228/A(E) XXII. GP
Eingebracht am 24.09.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Maga. Terezija Stoisits,
Freundinnen und Freunde
betreffend Reform der Verfahrenshilfe im Strafprozess
Im Rahmen der Gesamtreform des
strafprozessualen Vorverfahrens soll vom
System der sogenannte „Pflichtverteidigung" gem. § 42 Abs. 2 (geltender)
StPO
abgegangen werden. Die Regierungsvorlage zum Strafprozessreformgesetz (25
d.B. XXII. GP) sieht vor, die „Pflichtverteidigung" in
die
„Verfahrenshilfeverteidigung" zu integrieren. Das Justizministerium
begründet
diesen Schritt im wesentlichen damit, „weil es
(Institut der Pflichtverteidigung) sich
im
System der Verfahrenshilfe als Fremdkörper erwiesen und in der Praxis den
Nachteil
mit sich gebracht hat, dass in vielen Fällen ein Verteidigerwechsel stattfinden
muss,
weil manche Rechtsanwaltskammern aus administrativen Gründen nicht in der
Lage sind, dieselbe Person als 'Pflicht-' und als Verfahrenshilfeverteidiger' zu bestellen.
Auch der angestrebte Zweck des Instituts, junge, engagierte Rechtsanwälte
vermehrt
für
Vertretungen in Strafsachen zu gewinnen, wurde in nennenswertem Ausmaß nicht
erreicht".
Im derzeitigen
System der Pflichtverteidigung in Haftsachen konnte sich
tatsächlich keine, wie bei deren Einführung 1993 ausdrücklich beabsichtigt,
Spezialisierung von AntwältInnen herausbilden. So teilten sich im Jahr 1993 170
AntwältInnen noch 2200 Haftverhandlungstermine, 1997 hingegen wurden die -
nur mehr -1750 Haftprüfungen von bereits 330 VerteidigerInnen bestritten und
verschlechterte sich diese Relation im Jahr 2000 auf ca. 450 AntwältInnen für
nur
mehr 1664 Bestellungen. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass sich aufgrund des
freien Zugangs zur Pflichtverteidigung die angestrebte Spezialisierung nicht
erreicht werden konnte.
Leider nutzt das
Justizministerium die Reform Strafprozesses nicht zu einer
umfassenden Neugestaltung der Verfahrenshilfe und zur Schaffung von Anreizen
für die Anwaltschaft, sich im Strafrecht zu spezialisieren.
Nach der
geltenden StPO wählen Beschuldigte, die es sich leisten können,
selbst eine (Wahl-)Verteidigerln. Beschuldigten, die sich eine
StrafverteidigerIn
nicht leisten können, bewilligt das Gericht die Verfahrenshilfe. Die
Beschuldigten
müssen dann die Kosten ihrer Verteidigung nicht selbst tragen. Diese
VerteidigerInnen wählt die Rechtsanwaltskammer aus. Wünsche nach einer
bestimmten Verteidigerin äußern Beschuldigte in der Regel nicht, solche
Wünsche könnten, im geltenden Kollektiventlohnungssystem auch gar nicht
berücksichtigt werden. Denn die VerfahrenshilfeVerteidigerInnen erhalten für
ihre
Leistungen keine direkte Bezahlung. Sie legen ihrer Rechtsanwaltskammer zwar
eine Honorarnote, bekommen aber nichts direkt ausbezahlt. Damit fehlt hier
anders als in der Verfahrenshilfe im Zivilverfahren und bei sonstigen
anwaltlichen
Leistungen die durchgängig vorhanden direkten wirtschaftlichen Anreize.
Der Bund bezahlt
diese Leistungen der VerfahrenshilfeVerteidigerInnen
aber sehr wohl. Er gilt diese den Rechtsanwältlnnen jährlich durch einen
Pauschbetrag ab.
Insgesamt überweist der Bund jährlich rund 15 Mio. Euro
Pauschalvergütung an die Rechtsanwaltskammern. Damit wird die erste,
umlagefinanzierte Säule des Pensionssystems der Anwaltschaft zu rund 50
Prozent finanziert. In diesem Kollektiventlohnungssystem bestehen aber zu
geringe direkte Leistungsanreize, was in der Praxis zu nicht unerheblichen
Problemen führt.
Da die meisten
Beschuldigten Verfahrenshilfe haben, zahlende
Beschuldigte relativ also selten sind, haben Rechtsanwältlnnen an Strafsachen
in
der Regel nur äußerst geringes wirtschaftliches Interesse. Es gibt in
Strafsachen
wenig zu verdienen, Aneignung strafrechtlicher und strafprozessualer Kenntnisse
sowie Fortbildung verursachen aber einen beträchtlichen Aufwand und erfordern
eine kontinuierliche Verteidigungspraxis.
Viele Kanzleien
übernehmen deshalb nur ausnahmsweise
Strafverteidigungen, erledigen aber die Verfahrenshilfeverteidigungen, weil sie
ansonsten die substituierende AnwältIn selbst bezahlen müssten. Aus
Kostengründen bleiben die Verfahrenshilfeverteidigungen dann regelmäßig den
jüngsten und unerfahrensten Konzipientlnnen überlassen.
Mangels direkter
Bezahlung können sich nur wenige AntwältInnen auf
Strafverfahren spezialisieren. Die durchschnittliche Verteidigung besteht in
der
Praxis oft aus nicht viel mehr als in der Bitte um eine milde Strafe. Das hat
negative Auswirkungen auf das ganze System: Viel zu wenige VerteidigerInnen
bestehen auf einer gewissenhaften Einhaltung der StPO.
Die
Regierungsvorlage übernimmt im Wesentlichen das geltende System.
Das ist bedauerlich. Auch Beschuldigte, denen Verfahrenshilfe gewährt wurde,
sollten sich selbst eine Verteidigerin wählen können. Diese Verteidigerin
sollte
vom Bund direkt entlohnt werden, wie es sich in anderen europäischen Ländern -
insbesondere in Deutschland und vor allem in England - in der Praxis bewährt
hat.
Nach den
Erfahrungen mit unserer geltenden Strafprozessordnung, geht es
jetzt um eine Verrechtlichung des gesamten strafprozessualen Vorverfahrens.
Das Risiko, dass sich abermals eine Praxis neben den geltenden gesetzlichen
Bestimmungen herausbildet, muss von Vornherein minimiert werden - dazu ist
eine qualitativ hochwertige Verfahrenshilfeverteidigung aber unabdingbar.
Eine solche
Einzelentlohnung empfiehlt sich auch aus grundsätzlichen
psychologischen Überlegungen: Sowohl die VerteidigerInnen als auch die
Beschuldigten haben im geltenden System das Gefühl, dass „umsonst gearbeitet
wird". Der freie Beruf der Rechtsanwältlnnen basiert grundsätzlich auf dem
Prinzip der Einzelentlohnung. Es ist auf Dauer nicht einzusehen, warum die
Verfahrenshilfe im Bereich des Strafrechts von diesem Prinzip zur Gänze
ausgenommen sein sollte.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Der Bundesminister für
Justiz wird ersucht, im Rahmen der Vorbereitung der
Neuregelung des strafprozessualen Vorverfahrens Maßnahmen zu einer
Gesamtreform der Verfahrenshilfeverteidigung zu prüfen, die insbesondere
umfassen
• eine direkte, einzelfallbezogene und
wirtschaftlich vertretbare Entlohnung
für die Verfahrenshilfeverteidigung anstelle der derzeitigen
Pauschalvergütungsregelung,
• die freie VerteidigerInnen während des
gesamten Strafverfahrens zur
Steigerung der anwaltlichen Motivation durch Konkurrenzdruck und
• die Einführung verpflichtender
Qualitätsanforderungen in der
Verfahrenshilfeverteidigung sowie verpflichtende Regelungen für
StrafverteidigerInnen.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuß vorgeschlagen.