungen, überzählige Akutbetten weiter zu nützen. Man wundert sich insgesamt – und das betrifft jetzt nicht diese Abgeordneten –: Welche Haltung herrscht hier vor? Haben wir noch etwas von Hitler in uns, ohne es systematisch erlernt zu haben? Ich bin erschreckt durch die Tatsache, dass es 30 Jahre gebraucht hat, bis die Palliativ­medizin einigermaßen den Ärmelkanal überquert hat und zu uns gekommen ist.

Jetzt sind natürlich alle gefordert!

Ganz großartig ist, dass es bis jetzt offenbar gelingt, den ganzen Bereich außer Streit zu stellen, dass alle Parteien einen Weg finden, das gemeinsam anzugehen. Das schulden wir auch der Bevölkerung, das schulden wir uns letztlich selbst. – Also keinen politischen Streit!

Auch nicht „Augen zu“, „Kopf in den Sand“, Selbsttäuschung! – Dagegen müssen wir aktiv arbeiten. Das Morgen ist schneller da, als wir glauben. Wir handeln nicht allein solidarisch, son­dern auch klug, wenn wir vorsorgen, dass wir, wenn es mit uns einmal so weit sein wird, bes­sere Umstände vorfinden. Leere Versprechen in diesem Zusammenhang wären eine Kata­strophe. Die Betroffenen kommen natürlich nicht mehr zurück, sie können sich bei der nächsten Wahl nicht mehr revanchieren, das ist schon klar. Aber wir leben doch in einer Solidargemein­schaft und schulden unseren Mitbürgern vom Anfang bis zum Ende des Lebens all das, was wir als organisierte, humanitäre Gesellschaft können.

Gefordert sind auch die Finanzreferenten der Länder. – Die werden nämlich sagen: Das kostet wieder etwas. Ja, damit muss man eben zurecht kommen! Was ist mit den Gemeinden? Stirbt in den Heimen niemand? 65 000 Österreicher leben in Heimen, davon sind etwa 30 000 pflege­bedürftig. Glauben Sie, dort stirbt niemand an Krebs, an Herzversagen? Dort geht niemandem die Luft aus? Diese sind ausgenommen und fallen teilweise durch den Rost – eine ungeheure humanitäre Katastrophe!

Die Ärzteschaft ist gefordert in puncto Ausbildung, ebenso die Pflege, die Krankenanstalten-Verwaltungen und die Versicherer.

Der Bund setzt Standards, macht Pläne und kann auch direkt etwas tun! – Wenn Palliativmedi­zin neues Gerät wäre, hätten wir sie in Österreich schon längst überall. Dass Palliativmedizin an den Universitäten bis heute nicht Fuß gefasst hat, ist eigenartig. Wir müssen lernen, umzuden­ken, uns umzuorientieren, und dazu könnte Frau Minister Gehrer einen Beitrag leisten. Sie könnte Mittel akquirieren – wie man das in der Politik genau macht, weiß ich nicht –, mit Ihrer Unterstützung Mittel zur Verfügung stellen, sodass an den drei medizinischen Fakultäten Allge­meinmedizin als Institut eingerichtet – das ist ja geplant – und diesen Instituten je eine Abteilung Palliativmedizin, eine Abteilung Geriatrie zugeordnet wird. Diese würden die Standards setzen, die würden einige Patienten betreuen, der Rest wird sowieso im Krankenhaus betreut. Sie könnten dort Hilfe leisten, Unterricht, Ausbildung und Forschung durchführen und Modelle für die Einbindung dieses Bereichs in die sonstige Betreuung im Krankenhaus und extramural ent­wickeln.

Das wären, grob gesehen, die Entwicklungen, die zu fördern sind. Wir wären in guter Gesell­schaft. Laut einer Information aus England vom 25. Mai dieses Jahres gibt es dort zehn Ordina­riate für Palliativmedizin, in Deutschland gibt es auch bereits einige, vielleicht sind es mittler­weile schon mehr.

Zum Abschluss noch einmal: „Sie entschlief nach vorhergegangenen unaushaltbaren Leiden ruhig in dem Herrn.“ – Das sollte es bei uns in Zukunft nicht mehr geben müssen, und dafür sind wir alle verantwortlich, vor allem aber die Politiker, die diesbezüglich Akzente setzen müssen, und die Ärzteschaft, die mitziehen muss.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, und hoffe, dass Ihnen ein solches Schicksal erspart bleibt. (Beifall.)

11.29


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Professor Baumgartner und bitte nun Herrn Dr. Retschitzegger zum Rednerpult.

„Standards in der ambulanten und stationären Hospizarbeit“

11.29


Referent Dr. Harald Retschitzegger¦ (Ärztlicher Leiter der Palliativstation am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried – Hospiz St. Vinzenz): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben hier heute wirklich parlamentarische Zustände mit langen Reden. Ich hoffe trotzdem, dass es mir auch als zehntem Redner noch gelingt, als Arzt, der in den letzten zweieinhalb Jahren mit ungefähr 300 unheilbar kranken, sterbenden Menschen in Beziehung stand, Ihre Aufmerksamkeit noch ein bisschen zu fesseln.

Es geht um Lehrjahre, in denen wir in Österreich uns im Bereich der Palliativmedizin befinden, und es geht auch zu einem großen Teil um Wünsche. Deshalb möchte ich mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ beginnen: „Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten im­stande sein werden.“

Es gibt erfreulicherweise – wie wir heute schon im Gatterer-Bericht gehört haben – auch im Europarat überregionale Bestrebungen, Palliative Care in einen Rahmen zu bringen. Ich war bei einer solchen Sitzung eingeladen, und in dieser ist ganz klar gesagt worden: Wir haben es jetzt in der Hand, etwas zu verändern; unsere Generation kann für die künftigen Generationen eine Veränderung herbeiführen. – Das ist eine sehr große Chance!

Mein Thema lautet „Standards in der ambulanten und stationären Hospizversorgung“. Eine Defi­nition des Begriffes „Standard“ besagt: Ein Standard ist ein Prinzip, auf das sich die in einem Fachgebiet tätigen Praktiker geeinigt haben, und dessen Beachtung dazu beiträgt, dass Qualität und Fairness der jeweiligen beruflichen Tätigkeit verbessert werden.

Ich denke, bevor man sich solche Standards genauer ansieht, geht es um Grundwerte, und viele davon sind heute schon genannt worden. Ich habe die folgenden Grundwerte für „Pallia­tive Care“-Standards in einem australischen Papier gefunden, in dem es um Standards geht:

Es geht um die Würde des Patienten und seiner Angehörigen – wir haben das heute schon oft gehört –, genauso aber auch um Gerechtigkeit, Respekt, Verantwortungsgefühl den Patienten, ihren Familien und letztendlich auch der Gesellschaft gegenüber.

Der ambulante Bereich, die mobile Hospizbetreuung: Palliative Care soll natürlich immer zu Hause beginnen. Auch dann, wenn Patienten ihrem weiteren Krankheitsverlauf entsprechend später in Krankenhäuser, in Palliativstationen oder Hospize eingewiesen werden müssen, soll Palliative Care zu Hause beginnen. Das lässt deutlich werden, wie wichtig es ist, eine breitge­streute einschlägige Ausbildung zu erreichen.

Eine englische Untersuchung zeigt: Ob ein Patient zu Hause sterben kann oder nicht, hängt nicht in erster Linie von der Zahl der professionell Betreuenden ab, sondern von der Qualität der Betreuung, die geleistet wird. Eine andere Untersuchung zeigt vier Punkte, die gewährleistet sein müssen, damit eine Betreuung zu Hause möglich ist:

Es geht um eine exzellente Schmerz- und Symptomkontrolle, wie wir das heute bereits gehört haben.

Es ist aber auch ganz wichtig, dass der Patient sieht, dass für seine Angehörigen gut gesorgt wird. – Das ist ein Punkt, den wir nicht außer Acht lassen sollten; der Kranke achtet nämlich sehr genau darauf, wie seine Angehörigen mit der Situation zurecht kommen.

Es geht um einen kompetenten Umgang mit Krisensituationen, darum, dass plötzlich auftreten­den Schwierigkeiten im Krankheitsverlauf kompetent begegnet werden kann.

Und es geht auch darum, dass sich der Patient in einem sicheren Netz befindet, dass er, wenn er sieht, dass das familiäre System aus irgendwelchen Gründen nicht mehr hält, rasch in ein Krankenhaus oder in eine Palliativstation aufgenommen werden kann. – Deshalb gibt es zum Beispiel auch den Standard einer 24-Stunden-Bereitschaft solcher ambulanter, mobiler Dienste. Die Finanzierung dieses ambulanten Dienstes ist noch immer zu einem großen Teil sehr ungewiss. Auch das haben wir schon gehört.

Im stationären Bereich geht es um Palliativstationen. Es gibt vom Österreichischen Bundesinsti­tut für Gesundheitswesen Standards, Mindeststandards der Strukturqualität, die ausgearbeitet worden sind, um zu ermöglichen, dass solche Palliativstationen Modellfunktionen innehaben, dass sie Ausbildungsplätze für Praktikanten, für Ärzte sind, dass sie eine Keimzelle sind, von der aus der Gedanke verbreitet werden kann, dass Besuchergruppen dort sein können, dass sie aber auch ein Kompetenzzentrum sind, in dem die Qualität der Palliativmedizin ganz ent­schieden hochgehalten wird. Diese Standards des ÖBIG sind bisher von den Ländern aus Kos­tengründen noch nicht übernommen worden. Ich denke jedoch, dass das, was wir heute hier gehört haben, uns hoffen lässt, dass das bald eine gute Wendung nehmen wird.

Einige kleine Einzelheiten aus diesen Standards, die festgelegt worden sind: Palliativstationen sollten 8 bis 14 Betten haben; es muss eine Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige vorhan­den sein; es ist ein Pflegeschlüssel von 1,4 Pflegepersonen pro Patientenbett vorgesehen; Ärzte müssen natürlich eine palliativmedizinische Zusatzausbildung haben, genauso wie auch das Pflegepersonal.

In diesen ÖBIG-Standards werden auch die Konsiliarteams definiert. Auch davon haben wir heute schon gehört. Es geht dabei um interdisziplinäre Teams in Krankenhäusern, die zwar keine Palliativstation haben, in denen aber solche Teams zur Beratung beigezogen werden können.

Ich darf Ihnen zum besseren Verständnis zwei Zahlen zu unserer Station in Ried im Innkreis mitteilen: Die durchschnittliche Verweildauer beträgt 14 Tage. Das ist vielleicht um vieles gerin­ger, als Sie annehmen würden, denn es geht sehr häufig um Krisenintervention. Die Entlas­sungsquote hat im Vorjahr 47 Prozent betragen. – Das heißt, es handelt sich nicht um Sterbe­häuser, sondern es geht darum, effizient und qualitätsvoll intervenieren und dann eben die Patienten auch wieder nach Hause entlassen zu können.

Ein paar Bereiche, in denen Standards notwendig, in Österreich aber noch nicht vorhanden sind. In anderen Ländern gibt es solche jedoch bereits, und sie sind auf jede Form der Palliativ­betreuung anwendbar. Es sind Standards im körperlichen Bereich, Standards für Schmerzthera­pie, für Symptomkontrolle. Auch ich möchte Herrn Klaschik beipflichten und nochmals betonen, was heute hier bereits gesagt worden ist: Wenn von indirekter Sterbehilfe und Schmerztherapie, die lebensverkürzend wirkt, gesprochen wird, darf nicht angenommen werden, dass jede Form der Schmerztherapie automatisch lebensverkürzend wirkt. Das kann eine kleine Möglichkeit sein, aber das ist nicht die Regel.

Ich darf Ihnen kurz von einer Patientin erzählen, die zurzeit gerade auf unserer Station ist: eine 82-jährige Frau mit Eierstockkrebs und auch Absiedelungen in der Bauchhöhle. Diese Patientin hat auf Grund der Gefahr einer extremen Verstopfung wegen der Verwachsung im Bauch immer wieder erbrochen und unter Übelkeit gelitten. Irgendwann ist ihr gesagt worden: Wir brin­gen diese Übelkeit und das Erbrechen nicht in den Griff; es wird besser sein, wenn Sie nur noch künstlich über eine Vene ernährt werden! – Bei dieser Patientin ist im Oktober mit dieser künst­lichen Ernährung begonnen worden, im März dieses Jahres ist sie zu uns auf die Station ge­kommen. Sie hat das so geschildert, dass sie seit einem halben Jahr nichts mehr gegessen, nur etwas getrunken und sonst nur diese Infusionen bekommen habe.

Wir haben das Ganze in Frage gestellt und Medikamente verwendet, die in der Palliativmedizin ihre Qualität schon bewiesen haben. Es ist gelungen, das Erbrechen zu verringern, bis zum Sistieren zu bringen. Es ist auch gelungen, den Darm so weit durchgängig zu halten, dass die Patientin wieder essen kann. Diese Patientin ist gerade wieder bei uns und hat anlässlich der Diskussion in Holland über die Euthanasie zu mir gesagt: Wissen Sie, damals als ich die Ernäh­rung nur mehr über die Vene bekommen habe, habe ich mir auch gewünscht, dass es die Euthanasie gibt. Jetzt freut sie sich aber wieder, dass sie leben kann. – Ich denke, es sollte Standard werden, dass wir diesbezüglich mit Medikamenten gut umgehen können.

Es geht um Standards im psychologischen Bereich. In England gibt es Standards für die Aufklä­rung von Patienten, den Umgang mit der Wahrhaftigkeit, der auch in unserem Land immer noch ein Thema ist. Es geht um Standards für Trauerbegleitung – Trauer gehört dazu und beginnt nicht erst beim Tod von Patienten. Auch das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen! Es geht auch um eine standardisierte Beobachtung, wie das Personal mit diesen Belastungen zu­recht kommt, es geht um verpflichtende Supervisionen für das Personal.

Bei den Standards im sozialen Bereich geht es darum, die sozialen Bedürfnisse zu erheben. Wir müssen den sozialen Tod verhindern. Und – wie es vor zwei Tagen in einer Fernsehsen­dung gesagt worden ist – es muss gesellschaftlicher Standard werden, dass wir die Euthanasie nicht wollen. Das habe ich sehr schön gefunden.

Zu den Standards im spirituellen Bereich. Spirituelle Fragen, Sinnfragen wie: Was kommt da­nach? Warum trifft es gerade mich?, müssen nicht immer religiöse Fragen sein.

Es geht um kulturelle Standards, darum, dass Unterschiede wahrgenommen und auch akzep­tiert werden.

Und es geht nicht zuletzt auch um strukturelle Standards, um die standardisierte Festlegung der Interdisziplinarität, die es in der Palliativmedizin so eindeutig braucht. Wir – das Team unserer Station – haben zum Beispiel eine gemeinsame Ausbildung absolviert, bevor die Station eröff­net worden ist, um auch eine Teambildung zu ermöglichen. Es geht also um Kooperation im Palliativbereich.

Die Ausbildung muss standardisiert werden. – Wie sonst sollten wir die vielen Betten, die bald in Österreich zur Verfügung stehen werden, wirklich kompetent betreuen? Keiner weiß noch, wie eigentlich die standardisierte Ausbildung aussehen soll.

Es geht um Standards für ehrenamtliche Mitarbeiter: Welche Befähigungen brauchen sie, damit sie ehrenamtlich in diesem Bereich tätig werden können?

Und es geht zu einem guten Teil auch um Qualitätskontrolle. Mit Palliative Care kann zurzeit auch leicht Etikettenschwindel betrieben werden. Aus diesem Grund ist es besonders notwen­dig, dass es hierfür auch Standards gibt, die die Qualität definieren.

Ich möchte kurz zusammenfassen: Sterben ist ohnehin schwer genug, auch dann, wenn wir uns keine Gedanken darüber machen müssen: Von wem werde ich betreut? und: Wo werde ich betreut?

Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen gut gestalten, und ich bin ganz sicher, dass die menschlichen Ressourcen wie Fertigkeiten, Wissen und Haltung viel entscheidender sein werden als die Gebäude. Freuen wir uns, dass sich auch in Österreich eine neue Form der Be­treuung entwickelt und zu greifen beginnt! In diesem Zusammenhang möchte ich ein Zitat eines Grazer Kollegen, Johann Baumgartner, der auch anwesend ist, anführen. Er hat bei einer Enquete vor einigen Wochen gesagt – ich zitiere –:

Palliativmedizin soll ein Leuchtturm in der Landschaft Österreichs sein und nicht ein Glüh­würmchen. – Zitatende.

Auch in diesem Sinne erlaube ich mir, noch einige Forderungen anzuschließen, die zwar bereits mehrfach erhoben worden sind, aber ich denke, wir können das nicht oft genug fordern:

Jeder – nicht nur Krebspatienten natürlich – sollte Zugang zu Palliativbetreuung an dem Ort und zu dem Zeitpunkt haben, an und zu dem es seinen Bedürfnissen entspricht. Palliative Care ist kein Luxus, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil eines integrierten Behandlungskonzepts. Es geht um ihre Integration in das Sozial- und Gesundheitswesen. Und noch einmal: Wir brauchen eine österreichische Gesamtstrategie, unterlegt mit Gesetzen, einem verbindlichen Zeitplan, österreichweit gültige, verbindliche Ausbildungsrichtlinien, einen Bedarfsplan der ver­netzten Hospizbetreuung und Konzepte für alle Bundesländer.

Es gibt in diesem Zusammenhang auch Aufgaben der Politik. Ich darf nur ein Beispiel nennen: Das bayrische Justizministerium gibt eine Vorsorgebroschüre heraus, in der auch eine Willens­erklärung und eine Betreuungsvollmacht enthalten sind, das heißt: Das wird offiziell juristisch anerkannt und von politischer Seite gestaltet.

Ich darf mit ein paar kurzen Worten zur Euthanasie schließen: Ich will nicht den Eindruck er­wecken, dass Palliativmedizin und entsprechende Standards jede Form des Leidens verhindern können. Ich bin mir aber sicher, dass die Herabsetzung des Wertes eines Menschen – und genau das passiert doch letztendlich durch die Freigabe der Euthanasie – Leiden nicht verrin­gern kann, sondern dass wir den Wert von Menschen steigern müssen, wenn wir Leiden verrin­gern wollen.

Es geht ganz klar auch um Patientenautonomie, darum, dass wir den Wunsch nach einem Ver­zicht auf Maßnahmen seitens des Patienten sehr ernst nehmen. Und es geht um Sorgfalt, und auch das haben wir bereits gehört: Artikel 293 Absatz 2 des niederländischen Strafgesetzbuchs beinhaltet, dass der Arzt die Lebensbeendigung sorgfältig durchgeführt haben muss. Das ist aber nicht die Sorgfalt, die wir brauchen. Wir brauchen Sorgfalt in der Entwicklung von Stan­dards und bei der Weiterentwicklung von Palliativmedizin in Österreich.

Ich habe mit Goethe begonnen und darf auch mit Goethe schließen: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.“

Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.44


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Dr. Retschitzegger, und bitte nun Herrn Primarius Dr. Sporn um seine Ausführungen.

„Sterbebegleitung aus der Sicht der Intensivmedizin“

11.44


Referent Univ.-Prof. Prim. Dr. Paul Sporn¦ (Vorstand der Abteilung für Anästhesie und opera­tive Intensivmedizin der Krankenanstalt Rudolfstiftung): Herr Vorsitzender! Eminenz! Herr Staats­sekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immer dann, wenn über Sterben in Würde diskutiert wird, steht die Intensivmedizin auf dem Prüfstand, weckt alptraumhafte Visio­nen. Es ist die Angst, unter sehr viel Elektronik mit seinen Schmerzen allein zu sein; es ist die Angst, die Kontrolle über seine eigene Person zu verlieren und schließlich die Angst vor einer Intensiv­medizin, die ihre Grenzen nicht erkennen will und längst verlorene Patienten einem schier end­losen Sterbevorgang oder einem Überleben im rein vegetativen Zustand ausliefert.

All diese Ängste sind nicht immer unbegründet. Jeder kennt Fallbeispiele, die diesem Alptraum­szenario entsprechen können. Ich möchte im Folgenden auf diese Ängste und diese Kritik ein­gehen, zeigen, wo sie begründet sind, und auch das erörtern, von dem wir wissen, dass wir es besser machen müssen.

Zur Angst, zum Schmerz: Es ist traurige Realität, dass an vielen Intensivstationen Schmerz, Atemnot und Angst krass unterschätzt werden. In einer amerikanischen Analyse über 9 000 In­tensivpatienten aus dem Jahr 1995 kommt klar zutage, dass mehr als die Hälfte der Überleben­den angeben, mäßige bis schwere Schmerzen erlitten zu haben. Sie resultierten aus für den Intensivmediziner durchaus banalen Pflegeritualen wie Sekretabsaugung aus der Luftröhre, Kathetern oder auch nur aus einer für den Patienten unbequemen Lagerung, aus der er sich nicht befreien konnte. Es wird auch von nicht erkannten Panikattacken und dem Gefühl quälen­der Atemnot berichtet. Die zu diesen Empfindungen der Patienten befragten Pflegepersonen stellten fest, dass sie das nicht wahrgenommen hätten.

Wir müssen also zur Kenntnis nehmen, dass tatsächlich Symptome echter Qual nicht ausrei­chend erkannt und therapiert wurden, dürfen uns aber mit diesem Umstand nicht abfinden. Wir haben in sehr eindrucksvollen Referaten der Palliativmediziner gelernt, was sie können, und wenn es Intensivmediziner gibt, die das nicht können, müssen sie dort in die Lehre gehen.

Zur Angst, die Entscheidungsgewalt über sich selber zu verlieren: Wenn man unter dem Stress quälender Therapiemaßnahmen – und dadurch unterscheidet sich der Intensivpatient eindeutig vom Patienten auf der Palliativstation – eine ausreichende Schmerztherapie machen möchte, dann ist das mit einem klaren Bewusstsein kaum vertretbar. Es erscheint mir aber sehr wichtig, festzustellen, dass Intensivpatienten unter Sedierung, Analgesie und schon allein auf Grund ihrer kritischen Kreislaufsituation, auf Grund ihres gestörten Stoffwechsels wohl ihre funktionelle Autonomie einbüßen können, dass aber ihre essentielle Autonomie immer aufrecht erhalten bleiben muss.

Es besteht damit eine echte ethische Verpflichtung des Intensivmediziners, den Willen des Ster­benden zu ergründen und zu berücksichtigen. Ich meine damit nicht die aktive Tötung, sondern nur die Frage, wie lange der Patient eine Intensivtherapie haben will. Das Patiententestament wäre theoretisch ein Instrument, spielt aber keine Rolle: Ich habe in 30 Jahren Intensivtherapie an 12 000 Patienten nur zweimal ein Patiententestament zu Gesicht bekommen. Damit kommt den Angehörigen in der Ergründung des Patientenwillens eine sehr wesentliche Rolle zu. Anders aber als in den Vereinigten Staaten, wo die Autonomie des nicht mehr entscheidungs­fähigen Patienten voll auf Verwandte oder auf eine Vertrauensperson übergeht, darf bei uns der Angehörige nicht über eine Fortsetzung oder einen Abbruch der Intensivtherapie entschei­den. Er ist dazu nicht fähig, weil er emotional überlastet wäre und ihm der Einblick in die sehr komplexen Sterbevorgänge fehlt. Ich halte es auch für nicht vertretbar, Angehörige mit einer so schwer wiegenden Grenzentscheidung zu belasten.

Kommen wir damit zur Urangst, in der Intensivstation ohne reale Überlebenschancen einer end­losen, aggressiven Therapie ausgeliefert zu sein, die nicht das Leben, wohl aber das Sterben verlängert. Dazu ist auszuführen, dass mit der zunehmenden Verfügbarkeit scheinbar endlos lebenserhaltender Maßnahmen, die Sterbevorgänge extrem verlängern können, ein Umdenken an den Intensivbehandlungsstationen stattgefunden hat.

In den neunziger Jahren wurde in verschiedenen Analysen festgestellt, dass bei 90 Prozent der auf Intensivstationen versterbenden Patienten im Vorfeld Therapiemaßnahmen zurückgenom­men wurden, das heißt, dass irgendeine Art der Behandlungseinschränkung für den Sterbe­termin maßgeblich war. Was sind nun die Kriterien der Behandlungseinschränkung beziehungs­weise des Behandlungsabbruchs?

Die Definition von medizinischen Kriterien kann schwierig sein, basiert aber generell auf dem Prinzip der medizinischen Nutzlosigkeit, das heißt, dass wir sehen, dass alle unsere Therapie­maßnahmen einen Bergab-Kurs, der das Sterben signalisiert, nicht haben aufhalten können. So gut wie immer besteht ein Mehrfach-Organversagen, bei dem der Kreislauf nur mit steigender Medikation aufrechterhalten werden kann, während die Organe trotz maximaler Stützung ihre Funktion einschränken oder aufgeben.

Die Frage nach der Ethik dieser Grenzentscheidung, an diesem Punkt mit der Therapie aufzu­hören, ist sehr einfach zu beantworten: Eine Weiterführung kurativer Maßnahmen ist nicht ver­tretbar, weil sie sämtliche Prinzipien der Medizinethik verletzen würde, als da sind: Nutzen, Schadensvermeidung, Recht auf Autonomie des Menschen sowie das Prinzip der Gerechtig­keit.

Das aggressive Aufrechterhalten von Organfunktionen bringt im Sterben keinen Nutzen. Die Frage der Malefizienz stellt sich vor allem angesichts der enormen emotionalen Belastung aller, die in diesem Sterbeprozess mit involviert sind.

Was die Autonomie des Patienten anlangt, muss man annehmen, dass kein Mensch einer Ver­längerung seines Sterbeprozesses zustimmen würde, wenn er die Möglichkeit des Abschied­nehmens genutzt hat oder nicht mehr wahrnehmen kann.

Ein wichtiges Prinzip ist das Prinzip der Gerechtigkeit, die gerechte Verteilung von Res­sourcen. Die Möglichkeit zur Intensivbehandlung ist ein kostbares Gut, das wir nicht unlimitiert vergeben können. Es wäre extrem ungerecht und würde dem Prinzip Gerechtigkeit krass widersprechen, wenn wir auf der einen Seite Sterbevorgänge unterhalten und auf der anderen eine lebensrettende Intensivtherapie auf Grund von Kapazitätsengpässen verweigern müssten.

Insgesamt möchte ich also festhalten, dass das Erkennen eines Sterbevorganges mitunter schwierig sein kann, dass aber die ethische Konsequenz daraus sehr eindeutig ist.

Nun komme ich aber zu einer sehr schwer wiegenden Frage: Kann die Prognose eines Patien­ten in eine End-of-life-Entscheidung in der Intensivmedizin miteinbezogen werden? – Dazu möchte ich zwei Szenarios skizzieren:

Erstens: Ein Patient mit einem bösartigen Tumor wird auf Grund von postoperativen Komplika­tionen intensivbehandlungsbedürftig und kann nicht mehr für sich selber entscheiden. Man könnte geneigt sein, das als Gottesurteil hinzunehmen und angesichts der unklaren Langzeit­prognose den Intensivaufwand zu begrenzen. Eine solche höchst patriarchalische Entschei­dung liefe mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Patientenwillen zuwider, hat er doch trotz prognos­tischer Unsicherheit mit seiner Einwilligung zur Operation seine Bereitschaft gezeigt, gegen ein Tumorleiden anzukämpfen, um Zeit zu gewinnen.

Zweites Szenario: Die Möglichkeit eines Überlebens mit einem intellektuellen Defizit oder einer anderen Beeinträchtigung beziehungsweise Behinderung. Sähe man dies als Entscheidungs­hilfe für eine Therapiebegrenzung an, geleitet etwa von der Vorstellung der Vermeidung eines nichtlebenswerten Daseins, müsste man auch jede lebenserhaltende Therapie bei Behinderten diskutieren!

Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, wie sehr der Ausdruck „lebenswertes Leben“ einmal missbraucht wurde, um systematischen Massenmord an Hilflosen zu begehen. Ich liebe mein Land sehr und bin sehr stolz auf seine großen Töchter und Söhne. Als der Wahnsinn des Holocaust endlich in Schutt und Asche verschwand, war ich gerade zwei Jahre alt; ich trage mit Sicherheit keine Kollektivschuld mit. Aber genauso wie ich auf Mozart stolz bin, obwohl ich kein Instrument spiele und sein geniales Wirken Jahrhunderte zurückliegt, muss ich mich für das schämen, was in Österreich passiert ist. Ich würde mich entsetzlich schämen für dieses Land, wenn ein aktives Töten – unter welchem Prätext auch immer – legalisiert wird.

Ich hoffe zutiefst, dass wir die Menschen in diesem Land davon überzeugen können, dass wir bereit sind, alles zu tun, um niemanden in die entsetzliche Situation des Verlangens nach einer Todesspritze zu bringen.

Aufgabe der Intensivmedizin muss sein, sich immer und in jedem Moment ihrer Grenzen be­wusst zu sein und allen, den hoffentlich Überlebenden wie auch den leider Sterbenden, jenes Maß an humaner Zuwendung und Palliation zukommen zu lassen, auf das jeder Einzelne von uns ein Recht hat. – Danke. (Beifall.)

11.55


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Professor Primarius Sporn und bitte nun Herrn Dr. Paukner um seine Ausführungen.

„Sterbebegleitung und extramuraler Bereich“

11.55


Referent Dr. Roland Paukner¦ (Arzt für Allgemeinmedizin; Wien): Sehr geehrter Herr Vorsitzen­der! Eminenz! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal den Referatstitel von Direktor Landau paraphrasieren, da ich meine, dass darin für ge­sundheits- und sozialpolitische Entscheidungen der Angelpunkt liegt – der Titel hat im Wesent­lichen gelautet: Wer aus ethischen Gründen gegen aktive Sterbehilfe ist, trägt Verantwortung dafür, dass humane Sterbebegleitung ermöglicht wird.

Ich möchte in meinem Referat die Aufmerksamkeit auf einen in der heutigen Diskussion viel­leicht noch etwas zu kurz gekommenen Teil des Gesundheits- und Sozialwesens lenken, näm­lich den extramuralen Bereich. Ich bin in diesem Bereich beruflich tätig.

Gestatten Sie mir zunächst einige kurze Rückblicke auf die Medizin und ihre Geschichte!

Für die Medizin war als Maßstab immer das klinische Ergebnis, das sie letztlich geliefert hat, wesentlich. Erst in den letzten Jahren – wir könnten sagen: seit Ende des Zweiten Weltkrieges – spielten Fragen der Lebensqualität des Patienten, der subjektiven Patientenzufriedenheit als neue Dimension in der Diskussion eine Rolle. Und erst in allerletzter Zeit kam ein Begriff in die Diskussion, der meiner Meinung nach ganz wesentlich ist: der Begriff „Empowerment“, also wie­weit ein Patient imstande ist, nach der Behandlung oder zwischen den Behandlungen mit seinem Krankheitsprozess weiter zu leben, und das gilt selbstverständlich auch für den Sterbe­prozess.

Dieses Empowerment kann ihm nicht übergestülpt werden, sondern der Patient muss – auch das ist ein neuer Begriff, der mir zwar als Begriff nicht gefällt, umso mehr gefällt mir jedoch sein Inhalt – Koproduzent seines Gesundungsprozesses oder in unserem Fall auch – ich sage das ganz bewusst so provokativ – Koproduzent seines Sterbeprozesses werden.

So scheußlich der Begriff beim ersten Hinhören klingen mag, so sinnvoll erscheint der Inhalt: Wir müssen mit dem Patienten gemeinsam tätig werden, und das bedeutet Zurücknehmen von Macht, von Ansprüchen der Medizin, der Gesundheits- und Sozialberufe, die mit dieser Kopro­duktion befasst sind.

Wenn der Patient als Koproduzent gesehen wird, dann werden wir uns auf ihn einlassen müssen, und sowohl der Mediziner als auch andere Berufsgruppen, die ihn betreuen, werden in vielen Dingen überfordert sein. Wenn wir ihn als Koproduzenten seines Sterbeprozesses sehen können, dann werden wir uns letztlich die Frage stellen müssen: Was sind eigentlich seine Wünsche?

Wir haben das heute schon gehört: Vordringlicher Wunsch des Patienten ist, in seiner oder zu­mindest in einer gewohnten Umgebung zu sterben, umgeben von Menschen, die ihm vertraut sind, was immer das auch bedeutet. Das können – sofern vorhanden – Angehörige sein, Freunde oder Bekannte, und diese Menschen müssen wir mit einbeziehen.

Ein weiterer Wunsch ist der nach Schmerzarmut, aber auch der Wunsch nach Angstminderung und der Wunsch, wenn es in der gewohnten Umgebung nicht mehr leist- oder für den Patienten aushaltbar ist, zumindest zeitweise dort hingehen zu können, wo ihm bessere Hilfe angeboten wird. Das wird sehr oft der stationäre Sektor sein, das muss aber nicht allein der stationäre Sek­tor sein. Was wir sicherlich brauchen sind Zwischenstufen zwischen dem extramuralen und dem intramuralen Bereich des Spitals: semistationäre Einrichtungen, Tageskliniken, Nachtkliniken, Tageszentren, natürlich auch Selbsthilfegruppen und Treffpunkte für Angehörige, denen wir einfach unser professionelles Wissen zur Verfügung stellen müssen, damit auch Angehörige mit dieser Überforderungs- und Krisensituation fertig werden können.

All das ist nur möglich, wenn es an den Schnittstellen des Gesundheitswesens zwischen dem extra- und dem intramuralen Bereich und auch zwischen den Anbietern im extramuralen Bereich eine Integration von sozial- und gesundheitspolitischen Maßnahmen gibt. Nur dann werden wir ein gemeinsames Ganzes und eine sinnvolle Hilfe für den Patienten bieten können.

Hiebei ist – ich habe es bereits gesagt – Professionalität und Qualitätssicherung wichtig, auch was die Unterstützung der nicht professionellen Helfer und der Angehörigen betrifft, nach dem Motto: Helft den Helfern! Sie werden von dieser Situation überfordert, und wir dürfen sie darin nicht allein lassen.

Dieser Prozess ist in den letzten Jahren entwickelt worden. Es fanden Informationsprozesse statt, verschiedene Berufe haben sich überhaupt erst einmal gegenseitig über Sterbebegleitung informiert. Ich halte es hierbei für wichtig, dass diese Integration von sozial- und gesundheits­politischen Maßnahmen nicht allein auf Sterbebegleitung ausgerichtet wird. Im Prinzip ist sie bei jedem chronisch Erkrankten notwendig, denn es gibt keinen Unterschied im Prozessgeschehen. Es gab also einen Prozess der gegenseitigen Information, der dann ansatzweise in Kommuni­kation miteinander und auch bereits in Kooperation übergegangen ist. Dieses Prozessgesche­hen muss dann letztlich – dort sind wir aber in wesentlichen Bereichen noch nicht – in eine Koproduktion des Gesundungsprozesses oder in unserem Fall des langwierigen chronischen Krankheitsprozesses münden, der letztlich in einem Sterbeprozess endet.

Es geht also um Zusammenarbeit und Zusammenschau mit den Patienten. Das beinhaltet, auf den Patienten hören zu müssen, eingehen zu können und Professionalität zur Verfügung zu stellen. Und hier gibt es gerade im extramuralen Bereich nach wie vor Defizite.

Koproduktion ist nach wie vor ein Stück Vision, denn sie bedeutet letztlich auch, dass wir darauf hören müssen, was der Patient will, was er wünscht. Ich habe immer wieder Fälle erlebt, dass Patienten zum Beispiel gesagt haben: Ich will mehr Schmerzen in Kauf nehmen, gehen wir mit der Schmerztherapie ein bisschen zurück, ich will etwas klarer sein. Das sind Dinge, die man wahrnehmen, mit den Patienten diskutieren und gemeinsam mit ihnen festlegen muss.

Ob es um Empowerment geht, wieweit wir imstande sein werden, unseren eigenen Prozess in der Konfrontation mit dem Sterbenden durchzuhalten, und wieweit wir Patienten in die Lage ver­setzen können, diesen Prozess mit uns zu gehen, wird von dieser Koproduktion abhängen.

Wir werden auch mit einer Vorausschau auf unseren eigenen Sterbeprozess konfrontiert sein. Meine Damen und Herren! Es ist eine Binsenweisheit, aber wir sollten sie uns trotzdem noch einmal – es ist heute schon angesprochen worden – ins Bewusstsein rufen: Wir alle werden sterben. Die gesundheits- und sozialpolitischen Entscheidungen, die wir heute im Hinblick auf Sterbebegleitung treffen, werden jene Realität sein, die wir morgen vorfinden werden, wenn wir selber vor dem Tod stehen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.05


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Herrn Dr. Paukner und bitte nun als letzte Referentin Frau DGKS Feichtner zum Rednerpult.

„Aspekte der begleitenden Pflege in der letzten Lebensphase“

12.05


Referentin DGKS Angelika Feichtner¦ (Pflegedienstleiterin des Hospizes Innsbruck): Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Seit mehr als 25 Jahren arbeite ich als Krankenschwester, und in dieser Zeit habe ich sehr oft die Not sterbender Menschen, die Hilflosigkeit und die Angst ihrer Ange­hörigen erlebt. Vor acht Jahren begann ich in Innsbruck mit der mobilen Hospizbetreuung und arbeite jetzt als Pflegedienstleiterin des mobilen und des stationären Hospizes in Innsbruck.

Während meiner früheren Arbeit im Krankenhaus habe ich oft die Hilflosigkeit auch der pro­fessionellen Betreuer aus Medizin und Pflege im Umgang mit Tod und Sterben erfahren, denn sie sehen ihre Hauptaufgabe in der Wiederherstellung der Gesundheit und vor allem im Heilen. Wenn es nicht mehr um eine Besserung des Gesundheitszustandes gehen kann, wenn deutlich wird, dass das Sterben begonnen hat, sind jedoch andere Haltungen gefragt. In unseren Ausbil­dungen wurden wir darauf nur unzureichend vorbereitet, und vieles konnte ich mir erst später in der Weiterbildung aneignen.

Wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist und den Kranken die Begrenztheit ihrer Lebenszeit deutlich bewusst wird, wünschen sich die meisten kranken Menschen, zu Hause in der Gebor­genheit ihrer vertrauten Umgebung versorgt zu werden.

Ich möchte Ihnen Veronika vorstellen: Veronika ist 34 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern im Alter von 13 Jahren und von zehn Monaten. Nach der Geburt ihres jüngsten Kindes leidet Veronika unter heftigen Magenschmerzen, und als das Baby gerade acht Monate alt ist, erfährt sie die Diagnose: ein ausgedehntes Magenkarzinom.

Bei der folgenden Operation wird deutlich, dass der Tumor den gesamten Bauchraum infiltriert hat. Immer wieder leidet Veronika unter massiven Schmerzattacken, die eine Notaufnahme ins Krankenhaus erforderlich machen. Jedes Mal folgen mehrere Tage stationärer Aufenthalt an der Universitätsklinik und umfangreiche und für Veronika auch belastende Untersuchungen, die immer mit demselben Ergebnis enden. Die Tumormassen verursachen den Schmerz, die plötz­lich einsetzenden und unerträglichen Schmerzattacken, und auf Grund seiner Ausdehnung kann gegen den Tumor nichts mehr unternommen werden.

Für Veronika ist klar, dass sie nicht mehr viel Zeit hat, und diese Zeit will sie zu Hause verbrin­gen, nicht im Krankenhaus. Sie wendet sich um Hilfe an das mobile Hospizteam. Unser mobiles Hospizteam übernimmt Veronikas Betreuung zu Hause. Sie genießt die Zeit zu Hause, sie ge­nießt sie sehr und liegt oft im Liegestuhl im Garten oder beschäftigt sich intensiv mit ihren Kin­dern. Mit ihrem Mann kann Veronika offen darüber sprechen, wie es für die Familie nach ihrem Tod weitergehen könne.

Unsere Hauptaufgabe besteht neben der Pflege und Unterstützung vor allem darin, Veronika bei plötzlich auftretenden Schmerzen das vom Hausarzt verordnete Schmerzmittel zu spritzen und sie zu versorgen, bis sie wieder schmerzfrei ist. Manchmal hält die Schmerzfreiheit eine Woche lang an, manchmal gibt es Nächte, in denen sie zwei oder drei Notfallhausbesuche braucht.

Als die Schmerzen zunehmen und massives Erbrechen auftritt, ist der Ehemann überfordert. Wir nehmen Veronika stationär im Hospiz auf. Unsere ÄrztInnen stellen einen kompletten Ver­schluss im Magen-Darm-Trakt fest, mit Medikamenten gelingt es uns aber, Veronika schmerz­frei zu halten und ihr Erbrechen zu lindern. Während dieser Zeit ist ihr Mann fast ständig bei ihr. Die Kinder werden tagsüber von uns mitversorgt, und wenn Veronika das wünscht, schläft das Baby bei ihr im Bett.

Nach sechs Tagen wird sie wieder nach Hause entlassen und von den mobilen Hospizschwes­tern weiter betreut. Ihr Zustand wechselt: Manchmal fühlt sie sich sehr müde und schwach, dann wieder ist sie kräftig genug, um aufzustehen. In der Folge wird Veronika noch einmal für zwei Tage im Hospiz aufgenommen, um die Schmerztherapie neu einzustellen. Danach geht sie wieder nach Hause. Sie ist jetzt voll pflegebedürftig und wird daheim vier Mal täglich durch unser mobiles Hospizteam versorgt. Trotz der Schwere ihrer Erkrankung und ihrer belastenden Situation kann Veronika oft fröhlich sein, und wir lachen viel. Sie genießt ausgiebiges Baden und Massagen, und obwohl sie seit Wochen nichts mehr essen kann, redet sie besonders gerne über ihre Lieblingsspeisen.

Als sich ihr Zustand weiter verschlechtert und deutlich wird, dass ihr Sterben nahe ist, will sie zu Hause bleiben. Ihr Mann ist jetzt extrem belastet, will ihr aber diesen Wunsch erfüllen. Veronika ist trotz zunehmender Schwäche hellwach und klar. Fünf Wochen nach Beginn der Hospizbe­treuung stirbt Veronika im Beisein ihres Mannes und einer Hospizschwester zu Hause.

Die Bereitschaft der Angehörigen, ihre Kranken zu Hause zu betreuen, ist sehr groß, aber sie brauchen dabei fachliche Unterstützung, Beratung und die Sicherheit, jederzeit Hilfe zu bekom­men, wenn sie in schwierige Situationen geraten. Wenn die pflegenden Angehörigen nicht ge­nügend professionelle Unterstützung bekommen, kann es geschehen, dass nach Nächten voller Komplikationen verbunden mit großen Ängsten nur die Notaufnahme ins Krankenhaus bleibt. Die sterbenskranken Menschen verbringen dann, getrennt von ihren Angehörigen, ihre letzte Zeit in einer Institution, deren Zielsetzung kurativ und rehabilitationsorientiert ist. Das ist mit hohen Kosten verbunden und ohne wesentlichen Nutzen für schwer kranke Menschen.

Unser mobiles Hospizteam bietet einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst unserer Schwestern, was ganz entscheidend zur Sicherheit der Angehörigen beiträgt. Unsere Erfahrung zeigt, dass medizinisch und pflegerisch nahezu alles ebenso gut in der Betreuung zu Hause möglich ist wie in einer Institution. Voraussetzung dafür ist die enge Zusammenarbeit von Pflege und Medizin in kleinen Teams.

Die Betreuung zu Hause orientiert sich an den aktuellen Bedürfnissen des Kranken und seiner Angehörigen. Das lässt sich nicht in einem starren Zeitschema erfüllen, und es muss möglich sein, dass die Hospizschwester im Notfall auch zwei oder drei Stunden lang beim Patienten bleiben kann. Diese intensive Form der Betreuung vermittelt Sicherheit, und unnötige Aufnah­men ins Krankenhaus werden dadurch vermieden. Allerdings reichen die üblichen Hauskran­kenpflegesätze nicht aus, um die Kosten dafür zu decken.

Auch wenn es bei schwerer, unheilbarer Erkrankung und deutlich begrenzter Lebenszeit fast immer die erste Wahl des kranken Menschen ist, zu Hause, in seiner gewohnten Umgebung betreut zu werden, sind diesem Daheimbleiben Grenzen gesetzt, wenn Menschen völlig allein leben oder wenn pflegende Angehörige nach Wochen intensiver Pflege an die Grenze ihrer Be­lastbarkeit gelangen und eine Pause brauchen. Eine weitere Begrenzung der häuslichen Pflege entsteht, wenn pflegende Angehörige berufstätig sind und nur für die Zeit ihres Pflegeurlaubes für die Pflege freigestellt werden können. Dieser Pflegeurlaub steht allerdings auch nur jenen Angehörigen zu, die mit dem Kranken im gemeinsamen Haushalt leben, und diese zeitlich limitierte Freistellung von maximal 14 Tagen ist fast immer zu kurz. Oft verwenden pflegende Angehörige von Schwerkranken dann ihren Jahresurlaub dafür, und wenn auch dieser ver­braucht ist, bleibt ihnen nur die Wahl zwischen der Aufgabe ihrer Arbeitsstelle und der Über­weisung des Kranken in eine Institution.

In unserer ambulanten Hospizbetreuung in Innsbruck hat sich gezeigt, dass nur sehr wenige stationäre Aufnahmen aus medizinischen Indikationen erfolgen, dass es vielmehr soziale Gründe sind, wie die Situation allein lebender Menschen, die Überlastung der Angehörigen oder eben die Begrenztheit des Pflegeurlaubs, die zu einer stationären Aufnahme führen. Das hat uns dazu bewogen, Ende 1998 ein stationäres Hospiz zur Ergänzung unseres ambulanten Dienstes zu errichten. Die Kombination eines ambulanten mit einem stationären Dienst aus einer Hand stellt meiner Meinung nach die ideale Betreuungsform dar. Wenn eine vorüber­gehende stationäre Aufnahme des Patienten zur Entlastung der Angehörigen erforderlich ist, dann ist eine Entlassung nach Hause leichter möglich, wenn die lückenlose ambulante Betreu­ung gesichert ist.

Palliative Pflege ist geprägt von Achtung und Respekt vor der Autonomie und der Individualität des einzelnen Menschen. Alle Maßnahmen orientieren sich am Wohlbefinden des Kranken. Das bedeutet, dass sich die Prioritäten in der palliativen Pflege von jenen der rehabilitierenden Pflege unterscheiden. Die Pflege von sterbenden Menschen erfordert einen anderen Umgang mit Zeit, sie ist personalintensiv, und nach internationalen Richtlinien ist ein Schlüssel von 1,4 Pflege­kräften pro Patient anzustreben. Natürlich hebt ein so hoher Personalaufwand die Kosten, aber der diagnostische und medizinisch-technische Aufwand ist relativ gering und letztlich werden durch Hospiz- und Palliativbetreuung Kosten gespart.

Hospiz- und Palliativpflege ist eine sehr umfassende Form von Pflege, die neben den körper­lichen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte berücksichtigt. Neben einer effektiven Behandlung der Schmerzen und belastenden Symptome gilt es, auch bei schwerer Erkrankung ein hohes Maß an Lebensqualität und persönlicher Gestaltungsmöglichkeit in die­sem letzten Lebensabschnitt des Kranken zu erhalten.

Das erfordert ein interprofessionell arbeitendes Team aus Pflege, Medizin, Psychologie und Seelsorge. Die palliative Betreuung zu Hause, in Hospizen und Palliativstationen muss alles bieten, was zu den Standards in der pflegerischen und medizinischen Versorgung in den Kran­kenhäusern gehört. Hospiz- und Palliativbetreuung geht allerdings darüber hinaus: Sie gewähr­leistet eine individuelle, den Bedürfnissen des Kranken entsprechende Betreuung und Be­gleitung und die Unterstützung der Angehörigen. Grundlage dafür ist eine fundierte Aus- und Weiterbildung, um die Zusammenarbeit von Pflege, Medizin und psychosozialen Berufsgruppen zu fördern. Die multiprofessionellen Lehrgänge in Palliative Care haben sich sehr bewährt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Von Menschen wie Veronika lerne ich, wie unendlich kostbar und wie reich an intensivem Leben diese letzte Zeit ist. Ich lerne, wie viel an Entwicklung und Reifung in der Zeit des Sterbens möglich ist – für den Kranken selbst, aber auch für die Men­schen, die mit ihm verbunden sind. Ich lerne, dass Leiden gelindert, Ängste gemildert werden können, und dass auch in dieser Zeit sehr viel an Lebensfreude, an Lachen und an Leichtigkeit sein kann. Und ich lerne, dass wir Menschen in der Zeit des Sterbens ähnlich verletzbar und schutzbedürftig sind wie zu Beginn unseres Lebens als Neugeborene.

Ich wünsche mir, dass sterbenskranke Menschen in unserem Land, unabhängig von ihrer finanziellen Situation, die Wahl haben, ob sie zu Hause, in einem Krankenhaus oder in einem Hospiz betreut werden wollen. Das erfordert einen Ausbau palliativer Einrichtungen in Öster­reich und eine feste Verankerung der Hospize in der Regelfinanzierung für Krankenanstalten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.17


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich danke Frau Diplomkrankenschwester Feichtner für ihr Referat.

In der Zwischenzeit ist ein Antrag eingebracht worden, und zwar der Antrag der Abgeordneten Rasinger, Pumberger, Lackner und Grünewald. Dieser beinhaltet, dass das Protokoll der heuti­gen Veranstaltung auch dem Nationalrat zur weiteren Bearbeitung übermittelt wird.

Diesen Antrag möchte ich hiemit zur Abstimmung bringen.

Der Antrag hat folgenden Wortlaut:

Antrag gemäß § 98a Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Rasinger, Pumberger, Lackner, Grünewald, auf Vorlage des Stenogra­phischen Protokolls der Enquete „Solidarität mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“

Die dem Teilnehmerkreis der Enquete angehörenden Abgeordneten wollen beschließen, das Stenographische Protokoll der Enquete „Solidarität mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“ dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzu­legen.

*****

Ich bitte jene Abgeordneten, die sich hiefür aussprechen, um ein Zeichen mit der Hand. – Die­ser Antrag ist einstimmig angenommen.

Das Stenographische Protokoll der heutigen Enquete wird dem Nationalrat zugeleitet.

III. Diskussion


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Wir kommen nun zur Diskussion.

Die erste Wortmeldung liegt mir von Herrn Abgeordnetem Kiermaier vor. – Bitte.

12.19


Abgeordneter Günter Kiermaier¦ (SPÖ): Eminenz! Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich für diese Beiträge sehr bedanken, und ich muss sagen, sie haben mich als Mandatar sehr betroffen gemacht.

Ich möchte festhalten, dass ich natürlich sehr für den Hospizgedanken eintrete, mir aber ein weiteres wichtiges Problem sehr am Herzen liegt, und das ist die Pflege und die Obsorge zu Hause. Die Solidarität mit den Sterbenden vor allem in der eigenen Familie ist von ganz ent­scheidender Bedeutung, weil es der letzte Liebesdienst ist, den die Mutter, der Vater, die Groß­eltern oder die Geschwister von der eigenen Familie erhalten werden.

Eine Mutter, aber auch ein Vater haben für ihre Kinder ein Leben lang Zeit, sie haben viele, viele Arbeiten erbracht und viel Mühsal, Entbehrungen und Opfer auf sich genommen, bis die Kinder auf eigenen Füßen stehen können. Daher haben die Kinder die moralische Verpflich­tung, für die Eltern da zu sein, wenn die Sterbestunde naht. Die Kinder sind sehr gut beraten, sich ernstlich Gedanken zu machen, wie sie ihren Eltern gerade in diesen schwersten Stunden ein wenig von der Liebe zurückgeben können, die sie ein Leben lang von den Eltern bekommen haben.

Meiner Meinung nach ist es kein echter Beweis der Wertschätzung, wenn eine Mutter am Muttertag die schönsten Blumen bekommt und ins Spitzenrestaurant ausgeführt wird. Das geschieht meiner Meinung nach in erster Linie deshalb, um das Gewissen zu beruhigen. Die Zeit, in der die Mutter oder der Vater zu einem hilflosen Wesen wird, das ist der Feuerofen der Läuterung, und daran kann man die Liebe eines Kindes zu seiner Familie erkennen. Die Enkelkinder beobachten die Eltern in dieser Phase sehr genau und schauen sich ganz genau an, wie die Eltern mit ihren Eltern in diesen schweren Stunden umgehen. Ich habe das am eigenen Leib erlebt.

Auch ich möchte daran anschließen, was Herr Caritas-Direktor Dr. Landau gesagt hat: Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass wir diese Sterbebegleitung der Eltern, der Großeltern auch zu Hause durchführen können. Es ist wirklich notwendig, die zeitliche und die räumliche Möglichkeit dafür zu schaffen, dass wir ihnen diesen letzten Liebesdienst erweisen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Schlussfolgerung aus dem Ganzen: Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns alle gemeinsam mit dieser heutigen Willenserklärung mit den Sterben­den solidarisieren. Es ist ein Gebot der Stunde, dass wir – wie wir heute schon gehört haben – das Wollen auch in die Tat umsetzen. – Ich danke Ihnen schön. (Beifall.)

12.22


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Hartinger. – Bitte.

12.22


Abgeordnete Mag. Beate Hartinger¦ (Freiheitliche): Mein Name ist Beate Hartinger. Neben meiner politischen Tätigkeit als Abgeordnete bin ich auch im Vorstand des Hospizvereins Steiermark. Als Gesundheitsökonom habe ich natürlich auch einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Thema. Ich habe bereits vor fünf Jahren im Steiermärkischen Landtag begonnen, mich in diesem Bereich zu engagieren, und ein Palliativprojekt initiiert, das sich mittlerweile in Umsetzung befindet. Ich freue mich, dass wir nächsten Freitag an der Universitätsklinik LKH Graz im Rahmen der I. Medizinischen eine Palliativstation eröffnen können. Damit wird nun auch im Rahmen der Lehre auf Universitätsebene im Palliativbereich ein für Österreich neuer Weg beschritten.

Als Politikerin frage ich mich, welche Aufgaben die Politik hierbei hat. Ich möchte hier vor allem die Ausführungen des Kollegen vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern, Herrn Dr. Retschitzegger, der auch Kollege von Herrn Dr. Baumgartner in der Steiermark ist, her­vorheben, der über Qualitätsstandards gesprochen hat. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen hat diesbezüglich Qualitätsstandards geschaffen. Das sind Rahmenbedin­gungen, die die Politik vorgeben soll und vorgeben muss, aber diese Rahmenbedingungen müssen auch kontrolliert werden.

In dem Zusammenhang möchte ich ein Thema anschneiden, das, abgesehen von der Finanzie­rung des Ganzen, meiner Ansicht nach etwas zu wenig herausgearbeitet worden ist, nämlich, dass es in sehr vielen Pflegeheimen, vor allem auch privaten Pflegeheimen, nur eine Betreuung gibt, die nicht unbedingt im Sinne der Betroffenen ist, die keine Qualitätskriterien einhält, gegen die sich weder die Betroffenen noch die Angehörigen wehren können. Gerade in diesem Be­reich ist eine Qualitätskontrolle dringend erforderlich und sollten vor allem die Länder aufgefor­dert werden, Qualitätsstandards nicht nur zu schaffen, sondern diese auch einzuhalten.

Zum Punkt der Finanzierung darf ich vielleicht noch vorausschicken, dass wir in der Steiermark dieses Projekt im Rahmen des Steiermärkischen Krankenanstaltenfinanzierungsfonds als Struk­turprojekt finanziert haben. Einer der Hauptakteure ist sicherlich die Sozialversicherung. Die Sozialversicherung muss aufgefordert werden, diesen Bereich in die Regelfinanzierung aufzu­nehmen und sich nicht herauszureden und zu sagen: Nur die medizinische Hauskrankenpflege wird finanziert, und alles, was palliativ, was Sterbebegleitung ist, was die Sterbebetreuung, was das Hospizthema betrifft, wird seitens der Sozialversicherung nicht finanziert. Ich denke, das wird in Zukunft ein Thema sein, damit wir nicht nur ein Glühwürmchen bleiben, sondern der Leuchtturm in Europa werden. – Danke.

12.26


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Rasinger. – Bitte.

12.26


Abgeordneter Dr. Erwin Rasinger¦ (ÖVP): Mein Name ist Rasinger, ich bin ÖVP-Gesundheits­sprecher und seit 15 Jahren Hausarzt. Für mich ist ein wesentlicher Succus dieser Veranstal­tung, dass wir – auch die Ärzte – den Tod nicht mehr als Niederlage sehen dürfen.

Ich befürchte, dass das holländische Modell sogar noch weiter gehen wird, dass dort in Zukunft auch die Indikationen beispielsweise um Depressionen erweitert werden. Ich nehme an, dass dort die aktive Sterbehilfe praktisch zum täglichen Repertoire der Ärzte gehören wird. Und wenn ich mir Artikel vor Augen halte, die besagen, dass es in Holland eine hohe Dunkelziffer gibt – wobei man sich gar nicht mehr die Mühe macht, das genauer zu dokumentieren, weil das ohne­hin egal ist –, dann komme ich auf eine Zahl von etwa 10 Prozent der Todesfälle, bei denen es zu aktiver Sterbehilfe kommt, wobei auch nicht einwilligungsfähige Behinderte et cetera daran glauben müssen. Ich denke, da kann man nicht mehr von Gnade reden, sondern das ist schon ein Horror.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Haltung aller österreichischen Parteien positiv erwähnen: Wir alle im Parlament wollen diesen Dammbruch vermeiden. Dazu bedarf es vor allem finanzieller Mittel, aber auch dessen, dass wir uns darüber klar werden, was Würde auf der letzten Wegstrecke unseres Lebens bedeutet. Das kann uns jederzeit treffen. Als Hausarzt weiß ich natürlich, wie wichtig Schmerztherapie und auch die Stützung der Angehörigen et cetera sind. Auch das Backup-Netz ist ein wichtiges Problem, denn wer hilft uns Hausärzten, wenn wir nicht mehr weiter können?

In diesem Zusammenhang hätte ich ein paar kurze Fragen an die Referenten zu stellen, an jene, die meinen, darauf kompetent antworten zu können:

Was wären die drei wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Schmerztherapie in Öster­reich? Sind das spezielle Schmerzambulanzen oder Schmerzordinationen, hat das mit besserer Kassenfreiheit oder mit besserer Ausbildung et cetera zu tun?

Wie viele Lehrstühle für Palliativmedizin und speziell gewidmete Spitalsbetten sind notwendig? Sollte das Grundprinzip nicht sein, dass jede Fachdisziplin auch einen gewissen Level von Palliativkompetenz haben sollte?

Es ist immer wieder von der Stützung der Angehörigen gesprochen worden, von der wahr­scheinlich notwendigen oder möglichen Freistellung. Wie viel Prozent – über den Daumen ge­peilt – der Angehörigen würden eine Freistellung zurzeit benötigen?

Und schließlich: Was kann man tun, um die Fehlbelegung auf Intensivstationen beziehungs­weise die Überforderung der Hausärzte hintanzuhalten?

12.29


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner ist Kollege Dr. Grüne­wald. – Bitte.

12.29


Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald¦ (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Gesund­heits- und Wissenschaftssprecher der Grünen und irgendwo auch noch Professor an der Uni­versitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck, spezialisiert auf Blut- und Tumorerkrankungen.

Was mir heute sehr gut gefallen hat, war die Bemerkung von Landau, der ich mich voll anschlie­ßen könnte: Wir müssten über die Begleitung von Lebenden sprechen, die Begleitung von Lebenden beim Abschiednehmen.

Ein bisschen irritiert mich, dass wir uns in der Phase des Sterbens plötzlich der Begriffe „Größe“ und „Würde“ erinnern, die im Vorfeld teilweise millionenfach, ohne dass man sehr viele Finger krumm macht, getreten und mit Füßen gestoßen werden. Größe und Würde sind wichtig. Ich bin froh, dass man sich daran zumindest sektoriell, in der Phase des Sterbens erinnert. Aber unsere Größe, unsere Würde und unser Bild davon dürfen wir nicht gleichsetzen mit dem Bild, das vielleicht Patienten, Kranke, Sterbende und Leidende von Würde und Größe haben, und es wäre wahrscheinlich unfair, diese PatientInnen hier sozusagen zu unserem Ebenbild werden zu lassen. Das würde ich zumindest als Problem sehen.

Ich denke, dass es notwendig wäre, die Worte „Würde“ und „Größe“ des Öfteren auch außer­halb von solchen Enqueten zu verwenden und zu überprüfen, ob sie der Probe standhalten, ob von den schönen Worten und Zitaten – von Goethe bis Kierkegaard – dann irgendwo auch etwas in Budgets und ins tägliche Handeln der Politik einfließt. Wenn ich an meine Patienten denke, nützt denen wenig, wenn jetzt Vergleiche mit dem Calvinismus und den kaufmännischen Strukturen der Niederlande angestellt werden, sondern die fragen: Was wird ganz konkret für mich getan?

Es stellt für mich ein massives Ärgernis dar, dass es immer noch ein Finanzierungsproblem gibt. Wenn die Politik schon von Werten spricht, so muss sie auch in puncto Finanzierung die Konsequenzen ziehen und die Kosten tragen. Es geht nicht an und ist ein Ärgernis, dass jene Leute, die sich ein bequemeres, angenehmeres Leben leisten können, zugleich auch diejenigen sind, die sich einen angenehmeren Tod leisten können werden. Das empfinde ich als in höchstem Maße unerträglich und unfair.

Ich weiß, dass Hospize in Österreich sehr viel und Bahnbrechendes geleistet haben. Es gibt aber bundesweit unterschiedliche Kostenbeiträge für jene, die in Hospizen versorgt werden. Das ist zu unterbinden, und es geht auch nicht an, dass das Problem der Ghettoisierung weiter­hin ungelöst bleibt. Ich meine, dass zusätzlich zum Hospizgedanken und zu stationären Hospiz­einrichtungen unbedingt die Palliativmedizin in Krankenhäusern ausgebaut und forciert werden muss. Wenn Häuser neu geplant, wenn sie saniert werden, müssen Räume des Abschiedneh­mens gestaltet werden, und hierbei darf man Kosten nicht scheuen.

Ich bin vorhin draußen von einem Journalisten gefragt worden: „Glauben Sie, dass 100 Millio­nen Schilling genug sind?“ Diese Frage ist falsch! Ob das jetzt 100 oder 200 Millionen Schilling sein werden – wenn das ein Wert ist, wird das von Österreich, von der öffentlichen Hand bezahlt werden können. Bei aller Liebe zu Pfadfindern und Jungschargruppen, deren Mithilfe notwendig ist, geht es nicht an, dass in der Phase des Sterbens die Laienhilfe sozusagen vor die professionelle Hilfe gereiht wird, weil man sich die mit Furcht beäugten Kosten einfach nicht mehr leisten will.

In Österreich leben 60 000 Leute in Alten- und Pflegeheimen. In einem größeren Pflegeheim in Innsbruck sterben pro Jahr mehr Leute, als Hospizbetten in Österreich zur Verfügung stehen, und dort werden aber Diplomschwestern durch Hilfsschwestern und Hilfsschwestern in Zukunft womöglich durch Langzeitarbeitslose ersetzt. Das geht nicht an! Das ist mit der Würde unvereinbar!

Und man kann sich auch nicht loskaufen. Manche Krankenanstalten verweisen auf ihre Koope­ration mit einem Hospiz, sie helfen ihnen, kaufen beispielsweise Medikamente, nur damit sie das in ihrem Gemäuer nicht machen müssen. – Das geht nicht! Das Sterben darf aus den Kran­kenhäusern nicht sozusagen in den humanen Sektor verschwinden: Wenn nichts mehr in Rich­tung Heilung getan werden kann, dann sollen die Leute halt hinaus ins Hospiz gehen.

Auch Hospize können nur eine Säule sein, neben der ambulanten, tagesklinischen und Sofort-Versorgung. Meine große Angst ist, dass wir uns nach dieser Enquete alle einig sind, welch weites und edles Herz wir haben, aber dann weiter nichts geschieht. Alle vier Parteien gemein­sam sollten aufpassen, dass auch etwas getan wird!

12.34


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Plank. – Bitte.

12.34


Abgeordnete Mag. Brunhilde Plank¦ (SPÖ): Mein Name ist Brunhilde Plank. Ich bin nicht Ärztin und auch nicht in einem Gesundheitsberuf tätig und habe daher heute versucht, speziell bei den medizinischen Aspekten ganz besonders aufmerksam zu sein. Ich habe mir vor allem aus den ersten Referaten einige Zitate aufgeschrieben, weil es diese Fragen sind, die mich im Zu­sammenhang mit dem Zu-Ende-Gehen von Leben am meisten beschäftigen.

Es war die Rede davon – und so erlebe ich es auch –, dass das Sterben doch die größte Lebenskrise ist. Es wurde aber auch von Sterben als Lebenschance, als Chance zur Reifung und Sinnerfahrung gesprochen. In diesem Zusammenhang stelle ich mir die Frage – und die Diskussion um die niederländische Regelung hat ja viele Beiträge durchzogen –: Kann ein Mensch zum Sterben verurteilt werden oder darf er zum Leben verurteilt werden?

Es wurde erwähnt, dass es um die Frage geht, Leben dann zu verlängern, wenn es „sinnvoll“ ist, es zu verlängern. Ich meine, damit befinden wir uns in einem nicht unbedenklichen Bereich. Es wurde vom humanen Töten gesprochen, und ich stelle mir die Frage: Was kann humanes Töten sein? Kann Töten jemals human sein?

Es wurde über die Autonomie des Einzelnen referiert, die doch wohl immer nur aus der Situation des betroffenen Sterbenden in seinem Umfeld heraus zu verstehen ist, seine – ver­meintliche – Autonomie wird vermutlich sehr stark vom Zustand des Umfelds und davon, was dieses Umfeld ihm geben oder vermitteln kann, geprägt sein. Wie autonom, wie frei kann ein Mensch in so einer Krisensituation für sich entscheiden, was er will? Wie würdevoll kann ein Sterbender darüber entscheiden, ob er unter den genannten Bedingungen sterben möchte? Wem darf die Politik diese Entscheidung zumuten, wann und wie jemand sterben muss?

Es stellt sich vor allem auch die Frage, wie nach der derzeit geltenden Rechtslage damit umge­gangen wird. Wer entscheidet denn heute? In welcher Situation? Wie? Ich denke, auch für Ärztinnen und Ärzte und noch mehr für Angehörige wird die Entscheidungsgewissheit und Ent­scheidungssicherheit oftmals nur ein schmaler Grat sein.

Beim Studium einiger Unterlagen habe ich mir die Frage gestellt: Welchen Bereich oder wel­ches Segment von sterbenden Menschen kann denn die Frage aktiver Sterbehilfe überhaupt betreffen? Befinden sich nicht zahlreiche Patientinnen und Patienten in einem Zustand, in dem sie gar nicht mehr fähig sind, zu entscheiden? Gibt es darauf eine verbindliche Antwort – hoch­gerechnet –, wie viele das in Österreich überhaupt betreffen könnte? Ich meine, wir machen vielleicht etwas zu einem Thema und meinen, das sei das politische Thema und wir müssten von der Politik her jetzt wirklich eine Entscheidung treffen. Aber: Wie viele Menschen sind da­von betroffen, und lassen wir nicht ganz andere aus unseren Überlegungen draußen? Vielleicht gibt es eine Antwort über den Umfang dieses kleinen Segments. Und für alle anderen – und darüber scheint hier offensichtlich Konsens zu herrschen – geht es um Begleitung. – Danke.

12.38


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Freigaßner. – Bitte.

12.38


Abgeordnete Evelyn Freigaßner¦ (Freiheitliche): Mein Name ist Freigaßner und ich bin im Pflegebereich tätig. Ich arbeite in einem Pflegeheim, und dort sieht man natürlich Dinge, die zu ändern wirklich notwendig wäre.

Vorweg möchte ich zu den Ausführungen von Herrn Kiermaier Stellung nehmen, der gemeint hat, die Kinder seien verpflichtet, ihre Eltern zu pflegen und beim Sterben zu betreuen. Ich meine zwar, dass Kinder und Angehörige sehr wohl in die Pflege einbezogen und es ihnen frei­gestellt werden soll, ihre Eltern zu pflegen. Ich meine aber auch, dass man niemanden dazu verpflichten kann, denn es ist einfach so, dass das eine sehr schwere Aufgabe ist und sich nicht jeder Mensch dazu auch in der Lage sieht. Es muss jeder selbst beurteilen: Kann ich das? Oder kann ich das nicht?

Mich hat sehr verwundert, dass Herr Dr. Paukner davon gesprochen hat, Schmerzmittel zurück­zunehmen, um bei klarem Verstand zu sein. Meiner Meinung nach ist Palliativmedizin so zu ver­stehen, dass Schmerzmittel gegeben werden und die Patienten gleichzeitig auch bei klarem Verstand bleiben. Ich denke, das ist ein großer Unterschied.

Das war eigentlich das Wichtigste, was ich sagen wollte. Ich möchte mich kurz fassen, denn wahrscheinlich möchten viele noch über etwas anderes reden.

12.39


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Gatterer. – Bitte.

12.39


Abgeordnete Edeltraud Gatterer¦ (ÖVP): Eminenz! Werte Teilnehmer dieser Enquete! Ich möchte mich zuerst bei allen Referenten sehr herzlich bedanken. Sie verstehen wahrscheinlich, dass ich dankbar und demütig bin, dass wir dieses Thema heute auch in Österreich hier im Hohen Haus behandeln. Das geschieht ziemlich auf den Tag genau zwei Jahre nach der Be­schlussfassung im Europarat. Die Schwerpunkte und die Empfehlungen dieses Berichtes waren: Ausbau der Palliativmedizin, Ausbau der Hospizbewegung, Unterstützung, Stärkung der Patientenrechte und absoluter Schutz des Lebens. Heute sind einige jener Experten anwesend, die an diesem sehr guten Papier mitgearbeitet haben.

In Österreich gibt es zwar Gott sei Dank über alle Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Hal­tung zum Schutz des Lebens, der im Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist: Niemand darf vorsätzlich seines Lebens beraubt werden! Gegen diesen Artikel 2, auf den ganz Europa aufbaut – 43 Mitgliedsländer des Europarates haben diese Konvention angenommen –, also gegen die Grundrechte Europas, verstoßen die Niederlande. Trotzdem muss man sich der Tatsache stellen, dass es auch in Österreich – und wir haben das heute in allen Referaten gehört – diesbezüglich großen Nachholbedarf gibt.

Wir wissen, dass eines der Hauptprobleme im Umgang mit Sterbenden ist, dass Tod und Ster­ben heutzutage tabu sind, dass man im Grunde mit diesem Thema nicht konfrontiert werden will. Vielleicht ist das gerade deswegen so – und als Katholikin bei so hochrangiger Besetzung ge­traue ich mich sogar, Worte Luthers aufzugreifen –, weil wir mitten im Leben vom Tod umfan­gen sind. Es betrifft uns also alle, aber wir wissen nicht, wann. Trotzdem oder gerade deswegen verdrängen wir dieses Thema völlig.

Diese Enquete soll nicht nur dazu führen, dass wir uns über Verbesserungen in den Bereichen, in denen es wirklich Mängel gibt, im Palliativbereich, im Hospizbereich, im Betreuungsbereich, Gedanken machen, zum Beispiel darüber, wie wir pflegende Angehörige für diese Zeit freistel­len könnten, damit sie sich Eltern, Verwandten oder – hoffentlich nicht – Kindern widmen können. Wir müssen dieses Thema auch aus dem Tabubereich holen. Wir müssen uns überle­gen, wie eine neue Kultur des Sterbens, der Umgang mit dem Sterben in der heutigen Zeit aussehen kann.

Vor allem wenn man mit Befürwortern der aktiven Sterbehilfe diskutiert, muss man feststellen, dass der Informationsmangel sehr groß ist. Wenn man länger mit den Leuten spricht, kommt man drauf, dass die Befürworter der aktiven Sterbehilfe im Grunde genommen auch das meinen, wozu wir uns alle bekennen: ein Zulassen des Sterbens. Das muss einfach noch viel genauer herausgearbeitet werden, dann wird sich auch herausstellen, dass die 52 Prozent in der Umfrage, die für aktive Sterbehilfe sind, keine wirkliche Relevanz haben. Ich meine, die meisten sind für Sterbehilfe im wahrsten Sinne des Wortes. Dafür sind wir alle, nämlich dass genau das passiert, was sich die Menschen wünschen, nämlich zum Schluss schmerzfrei, nicht allein, in vertrauter Umgebung oder im Kreise der Familie zu sein, wie das auch heute immer wieder angesprochen worden ist.

Wir Politiker, aber auch alle anderen hier sind aufgefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir sind auch aufgefordert, über die Grenzen hinweg auf die europäischen Werte zu pochen und hinzuweisen.

Als zusätzlichen Punkt möchte ich noch, weil das heute noch von niemandem angesprochen worden ist, darauf hinweisen, dass wir neben den ganzen anderen Forderungen auch dafür sorgen müssen, dass Gelder für die Sterbeforschung zur Verfügung gestellt werden. Das menschliche Genom ist heute im Grunde entschlüsselt, aber wir wissen über die letzten Pro­zesse des Lebens und Sterbens noch immer nur sehr wenig.

Frau Teuschl hat schon die beiden bahnbrechenden Frauen erwähnt: Cicely Saunders, die Be­gründerin der Hospizbewegung, und Frau Kübler-Ross. Letztere ist eine der ganz wenigen Sterbeforscherinnen, die ich kenne. Wir wissen nicht, was in den letzten, terminalen Phasen abläuft, und jeder, der bis zum Schluss betreut hat – auch ich hatte meine Mutter und meine Schwiegermutter bis zum Schluss zu Hause – und das Leben der Sterbenden etwas kennt, wird bemerkt haben, dass es bis zum Schluss immer wieder Augenblicke gibt, in denen aufgearbei­tet, erinnert, Frieden geschlossen und abgeschlossen wird.

Es ist also noch viel zu tun im Bereich der Sterbeforschung. Deswegen möchte ich diesen Punkt ganz bewusst ansprechen, in tiefster Dankbarkeit, dass wir uns in Österreich zurzeit so intensiv mit diesem Thema befassen.

Ich möchte abschließend doch Kübler-Ross zitieren, den Titel ihres Buches – der Titel in deutscher Sprache –: „Der Tod, das letzte Stadium des Wachstums“. Dieses Stadium des Wachs­tums müssen wir zulassen und unterstützen, damit es für jeden in Würde möglich ist.

12.45


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Haidlmayr. – Bitte.

12.45


Abgeordnete Theresia Haidlmayr¦ (Grüne): Mein Name ist Theresia Haidlmayr, ich bin Behin­dertensprecherin der Grünen und war vor dieser Tätigkeit neun Jahre lang im Bereich ambu­lante Betreuung tätig. Wir haben vorwiegend alte Menschen betreut.

Ich habe diese Veranstaltung und die Referate als sehr gut empfunden, vor allem, dass wir auch darüber aufgeklärt worden sind, wie dieses holländische Modell wirklich aussieht. Alle, die immer noch – ich sage das jetzt aus meinem subjektiven Empfinden heraus – meinen, dass aktive Sterbehilfe das Beste wäre, sollte man dazu bringen, sich das niederländische Gesetz anzusehen und sich niemals zu wünschen, dass ein ähnliches Gesetz auch in Österreich Realität wird.

Ich möchte noch einen Aspekt einbringen, der mir ganz wichtig erscheint: Es ist notwendig, die Hospizbewegung in Österreich noch intensiver zu etablieren, denn gerade Menschen, deren soziales Netz im Alter nicht mehr funktioniert, haben Angst, in der letzten Phase ihres Lebens allein zu sein. Wir brauchen die Hospizbewegung, um eben diesen Menschen zu ermöglichen, nicht allein sterben zu müssen.

Wir brauchen auch – das wurde schon angesprochen – einen Ausbau und verstärkten Einsatz der Palliativmedizin. In den Ausführungen zur Palliativmedizin ist leider zu wenig deutlich ange­sprochen worden, dass Palliativmedizin Schmerztherapie ist. Wir wissen aber, dass es in Öster­reich noch immer ein großes Tabu ist, Cannabis-Produkte zur Schmerzlinderung bei Krebs­patienten, bei Patienten, die HIV-positiv sind, et cetera einzusetzen.

Ich meine, wir in Österreich sollten dazu bereit sein, im Zusammenhang von Palliativmedizin und Schmerztherapie auch über den Einsatz von Cannabis-Produkten zu sprechen, und endlich den Willen zeigen, diese für viele Menschen so lebensnotwendigen Präparate und Produkte zu­zulassen, denn sie sind ein wesentlicher Beitrag zur Schmerzlinderung, zur Krebsbehandlung, zur Appetitförderung, zur Lösung von Spasmen und so weiter, wie sich in den verschiedensten Ländern zeigt. Ich meine, wir dürfen uns zu diesem Thema nicht verschweigen.

12.48


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Lackner. – Bitte.

12.48


Abgeordneter Manfred Lackner¦ (SPÖ): Mein Name ist Manfred Lackner, ich bin Mitglied des Hohen Hauses und beschäftige mich auch des Öfteren mit der Gesundheitspolitik.

Meine Damen und Herren! Herr Vorsitzender! Eminenz! Es ist bei dieser Enquete schon sehr viel über das Selbstbestimmungsrecht beziehungsweise auch über die Fremdeinschätzung von nicht vorhandener Lebensqualität gesprochen worden. Hierin erblicke ich die Gefahr, die sich aus der Subjektivität der Fremdeinschätzung von nicht vorhandener Lebensqualität insbeson­dere dann ergibt, wenn ökonomische und natürlich auch andere Gründe in diese Beurteilung mit einfließen. Das trifft ganz besonders dann zu, wenn das Argument der nicht vorhandenen Lebensqualität dazu verwendet wird, aktive Sterbehilfe bei Schwerstkranken moralisch zu be­gründen.

Es ist leider sehr oft Ignoranz beziehungsweise mangelnde Kenntnis der Entwicklung der Hospizidee und der Palliativmedizin mit ihren heutigen Möglichkeiten der Schmerzlinderung und der Leidensbekämpfung, die hinter der Forderung nach aktiver Sterbehilfe steht. Auf Grund des Gesagten ist aus politischer Sicht ganz klar und eindeutig der Hospizidee und der Palliativ­medizin, also der humanen Sterbebegleitung, der Vorrang einzuräumen.

Zur Situation in Österreich ergeben sich für mich natürlich noch einige Fragen zum Stand der derzeitigen und künftigen Versorgung und auch zur Ausbildung in diesem Bereich. Diese Fragen möchte ich an Frau Oberin Teuschl richten, weil sie wahrscheinlich aus Sicht der Prakti­kerin sehr gut Auskunft geben kann:

Gibt es bereits eine einheitliche und gesetzlich anerkannte Ausbildung für Mediziner im Bereich der Palliativmedizin?

Diese Frage stellt sich natürlich auch im Bereich des Pflegepersonals, das ist natürlich gleich wichtig: Gibt es auch dort eine einheitliche, anerkannte Zusatzausbildung? Ist eine solche gege­benenfalls in Ausarbeitung? Und: Wie soll sie in groben Zügen aussehen?

Der Entwicklung von Modellen für eine netzwerkartige Versorgung von Patienten im Zusam­menspiel von stationärem und extramuralem Bereich, Spezialambulanzen, niedergelassenem Bereich und häuslichen Diensten ist – und das ist heute eindeutig aus dieser Enquete hervorge­gangen – der Vorrang einzuräumen, und die ist natürlich voranzutreiben. Wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand im Bemühen, Modelle zur Vernetzung in diesem Bereich zu entwickeln?

Eine mich brennend interessierende Frage hätte ich auch noch an den Herrn Staatssekretär: Sie haben anlässlich eines Interviews in der „Ärztezeitung“ einmal zur Problematik rund um die Pflegefreistellung Stellung genommen. Gibt es bereits irgendwelche legistischen Ambitionen beziehungsweise Vorbereitungen, um die Freistellung von nahen Angehörigen, wenn es um die Sterbehilfe geht, zu fixieren? Ist etwas in diesem Bereich im Gange, oder gibt es in diesem Be­reich noch nichts? – Ich danke.

12.52


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Danke, Herr Kollege Lackner. – Nun stehe ich selber auf der Rednerliste.

12.52


Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦ (Freiheitliche): Ich beobachte in dieser doch sehr heiklen Thematik eine große Einhelligkeit, wie sie in der Politik selten ist, und das freut mich ganz besonders und macht mich auch zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft keinen holländischen Weg beschreiten werden. Das in „profil“ veröffentlichte Umfrageergebnis ist meiner Meinung nach auf Grund der Fragestellung so zustande gekommen. Ich habe es vor mir liegen; die Fragestellung lautete wortwörtlich – ich zitiere –:

Sind Sie dafür, dass jeder Einzelne auf eigenen Wunsch hin Sterbehilfe in Anspruch nehmen kann, oder sind Sie gegen diese Möglichkeit? – Zitatende.

Wenn ich die Frage lese, merke ich, dass das deutlich positiv besetzt ist, und wenn man sich mit der Thematik nicht befasst hat, dann denkt man doch: Da steckt das Wort „Hilfe“ drinnen, da steckt das Wort „Wunsch“ drinnen, „jeder Einzelne“ und ein „Anspruch“, da kann man doch ein­fach nur mit Ja antworten. So gesehen erscheinen mir die 52 Prozent eigentlich als wenig. Ich entnehme daraus, dass in Österreich wirklich eine große Ablehnung von Sterbehilfe gegeben ist.

Heute haben wir von Frau Teuschl eine Zahl gehört – und das deckt sich auch mit dem Gefühl, das ich als praktischer Arzt habe –, dass nämlich in Österreich zwar nur ein Drittel der Men­schen zu Hause stirbt, aber 81 Prozent den Wunsch haben, zu Hause zu sterben. Das ergibt eine Diskrepanz von mehr als einen weiteren Drittel, das zwar zu Hause sterben will, das aber ganz gleich aus welchen Umständen heraus nicht kann. Wir sollten also dafür sorgen, dass möglichst vielen Menschen dieser Wunsch erfüllt wird, und vielleicht können wir auch mit gesetzlichen Maßnahmen dazu beitragen.

Wie es heute bereits angeklungen ist, sollten wir mobile Hospizdienste anbieten und auch den Hausarzt als Drehscheibe nicht allein im Regen stehen lassen. Ich weiß, dass ich mir oft wirk­lich schwer tue und mich frage, ob ich mich noch im Rahmen der legalen Handlungsweise be­finde, wenn ich in Absprache mit den Patienten – wenn das noch möglich ist – oder mit deren Angehörigen zu Methoden greife, die gerade noch vertretbar sind. Hilfe zu Hause zusammen mit Experten, mit pflegerisch gut ausgebildeten, mobilen Diensten und heraus aus dem Kran­kenhaus, aus der Hospizstation, das wäre wirklich eine gute Sache!

Vielleicht schaffen wir das auch – und das wäre meine Frage an den Herrn Staatssekretär –, wenn wir diese Sache im Nationalrat behandeln, auf Grund einer Entschließung des National­rates und mit Unterstützung des Ministeriums Maßnahmen zu ergreifen, um dem Wunsch vieler Menschen, zu Hause zu sterben, entsprechen zu können. Natürlich geht es auch darum, die damit in Zusammenhang stehenden Mehrkosten aufzubringen, denn das fehlende Geld ist immer wieder der Stein des Anstoßes, warum etwas nicht geht. – Danke.

12.55


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon zu Wort.

Bevor Herr Bundesrat Missethon das Wort ergreift, möchte ich mich bei Herrn Kardinal König, der jetzt gehen muss, namens der Anwesenden ganz herzlich für sein Kommen und sein Referat bedanken. – Ich wünsche Ihnen, Eminenz, alles Gute! (Beifall.)

Bitte, Herr Bundesrat.

12.56


Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon¦ (ÖVP, Steiermark): Herr Vorsitzender! Geschätzte Damen und Herren! Sterben und Tod ist ein Thema, das ans Innerste rührt. Sterben und Tod ist aber auch ein Thema, bei dem die persönliche Sichtweise sehr eng mit der persönlichen Erfah­rung zusammenhängt. Ich habe – im Rückblick gesehen – das Glück gehabt, meinen Schwie­gervater in den letzten Wochen und Tagen seines Lebens begleiten zu dürfen, und ich kenne daher die Hilflosigkeit eines Angehörigen, der einen Sterbenden begleitet. Ich kenne jetzt im Nachhinein aber auch die schöne Seite des Prozesses, dieser Erfahrung.

Ich habe in den letzten Tagen viele Gespräche zum Thema aktive Sterbehilfe beziehungsweise Sterbebegleitung geführt und bin dabei keinem begegnet, der selber begleitet und gleichzeitig die aktive Sterbehilfe befürwortet hätte. Daraus schließe ich, dass diese Erfahrung des Beglei­tens für eine Gesellschaft sehr wichtig ist, und dass es auch Zielsetzung sein sollte, den Men­schen Mut für diese Begleitung zu machen, weil wir damit auch ein Stück Kultur in unserer Gesellschaft verändern.

Ich möchte die Betreuenden in den Mittelpunkt meines Beitrages rücken und nicht die Medizin, weil ich den Eindruck habe, dass es durch medizinische Überversorgung zu einer Abgabe von Verantwortung und damit zu einer menschlichen Unterversorgung gekommen ist. Und wenn wir schon von der Politik Maßnahmen wollen, dann wäre mein Wunsch, dass zuerst vor allem Maßnahmen im Bereich der menschlichen Betreuung gesetzt werden. Wenn es stimmt, dass 81 Prozent der Sterbenden zu Hause sterben wollen, dann ist wohl in erster Linie der Aufbau einer flächendeckenden Betreuungsstruktur, ob das mobile Dienste, ob das die Hausärzte sind, aber auch die Begleitung der Angehörigen notwendig. Das wäre der Beitrag, der mir sehr wichtig erscheinen würde. (Abg. Lackner übernimmt den Vorsitz.)

Abschließend ganz grundsätzlich: Die Frage für die Politik und für die Parlamentarier ist aus meiner Sicht eine ganz einfache: Was wollen wir den Menschen in diesem Land zumuten? Wollen wir ihnen zumuten, Mut machen, dass sie diese Begleitung auf sich nehmen, oder wollen wir ihnen die Entscheidung über Leben und Tod zumuten? Das sollten wir ihnen aus meiner Sicht nicht zumuten! Ich möchte den Titel dieser Enquete „Solidarität mit den Sterben­den“ noch ergänzen mit „Solidarität mit den Begleitenden“.

12.59


Vorsitzender Abgeordneter Manfred Lackner¦: Nächste Wortmeldung: Herr Abgeordneter Dr. Niederwieser. – Bitte.

12.59


Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser¦ (SPÖ): Geschätzte Damen und Herren! Kurz zu vier Punkten:

Die parteiübergreifende Einigkeit, die hier herrscht, herrscht natürlich darüber, dass es im Bereich der palliativen Medizin viele Anstrengungen braucht. Wir sind bisher allerdings sowohl in den Referaten als auch in der Diskussion noch über schwierige Fragen etwas hinweggeturnt. Was ist mit jenen Leuten zu tun, die davon überzeugt sind, dass sie einen freien, festen und unbeeinflussten Willen haben, zu sterben, und sich nicht einreden lassen, dass das nur von der Umgebung beeinflusst sei? Dieses Thema – ich reiße es hier einfach nur einmal an – ist bis jetzt weitgehend ausgeklammert geblieben, und daher ist auch der Konsens so leicht herstellbar.

Der Herr Staatssekretär hat angekündigt, dass Verbesserungen im Krankenanstaltenplan vor­gesehen sind. Das war beinahe nur eine einleitende Bemerkung, war überhaupt nicht kon­kret, würde uns Abgeordnete aber natürlich schon interessieren. – Entschuldigung, ich habe mich nicht wie vereinbart vorgestellt: Ich bin der Wissenschaftssprecher der Sozialdemokra­tischen Partei. – Ich möchte also den Herrn Staatssekretär oder Vertreter des Ministeriums fragen: Wie sieht das konkret aus? Was ist vorgesehen? Welche Mittel sind vorgesehen? Öster­reich ist nach Luxemburg jenes Land, das die höchste und beste Familienförderung aller EU-Länder hat. Ich würde mir wünschen, wir könnten Ähnliches auch im Bereich der Betreuung sterbender Menschen von uns behaupten.

Kollegin Gatterer hat vollkommen Recht, wenn sie sagt, dass wir in die Forschung investieren sollten. Es ist auch ein wichtiger Forschungsschwerpunkt. Er steht so ein bisschen unter dem Titel „Lebenshilfen für ältere Menschen“, das ist in der Delphi-Studie als einer der Forschungs­schwerpunkte herausgekommen. In Wien und in Innsbruck gibt es sehr gute Institute, die sich mit Altersforschung beschäftigen, aber das ist viel zu wenig und natürlich vielfach auch nur das Technisch-medizinische und noch nicht das Psychologische, das aber hier unbedingt auch dazu gehört. – Es herrscht also Konsens darüber, dass hier zu investieren ist!

Gerade in den Referaten der Professoren ist der Arzt sehr stark im Mittelpunkt gestanden, ver­ständlicherweise, denn jeder entwickelt die Sichtweise, die ihm unmittelbar entspricht. Aber wir dürfen – und das möchte ich ausdrücklich und gerade auch angesichts des exzellenten letzten Referats, jenes von Frau Feichtner, sagen – jene nicht vergessen, und zwar sowohl in der Aus­bildung als auch in der Weiterbildung als auch in der Betreuung, die im Bereich der Kranken­pflege tätig sind. Ich denke, dass deren Arbeit jedenfalls wirklich – man soll nicht aufrechnen, was wichtiger und was weniger wichtig ist – in einem Atemzug mit der ärztlichen Tätigkeit genannt gehört. Dann geht es aber eben nicht nur um universitäre Studien und um Studien­pläne für die Medizinerausbildung, sondern es geht natürlich auch um Lehrpläne und Studien­pläne an medizinischen Akademien und an Schulen für die Gesundheitsberufe, wo ebenfalls Handlungs­bedarf besteht.

Eine abschließende Bemerkung, weil im Zusammenhang mit dieser Diskussion immer wieder ein Begriff verwendet wird, der einfach zu hinterfragen ist, nämlich der Begriff der Überalte­rung: Man verwendet und hört ihn oft, und denkt vielleicht nicht unmittelbar daran, was da da­hinter stecken könnte. Es ist ein negativer Begriff, der Überforderung, Überlastung und solche Dinge anklingen lässt. Ich frage mich, ob es richtig ist, diesen Begriff zu verwenden, wenn wir doch an und für sich froh darüber sein sollten, dass die Medizin uns immer älter werden lässt und mit steigender Lebenserwartung natürlich auch die Gesellschaft immer älter wird. Wichtig ist, dass es auch genug Junge gibt, das ist keine Frage, aber der Begriff „Überalterung“ ist eigentlich falsch. Wir gehen einen sehr guten Weg, wenn wir immer älter werden, daher würde ich bitten, bei der Verwendung dieses Begriffes in Zukunft zu überlegen, ob das wirklich das ist, was man meint.

13.04


Vorsitzender Abgeordneter Manfred Lackner¦: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Burket. – Bitte.

13.04


Abgeordnete Ilse Burket¦ (Freiheitliche): Meine Damen und Herren! Die ganze Bandbreite unserer heutigen Thematik wurde von all den Experten in eindrucksvoller Weise dargestellt. Im Besonderen hat mich der Vortrag von Frau Teuschl über die Hospizbewegung beeindruckt, denn genau dort möchte ich meinen Gedanken zur Sterbebegleitung anknüpfen.

Meine Sichtweise kommt aus dem familiären Bereich, denn ich habe mit der Medizin nur als Patient zu tun. Bis auf jene Fälle, in denen intensive medizinische oder schmerzmedizinische Betreuung notwendig ist, handelt es sich einfach um Menschen, die sterben und dies möglichst im vertrauten Kreis ihrer Angehörigen tun sollten. Es geht um die Art und Weise, wie man sich in unserer Gesellschaft dieser Pflichten entledigt, den Angehörigen abschiebt und sein Sterben und die eigene Angst vor dem Sterben in einem Heim oder Spital abgibt. Der Wertewandel in unserer Gesellschaft, der grenzenlose Egoismus, dem gehuldigt wird, das Anbeten des Ideals „jung und schön“ hat neben vielen anderen Werteverlusten zur Folge, dass niemand mehr daran denkt, dass es eigentlich selbstverständlich sein müsste, Eltern oder Angehörige zu be­treuen und auch im Sterben zu begleiten.

Es ist jedoch zum überwiegenden Teil nur eines, was sich diese Menschen wünschen und brauchen: Zeit und Zuwendung! – Zeit und Zuwendung, um ihnen das Gefühl zu geben, ihr Leben hatte Sinn und wurde geschätzt und anerkannt. Es ist eigentlich so wenig, was von uns gefordert ist! Das familiäre Netz einer funktionierenden und intakten Familie ist eine unum­gänglich notwendige Ergänzung der Hospizbewegung. Wir sind gefordert, dieses Umdenken in unsere Gesellschaft zu tragen und unsere Alten und Kranken wieder zu reintegrieren.

13.06


Vorsitzender Abgeordneter Manfred Lackner¦: Herr Abgeordneter Posch gelangt als Nächster zu Wort. – Bitte.

13.06


Abgeordneter Mag. Walter Posch¦ (SPÖ): Abgeordneter Posch, ich bin Menschenrechtsspre­cher der Sozialdemokraten. Ich möchte zu ein paar Fragen Stellung nehmen, die für mich in den Referaten offen geblieben sind.

Ich beginne mit dem, was Kardinal König gesagt hat, dessen Meinung ich teile, dass, weil es um die Grundsatzfrage des menschlichen Leids geht, natürlich sämtliche Rahmenbedingungen wie Schmerztherapie, Sterbebegleitung, Hospizdienst und Palliativmedizin zu verbessern sind. Das ist die Conditio sine qua non, das ist völlig unbestritten! In einem allerdings unterscheide ich mich: Die autonome Entscheidung und die Verfügung über meinen eigenen Tod ist inte­graler und unteilbarer Bestandteil meiner menschlichen Würde, und ich sage das ganz bewusst so!

Herr Staatssekretär Waneck ist jetzt leider nicht da. Er hat gesagt, er lehne jeden Schritt zur aktiven Sterbehilfe ab. Das ist sein grundsätzliches Recht. Aber er hat auch gesagt, die Niederlande hätten sich außerhalb der Wertegemeinschaft der EU gestellt – er ist jetzt leider nicht da, sodass ich es ihm nicht direkt sagen kann: Ich denke, man sollte mit solchen Urteilen vorsichtig sein! Er hat selbst in seiner Darstellung der historischen Genese von der Duldungs­politik der Niederlande gesprochen. Im Wort „Duldung“ steckt das Wort „Toleranz“. Toleranz heißt dulden, auch dann, wenn es wehtut, und man sollte, bevor man solche Urteile über ein freiheits­liebendes und tolerantes Volk abgibt, sehr vorsichtig sein! Das ist jedenfalls meine Meinung.

Gleichzeitig hat er auch das Beispiel Oregon in den Vereinigten Staaten von Amerika angeführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass in den Vereinigten Staaten nach wie vor die Todesstrafe ver­hängt wird, und dass sich daher die Frage stellt: Stehen die Vereinigten Staaten auch außer­halb der Wertegemeinschaft? Und nach welchem Maß misst der Staat oder die staatliche Auto­rität die Befindlichkeit über den Tod? Die Frage, die ich mir dabei stellen möchte, ist: Soll die Verfügungsgewalt des Staates und – ich setze das nach der heutigen Debatte ironisch hinzu – der Palliativmediziner bis zur letzten, intimsten Stunde des Menschen reichen, oder habe ich persönlich ein Recht auf meinen eigenen Tod? – Ich bejahe diese Frage für mich, und das hat nichts damit zu tun, dass ich grundsätzlich für einen Ausbau des Hospizwesens und für all das bin, was heute schon sehr gut referiert wurde.

Eine Frage hätte ich noch an Herrn Professor Taupitz, weil er die Grenze zwischen indirekter oder direkter Sterbehilfe angesprochen hat. Auch ich meine, dass sie fließend und nur sehr schwer festzustellen ist und dass die Ärzte selbst manchmal die Augen verschließen, um dieser furchtbaren Entscheidung auszuweichen. Die Frage, die sich für mich in diesem Zusammen­hang stellt, ist: Besteht überhaupt ein Regelungsbedarf? Oder soll der Staat von einer Regelung in dieser Frage überhaupt absehen, soll er es in einer Tabuzone, Grauzone belassen?

Eine letzte Bemerkung noch, zu Professor Sporn, der über seine Probleme und seine zu Recht bestehenden Bedenken bezüglich Sterbehilfe mit Blick auf die nationalsozialistische Euthanasie gesprochen hat. Ich meine, das sollte man in der Debatte nicht vermengen. Es gibt nämlich einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem rassistischen Geist, der Menschen vernichtet, der Menschen ausschalten will, der Menschenleben negativ sieht, und einem helfenden Geist. Ich halte das für einen wesentlichen Unterschied! Vielleicht können die Niederländer über diese Frage einfach gelassener diskutieren als wir Österreicher.

13.11


Vorsitzender Abgeordneter Manfred Lackner¦: Die nunmehr letzte Wortmeldung aus dem Kreis der Abgeordneten: Frau Abgeordnete Wochesländer. – Bitte.

13.11


Abgeordnete Jutta Wochesländer¦ (Freiheitliche): Herr Vorsitzen­der! Meine Damen und Her­ren! Ich gehöre der freiheitlichen Fraktion an, und wir haben schon in unserem Parteiprogramm die eindeutige Aussage: Aktive Sterbehilfe – nein!, Sterbebegleitung, Hospiz und Palliativmedi­zin – ja! Und dazu gibt es selbstverständlich auch von mir ein unbedingtes Ja.

Ich bin nicht Ärztin, nicht Gesundheitsökonomin, nicht Pflegerin, ich komme vom Journalismus, und ich habe mit vielen Menschen Interviews zum Thema „Sterben“, aber auch zum Thema „Leben nach dem Tod“ gemacht. Jeder hat so seine Vorstellungen, aber eines zieht sich doch relativ konstant durch, nämlich der Begriff „Angst“.

Mir hat einmal vor etwa 20 Jahren, als ich das noch nicht ganz so nachvollziehen konnte, die von mir besonders geschätzte, mittlerweile nicht mehr unter uns weilende Kardiologin Professor Dr. Mannheimer – dieser Name wird den Ärzten hier unbedingt etwas sagen – etwas von mir damals als sehr eigenartig Empfundenes gesagt: „Wissen Sie, vorm Tod habe ich keine Angst, aber vorm Sterben habe ich ziemliche Angst.“ Sie hatte das Glück – muss man sagen –, dass sie einen relativ kurzen Sterbeprozess hatte und sehr rasch von uns gegangen ist, was für die Um­welt kein Glück war, aber für sie selbst vielleicht doch.

Daran knüpft sich für mich auch die Frage: Wie schaut es eigentlich aus? Kann man zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch seiner Sinne mächtig ist, Vorsorge treffen und festlegen: Ich gehe einmal in ein Hospiz! oder: Ich möchte zu Hause bleiben!? – Ich denke, das ist ein Punkt, über den sich mancher ab einem gewissen Alter Sorgen macht: Was wird einmal sein? Ich habe keine Familienmitglieder, ich habe keine Verwandtschaft. Was tue ich? Wo komme ich hin? Was geschieht mit mir?

In dieser Hinsicht habe ich schon auch Dinge erlebt, die mich sagen lassen: Da gehört raschest eine Änderung herbeigeführt, und zwar gerade auch auf dem Sektor Palliativmedizin. In Kran­kenhäusern in der Provinz gibt es doch mitunter Situationen, mit denen nicht einmal die Ärzte fertig werden, die Pfleger schon gar nicht und die Laien selbstverständlich erst recht nicht. Ich habe selbst erlebt, dass man jemandem, der wirklich keine Chancen mehr hatte, zu überleben – es waren nur mehr Tage –, statt Schmerzmittel Psychopharmaka – Haldol war es – gegeben hat, das wirklich zur Verwirrung führt – da werden Sie mir als Ärzte zustimmen –, aber die Schmerzen bei Gott nicht lindert. Ich finde, gegen solche Vorkommnisse müssten wirklich Vorkehrungen getroffen werden! (Abg. Dr. Pumberger übernimmt wieder den Vorsitz.)

Zustimmen kann ich selbstverständlich auch meiner Kollegin Frau Gatterer, und zwar was das Zulassen des Sterbens betrifft. Wenn es einmal so weit ist, dann sollte man wirklich sagen: Man soll nicht etwas verlängern, was wirklich keinen Sinn mehr hat – das traue ich mich ohne weite­res zu sagen –, aber nicht auf die Entscheidung des Menschen selbst hin, denn da habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass man auch zu einem Zeitpunkt, zu dem man schon sehr nahe dran ist, man vielleicht nur mehr ein, zwei Mittel hätte weglassen müssen und schon wäre es vorbei gewesen, sehr am Leben hängt, an all den Stunden und all den Tagen, die einem vielleicht noch vergönnt sind.

Auf der anderen Seite müsste man auch in der Erziehung damit beginnen, dass der Tod nicht als eine Sache außerhalb des Lebens vorgestellt wird, sondern einfach als zum Leben gehö­rend, denn in der interpersonellen Kommunikation wird dieses Thema sehr selten wirklich ernst­haft behandelt. Ich weiß auch, dass Hinterbliebene nach einem raschen Tod eines geliebten Menschen furchtbar leiden, was natürlich auch zu diesem ganzen Komplex gehört und dann von denen wieder verarbeitet werden muss.

Was ich noch ansprechen möchte, ist eine Sache, die auf Grund der großen Mobilität in der heutigen Zeit und natürlich auch des Fallens der Grenzen im EU-Bereich aktuell wird: Wie schaut es denn eigentlich aus – vielleicht kann mir jemand, der die Rechtslage der Sterbehilfe begutachtet hat, eine Antwort geben –, wenn ich als selbst vom Sterben Betroffene, aber geistig zur Ent­scheidung Fähige sage: „Ich möchte in die Niederlande gebracht werden, um dort Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.“? Auch das wäre meiner Meinung nach mitzubedenken, denn das gibt es heutzutage doch auch! – Danke schön.

13.15


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner ist Herr Stadtrat Dipl.‑Ing. Strobl. – Bitte.

13.15


Stadtrat Dipl.-Ing. Helmut Strobl¦ (Obmann des Hospizvereins Steiermark): Herr Vorsitzen­der! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier als Obmann des Hospizvereins Steiermark, den es seit 1993 gibt, und auch vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher, persönlicher Erfahrungen.

20 Jahre Erfahrung in beobachtender Teilnahme als Rettungssanitäter haben mich dazu gebracht, 1992 die Gründung des Hospizvereins zu initiieren, und wäre es nicht ich gewesen, dann wäre es ein halbes Jahr später jemand anderer gewesen. Da bekommt man einiges an fehlender Sterbebegleitung auf Grund von Überlastung, nicht auf Grund von fehlender Bereit­schaft des Pflegepersonals, mit. Das hat mich wie gesagt dazu bewogen, initiativ zu werden.

So wie viele von Ihnen hier – es wurde auch schon in der einen oder anderen Wortmeldung erwähnt – machte auch ich im engeren Familienverband die Erfahrung, begleiten zu müssen – das sagt man zunächst so, später sagt man dann: Man durfte begleiten. Das ist eine ganz wich­tige Erfahrung.

Sie wissen, wir haben drei Optionen im Umgang mit dem Sterben, von zweien ist heute die Rede. Die eine ist die aktive Unterstützung des Sterbens, die Sterbehilfe, aktives Herbeiführen. Das andere ist der Versuch, eine menschenwürdige Gestaltung des letzten Lebensabschnit­tes – wie ich es immer nenne, nicht des Sterbens – herbeizuführen. Es gibt eine dritte Option, die eigentlich der Normalfall ist, nämlich dass man bis zum Schluss kämpft. Und in dieser Hin­sicht habe ich persönlich sehr viel Verständnis für die Ärzte, nämlich dass sie auf diesem Gebiet sehr viel Engagement zeigen und weniger Engagement bei der Sterbebegleitung. Mir ist es so ergangen, bei mir haben sie bis zum Schluss gekämpft, deshalb stehe ich heute noch da. Ich hatte schon die Krankensalbung, und ich war sehr einverstanden damit, dass die Ärzte nicht auf Sterbebegleitung umgeschalten haben! Ich glaube, wir sollten hiefür auch Ver­ständnis haben und in diesem Zusammenhang nicht überfordern.

Mit diesem Erfahrungshorizont stehe ich jetzt also vor Ihnen als Obmann des Steirischen Hospizvereins. Zu einem sehr grundsätzlichen Punkt möchte ich Ihnen über die Erfahrungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten.

Wir haben bisher – nur damit Sie das wissen – 1 400 Steirerinnen und Steirer ausgebildet. Da­von dürften – das haben wir nicht so genau erhoben – über 800 in Praxis sein – 260 freiwillig, also ehrenamtlich beim Hospizverein. Ich rede vom Jahr 2000, inzwischen sind wir schon weiter, wir verdoppeln uns zurzeit von Jahr zu Jahr, das explodiert geradezu. Voriges Jahr wurden fast 1 000 Patientinnen und Patienten vom Hospizverein aus begleitet.

Diese MitarbeiterInnen sagen durch die Bank – und ich möchte Ihnen sagen: ausnahmslos! –, dass man die ganz Diskussion, den ganzen Diskurs zwischen aktiver Ster­behilfe und Sterbege­staltung, Sterbebegleitung eigentlich verkürzen kann. Das ist keine Reduk­tion, das ist eine Fokussierung auf einen Punkt: All jene Patientinnen und Patienten, die erfah­ren haben, dass Palliativmedizin und Sterbebegleitung möglich sind, die das zum Teil vielleicht nur gehofft haben, verlangen nicht nach Sterbehilfe, oder umgekehrt formuliert: Das Verlangen nach Sterbe­hilfe ist überhaupt nur der Wunsch nach Beendigung eines menschen­unwürdigen Zustan­des und in Wirklichkeit nicht der Wunsch, tatsächlich zu sterben. – Das ist die Erfahrung all unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ich glaube, darauf kann man es verkürzen, und das ist eine sehr eindeutige Antwort auch auf die Diskussion, was die Vorgangsweise in Holland betrifft. Ich bin sehr erfreut darüber, dass es hier die totale Einigkeit zwischen allen Fraktionen im Parlament gibt. Das ist auch im Land Steiermark und in der Stadt Graz so. Das gibt Hoffnung!

Ich möchte aber doch hinzufügen, dass zumindest wir Politiker – dem Kardinal rede ich da nicht hinein –, solange wir nicht in der Lage sind, uns allen befriedigende Standards zur Verfügung zu stellen – Landau hat richtigerweise von Standards gesprochen, die wir erreichen müssen, und andere Referenten auch –, nicht die Moralkeule schwingen und Verbot und Strafe, die in dem Zusammenhang aufrecht bleiben sollen, die nicht in Frage zu stellen sind, liberal hand­haben sollten. Ich denke, wir haben nicht das moralische Recht, zu verurteilen, solange die Standards nicht garantiert sind.

Da ist noch viel zu tun, dafür brauchen wir auch Ihre Hilfe als Abgeordnete! Die Bereitschaft ist da, wie wir heute erfreut feststellen können. Ich bitte Sie sehr dringend, das nicht abzuhaken und zu sagen: Antrag gestellt, Antrag angenommen, super, wir gehen über zum nächsten Tagesordnungspunkt. In diesem Fall müssen wir dabei bleiben, alle miteinander! Dann schaffen wir es. – Danke sehr.

13.21


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Ministerialrat Dr. Aigner. – Bitte.

13.21


Ministerialrat Dr. Gerhard Aigner¦ (Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generatio­nen): Ich bin in den Referaten und auch in den Wortmeldungen auf einige Punkte hingewiesen worden, die in meinen Bereich fallen. Ich bin Jurist im Gesundheitsressort und dort für eine ganze Menge von Rechtsbereichen verantwortlich, unter anderem auch für Patientenrechte und Krankenanstaltenrecht.

Am Vormittag ist angeklungen, die Patientenverfügung würde in Österreich nicht erwähnt, und es bestünde eine gewisse Unsicherheit. Die Patientenverfügung findet sich im Kran­kenan­staltenrecht positivrechtlich seit 1993, in Richtung einer Unverbindlichkeit, weil ansonsten im Hin­blick darauf, was wirklich zu geschehen hat, das Strafgesetz das Wort hat – Strafgesetz­buch 1975. Nach dem Krankenanstaltenrecht sind Patientenverfügungen zu dokumentieren, damit der Arzt bei Bedarf darauf Bedacht nehmen kann. Wenn man diese Worte auf die Waag­schale legt, dann heißt Bedacht nehmen an etwas denken, etwas abwägen, aber nicht wirklich rechtsverbindlich daran gebunden sein. Für das eigentliche Tun oder Nichttun gilt das Straf­recht, wie es hier ohnehin reichlich beschrieben wurde.

Zu einer kurzen Bemerkung verlockt mich auch die Geschichte mit der Schmerztherapie. Abge­sehen davon, dass sie in Österreich schön langsam ohnehin Platz greift, war nach meinem ab­soluten Verständnis aus dem Behandlungsvertrag die Schmerztherapie schon immer geschul­det, weil der Arzt dazu verpflichtet ist, den Patienten nach dem „state of the art“ zu behandeln. „State of the art“ bedeutet nach dem Stand der anerkannten Grundsätze und Methoden der me­dizini­schen Wissenschaft, und wenn es Patienten gibt, die einer bestimmten Schmerztherapie bedürfen, dann ist auch dieses aus dem Behandlungsvertrag heraus geschuldet.

Es sind auch Fragen bezüglich der Palliativmedizin aufgetaucht, Abgeordneter Niederwieser hat das angesprochen. Die nunmehr geltende Artikel-15a-Vereinbarung über die Spitalsfinanzie­rung und die Gesundheitsreform beinhaltet den ÖKAP, den Österreichischen Krankenanstalten­plan, und in diesem ist nach meinem Wissensstand erstmalig die Palliativmedizin und die Er­richtung solcher Einheiten verankert. Ich meine, die Gesundheitspolitik kann natürlich abwägen, ob sie das derzeit als Pflänzlein, das zu einem Baum werden soll, erkennt. Das ist dann wiederum eine politische Entscheidung. Aber die Palliativmedizin ist erstmalig im ÖKAP veran­kert mit der Artikel-15a-Vereinbarung, die vor kurzem abgeschlossen wurde.

Was noch aus meinem Bereich zu kommentieren ist, sind die Fragen zur Ausbildung in der Palliativmedizin, Zusatzfach und dergleichen. Man kann immer wieder über Neues in der Ärzte­ausbildungsordnung nachdenken, aber wenn ein bestimmter Bereich erstmalig etabliert wird – eben als Pflänzlein –, dann bewegt mich zunächst einmal die Sorge, wo es geeignete Ausbil­dungsstätten gäbe, die die geeignete Zahl von ausbildenden Ärzten für eine Ausbildung haben. Möglicherweise ist das ein Long-term-Ziel, das man im Auge behalten kann; solange allerdings die Sache erst langsam im Anwachsen ist, würde ich mir mit den Ausbildungsstätten-Anforde­rungen schwer tun, die vielleicht auf dem Gebiet noch nicht erfüllt sind.

Zum Schluss noch: Karenz für pflegende Angehörige ist etwas, das das Sozialversicherungs­recht betrifft. Man wird sich aber auch anschauen müssen, was vielleicht in das Arbeitsrecht, in das Angestelltenrecht und damit in den Bereich eines anderen Ministeriums fällt. – Danke schön.

13.25


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner ist Herr Dr. Bachinger. – Bitte.

13.25


Dr. Gerald Bachinger¦ (Patientenanwalt; Niederösterreich): Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin auch Sprecher der Österreichischen Patientenanwälte und in dieser Funktion melde ich mich jetzt zu Wort.

Als voriges Jahres die Diskussion um die Legalisierung der aktiven, direkten Sterbehilfe begon­nen hat, haben auch wir Patientenanwälte uns damit beschäftigt und darüber diskutiert. Die Dis­kussion war sehr kurz. Wir sind zu einem einstimmigen Ergebnis gekommen, nämlich, dass wir auf dem derzeitigen gesetzlichen Stand bleiben und keine Änderungen im Hinblick auf Legali­sierung der aktiven, direkten Sterbehilfe haben wollen. Der jetzige gesetzliche Stand ermöglicht durchaus einiges, man muss ihn nur auch aufgreifen und die Möglichkeiten, die es gibt, wirklich zur Kenntnis nehmen.

Warum sind wir nun dafür, dass es so bleibt, wie es ist? – Wir meinen, dass der Wunsch, früher als vorbestimmt sein Leben zu beenden, oder der Wunsch nach Tötung daraus erfließt, dass Defizite in medizinischer, pflegerischer, sozialer oder familiärer Hinsicht vorhanden sind. Wir sollten uns nicht von diesen Defiziten abwenden und andere rechtliche Maßnahmen ergreifen, sondern wir sollten uns aktiv mit diesen Defiziten beschäftigen und alles dafür tun, dass diese Defizite auch wirklich ausgeglichen werden. Das heißt – auch das ist heute bereits angeklun­gen –, wir müssen einiges in struktureller und organisatorischer Hinsicht tun, um die Palliativbe­treuung entsprechend einzuführen.

Ich komme jetzt auf Niederösterreich zu sprechen, dort gibt es ein interessantes Pilotprojekt. In drei Krankenanstalten wird versucht, verschiedene strukturelle Formen der Palliativbetreuung auszutesten. Das Besondere daran ist, dass das ausgewertet wird und dann auch die entspre­chenden Schlüsse daraus gezogen werden. Man muss aber sagen, dass das Pilotprojekte sind, die nach wie vor finanziell nicht abgesichert sind. Das ist es, was Sie als Abgeordnete entspre­chend aufgreifen müssen, damit endlich einmal eine finanzielle Absicherung erfolgt.

Zur Patientenverfügung: Wir hatten vor kurzem in Niederösterreich eine größere Aktion, mit der wir versucht haben, der Bevölkerung die Patientenrechte nahe zu bringen. Die Rückmeldung, das Feedback ist immer in eine bestimmte Richtung gegangen, nämlich dass die Patienten und auch die Heimbewohner – Letzteres möchte ich betonen – Angst vor Fremdbestimmung haben, also vor Paternalismus, wie das heute bereits erwähnt wurde.

Schauen wir uns an, welche Möglichkeiten es gibt, um dieser Angst entgegenzuwirken! Es gibt die Patientenverfügung, die im Bundeskrankenanstaltengesetz oder in Landeskrankenanstal­tengesetzen erwähnt ist. Aber, Herr Dr. Aigner, das reicht mir nicht. Hier geht es auch um Be­wusstseinsarbeit. Gerade wenn man sich die Patientencharta anschaut, die noch keine verbind­lich rechtliche Bestimmung ist, die Vertragspartner bindet, aber nicht die Normunterworfenen, dann findet man hier einiges mehr zu dieser Patientenverfügung. Und dieses Mehr gehört noch weiter ausgebaut und auch in die gesetzlichen Bestimmungen übernommen.

Es ist heute gesagt worden, dass der Patient oder der Heimbewohner ein Koproduzent sein soll. Das ist mir noch zu wenig! Der Patient, der Heimbewohner muss Dirigent seiner medizini­schen Behandlung sein, nicht nur ein Mitproduzent.

Daher mein Appell an Sie. Die Möglichkeiten der Palliativbetreuung, und nicht nur der Palliativ­medizin, müssen ein selbstverständlicher Bestandteil im Gesundheits- und Sozialwesen wer­den! Dann wird es über die finanziellen Auswirkungen wahrscheinlich keine Diskussion mehr geben. – Danke.

13.29


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Dr. Zdrahal ist der nächste Redner. – Bitte.

13.29


Dr. Franz Zdrahal¦ (Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft): Ich bin nicht nur Präsi­dent der Österreichischen Palliativgesellschaft, sondern auch Angestellter der Caritas Wien und Hospizarzt. Im Anschluss und gleich lautend mit meinem Vorredner und in Ergänzung zu Dr. Landau, dem Caritas-Direktor, möchte ich sagen: Dr. Landau hat – und das mit Recht – den Präsidenten der Ärztekammer Österreich sehr dafür gelobt, dass er so klare Worte gefunden hat. Er hat aber auch Signale eingefordert, das heißt, er hat nach dieser Absichtserklärung – auf Deutsch gesagt – Taten eingefordert.

Die gute Nachricht, die ich bringe: Es gibt schon eine Landesärztekammer, die Taten gesetzt hat, nämlich die Wiener Ärztekammer, die schon seit drei Jahren ein Zertifikat an jene Personen verleiht, die den Ärztelehrgang der Österreichischen Palliativgesellschaft absolviert haben. Mein Appell an die Bundesärztekammer ist, dieses Modell bundesweit zu übernehmen und diesbe­züglich Taten zu setzen.

Wir brauchen – er ist hier gefragt – den Arzt für Palliativmedizin als eine erste Stufe von vielen weiteren Forderungen. Es ist hier „der Facharzt“ gefallen, es ist hier „das Ordinariat“ gefallen – das ist meiner Ansicht nach etwas, was wir heute noch nicht erwarten dürfen, obwohl wir es uns wünschen würden. Aber diesen Arzt für Palliativmedizin und das Diplom dafür halte ich für be­sonders wichtig – allerdings nicht, damit es sich die Kolleginnen und Kollegen an die Wand der Ordination hängen können – das macht sich zwar sicherlich gut, aber wir brauchen es deswe­gen, weil wir nur durch die Institutionalisierung Standards nicht nur vorgeben, sondern auch ein­fordern und kontrollieren können. Die Kontrolle von Ausbildungs- und Weiterbildungsstandards halte ich für ganz besonders wichtig. – Das war meine Stellungnahme, danke.

13.31


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nächster Redner: Herr Dr. Johann Baum­gartner. – Bitte.

13.31


Dr. Johann Baumgartner¦ (Projektkoordinator der KAGes; Steiermark): Mein Name ist Johann Baumgartner, ich war zuständig für das Pilotprojekt „Stationäre Palliativbetreuung“ und bin jetzt engagiert bei der weiteren Entwicklung der Palliativbetreuung in der Steiermark.

Einige Bemerkungen zur Finanzierung und zur weiteren Entwicklung der Palliativbetreuung: Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass dieses gemeinsame Pflänzchen Palliativbetreuung wei­terwachsen soll. Diese heutige Enquete ist schon eine günstige Nährlösung dafür, aber der große Hemmschuh für die weitere Entwicklung ist die nach wie vor ungeklärte Finanzierung. Dafür ist meines Erachtens auch das Verständnis der Positionierung der organisierten Palliativ­betreuung im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung: dass nämlich die Befürch­tung, die Palliativbetreuung könnte ein Fass ohne Boden sein, nicht eintritt.

Palliativbetreuung ist finanzierbar, sie ist ein Fass mit Boden! – Dazu stelle ich Ihnen das Modell der abgestuften Versorgung vor:

Die Verbesserung der Basisbetreuung ist ein gemeinsames Anliegen. Es werden nach wie vor auch in Zukunft die Patienten in Krankenhäusern, in Heimen und zu Hause betreut werden. Eine verbesserte Betreuung dort braucht viele Bildungsinitiativen, sie braucht aber auch eine Aufwer­tung dieses Bereiches.

Für manche Patienten brauchen jene Ärzte und Schwestern, die die Patienten betreuen, zu­sätzlich kompetente Berater. Die Ärzte und Schwestern werden ihre Grenzen erkennen und um die Möglichkeiten der weiteren Betreuung wissen, wenn sie darüber informiert sind und auch das entsprechende Grundwissen haben. Die zweite Stufe besteht daher aus Basisbetreuung plus kompetenter Beratung.

Wenn dann die Berater kommen – das ist ein Konsiliardienst im Akutkrankenhaus oder ein mobiles Palliativteam zu Hause –, haben Sie, selbst wenn diese Berater vor Ort auch ge­meinsam mit den Primärbetreuern die Menschen nicht ausreichend behandeln und betreuen können, im Hintergrund noch einige stationäre Einrichtungen, nämlich die Palliativbetten und die stationären Hospize.

Wenn das verstanden wird, dann bekommt das Ganze sozusagen ein Gesicht, ein Bild, das auch finanzierbar erscheint. Dieses Verständnis ist, denke ich, der erste Schritt. Die weiteren Schritte haben selbstverständlich eine flächendeckenden Umsetzung und eine Integration zum Ziel.

Um dieses Pflänzchen, das zurzeit vielleicht erst in einer Nährlösung schwimmt, um diese Keimzelle auszubauen, braucht man so etwas wie Modelleinrichtungen, um dem Ganzen auch mehr an Boden zu geben. Ich plädiere gegen vorschnelle Finanzierungslösungen für die Routine, weil sich dann zu viele Leute draufsetzen könnten, die dafür noch nicht ausgebildet sind und die noch keine kompetenten Berater sind.

Diese Modelleinrichtungen bringen das Wissen in die Breite, beispielsweise eine bis drei Ein­richtungen in allen Bundesländern, natürlich mit Schwerpunkten auf den Universitäten, und in der Folge der schrittweise Ausbau. So könnte das Pflänzchen zu einem Baum werden und die Früchte, die wir uns wünschen, nämlich die kompetente Betreuung bis zuletzt, bringen. – Danke.

13.34


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster spricht Herr Professor Dr. Samonigg. – Bitte.

13.34


Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg¦ (Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie an der Medi­zinischen Universitätsklinik Graz): Ich bin Onkologe, Tumortherapeut für erwachsene Krebs­patienten, und seit 20 Jahren in diesem Beruf tätig.

Zunächst möchte ich zu dem Eingangsstatement und der „profil“-Umfrage etwas sagen: Es ist mir in diesen 20 Jahren ganze drei Mal passiert, dass ein Patient mit dem Wunsch an mich her­angetreten ist, aktiv dazu beizutragen, dass er frühzeitig verstirbt. Ich denke, diese Umfrage ist unter Gesunden durchgeführt worden. Daher sollte man meiner Ansicht nach hier erwähnen, dass, gemessen an der Vielzahl der Betroffenen, die Meinungen der tatsächlich Betroffenen in Wirklichkeit ganz anders sind als jene, die in dieser Umfrage wiedergegeben wurden.

Ähnliches gilt meiner Ansicht nach auch für den Wunsch, zu Hause zu sterben. Jeder von uns, der hier gesund oder vermeintlich gesund sitzt, wird sagen: Ich würde gerne zu Hause ster­ben. – Ich denke, wenn es dann soweit ist, gibt es heute nach wie vor berechtigte Bedürfnisse und Wünsche, auch das Spital in Anspruch zu nehmen. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht dringend alles daransetzen sollten, die Lage zu Hause zu verbessern. Aber wir sollten es respektie­ren, wenn dieser Wunsch, im Spital zu sterben, auch heute noch – von Seiten der An­gehörigen, von Seiten der Patienten – vorhanden ist.

Es herrscht berechtigterweise eine Aufbruchstimmung, und ich glaube, dass die Diskussion um aktive Euthanasie schlichtweg ein Ausdruck der Defizite ist, die wir in Österreich haben. Es ist ein Aufbruch da, und es ist ein Rückenwind zu verspüren, aber ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns vor plakativen Forderungen und Wünschen hüten – solche Äußerungen sind heute auch hier gefallen –, wonach Schmerzfreiheit und Wahrhaftigkeit überall umsetzbar seien.

Wir – diejenigen, die „am Bett“ arbeiten – sollten eingestehen, dass das nicht stimmt, dass wir uns diesem Zustand annähern können, aber Schmerzfreiheit nicht in allen Fällen wirklich errei­chen werden, dass Wahrhaftigkeit auch eine Frage ist für diejenigen, die am Patientenbett junge Mütter mit Kindern behandeln, die mit Hirnmetastasen auch noch zwei Tage vor dem Tod mit aller Macht nach Chemotherapie verlangen, dass Menschen bewusstlos eingeliefert werden, deren Angehörige einerseits verlangen: bitte lassen Sie sie sterben!, und andererseits sind Angehörige dabei, die dringend darum bitten, diesen Patienten noch einmal zurückzuholen, damit er etwas ganz Wichtiges erledigen kann.

Das sind Situationen, über die wir zwar reden können, die wir aber tagein, tagaus bewältigen müssen. Ich denke, wir sollten in Zukunft immer auch mit denjenigen reden, die vor Ort die Arbeit machen – nicht mit den Ärzten, sondern vor allem mit den Schwestern und den Angehö­rigen –, wenn wir neue Konzepte entwerfen und neue Pläne schmieden.

Trotzdem bitte ich sehr darum, den vielen Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir haben nächste Woche die große Möglichkeit, an der Universitätsklinik in Graz die erste Stufe eines Palliativbereiches zu eröffnen. Es müssen aber weitere Stufen folgen. Die Finanzierung von Bundesseite ist nicht gesichert. Wir werden darüber in Diskussion treten.

Wir sollen aber auch nicht immer nur andere auffordern, zu handeln. Ich denke, wir sind als Ärzte selbst gefordert, hier umzudenken, und auch an den Universitäten gilt es umzudenken. An Universitätskliniken sind momentan die Wertmaßstäbe anders ausgerichtet als im Hinblick darauf, zu begleiten und Schmerztherapie zu machen. Nobelpreisträger für Palliativmedizin gibt es leider noch nicht – diese Aussage ist jetzt sehr plakativ, aber man sollte auch einmal in diese Richtung denken.

Einen persönlichen Wunsch richte ich an hier anwesende, höchste Kirchenvertreter. Ich ver­misse in Akutspitälern an Universitätskliniken die Präsenz der spirituellen Seite. Das mag an uns Ärzten liegen, aber meiner Ansicht nach liegt es nicht nur an uns Ärzten, sondern natürlich auch an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten.

Meine große Bitte ist: Schicken Sie uns die Besten, die Sie haben, in die Spitäler! Treten Sie mit uns in Diskussion – darum bitte ich auch die Ethiker und die Rechtsphilosophen, die hier an die­sem Rednerpult heute genauso wie ich Vorträge halten. Es geht darum, dass wir vor Ort in den Diskussionsprozess über ganz konkrete Situationen eintreten. Dann brauchen wir keine aktive Sterbehilfe, sondern können mit den jetzigen Möglichkeiten der passiven Euthanasie sehr gut das Auslangen finden.

13.39


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster spricht Herr Dr. Retschitz­egger. – Bitte.

13.39


Referent Dr. Harald Retschitzegger¦ (Ärztlicher Leiter der Palliativstation am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried – Hospiz St. Vinzenz): Ich möchte einige der aufgeworfenen Fragen kurz beantworten.

Vorweg fällt mir auf, dass in Euthanasie-Diskussionen vor allem Euthanasie-Befürworter – einige sehr prominente Befürworter befinden sich auch hier in diesem Raum – immer von den „unerträglichen“ Leiden reden und dann irgendwelche berühmten Persönlichkeiten zitieren, die auch einmal gesagt haben, dass das Sterben eine Sache der Menschenwürde ist. Ich möchte alle, die wenig Kontakt, wenig Umgang mit unheilbar kranken und sterbenden Menschen haben, dazu einladen, auf Palliativstationen zu kommen und wirklich einmal zu erleben, wie diese Menschen, die vielleicht einige Stunden, Tage oder Wochen später sterben werden, ihre Zeit verbringen. Ich denke, dann werden vielleicht auch die Außenstehenden, die nur plakativ die Euthanasie fordern, begreifen, dass die Euthanasie die Probleme nicht lösen wird.

Kollege Rasinger ist zurzeit zwar nicht anwesend; ich möchte ihm aber trotzdem eine Antwort geben. Er hat von der Euthanasie für Psychiatrie-Patienten gesprochen. Vielleicht kommt das einmal, in Holland gibt es das schon. Es existiert eine Untersuchung von elf Psychiatrie-Patien­ten – einige von ihnen waren unter 30 Jahre alt –, die euthanasiert worden sind.

Dr. Rasinger hat auch von den drei wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Schmerz­therapie gesprochen. Ich nenne als diese drei Maßnahmen: Ausbildung, Ausbildung und Ausbil­dung! Und ich behaupte zudem, dass die hundertprozentige Schmerzfreiheit nicht möglich ist. Trotzdem halte ich es für bedenklich, dass wir hier vom Rednerpult aus hören müssen, dass die Schmerztherapie wegen des Eintrübens des Bewusstseins von Patienten reduziert werden soll. Selbstverständlich kann das eine geistige Nebenwirkung des Medikamentes sein, dann ist es jedoch falsch angewendet worden, oder man muss eine andere Schmerztherapie machen. Wir dürfen hier jedenfalls nicht den Eindruck erwecken, es wäre ganz normal, dass Schmerzmedi­kamente den Patienten das Bewusstsein nehmen. Das ist eine absolute Fehlaussage. Es ist im Grunde sehr traurig, das hier, in diesem Kreis, wenn über Ärzteausbildung geredet wird, so vernehmen zu müssen!

Zur Frage, wie viele Lehrstühle notwendig sind: Ich denke, wenn wir uns am großen Deutsch­land orientieren – dort gibt es jetzt einen –, wären wir froh, wenn wir auch in Österreich zumin­dest einen hätten.

Zu der von Frau Haidlmayr angesprochenen Frage der Cannabis-Produkte: Ich möchte nicht in die politische Diskussion einsteigen und kann dazu nur sagen, dass wir auf unserer Station Cannabis-Produkte in Verwendung haben und dass es auch möglich ist, diese für medizinische Zwecke zu verwenden.

Als Letztes zur palliativmedizinischen Ausbildung: Es gibt keine einheitliche und verbindliche für Ärzte in Österreich. Ich denke aber, es tut sich sehr viel in dieser Richtung. Es sind allerdings Vorgaben im neuen Studienplan, die Palliativmedizin zu verankern, etwas, das es zum Beispiel bei den Pflegepersonen schon seit 1998 fix gibt. – Danke.

13.42


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Danke schön, das war ja schon ein Teil der Antworten. – Als Nächster spricht Herr Professor Stadler.

13.42


Referent Ao. Univ.-Prof. DDr. Christian Stadler¦ (Institut für Rechtsphilosophie und Rechts­theorie an der Universität Wien): Ich bin mehrfach auf meine Definition angesprochen und ge­fragt worden, warum ich die indirekte Sterbehilfe als eine Art Schmerzlinderung mit akzeptierter Todesfolge bezeichnet habe. Ich muss zugeben, das war rechtsethisch überspitzt formuliert, denn anders herum gesehen ist die lege artis durchgeführte Schmerztherapie, die nicht zu einer Verkürzung der Lebensspanne führt, rechtsethisch kein Problem. Insofern habe ich mich nur auf jenen Aspekt gestürzt, der in der Debatte immer wieder eingebracht wird.

Und ich war schon besorgt, dass diese Überspitzung in diesem Kreis unnötig war. Aber wir haben heute auch eine Stellungnahme gehört, wonach man vielleicht damit aufhören sollte, zwischen direkter und indirekter Sterbehilfe zu unterscheiden, und den Übergang als fließend darzustellen hätte. Dass genau das nicht möglich ist, war der Hintergrund dessen, dass ich so überspitzt formuliert habe, nämlich zu sagen: Ich habe hier die Intention auf Schmerzbekämp­fung – wie wir von Palliativmedizinern gehört haben, ist diese, was die Effizienz betrifft, schon sehr weit fortgeschritten –, aber die Eventualfolge einer gegebenenfalls lebensverkürzenden Nebenwirkung kann nicht zu einer juristisch prekären Lage für einen Palliativmediziner führen.

Eine ganz andere Frage ist, ob ich eine intentionale Tötungshandlung vornehme. Diesen Unter­schied muss man, glaube ich, trotz aller Schwierigkeiten in der Detailabgrenzung einmal ideal­typisch gemacht haben.

Es war bereits kurz die Rede von der Patientenverfügung und ihrer rechtlichen Verankerung. Selbstverständlich ist es richtig, dass das im Krankenanstaltengesetz normiert ist. Aber das Umfeld der Normierung – ich möchte das noch einmal betonen – ist schon ein bisschen eigen­artig. Es ist im Rahmen der Auflistung von diversen Dokumentationspflichten des Arztes die Rede, also handelt es sich eigentlich um eine Art von medizinadministrativer Nebenbestim­mung. Es handelt sich nicht um eine zentrale Bestimmung, auf Basis derer dann die Frage der autonomen Selbstbestimmung des Patienten wirklich breit diskutiert wird. Wem es sozusagen fraglich ist, ob meine Interpretation stimmt, der möge sich die Erläuternden Bemerkungen und die Begleitmaterialien anschauen, darin stehen die wirklich interessanten Dinge. Im Gesetzes­text hat man sich auf den ungefährlichsten gemeinsamen Nenner zurückgezogen.

Es wurde ferner an die Juristen – unter Anführungszeichen – die Frage bezüglich „nach Holland fahren und sich dort aktiv euthanasieren lassen“ gestellt. Ich möchte mit einem Gegenbeispiel antworten. Es gibt einen Fall, der vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wird und in wel­chem der Gegentourismus stattgefunden hat. Ein schwer kranker, älterer Mensch aus Holland ist nach Österreich geflohen, ist in unserem Gesundheitssystem geheilt worden und hat jetzt in den Niederlanden die größten Schwierigkeiten, diese Heilkosten ersetzt zu bekommen, weil nach dem holländischen Gesundheitssystem so ein Mensch nicht mehr auf allgemeine Kosten zu therapieren sei.

Sie sehen, es gibt auch den umgekehrten Tourismus. Es ist manches möglich in Europa. – Danke schön.

13.45


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Professor Waldhäusl ist der Nächste. – Bitte.

13.45


Univ.-Prof. Dr. Werner Waldhäusl¦ (Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Innere Medi­zin III): Das Thema, das wir heute behandeln, beeindruckt mich wegen der Offenheit, in der es hier diskutiert wird. Was mir auffällt, ist, dass der Hintergrund dieser Debatte eigentlich noch nicht angeklungen ist, nämlich der Sieg der ideologischen Auseinandersetzung in Holland – wenn ich das so nennen darf. Wir wissen, dass diese Autonomie demnächst nach Belgien und danach wahrscheinlich nach Frankreich überschwappen wird. Das heißt, das ist nicht etwas, was wir hier isoliert abtun oder auch nur für uns werden retten können.

Was dahinter steht, ist meinem Verständnis nach der Verlust der Akzeptanz für das Sterben, aber auch für den Tod. Wir haben das komplett ausgeblendet, und die Bevölkerung fürchtet sich heute vor dem Tod „zu Tode“. Lieber zu Tode fürchten!

Auf der anderen Seite hören wir in Umfragen, dass die Menschen zu Hause sterben wollen. Dies ist ein Zuhause, das es für viele in einer Zeit, in der die Familien auseinander brechen, gar nicht mehr gibt. Ich habe im Flugzeug in einer amerikanischen Zeitung soeben gelesen, dass dort die Familien in dem Sinne, den wir traditionell darunter verstehen, auf 23 Prozent ge­schrumpft sind – alles andere sind andere Konstrukte.

Wenn wir uns fragen, was wir in dieser Situation tun können, dann müssen wir natürlich die Realität ins Kalkül ziehen, dass wir in Österreich etwa hunderttausend pro Jahr Sterbefälle haben. Es steht außer Zweifel, dass viele Ärzte mit diesem Prozess sehr gut umgehen können, aber sicherlich nicht ausreichend gut für alle. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass heute – das ist eine Tatsache – 70 Prozent der Menschen im Krankenhaus sterben und nur 30 Prozent zu Hause sterben dürfen.

Wenn wir uns überlegen, wie dieses Problem zu lösen sein wird, dann wird es sicherlich nicht gehen, dass wir nur Hospize fördern – die außerordentlich begrüßenswert sind, die Ausbil­dungsstätten für Menschen sein werden, die im Umgang mit Patienten zu schulen sind, die das lernen sollen und die wieder die Kontaktfähigkeit dafür entwickeln sollen, eine Sterbebegleitung im echten Sinn des Wortes vorzunehmen.

Wovor man sich meines Erachtens hüten muss, ist, dass man in die Falle der Dialektik des Wortes „Euthanasie“ hineinkommt. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen wissen, dass dieses Wort im Brockhaus des späten 19. Jahrhunderts als das, was wir heute „Sterbebegleitung“ nennen, definiert war. Die gute Pflege für den Patienten durch den Arzt und das Pflegepersonal in der letzten Phase des Lebens war damals die Euthanasie.

Das 20. Jahrhundert hat es geschafft, den Begriffsinhalt komplett umzudrehen. Heute erleben Sie, dass dieses Wort halbherzig mit „Sterbehilfe“ übersetzt wird – was es nicht ist! Vielmehr ist es in der Definition des holländischen Gesetzes „the killing of a patient“, das Töten eines Patienten. Ich möchte wissen, wie die Umfragen bei uns ausgehen, wenn die Verbatim-Überset­zung des Gesetzestextes übernommen wird! Ich glaube, man muss, wenn solche Umfragen kommen, immer wieder den Finger darauf legen, dass da die falsche Sprache, zum Teil – dies würde ich unterstellen – bewusst, gewählt wird. Man sollte sich also vor solchen Umfragen hüten!

Eines der Probleme, die wir bei dem großen Bedarf an Betreuung für Sterbende – solche, die an diese Phase herankommen – haben, besteht sicherlich darin, dass die Pflegekompetenz in den Familien verloren gegangen ist, und zwar aus Gründen, die Sie alle kennen – ob gewollt oder ungewollt, das soll nicht in irgendeiner Art und Weise gewertet werden, aber sie ist heute kaum noch oder nur in einer bescheidenen Form vorhanden.

Wir haben auch die praktischen Ärzte demoralisiert. Wir haben sie in ein System gezwungen, in dem sie – im normalen medizinischen Geschäft, wenn ich das so nennen darf – für den Patien­ten nur wenige Minuten Zeit haben. Wenn wir für jene 80 000 oder 90 000 Menschen, die in diesem Land jedes Jahr sterben, etwas tun wollen, dann müssen wir für diese Patienten die Ressourcen aktivieren. Das wird ein Prozess sein, der, wenn wir ihn wollen, zehn bis zwanzig Jahre dauern wird.

Wir brauchen dazu die Ausbildung – „empowerment“ heißt das heute –, die Befähigung, diese Leistung zu erbringen – für die Familien, soweit es sie gibt, für die praktizierenden Ärzte, soweit sie dies wollen. Und wir müssen ihnen dazu die sozialen Strukturen geben. Stellen Sie sich den Hausarzt vor, der heute drei Mal in der Woche – oder vielleicht, wenn es ernst wird, auch sieben Mal in der Woche – eine Visite machen kann, die ihn eine Stunde Zeit kostet! Das muss in den Aufbau das Gesundheitssystems eingebaut werden.

Wenn man sich all diese Dinge überlegt, dann ist der Kernpunkt, dass wir alle wieder lernen müssen, dass der Tod, das Sterben letztlich Teil des Lebens ist. Das heißt, wir müssen die Ak­zeptanz des Endprozesses des Lebens wiederherstellen. Nur wenn wir das tun, werden wir das, was Sie offensichtlich alle wollen, wie ich der heutigen Diskussion entnommen habe, schaffen!

13.50


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Dozent Ernst Berger ist der nächste Redner. – Bitte.

13.50


Primarius Univ.-Doz. Dr. Ernst Berger¦ (Leiter der Neuropsychiatrischen Abteilung für Kinder und Jugendliche am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel; Wien): Meine Damen und Herren! Ich bin Arzt und leite eine Abteilung am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel, eine Abteilung, an der auch viele behinderte und komatöse Menschen betreut werden. Vor diesem Hintergrund bin ich beruhigt, muss ich sagen, dass an diesem heutigen Tag eine so weit­gehende Einhelligkeit in der Ablehnung einer aktiven Sterbehilfe hier im Parlament zum Aus­druck gekommen ist – unter den Politikern und unter den Fachleuten.

Lassen Sie mich als Neurologe und Psychiater für Kinder und Jugendliche zwei ergänzende Punkte hinzufügen. Wir betreuen an unserer Abteilung auch jugendliche Patienten nach Suizid­versuchen, wir betreuen an unserer Abteilung Kinder und Jugendliche im Koma nach akuten Hirnschädigungen durch Unfälle, aber auch infolge von Suizidversuchen. Es schaudert mich, wenn ich höre und lese, dass im niederländischen Gesetz die aktive Tötung von Kindern und Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr – mit Zustimmung der Eltern – oder ab dem 16. Lebens­jahr freigegeben wird. Ich kann mir nichts Schauderhafteres als diesen Gedanken vorstellen.

Seit mehr als 25 Jahren bin ich in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in dieser ge­nannten Grenzzone tätig, und ich kenne keinen einzigen meiner Patienten und Patientinnen aus dem Bereich der Kinder und Jugendlichen, die sich ein Sterben und ein Getötetwerden wünschen würden. Auch die Kollegen aus der Hämatologie, die ich kenne, haben mir noch nie gesagt, dass einer ihrer Patienten sterben wollte.

Uns, die wir in diesem Bereich, in dieser Grenzzone tätig sind, helfen in unserer Arbeit all die Diskussionen und Debatten um aktive Sterbehilfe an keinem Punkt weiter. Was uns dort weiter­hilft, sind die heute schon mehrfach diskutierten Entwicklungen der Palliativmedizin.

Ich habe Sorgen, dass sich, wenn die hauptsächlich von den Massenmedien immer wieder pro­pagierte Diskussion um die aktive Sterbehilfe in Österreich mehr Platz greift, für unser Arbeits­gebiet die Grenzen zu verschieben beginnen, sodass es dann auch dort heißt: Ist denn dieses Kind noch lebenswert?, und dass dann die Diskussion um die Kosten der Betreuung dieser Kinder beginnt. Das ist meine Sorge vor dem Hintergrund meines Arbeitsgebietes.

Ich verstehe den Wunsch von Menschen, die sich – in Unkenntnis der realen Situation – im Vorausblick auf ihre eventuelle Todessituation aktive Sterbehilfe wünschen, in erster Linie als Kritik an der Akutmedizin. Als seit 30 Jahren tätiger Arzt muss ich sagen, ich sehe diese Kritik in vielen Punkten tatsächlich als berechtigt an. Ich meine, wir müssen alles daransetzen – und heute sind ja schon einige Punkte genannt worden –, das Umdenken in der Akutmedizin zu be­schleunigen und die Akutmedizin umzuorientieren in Richtung einer „Beziehungsmedizin“, wie Milani Comparetti, ein italienischer Kinderneurologe, das einmal genannt hat. Aber dieser Pro­zess geht viel zu langsam vor sich.

Lassen Sie mich abschließend auf folgenden Punkt hinweisen. Ich bin als österreichischer Ver­treter in einem EU-Projekt tätig, das von der Universität Brüssel koordiniert wird. Darin geht es um die Gestaltung und Organisation mobiler Teams in der Palliativmedizin, aber mit anderen Aufgabenstellungen, als sie heute hier genannt wurden. Gemeint sind mobile Teams, deren Aufgabe ein Liaisondienst in die Akutmedizin hinein ist. An diesem Projekt sind Teams aus Großbritannien, Belgien, Frankreich und der Schweiz beteiligt.

Ich halte das für einen richtigen Weg. Ich halte es auch für einen möglichen Weg, der den Pro­zess des Umdenkens in der Akutmedizin vor Ort zu beschleunigen hilft. Ich würde mir wün­schen, dass dieser Gedanke mobiler Liaisonteams, die in die Akutmedizin hineinwirken, in der Palliativmedizin aufgegriffen wird.

Eine allerletzte Bemerkung: Einer meiner Vorredner aus dem Klub der sozialdemokratischen Abgeordneten hat sich bemüht, darauf hinzuweisen, dass die heutige Debatte um die aktive Sterbehilfe gar nichts zu tun hätte mit und weit weg sei von der NS-Euthanasie. Ihr ehemaliger Parteivorsitzender Bruno Kreisky hätte Ihnen wahrscheinlich gesagt: Lernen S’ Geschichte, Herr Abgeordneter!

Ich werde Ihnen gerne den Text des Hitlerschen Ermächtigungserlasses für die „Aktion T4“ übermitteln. Dort ist sehr klar von genau jenen Dingen die Rede, von denen heute in der Debatte über aktive Euthanasie geredet wird: von einer strengen Prüfung durch zwei Ärzte, von der Feststellung der Unheilbarkeit, von der Erlösung und von der Hilfe für die Patienten. – Daher ist diese Differenzierung, dass die heutige Debatte um die aktive Sterbehilfe etwas „ganz anderes“ als die NS-Euthanasie sei, historisch nicht haltbar. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

13.56


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Dr. Dearing ist der nächste Redner. – Bitte.

13.56


Oberrat Dr. Albin Dearing¦ (Bundesministerium für Inneres): Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Name ist Albin Dearing. Die Einladung, hier als Experte zu sprechen, verdanke ich dem Umstand, dass ich mehr als zehn Jahre lang an der Universität in Linz als Strafrechtslehrer tätig war. Danach war ich drei Jahre lang am Max-Planck-Institut für Strafrecht und Kriminologie tätig. Dort sind auch viele medizinrechtliche Fragen behandelt worden. Insbe­sondere ist dort Mitte der achtziger Jahre die erste rechtsvergleichende Studie zur Sterbehilfe publiziert worden; daran habe ich mitgearbeitet.

Ich bin also kein Arzt, ich erlebe die heutige Veranstaltung als ein ganz breites Plädoyer für die Stärkung der Palliativmedizin und von Palliative Care, für die Wichtigkeit, Sterbenden im Ster­ben zu helfen. Alles das halte ich als Staatsbürger für überaus erfreulich und unterstützenswert. Als Experte freilich kann ich dazu nichts sagen.

Mir ist inzwischen auch deutlich geworden, dass es hier im Saal einen breiten Konsens für die Beibehaltung der Strafbestimmungen gibt. Dennoch kann ich – das ist nun einmal meine Exper­tise – zu nichts anderem als den Strafbestimmungen reden. Als Wissenschafter ist man ge­wöhnt, zu Fragen zu reden, die sonst die Leute nicht besonders interessieren, also trage ich das mit Fassung. Im Übrigen können Sie es auch so sehen, dass ich denjenigen, die für die Strafbestimmung sind, vor Augen führe, was genau es ist, wofür sie sind, und was das verfas­sungsrechtlich impliziert.

Zunächst ist es wichtig, zwei verschiedene ethische Fragen zu trennen, nämlich einerseits, ob es richtig ist, einen Menschen, der dies wünscht, zu töten, und andererseits, ob jene Straf­rechtsnormen legitim sind, die es einem Arzt unter allen Umständen bei Freiheitsstrafe verbie­ten, einen Menschen, der dies wünscht, zu töten.

Die zweite Frage, also jene nach der Verfassungskonformität jener strafrechtlichen Bestimmun­gen, die das Töten auf Verlangen und die Mitwirkung am Selbstmord unter Strafe stellen, ist auch eine verfassungsrechtliche Frage, der der Gesetzgeber insofern nicht ausweichen darf, als ihn die Last trifft, die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen allgemein aufzuzeigen und erst recht die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes des schärfsten Grundrechtseingriffes, der dem Staat zu Verfügung steht, darzulegen, nämlich des Einsatzes der Freiheitsstrafe.

Die strafrechtliche Situation ist durch ein Dreigestirn von Tatbeständen geprägt, nämlich durch den § 77 StGB, „Tötung auf Verlangen“, den § 78, „Mitwirkung am Selbstmord“, und den § 110, die „Eigenmächtige Heilbehandlung“. In diesem Feld bewegen sich die juristischen Antworten. Es handelt sich um ein relativ kompliziertes Zusammenspiel dieser Tatbestände, und im Einzel­nen sind die Grenzen in Wirklichkeit nicht ganz klar.

Aber die folgenden Punkte sind klar. Zunächst zu § 110 Strafgesetzbuch: Einhellig wird dem entnommen, dass einem unausweichlich Sterbenden eine künstliche Lebensverlängerung nicht aufgezwungen werden darf. Das heißt, wenn wir es mit einem irreversiblen Prozess des Ster­bens zu tun haben, würde sich ein Arzt, der eine lebensverlängernde Maßnahme gegen den Willen des Patienten durchführt, strafbar machen.

Angesichts eines irreversiblen, unaufhaltsamen Sterbeprozesses ist der Arzt auch nicht zu einer lebensverlängernden Maßnahme verpflichtet. Er ist dann für das Unterlassen einer solchen Maßnahme nicht strafbar, entgegen seiner sonst bestehenden ärztlichen Garantenstellung, also der Verpflichtung zur Heilbehandlung.

Hingegen ist jedes eindeutig aktiv lebensverkürzende Verhalten eines Arztes strafbar. Im Falle eines ernstlichen und eindringlichen Verlangens des Patienten, zu sterben, hängt die anzuwen­dende Strafvorschrift davon ab, ob der Patient oder der Arzt die letzte, zum Tod führende Hand­lung – also die über den Tod entscheidende Handlung – setzt. Ist es der Arzt, so handelt es sich um „Tötung auf Verlangen“, strafbar nach § 77 StBG. Ist es hingegen so, dass der Patient selbst die letzte Handlung setzt, dann handelt es sich um einen Selbstmord, an dessen Mitwir­kung der Arzt mit Strafe bedroht ist.

Die Frage soll also sein, ob diese §§ 77 und 78 Strafgesetzbuch rechtsethisch legitim und auch verfassungsrechtlich konform sind. Es geht mir jetzt – schon wegen der Kürze der Zeit – nicht darum, Ihnen eine überzeugende Antwort zu liefern, wohl aber darum, aufzuzeigen, welche Struktur eine vollständige Antwort haben müsste.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs sind vier Kriterien entscheidend. Erstens muss der Gesetzgeber ein legitimes Regelungsziel verfolgen. Zum Zweiten muss es sich beim Straf­recht um ein taugliches, ein erforderliches und ein verhältnismäßiges oder angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Regelungsziels handeln.

Was das erste Kriterium des Regelungsziels anlangt, ist die Frage: Darf der Staat eine Hand­lung verbieten, die sich dem Wunsch eines Menschen nach der Beendigung seines Lebens unterordnet? – Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf § 78 Strafgesetzbuch, also die Mitwirkung am Selbstmord. Diese Bestimmung wird von der Lehre einhellig als – ich zitiere – „demonstratives Bekenntnis zur Verwerflichkeit des Selbstmordes“ interpretiert. Es stellt sich in einer pluralistischen Gesellschaft wohl die Frage, ob das ein zeitgemäßes Rege­lungsziel ist. Immerhin ist zu bemerken, dass sowohl in der Schweiz als auch in der Bundes­republik Deutschland eine solche Strafbestimmung fehlt.

Die zweite Frage ist jene nach der Strafdrohung als tauglichem Mittel zur Erreichung des Rege­lungsziels: Ist die Strafdrohung geeignet, Ärzte davon abzuhalten, einem solchen Verlangen eines Patienten nachzugeben? Lassen sich also Ärzte bei ihren Entscheidungen de facto vom Strafrecht leiten?

Meine Gegenfrage wäre hier, ob wir dazu schon genug wissen, was die österreichischen Ver­hältnisse anlangt. Wenig ergiebig ist der Blick in die Anzeigenstatistik: 1998 gab es nach § 77 genau null Verfahren, und nach § 78 waren es zwei. 1999 gab es nach § 77 wieder null Verfah­ren, nach § 78 waren es drei. Die Frage ist also: Gibt es hier ein großes Dunkelfeld? Oder ist es vielmehr so, dass sich die medizinische Realität tatsächlich so präzis an den Strafrechtsnormen orientiert, dass es nicht zu strafbaren Handlungen kommt?

Die dritte Frage lautet: Ist die Strafdrohung ein erforderliches Mittel? Das heißt: Reichen im Hin­blick darauf, dass die Freiheitsstrafe das schärfste Mittel ist, das dem Staat zur Verfügung steht, andere, gelindere Mittel der Politik – zum Beispiel eine Stärkung der Palliativmedizin – aus, um zu verhindern, dass Ärzte überhaupt in die Situation kommen, mit einem Sterbewunsch konfron­tiert zu sein?

Heute haben wir sehr oft und sehr eindrucksvoll gehört, dass die Palliativmedizin inzwischen so weit ist, dem Sterbewunsch zu begegnen. Das heißt, möglicherweise haben wir es hier mit der leeren Menge zu tun. Möglicherweise ist der Patient, wenn er erst einmal Kenntnis von der Palliativmedizin hat und die Möglichkeiten kennt, die sich ihm daraus bieten, ohnehin nicht mehr daran interessiert, zu sterben.

Letztlich ist dann noch zu fragen: Ist die Strafdrohung ein angemessenes Mittel? Darf das Straf­recht seine Entscheidung über die Gewissensentscheidung des Patienten und des Arztes stel­len? Oder muss das Strafrecht einen Freiraum für die selbstverantwortliche Gewissensentschei­dung von Arzt und Patient öffnen?

Das ist ebenfalls eine Frage, die wir auch im Kontext anderer strafrechtlicher Diskussionen geführt haben. Ich darf Sie etwa an die Fristenregelung erinnern, als genau diese Frage – ob nicht die Entscheidung dem freien Gewissen der Frau anheim gestellt bleiben muss – die letzt­lich entscheidende war; wie überhaupt diese Diskussion strukturell sehr breite und deutliche Parallelen zur Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch aufweist.

Ich ende damit, Sie darauf hinzuweisen, was ein Rückzug der Strafdrohung nicht bedeuten würde. Meines Erachtens würde eine Einschränkung der Strafbarkeit kein Votum für eine aktive Sterbehilfe bedeuten, sondern eben nur eine Zulassung der freien Entscheidung von Arzt und Patient. Eine Einschränkung der Strafbarkeit würde niemandem zumuten, aktive Sterbehilfe auszuüben oder in Anspruch zu nehmen, so wie auch die Fristenregelung keinen Arzt verpflich­tet, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Ein Rückzug des Strafrechts wäre insbesondere auch kein Votum gegen einen Ausbau der Palliativmedizin. Worum es geht, ist die Frage nach der Zuständigkeit: Nimmt das Strafrecht für sich in Anspruch, die Entscheidung mit dem Mittel der Strafdrohung vorzugeben, oder lässt es eine freie Gewissensentscheidung zu? – Danke.

14.05


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Professor Peter Kampits spricht als Nächster. – Bitte.

14.05


Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits¦ (Institut für Philosophie an der Universität Wien): Ich darf an das zuletzt Gesagte anschließen, allerdings aus einer nichtjuridischen Perspektive. Auch darf ich um Verständnis dafür bitten, dass ich diese schöne Einhelligkeit ein klein wenig trüben möchte.

Ich glaube, Solidarität mit Sterbenden ist überhaupt keine Frage, und diese Einigkeit ist etwas, das wir alle teilen. Ich möchte aber auch ein bisschen Solidarität mit denjenigen fordern, die ihr Sterben selbst in die Hand nehmen möchten. Darum ist für mich – und das war etwas, was mich in all diesen Diskussionen bisher immer so sehr bestürzt hat – dieses alternative Denken problematisch. Ich sehe zwischen Hospizwesen, Palliativmedizin und – ich sage jetzt bewusst nicht „Euthanasie“, Herr Kollege Waldhäusl hat mich darauf gebracht – Sterbehilfe im altherge­brachten Sinn keine Gegensätze, sondern ein Sowohl-als-auch.

Was ich in dieser ganzen Diskussion zutiefst bedauere, ist Folgendes. Wir haben heute so viel über aktive Euthanasie gesprochen, aber das war ja überhaupt nicht das Thema! Das Thema war eigentlich Palliativmedizin und Hospizwesen. Doch immer wieder ist, sozusagen als Popanz, die aktive Euthanasie als das zu Vermeidende herausgestellt worden. Ich bedauere daher zutiefst, dass diese Diskussion ein wenig die Dimensionen eines Glaubenskrieges ange­nommen hat. Wie das bei Glaubenskriegen der Fall zu sein pflegt, gehen sie immer über die Köpfe der Betroffenen hinweg – hier also derjenigen, die tatsächlich in der Situation des Ster­bens sind.

Ich möchte Sie mit allzu tiefen philosophischen Erörterungen hier nicht besonders langweilen, aber ich glaube, kein ernst zu nehmender Philosoph der Neuzeit hat Autonomie jemals im absoluten Sinn verstanden. Autonomie und Faktizität, Autonomie und Gebundenheit an die Situation gehen zusammen. Autonomie bedeutet auch nicht Willkür, sondern bedeutet seit der Aufklärung und seit der kantischen Ethik – die, wie ich denke, ebenso wie eine aus dem christ­lichen Horizont kommende Ethik eine große Verbindlichkeit aufweist – „auto-nomos“, Selbst-Gesetzgebung, also nicht Anarchie, nicht einfach: tun und lassen, wie es mir und was mir beliebt.

Was die Ernsthaftigkeit dieses Themas – gerade des Sterbens als des äußersten Aktes – und dieser Problematik betrifft, scheint es mir tatsächlich ein bisschen der Fall zu sein, dass wir hier mit Begriffen wie „Wert“ und „Würde“ – da schließe ich, glaube ich, an den Abgeordneten Grünewald an – etwas sorglos und etwas predigerhaft umgehen. Denn auch der Begriff der Würde ist ein Passepartout-Begriff. Er taucht zwar in allen Menschenrechtsdeklarationen und ebenfalls in der christlichen Tradition auf, es ist mir aber – obwohl ich darüber sehr glücklich gewesen wäre – bisher nicht gelungen, einen konsensuellen Begriff dessen, was Würde ist, vorgesetzt zu bekommen. Wir sprechen immer wieder davon, aber was das eigentlich ist, wird sehr selten klar ausgesprochen.

Ich denke, das Recht auf Leben, das auch im Artikel 2 der Menschenrechtskonvention steht, darf doch eigentlich nicht Lebenspflicht bedeuten. Wenn ich Juristen glauben darf, so besteht immer noch ein Konflikt zwischen Artikel 2 und Artikel 8, dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht auf Privat­heit; zumindest ist eine gewisse Spannung zu spüren.

Für mich, der ich kein Jurist bin, aber der juridischen Argumentation meines Kollegen und Vor­redners sehr aufmerksam gefolgt bin, stellt sich die Grundfrage: Wollen wir Zwang, oder wollen wir mehr Eigenverantwortlichkeit? – Wenn ich mir die politische Diskussion der letzten Jahre in Österreich ansehe, so ist doch die Devise immer wieder gewesen: Weniger Staat, mehr privat! Ich schließe kurz – und das Argument ist polemisch, das ist mir bewusst –: Aber warum sollte es beim ernstesten und letzten Akt des Lebens, nämlich beim Sterben, plötzlich anders sein?

Ich möchte mich kurz fassen. – Auch das Argument des Drucks, der ausgeübt wird, beeindruckt mich nicht sonderlich, weil er durch Gegendruck ausgeglichen werden kann. Es gibt eine er­kleckliche Anzahl von Menschen, die wirklich klar den Wunsch geäußert haben, sterben zu dürfen oder es vielleicht auch selbst aktiv in die Hand zu nehmen, und die von wohlmeinenden Angehörigen – das wurde auch ein paar Mal in der Diskussion erwähnt – bis zum letzten Atemzug am Leben erhalten werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was diesen Druck betrifft, haben wir ihn in jeder Lebenssituation. Es gibt keine frei schwebende Wahl, eine Freiheit transzendentaler Art, die irgendwo im Himmel thront, sondern wir sind in jeder Lebenssituation dem Umfeld und mannig­fachem Druck ausgesetzt. Das Zusammenspiel von diesem Druck und von Freiheit ist das Ent­scheidende.

Ich möchte langsam zum Schluss kommen, obwohl hier unendlich viel zu sagen wäre. Woge­gen ich mich ganz scharf verwahren möchte, ist eine Beurteilung dieser Situation von außen – sei sie negativ oder positiv – im Hinblick auf Lebenssinn oder Sinnlosigkeit. Ich würde mich bis ins Letzte hinein weigern, von außen Lebensqualität oder den Wert eines Lebens – den Wert des Lebens eines Sterbenden, eines Leidenden – beurteilen zu wollen. Aber ich kann dann auch nicht positiv sagen: Ja, das hat doch seinen Sinn, daraus kommt irgendetwas, der hat das so erlebt, und so weiter. Beides halte ich für eine Anmaßung.

Meine Damen und Herren! Als Letztes möchte ich auf ein Argument hinweisen, das Sie alle kennen werden und das auch in der Diskussion um den Suizid sehr oft aufgetaucht ist. Ich habe von vielen Menschen gehört – das ist jetzt nicht philosophisch gemeint, sondern pragmatisch; ich treibe mich offenbar viel zu häufig an Medizinischen Fakultäten herum –, dass der Gedanke daran, dass diese Möglichkeit als äußerste Möglichkeit offen stünde und nicht bestraft würde, sie dazu gebracht hat, sie nicht zu ergreifen, genauso wie viele Leute, die als letzten Ausweg Selbstmord begehen wollten, ebendiesen Selbstmord deshalb, weil sie wussten: Ich kann das, wenn es zum Äußersten führt! nicht begangen haben.

Was ich mir wünschen würde – und ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich das Ganze nach diesen schönen und sehr wichtigen praktischen Ausführungen wieder ein bisschen auf die Ebene der Theorie hinaufgehoben habe –, ist sicher nicht eine Übernahme des niederländi­schen Modells – das hat sehr viele Probleme –, aber zumindest eine liberalere Handhabung oder eine Einschränkung des Strafmaßes, wie es eben vorhin vorgeschlagen wurde. – Ich danke Ihnen.

14.12


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster spricht Herr Abgeordneter außer Dienst Wille.

14.13


Professor Josef Wille¦ (Initiator des Sterbehilfe-Manifests): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde! Es war gleich am Anfang davon die Rede, dass es durch die Entscheidung in Holland möglicherweise zu einem Dammbruch kommt. Der Dammbruch könnte schon lange erfolgt sein, weil auch in der Schweiz Sterbehilfe möglich ist. In Holland hat sich substantiell kaum etwas verändert, sondern nur formell, damit man das Problem leichter erfassen kann.

Aber lassen Sie mich Folgendes sagen: Solidarität mit den Sterbenden heißt das Thema. Kann es Solidarität sein, dass Sie jemandem, der in Sterbebegleitung ist und sich voll dazu bekennt, aber eines Tages sagt: Nun genügt es mir, nun will ich sterben!, dann sagen: Wann Sie sterben werden, das bestimmen wir, nicht Sie? – Selbstbestimmung heißt, dass Sie bestimmen können, aber nicht der betroffene Patient?

Nicht jeder Tod lässt in Würde sterben. Die Tageszeitung „Die Presse“ hat eine ganze Aufstel­lung zum Thema Alzheimer-Krankheit veröffentlicht, deren Ergebnis Folgendes ist: Die Dia­gnose Alzheimer ist nicht einfach ein Ergebnis, das dem Tod gleicht, sondern viel schlimmer! Einige Ärzte sagen ganz konkret, dass da ein Sterben in Würde nicht möglich ist.

Der Nobelpreisträger Hermann Hesse sagte: Der Freitod kann natürlicher sein als so manch anderer.

Der Nobelpreisträger Percy Bridgeman, ein Physiker, erschoss sich. Er hat aber für die Nach­welt eine Forderung hinterlassen, in der es heißt:

In meiner Lage möchte ich einen allgemeinen Grundsatz aufstellen: Wenn das Leben seinem Ende zustrebt, sollte der Einzelne das Recht haben, seinen Arzt zu bitten, es für ihn zu been­den.

Es kann daher nicht so sein, wie hier schon behauptet wurde: Die Parteien wären sich einig, und Sterbehilfe wird abgelehnt. Warum gibt es dann eine Mehrheit der Österreicher, die eine rechtliche Regelung der Sterbehilfe will? – Nicht die jetzt immer wieder angesprochenen 52 Prozent meine ich, sondern andere Umfragen. Die erste Umfrage war vom „Standard“, die zweite vom ORF und die dritte vom IFES. Diese kann sich jeder besorgen, und daraus erfährt man, dass 70 Prozent der Österreicher für eine rechtliche Regelung sind. Aber für gewisse Poli­tiker ist das ja keine Frage, denn sie haben sich darauf geeinigt, einen anderen Weg zu gehen.

Ich möchte Ihnen Beispiele nennen. Ich war der Leiter eines Arbeitskreises „Menschenwürdig Sterben“ mit namhaften Philosophen, namhaften Ärzten und namhaften Juristen. Nachdem wir das Manifest dem Präsidenten des Nationalrates übergeben und der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz vorgestellt hatten, kam es zu einer Serie von Anrufen und Briefen, mit denen ich mich zu befassen hatte. Der tragischste Fall war wohl der Folgende:

Ich war 50 Jahre lang Vertrauensmann, nicht nur in der Partei, sondern auch in der Gewerk­schaft, und ich hatte viel in der Industrie zu tun und mit Industriellen zu verhandeln. Da hat ein ÖVP-Finanzmanager bei mir angerufen und gesagt, er möchte dringend eine Aussprache mit mir haben. An der Stimme habe ich schon gemerkt, dass es wieder um dieses Thema geht. Wir haben, weil ich weit draußen wohne, vereinbart, uns in einem Kaffeehaus zu treffen. Im Kaffee­haus habe ich versucht, ein normales Gespräch zu führen, weil ich gesehen habe, dass er dem Weinen nahe ist. Das war aber nicht möglich. Er wollte mir dann erzählen, dass er Sterbehilfe sucht und will.

Als er davon zu reden begonnen hat, habe ich als Erstes gesagt: Wir brauchen einen anderen Ort, hier können wir nicht darüber reden. Nachdem ihm der Arzt im Krankenhaus erklärt hatte, das sei einfach eine Erkrankung, gegen die er nichts mehr machen könne, und nachdem ein anderer ihm das ebenso erklärt hatte, hatte er beschlossen, dass etwas geschehen musste. Er sagte zum Primarius: Wenn mir nicht geholfen werden kann, werde ich Gewalt anwenden. – Darauf antwortete der Primarius: Ich bitte Sie: aber nicht im Krankenhaus!

Normalerweise sind die Dinge ja einfacher als in diesem Fall. Die Deutsche Maria Ohmberger fuhr um Sterbehilfe in die Schweiz. Dafür gibt es bestimmte Richtlinien einzuhalten. Schließlich war alles abgeklärt, und sie starb in den Armen der Tochter und des Sohnes. Ihr Sohn ist Theo­loge. Die schwer kranke ehemalige Sozialministerin von Brandenburg, Regine Hildebrandt, wurde nach fünf Jahre Krebskrankheit gefragt, was sie von der Sterbehilfe hält. Sie hat gesagt, sie sei dabei, sich das zu überlegen, woraufhin Kritiker gleich gesagt haben: wie in Nazi-Deutschland! – Aber Oskar Lafontaine sagte: Das ist taktlos und dumm, auch wir brauchen eine Lösung!

Der normale Fall ist so: Mein „Lindenwirt“, zu dem ich jahrelang essen ging, war eines Tages nicht mehr da. Auf die Frage, was passiert war, wurde mir gesagt: Er hat sich erhängt. Zu einem Industriellen, zu dem ich wiederholt eingeladen war, um den Neubau des Betriebes zu besu­chen, kam ich nicht, weil er bei jedem Betriebsbesuch wieder so schwer krank war, dass er nicht da war. Eines Tages hat er sich erschossen. Hinterlassen hat er eine Frau und eine schul­pflichtige Tochter. Ein dritter Fall: Ich habe jahrelang ... (Dr. Retschitzegger: Darüber reden wir jetzt nicht! – Univ.-Prof. Dr. Sporn: Wir reden ja jetzt nicht über Selbstmord, sondern über Mord! Das dauert zu lang! – Weitere Zwischenrufe.)

Ja, das ist die Auffassung! Ist es also Mord, wenn unser Vizekanzler, mit dem wir jahrelang zu tun hatten und der als besonnener und überlegter Mann galt, nach Hause geht und sich vom dritten Stock auf die Straße stürzt? Stellt sich da nicht die Frage: Geht das nicht auch uns an? (Univ.-Prof. Dr. Sporn: Hätten wir den, bitte, prophylaktisch töten sollen? – Weitere Zwischen­rufe.)

Ich habe mit meinen Ärzten ein sehr gutes Verhältnis, und ich rede freundschaftlich mit ihnen. Aber wenn ich eines Tages zu einem hinkäme und sagen würde, dass ich sterben will, dann würde er sagen: Du weißt doch, dass das ein Thema ist, an dem ich nicht weiter teilnehmen kann.

Jetzt sage ich etwas, das nicht als Vorwurf an die Politiker aufzufassen ist. Ich war selbst 16 Jahre hier im Parlament, und ich habe mir bei allen Parteien Respekt erworben, weil ich mit allen reden konnte. Es ist schade, dass jetzt einige von der ÖVP und von der FPÖ nicht da sind. Was ich sagen möchte, ist Folgendes.


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: 5-Minuten-Vereinbarung, bitte.


Professor Josef Wille¦ (fortsetzend): Ich bin gleich fertig. – Die ÖVP-Akademie hatte Professor Dr. Kerstnig eingeladen, über die Rolle des Staates zu referieren. Sein Hauptsatz, der überall in der Presse gut ankam, lautete: Der Staat droht zum Entmündigungsunternehmen zu werden, das den Bürger in einen Konsumenten und in einen Klienten verwandelt.

Die Tageszeitung „Die Presse“ schrieb am 31. August 1999: „Die Parteien monopolisieren die Politik ..., der Bürger wird davon ferngehalten.“ – Darüber sollten wir nachdenken!

Der namhafte Hitler-Forscher Joachim Fest schrieb in „Der Spiegel“ einen Artikel über Hitler und die Nachkriegszeit, in dem es heißt: „Die Gegenwart hat dieses eigentliche Vermächtnis jener Jahre“ – Stärkung der Kultur und der Moral gegen die Ängste der Massen – „nie angenommen. Sie baut stattdessen die zivilisierenden Schranken unablässig ab und beglückwünscht sich zu ihrer Lust am Ordinären“. – Wenn das ein so namhafter Historiker sagt, dann sollte es uns durch den Kopf gehen.

Aber „Der Spiegel“ fragte daraufhin den deutschen Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt: Was ist denn Moral für einen Politiker? – Darauf antwortete er in einem Artikel namens „Tanz ums Goldene Kalb“ in „Der Spiegel“ Folgendes: „Die politische Klasse ist, was die Moral angeht, noch schlechter dran als die ‚Managerklasse‘ (Helmut Schmidt).“ Sie hat weder die politische noch die moralische Kraft für die Führung.


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Darf ich um den Schlusssatz bitten!


Professor Josef Wille¦ (fortsetzend): Ich war, wie gesagt, mein Leben lang Politiker. Ich sage das nur, damit jeder Politiker über jenen Satz nachdenken kann, den Helmut Schmidt in einem großen deutschen Journal so betont zum Ausdruck bringt.

Noch verblüffender ist, dass keiner von Ihnen – auch diejenigen nicht, die sich Christen und Theologen nennen – den deutschen Theologen Hans Küng zitiert hat. Sagen Sie nun nicht, Hans Küng wäre nicht der Mann! Er ist jetzt Präsident der Stiftung Weltethos, und er sagte unter anderem auch bei einer Arbeitstagung, wie wir sie hatten, dass weder der Staat noch die Kirche, weder der Priester noch ein Politiker das Recht hat, dem Menschen vorzu­geben, wann und wie er zu sterben hat.

Was ist denn Selbstbestimmung und Selbstverantwortung? – Dass wir uns selbst prüfen und fragen, wann es Zeit ist, und uns nicht immer von anderen die Meinung, die dann als die unsere ausgegeben wird, vorgeben lassen. – Danke.

14.27


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Ich bitte die künftigen Redner, die 5-Minu­ten-Vereinbarung einzuhalten.

Als Nächster gelangt Herr Staatssekretär Dr. Waneck zu Wort. – Bitte.

14.27


Staatssekretär im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen Dr. Rein­hart Waneck¦: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht auf die Polemik der letzten Wortmeldungen eingehen. Trotzdem komme ich mir hier momentan sehr alt vor, weil Dinge beschworen und besprochen werden, die eigentlich über­wunden sein sollten und mit den künftigen Aufgaben unserer Gesellschaft im Grunde nichts zu tun haben. Wir stehen vor ganz anderen Problemen.

In der Reproduktionsmedizin, in der Entwicklung der Neurobiologie werden wir noch ganz andere Probleme bekommen, daher können wir uns nicht über Vorstellungen unterhalten, die eigentlich schon sehr antiquiert sind. Ich sehe auch das niederländische Gesetz als ein anti­quiertes Gesetz, weil es sich aus Dingen entwickelt hat, die eigentlich schon überwunden sein sollten.

Ich weise zum Beispiel nur auf das Transplantationsgesetz hin. Dort wird bei der Transplanta­tion mit gutem Recht getrennt zwischen Entnahmeteam und Implantationsteam, damit der Arzt nicht in die Versuchung kommt, sich für oder gegen das Leben entscheiden zu müssen. Genau diese Aufgabe soll die Gesellschaft nicht einer einzelnen Personengruppe aufbürden.

Auf der anderen Seite ist das auch nicht durch Gesetze und Kommissionen zu regeln. Es gibt kein Gesetz auf der Welt, das vor Missbrauch und Umgehung geschützt ist, und am wenigsten eines in Bezug auf das Sterben.

Ein allerletztes Wort dazu: Es ist auch nicht Selbstbestimmung gewesen, dass ich auf der Welt bin.

Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, die Voraussetzungen für eine optimale intra- und extra­murale Betreuung der Betroffenen zu schaffen, damit gar nicht erst der Boden für eine solche Debatte aufkommt. Ich möchte aber nicht meine Eingangs-Stellungnahme wiederholen, son­dern ich wurde auch gefragt, was es an konkreten Maßnahmen schon gibt beziehungsweise ob schon gewisse Voraussetzungen geschaffen worden sind, zum Beispiel betreffend die Beglei­tung und Betreuung durch Angehörige, und zwar im Hinblick auf die Freistellung von Angehö­rigen zur Sterbebegleitung.

Das ist zwar keine Gesetzesmaterie aus meinem Bereich – das gehört zu den Aufgaben des Wirtschaftsministeriums –, ich weiß aber, dass es diesbezüglich keinerlei konkrete Regelungen gibt. Einzig in § 8 des Angestelltengesetzes ist bei speziellen Verhinderungen die Möglichkeit vorgesehen, zu betreuen, beziehungsweise eine Regelung im Urlaubsgesetz, worin eine Pflegewochen-Freistellung vorgesehen ist, die aber das Problem in keiner Weise wirklich lösen kann. Hier ist daher sicherlich Handlungsbedarf gegeben, und ich habe das ad notam genom­men. Auch wenn man nicht zuständig ist, kann man es ruhig initiieren.

Eine weitere Frage bezog sich darauf, was jetzt an konkreten Maßnahmen geplant ist. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Artikel-15a-Vereinbarung mit den Bundesländern, die, obwohl im Konsens entstanden, schwer genug zustande kam. Darin wurde als Grundsatz fest­gelegt, dass wir in Österreich über das Pionierzeitalter im Bereiche der Hospizbewegung hinaus sind und die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, dass diese mit der Palliativmedizin ihren festen Platz einnimmt.

Daher gehören in der Weiterentwicklung dieses Plans auch die personellen Voraussetzungen dahin gehend geschaffen, dass man im Ausbildungsbereich Möglichkeiten dafür vorsieht, eine entsprechende anerkannte Zusatzausbildung für medizinische Berufe zu bekommen, dass man im Bereich der Verhandlungen mit der Strukturkommission auch zu einer Bewertung dieser Leistung kommt, und dass man – wie das durch Tirol sehr schön dargestellt wurde – massiv in den Bereich der Verbindung oder Vernetzung des intra- und extramuralen Bereichs, also des Zusammenarbeitens von extramuralen Teams mit den stationären Hospizteams, hineingeht.

Das ist es, was ich momentan anbieten kann. Außerdem werde ich mich gerne dafür verwen­den – obwohl das leider auch nicht in mein Gebiet fällt –, in einem interministeriellen Gespräch auf das Wissenschaftsministerium einzuwirken, damit es sich mit dem Gedanken der Errichtung eines Lehrstuhls massiv befasst, wobei ich auch hier um Unterstützung der jeweils zuständigen Dekane und Rektoren ersuche. – Danke vielmals. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.32


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nun gelangt Herr Dr. Trompisch zu Wort. – Bitte.

14.32


Dr. Heinz Trompisch¦ (Lebenshilfe Österreich): Mein Name ist Heinz Trompisch, und ich spreche hier für die Lebenshilfe Österreich, eine Selbsthilfeorganisation und Interessenvertre­tung von Menschen mit geistiger Behinderung und deren Angehörigen.

Als uns die Gesetzwerdung der niederländischen Regelung der Euthanasie bewusst geworden ist, hat uns eigentlich das nackte Grauen befallen. Wenn jetzt dieses Gesetz vom Herrn Staats­sekretär als „antiquiert“ bezeichnet wird, so trifft das von der Mentalität her zu, aber es ist jetzt, am 10. April dieses Jahres, beschlossen und in Kraft gesetzt worden. Es erfüllt uns deswegen mit besonderer Sorge, weil nach diesem Gesetz – und auch nach dessen bereits vorweg laufender Anwendung oder Voranwendung – Tötung ohne Verlangen praktiziert wird.

Professor Klaschik hat eine Graphik gezeigt, wonach bei etwa 40 Prozent der Krebserkrankun­gen eine Tötung ohne Verlangen passiert. Der Schritt von Tötung ohne Verlangen zu Tötung auch von Menschen, die nicht einwilligungsfähig sind – wie etwa Menschen mit geistiger Behin­derung, Komatöse, Alzheimer-Kranke im schwersten Stadium, demente, altersdemente Perso­nen –, ist ein außerordentlich kleiner. Es gibt bereits jetzt Untersuchungen, dass in den letzten zehn Jahren, in denen Euthanasie – wenn auch nicht auf Basis des aktuellen Gesetzes, aber in Vorbereitung dessen – durchgeführt worden ist, weit mehr als 1 000 Menschen mit geistiger Behinderung umgebracht worden sind.

Da muss ich sagen, das ist etwas, was grauenvoll ist. Ich bin durchaus bereit, diesbezüglich Vergleiche mit jener Zeit zu ziehen, die 60 Jahre vorbei ist. Es ist sicherlich nicht aus rasseideo­logischen Gründen geschehen, dass seitens der Niederländer diese Situation herbeigeführt worden ist. Aber das Endergebnis für Menschen mit Behinderung ist im Prinzip das nämliche wie die „Aktion T4“, die Hitler durchführen ließ.

Es geschieht in diesem Bereich sehr vieles unter dem Deckmäntelchen der Leidvermeidung, wobei ich immer mehr den Eindruck habe, dass damit eher das Leid Angehöriger gemeint wird, weniger das Leid des zum Beispiel geistig behinderten Menschen. Dieser hat es in aller Regel nicht. Aber wir sind immer wieder gerne bereit, eigene Empfindungen auch in die behinderten Menschen hineinzuprojizieren und uns aus dem heraus die Legitimation des Auslöschens dieses Lebens zu geben.

Wie sehr ökonomische Elemente bei einer Vorgangsweise wie der niederländischen ein Rolle spielen, ist nie offen gesagt worden. Ich halte es aber durchaus nicht für ausgeschlossen.

Wir leben in Österreich heute in einer Situation, dass Menschen mit einer geistigen Behinde­rung dank wirklich hervorragender medizinischer und ärztlicher Fortschritte alt und älter werden. Wir erleben diese Situation in Österreich zum ersten Mal. Denn eigentlich erst seit 1945 haben wir eine neue Population geistig behinderter Menschen; die Generationen vorher sind ausge­löscht worden. Wir stellen fest, dass wir für die Situation des Älterwerdens geistig behinderter Menschen überhaupt nicht gerüstet sind, weder von der inhaltlichen Seite her, und schon gar nicht von der rechtlichen Seite her – im Sinne einer bestehenden gesetzlichen Regelung, von Absicherungsmaßnahmen und von Rechtsansprüchen.

Das Älterwerden von Menschen mit geistiger Behinderung löst immer wieder Ängste aus. Die­jenigen, die die Medienberichte verfolgen, werden feststellen, dass fünf, sechs, sieben Mal im Jahr Meldungen durch die Zeitungen gehen, wonach eine alte Mutter ihr bereits alt geworde­nes, geistig behindertes Kind tötet und dann sich selbst tötet, und zwar aus der Angst heraus: Wenn ich nicht mehr lebe, was passiert dann mit meinem geistig behinderten Kind? Ich denke, das sind Dinge, die uns eigentlich zum Handeln auffordern sollten!

Auch für den geistig behinderten Menschen kommt sicherlich der Zeitpunkt des Sterbens. Ich fordere hier, dass dem geistig behinderten Menschen – wenn es jetzt auch plakativ und schlag­wortartig klingt – das Recht auf Sterben in Würde genauso zustehen möge wie jedem anderen Bürger und jeder anderen Bürgerin dieses Staates! Das bedeutet auch die Miteinbeziehung dieser Personengruppe mit ihren besonderen Bedürfnissen und ihrer besonderen Umwelt in palliativmedizinische Maßnahmen – mit all dem, was hier dazugehört –, um dieses Leben genauso wie jedes andere Leben mit Sinn beenden zu können. – Danke vielmals.

14.37


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr DDr. Landau spricht als Nächster. – Bitte.

14.37


Referent DDr. Michael Landau¦ (Direktor der Caritas Wien): Vier Punkte, auch in Reflexion auf das Ge­sagte. – Erstens danke ich Herrn Abgeordneten Grünewald für die differenzierte Darlegung über den Alltag in den Spitälern und darüber hinaus. Ich denke, das lässt sich in der Form zusammen­fassen: Wenn nichts mehr zu machen ist, dann ist noch viel zu tun.

Wenn ich mich frage, wohin der Weg führen soll, dann vielleicht dorthin: Wo Menschen leben und sterben, brauchen sie einen selbstverständlichen und leicht zugänglichen Zugang zu Pallia­tivmedizin, zu Palliative Care, zu umfassender Sorge. Diesen Zugang gilt es zu ermöglichen.

Zweitens haben Sie, Herr Abgeordneter Pumberger, die Bedeutung der Betreuung zu Hause, der mobilen Betreuung unterstrichen. Dafür danke ich. Die Caritas betreut heute in Wien bereits jeden zweiten Hospiz-Patienten durch das Team des mobilen Caritas-Hospizes, in Zusammen­arbeit mit der Stadt, mit Unterstützung der Stadt und mit Unterstützung der Wiener Krankenkas­sen, wofür ich dankbar bin. Diese Betreuung ist möglich.

Es ist hier aus der Sicht der Mediziner darauf hingewiesen worden, dass in dieser Hinsicht auch die Spitäler einen unersetzbaren Dienst leisten. Was ich unterstreichen möchte, ist, dass nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden darf. Beides ist notwendig. Ich glaube, dass ein gutes Ordnungsprinzip, das sich ja auch im Bereich der Hauskrankenpflege quer durch Öster­reich bewährt hat, lautet: So viel mobil wie möglich, und so viel stationär wie nötig.

Diesen Punkt spreche ich immer wieder an, weil ich die Sorge habe, dass man auf Bettenpläne verweist und sagt, mit der Schaffung von Betten hätte man alle Probleme gelöst. – Das ist es nicht, es geht um mehr. Es geht eben um diese Integration in den Alltag der Spitäler, in den All­tag der Pflegeheime, in den Alltag der verschiedenen Formen mobiler und stationärer Betreu­ung. Das Problem ist nicht durch Bettenpläne allein zu lösen, so wichtig die Schaffung von Betten, so wichtig die Frage der Regelfinanzierung mobil und stationär auch ist.

Dritter Punkt: Es gab eine Frage nach der Pflicht zur Betreuung, der Verpflichtung zur Betreu­ung. – Nein, da ist keine Pflicht, wohl aber ein Recht auf Betreuung, ein wirkliches Recht mit der notwendigen Sicherheit, das heißt, ein klarer Rechtsanspruch, wie es ihn im internationalen Vergleich auch in anderen Ländern – ich habe Frankreich erwähnt – schon gibt.

Ich möchte dafür plädieren, hier vier Punkte außer Streit zu stellen: erstens die Rechtssicher­heit, also den klaren Rechtsanspruch; zweitens, dass es sich um rasche und flexible Modelle handeln muss, die sich an der Wirklichkeit der Betroffenen orientieren. Sie können sich das etwa bei Voll- und Teilzeit vorstellen. Oft wird Teilzeit gut, vielleicht sogar ganz ausreichend sein. Andererseits werden Sie, wenn es um ein kleines Kind geht, das im Sterben liegt, der Mutter eine Möglichkeit einräumen sollen, hierfür auch Vollzeitkarenz in Anspruch zu nehmen. – Das heißt „rasch und flexibel“.

Dritter Punkt: Entscheidend aus meiner Sicht ist die Frage der existenziellen Absicherung. Es darf nicht sein, dass Sterbebegleitung zum Privileg einiger weniger wird. Ich habe es in meinem Referat gesagt und sage es noch einmal. Denken Sie zum Beispiel an die Kassierin im Super­markt, die ihre sterbende Mutter zu Hause hat, die es sich aber einfach nicht leisten kann, zu Hause zu bleiben und aus dem Beruf auszuscheiden.

Was mir wichtig zu sein scheint, ist die Perspektive danach. Das bedeutet ein klares Recht auf Rückkehr in den Beruf und ein klares Recht darauf, nicht aus diesem Motiv heraus gekündigt zu werden, wie das heute im Bereich der Baby-Karenz schon klar normiert ist.

Beim vierten Punkt denke ich an die Stellungnahmen von Herrn Abgeordneten Niederwieser und Herrn Abgeordneten Posch; ich meine, dass man diese Punkte sehr ernst nehmen muss. Was ist zu tun mit den Leuten, die einen Sterbewunsch äußern?

Mich hat in diesem Zusammenhang eine Untersuchung sehr nachdenklich gemacht, die Pro­fessor Zulehner jüngst auf seiner Homepage veröffentlicht hat – weniger prominent, weil diffe­renzierter als manches, was bisher geboten worden ist –, nämlich eine Untersuchung des Market-Instituts. Dort wurde auf die Frage geantwortet, warum Menschen das eigentlich wollen und was die Motive derjenigen sind, die sagen, sie würden gerne ihr Leben beenden oder beendet wissen, wenn es darauf ankommt. Da lautete der erste Punkt: wenn es nicht mehr möglich ist, die Schmerzen zu beseitigen; der zweite Punkt: wenn ich Angehörigen zur Last falle; und der dritte Punkt: wenn mein Sterben zu teuer kommt.

Zulehner sagt, dass man auf zwei Arten darauf reagieren kann. Zum einen wäre das konserva­tiv destruktiv: Wenn es Schmerzen gibt, dann werden die Schmerzen durch Töten beseitigt. Wenn es eine Belastung für Angehörige gibt, wird diese durch Töten beseitigt. Wenn das Sterben zu teuer kommt, wird das Budget durch Töten saniert.

Oder, sagt er, es könnte auch progressiv, kreativer und fortschrittlicher gehen. Wenn Schmer­zen die Ursache für Euthanasie sind, dann gilt es, durch ähnlich hohen Einsatz wie bei der sündteuren Genforschung Anstrengungen der High-Tech-Medizin zu verstärken, die darauf abzielen, die Restschmerzen zu beseitigen. Wenn es darum geht, dass die Last für die Ange­hörigen gefürchtet wird, dann ist eine Sozialpolitik zu entwickeln, welche die Angehörigen ent­lastet – Karenzierung, ambulante Hospizarbeit, Erneuerung der Pflegestationen. Wenn das Sterben zu teuer ist, dann heißt die progressive Variante: zeitweilige Umschichtung des Militär­etats in den Sozialetat, so Zulehner. Er sagt: Sterben mit Würde zählt mehr als der Ankauf tod­bringender Verteidigungssysteme.

Was ich als Bitte an Sie und die Abgeordneten an den Schluss stellen möchte, ist Folgendes: Ich denke, wir können Grundsatzdebatten sehr lange führen, und ich will nicht verschweigen, dass solche Dinge auch wichtig sein können. Noch wichtiger ist es meiner Ansicht nach, daran zu denken, dass sich durch eine Grundsatzdebatte für keinen Sterbenden und keine Sterbende in diesem Land irgendetwas geändert und verbessert hat.

Wir können viel tun, um Sterben in unserem Land menschlicher und besser zu ge­stalten. Mein Appell an Sie ist, heute das zu tun, was für die Menschen möglich ist. Ich appel­liere an Sie, das Mögliche zu tun, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch durch konkretes Handeln. Dafür, denke ich, kann diese Enquete nur ein Anfang und sicher nicht das Ende sein. – Danke.

14.45


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Professor Körtner ist der Nächste. – Bitte.

14.45


Referent Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner¦ (Institut für Systematische Theologie an der Universi­tät Wien): Nachdem es jetzt eine längere Diskussionsrunde gegeben hat, möchte ich noch ein­mal von ethischer Seite auf die angesprochene Menschenrechtsproblematik und auf einige rechtsethische Aspekte eingehen. Mein Thema, zu dem zu sprechen ich gebeten war, war ja der Gatterer-Bericht.

Es hat sich für mich heute herausgestellt, dass es hier Konsens darüber gibt: Palliativ­medizin muss in Österreich gefördert werden. Es muss flächendeckend einen Anspruch darauf sowie auch auf begleitende, flankierende Maßnahmen wie vielleicht Karenzierungen und so weiter geben. Es gibt auch Konsens darüber – von einzelnen Stellungnahmen abgese­hen –, dass man an dem derzeitigen Strafrecht nichts ändern will und der Meinung ist, dass der Rechtsrahmen in Österreich so, wie er jetzt ist, gut ist.

Mit meinem ersten Punkt möchte ich jetzt den Ball noch einmal an die anwesenden Politiker zurückspielen: Wie immer man auch mit solchen Umfragen umgeht, wenn das wirklich partei­übergreifend ein Konsens ist, dann sehe ich eine wichtige Aufgabe darin, dass die Politiker, dass die Politik hierüber auch mit der Bevölkerung in Kommunikation tritt. Anders gesagt, Sie haben dann ein Vermittlungsproblem.

Denn mit Respekt, Herr Wille – wir haben in diesen Fragen schon ein paar Mal die Klingen ge­kreuzt, und auch mit Herrn Kampits –: Ich kann natürlich tausend Leute anführen; ich würde das schlicht Populismus nennen. Das sind keine Argumente, das ist zuerst einmal nur eine Auflis­tung von Leuten, die so oder so denken. So stelle ich mir aber nicht eine seriöse rechtspoli­tische und rechtsethische Diskussion vor. Das heißt aber, hier sind nicht nur wir immer wieder angefragte Ethiker gefordert – es heißt dann immer, die mögen doch bitte irgendetwas dazu sagen –, sondern da sind auch Sie gefordert, sich mit der Bevölkerung darüber auseinander zu setzen, warum sie denn der Meinung ist, dass es so ist. Schlimm ist es, wenn man dann in den Zeitungen lesen kann: Bevölkerung dafür, Politiker mauern und sind dagegen. – Ich glaube, dass das nicht so ist. Aber das muss auch vermittelt werden.

Zweiter Punkt: Es war die Rede von der Wertegemeinschaft und von der Fragwürdigkeit solcher Begriffe wie „die Niederlande stehen außerhalb der Wertegemeinschaft“. – Ich bin da sehr Ihrer Meinung, Herr Abgeordneter, nur möchte ich auch aufgreifen, dass Sie von der Todesstrafe gesprochen haben. Es ist in der Tat ein großes Problem, dass die USA sie haben. Sie wissen auch, dass in einem Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt worden ist, dass es in Europa zum Standard gehört, dass es die Todesstrafe nicht mehr gibt. Wir sind jetzt genau an dem Punkt, an dem wir diskutieren, dass, obwohl keine Notwehr vor­liegt, plötzlich der Artikel 2 – ich sage es einmal zurückhaltend – einer neuen Interpretation zu­geführt werden soll. Zumindest gehört es für die europäische Wertegemeinschaft offensichtlich zum Standard, zu sagen: Todesstrafe widerspricht unserem Standard, und diesbezüglich gibt es ja auch einen Konflikt mit den USA.

Im Kern geht es doch um folgenden Konflikt, der vorhin auch noch einmal von juristischer Seite benannt worden ist – das ist für mich jetzt ein ethisches Thema –: Gilt der Artikel 2 der EMRK uneingeschränkt?

Darauf stützt sich der Gatterer-Bericht, an dem ich ja mitgearbeitet habe. Die Linie darin ist: Der Ausgangspunkt für alle Überlegungen in diesem Bereich ist der Artikel 2. Ich möchte noch ein­mal sagen, dass es wirklich ein politisch wichtiges Thema ist, zu sagen: Menschenrechte müssen im Hinblick auf neue Herausforderungen neu fortinterpretiert werden. Es war auch von der Reproduktionsmedizin und der Biomedizin die Rede. Das Problem besteht darin: Wir sind uns alle einig über Menschenwürde als Grundwert, aber es ist dann immer wieder das Problem, wer oder was Menschen im Sinne der Menschenrechte sind, wer unter diese Klauseln fällt, wie lange sie darunter fallen und in welchem Ausmaß ihnen das Recht zugebilligt wird.

Die Frage lautet daher: Ist Artikel 2 grundlegend, oder wird er durch Artikel 8 betreffend das Recht auf Privatsphäre relativiert? – Diese Frage ist ethisch von Belang, sie muss hier weiter diskutiert werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich jetzt die Frage: Was verstehen wir unter dem Recht auf den eigenen Tod? – Das ist ja ein Rilkescher Satz – es sind heute schon so viele Dichter zitiert worden –, „o Herr, gib jedem seinen eigenen Tod“. Heißt Recht auf den eigenen Tod, heißt Recht auf menschenwürdiges Sterben das Recht, getötet zu werden? Also nicht nur das Recht, sich selbst zu töten, sondern von einem Zweiten oder Dritten getötet zu werden? – Wir müssen darüber diskutieren, ob das darin enthalten ist.

Nun können wir natürlich sagen, wir haben in Österreich eine bestimmte Rechtslage, daher ist es Wurst, was da die Niederländer oder auch die Schweizer machen. Aber wenn wir begreifen, dass wir Mitglied der Europäischen Union sind und dem Europarat angehören, dann können wir nicht einfach zusehen, dass die Entwicklung der Rechtsordnung in den Niederlanden in einer bestimmten Weise vor sich geht und in der Schweiz in eine noch andere Richtung geht, nämlich zur legalisierten Beihilfe zur Selbsttötung, und zwar, wohlgemerkt, auch für Ärzte! Man muss hier für Deutschland noch einmal sagen: Die Beihilfe zur Selbsttötung ist zwar straffrei, aber das ärztliche Standesrecht erlaubt es keineswegs, dass man das so einfach machen darf.

Das kann uns deshalb nicht gleichgültig sein. Wenn in Belgien oder in Frankreich entspre­chende Gesetzgebungen vorbereitet oder zumindest diskutiert werden: Was machen wir, wenn es dazu kommt, und wenn wieder Umfragen gemacht werden und dann nicht 50, sondern 70 oder 80 Prozent in unserer Bevölkerung sagen, wir sind jetzt aber der Meinung, dass das auch kommen sollte? – Daher ist die Politik hier klarerweise gefordert.

Darum komme ich noch einmal zu dem Schluss, von dem ich mir wünsche, dass er hier nicht ganz untergeht. Die Frage ist für mich: Was machen wir, oder was machen auch die Mandatare, was macht nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament an dieser Stelle, um eine ver­meintlich konsensuelle österreichische Position, nicht im Sinne von Diffamierung, sondern wirk­lich aktiv – ich sage es noch einmal – außenpolitisch einzubringen? Wie wollen Sie das rechts­politisch umsetzen?

Das heißt noch einmal konkret: Welchen Stellenwert hat der Gatterer-Bericht – der Name tut jetzt nichts zur Sache –, welchen Stellenwert hat diese Empfehlung des Europarates für uns? Nicht nur, dass wir sagen, wir wollen die Palliativmedizin gefördert sehen – das ist alles gut und schön –, sondern auch außenpolitisch: Was wird daraus abgeleitet? In welcher Weise geden­ken wir, wenn uns das wichtig ist, diesem Papier als Auslegung der Menschenrechte in diesem Bereich eine größere Verbindlichkeit zu geben?

Ich komme damit noch einmal zu meinem ceterum censeo, wie ich es auch in der Frage der Biomedizin in letzter Zeit schon mehrfach gesagt habe: Wir müssen an dieser Stelle über die Bioethik-Konvention diskutieren. Wir müssen an dieser Stelle auch über eine allfällige Ratifi­zierung dieser Konvention durch das Parlament diskutieren. Da dies eine parlamentarische Enquete ist, wiederhole ich es nochmals: Ich meine, Sie als Parlamentarier wären wirklich ge­fordert, dieses Thema endlich aufzugreifen, weil es in der Öffentlichkeit bisher überhaupt nicht diskutiert und nicht kommuniziert worden ist. – Vielen Dank.

14.52


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Professor Taupitz ist der Nächste. – Bitte.

14.52


Referent Univ.-Prof. Dr. Jochen Taupitz¦ (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Mannheim): An mich wurde die Frage gerichtet, inwieweit sich das Recht aus dem Ganzen heraushalten solle. Da­hinter steht letztlich implizit die Frage und vielleicht sogar die Forderung nach der Privatheit des Sterbens.

Ich möchte einen Dreh- und Angelpunkt in diesem Zusammenhang nennen und von daher die Frage beantworten: Was hat das Recht in diesem Kontext überhaupt zu suchen? Es betrifft den gesellschaftlichen Wertekonsens.

Solange Ethik, Moral, Religion oder andere Steuerungsinstrumente ihre Funktion erfüllen, so­lange in einer Gesellschaft ein Standard dafür besteht, was man mit den Menschen macht, und dieser Standard auch von allen akzeptiert wird, kann sich das Recht zurückhalten. In dem Moment aber, in dem dieser Wertekonsens schwindet – aus welchen Gründen auch immer –, kommt aus meiner Sicht das Recht mit zwei ganz wichtigen Funktionen in die Vorhand.

Erstens hat das Recht in dieser Situation zu sagen, wo es langgehen soll. Es hat also entweder korrigierend einzugreifen, wenn Missstände auftreten – ich sage immer wieder: Missstände sind aus einem bestimmten Blickwinkel definiert, über den wir uns alle noch einigen müssten –, aber auf der anderen Seite auch wertprägend zu wirken. Auch das Recht hat eine Vorbildfunktion, es hat die Gesellschaft in der Weise zu beeinflussen, dass die Menschen wissen, was gut, was böse, was richtig, was legitim, was illegitim ist. In dieser Weise hat also das Recht eine wichtige Funktion.

Dazu kommt ein zweiter Punkt, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Das Recht hat für Rechtssicherheit zu sorgen, und zwar dann, wenn, nachdem ein Mensch gestorben ist, die Rechtsordnung kontrolliert: Hat der Arzt einen Fehler gemacht? Haben die Angehörigen einen Fehler gemacht? – Wenn das Recht in dieser Weise nachträglich kontrollierend eingreift, dann hat das Recht auch die verdammte Pflicht, den Betroffenen – nämlich den Ärzten, den Angehö­rigen und auch den Betroffenen selbst, deren Leben oder Sterben in Frage steht – vorher zu sagen, was rechtens ist, wie sich die Ärzte entscheiden sollen, was von ihnen von Rechts wegen verlangt wird.

Diese Rechtssicherheit ist es auch, die ich in vielen Punkten vermisse, wenn es um die Frage der Patientenverfügung geht. Wenn man den Betroffenen zwar im Vorhinein sagt: Ihr könnt ein schriftliches Dokument fertigen, aber ob es die Ärzte später beachten, ist noch ganz unklar, das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, da kommt dann noch eine Vernünftigkeitskon­trolle, weil die Ärzte aus ihrem Berufsethos heraus, wie auch andere Berufsgruppen aus ihrer Anschauung heraus, eine eigene Vernünftigkeitskontrolle oder einen eigenen Vernünftigkeits­maßstab setzen!, dann nützt eine solche Patientenverfügung relativ wenig.

Wenn man den Betroffenen aber sagt: Das, was ihr schriftlich oder in anderer Form niederlegt, ist verbindlich, ihr werdet selbst an eurem eigenen Wort festgehalten, und deswegen überlegt euch gut, was ihr für eure eigene Zukunft anrichtet!, dann hat das für die Menschen eine ganz andere Bedeutung. Dann wissen sie, welche Entscheidung sie treffen und treffen können, weil es ihnen die Rechtsordnung erlaubt.

Damit komme ich zum letzten Punkt der Frage, was die Rechtsordnung in diesem Gebiet zu suchen hat. Die Rechtsordnung muss den Betroffenen auch Rechtssicherheit in dem Spagat zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung geben. Ich glaube, dass dieser Spagat nicht allgemein auflösbar ist. Wir haben heute eine Fülle von unterschiedlichen Stellungnahmen dazu gehört, was richtig ist, was gut ist und welche Selbstbestimmungsmöglichkeiten die Men­schen haben sollen.

Wir haben von Seiten unseres Instituts eine umfangreiche Dokumentation erstellt zu dem Thema, das wir heute hier diskutiert haben. Da gibt es keine Schwarzweißmalerei. Auch die Holländer sollte man meiner Ansicht nach nicht in die böse Schmuddelecke stellen. Die Holländer haben eine andere historische Vergangenheit, eine andere Kultur als andere Länder, und das sollte man akzeptieren. Man sollte selbstverständlich seine eigene Auffassung deutlich zum Ausdruck bringen. Man sollte für die eigene Gesellschaft die Verantwortung auf sich neh­men und den eigenen Bürgern sagen, was man ihnen zumutet, was man ihnen überantwortet oder was man anderen in das Verantwortungsheft hineinschreibt.

Letztlich läuft das Ganze auch auf die Frage hinaus, welche Verantwortung insbesondere der Ärzteschaft übertragen wird. Was an Selbstverantwortung des jeweils Betroffenen – vielleicht auch unter der falschen Flagge der Selbstverantwortung – erscheint, ist natürlich eine Endver­antwortung der Ärzteschaft. Für die Ärzte ist es manchmal sehr bequem, wenn sie nicht selbst die Entscheidung darüber treffen müssen, ob sie einen Patienten weiterbehandeln, eine andere Behandlungsmethode oder palliativmedizinische Methode wählen, sondern wenn sie sagen können: Der Betroffenen hat es ja so gewollt, also schalten wir die Geräte ab.

Es geht also um die Verantwortungsteilung zwischen den verschiedenen betroffenen Gruppen: die Verantwortung der unmittelbar Betroffenen, um deren Leben es geht, die Verantwortung der Ärzteschaft, die Verantwortung der Familie, die Verantwortung des Staates für seine Bürger. Dies kann jedes Land letztlich nur von seiner kulturellen Identität her beantworten, und da gibt es – ich sage es noch einmal – kein Schwarzweißmalerei. – Vielen Dank.

14.57


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nun gelangt Frau Mag. Teuschl zu Wort. – Bitte.

14.57


Referentin Mag. Sr. Hildegard Teuschl cs.¦ (Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz Öster­reich): Zwei Antworten auf zwei Anfragen zu Ausbildung und Vernetzung:

Zum Stand der Ausbildung in Österreich. Kollege Retschitzegger hat schon über die Mediziner gesprochen, wobei ich traurig darüber bin, dass wir sagen müssen: Ab 2002 soll es kommen. Denn eigentlich sollte es schon da sein.

Ich möchte es nicht unterlassen, hier noch einmal ein Bekenntnis zu den interdisziplinären Fort­bildungsmaßnahmen abzulegen. Ich erlebe es mit großer Freude, wie sinnvoll es ist, wenn Mediziner, Pflegepersonen, Seelsorger und Sozialarbeiter miteinander lernen. Wir haben übermorgen in der Kardinal-König-Akademie wieder 50 Absolventen zu einer einjährigen inter­disziplinären Fortbildung, in deren Rahmen sie erstens einmal miteinander lernen, an einem Palliativprojekt gemeinsam zu arbeiten und das dann auch umzusetzen. Es ist für alle eine große Freude, dies zu erleben: Ich bin entlastet durch das Netz der anderen Berufe, in dem ich meine Tätigkeit ausführe.

Zur Ausbildung – wenn ich von der Basis her anfange: Was es schon am längsten gibt, sind Fortbildungsmaßnahmen in Sterbebegleitung sowie Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung für Altenhelfer und für Familienhelferinnen. Da gibt es seit zwölf Jahren 80 Stunden im Lehrplan und ein vier bis sechs Wochen dauerndes Pflegepraktikum mit schwer kranken, alten Men­schen. Hinzu kommt, dass wir in der Ausbildung von Pflegepersonen 20 Stunden pro Semes­ter – und das in zwei Semestern – im Curriculum für Diplompflegepersonen festgelegt haben.

Selbstverständlich ist das zu wenig, und es kommt für junge Pflegekräfte zu einem Zeitpunkt, zu dem sie in der Schule meistens noch nicht damit konfrontiert sind. Daher muss auch in dieser Hinsicht das Schwergewicht auf die Fortbildung gelegt werden.

Der Dachverband Hospiz Österreich hat vorige Woche Standards für die Befähigung ehrenamt­licher Mitarbeiter verabschiedet, weil wir glauben, dass man nicht „professionell“ und „ehren­amtlich“ gegenüberstellen darf, sondern dass auch die Ehrenamtlichen für diese Tätigkeit in einer gewissen Weise professionell eine Befähigung haben müssen. Zur Befähigung für Ehren­amtliche wurde der Standard mit 70 Stunden für Ausbildung und 40 Stunden für ein Praktikum festgelegt. Das wird all denjenigen, die Ehrenamtliche einsetzen, demnächst zugehen.

Zu dem Punkt Vernetzung gab es die Anfrage: Warum gibt es so viele Probleme zwischen Spital, Pflegeheim, Hausarzt und mobiler Pflege? – Ich sehe da zwei Notwendigkeiten. Die eine besteht darin, dass es grundsätzlich Ländersache ist, hier nach einem besseren Management zu suchen. Das ist in erster Linie nicht eine Finanzfrage, sondern eine Managementfrage, und ich würde sehr hoffen, dass im Anschluss an diese parlamentarische Enquete die Länder ge­nötigt werden, in dieser Hinsicht besser vorzusorgen.

Wir hatten diesbezüglich vor kurzem in der Landesregierung von Niederösterreich eine sehr große Enquete, in der sich das Land eindeutig dazu bekannt hat, Schnittstellen-Management zu machen. Es ist heute schon die Steiermark erwähnt worden, es ist auch das Beispiel Tirol ge­nannt worden. In Vorarlberg gibt es ebenfalls ausgezeichnete Versuche. Ich glaube, der Vorarl­berger Kollege ist nicht mehr hier im Saal; sonst hätte ich ihn gebeten, noch kurz darüber zu berichten. – Das ist das eine.

Das Zweite ist, meiner Ansicht nach muss man – genauso wie Dr. Retschitzegger vorhin gesagt hat: Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung  auch sagen: Information, Information, Information für die Basis. Es sind vor allem die Angehörigen und Pflegenden, die da weiterhelfen könnten, und es sind Sie alle, meine Damen und Herren, die heute, wenn Sie hier hinausgehen, sich einen sol­chen Prospekt mitnehmen können, auf dem Sie entweder die Homepage http://www.hospiz.at verzeichnet finden oder auch die aktuellen Dienste mit Telefonnummern nachlesen können, an die man sich in ganz Österreich um Beratung wenden kann. Das heißt nicht, dass jemand in Rohrbach einspringt, wenn Sie ein Problem in Gänserndorf haben, aber Sie können in Rohrbach anrufen, und dort wird Ihnen dann gesagt, wohin Sie sich wenden können.

Zudem legen wir den Folder von der Caritas ganz bewusst für die Hand jedes Bürgers auf und können ihn hoffentlich sehr breit verteilen. Darin werden ebenfalls viele Ansprechpartner ge­nannt, an die man sich wenden kann. Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen, die unter normalen Umständen genau wissen, wo man nachsehen kann, dann, wenn sie in eine Notlage geraten, wenn Vater, Mutter oder Kind plötzlich schwer krank sind, völlig konfus reagieren und nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Es gibt heute genügend Stellen, die Auskunft geben können.

Bitte nehmen Sie von beiden Prospekten, die draußen aufliegen, etwas mit und geben Sie es weiter. – Danke schön.

15.02


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Frau Mag. Loibner ist die Nächste. – Bitte.

15.02


Mag. Gerlinde Loibner¦ (Bundesministerium für Finanzen): Mein Name ist Gerlinde Loibner; ich bin im Bundesministerium für Finanzen in der Budgetsektion tätig und darf kurz auf die Frage der Finanzierung eingehen.

Seitens des Bundesministeriums für Finanzen wird die Auffassung vertreten, dass es sich bei der heute besprochenen Thematik grundsätzlich um einen sehr wichtigen und auch prioritären Bereich handelt. Es wird aber auch die Frage der Kosten und Folgekosten für allfällige Maßnah­men in diesem Bereich – sowohl für den Bundeshaushalt als auch für die übrigen Gebietskör­perschaften – und natürlich die Frage der Bedeckung dieser Kosten zu klären sein. Dies muss vor dem Hintergrund geschehen, dass dem Bund angesichts des einzuhaltenden Nulldefizits nur begrenzte Budgetmittel zur Verfügung stehen.

Es wird daher, soweit der Bundeshaushalt betroffen ist, auf Bundesseite zu überlegen sein, wie allfällige Vorhaben durch Umschichtungen und Rücknahmen in anderen Bereichen vom jeweils zuständigen Ressort – das heißt also: ohne zusätzliche Bundesmittel – finanziert werden können. Zumindest wird man diese Frage der Finanzierung noch in den zukünftigen Budgetver­handlungen zu klären haben. – Danke schön.

15.04


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Frau Dr. Steindl spricht als Nächste. – Bitte.

15.04


Dr. Gertraud Steindl¦ (Aktion Leben Österreich): Ich bin die Generalsekretärin der Aktion Leben Österreich. Die Aktion Leben Österreich tritt für den umfassenden Schutz menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod ein.

Wir unterstützen alle Vorschläge und Maßnahmen, die ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt ermöglichen. Wir schließen uns hier insbesondere den Stellungnahmen von Dr. Landau und Schwester Hildegard Teuschl an. Wir sind überzeugt davon, dass der Schutz menschlichen Lebens in erster Linie durch Bewusstseinsbildung für Wert und Würde des menschlichen Lebens zu sichern ist. Das gilt für den Beginn menschlichen Lebens ebenso wie für das Lebensende. In Sachen Bewusstseinsbildung für das Lebensende ist heute hier sehr viel Gutes und Vorbildliches geschehen. Wir würden uns wünschen, dass für die Bewusstseinsbildung am Anfang menschlichen Lebens auch einiges passiert und einmal eine Enquete dem Thema ge­widmet ist: Wie können Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden? Durch welche positiven Maßnahmen kann das erreicht werden?

Wesentlich für die Bewusstseinsbildung ist auch die Bildungsarbeit, und zwar eine Bildungs­arbeit, die schon bei den Kindern beginnt. Dort, wo es keine Begegnung mehr gibt zwischen Jung und Alt, zwischen Gesund und Krank, zwischen Behindert und Nichtbehindert, wird es sehr schwer sein, Verständnis für die Bedürfnisse des jeweils anderen zu wecken. Ich möchte dazu noch einige Aspekte anführen.

Der Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod muss gelernt werden, wir können das in aller Regel nicht von uns heraus. Wir müssen Bildungseinrichtungen dafür vorsehen, wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass Bildungseinrichtungen auch ein entsprechendes Angebot machen können. Es ist zu spät, sich damit zu beschäftigen, wenn wir selbst Betroffene sind, wir müssen hier viel früher ansetzen. Was unbekannt ist, macht Angst und weckt schmerzliche Phantasien. Wir können dem dadurch begegnen, dass wir frühzeitig und auf Vorrat lernen.

Menschenwürdige Sterbebegleitung muss erlebbar sein und erfahrbar werden als eine Hilfe zur positiven Bewältigung des letzten Lebensabschnittes, und zwar eingebettet in ein umfassendes Hilfssystem. In dieser Hinsicht kommt der Hospizbewegung meiner Ansicht nach eine beson­dere Aufgabe in der Öffentlichkeitsarbeit zu.

Gestorben wird nicht nur im Alter beziehungsweise nach zumindest einigen Lebensjahren, ge­storben wird auch am Lebensbeginn. Es geht uns als Aktion Leben auch um das Lebensrecht und die menschenwürdige Sterbebegleitung bei schwerstbehinderten Neugeborenen und sehr unreifen Frühgeborenen. Euthanasiebestrebungen verschaffen sich zunehmend auch dort Gehör. Ich erinnere nur an Bioethiker wie Singer und Kuhse, die die Tötung schwerstbehinder­ter Neugeborener verlangen.

Was heißt „schwerstbehindert“? Wie sieht es mit den intensivmedizinischen Maßnahmen bei diesen neugeborenen Kindern aus? Was wird für die Eltern und für die Kinder getan? Was wird aus Kostengründen unterlassen? Oder: Was wird unterlassen, um den Eltern Leid zu ersparen? Wer bestimmt die Grenze des Ertragbaren? Was ist, wenn eine Schwangere, die einen lebens­unfähigen Fötus erwartet, sich dennoch für die Geburt dieses Kindes entscheidet und sich für den Weg entscheidet, das Kind dann in ihren Armen sterben zu lassen? Wie sieht da der Ab­schied in Würde aus? Welche Möglichkeiten hat sie? Welche Begleitung steht ihr zu?

Hier ist noch vieles zu tun! Es gibt noch sehr wenige Hilfen. Es gibt keine Hospizbewegung, die sich dieser Menschen annimmt. Es gibt noch sehr viel zu tun für die Eltern, für die Mütter und auch für die Kinder.

Es geht der Aktion Leben darum, nicht automatisch die Entscheidung für einen späten Schwan­gerschaftsabbruch von einer Frau zu erwarten, sondern der Mutter und den Eltern die Option offen zu lassen, sie zu respektieren, wenn sie sich anders entscheiden. Wir halten es für ein Gebot der Menschlichkeit, der Mutter, der Familie in solchen Lebenssituationen die gleiche Zu­wendung, Aufmerksamkeit und Betreuung seitens der Pflegenden und Ärzte zukommen zu lassen wie den Neugeborenen sowie jede Stützung psychosozialer und auch psychotherapeu­tischer Art, die sie wünschen, um den Abschied vom Kind zu bewältigen.

Euthanasietendenzen am Lebensanfang, die von einer sich rasant entwickelnden Pränataldia­gnostik angefacht werden, sind ein eigenes Problemfeld. Es gibt aber sehr viele Parallelen zu unserer heutigen Diskussion. Auch am Lebensanfang ist die Menschenwürde in Gefahr, auch hier bedarf es vieler verschiedener Maßnahmen zum Schutz und zur Begleitung Betroffener. Wir würden uns wünschen, dass auch darüber in einem solchen Rahmen gesprochen werden kann.

15.09


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nun gelangt Herr Professor Dr. Holger Baum­gartner zu Wort. – Bitte.

15.09


Referent Ass.-Prof. Dr. Holger Baumgartner¦ (Institut für Biochemische Pharmakologie an der Universität Innsbruck): Die Frage ist aufgetaucht: Nach Holland zur Euthanasie – Fremdenver­kehr neuer Art? – Das funktioniert nicht, denn das holländische System setzt voraus, dass der Arzt einen Menschen gut kennt und dass dieser Wunsch deponiert ist. Dort hat man durch die Niedergelassenen ein anderes Betreuungssystem, dort hat man ihn zugewiesen. Das funktio­niert nicht, ich habe mich erkundigt – nicht aus Eigeninteresse, sondern grundsätzlich.

Nun zum Morphin und dem Doppeleffekt: Es heißt dann immer, dass eine gewisse Dosis tötet. – Es kommt niemand auf die Idee, bei einer Knochenmarktransplantation – wobei früher vielleicht 50 Prozent verstorben sind und heute zwei von zehn versterben – von einem Doppeleffekt zu sprechen. Wenn der Tod das Ziel ist, ist es etwas anderes. Aber es gibt so und so viele therapeutische Maßnahmen, bei denen der Tod eine der Ausgangsmöglichkeiten ist, und bei denen wird dieses Argument nicht verwendet.

Wir stehen am Anfang einer Kultur und sind gewissermaßen Zeitzeugen des Versuchs eines neuen, besseren Umgangs mit dem Sterben. Wenn wir hören, dass Wünsche nach dem Tod im Palliativbereich zurückgedrängt werden können: Wer diese Wünsche wirklich hören will, der soll in die Pflegeheime gehen; das habe ich heute schon gesagt. Den Menschen dort werden keine Palliativmöglichkeiten angeboten, weil es viel billiger kommt, wenn sie dort sterben – Türe zu und so weiter –, dort sind aber meistens die Gemeinden die Finanzträger. Gefordert sind daher nicht nur der Bund und die Länder, sondern auch die Gemeinden.

Wir erleben jetzt sicherlich etwas Neues im Hinblick darauf, wie man Schmerztherapie verbes­sern kann. Wir haben zum Beispiel in Innsbruck 1996 mit einen Lehrauftrag „Einführung in die Palliativmedizin“ am Institut für Medizinische Psychologie begonnen. Dr. Zdrahal vom Caritas-Hospiz hat dort einen Lehrauftrag; Professor Schüßler, Zdrahal und ich machen das. Seit drei Jahren haben wir im Pflichtseminar das Thema „Therapie schwerer Schmerzzustände“.

Anschließend können ausgewählte Studenten im Caritas-Hospiz-Team in Wien teilnehmen. Weiters gibt es bei uns ein Anna-Dengl-Stipendium, das unser Institut – oder eigentlich der Vorstand, Professor Glossmann – zahlt und auf Grund dessen ausgewählte Studenten zu Pro­fessor Twycross nach Oxford fahren und dort an einem einwöchigen Seminar „Care of the terminally ill cancer patient“ teilnehmen können. Das sind die Anstrengungen, die wir im akade­mischen Bereich bis jetzt getroffen haben.

Ich glaube, es geht letztlich um den Aufbau eines integrierten Systems. Darin sind sich ohnehin alle einig. Wir sehen zwei parallele Dinge. Das eine ist, dass hier primär nicht aus dem Haupt­strom der Medizin kommend, sondern eigentlich über Idealisten das Palliativsystem eine solche Reife erlangt hat, dass wir hier darüber reden. Aber es geht jetzt gleichzeitig darum, diesem System auch dort zum Durchbruch zu verhelfen oder es einzuführen, wo Ärzte ausgebildet werden. Ich beschränke mich natürlich vorzugsweise auf Ärzte; die Patienten, die Pflege und so weiter sind etwas anderes, das ist mir vollkommen klar, aber ich sehe es jetzt aus universitärer Sicht.

Wo kommen die zukünftigen Ärzte her? Wo sollen sie es lernen? „On the job“, später, wenn sie draußen sind, in irgendwelchen Kursen? – Fein, das muss man jetzt machen. Aber denken wir bitte an die Zukunft! Wir brauchen eine parallele Entwicklung an den Universitäten. Ich habe ein Konzept oder die Idee vorgestellt, dass man unter dem Institut für Allgemeinmedizin eine Abteilung Palliativmedizin und eine Abteilung Geriatrie hätte: Das wäre wegweisend, weil dann alle zukünftigen Ärzte damit konfrontiert werden. Genau das werden wir aber brauchen. Es handelt sich hier um eine Strukturanpassung an geänderte demographische Verhältnisse, geänderte medizinische Verhältnisse und geänderte soziale Verhältnisse. Und das muss den jungen Ärzten beigebracht werden.

Wenn wir schon in einem föderalistischen Staat mit einer deutlichen Regionalisierung leben, wie wir sie in Österreich haben, dann ist es selbstverständlich nicht sinnvoll, in Wien oder in Graz ein Ordinariat für Palliativmedizin zu errichten. Das muss man dann in Wien, in Graz und in Innsbruck machen, weil überall dort Ärzte ausgebildet werden. Wenn wir glauben, dass die Ärzte lernen müssen, damit umzugehen, dann gehört das überall hin.

Das Wichtige dabei wäre, dass der Bund unmittelbar, direkt wirksam werden könnte. Alles andere geht nur in Übereinstimmung mit den Ländern und so weiter. Die Universitäten kommen ein bisschen spät, aber sie brauchen jetzt diese Unterstützung. Der Bund könnte steuernd ein­greifen, indem er dorthin Mittel kanalisiert, die für derartige Dinge zweckgebunden sind. Das wäre eine gute Tat, dafür trete ich ein, und dafür ersuche ich um Ihre Unterstützung. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

15.14


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Als Nächster spricht Herr Dr. Paukner. – Bitte.

15.14


Referent Dr. Roland Paukner¦ (Arzt für Allgemeinmedizin; Wien): Ich möchte versuchen, ein Missverständnis – ich hoffe, es war ein Missverständnis – aufzuklären. Es wurde ja angespro­chen, dass es traurig sei, dass hier vom Podium aus eine solche Aussage zu hören sei.

Ich habe von einer Patientin erzählt, die darum gebeten hatte, ihre Schmerztherapie etwas zu­rückzunehmen, weil sie nicht so müde, sondern klarer sein wollte. Ich kann relativ unbefangen darüber reden, weil ich nicht der Behandler war. Ich denke nur, wir erweisen der Palliativmedizin und auch der Hospizbewegung keinen guten Dienst, würden wir so tun, als wären alle Probleme gelöst, als hätten Arzneimittel keine Nebenwirkungen. Selbstverständlich haben sie die. Ich bin Herrn Professor Samonigg sehr dankbar dafür, dass er gesagt hat: Natürlich ist Schmerzfreiheit das Therapieziel, aber oft erreichen wir es nicht ganz.

Wir können heute sehr viel und sehr viel mehr, als wir in den letzten Jahren gekonnt haben. Was ich von dieser Patientin berichtet habe, liegt schon sieben Jahre zurück, und in diesen sieben Jahren hat die Schmerztherapie eine enorme Entwicklung genommen, das ist gar keine Frage. Trotzdem tun wir niemandem etwas Gutes, weder den Patienten noch den Bewegungen, die heute für eine Sterbebegleitung eintreten, wenn wir so tun, als gäbe es keine Probleme. Dar­auf hinzuweisen, ist mir wichtig!

Ich habe es in meinem Statement als Beispiel gebracht, weil mir auch die Autonomie sehr wich­tig ist. Es ist heute viel über die Autonomie des Patienten gesprochen worden. Ich habe – zu­gegeben, ein scheußliches Wort – von Koproduktion gesprochen, und irgendjemand hat gesagt: nein, der Patient dieses Prozesses sollte sogar der Dirigent sein; also dann noch viel mehr. Wenn der Patient einen Wunsch äußert, weil er Nebenwirkungen verspürt, dann haben wir als Ärzte meiner Ansicht nach die Pflicht, diesem Wunsch zu entsprechen. Ich halte es für falsch, Nebenwirkungen der Medikamente, die es noch immer gibt – viel weniger als früher –, auf den Behandler als Zeichen seiner Unfähigkeit zu projizieren.

Was ich gesagt habe, war – da will ich absolut nicht missverstanden werden – kein Plädoyer gegen eine suffiziente Schmerztherapie. Ganz im Gegenteil!

Ich möchte aber, weil ich hier zufällig einen Zwischenruf gehört habe, einer Betroffenheit Aus­druck verleihen. Frau Abgeordnete Haidlmayr hat von weiteren Therapiemöglichkeiten gespro­chen. Es ging dabei absolut um den Einsatz von Cannabis als Therapiemöglichkeit, um nichts anderes ist es in ihrem Redebeitrag gegangen. Gleichzeitig fiel – Gott sei Dank sehr leise – der Zwischenruf: Ihr seid also für Drogenfreigabe.

Dazu muss ich sagen: So etwas macht mich in einem solchen Forum wirklich betroffen. Denn hätten wir keine Drogen, könnten wir mit unserer Palliativtherapie sehr rasch einpacken. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

15.17


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Professor Dr. Sporn ist der Nächste. – Bitte.

15.18


Referent Univ.-Prof. Prim. Dr. Paul Sporn¦ (Vorstand der Abteilung für Anästhesie und opera­tive Intensivmedizin der Krankenanstalt Rudolfstiftung): Ich muss noch einmal auf die Euthana­sie zurückkommen, das ist mir viel zu wichtig. Ich habe am Anfang sehr bewusst die Nazis zitiert, sage aber gleich dazu: Ich vergleiche die Entwicklung jetzt in Holland und nirgend­wo anders mit den Nazis, ich sehe nur eine Eskalationslinie, die mich betroffen macht.

Die Nazis haben – und hier hat Primarius Berger den Abgeordneten Posch sehr schön Ge­schichte gelehrt – mit einer Euthanasiediskussion begonnen, die sehr harmlos und sehr schön geklungen hat. Es gibt hier Leute, die für die Euthanasie sprechen, die das sehr gekonnt und sehr klar auch mit philosophischem Background wie Professor Kampits tun. Ich bin von seiner Redlichkeit absolut überzeugt, ich frage mich nur: Sieht denn, um Gottes Willen, niemand die Eskalation?

Es hat in den Niederlanden damit begonnen, dass man gesagt hat: Es bleibt verboten, aber es ist straffrei. Nach ein paar Jahren sagt man: Wir haben damit so gute Erfahrungen, dass wir es erlauben. – Die „guten Erfahrungen“ waren die, dass bereits im verbotenen Zustand extremer Missbrauch betrieben wurde. Und jetzt liegt auf dem Tisch, dass dort die Freiwilligkeit der Euthanasie gefallen ist und dass 40 Prozent – es ist schrecklich! – ermordet werden. Es gibt dort schwachsinnige Kinder, die man umbringt, und es gibt noch immer Philosophen, die nicht sehen, dass sie, wenn sie dem im guten Meinen Tür und Tor öffnen, dem Massenmord Tür und Tor öffnen. Das ist, bitte, nicht hysterisch, wir haben es erlebt!

Jetzt nehme ich es pragmatisch in Angriff. Es mag sein, dass es wenige Menschen gibt, die am Rande stehen und wirklich einen aktiven Tod wollen. Ich nehme aber an, dass diese Menschen eher zum Arzt und nicht zum Philosophen gehen. Ich mache seit 30 Jahren Intensivtherapie und kenne viele Onkologische – bei mir war keiner, bei der ehemaligen Abgeordneten Pittermann als Onko­login war auch keiner; also gehen alle diese Menschen offensichtlich zu den Philosophen. Da­her kann ich das nicht akzeptieren.

Ich komme sehr gut damit zurecht, wenn ein Mensch um seinen Tod bettelt und statt dem Tod irgendeine andere Hilfe bekommt, wenn ich gleichzeitig weiß, dass man nicht schwachsinnige Kinder ermordet. Bitte übersehen Sie nicht die Eskalationslinie, auf der wir uns befinden!

15.20


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Frau Angelika Feichtner, bitte.

15.20


Referentin DGKS Angelika Feichtner¦ (Pflegedienstleiterin des Hospizes Innsbruck): Ich möchte nur kurz die Frage beantworten, wie viel Prozent der pflegenden Angehörigen eine Frei­stellung für die Pflege benötigen würden.

Meiner Erfahrung nach sind 70 bis 80 Prozent der Angehörigen bereit, ihre Kranken zu Hause zu pflegen, wenn sie dafür professionelle Unterstützung bekommen, auch in Krisensituationen, und wenn pflegende Angehörige durch eine vorübergehende stationäre Aufnahme entlastet werden. Ich denke, dass von diesen pflegenden Angehörigen etwa 30 Prozent eine Freistellung mittels Pflegekarenz brauchen würden.

Bei den Menschen, mit denen ich arbeite – das sind vorwiegend Tumorpatienten –, dauert die Phase der Pflegebedürftigkeit meistens nicht sehr lang. Ich denke, eine vorübergehende Karen­zierung der Angehörigen und Freistellung für die Pflege würde es vielen ermöglichen, zu Hause betreut zu werden.

15.21


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr DDr. Sedlak ist der Nächste. – Bitte.

15.21


Ministerialrat DDr. Franz Sedlak¦ (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Psychologe und Psychotherapeut und leiste hier wahrscheinlich einen exotischen Beitrag, für den ich gleich um Verständnis bitte. Ich leite die Schulpsychologie in Österreich, also die Gruppe jener Psychologen, die sich um das seelische Wohl der Schüler, Eltern und Lehrer kümmern.

Es gibt auch ein unerträgliches oder scheinbar unerträgliches seelisches Leid. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es eine Entwicklung gibt, die mir viel Sorge bereitet und von der ich glaube, dass Sie vielleicht Ressourcen haben, dem abzuhelfen. Es gibt eine – unter Anfüh­rungszeichen – „aktive Sterbehilfe“, von der heute nicht die Rede war, und das sind die Internet-Suizidforen, in denen Jugendliche sich gegenseitig darüber beraten: wie lang muss ein Strick sein, damit man sich sicher erhängen kann, wo kauft man Gewehre, wo setzt man sie an, und so weiter.

Es ist heute ein bisschen so herausgekommen, dass es zwei Lager gibt, nämlich ein Lager, bei dem an der Spitze der Wertpyramide die individuelle Freiheit steht, und ein anderes, in dessen Wertpyramide das Leben selbst als unantastbar gilt. Beide Lager aber sind sicherlich gleicher Meinung in dem Punkt, dass die Entscheidung, das Leben wegzuwerfen, gerade bei Kindern und Jugendlichen eine Entscheidung ist, die nicht wohl begründet ist oder in den seltensten Fällen wohl begründbar ist.

Ich habe zwar Broschüren geschrieben und verteilt – darüber, dass das Leben lebenswert ist, und über ein „ich will nicht mehr“, hinter dem meistens steht: „ich will mehr“, nämlich mehr Lebensqualität –, aber ich glaube, dass hier gerade Sie, weil Sie sich mit den Extremen, mit jenen wirklich entsetzlich leidenden Menschen befassen, vielleicht eine besonders authentische Stimme haben.

Wozu ich Sie aufrufen möchte, wäre nicht nur eine Solidarität mit den Sterbenden und der Sterbebegleitung, sondern eine Solidarität mit den Lebenden; nicht nur mit den Menschen, die im Herbst und Winter ihres Lebens stehen, sondern auch mit denjenigen, die im Frühling stehen. Vielleicht können Sie auch ein bisschen palliative Psychologie betreiben. Diese wird nicht ganz ohne das Prinzip Hoffnung auskommen, das Prinzip Hoffnung kann aber so nüchtern wie meine eigene Position sein: Ich bin ein ganz zarter skeptischer Optimist. Ich sage mir, ich schaue mir das Ganze bis zum Ende an.

Wenn Sie also im Internet surfen oder mit jungen Menschen reden: Gerade Sie, die mit so schwierigen Situationen zu tun haben, wären eigentlich in der Lage, darzustellen, dass das Leben lebenswert ist oder dass man darum kämpfen sollte. – Danke.

15.24


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Frau Abgeordnete Dr. Fekter, bitte.

15.24


Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter¦ (ÖVP): Mein Name ist Fekter, ich bin Justiz­sprecherin der ÖVP. – Als Justizausschuss-Vorsitzende gehe ich davon aus, dass wir keinen Antrag werden vorliegen haben, der hier in Anlehnung an das niederländische Modell zu einer Lockerung oder Liberalisierung des Strafrechts führen würde. Allerdings bin ich mir auf Grund der Redebeiträge der sozialdemokratischen Experten, nämlich von Dr. Dearing, Professor Kampits und Professor Wille, nicht mehr so sicher, ob es nicht doch Bemühungen auf parla­mentarischer Ebene geben wird, um eine Lockerung oder Liberalisierung des Strafrechts herbeizuführen.

Sollte so etwas im Justizausschuss zur Sprache kommen, so gehe ich davon aus, dass das nicht die Mehrheit finden wird. Zumindest wird es unter gar keinen Umständen die Zustimmung der ÖVP finden. Wir werden das Tötungsverbot einfach als Wert an sich nicht unterwandern. Wir werden das Tötungsverbot als Mauer nicht niederreißen, weil auch ich der Meinung bin, dass damit einem möglichen Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird und dass damit auch dem „Entsorgungs“-Gedanken im menschlichen Bereich Tür und Tor geöffnet wird.

Zu der Geschichte von den Drogen und der Cannabis-Freigabe möchte ich, weil der erwähnte Satz aus unserer Ecke gekommen ist, Folgendes feststellen: Tatsache ist, dass Cannabis als Therapiemittel oder als Schmerzmittel im therapeutischen Bereich, im palliativen Bereich sehr wohl auch Deckung in unserem Suchtmittelgesetz findet. Man muss eben wissen, dass es immer wieder Anträge gibt – nicht von der jetzigen Regierungsmannschaft, sondern von der Opposition –, Cannabis generell freizugeben. Ich habe das hier ebenfalls so empfunden, als wollte man diese Debatte dazu verwenden, wieder die Cannabis-Debatte aufs Tapet zu brin­gen. Das haben wir für ausgesprochen unpassend erachtet.

15.27


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Herr Dr. Retschitzegger, bitte.

15.27


Referent Dr. Harald Retschitzegger¦ (Ärztlicher Leiter der Palliativstation am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried – Hospiz St. Vinzenz): Ich möchte nur kurz etwas feststellen. – Herr Wille, Sie haben gesagt, dass Sie nicht möchten, dass die Ärzte bestimmen, wann ein Patient sterben darf. Das halte ich für völlig richtig, dass Sie das nicht möchten. Wir möchten das auch nicht.

Ich denke, da geht es um folgende Klarstellung: Es soll nicht darum gehen, einem Patienten das Sterben zu erlauben, wenn es an der Zeit ist. Aber wir brauchen es nicht zu tun. Es soll jedoch nicht so sein – natürlich auch nicht in der Palliativmedizin –, dass wir Ärzte die großen Entscheidenden über Leben und Tod sind und dass wir entscheiden, wann jemand sterben darf. Das haben Sie leider etwas missverstanden.

Ich möchte auch kurz etwas zum Thema Schmerzmittel sagen. Es ist mir ein besonderes An­liegen, weil darüber immer noch sehr viele Fehlmeinungen kursieren. Deshalb habe ich mir auch erlaubt, es bei Ihnen zu sagen, weil ich glaube, dass wir ganz bewusst auf eines aufmerk­sam machen müssen: Schmerzmedikamente können zwar Nebenwirkungen haben, aber es ist nicht der Regelfall, dass ein Morphinpräparat einen Patienten in Schlaf versetzt oder nicht mehr ansprechbar macht.

Es wird immer wieder der Theologe Hans Küng zitiert, den ich von seinem Projekt „Weltethos“ her sehr schätze. Wenn man sein Buch „Menschenwürdig sterben“ liest, das Sie zitiert haben und das auch Herr Professor Kampits zitiert hat, dann zeigt sich, dass darin ganz eklatante Fehlaussagen enthalten sind. Es wird immer von den Schmerzmitteln gesprochen und davon, dass der Patient dann nicht mehr ansprechbar ist und nur noch schläft. Diese Fehlmeinungen kursieren, und darum ist es, glaube ich, so fatal, dass von Befürwortern der Euthanasie immer genau solche Fehlaussagen als Vorbilder herangezogen werden. Herr Küng wird zitiert und zitiert – und deshalb soll Euthanasie erlaubt sein!

Ich denke, wenn man einmal klar die Fakten ausspricht, nämlich dass Schmerztherapie, richtig angewendet, nicht unbedingt zu solchen Zuständen führen muss, dann fällt auch diese Zitat­möglichkeit weg. – Danke.

15.29


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Die vorläufig letzte Wortmeldung stammt von Frau Diplomkrankenschwester Monika Schmid. – Bitte.

15.29


DGKS Monika Schmid¦ (Abteilung Heime beim Amt der Niederösterreichischen Landesregie­rung): Mein Name ist Monika Schmid, und ich komme sozusagen aus der Praxis, nämlich aus der Altenpflege. Das hat mir in dem Ganzen heute ein bisschen gefehlt, auch wenn es ein paar Mal angesprochen worden ist. Ich möchte auf die Worte von Frau Mag. Teuschl zurückkom­men, mit denen sie die Vernetzung angesprochen hat. Ich glaube, das ist in dem Zusammen­hang ein besonders wichtiger Punkt: die Durchlässigkeit von der akuten Palliativmedizin über den pflegerischen Bereich nach Hause, oder auch umgekehrt.

Das Problem, das ich immer wieder sehe – und zu dem ich auch in unserer Bundes-ARGE der Pflegedienstleitungen der stationären geriatrischen Einrichtungen die Sorgen meiner Kollegin­nen zu hören bekomme –, geht in Richtung Finanzierung. Es ist für uns absolut unverständlich, dass dann, wenn jemand Palliativpflege und Lebensbegleitung bis zum Tode braucht, im Kran­kenhaus aber nicht mehr bleiben kann, weil keine LKF-Punkte mehr vergeben werden, diese Leute in ein Heim kommen. Dann ist auf einmal niemand oder kaum jemand mehr für die Finan­zierung verantwortlich. Damit meine ich besonders jenen Bereich, den wir für das Gesund­heitswesen in den Heimen leisten – ich weiß schon, dass der Sozialbereich Ländersache ist.

Wir leisten im Sinne des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes – § 15: „Mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich“ – sehr wohl Arbeiten für das Gesundheitswesen. Die Krankenkassen haben es bis jetzt sehr gut verstanden, sich davon zu distanzieren. Wir haben jetzt Gott sei Dank – und Frau Mag. Teuschl hat es angesprochen – in Niederösterreich eine Regelung erreichen können, sodass etwas mitfinanziert wird.

Wir haben drei Projekte mit Hospizbetten laufen, die sich sehr gut bewährt haben. Der Ansturm ist viel größer, als wir gemeint haben, nur die Finanzierung ist bis vor ungefähr einem Monat noch im Regen gestanden. Was uns jetzt zugestanden wird, ist noch immer zu wenig, aber es ist zumindest ein Tropfen auf den heißen Stein.

Mein Appell richtet sich in dieser Sache vor allem an die politisch Verantwortlichen und Ent­scheidungsträger, sich in dieser Richtung Gedanken auch im Hinblick auf die demographische Entwicklung zu machen. Single-Haushalte – wo ist da noch jemand in ein soziales Netz einge­bettet? Oder Geschiedene – sie müssen ja nicht alt sein, um zu sterben, um schwerst krank oder sterbenskrank zu sein, sie können auch durch eine Krankheit oder einen Unfall in eine solche Situation kommen.

Ich denke daher, gerade in dieser Richtung müsste verstärkt darüber nachgedacht werden, wie das finanziert werden kann. Denn unsere Mitarbeiter schaffen das so nicht, und es ist nun ein­mal – das haben wir auch heute einige Male gehört – personalintensiv. Aber auch die medizini­schen Kosten sind in dieser Sache für ein Heim kaum tragbar. – Danke.

15.31


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Wünscht der Herr Staatssekretär ein Schlusswort? – Bitte.

15.32


Staatssekretär im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen Dr. Rein­hart Waneck¦: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Normaler­weise wäre es zweckmäßig, am Schluss einer solchen Veranstaltung ein Resümee zu bieten. Ich glaube, das ist jetzt nicht notwendig und nicht möglich, weil das Thema, das wir heute besprochen haben, uns noch weiter beschäftigen wird. Ich möchte aber Ihnen allen, die Sie hier teilgenommen haben, danken. Ich danke vor allem für den hohen ethischen und pragmatischen Stellenwert, der in dieser Diskussion zum Ausdruck gekommen ist, und ich danke auch den vier Parlamentsparteien, auf deren Betreiben diese Veranstaltung heute zustande gekommen ist.

Ich nehme für mich mit, dass die Aufgabe der Politik einerseits in der Pragmatik liegt, nämlich in der Umsetzung einer menschenwürdigen Vorbereitung und effizienten Betreuung schwerst kranker und sterbender Menschen auf Basis der materiellen Voraussetzung, der Planung und der personellen Voraussetzung, damit ein Wunsch nach einem vorzeitigen Tod, der durch andere herbeigeführt wird, erst gar nicht zum Tragen kommt.

Andererseits nehme ich die ethische und moralische Aufgabe mit, diese Diskussion weiterzu­führen, wobei es mir sehr darauf ankommt, dass wir uns gerade in diesem Bereich sehr rasch und sehr effizient auf die kommenden Probleme, die uns die medizinische Entwicklung bereitet, einzustellen haben. Wir dürfen in dieser moralischen und ethischen Diskussion nicht immer der Zeit hinterherhinken. – Danke vielmals.

15.33


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Alois Pumberger¦: Nun liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Ausdauer. Sie haben rund 6,5 Stunden hier ausgeharrt, und ich glaube, es war nicht vergeblich, denn das Resultat dieser heutigen Enquete stellt keinen Schlusspunkt, sondern einen Anfang für unsere weitere politische Arbeit dar.

Wenn ich es richtig verstanden habe und das so für unsere politische Arbeit mitnehmen kann, dann wird auch dem Ausbau der Palliativmedizin das Wort geredet, und dieser wird in Zukunft verstärkt stattfinden. Vor allem geht es um eine Verbesserung der Ausbildung, auch der Aus­bildung der Ausbildenden, die uns ebenfalls noch fehlen. Wenn ein Lehrstuhl für Palliativmedi­zin in Aussicht gestellt wird, dann wäre das ein riesiger Erfolg.

Es gab auch einen Aufruf an die Politik im Zusammenhang damit, dass es zurzeit in der Be­völkerung zu wenig Information gibt, sodass solche Ergebnisse wie in dieser „profil“-Umfrage zustande kommen. Dies ist für uns ein Auftrag, die Information über die Sterbebegleitung zu verbessern und in die Bevölkerung hinauszutragen.

In diesem Sinne können wir, glaube ich, abschließend sagen, dass die Solidarität mit den Ster­benden sehr groß ist und dass die Sterbebegleitung in Österreich nicht zu Maßnahmen wie in Holland greifen und nicht solche Wege beschreiten wird. Ich glaube, dass die Palliativmedizin und die Sterbebegleitung bei uns auch künftig nicht anders stattfinden wird und dass sie auf jeden Fall nicht „im Sterben liegt“.

In diesem Sinn bedanke ich mich noch einmal sehr herzlich für Ihre Teilnahme und Ihre interes­santen Diskussionsbeiträge: bei den Referenten für ihre Referate, beim Herrn Staatssekretär für seine Teilnahme und seine Debattenbeiträge, bei Herrn Kardinal König – in Abwesenheit – noch einmal für seine Teilnahme und für sein Referat sowie bei Ihnen allen für Ihr Kommen. (Beifall.)

Damit schließe ich die Sitzung.

Schluss der Enquete: 15.35 Uhr

 

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