289/A(E) XXII. GP

Eingebracht am 13.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

DRINGLICHER ANTRAG

gemäß §§ 74a Abs. l in Verbindung mit 93 Abs. 2 GOG

der Abgeordneten Dr. Eva Lichtenberger, Freundinnen und Freunde

betreffend ein Paket wirksamer innerstaatlicher Maßnahmen gegen die LKW-Lawine

In nicht einmal 50 Tagen läuft das Transit-Protokoll Nr. 9 zum EU-Beitrittsvertrag aus. Sein Ziel -
die Reduktion der Schadstoffemissionen im LKW-Transit durch Österreich um 60% auf
dauerhafter und umweltgerechter Grundlage - wurde bei weitem nicht erreicht.

Die Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung nach 2003 auf EU-Ebene haben sich unter
Federführung der schwarzblauen Bundesregierungen höchst unerfreulich entwickelt. Unter
anderem wurde von Bundeskanzler Schüssel in Laeken auf die existenziell wichtige Obergrenze
bei der Transitfahrtenzahl verzichtet, Verkehrsminister Reichhold hat in Rom sogar den Verzicht
auf jede Art von Transitbegrenzung unterschrieben. Seit 2001 und auch im derzeitigen
Vermittlungsverfahren zwischen den EU-Institutionen stehen nur mehr inhaltlich indiskutable und
völlig wirkungslose „Scheinlösungen" zur Diskussion. Sofern eine Regelung überhaupt noch
zustande kommt, wird diese nichts mehr zu einer Begrenzung des LKW-Transitverkehrs und
seiner Belastungen für Mensch und Umwelt beitragen. Wenn mit 1. Mai 2004 die bilateralen
Kontingentregelungen mit den Beitrittsstaaten ebenfalls entfallen, ist die praktisch
vollumfängliche Freigabe des Transits Realität. Ein neuerlicher Wachstumssprung der ohnedies
ständig anschwellenden LKW-Lawine wäre unausweichlich die Folge.

Weder auf europäischer noch auf innerstaatlicher Ebene sind zugleich ausreichende alternative

Instrumente in Anwendung oder auch nur in Sichtweite:

+ Der Vorschlag für eine neue EU-Wegekostenrichtlinie ist unzureichend und wird absehbar erst
in einigen Jahren Geltung erlangen. Da die Regierung sich weigert, den Spielraum der
derzeit geltenden Wegekostenrichtlinie (Querfinanzierung, ...) zu nutzen, ist auch hinsichtlich
ambitionierten Anwendung einer vielleicht besseren Nachfolgeregelung Skepsis angebracht.

+ Daneben soll auf EU-Ebene im Rahmen der sogenannten „Harmonisierung" von LKW-
Fahrverboten und Fahrbeschränkungen im TEN-Netz der innerstaatliche Spielraum für
verkehrsbegrenzende Maßnahmen weiter eingeschränkt werden.

+ Mit den für die Transeuropäischen Netze vorgesehenen Mitteln und anderen EU-Geldern
wollen EU und Österreich weitere Aus- und Neubauten im Transitstraßennetz vornehmen.

Griffige innerstaatliche Gegenmittel fehlen dank der Untätigkeit der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung:

+ Die LKW-Maut zum Spartarif, die 2004 endlich umgesetzt werden soll, wird von
Steuergeschenken für Frachter begleitet und alleine kaum Verlagerungswirkung erzeugen.

+ Dies umsomehr, als die Regierung gleichzeitig im Zug der Bahnreform die Schienenmaut
massiv anheben und damit die Straße als Billigangebot im Österreichtransit erhalten will.

+ Nicht einmal geltende Sozial- und Sicherheitsregelungen im LKW-Verkehr können ernsthaft
kontrolliert werden, da anstelle eines arbeitsfähigen Kontrollstellennetzes samt Personal
österreichweit im Autobahnnetz nur zwei funktionsfähige Vollkontrollstellen existieren.

+ LKW-Verkehrsbeschränkungen zugunsten von Gesundheit, Umwelt und Sicherheit auf StVO-
Basis, wie ein generelles LKW-Nachtfahrverbot nach Schweizer Vorbild, wurden von den
Regierungsparteien bisher trotz zahlreicher Grüner Anträge verschleppt.


+ Fahrverbote und Fahrbeschränkungen auf Grundlage des Luftreinhalterechts (IG-Luft) sind
zwar regional sehr wichtig, können aber nur eine Ergänzung zu bundesweiten Schritten und
kein Ersatz dafür sein, da sie nur in einigen wenigen Regionen und dort erst Jahre nach
eingetretener Gesundheitsgefährdung statt vorsorgend anwendbar sind.

+ Eine Infrastrukturpolitik mit völlig falschen Schwerpunkten rundet dieses Versagen auf ganzer
Linie ab, inzwischen haben sich Bundeskanzler und Verkehrsminister ja selbst vom GVP-
Märchen des angeblichen (aber nie finanzierten) Schienenschwerpunkts verabschiedet und
zeigen sich etwa im Rahmen des „Konjunkturpakets III" stolz auf das „Jahr des Straßenbaus
2003" und darauf, dass für die Straße mehr als für die Schiene ausgegeben wird.

Die Bundesregierung wurde solcherart als angebliche Speerspitze des Transitwiderstands völlig
unglaubwürdig. Nicht nur in Brüssel und bei den Nachbarn, sondern vor allem bei der eigenen
Bevölkerung, die Scheinaktivitäten und leere Wahlversprechen (ÖVP: "Der LKW-Transit muss
nachhaltig verringert werden", "Ziel ist eine nachhaltige Verringerung der negativen Effekte des
LKW-Transitverkehrs"; FPÖ: „Eine Lösung (...) muß jedenfalls eine nachhaltige Reduktion der
Schadstoffemissionen im Straßenverkehr in und durch Österreich sicherstellen") erleben mußte.

Eine Trendwende in der Verkehrspolitik der Bundesregierung ist überfällig. Daß im Zweifelsfall
stets die Interessen von Transportwirtschaft und Tiefbaulobby vehementer vertreten werden als
die Lebensinteressen hunderttausender Menschen an den Transitrouten in ganz Österreich, ist
angesichts der Verkehrsprognosen inakzeptabel. Wirkungsvolle Maßnahmen zur Eindämmung
der LKW-Lawine im Interesse der Betroffenen und der Umwelt müssen umgehend erfolgen.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten gemäß §74a Abs. 1 iVm §93 Abs. 1 GOG-NR
folgenden

Dringlichen Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt mit
Priorität die folgenden innerstaatlichen Maßnahmen gegen die LKW-Lawine schnellstmöglich in
nichtdiskriminierender Weise umzusetzen:

+ Generelles LKW-Nachtfahrverbot auf Grundlage der StVO

Die StVO lässt (§42) allgemeine Fahrverbote sowie (§43) Fahrverbote und andere
Verkehrsbeschränkungen aus Gründen der Sicherheit und des Umweltschutzes zu. Ein
generelles LKW-Nachtfahrverbot ist seit 70 Jahren in der Schweiz erfolgreich und
problemlos in Anwendung. Vom in Österreich derzeit geltenden Nachtfahrverbot sind
hingegen sogenannte „lärmarme" LKW und damit der überwiegende Teil der Flotte
ausgenommen. Da ein durchschnittlicher Einsatzzyklus von LKW seit der Einführung Anfang
1995 bereits abgelaufen ist und bei Autobahntempo kein nennenswerter Unterschied in der
Lärmbelastung besteht, müssen zum Schutz der Nachtruhe der Bevölkerung und der LKW-
Lenkerinnen sogenannte „lärmarme" LKW in die Verbotsregelung einbezogen werden. Dies
hat dringend zu erfolgen, da auf EU-Ebene eine Richtlinie im Entscheidungsprozeß ist, die
dies nicht mehr zuließe. Im Gegensatz zu Regelungen nach IG-Luft kann damit auch
vorsorgend und nicht erst im nachhinein und nur in einzelnen Regionen agiert werden.


+ Prioritäre Umsetzung eines arbeitsfähigen bundesweiten Kontrollstellennetzes in
Zusammenarbeit mit den Ländern

Das überfällige „Kontrollpaket" muß beschleunigt und finanziell aufgewertet werden.
Kontrolldichten von 1% bis Ende 2005 und schleichender Ausbau des bisher so gut wie nicht
vorhandenen Kontrollstellennetzes ist zuwenig. Anstelle der bisher zwei voll und zwei
teilweise funktionsfähigen Kontrollstellen an den Autobahnen sind 20 Vollkontrollstellen die
Untergrenze, um alle wichtigen Verkehrsrelationen zu erfassen. Ein solches bundesweites
Netz ausreichend dimensionierter und personell reichlich dotierter Kontrollstellen muß
umgehend realisiert werden. Dieses Kontrollstellennetz muß Investitionsschwerpunkt bei
ASFINAG und Ländern werden; um kurzfristig die nötigen Mittel bereitzustellen, muß der
Neubau und Ausbau von Transitstraßen demgegenüber zurückgereiht werden.

+ Weiterentwicklung der LKW-Maut Richtung Schweizer Modell

Die LKW-Maut muß ohne Verbilligung für einzelne LKW-Klassen ökologisiert werden, die
bisher ungenutzten Spielräume der geltenden EU-Wegekostenrichtlinie für bessere
Verwendung der Mauteinnahmen ist zu nützen, Ausweichstrecken sind einzubeziehen und
die Weiterentwicklung der Mautsätze Richtung Schweizer Modell durchzusetzen.

+ Einbringen einer Klage beim EuGH wegen Nichtumsetzung des primärrechtlich
verankerten Ziels der Reduktion der Schadstoffemissionen im LKW-Transit durch
Österreich um 60% auf dauerhafter und umweltgerechter Grundlage.

2. Darüberhinaus wird die Bundesregierung zur Herbeiführung und Umsetzung aller weiteren
Maßnahmen auf europäischer und innerstaatlicher Ebene aufgefordert, die geeignet sind, den
LKW-Verkehr und insbesondere den LKW-Fernverkehr in die Schranken zu weisen.

Auf europäischer Ebene sind dies beispielsweise:

+ Nachdrückliches Eintreten für deutliche Verbesserung des Vorschlags der nächsten

Wegekostenrichtlinie,
+ Widerstand gegen Lockerungen bei Wochenend- und Feiertagsfahrverboten sowie beim

Tonnagelimit,

+ Unterbinden sinnloser Tiertransporte,
+ Widerstand gegen Absichten, im TEN-Netz Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit

einzuschränken,
+ Verwendung der TEN-Mittel für die Schiene und für umweltverträgliche

Wasserstraßenprojekte.

Auf innerstaatlicher Ebene sind dies beispielsweise:

+ Nachdenkpause beim Neubau und Ausbau von Transitstraßen

+ weitere zweckdienliche Maßnahmen im straßenpolizeilichen Bereich, etwa Tempolimits und

Überholverbote zur Erhöhung der Verkehrssicherheit
+ Maßnahmen, die den besonderen Sicherheitsanforderungen auf alpinen Strecken mit hohem

Tunnel- und/oder Brückenanteil gerecht werden (Abstandsregelungen, Einbahnsysteme,

Dosiersysteme wie an anderen Alpentransitrouten).
+ Anhebung der Strafen für Sicherheits- und Sozialvergehen im Gütertransport und Bemessung

der Strafhöhe im Einzelfall an den durch die Verstöße erzielbaren wirtschaftlichen Vorteilen
+ strafrechtliche Ahndung von Sozialbetrug in der Transportwirtschaft
+ weitere Verbesserung und Beschleunigung beim Luftreinhalterecht/IG-Luft (Verdichtung des

Messstellennetzes in verkehrsbelasteten Regionen, weitere Beschleunigung der Abläufe im

Fall von Grenzwertüberschreitungen, Fahrverbote für Stinker).


+ keine einseitigen Steuersenkungen für LKW

+ Klimaprüfung und strategische Umweltprüfung für den Generalverkehrsplan

+ Vorrang für die Schiene Richtung Beitrittsstaaten anstelle zusätzlicher Transitstraßenprojekte

des Bundes und einzelner Länder
+ keine zusätzlichen Bundesmittel für Transitstraßenprojekte, auch nicht über Umwege wie den

Finanzausgleich
+ Sichern der Kompatibilität der Infrastrukturpolitik und der Verkehrspolitik insgesamt mit

internationalen Verpflichtungen, vom Klimaschutz bis zur Alpenkonvention
+ Transitbörse zur Versteigerung von Durchfahrtsrechten

Die unterfertigten Abgeordneten verlangen, diesen Antrag gemäß §§ 74a Abs. 1 in
Verbindung mit 93 Abs. 2 GOG dringlich zu behandeln und der Erstunterzeichnerin
Gelegenheit zur Begründung zu geben.