404/A XXII. GP
Eingebracht am 27.05.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Antrag
der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und
Freunde
betreffend ein
Bundesverfassungsgesetz über die Einrichtung und die Tätigkeit einer
Arbeitslosenanwaltschaft
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesverfassungsgesetz über die
Einrichtung und Tätigkeit einer
Arbeitslosenanwaltschaft
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel I
Art 1. (1) Jeder
arbeitslose oder arbeitssuchende Mensch hat das Recht, sich zur
Wahrung und Sicherung
seiner Interessen an die Arbeitslosenanwaltschaft zu
wenden.
(2) Der Arbeitslosenanwaltschaft obliegt
1. die Beratung von arbeitslosen- und
arbeitssuchenden Menschen,
2.
die
Unterstützung und Vertretung von arbeitslosen und arbeitssuchenden
Menschen in Verfahren nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, dem
Arbeitsmarktservicegesetz, dem Arbeitsmarktförderungsgesetz, dem
Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, dem Überbrückungshilfegesetzes, dem
Sonderunterstützungsgesetzes, dem
Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz sowie
anderen Rechtsnormen, die
unmittelbar Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche betreffen,
3.
die Vertretung der Interessen arbeitsloser und
arbeitssuchender Menschen im
Gesetzgebungsverfahren,
insbesondere durch Abgabe von Stellungnahmen im
Begutachtungsverfahren,
4.
die Erstellung und Verbreitung von
Informationsmaterialien betreffend die Rechte
und Möglichkeiten von
arbeitslosen und arbeitssuchenden Menschen,
5.
die Information der Öffentlichkeit über die Sicherung
und Wahrung der Interessen
arbeitsloser wie
arbeitssuchender Menschen betreffende Angelegenheiten,
Art 2. (1) Die Arbeitslosenanwaltschaft besteht
aus einem Arbeitslosenanwalt bzw.
einer
Arbeitslosenanwältin und den erforderlichen BeamtInnen und Hilfskräften.
(2) Die Arbeitslosenanwaltschaft ist in
Ausübung ihres Amtes unabhängig.
(3)
Die Arbeitslosenanwaltschaft ist mit jenen Mitteln
ausgestattet, die zur Erfüllung
ihrer Aufgaben notwendig sind.
(4)
Das Arbeitsmarktservice und alle seine Organe und AuftragnehmerInnen
sowie
alle
Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden, die im gesetzlich
festgelegten Aufgabenbereich der Arbeitslosenanwaltschaft tätig sind, haben die
Arbeitslosenanwaltschaft bei der Besorgung ihrer Aufgaben zu unterstützen, ihr
Akteneinsicht zu gewähren und auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu
erteilen.
(5)
Die Arbeitslosenanwaltschaft hat ihren Sitz in Wien. Sie
betreibt
Zweigstellen
in jedem Bundesland sowie Regionalstellen innerhalb der
Bundesländer.
Art. 3. (1) Die Arbeitslosenanwaltschaft hat dem
Nationalrat und dem
Bundesrat
jährlich über ihre Tätigkeit zu berichten und aus ihrer Tätigkeit
resultierende
Empfehlungen abzugeben,
(2)
Die Arbeitslosenanwaltschaft hat das Recht an den
Verhandlungen über die
Berichte
der Arbeitslosenanwaltschaft im Nationalrat und im Bundesrat sowie
in
deren Ausschüssen (Unterausschüssen) teilzunehmen und auf ihr Verlangen
jedes
Mal gehört zu werden sowie an Verhandlungen über die, die
Arbeitslosenanwaltschaft
betreffenden Kapitel des Entwurfes des
Bundesfinanzgesetzes im Nationalrat und in
seinen Ausschüssen
(Unterausschüssen) teilzunehmen.
(3)
Auf Antrag der Arbeitslosenanwaltschaft erkennt der
Verfassungsgerichtshof
über die Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen der
in Art 1 Abs. 2 Z 3 genannten Rechtsmaterien sowie über die
Gesetzeswidrigkeit
von damit in Zusammenhang stehenden Verordnungen
einer
Bundesbehörde.
Art. 4. (1) Der Arbeitslosenanwalt bzw. die
Arbeitslosenanwältin wird auf
Vorschlag
des Hauptausschusses vom Nationalrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit für
eine
Funktionsdauer von vier Jahren bestellt. Eine Wiederbestellung ist
möglich. Er bzw. sie leistet vor Antritt des Amtes dem Bundespräsident bzw.
der
Bundespräsidentin die Angelobung.
(2)
Der Hauptausschuss des Nationalrates hat bei der
Erstellung seines
Vorschlags
VertreterInnen von Arbeitsloseninitiativen anzuhören,
(3)
Bei gleicher Qualifikation sind Frauen und Menschen mit
Erfahrung in
Zusammenhang
mit Arbeitslosigkeit zu bevorzugen.
(4)
Die Diensthoheit des Bundes gegenüber den
bei der Arbeitslosenanwaltschaft
Bediensteten wird vom Bundes-Arbeitslosenanwalt bzw. von
der Bundes-
Arbeitslosenanwältin ausgeübt.
Art. 5. Die näheren Bestimmungen über die
Einrichtung und die Tätigkeit der
Arbeitslosenanwaltschaft
werden durch Bundesgesetz getroffen.
Artikel II
Dieses
Bundesverfassungsgesetz tritt mit 1. Jänner 2005 in Kraft.
Begründung:
800.000
Menschen werden jedes Jahr entweder länger oder kürzer arbeitslos.
300.000 waren es im Durchschnitt des Jahres
2003. Arbeitslosigkeit betrifft also Jahr
für Jahr mehr als 20 Prozent aller Personen im erwerbsfähigen Alter!
Im Unterschied zu PensionistInnen, SchülerInnen,
StudentInnen, Behinderten usw.
haben
Arbeitslose keine eigene bzw. keine anerkannte Interessenvertretung.
Dabei
wären gerade Arbeitslose auf Betreuung, Beratung und Wahrnehmung ihrer
Interessen angewiesen:
•
Arbeitslose
sind die am höchsten armutsgefährdete Gruppe
•
Arbeitslose
haben geringe Rechtsansprüche (die Verweigerung eines
rechtswidrigen Aktes des
Arbeitsmarktservice bewirkt zunächst einmal die
Sperre).
•
Arbeitslose haben geringe Rechtssicherheit, was sich an
der hohen Zahl
von
Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof bzw. den Beschwerden bei
der
Volksanwaltschaft zeigt).
Die Situation arbeitsloser Menschen in Österreich ist
gekennzeichnet von geringer
rechtlicher
Absicherung der Betroffenen, sehr großem Handlungs- und
Interpretationsspielraum des AMS und vor allem geringen Kenntnissen des
Arbeitslosenversicherungsrechtes in der
Bevölkerung.
Aus
dem Zusammenfall dieser drei Faktoren resultieren für eine moderne
Demokratie bzw. für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbare Ungerechtigkeiten: So
etwa bietet das Arbeitslosenversicherungsgesetz arbeitslosen oder
arbeitssuchenden Menschen keine
Möglichkeit, sich mit juristischen Mitteln gegen
vermeintlich oder tatsächlich falsche, fehlerhafte oder schikanöse
Entscheidungen
bzw. Anordnungen des AMS zur Wehr zu setzen, ehe ein Bescheid zur Einstellung
des Bezugs nach dem AIVG erlassen wurde. Sich gegen als ungesetzlich,
falsch,
schikanös oder auch nur fehlerhaft erachtete Schritte des AMS wehren kann man
folglich nur unter Gefährdung der persönlichen Existenzsicherung. Dies ist
eines
Rechtsstaates und einer modernen Demokratie
unwürdig!
Zwar
konnten insbesondere mit der Unterstützung der Arbeiterkammern in den
letzten Jahren eine Reihe von
Verwaltungsgerichtshofserkenntnissen erwirkt werden,
die Willkür in der Anwendung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes
eindämmen
sollen, in der Praxis werden diese jedoch durch Interpretation oder
geringfügige
Adaption von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen umgangen. So wird etwa ein
Erkenntnis des VwGH, in dem ein erfolgtes
Ermittlungsverfahren vor der Zuweisung
zu einer Kursmaßnahme vorgeschrieben wird, bis heute vom AMS nicht umgesetzt
bzw. durch die
Einführung von Standard-Textbausteinen umgangen.
Die
rechtlich prekäre Situation arbeitsloser Menschen ist durch Schaffung
gesetzlicher Rechtsschutzinstrumente, durch
Stärkung des betroffenen Individuums
im Verfahren beim AMS sowie durch Schaffung existenzsichernder Anspruchshöhen
und verbindlicher Regeln für Ausbildung und Qualifikation zu verbessern.
Doch das
reicht in einer Situation nicht aus, in der nicht nur der Zugang zum Recht für
die
Betroffenen kompliziert ist, sondern bereits das Wissen über die rechtlichen
Rahmenbedingungen und vor allem deren
augenblicklicher Interpretation durch das
AMS so gut wie unmöglich ist.
Zur
Verbesserung der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation lohnarbeitsloser
Menschen ist die Schaffung einer gesetzlichen Lobby für die Lobbylosen
unumgänglich: Eine
Arbeitslosenanwaltschaft, die nicht nur punktuell, individuell und
situationsbezogen mit aus Arbeitslosigkeit resultierenden Problemen
konfrontiert ist,
sondern auf Grund einer systematischen Beschäftigung mit Problemlagen
und
Rechtslage in der Lage ist, lohnarbeitslosen Menschen jene Information und
Unterstützung bieten kann, die in deren Situation auch notwendig ist.
Darüber
hinaus ist es notwendig, die Situation lohnarbeitsloser Menschen zum
Gegenstand einer öffentlichen Debatte zu
machen. Eine Arbeitslosenanwaltschaft,
welche die Interessen lohnarbeitsloser Menschen mittels
Öffentlichkeitsarbeit,
Mitwirkung im Gesetzwerdungsverfahren und Berichte an den Nationalrat vertritt,
schafft die notwenige Wissensbasis einer solchen öffentlichen Debatte.
Eine Arbeitslosenanwaltschaft muss
insbesondere
• niederschwellig und unbürokratisch ansprechbar
sein.
Aufgabe der Arbeitslosenanwaltschaft ist nicht die
Erstinformation, sondern
die Beratung und
Unterstützung in Problemsituationen
•
eine Vermittlungsstelle zwischen arbeitslosen Menschen
und AMS bzw.
dessen
AuftragnehmerInnen einnehmen können;
•
im Gesetzgebungsverfahren über Stellungnahmen,
Anhörungsrechte sowie
Vorschlags- und
Empfehlungsrechte eingebunden sein;
•
arbeitslose Menschen bei der Durchsetzung ihrer
Interessen unterstützen und
vertreten können;
•
unabhängig,
weisungsfrei und finanziell abgesichert sein
•
arbeitslose Menschen einbinden.
Im vorliegenden Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes
über die Einrichtung und
die Tätigkeit der
Arbeitslosenanwaltschaft wird diesen Erfordernissen Rechnung
getragen. Er schafft einen verfassungsgesetzlichen Rahmen, der mittels eines
eigenen Gesetzes auszuführen ist.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuß
für Arbeit und Soziales
vorgeschlagen
sowie die Durchführung einer ersten Lesung innerhalb von drei
Monaten verlangt.