286/A(E) XXII. GP
Eingebracht am 12.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde
betreffend Schutz der Kinder- und
Babygesundheit vor gefährlichen Chemikalien durch
Erlass einer Kinder- und Baby-Kosmetikverordnung
Insgesamt sind der Wissenschaft rund 16
Millionen verschiedene Chemikalien
bekannt, über 100.000 sind derzeit in der EU zur industriellen Nutzung
registriert. 1967
trat in der EWG die erste Chemikalienrichtlinie in Kraft mit dem Ziel, für
Chemikalien
einen Binnenmarkt einzurichten. Umwelt- und Gesundheitsaspekte wurden erst viel
später ins EU-Chemikalienrecht aufgenommen. 1976 folgte eine Richtlinie zur
einheitlichen Beschränkung von gefährlichen Chemikalien, seit 1981 müssen alle
neuen Chemikalien unter Angabe eines Mindestdatensatzes angemeldet werden.
Doch bereits 1981 waren in der EU 100.106 verschiedene Chemikalien registriert.
Daher erfolgte 1993 die bislang letzte größere Änderung des Chemikalienrechts.
Es
wurde beschlossen, für diese „alten" Chemikalien Risikobewertungen
durchzuführen.
Doch Struktur und Umsetzung dieser Verordnung führten geradewegs ins
chemiepolitische Desaster.
Denn den Mitgliedsländern wurden für die
Bewertungen, die anschließend noch von
der EU-Kommission überprüft werden, keine Fristen vorgegeben. Gegenwärtig sind
für
die Einstufung und Kennzeichnung der vor 1981 auf den Markt gebrachten
Chemikalien die Hersteller eigenverantwortlich. Aufgrund begrenzter Ressourcen
der
EU-Behörden ziehen sich die Bewertungsverfahren in die Länge. Von den 100.106
gelisteten „alten" Chemikalien in der EU wurden seit 1993 die
Risikobewertungen erst
für 65 (!) Chemikalien abgeschlossen. Geht die Bewertung der über 100.000
Chemikalien in diesem Tempo weiter, würde es geschlagene 15.400 (!) Jahre
dauern,
bis alle Chemikalien bewertet sind. Selbst wenn nur jene 10 - 20.000
Chemikalien in
Betracht gezogen werden, die im Ausmaß von mehr als 10 Tonnen pro Jahr und
Hersteller anfallen (EU-Schwelle für Voll-Anmeldung), würde es noch 1.500 bis
3.000
Jahre dauern.
Erst insgesamt 141 Stoffe wurden für eine
Risikobewertung ausgewählt. Dieses
Auswahlsystem ist zudem höchst zweifelhaft: Umweltorganisationen monieren, dass
viel Zeit in die Bewertung weniger gefährlicher Substanzen gesteckt, und
andererseits
lange bekannte Umweltgifte wie Quecksilber und Quecksilberverbindungen, Blei oder
das bromierte Flammschutzmittel TBBA (Tetrabrom-Bisphenol A) nicht erfasst
sind.
1998 haben die EU Regierungen aufgrund dieser Probleme in
der Altstoffbewertung
die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag zur Reform der EU
Chemikalienpolitik
zu entwerfen. 2001 wurde von der Kommission der erste Entwurf zu REACH
(Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) veröffentlicht. Nach
einer
Konsultationsfrist wurde am 29. Oktober 2003 der endgültige offizielle Entwurf
vorgelegt.
Dieser wurde im Gegensatz zum Vorschlag
aus dem Jahr 2001 deutlich
abgeschwächt. Die Mengenschwelle für eine vollständige Anmeldung wurde von
ursprünglich 1 Tonne pro Jahr und Hersteller auf nunmehr 10 Tonnen pro Jahr und
Hersteller angehoben, Kunststoffe wurden ausgenommen und die regelungen
betreffend Transparenz der Datenveröffentlichung
verschärft. Dadurch fallen ca. 50
Prozent der 100.000 Chemikalien völlig aus dem System heraus.
Der Schutz der Gesundheit und der Umwelt
wird durch diese Gesetzesreform nicht
ausreichend gewährleistet. Voraussichtlich wird die neue Chemikalienpolitik
erst 2016
voll implementiert sein. Sie soll im Jahr 2005 in Kraft treten und erlaubt für
Chemikalien
unter einer Schwelle von 10 Tonnen pro Jahr und Hersteller eine Übergangsfrist
von
11 Jahren. Bis zu 30.000 Chemikalien werden daher erst elf Jahre nach
Inkrafttreten
des EU-Chemikalienrechts registriert sein.
Und auch dann werden nach dem
gegenwärtigen Entwurf keine ausreichenden
Sicherheitsinformationen für die VerarbeiterInnen solcher Produkte und ihre
KonsumentInnen vorliegen. Es ist nur mehr die Rede davon den Gebrauch
gefährlicher
Chemikalien durch „adäquate Kontrolle" zu minimieren. Wenn also eine
sichere
Alternative zu einem vergleichbaren Preis vorhanden ist, darf die Produktion
von
bedenklichen Stoffen dennoch weiter geführt werden. Dadurch wird gleichzeitig
die
Forschung nach sichereren Alternativen unterdrückt.
Die Brisanz des Themas tritt auch in der
Öffentlichkeit immer wieder durch den
Nachweis von potenziell gesundheitsgefährdenden Konsumentenprodukten zutage. So
wurden heuer in Österreich nicht nur hormonell wirksame UV Filter in
Sonnenschutzmitteln nachgewiesen, sondern auch allergene, resistenzbildende und
mutagene Konservierungs- und Desinfektionsmittel in Kosmetik- und
Körperpflegeprodukten, dabei auch speziell in solchen für Babys.
In Anbetracht der Tatsache,
Ø dass der Schutz von Gesundheit
und Umwelt zu den in den
Bundesverfassungsgesetzen
festgelegten Zielen der Republik Österreich
gehört;
Ø dass eine adäquate Reform der EU Chemikalienpolitik nach
einer aktuellen
Studie EU-weit durch Senkung
medizinischer Kosten und Steigerung der
Produktivität infolge vermiedener
Krankheiten bis zu 283 Milliarden Euro sparen
könnte1;
Ø dass nach den Übereinkommen, das
dem Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, bei der Festlegung und Durchführung
der Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr,
Binnenmarkt und Forschung die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den
Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung zu
tragen haben,
besteht dringender Handlungsbedarf.
1 David Pearce and
Phoebe Koundouri: The social costs of chemicals - The Cost and Benefits of
Future
Chemicals Policy in the European Union, WWF UK, May 2003
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Bundesministerin für Gesundheit und
Frauen wird aufgefordert, in Anbetracht der
in den letzten Wochen und Monaten wiederholt aufgedeckten Missstände um
potenziell gesundheitsgefährdenden Stoffe in Kinder- und Baby-Kosmetik- und -
körperpflegeprodukten die Ausarbeitung einer Kinder- und Babykosmetikverordung
einzuleiten. Ziel der Verordnung soll es sein, den nach dem Vorsorgeprinzip
best
möglichen Schutz der Kinder- und Babygesundheit in Österreich zu gewährleisten
und deshalb ein Verbot des Einsatzes von gesundheitlich und ökologisch
bedenklichen synthetischen Konservierungsstoffen und anderer potenziell
gesundheitsgefährdender Stoffe in Baby-Kosmetik- und -körperpflegeprodukten
beinhalten.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung
an den Gesundheitsausschuss
vorgeschlagen.