160/A(E) XXII. GP
Eingebracht am 18.06.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten
Glawischnig, Rest-Hinterseer, Freundinnen und Freunde
betreffend ökologischer Hochwasserschutz
Hochwasser sind seit Menschengedenken ein natürlicher Teil
des Wasser- und
Naturkreislaufs. Durch die zunehmenden Eingriffe in Naturhaushalt und Weltklima
hat sich aber die Hochwassersituation in den neunziger Jahren in vielen Welt-
Regionen, so auch in Europa und Österreich dramatisch verschärft.
In den letzten Jahrzehnten haben die österreichischen
Flüsse durch
Regulierungsmaßnahmen erheblich an ökologischer Qualität verloren, Flussläufe
wurden begradigt, zahlreiche Staustufen errichtet, Nebenarme abgetrennt,
Auwälder
und Überflutungsarme als Lebensräume für Pflanzen und Tiere verschwanden. Seit
1945 wurden in Österreich insgesamt 30.000 Flusskilometer verbaut. Insgesamt
sind
80 Prozent der Fließstrecken der österreichischen Flüsse verbaut.
Diese Eingriffe in den natürlichen Abfluss von Flüssen
tragen eindeutig zu einer
Anhäufung von Hochwasserereignissen bei. Die Fließgeschwindigkeit der Flüsse
erhöht sich, Überschwemmungen kommen schneller und stärker. Rund 400.000
Hektar Überflutungsraum (Stichwort: Auwälder) sind in den letzten Jahrzehnten
durch Wasserbau, Kraftwerksbau und Straßenbau verschwunden, das entspricht 5%
des Bundesgebietes. Durch diese Zerstörung natürlicher Überschwemmungsgebiete
kann bei Hochwasser weniger Wasser zurückgehalten werden. Auch der Ausbau
von Staustufen führt zwangsläufig zu einem erheblichem Verlust der an
Überschwemmungen angepassten
Auenvegetation
Auf versiegeltem Boden (Stichwort: Verkehrsprojekte,
Siedlungen, Wirtschaftsbetriebe etc.)
versickert Wasser nicht, sondern fließt schnell ab. Regenwasser kann nicht von
den Böden
aufgenommen werden, sondern fließt sofort in die Kanalisation und Flüsse. Das
erhöht die
Hochwasserspitzen. In Österreich sind generell nur 40 Prozent der Landesfläche
bewohnbar. 12 Prozent der Fläche sind bereits Bau- und Verkehrsflächen. Täglich
gehen
weitere 15 bis 25 Hektar Boden verloren. Die nach wie vor sehr großzügige
Widmungspolitik
durch Gemeinden und Länder in sehr vielen vor allem ländlichen Gemeinden hat
zum
Heranrücken an die hochwassergefährdeten Gebiete geführt. Die Hochwasserschäden
wurden dadurch verschlimmert. Die durch Hochwässer verursachte Schadenssummen
für
die öffentliche Hand werden größer, wenn mehr Verkehrsinfrastruktur pro
Flächeneinheit im
Katastrophenfall von Schäden betroffen wird. Ein Einbremsen von
Flächenneuverbrauch und
Versiegelung ist daher eine wichtige Leitlinie eines vorsorgenden
Hochwasserschutzes.
Herabgesetzte Speicherkapazität von Boden und Vegetation
tragen zusätzlich zu regionalen
Hochwasserereignissen bei. Ursachen dafür sind neben der Flächenversiegelung
auch
Waldschäden (z.B.: durch bodennahes Ozon aus Verkehr) und die
Intensivlandwirtschaft.
Durch die industrialisierte Landwirtschaft gingen in den letzten Jahrzehnten
Auen und
Feuchtstandorte verloren. Die Entwässerung von Niedermooren, Bodenverdichtung
und
Bodenversauerung, Dränagen, Erhöhung des Versiegelungsanteils und Verlust von
Pufferzonen durch den landwirtschaftlichen Wegebau sind weitere Probleme. Auch
Waldschäden haben Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Humusschwund,
verringerte
Nadel- und Laubdecke, stärkere Sonnenexposition im
verlichteten Wald sind Faktoren,
welche die Wasserrückhaltefähigkeit der Waldböden herabsetzen. Biolandbau und
Öko-
Forstwirtschaft nehmen Rücksicht auf den natürlichen Wasserhaushalt, verdichten
die
Böden weniger und erhalten ihnen daher eine höhere Wasserkapazität. Eine
flächendeckende Ökologisierung der Land- und Forstwirtschaft sollte also auch
aus Sicht
des Hochwasserschutzes höchste Priorität haben.
Bei Flussausbaumaßnahmen dürfen Fehler der
Vergangenheit nicht wiederholt
werden. Der „Rückbau" der Flüsse und die Schaffung neuer Überflutungsflachen
sind daher ein Gebot der Stunde. Für diese passiven
Hochwasserschutzmaßnahmen sollte ein eigener Fördertopf eingerichtet werden.
Flussrenaturierungen sind nicht nur ein zentrales Element eines ökologischen
Hochwasserschutzes, sondern erhöhen auch die Selbstreinigungskraft der Flüsse,
die auf diese Weise zu natürlichen Kläranlagen werden, was wiederum Kosten
einsparen kann. Maßnahmen für einen ökologischen Hochwasserschutz
(wiedergeschaffene Aulandschaften bzw. neu geschaffene Flusslandschaften)
hätten positive Effekte im Bereich Artenvielfalt.
Das Wasserrechtsgesetz zählt in § 105,
öffentliche Interessen, eine Liste von in sich
widersprüchlichen öffentlichen Interessen. Welche Prioritäten gesetzt werden,
ist
dann Frage der Wasserpolitik. Aufgrund der technischen Entwicklung ist es heute
nicht mehr nötig, Betriebe in Flussnähe anzusiedeln, sowie es in Zeiten der
Mühlräder noch notwendig war. Auch muss aufgrund der landwirtschaftlichen
Überproduktion nicht jede Fläche für die landwirtschaftliche Nutzung
überschwemmungsfrei - und 100% sicher sein. Volkswirtschaftlich gesehen ist ein
Rückbau der Flussregulierungen leistbar. Um hier klarere Akzente zu setzen, ist
eine
Gesetzesnovelle notwendig. Es muss ein gesetzlicher Verbesserungsauftrag
formuliert werden, um die Wasserrechtsbehörden zum Handeln zu verpflichten und
um die daraus resultierenden Eingriffe in die Rechte derer, die von alten
Regulierungsmaßnahmen profitieren, ausreichend zu legitimieren. So gibt die
derzeitige Instandhaltungsverpflichtung in § 50 WRG den vor dem Wasser
geschützten Grundstückseigentümern einen Rechtsanspruch auf Erhaltung der
Regulierungsbauten. Der Rückbau von Regulierungsmaßnahmen wird daher aus der
Sicht des Grundrechts auf Eigentums nur dann zu legitimieren sein, wenn das
neue
prioritäre öffentliche Interesse klar formuliert wird und eine Fließstrecke im
gesamten
untersucht wird, um festzustellen, welche Rückbauten die meisten positiven
Effekte
hätte und wo die individuellen negativen Effekte am ehesten zumutbar wären.
Dieser
verfassungsrechtliche Legitimationsbedarf korrespondiert mit der Verpflichtung
aus
der EU-Wasserrahmenrichtlinie, Bewirtschaftungspläne für gesamte
Fließgewässerstrecken aufzustellen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
1. Der Bundesminister für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
wird aufgefordert, folgende Maßnahmen für einen ökologischen Hochwasserschutz
umzusetzen:
Renaturierungsprogramm
• Durchführung eines umfassenden
Rückbauprogramms für Österreichs
Fließgewässer mit dem Ziel einer
raschen Renaturierung regulierter
Fließgewässer und der
Reaktivierung alter Retentionsräume;
• Einrichtung eines
selbständigen Fördertopfes für Fluss-
Renaturierungsmaßnahmen und ausreichende Dotierung, um bis zum Jahr
2015 eine Milliarde € das Rückbauprogramm zu investieren;
• Erstellung von Gesamtkonzepten für Flusseinzugsgebiete,
verstärkte
Fortführung des Instruments der
Gewässerbetreuungskonzepte und
Erstellung ökologischer
Leitbilder für relevante Fließgewässer;
• Ambitionierte und grenzüberschreitende Programme im Kontext
mit der
Flussgebietsplanung
(Tschechien, Deutschland, Slowakei, Slowenien,
Schweiz, Italien und
Ungarn);
Wasserkraftwerke, Wasserbauten
• Keine weitere Errichtung von Wasserkraftwerken an großen Flüssen,
natürlichen und
naturbelassen Fließstrecken, Strecken mit hohem
Renaturierungspotential, in
Natura 2000 Gebieten, Nationalparks und anderen
Schutzgebieten;
• Hintanhalten von Ausbaumaßnahmen, die zu einer Verstärkung
der
Hochwassergefahr führen;
• Überprüfung und Neufestsetzung der Restwassermengen
bei bestehenden
Wasserkraftwerken
unter Berücksichtigung der EU-Wasserrahmenrichtlinie;
• Vorgaben für die Kraftwerksbetreiber, bei absehbarem
Starkniederschlag
Reserven in den
Stauseen zu halten;
• Neue Wasserbauten (Straßen- und Bahnbauten,
Hochwasserschutz) nur mit
ausgleichender Renaturierungsmaßnahme;
• Ökologische Kriterien für die Wildbach- und Lawinenverbauung;
Bio-Landwirtschaft und Öko-Forstwirtschaft
• Maßnahmen zur Verringerung der Bodenverdichtung;
• Maßnahmen zur Entsiegelung landwirtschaftlicher Wege;
• Rückbau von Dränagesystemen, Erhaltung bzw.
Wiedervernetzung von
Auwäldern, Mooren und
Feuchtwiesen;
2. Der Bundesminister für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
wird aufgefordert, eine Wasserrechtsgesetznovelle mit folgenden Inhalten
vorzubereiten:
• Klarer Auftrag an den Vollzug zur Verbesserung des
Zustands der Gewässer
(Verbesserungsauftrag)
• Effiziente Instrumente zur
Verbesserung des Zustands der Gewässer
(Adaptierung von Wasserkraftanlagen)
• Fließgewässerbezogene Betrachtungsweise generell und im Einzelfall
• Erleichterung der Möglichkeit zur Auflassung von Regulierungsbauten
• Erweiterung des Hochwasserabflussbereichs auf HQ1oo
• Wasserrechtliche
Genehmigungspflicht für Bauten bzw Versiegelungen
größeren Ausmaßes im
Hochwasserabflussbereich (Freihalten des
Hochwasserabflussbereichs)
• Strenge Kriterien für neue
Wasserkraftwerke (Bindung an eine
Positivausweisung, dh jedenfalls
keine weiteren Staustufen in Natura 2000-
Gebieten, Nationalparks und
anderen Schutzgebieten, in naturnahen
Fließstrecken oder in aktuell
stark belasteten Gebiete; Parteistellung für NGO
und lokale Bürgerinitiativen im
Genehmigungsverfahren und zwingende
Ausgleichsmaßnahmen).
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Umweltausschuss vorgeschlagen.