111/A(E) XXII. GP
Eingebracht am 29.04.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Maier, Gradwohl
und GenossInnen
betreffend Reform des Lebensmittelgesetzes (LMG)
Das
österreichische Lebensmittelgesetz (LMG) weist einerseits zahlreiche Defizite -
insbesondere in der Vollziehung - auf, andererseits müssen europäische
harmonisierte Vorgaben endlich umgesetzt werden. Die Lebensmittelpolitik der
letzten Jahre war in Österreich auch durch Fehlentwicklungen gekennzeichnet
(z.B.
Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH und
Bundesamt für Ernährungssicherheit). Eine Kompetenzbereinigung (wie auf
europäischer Ebene) sowie eine klare Zuordnung der Kompetenzen im Lebensmittel-
und agrarischen Betriebsmittelbereich wurde verabsäumt. Dies gilt auch für die
Landesverwaltungen bzw. Landesregierungen. Dieser offensichtliche Reformstau
(z.B. nicht fristgerechte Richtlinienumsetzung) muss daher durch eine
umfassende
Reform des Lebensmittelgesetzes und der Vollziehung beseitigt sowie
Fehlentwicklungen korrigiert werden.
So liegt beispielsweise die Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 10.Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedsstaaten über Nahrungsergänzungsmittel vor, die noch in diesem Jahr
umgesetzt werden muss (31.07.2003).
Darüber hinaus hat der EuGH mit Urteil vom 23.01.2003 die Bestimmungen des § 9
LMG als gemeinschaftswidrig angesehen und Österreich verurteilt.
Die Anfragebeantwortung 159/AB vom 25.04.2003 durch den Bundeskanzler zeigt
die Umsetzungsdefizite deutlich und zwar im Detail auf: Insgesamt 12 EU-Richtlinien
betreffen den Lebensmittelbereich. Seit 2001 bis jetzt erfolgte keine adäquate
Umsetzung in das nationale Recht.
Eine
europäische Richtlinie für „Nahrungsergänzungsmittel" war notwendig, da
immer mehr Lebensmittel in Verkehr gebracht werden, die als Zutaten die
unterschiedlichsten Nährstoffkonzentrate enthalten, wobei es allerdings in den
Mitgliedsstaaten dafür unterschiedliche Rechtsvorschriften gibt. Damit wurde
der
freie Verkehr mit Nahrungsergänzungsmitteln behindert; überdies führte dies zu
ungleichen Wettbewerbsbedingungen, womit das Funktionieren des Binnenmarktes
unmittelbar beeinträchtigt werden kann. Aus diesem Grund mussten
Gemeinschaftsvorschriften über diese Lebensmittelerzeugnisse erlassen werden.
Bedauerlicherweise wurden damit nicht alle bekannten Defizite hinsichtlich
Nahrungsergänzungsmittel beseitigt und nur spezifische Vorschriften bezüglich
bestimmter Vitamine und Mineralstoffe, die in der Ernährung normalerweise
vorkommen gemeinschaftsrechtlich festgelegt (Positivliste mit Höchstmengen).
Andere ergänzende Vorschriften sollten später folgen (nach 2007).
Diese
zit. Richtlinie ist spätestens bis zum 31. Juli 2003 umzusetzen, wobei die
Umsetzung
derart vorgenommen werden muss, dass
1. der Verkehr mit Erzeugnissen, die
dieser Richtlinie entsprechen, spätestens ab dem
1. August 2003 zugelassen wird;
2. der Verkehr mit Erzeugnissen, die
dieser Richtlinie nicht entsprechen, spätestens ab dem
1. August 2005 untersagt wird
Der
Europäische Gerichtshof hat nun in seiner Entscheidung gegen Österreich
festgestellt (C 221/00), dass das Österreichische Verbot jeder
gesundheitsbezogene
Werbung auf Lebensmitteln und Verzehrprodukten (Nahrungsergänzungsmitteln)
EU-rechtswidrig ist. Hintergrund dieser Entscheidung ist die EU-
Etikettierungsrichtlinie, die nämlich nur krankheitsbezogene und irreführende,
aber
nicht generell gesundheitsbezogene Werbung, verbietet. Des weiteren
widerspricht
diese Regelung dem Grundsatz des freien Warenverkehrs (Art. 28 EG Vertrag).
Der
EuGH geht davon aus, dass weniger beschränkende Maßnahmen ausreichen,
um Restrisiken für die Gesundheit zu vermeiden. So beispielsweise durch
Kontrolle
der Richtigkeit der Werbebehauptungen oder durch Produktkontrolle auf den
Märkten
bzw. durch die Verpflichtung des Herstellers, in Zweifelsfällen die Richtigkeit
der auf
der Etikettierung enthaltenen Behauptung nachzuweisen.
Nach
den Bestimmungen des LMG waren bislang gesundheitsbezogene Angaben
selbst dann verboten, wenn die behaupteten Tatsachen wahr waren, bzw. sie den
Konsumenten nicht in die Irre geführt haben. Gesundheitsbezogene Werbung auf
Lebensmitteln war nur dann zulässig, wenn nach § 9 Abs. 3 LMG ein
entsprechender
Zulassungsantrag im Gesundheitsministerium gestellt und dieser genehmigt wurde.
Gerade aufgrund dieser EuGH-Entscheidung ist eine diesbezügliche Änderung des
Lebensmittelgesetzes daher notwendig!
Denn,
wenn es zu keiner Neuregelung kommt, ist zu befürchten dass der Bereich
gesundheitsbezogener Werbebehauptungen entgleist.
Diese Probleme mit irreführender gesundheitsbezogener
Werbung wurden
jüngst durch eine Untersuchung der AK Wien bei funktionellen Getränken
und
Wellnessprodukten mehr als bestätigt.
Die
Kommission arbeitet dazu an einem RL-Vorschlag dahingehend, dass es in
Zukunft für alle gesundheitsbezogenen Aussagen „Positivlisten" geben wird.
Dabei
soll auch der genaue Wortlaut festgelegt werden. Für innovative Aussagen
(health
Claims incl. disease risk reduction) soll es eine zentrale Anmeldung geben,
beide
sollen produktbezogen sein. Geplant ist weiters die Richtlinie zur
Nährwertkennzeichnung zu ändern, ein Verordnungsentwurf zu angereicherten
Lebensmitteln wurde von der Europäischen Kommission bereits veröffentlicht.
Ein
besonders Problem stellen überdies in Europa - so auch in Österreich -
Nahrungsergänzungsmittel dar, die mit anabolen Steroiden bzw.
Wachstumshormonen verunreinigt, rechtlich als Arzneimittel zu qualifizieren
sind und
in Lebensmittelgeschäften oder Sportfachgeschäften verkauft werden. Hier
versagt
jede behördliche Kontrolle (Probenziehungen), da im AMG dieser Fall der
.Abgabe"
nicht geregelt wurde.
Weitere
europäische Initiativen und Regelungen sind zusätzlich zu erwarten:
Anfang Februar hat die Europäische Kommission einen neuen Vorschlag
verabschiedet, mit dem die amtlichen Lebens- und Futtermittelkontrollen
reformiert
werden sollen. Der Verordnungsentwurf sieht ein einheitlicheres, gestrafftes
und
effizienteres Kontrollsystem sowie strengere Durchsetzungsmaßnahmen vor.
Außerdem schafft der Vorschlag einen Rahmen zur Unterstützung von
Entwicklungsländern, damit auch diese die EU-Einfuhrbestimmungen erfüllen
können. Dieser Verordnungsvorschlag gehört zu den Maßnahmen, die im Weißbuch
zur Lebensmittelsicherheit vom Januar 2000 angekündigt worden waren. Die
wichtigsten Grundsätze des Lebensmittelrechts sind in der Verordnung
178/2002/EG
festgelegt, der neue Entwurf legt dar, wie diese Grundsätze auszulegen und
umzusetzen sind.
Die
Kommission hat weiters ein Paket mit folgenden 5 Vorschlägen für Rechtsakte
im Lebensmittel- und Veterinärbereich vorgelegt. Vier Verordnungsvorschläge
betreffen die Lebensmittelhygiene, die amtliche Überwachung und
tierseuchenrechtliche Fragen, ein Richtlinienvorschlag betrifft die Aufhebung
der
bisherigen Rechtsvorschriften.
Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher den nachfolgenden
Entschließungsantrag
Der
Nationalrat wolle beschließen:
Entschließung
Der Nationalrat
hat beschlossen:
„Der
Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird aufgefordert dem
Nationalrat
1. bis 31.07.2003 eine Vortage
zur Änderung des Lebensmittelgesetzes
zuzuleiten, die u.a. folgende Änderungen enthält:
1.1. Fristgerechte Umsetzung der Richtlinie
2002/46/EG, unter Ausnützung des
nationalen Handlungsspielraums zum Schutz der Konsumentinnen vor
Täuschung und Irreführung wofür Schutzvorschriften und Kontrollmaßnahmen
normiert werden.
1.2. Umsetzung der Entscheidung des EuGH (C221 /00)
unter folgenden
Prämissen:
• Einführung einer Meldepflicht der Unternehmer für
gesundheitsbezogene
Angaben auf Produkten und Werbebehauptungen vor Beginn der
Vermarktung und des Inverkehrbringens.
• Eine Verpflichtung der Unternehmen zur Bereithaltung eines
produktbezogenen
wissenschaftlichen Nachweises für die verwendete
gesundheitsbezogene Angabe und Werbebehauptung , die u.a. auch der
Lebensmittelaufsicht im Rahmen der Kontrolltätigkeit vorzulegen ist.
• Die Etablierung eines für Konsumentinnen zugänglichen
öffentlichen
Registers für Produkte und verwendeten Werbebehauptungen (das Führen
des Registers könnte der Agentur für Lebensmittelsicherheit und Ernährung
aufgetragen werden).
• Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates zur Prüfung verwendeter
gesundheitsbezogener
Angaben in Hinblick auf wissenschaftlich entsprechend
abgesicherte Tatsachen. Dieser Beirat soll zur Beratung des Bundesministers
dienen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen abgeben können.
• Erstellung eines Kataloges mit gesundheitsbezogenen
Werbungen durch das
Sachverständigen-Gremium „Österreichische Codexkommission". Durch die
Schaffung von Grundlagen für nicht irreführende gesundheitsbezogene
Angaben und Bewerbungen im Lebensmittel-Codex kann „irreführende
Werbung" als lebensmittelrechtlicher Tatbestand einer wissentlichen
Falschbezeichnung auch gerichtlich sanktioniert werden.
• Verstärkte Kontrollen (z.B. durch Schwerpunktaktionen des
Bundesministeriums)
zur Überprüfung der in Verwendung stehenden
Werbebehauptungen.
1.3. Gesetzliche Festschreibung der Subsidiarität des
Lebensmittelgesetzes, damit
die volle Anwendbarkeit des StGB neben dem LMG durch die Gerichte
gewährleistet wird.
1.4. Die Einführung von Mindeststrafen für den
Bereich des Lebensmittelrechts, da
die angedrohten Strafen tatsächlich in der Vollzugspraxis nicht verhängt
werden.
Mindeststrafen
könnten eine Möglichkeit bieten, dass die tatsächlich
angedrohten Strafen auch verhängt werden.
1.5. Parteistellung im
Verwaltungsstrafverfahren für die Personen oder Behörden
die Anzeigen nach dem LMG erstattet haben.
1.6. Absicherung der Vollziehbarkeit der Bestimmungen des
Lebensmittelgesetzes,
damit den formalistischen Erfordernissen des VwGH
entsprochen wird.
1.7. Klare gesetzliche Festlegungen von Sanktionen
bei Verstößen gegen das EG
Recht in den bestehenden Strafbestimmungen des LMG (z. B. Änderung § 74
Abs. 6 LMG) und des Veterinärrechts. Diese Sanktionen müssen wirksam,
verhältnismäßig und abschreckend sein und im Bedarfsfall mit gerichtlichen
Strafen geahndet werden.
1.8. Gesetzlich die Möglichkeiten vorzusehen, dass
Lebensmittelaufsichtsorgane
auch gegen mit anabolen Steroiden verunreinigten Nahrungsergänzungsmittel
vorgehen und die notwendigen Sanktionen ergreifen können.
1.9. Vollständige nationale Umsetzung der im Jänner
2002 erlassenen Verordnung
Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen
des Lebensmittelrechts zur Errichtung der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur
Lebensmittelsicherheit
(Lebensmittel-Basis-Verordnung) im
Lebensmittelgesetz sowie im Futtermittelgesetz. (z.B. öffentliche Warnpflicht
bei mensch- oder tiergesundheitsschädlichen
Futtermitteln)
2. Schwerpunktkontrollen (koordiniertes Überwachungsprogramm) der
Lebensmittelaufsicht
hinsichtlich Wohlfühl- und Gesundheitsaussagen mit
entsprechenden Sanktionen vorzunehmen, wenn die Wirkungen nicht
hinreichend bewiesen bzw. beweisbar sind.
3. Aufklärungskampagnen über gesunde Ernährung und Aktionen zur
Verbesserung
von unvernünftigen (aber weit verbreiteten) Ernährungsweisen
und Lebensstilen sowie die Erstellung einer „Nationalen Verzehrstudie" zu
initiieren.
4. Auf EU-Ebene bei der
anstehenden Neuregelung der Nährwertkennzeichnung
im Sinne einer umfassenden Konsumenteninformation und Wahlfreiheit
jedenfalls für eine obligate Angabe der enthaltenen Nährstoffmengen
einzutreten. Derzeit wird eine EU-Regelung für „nährwert-, wirkungs- und
gesundheitsbezogenen Werbung bei Lebensmitteln" erarbeitet. Folgende
Kriterien sind dabei zu berücksichtigen:
• Verpflichtende Nährwertkennzeichnung für alle
„Wellnessprodukte" und
funktionelle Lebensmittel.
• Verpflichtende Angabe der enthaltenen Zuckermenge; Angabe als
„Zuckergehalt" und nicht als Rübenzucker, Traubenzucker, Fruchtzucker, etc.
• Verbot von „Alles-oder-Nichts-sagenden"-Aussagen
wie „wohltuend",
„entspannt", „vitalisiert", etc.
• Konkrete Aussagen wie „stimuliert",
„kräftigend", „verdauungsfördernd", etc.
müssen hinreichend wissenschaftlich untermauert und für das jeweilige
Produkt zutreffend sein.
• Auskunftsverpflichtung der Hersteller hinsichtlich
wissenschaftlicher
Untermauerung, Wirkstoffmengen und
Wirkprinzip.
• Entsprechende (neue) Regelungen müssen für jede Form
der Werbung
gelten, nicht nur für jene am Produkt.
• Verbindliche Definition von „funktionellen"
Lebensmitteln und „Wellness-
Produkten"
5. Absicherung des
Versandhandelsverbotes für Nahrungsergänzungsmittel im
Sinne der EU-Richtlinie (Verzehrprodukte) in der Gewerbeordnung.
6. Verbesserung und Absicherung
der Konsumenteninformation durch
gesetzliche Festlegung einer umfassenden Auskunftsverpflichtung von
Importeuren, Herstellern, Händlern sowie Behörden (z. B.
Lebensmittelaufsichtsorgane) über Produkte (z.B. Lebensmittel) und
Dienstleistungen durch ein „Konsumenteninformationsgesetz".