614/A XXII. GP

Eingebracht am 12.05.2005
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

der Abgeordneten Mag. Molterer, Scheibner, Dr. Fekter, Dr. Partik-Pablé,

Kolleginnen und Kollegen

 

 

betreffend ein

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte erlassen, das Operfürsorgegesetz geändert und ein Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung) für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird (Anerkennungsgesetz 2005)

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte erlassen, das Operfürsorgegesetz geändert und ein Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung) für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird (Anerkennungsgesetz 2005)

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Artikel I

 

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte erlassen wird

 

            § 1.  Es wird festgestellt, dass mit dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz,  StGBl. Nr. 48/1945, in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung StGBl. Nr. 155/1945, und mit der Befreiungsamnestie, BGBl. Nr. 79/1946, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 192/1947, alle von Gerichten, einschließlich der Militär-, SS- und Sondergerichte gefällten Urteile, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft gegen Österreicher ergangen und als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind, rückwirkend aufgehoben wurden. Einer gesonderten, amtswegigen Prüfung und Feststellung bedarf es nicht.

            § 2. Der Nationalrat bezeugt mit diesem Bundesgesetz den Opfern derartiger Unrechtsurteile, den Personen im österreichischen Widerstand, den Vertriebenen sowie deren Familien Achtung und Mitgefühl.

 

Artikel II

Änderung des Opferfürsorgegesetzes

Das Opferfürsorgegesetz, BGBl. Nr. 183/1947, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. xxx/xxx, wird wie folgt geändert:

1. § 1 Abs. 2 erster Satz lautet:

„Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder im Rahmen typisch nationalsozialistischer Verfolgung auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung, der sexuellen Orientierung, des Vorwurfes der so genannten Asozialität oder medizinischer Versuche durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind.“

2. In § 1 Abs. 2 wird nach lit. i) unter Setzung eines Beistrichs folgende lit. j) angefügt:

           „j) eine Zwangssterilisation.“

3. Im § 7 Abs. 2 entfällt der Ausdruck „oder Witwen(Witwer)beihilfe“, im § 11 Abs. 1 wird die Wortfolge „die Hinterbliebenenrente, die Unterhaltsrente und die Beihilfe“ durch die Wortfolge „die Hinterbliebenenrente und die Unterhaltsrente“, im bisherigen § 11 Abs. 8 die Wortfolge „der Unterhaltsrente, der Beihilfen und der Zulagen“ durch die Wortfolge „der Unterhaltsrente und der Zulagen“, im § 12 Abs. 1 und Abs. 2 erster Satz jeweils die Wortfolge „Empfänger einer Rentenfürsorgeleistung gemäß § 11 Abs. 6 oder 7“ durch die Wortfolge „Empfänger einer Rentenfürsorgeleistung gemäß § 11 Abs. 6“ und im § 12 Abs. 2 letzter Satz die Wortfolge „Rentenfürsorgeleistung gemäß § 11 Abs. 5 bis 7“ durch die Wortfolge „Rentenfürsorgeleistung gemäß § 11 Abs. 5 und 6“ ersetzt. Im bisherigen § 11 Abs. 9 entfällt jeweils der Ausdruck „(Beihilfe)“ und im bisherigen § 11 Abs. 12 entfällt der Ausdruck „und Beihilfen“.

4. § 11 Abs. 6 lautet:

„(6) Witwen (Witwer), Lebensgefährtinnen (Lebensgefährten) und Waisen nach Opfern, die Inhaber einer Amtsbescheinigung waren oder nach Opfern, die, wenn sie noch am Leben wären, einen Anspruch auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung hätten, erhalten, ohne dass ein Anspruch auf Zuerkennung einer Amtsbescheinigung gegeben ist, Hinterbliebenenrente gemäß Abs. 3 und Unterhaltsrente gemäß Abs. 5.“

5. § 11 Abs. 7 entfällt.

6. Die bisherigen Abs. 8 bis 14 des § 11 erhalten die Absatzbezeichnung „(7)“ bis „(13)“. Im § 15 Abs. 8 letzter Satz wird die Wortfolge „nach Maßgabe der Bestimmungen des § 11 Abs. 5, 8 und 14“ durch die Wortfolge „nach Maßgabe der Bestimmung des § 11 Abs. 5“ ersetzt.

7. Dem § 18 Abs. 10 werden folgende Abs. 11, 12 und 13 angefügt:

„(11) Ansprüche, die durch das BGBl. I Nr. xxx/xxx begünstigten Personen bereits vor dem In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx im Wege der Nachsicht zuerkannt wurden, gelten ab dem In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx als im Wege des Rechtsanspruches zuerkannt.

(12) Bringen die durch das BGBl. I Nr. xxx/xxx begünstigten Personen innerhalb eines Jahres nach dem In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx Anträge nach diesem Bundesgesetz ein, sind die Rechtsansprüche bei Vorliegen der Voraussetzungen, frühestens ab dem In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx zuzuerkennen, soferne nicht bereits die Voraussetzungen gemäß Abs. 11 gegeben sind.

(13) Beziehern von rechtskräftig zuerkannten Beihilfen gemäß § 11 Abs. 7 des Opferfürsorgegesetzes in der bis zum In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx geltenden Fassung ist amtswegig Hinterbliebenenrente im Sinne des § 11 Abs. 6 zu gewähren. Anträge auf Beihilfe, über die bis zum In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx nicht rechtskräftig entschieden wurde, gelten ab diesem Zeitpunkt als Anträge auf Hinterbliebenenrente gemäß § 11 Abs. 6. Werden Anträge auf Zuerkennung von Rentenleistungen auf Grund der Änderung des § 11 Abs. 6 mit BGBl. I Nr. xxx/xxx innerhalb eines Jahres ab In-Kraft-Treten des BGBl. I Nr. xxx/xxx eingebracht, sind die Leistungen vom Zeitpunkt des Zutreffens der Voraussetzungen, frühestens jedoch ab diesem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens zuzuerkennen.“

8. Der bisherige § 18 Abs. 11 erhält die Absatzbezeichnung „(14)“.

9. Dem § 19 wird folgender Abs. 10 angefügt:

„(10) Die §§ 1 Abs. 2 erster Satz, Abs. 2 lit. i und j, 7 Abs. 2, 11 Abs. 1, 6 bis 13, 12 Abs. 1 und Abs. 2 erster und letzter Satz, 15 Abs. 8 letzter Satz sowie 18 Abs. 11 bis 14 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/xxx sowie die Aufhebung des bisherigen § 11 Abs. 7 treten mit 1. Juli 2005 in Kraft.“

Artikel III

Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung) für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

§ 1. (1) Aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erhalten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen einmalige Zuwendungen:

        1. Personen im Sinne der §§ 2 und 5 des Bundesgesetzes über die Schaffung eines Ehrenzeichens für Verdienste um die Befreiung Österreichs, BGBl. Nr. 79/1976, denen ein bis zum 30. Juni 2004 beantragtes Befreiungs-Ehrenzeichen verliehen wurde, oder Witwen (Witwer) eines Besitzers eines Befreiungs-Ehrenzeichens gemäß § 2 Abs. 1 des genannten Gesetzes, der die Zuwendung in Folge Ablebens nicht mehr erhalten kann;

        2. Personen, die eine bis zum 30. Juni 2004 beantragte Rentenleistung nach dem Opferfürsorgegesetz, BGBl. Nr. 183/1947, nach § 65 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 oder einen Härteausgleich hinsichtlich einer der genannten Leistungen beziehen;

        3. Inhaber einer bis zum 30. Juni 2004 beantragten Amtsbescheinigung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes oder deren Witwen (Witwer), sowie Witwen (Witwer) eines Opfers, das im Bezug einer unter Z 2 genannten Rentenleistung stand und die Zuwendung in Folge Ablebens nicht mehr erhalten kann;

        4. Inhaber eines bis zum 30. Juni 2004 beantragten Opferausweises im Sinne des Opferfürsorgegesetzes.

(2) Für jede Person besteht Anspruch auf eine Zuwendung, die einheitlich ……. € beträgt. Sie ist eine höchstpersönliche Leistung.

 

§ 2. (1) Die Zuwendungen gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 sind durch die Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz von Amts wegen zu gewähren.

(2) Die Zuwendungen gemäß § 1 Abs. 1 Z 1, 3 und 4 werden gewährt, wenn der Berechtigte seinen Anspruch innerhalb eines Jahres nach dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anmeldet. Die Meldung hat beim zuständigen Amt der Landesregierung zu erfolgen. Die Zuständigkeit des Amtes der Landesregierung richtet sich nach dem Wohnsitz des Anspruchsberechtigten. Personen, die ihren dauernden Aufenthalt im Ausland haben, können den Anspruch bei der österreichischen Vertretungsbehörde, in deren Bereich sie ihren Aufenthalt haben, oder beim Amt der Wiener Landesregierung anmelden.

(3) Erfolgt die Anmeldung bei einer nicht zuständigen Behörde, bei einem Sozialversicherungsträger oder einem Gemeindeamt, so ist sie unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten und gilt als ursprünglich bei der zuständigen Behörde eingebracht.

(4) Erfolgt die Anmeldung des Anspruches erst zu einem späteren als dem im Abs. 2 angeführten Zeitpunkt, bleibt der Anspruch auf eine einmalige Zuwendung gewahrt, wenn glaubhaft gemacht wird, dass eine frühere Anmeldung aus triftigen Gründen nicht möglich war.

(5) Die Ämter der Landesregierungen haben die gemeldeten Ansprüche zu überprüfen und das Ergebnis der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz zur Entscheidung weiterzuleiten.

 

§ 3. Die Befreiungs-Erinnerungszuwendung ist vom Ansatz 1/15127 des Bundesfinanzgesetzes zu leisten.

 

§ 4. (1) Die auf Grund dieses Bundesgesetzes gewährte Zuwendung unterliegt nicht der Einkommensteuer.

(2) Alle Amtshandlungen, Eingaben, Vollmachten und sonstige Urkunden über Rechtsgeschäfte sowie Zeugnisse in Angelegenheiten der Durchführung dieses Bundesgesetzes sind von bundesgesetzlich geregelten Gebühren und Verwaltungsabgaben mit Ausnahme der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren nach dem Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984, befreit.

(3) Die Gebühren für die Zustellung der nach diesem Bundesgesetz gewährten Zuwendung trägt der Bund.

 

§ 5. Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden und die sonstigen im Vollziehungsbereich des Bundes eingerichteten Rechtsträger des öffentlichen Rechts haben die zur Durchführung dieses Bundesgesetzes erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Weitergabe solcher Daten an Dritte ist unzulässig.

 

§ 6. (1) Die BRZ GmbH hat bei der Besorgung der Geschäfte, die der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz und den Landeshauptmännern nach diesem Bundesgesetz obliegen, mitzuwirken, soweit eine solche Mitwirkung im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis gelegen ist.

(2) Die zur Durchführung des Opferfürsorgegesetzes automationsunterstützt verarbeiteten Daten über Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und Opfer der politischen Verfolgung sind zur Durchführung dieses Bundesgesetzes heranzuziehen.

 

§ 7. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist die Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Finanzen betraut.

 


 Begründung

 

Zur Artikel I:

Nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 gelten Verurteilungen von Österreichern wegen Hoch- und Landesverrates oder nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung als nicht erfolgt, wenn die Handlung gegen die nationalsozialistische Herrschaft oder auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich gerichtet war. Aufgehoben wurden damals auch ex lege alle Verurteilungen, die nach taxativ angeführten Gesetzen ergangen sind, die Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts waren. Die dazu erlassene Verordnung vom 5. September 1945 erweiterte die Anwendbarkeit des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes auf Verurteilungen wegen zahlreicher weiterer deutscher Rechtsvorschriften. Welches Gericht ein solches Urteil gefällt hat, ist dabei ohne entscheidende Bedeutung, sondern hat nur für die Frage der Zuständigkeit für das weitere Verfahren Relevanz.

 

Eine Überprüfung der geltenden Rechtslage durch das Bundesministerium für Justiz erbrachte, dass in vielen Fällen ergänzend bzw. vielfach sogar ausschließlich das als eines der ersten Gesetze des 1945 neu gewählten Nationalrates beschlossene, in seinen rechtlichen Auswirkungen jedoch bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Bundesgesetz vom 6. März 1946 über die Einstellung von Strafverfahren, die Nachsicht von Strafen und die Tilgung von Verurteilungen aus Anlass der Befreiung Österreichs (Befreiungsamnestie) zu berücksichtigen ist. Nach den darin eingebetteten Spezialbestimmungen über die Militärdelikte (§§ 7 bis 9) gelten ohne jede Einschränkung und unabhängig davon, um welches Delikt es sich handelt, alle Urteile der deutschen Militär- und SS-Gerichte (einschließlich der Polizeigerichte) bereits ex lege als nicht erfolgt. Für die Rechtswirksamkeit dieser umfassenden, rückwirkenden Außerkraftsetzung solcher nationalsozialistischer Unrechtsurteile bedarf es weder einer inhaltlichen Prüfung des Falles noch einer beschlussmäßigen Feststellung durch ein Gericht.

 

Anlass zu Missinterpretationen bot jedoch der Umstand, dass diese pauschale Beseitigung von Unrechtsurteilen im Rahmen eines Amnestiegesetzes erfolgte, das in der Hauptsache ganz anders gelagerte Fälle regelte. Bei § 7 der Befreiungsamnestie handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Amnestiebestimmung. Dies geht schon aus den Erläuterungen zu diesem Gesetz eindeutig hervor. Danach ging es dem Gesetzgeber nicht um einen - von der Betroffenen zu Recht als unzumutbar abgelehnten - „kollektiven Gnadenerweis“ für die Verurteilten, sondern um ein klares Zeichen der Abgrenzung von einer Unrechtsjustiz, an deren Rechtsakte sich das wiedererstandene Österreich gerade in den Fällen der Militärdelikte nicht mehr gebunden sah. Somit wurden bereits damals die von solchen Unrechtsurteilen Betroffenen zumindest in juristischer Hinsicht rehabilitiert - ohne dies allerdings mit der heute wünschenswerten Deutlichkeit auszusprechen.

 

Im Unterschied zu den genannten Spezialbestimmungen in der Befreiungsamnestie sieht das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz in Teilbereichen eine Einzelfallprüfung vor, ob die urteilsgegenständliche Handlung „gegen die nationalsozialistische Herrschaft oder auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich gerichtet“ war. Da es nach sechs Jahrzehnten jedoch kaum mehr möglich ist, die unmittelbaren Beweggründe für die damals verurteilten Taten zu objektivieren, wurden die Justizbehörden mit dem Informationserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 30. Dezember 2003 betreffend die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militär- bzw. SS-Gerichtsbarkeit von der jetzt herrschenden, von einigen Gerichten bereits praktizierten und vom Bundesministerium für Justiz geteilten Rechtsansicht in Kenntnis gesetzt, dass eine solche Prüfung entbehrlich erscheint und es nunmehr genügt, dass sich die der Verurteilung zugrundeliegende Handlung schon in objektiver Hinsicht gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtet hat.

 

Damit können das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und die entsprechenden Sonderbestimmungen in der Befreiungsamnestie 1946 als umfassende gesetzliche Grundlage zur pauschalen Beseitigung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile angesehen werden.

 

Diese Rechtsansicht des Bundesministeriums für Justiz wird jedoch insbesondere in der politischen Diskussion noch immer vereinzelt angezweifelt. Daher sieht sich der Nationalrat veranlasst, in Form einer authentischen Interpretation auf gesetzlicher Stufe den Rechtsstandpunkt des Bundesministeriums für Justiz zu bekräftigen und klarzustellen, dass mit dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und den in der Befreiungsamnestie 1946 enthaltenen Sonderbestimmungen über die Militärdelikte, die nach wie vor in Kraft stehen, alle Gerichtsurteile, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft gegen Österreicher ergangen und als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind, bereits 1945 bzw. 1946 rückwirkend außer Kraft gesetzt wurden. Somit besteht für weitere gesetzliche Maßnahmen nach dem Vorbild des erst 1998 erlassenen deutschen NS-Aufhebungsgesetzes kein Anlass.

 

Mit diesem Akt des Gesetzgebers soll insbesondere auch für die nachgeborenen Generationen jede Rechtsunsicherheit beseitigt, die Bemühungen des historischen Gesetzgebers um eine juristische Aufarbeitung dieser nationalsozialistischen Unrechtsakte und um eine entsprechende Rehabilitierung der Verurteilten wieder ins Bewusstsein gerückt und gewürdigt werden. Weiters soll damit auch einem im Gedenkjahr 2005 besonders aktuellen Bedürfnis entsprochen und jenes politische und moralische Zeichen der vollständigen Rehabilitierung gesetzt werden, das von den Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz bislang vermisst wurde.

 

Als besondere Geste der politischen und moralischen Rehabilitierung wird daher allen Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz und der politischen Verfolgung (im Sinne des Opferfürsorgesetzes) sowie den Personen, die dem Ungeist des Nationalsozialismus widerstanden haben und ihm im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die verschiedenste Art und Weise entgegengetreten sind, ebenso Respekt bekundet wie jenen, die vom Nationalsozialismus und den Untaten des NS-Regimes aus ihrer Heimat in die Emigration gezwungen wurden. Mit ihrer Vertreibung ist nicht nur für sie selbst, sondern auch für Österreich ein nicht wieder gut zu machender Verlust verbunden. Achtung und Mitgefühl gilt diesen unmittelbaren Opfern, die das verbrecherische Wüten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vielfach nicht überlebt haben, und ihren Familien, die noch immer darunter leiden.

 

Bei dieser Gelegenheit ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass seit dem Inkrafttreten der angeführten Aufhebungsbestimmungen rund 60 Jahre vergangen und daher aus den bereits dargestellten Gründen die im Aufhebungs- und Einstellungsgesetz teilweise vorgesehenen Einzelfallprüfungen als obsolet anzusehen sind, zumal dies sonst für die Betroffenen mit einer nicht mehr zumutbaren Beweislast verbunden wäre.

 

Schließlich bedarf auch die in diesen Gesetzen normierte amtswegige Vorgangsweise einer zeitgemäßen Interpretation. Das neben der Beschlussfassung auf Antrag vorgesehene Tätigwerden von Amts wegen ist im zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung dieser Gesetze zu sehen. Damals waren die von diesen Bestimmungen betroffenen Verfahren gerade erst abgeschlossen oder noch anhängig und die jeweiligen Verjährungsfristen für die allenfalls noch weiter zu verfolgenden nicht militärischen Straftaten vielfach noch nicht abgelaufen. Die Justizbehörden sollten bei der Bearbeitung solcher Fälle nicht auf eine Antragstellung durch allenfalls noch in Kriegsgefangenschaft befindliche Betroffene angewiesen sein.

 

Das Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien hat zwar eine Datenbank mit über 1600 historischen Datensätzen unter anderem auch wegen Desertionsdelikten (unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht) verurteilter Personen angelegt und dem Bundesministerium für Justiz zur weiteren Auswertung übergeben. Diese Datenbank erfasst jedoch bei weitem nicht alle Opfer der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz. Eine rückwirkende Ausforschung und Verständigung der noch wenigen lebenden Betroffenen bzw. ihrer Angehörigen und die Veranlassung einer Beschlussfassung von Amts wegen ist trotz dieser Datenbank mit vertretbarem Aufwand nicht durchführbar, weil angesichts der nur bruchstückhaft vorliegenden Informationen keine sinnvolle Recherchen gewährleistet sind. So kann die für die praktische Umsetzung wesentliche Frage, wer von den in der genannten Datenbank erfassten Personen überhaupt noch am Leben ist, mit dem nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Material oft nicht beurteilt werden. Im Hinblick auf den ohnehin bloß deklaratorischen Charakter eines Beschlusses nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz oder nach der Befreiungsamnestie kann auf amtswegige Erhebungen daher künftig ganz verzichtet werden.

 

Davon unberührt bleibt jedoch jedenfalls das Recht der Betroffenen oder von Angehörigen, entsprechende Anträge auf Fassung und Zustellung einer solchen Bestätigung (in Form eines Gerichtsbeschlusses) zu stellen, wobei unter besonders berücksichtigungswürdigen Umständen oder zur Abhilfe von besonderen Erschwernissen im Zuge der beabsichtigten Antragstellung durch Institutionen oder Privatpersonen im Einzelfall auch weiterhin eine Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft in Betracht kommt.

 

Zu Artikel II:

Die vorgesehene gesetzliche Änderung dient der legistischen Klarstellung sowie der Normierung von Rechtsansprüchen für Personen, die im Rahmen typisch nationalsozialistischer Verfolgung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung, auf Grund des Vorwurfes der so genannten Asozialität oder durch medizinische Versuche geschädigt wurden und die, sofern nicht bereits auf Grund der derzeitigen Rechtslage ein Rechtsanspruch gegeben ist, schon bisher im Wege der Nachsicht anerkannt werden konnten. Außerdem sollen Opfer einer Zwangssterilisation ausdrücklich im Gesetz genannt werden.

 

Seit geraumer Zeit wird die Frage der Aufnahme von zwangssterilisierten Personen, von Personen, die vom Vorwurf der sogenannten Asozialität betroffen waren, sowie von Personen, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung unter dem Nationalsozialismus verfolgt wurden, in das Opferfürsorgegesetz (OFG) diskutiert.

 

Eine Überprüfung ergab, dass Menschen, die aus Gründen der Abstammung zwangssterilisiert wurden, bereits seit dem Jahr 1947 (BGBl. Nr. 183/1947) sowie die aufgrund einer Behinderung zwangssterilisierten Personen seit dem Jahr 1995 vom OFG erfasst werden (BGBl. Nr. 433/1995).

 

Sofern der Vorwurf der sogenannten Asozialität tatsächlich einer Verfolgung aus Gründen der Abstammung oder einer politischen Verfolgung diente, bestand ebenfalls seit 1947 ein Rechtsanspruch nach dem OFG. Weitere Personen, die vom Vorwurf der sogenannten Asozialität betroffen waren, insbesondere diejenigen, die als Kinder in der Anstalt am Spiegelgrund untergebracht waren, werden laufend im Wege des Rechtsanspruches (wenn als Einweisungsgrund auch eine Behinderung aufscheint) oder der Nachsicht anerkannt (§ 1 Abs. 6 OFG).

 

Desgleichen löste eine Verfolgung auf Grund des Vorwurfes der sexuellen Orientierung, die tatsächlich eine Verfolgung aus Gründen der Abstammung oder eine politischen Verfolgung darstellte, bereits seit 1947 Rechtsansprüche nach dem OFG aus. Die Thematik einer allfälligen weiteren Einbeziehung von unter dem Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in das OFG wurde mehrmals einer eingehenden Prüfung durch das zuständige Bundesministerium unterzogen. Vor mehr als 20 Jahren wurde von einem Homosexuellenverein ein Fall eines Betroffenen an das Bundesministerium herangetragen, der in der Zeit des Ständestaates aktiver illegaler Nationalsozialist war und der sexuelle Kontakte mit gerade mündig gewordenen Jugendlichen hatte. Dieses Ergebnis konnte daher nicht zum Anlass einer unterschiedslosen Einräumung von Rechtsansprüchen für aufgrund ihrer Homosexualität verfolgte Personen genommen werden. In der Folge war das Bundesministerium mit dem Antrag eines zweiten Betroffenen im Berufungsverfahren befasst, der jedoch vor einer Entscheidung verstarb.

 

Seither wurde kein einziger weiterer Fall an das Bundesministerium herangetragen.

 

Die Angelegenheit wurde jedoch auf Grund wiederholt erhobener Forderungen mehrmals, zuletzt am 17. Dezember 2002, in der Opferfürsorgekommission, in der auch die Opferverbände vertreten sind, diskutiert. Die Kommissionsmitglieder einschließlich der Vertreter der Opferverbände bekräftigten in diesem Zusammenhang, dass sie auch analog der Praxis in den Fällen der vom Vorwurf der Asozialität Betroffenen einer Einzelfallprüfung von Anträgen von Opfern, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, offen gegenüberstehen, sollten derartige Anträge gestellt werden.

 

Die neue Formulierung des § 1 Abs. 2 OFG soll nunmehr auch dann, wenn nicht bereits bisher ein Rechtsanspruch von aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder des Vorwurfes der Asozialität Verfolgten besteht, anstelle von Leistungen im Nachsichtsweg Rechtsansprüche für typisch nationalsozialistische Verfolgung dieser Betroffenen schaffen sowie die Opfer medizinischer Experimente und von Zwangssterilisation ausdrücklich im Gesetz anführen.

 

Der in den Bereichen des KOVG 1957 und des HVG vorgesehene Entfall der Witwen(Witwer)beihilfe soll auch im Bereich des OFG gesetzlich nachvollzogen werden.

 

Zu Artikel III:

Aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus soll entsprechend ähnlicher Aktivitäten in den Jahren 1975, 1985 und 1988 eine einmalige Zuwendung für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung geschaffen werden.

 

Den etwa 3.000 Betroffenen soll ein gestaffelter Betrag in der Höhe von 500 € bis 1000 € zuerkannt werden, der im Ansatz 1/15127 des Bundesfinanzgesetzes auch bereits berücksichtigt wurde.

 

Da keine vollständigen aktuellen Daten über den gesamten Personenkreis vorliegen, kann eine amtswegige Zuerkennung nur an die Rentenleistungsbezieher nach dem Opferfürsorgegesetz erfolgen. Bei Besitzern eines Befreiungs-Ehrenzeichens, Amtsbescheinigungsinhabern und Opferausweisinhabern sind lediglich Unterlagen aus teilweise bereits Jahrzehnte zurückliegenden Zeiträumen vorhanden, sodass im Einzelfall nur mehr mit unangemessen hohem Aufwand feststellbar wäre, ob die Anspruchsberechtigten noch leben bzw. ob sich ihr Wohnsitz verändert hat. Für diesen Personenkreis ist daher das im Gesetz beschriebene Anmeldeverfahren vorgesehen. In diesem Zusammenhang wird besonders auch auf § 2 Abs. 4 hingewiesen, wonach kein Leistungsverfall eintreten kann, wenn eine Anmeldung aus triftigen Gründen nicht zeitgerecht erfolgen konnte.

 

Als Stichtag für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen wurde der Monat Juni 2004 normiert, da dieses Datum vor dem Beginn der Diskussionen über die gegenständliche Maßnahme liegt und die Beratungen nicht zum Ausgangspunkt für ein erhöhtes Aufkommen von Anträgen im Bereich der grundlegenden Ansprüche werden sollten. Dies auch im Hinblick auf die Tatsache, dass diese Ansprüche in den Jahren und Jahrzehnten vor der Schaffung der Befreiungs-Erinnerungszuwendung beantragt und durchgesetzt werden konnten.

 

Der vorliegende Entwurf stützt sich kompetenzrechtlich auf Artikel I des BGBl. Nr. 77/1957.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird beantragt, diesen Antrag dem Justizausschuss zuzuweisen.