479/A XXII. GP

Eingebracht am 18.11.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung und das
Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Nationalrat hat beschlossen:

Bundesgesetz, mit dem die Zivilprozessordnung und das
Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden

Artikel I
Änderung der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung RGBI. Nr. 113/1895, zuletzt geändert durch das
Bundesgesetz BGBl. INr. 112/2003 und das Bundesgesetz BGBl I Nr. 114/2003, wird
wie folgt geändert:

1. Nach § 189 wird folgender § 189a eingefügt:

„§ 189a. (1) Werden in einem Verfahren mehrere Ansprüche geltend gemacht oder
werden mehrere Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, so kann
der Senat anordnen, dass die Verhandlung zunächst auf einzelne Ansprüche
beschränkt wird und bis zu deren Klärung mit der Behandlung der anderen
Ansprüche innegehalten wird, wenn die zu klärenden Tat- oder Rechtsfragen bei den
Ansprüchen im Wesentlichen gleichartig sind und diese Maßnahme geeignet
erscheint, das Verfahren zu vereinfachen oder zu beschleunigen oder die Kosten der
Prozessführung zu mindern.

(2)         Der Beschluss, mit dem die Innehaltung angeordnet wird, ist selbstständig
anfechtbar.

(3)   In verbundenen Verfahren kann die Partei, deren Ansprüche gemäß Abs. 1
vorerst nicht behandelt werden, dem weitergeführten Verfahren gleich einem
Nebenintervenienten beitreten."

 


2. Nach § 190 wird folgender § 190a eingefügt:

㤠190a. (1) Sind in einem Rechtsstreit im Wesentlichen gleichartige Tat- oder
Rechtsfragen zu klären wie in einem anderen zwischen denselben Parteien
anhängigen Rechtsstreit, so kann der Senat auf Antrag einer der Parteien das
Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des anderen Verfahrens
unterbrechen, wenn diese Maßnahme geeignet erscheint, das vorliegende Verfahren
zu vereinfachen oder zu beschleunigen oder die Kosten der Prozessführung zu
mindern. Aus gerechtfertigten Gründen ist das Verfahren auf Antrag fortzusetzen.
(2) Der Beschlussfassung hat die mündliche oder schriftliche Einvernehmung der
anderen Partei voranzugehen."

Artikel II
Änderung des Rechtsanwaltstarifgesetzes

Das Bundesgesetz über den Rechtsanwaltstarif, BGBl Nr. 189, zuletzt geändert
durch das Bundesgesetz BGBl I Nr. 113/2003, wird wie folgt geändert:

§ 12 Abs 2 wird folgender Satz angefügt:
„Gleiches gilt im Fall des § 189a ZPO."

Begründung:

Im Zuge der parlamentarischen Behandlung der Zivilverfahrens-Novelle 2004 (613
d.B.) wurde die Notwendigkeit einer Regelung zu Massenverfahren im
österreichischen Zivilprozess diskutiert. Es wurden von externen Fachleuten auch
Formulierungsvorschläge erstattet, die aber zunächst nicht aufgegriffen wurden. In
der Justizausschusssitzung vom 6. Oktober wurde die Notwendigkeit einer solchen
Regelung in der Debatte zur Zivilverfahrens-Novelle 2004 erörtert. Zum Einen wurde
eine Entschließung, mit der die Bundesministerin für Justiz ersucht wird , gesetzliche
Möglichkeiten zur ökonomischen und sachgerechten Bewältigung von Massenklagen
zu prüfen, einstimmig angenommen. Zum Anderen wurde zusätzlich eine gesetzliche
Initiative des BMJ für eine kurzfristige legistische Maßnahmen in Aussicht gestellt.
Unter diesen Voraussetzungen war eine Zustimmung der Grünen für die
Zivilverfahrens-Novelle 2004 möglich und konnte diese einstimmig verabschiedet
werden.

In der Folge hat das BMJ auch einen Ministerialentwurf eines Bundesgesetzes, mit
dem die Zivilprozessordnung und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden,
zur Begutachtung versandt.

Da nun dem Parlament noch immer keine Regierungsvorlage übermittelt worden ist,
ergreifen die AntragstellerInnen die Initiative, damit diese notwendige Regelung für
einzelne Musterprozesse, ohne dass damit für die anderen Geschädigten, die den
Ausgang des Musterprozesses abwarten möchten, das Risiko der Verjährung ihrer


Forderung besteht, umgehend noch dieses Jahr vom Parlament verabschiedet
werden kann.

Der Antrag entspricht wörtlich dem zur Begutachtung versendeten Ministerialentwurf.
Ausdrücklich besteht die - selbstverständliche - Möglichkeit, Einwände aus dem
Begutachtungsverfahren durch Abänderungsanträge bzw. einen § 27-Antrag zu
berücksichtigen. Den Beratungen im parlamentarischen Justizausschuss soll
diesbezüglich aber nicht Vorgriffen werden.

Vorblatt

Ziele des Vorhabens:

In den letzten Jahren ist es vermehrt zu Schadensfällen gekommen, die eine

Vielzahl von Einzelpersonen betreffen. Die gerichtliche Durchsetzung solcher

Ansprüche durch jeden Geschädigten individuell hat den Nachteil, dass gleiche

Sach- und Rechtsfragen mehrfach geklärt werden müssen. Dies verursacht

unnötige, die Rechtsverfolgung oder -Verteidigung oft unnötig erschwerdende

Kosten für die Parteien und belastet die Gerichte. Es sollen Regelungen geschaffen

werden, die es ermöglichen, einzelne Musterprozesse zu führen, ohne dass damit

für die anderen Geschädigten, die den Ausgang des Musterprozesses abwarten

möchten, das Risiko der Verjährung ihrer Forderung besteht.

Alternativen der Problemlösungen:

Es bestehen keine Alternativen, mit denen die Verwirklichung der angestrebten

Reformziele in gleicher Weise erreichbar wäre.

Kosten:

Das Vorhaben führt zu keiner Kostenbelastung des Bundes.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Rechtsvorschriften der Europäischen Union werden nicht berührt.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Die vorgeschlagenen Regelungen werden keine unmittelbaren Auswirkungen auf die

Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich haben.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Aspekte der Deregulierung:

Keine.

Kompetenz:

Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes gründet sich auf

Art. 10 Abs. 1 Z 6 BVG (Zivil- und Strafrechtswesen).

Erläuterungen

Allgemeiner Teil

In den letzten Jahren ist es vermehrt zu Schadensfällen gekommen, die eine

Vielzahl von Einzelpersonen betreffen. Die gerichtliche Durchsetzung solcher

Ansprüche durch jeden Geschädigten individuell hat den Nachteil, dass gleiche

Sach- und Rechtsfragen mehrfach geklärt werden müssen. Dies verursacht

unnötige, die Rechtsverfolgung oder -Verteidigung oft erheblich erschwerdende

Kosten für die Parteien und belastet die Gerichte.

Im Interesse einer verfahrensökonomischen Lösung des Problems der Durchsetzung

einer solchen Vielzahl gleichartiger Ansprüche hat sich - basierend auf den

prozessualen Möglichkeiten, die das geltende Recht bietet - in der forensischen

Praxis das Modell einer Sammelklage österreichischer Prägung herausgebildet.

Unter einer Sammelklage in diesem Sinn versteht man die gemeinsame


Geltendmachung von individuellen Ansprüchen mehrerer Personen durch einen
einzigen Kläger, dem diese Ansprüche zur klagsweisen Geltendmachung abgetreten
wurden; ein allfälliger Prozesserlös fließt dabei dem ursprünglich Berechtigten zu. Es
tritt somit meist ein einziger Kläger auf, der in der Klage eine Vielzahl von
Ansprüchen, die aus mehr oder weniger gleichgelagerten Sachverhalten abgeleitet
werden, konzentriert gegen einen Beklagten geltend macht. Prozessual gesehen
handelt es sich bei der Sammelklage um eine objektive Klagenhäufung im Sinn des
§ 227 ZPO. Vor diesem Hintergrund hat sich eine rege Diskussion zum Problem der
Bewältigung von Massenklagen entwickelt. Insbesondere wird die Schaffung von
Regelungen gefordert, die es ermöglichen, einzelne Musterprozesse zu führen, ohne
dass damit für die linderen Geschädigten, die den Ausgang des Musterprozesses
abwarten, das Risiko der Verjährung ihrer Forderung besteht. Die bisherigen
Erfahrungen haben zwar gezeigt, dass die Sammelklagen österreichischer Prägung
durchaus geeignet sind, Verbraucherinteressen wirksam durchzusetzen, doch sind
nach derzeitiger Rechtslage gerade in der prozessualen Abwicklung solcher
Massenverfahren den Gestaltungsmöglichkeiten der Gerichte und der Parteien enge
Grenze gesetzt. In den meisten Fällen stellen sich gleiche Tat- und Rechtsfragen,
deren Lösung für alle Einzelansprüche von Bedeutung sind. Eine parallele
Behandlung aller geltend gemachten Ansprüche bindet Arbeitskapazität, kann zu
unterschiedlichen Entscheidungen führen und erhöht für alle Beteiligten das
Prozesskostenrisiko. Der Gesamtverfahrensaufwand steigt. Als erster Schritt zur
Lösung dieses rechtspolitischen Problems soll, um in aktuellen Rechtsstreitigkeiten
dieser Art möglichst rasch Abhilfe zu bieten, ein einfaches verfahrensrechtliches
Instrument geschaffen werden, das es ermöglicht, in den Fällen, in denen im
Wesentlichen gleichartige Tat- oder Rechtsfragen vorliegen, zunächst einzelne
Ansprüche in einer Art Musterverfahren zu erledigen. Dies geschieht einerseits durch
die Möglichkeit einer Verfahrensunterbrechung, wenn in einem weiteren zwischen
denselben Parteien geführten Rechtsstreit im Wesentlichen gleichartige Tat- oder
Rechtsfragen zu lösen sind, andererseits durch die Möglichkeit in einzelnen oder
verbundenen Prozessen die Verhandlung auf einzelne Ansprüche durch Innehalten
des Verfahrens hinsichtlich der übrigen Ansprüche zu beschränken. Durch die
gerichtliche Anordnung einer Unterbrechung oder eines Innehaltens soll auch die
Verjährung der Ansprüche verhindert werden. Die Beantragung oder
Nichtanfechtung einer solchen gesetzlich vorgesehenen Unterbrechung oder
Innehaltung kann nicht als „nicht gehörige Fortsetzung" im Sinn der Rechtsprechung
zu § 1497 ABGB gewertet werden.

Besonderer Teil
Zu Art I (ZPO):

Zu Z 1 und 2 (§§189a und 190a):

Mit der neu geschaffenen Bestimmung des § 189a sind zwei unterschiedliche
Fallgruppen umfasst. Zum einen jene Fälle, bei denen der Kläger mehrere
Ansprüche gegen denselben Beklagten in der selben Klage geltend macht, aber
auch jene Fälle, in denen mehrere, bei dem selben Gericht anhängige Prozesse zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung nach § 187 ZPO verbunden werden.
In solchen Konstellationen soll dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt werden, die
Verhandlung zunächst auf einzelne Ansprüche zu beschränken und bis zu deren
Klärung mit der Behandlung der anderen Ansprüche „innezuhalten".


Voraussetzung hiefür ist, dass die zu klärenden Tat- oder Rechtsfragen bei
mehreren Ansprüchen im Wesentlichen gleichartig sind und damit eine
Verfahrensvereinfachung, Beschleunigung oder eine Kostenverminderung
verbunden ist. Den Parteien soll ermöglicht werden, die im Wesentlichen
gleichgelagerten weiteren Ansprüche in wirtschaftlich sinnvoller Weise
weiterzuverfolgen. Gleichzeitig kann so die gerichtliche Verfahrensführung klarer
strukturiert und damit effizienter gestaltet werden.

Die Entscheidung, ob die Verhandlung auf einzelne Ansprüche beschränkt wird, liegt
im Ermessen des Gerichts. Ein Antragsrecht der Parteien ist nicht vorgesehen,
daher gibt es auch keine Möglichkeit für die Parteien, eine solche Einschränkung zu
erreichen. Sie können derartiges lediglich anregen. Ordnet das Gericht allerdings die
Innehaltung an, so kann diese Entscheidung angefochten werden. Dies wird vor
allem auch dann von Bedeutung sein, wenn einzelne Kläger ihre Ansprüche
individuell verfolgen wollen und an einem Musterverfahren kein Interesse haben, weil
eine Vereinfachung, Beschleunigung oder Kostenersparnis bei der Verfolgung ihrer
Ansprüche nicht zu erwarten ist.

In Verfahren, in denen einander nur ein Kläger und ein Beklagter gegenüberstehen,
sind bei Beschränkung des Verfahrens auf die Behandlung einzelner Ansprüche
diese Personen jedenfalls Partei des Verfahrens. Werden hingegen mehrere
Verfahren nach § 187 ZPO verbunden, so kann, muss dies aber nicht der Fall sein.
Eine Verbindung nach § 187 ZPO ist nämlich auch möglich, wenn nur eine Partei
ident ist, sofern die Rechtsstreite nur bei einem Gericht anhängig sind. In diesem Fall
wird es daher in der Regel dazu kommen, dass die Ansprüche einzelner Parteien
nicht weiter verfolgt und damit mit dem ihre Ansprüche betreffenden Verfahren zur
Gänze innegehalten wird.

Wird demgemäß in verbundenen Verfahren die Verhandlung auf einzelne Ansprüche
beschränkt und sind damit nicht mehr alle Parteien im Verfahren, so soll den
Klägern, über deren Ansprüche zufolge Innehaltung das Verfahren vorerst nicht
weiter geführt wird, die Möglichkeit eröffnet werden, sich dennoch am Verfahren
weiter zu beteiligen; seine Stellung soll dann der eines Nebenintervenieten
entsprechen. Der Begriff des Innehaltens bedeutet eine Art faktischer Stillstand des
Verfahrens. Wirkungen, wie sie etwa mit der Unterbrechung verbunden sind, sind
nicht vorgesehen, sodass daher sämtliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich
zulässig bleiben.

Die Wendung „bis zu deren Klärung" soll die Art der Erledigung offen lassen, sodass
hiefür keine förmliche Entscheidung, wie etwa ein Teil- oder Zwischenurteil
erforderlich ist. Ausreichend ist daher auch eine Klärung auf Tatsachenebene.
§ 190a sieht eine Unterbrechungsmöglichkeit vor, wenn zwischen denselben
Parteien verschiedene Verfahren geführt werden, unabhängig davon, bei welchem
Gericht sie geführt werden, sofern sie nur im Wesentlichen gleichartige Tat- oder
Rechtsfragen zu klären haben. Voraussetzung ist somit Parteienidentität.
Die Unterbrechung ist überdies nur auf Antrag einer der Parteien möglich. Die
Abweisung eines solchen Unterbrechungsantrags ist gemäß § 192 Abs. 2 ZPO nicht
anfechtbar.

Das Verfahren kann bis zur Rechtskraft der Entscheidung im anderen Verfahren
unterbrochen werden.

Dabei wird vom Gesetz nicht vorgegeben, welches der Verfahren zu unterbrechen
ist. Dies wird dem Antragsteller überlassen und vom Gericht - nach Befassung des
Antragsgegners - zu beurteilen sein.


Im Unterschied zur Innehaltensregelung kann daher dann, wenn Verfahren nicht zur
gemeinsamen Verhandlung verbunden sind, nur unterbrochen werden, wenn ein
entsprechender Antrag einer Partei sowie Parteienidentität vorliegen.

Zu Art II (RATG):

Die Änderung im RATG soll klarstellen, dass die Regelung des § 12 Abs 2 RATG,
die sich vom Wortlaut her nur auf die getrennte Verhandlung über mehrere in
derselben Klage geltend gemachte Ansprüche bezieht, auch in den hier völlig
gleichgelagerten Fällen der gesonderten Verhandlung über einzelne Ansprüche in
verbundenen Verfahren zum Tragen kommt. Sind diese Ansprüche für bestimmte
Verfahrensabschnitte allein Gegenstand der Verhandlung, so soll auch nur deren
Teilwert die Bemessungsgrundlage für den Anwaltstarif in diesen
Verfahrensabschnitten bilden.

In formeller Hinsicht wird unter Verzicht auf eine 1. Lesung die Zuweisung an den
Justizausschuß vorgeschlagen.