270/A(E) XXII. GP
Eingebracht am 12.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Lackner, Renate Csörgits, Erika Scharer, Beate Schasching, Heidrun Silhavy,
Ing. Kaipel, Dr. Kräuter, Mag. Maier, Spindelberger
und Genossinnen
betreffend Studien über den Einsatz von „Erwachsenenmedikamenten" in der
Kinderheilkunde
Nach Einschätzung von Experten sind 80 Prozent der
Arzneimittel, die in der
Kinderheilkunde eingesetzt werden, für diesen Indikationsbereich nicht
zugelassen. Diese
Medikamente sind mithin nicht gezielt und systematisch untersucht worden, so
weit es um
ihre
Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei der pädiatrischen Anwendung geht.
Für etwa 40 Prozent der in Deutschland verordneten
Medikamente, die nach der
Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unverzichtbar sind, gilt
nach
Herstellerangaben in der Kinderheilkunde ein prinzipielles Anwendungsverbot.
Die
Kinderärzte
müssen jedoch solche „Erwachsenenmedikamente" zur Therapie einsetzen, wenn
ein
Heilungsversuch Erfolg verspricht.
In diesen Fällen bewegen sich die Kinderärzte außerhalb
des haftungsrechtlichen Schutzes des
Arzneimittelgesetzes. Für Heilversuche mit „Erwachsenenmedikamenten"
benötigen die Pädiater
die
spezielle Einwilligung der Eltern oder sonstiger Erziehungsberechtigten und -
so weit möglich -
die
der Kinder selbst.
Von der therapeutisch wirksamen Dosis eines
Arzneimittels, das zur Behandlung einer
Erkrankung
bei Erwachsenen angewandt wird, kann nicht ohne Weiteres eine für den
kindlichen
oder jugendlichen Organismus wirksame Dosis abgeleitet werden. Kinder und
Jugendliche können nicht als kleine Erwachsene angesehen und therapiert werden.
Die Kinderheilkunde unterscheidet anhand der Reifungs-
und Differenzierungsprozesse des
Organismus
vielmehr fünf Entwicklungsstadien (Frühgeborene, Neugeborene, Kleinkinder,
Schulkinder
und Adoleszente), die jeweils durch physiologische Besonderheiten
gekennzeichnet sind, die ihrerseits für die Arzneimitteltherapie relevant sind.
Wegen des Fehlens systematisch erhobener
wissenschaftlicher Daten verharrt die
Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen notwendigerweise auf der
Stufe der
Empirie,
wenn „Erwachsenenmedikamente" eingesetzt werden. Die vorhandenen
Therapieempfehlungen
sind letztlich mit einer „Kochrezeptesammlung" vergleichbar.
Die
medikamentöse Behandlung von Kindern und Jugendlichen weist demnach nicht den
Qualitätsstandard auf, der bei Erwachsenen erreicht ist. Der Einsatz von
„Erwachsenenmedikamenten"
in der Pädiatrie geht mit einem höheren Risiko für unerwünschte
Nebenwirkungen einher, es kann zu klinisch relevanten Über- und
Unterdosierungen kommen. Diese Situation kann sich zudem dadurch weiter
verschärfen,
dass in der Kinderheilkunde gut bewährte Präparate wegen
fehlender wirtschaftlicher
Interessen
der pharmazeutischen Unternehmer nicht mehr in die Nachzulassung gebracht und
deshalb
alsbald nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Die Kinder, die in Österreich
leben,
haben aber dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere
Pharmakotherapie wie
Erwachsene.
Mit dem Problem des Einsatzes von
„Erwachsenenmedikamenten" in der Kinderheilkunde ist
nicht
nur Österreich konfrontiert. Zu seiner Lösung sind weltweit verschiedene
Alternativen
entwickelt
worden. Die USA haben eine Vorreiterrolle übernommen. Mit dem Modernization
Act von 1997 haben sie ein Gesetzpaket geschnürt, das zum einen Zwangsmaßnahmen
und
zum
anderen wirtschaftliche Anreize enthält.
Die Hersteller innovativer Arzneimittel sind seither
angehalten, die Indikationsstellung auch für die
Kinderheilkunde
zu beantragen und die entsprechenden Nachweise beizubringen, wenn erwartet
werden kann, dass das Medikament für die Behandlung kranker Kinder und
Jugendlicher geeignet
ist.
Die Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit solcher
Arzneimittel müssen für jede einzelne
Altersgruppe
untersucht werden. Ferner kann die US-amerikanische Zulassungsbehörde, die Food
and Drug Administration (FDA), kindgerechte Darreichungsformen vorschreiben.
Den Herstellern
bereits zugelassener „Erwachsenenmedikamente" kann die FDA gegebenenfalls
vorgeben, ihre
Präparate
im nachhinein für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu untersuchen. So wurde
schon
eine
Prioritätenliste erstellt, die 400 zu prüfende Wirkstoffe umfasst.
Die wirtschaftlichen Anreize bestehen in der Verlängerung
des Patentschutzes bzw.
Alleinvertriebsrechts um sechs Monate, wenn das Arzneimittel auch für den
Einsatz in der
Kinderheilkunde zugelassen wird. Beantragt der Arzneimittelhersteller eine
nachträgliche
Indikationsstellung in der Kinderheilkunde, wird er von den Bearbeitungsgebühren
befreit.
Die Pediatric Rule sieht weitere Verbesserungen vor: Bei
der FDA ist ein Ausschuss
pädiatrischer Sachverständiger einzusetzen, Leitlinien über kinetische und
klinische Studien
mit Kindern und Jugendlichen sind zu erarbeiten und zu veröffentlichen,
schließlich ist die
systematische Begleitung und Überwachung aller Studien zu gewährleisten, die
mit Kindern
durchgeführt
werden.
Darüber hinaus werden in den USA staatliche Zuschüsse für
Kompetenzzentren gezahlt, die
Studien mit Wirkstoffen vorbereiten, durchführen und auswerten, die in der
Kinderheilkunde
eingesetzt werden sollen. Weiters fließen unmittelbar staatliche Gelder in die
Förderung
von Forschung an und mit Wirkstoffen, die in der Pädiatrie angewendet werden
sollen. Die
Europäische
Kommission hat ähnliche Konzepte erarbeitet.
Im Gegensatz zu den staatlichen Aktivitäten spielt die
Entwicklung von Medikamenten für
Kinder in der Arzneimittelforschung der Pharmaunternehmen lediglich eine
untergeordnete
Rolle. Die Gründe hierfür sind die hohen Entwicklungskosten, die begrenzten
Absatzchancen
auf
dem Markt und das ausgeprägtere Risiko des Auftretens unerwünschter
Nebenwirkungen
in
der klinischen Prüfung.
Unter dem Strich ist die Situation auf dem Gebiet der
Arzneimittelsicherheit in der
Kinderheilkunde so unbefriedigend, dass sie nicht länger hinnehmbar ist. Es
besteht
dringender
Handlungsbedarf.
Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden
Entschließungsantrag:
"Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen wird
aufgefordert, im Österreichischen
Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) eine
Studie erstellen zu lassen, die nationale und
internationale empirische Erkenntnisse über den Einsatz von
„Erwachsenenmedikamenten" in der
Kinderheilkunde erfasst und systematisch auswertet. Die Ergebnisse dieser
Analyse sind dem
Nationalrat zuzuleiten und zu veröffentlichen.
Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen wird
weiters beauftragt, in der
Bundesstrukturkommission anzuregen, dass multizentrische klinische Studien über
„Erwachsenenmedikamente"
in der Kinderheilkunde, an kranken Kindern und Jugendlichen
vorbereitet,
betreut und partiell oder vollständig finanziert werden."
Zuweisungsvorschlag: Gesundheitsausschuss