707/A XXII. GP
Eingebracht am 28.09.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Antrag
der Abgeordneten Maga. Terezija Stoisits, Maga. Ulrike Lunacek, Freundinnen und Freunde
betreffend ein
Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze
amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden (Amnestie-,
Rehabilitierungs- und
Entschädigungsgesetz
AREG)
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz, mit dem
die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert,
rehabilitiert
und entschädigt werden (Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz
AREG)
Der Nationalrat hat beschlossen:
Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert,
rehabilitiert und
entschädigt werden
(Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz AREG)
§ 1. (1) Der
Nationalrat verurteilt jede Form der Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt
gegen homo- und
bisexuelle Frauen und Männer. Er bedauert, dass homo- und bisexuelle Frauen und
Männer in der Vergangenheit schweren
Verfolgungen ausgesetzt waren und auch heute noch mit
Diskriminierungen konfrontiert werden.
(2) Der
Nationalrat bedauert, dass auch in der Zweiten Republik § 129 I lit. b des
Strafgesetzes
1852 unverändert in Kraft blieb und 1971 durch weitere Sonderstrafgesetze
ersetzt wurde. Der
Nationalrat
bekennt, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homo- und
bisexuelle
Bürgerinnen und Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.
§ 2. (1) Sonderstrafgesetze im Sinne dieses Bundesgesetzes sind:
1.
§
129 I lit. b Strafgesetz 1945(StG), A. Slg. Nr. 2
2.
§
129 I StG idF gem. Art. I Z. 5 Strafrechtsänderungsgesetz 1971, BGBl Nr.
1971/273
3.
§
209 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 1974/60
4.
§
209 StGB idF gem. BGBl 1988/599
5.
§
210 StGB, BGBl. Nr. 1974/60
6.
§
220 StGB, BGBl. Nr. 1974/60
7.
§
221 StGB, BGBl. Nr. 1974/60
(2) § 220 StGB gilt insoweit nicht als Sonderstrafgesetz
im Sinne dieses Gesetzes als sich
diese Bestimmung
auf Unzucht mit Tieren bezieht.
§ 3. (1)
Verurteilungen nach den Sonderstrafgesetzen sind mit dem Inkrafttreten dieses
Bundesgesetzes
getilgt.
(2)
Absatz 1 gilt nicht, wenn die Verurteilung auch wegen
eines Gesetzes erfolgte, das eine
gleich hohe oder
höhere Strafe als das der Verurteilung zu Grunde liegende Sonderstrafgesetz mit
der
höchsten Strafdrohung androhte (§ 28 StGB).
(3)
§
1 Abs. 2 bis 6 Tilgungsgesetz gelten.
(4)
Darüber hinaus ist im Strafregister (§ 1
Strafregistergesetz) jedenfalls die sich auf das
Sonderstrafgesetz beziehende Deliktsbezeichnung zu löschen.
(5)
Für
die verurteilte Person günstigere Bestimmungen bleiben unberührt.
§ 4. (1)
Ausländische Verurteilungen sind mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes
getilgt,
wenn sie wegen einer Tat schuldig sprechen, die nach österreichischem Recht
nicht gerichtlich strafbar
ist.
(2) Darüber hinaus sind mit dem Inkrafttreten dieses
Bundesgesetzes auch ausländische
Verurteilungen getilgt, wenn sie
wegen einer Tat schuldig sprechen,
die, nach dem für den
Schuldspruch, für die Strafbemessung
oder für sonstige Unrechtsfolgen maßgebenden Recht, bei
einem anderen Geschlecht oder einer anderen sexuellen Orientierung der
verurteilten Person oder des
Opfers nicht in gleicher Weise strafbar war.
(3)
Bei
der Anwendung der Absätze 1 und 2 gelten § 3 Abs. 2 und 3 sinngemäß.
(4)
Für
die verurteilte Person günstigere Bestimmungen bleiben unberührt.
§ 5. (1)
Verurteilungen nach den Sonderstrafgesetzen sind mit Inkrafttreten dieses
Bundesgesetzes
aufgehoben.
(2)
Absatz 1 gilt nicht, wenn die Verurteilung auch wegen
eines Gesetzes erfolgte, das eine
gleich hohe oder
höhere Strafe als das der Verurteilung zu Grunde liegende Sonderstrafgesetz mit
der
höchsten Strafdrohung androhte (§ 28 StGB).
(3)
Im Falle des Absatz 2 ist das Verfahren auf Antrag zu
erneuern. Für das Verfahren gelten
die §§ 363a Abs. 2
bis 363c StPO sinngemäß.
§ 6. (1) Der
Bund haftet für den Schaden, den eine Person durch eine Verurteilung nach den
Sonderstrafgesetzen oder sonst durch eine auf einem Sonderstrafgesetz beruhende
Maßnahme eines
Gerichtes oder einer Verwaltungs- (insbesondere einer Polizei- oder
staatsanwaltschaftlichen) -
behörde erlitten
hat.
(2)
In
den Fällen des § 5 Abs. 1 betragen dabei der Ersatzanspruch für die durch die
Verurteilung
erlittene persönliche Beeinträchtigung,
ungeachtet der ausgesprochenen Unrechtsfolge, EUR 15.000,--
und der Ersatzanspruch wegen des auf
eine Verurteilung nach Absatz 1 zurückzuführenden Entzugs
der persönlichen Freiheit EUR 200,--
für jeden Tag der Freiheitsentziehung, wobei auf volle Tage
aufzurunden ist. Darüber hinaus sind Vermögensschäden aller Art zu
ersetzen.
(3)
In den Fällen des § 5 Abs. 2 beträgt der Ersatzanspruch
wegen Entzugs der persönlichen
Freiheit EUR 200,-- für jeden Tag der Freiheitsentziehung, der im
erneuerten Verfahren keine
Deckung findet, wobei auch
hier auf volle Tage
aufzurunden ist. Darüber hinaus
sind
Vermögensschäden aller Art zu ersetzen, die dadurch verursacht wurden,
dass die Verurteilung auch
wegen eines
Sonderstrafgesetzes erfolgte.
(4)
(a) In allen anderen Fällen beträgt der Ersatzanspruch
für die durch eine für die betroffene
Person nachteilige Maßnahme erlittene
persönliche
Beeinträchtigung EUR 10.000,— und der
Ersatzanspruch wegen eines auf eine solche Maßnahme zurückzuführenden
Entzugs der persönlichen
Freiheit EUR 200,-- für jeden Tag der Freiheitsentziehung, wobei auf
volle Tage aufzurunden ist.
Darüber hinaus
sind Vermögensschäden aller Art zu ersetzen.
(b) Die Ansprüche auf Ersatz
für erlittene persönliche Beeinträchtigung und der Ersatzanspruch
wegen Entzugs der persönlichen Freiheit sind jedoch ausgeschlossen, wenn die
Maßnahme auch auf
einem Gesetz beruhte, das eine gleich hohe
oder höhere Strafe als das der Maßnahme zu Grunde
liegende Sonderstrafgesetz mit der höchsten Strafdrohung androhte. Auch
in solchen Fällen sind aber
jedenfalls Vermögensschäden aller Art zu
ersetzen, die dadurch verursacht wurden, dass die
Maßnahme auch wegen eines Sonderstrafgesetzes erfolgte.
(5)
Für
die Geltendmachung von Vermögensschäden genügt Glaubhaftmachung. § 273 ZPO
gilt.
(6)
Ansprüche
nach Abs. 1 verjähren dreißig Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes.
(7)
Im übrigen gelten die §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2, 5 Abs. 1 und
3, 6, 7, 8 Abs. 2, 9 und 12 des
Strafrechtlichen
Entschädigungsgesetzes 2005 - StEG 2005, BGBl I Nr. 125/2004, sinngemäß.
(8)
Auf
Grund eines endgültigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte oder
aufgrund anderer bundesgesetzlichen
Bestimmungen bezahlte Beträge für Schäden im Sinne des Abs.
1 sind auf solche Ansprüche anzurechnen.
(9)
Ansprüche
nach anderen Bundesgesetzen bleiben unberührt.
(10) Der
Bundesminister für Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem
Hauptausschuss
des Nationalrates,
durch Verordnung die in den vorhergehenden Absätzen festgelegten Beträge zu
erhöhen, soweit dies notwendig ist, um
angesichts geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse den Wert
der Entschädigungsbeträge für die geschädigten Personen zu sichern.
§ 7. Mit der Vollziehung sind die
Bundesministerien für Inneres und für Justiz, je nach ihrem
Wirkungskreis, betraut.
Begründung:
Allgemein:
Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) hat Österreich wegen der jahrelangen
strafrechtlichen Verfolgung homo- und bisexueller Männer auf Grund des § 209
StGB wiederholt
verurteilt, und zwar in folgenden Fällen:
•
L.&V. vs. Austria, 09.01.2003, Appl. 39392/98, 39829/98
•
S.L. vs. Austria, 09.01.2003, Appl.
45330/99
•
Wolfgang Wilfling & Michael Woditschka vs. Austria, 21.10.2004,
Appl. 69756/01,
6306/02
•
F.L. vs. Austria, 03.02.2005, Appl.
18297/03
•
Thomas Wolfmeyer vs. Austria, 26.05.2005, Appl. 5263/03
•
H.G. & G.B. vs. Austria, 02.06.2005, Appl. 11084/02, 15306/02
Besonders kritisiert
hat der Gerichtshof die Verweigerung der Aufhebung des § 209 auch noch nach
dem Oktober 1995,
obwohl damals, durch die Expertenanhörung im Jahre 1995, bereits bekannt war,
dass es keinen Grund für das schwule Sondermindestalter gibt (L. & V.: par.
51; S.L.: par. 43).
Der
Verfassungsgerichtshof hat § 209 StGB mit Erkenntnis vom 21.06.2002 (G 6/02)
als
gleichheitswidrig aufgehoben. § 209 StGB ist mit Ablauf des 13.08.2002
außer Kraft getreten (BGBl I
134/2002, Art. IZ. 19b, Art. IX iVm Art. 49 Abs. 1 B-VG).
Das anti-homosexuelle Strafgesetz § 209 StGB war jedoch nur das letzte der anti-homosexuellen
Sonderstrafgesetze der Zweiten Republik. Auch in der Zweiten Republik blieb § 129 I lit. b des
Strafgesetzes 1852, der homosexuelle Handlungen zwischen Frauen und zwischen Männern generell
unter Strafe stellte (Totalverbot), unverändert in Kraft. 1971 wurde das Totalverbot aufgehoben,
jedoch gleichzeitig vier neue Sonderstrafbestimmungen eingeführt:
§ 129 I StG Sondermindestaltersgrenze 18 für männliche homosexuelle Handlungen
(„gleichgeschlechtliche Unzucht") (später § 209 StGB)
§ 500 StG männlich homosexuelle Prostitution ("gewerbsmäßige gleichgeschlechtliche Uzucht")
(später § 210 StGB, aufgehoben 1989)
§517 StG „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts" (später § 220 StGB,
aufgehoben 1997)
§518 StG „Vereinigungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht" (später § 221 StGB,
aufgehoben 1997)
Wie heute klar ist,
haben diese Sonderstrafgesetze homo- und bisexuelle Bürgerinnen und Bürger in
ihrer
Menschenwürde verletzt.
Personen, die auf
Grund dieser Sonderstrafgesetze verurteilt, und, zum Teil sogar in Anstalten
für
geistig abnorme Rechtsbrecher, inhaftiert wurden, sind nicht rehabilitiert
worden. Ihre Verurteilungen
sind nach wie vor aufrecht. Nur jene Opfer, die sich an den EGMR
wandten, können die Aufhebung
ihrer Urteile samt Freispruch und Entschädigung erreichen (§ 363a StPO, OGH
11.11.2003, 11 Os
101/03; OGH 16.06.2004,13 Os 106/03; OGH 07.06.2005 14 Os 46/05d).
Nach der Aufhebung
des § 209 StGB ist lediglich ein § 209-Opfer begnadigt worden (BMJ GZ
98.478/16-IV 4/02)
(Anfragebeantwortung Dris Dieter Böhmdorfer vom 03.04.2003, GZ 7003/1-Pr
1/2003). Auch in diesem Fall (dem
berüchtigten „Liebesbrief-Fall" aus dem Jahr 2001) erfolgte jedoch
nur eine teilweise Begnadigung. Die
Tilgung der Verurteilung aus dem Strafregister wurde auch hier
nicht gewährt (ebendort).
Wie im Sommer bekannt
wurde sind im österreichweiten (Vor)Straf(en)register immer noch 1.434
Männer und Frauen vorgemerkt, die nach den anti-homosexuellen
Sonderstrafgesetzen verurteilt
worden sind. Während nach dem erst jüngst (2002) aufgehobenen § 209
Strafgesetzbuch (samt
Vorgängerbestimmung § 129 I StG) 476 Verurteilte als vorbestraft registriert
sind, werden nach dem
bereits 1971 beseitigten Totalverbot
homosexueller Kontakte (§ 129 I b Strafgesetz 1852) gar immer
noch 558 Männer und Frauen vorgemerkt. In diesen
Zahlen sind nur Verurteilungen enthalten, in
denen das anti-homosexuelle
Sonderstrafgesetz das (im Sinne der Kriminalstatistik) führende Delikt
war (Anfragebeantwortung BM Liese Prokop 26.07.2005, XXII. GP-NR
3039/AB).
Angesichts all dessen versteht es sich
leider von selbst, dass kein Opfer des § 209 StGB für das Leid
und die Zerstörung der bürgerlichen Existenz
durch Bloßstellung, Stigmatisierung,
kriminalpolizeiliche Ermittlungen, kriminalgerichtliche Verfahren und
Verurteilung sowie schließlich
bis hin zur Internierung in Anstalten für
geistig abnorme Rechtsbrecher jemals entschädigt worden ist.
Dies, obwohl Personen, die auf Grund
des § 209 StGB in Haft gehalten wurden (oder werden),
„Gewissensgefangene" im Sinne des Mandats von Amnesty International
sind.
Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat in den neun genannten Fällen die Republik
Österreich (neben einem Beitrag zu den Anwaltskosten) auch zu
Entschädigungszahlungen für
erlittene
immaterielle Schäden verpflichtet und zwar:
•
15.000 EUR pro Beschwerdeführer in den Fällen L. & V.
vs. Austria (bedingte
Freiheitsstrafe)
•
5.000
EUR im Fall S.L. vs. Austria (14-18j
Jugendlicher durch § 209 an
einverständlichen
Kontakten mit erwachsenen Männern gehindert)
•
15.000,-
EUR im Fall Michael Woditschka vs. Austria (bedingte Geldstrafe)
•
20.000,- EUR im Fall Wolfgang Wilfling vs. Austria
(teilbedingte Freiheitsstrafe, 32
Tage Untersuchungshaft)
•
17.500,— EUR im Fall F.L. vs. Austria (bedingte Freiheitsstrafe, 13 Tage in
Untersuchungshaft)
•
10.000,-- EUR im Fall Thomas Wolfmeyer vs. Austria (vom
Berufungsgericht
freigesprochen,
keine Haft)
•
15.000,- EUR im Fall G.B. vs. Austria (bedingte
Freiheitsstrafe)
•
75.000,-- EUR im Fall H.G. vs. Austria (1 ½ Jahre
unbedingte Freiheitsstrafe, davon 1
Jahr verbüßt)
Der Gerichtshof verweist dabei immer
wieder darauf, dass weder das Erkenntnis des VfGH noch die
Aufhebung des § 209 den Opferstatus der
strafverfolgten homo- und bisexuellen Männer beenden
konnten. Österreich hat die an den Beschwerdeführern begangenen
Menschenrechtsverletzungen nie
anerkannt und auch keinerlei Entschädigung
geleistet, weshalb, wie der EGMR in jedem seiner Urteile
betont, die Menschenrechtsverletzung nach wie vor anhält.
Im Urteil Thomas Wolfmeyer vs. Austria (26.05.2005)
führte der EGMR aus, es sei unbegreiflich, wie
selbst ein Freispruch (nach § 209) ohne jede Entschädigung für ideelle Schäden
und unter Ersatz von
lediglich einem geringen Teil der
erwachsenen Verteidigungskosten eine angemessene
Wiedergutmachung darstellen könne. Der Menschenrechtsgerichtshof hat
unterstrichen, dass das
Strafverfahren, in dem der Öffentlichkeit
intimste Details offen gelegt wurden, für den
Freigesprochenen ein schwer erschütterndes Ereignis war, und eine
finanzielle Entschädigung dafür
notwendig ist (par. 33, 45f).
Um eine Zweiteilung in Opfer erster und
zweiter Klasse zu vermeiden, stellt sich nun brennend die
Notwendigkeit der Rehabilitierung und
Entschädigung auch jener Opfer des § 209 StGB und der
anderen Sonderstrafgesetze, die nicht die Möglichkeit und die Kraft
hatten, den Weg zum EGMR zu
beschreiten.
Amnesty International
forderte in seinem Jahresbericht 2005 neuerlich die Rehabilitierung und
Entschädigung
aller § 209-Opfer.
Eine generelle Aufhebung
bzw. Tilgung von Verurteilungen und das Festsetzen von
Entschädigungszahlungen
obliegt dem Nationalrat.
Zu§1:
§ 1 dient der unmissverständlichen
Verurteilung von Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen
homo- und bisexuelle Frauen und Männer
durch das Parlament. Desweiteren bekennt der Gesetzgeber
eindeutig die begangenen und allzu lange verleugneten Verletzungen der
Menschenwürde.
Zu § 2:
§ 2 definiert den
Anwendungsbereich des Gesetzes durch Definition des Begriffs
„Sonderstrafgesetze"
im Sinne dieses Bundesgesetzes. Hiezu wird auf die allgemeinen Ausführungen
oben verwiesen. § 220
StGB ist
auszuschließen soweit sich diese Bestimmung auf Unzucht mit Tieren bezieht.
Zu §3:
Getilgt werden
sollen nur jene Verurteilungen, bei denen ein anti-homosexuelles
Sonderstrafgesetz das
schwerste Delikt
war. Bei allen anderen Verurteilungen ist im Strafregister lediglich die
Bezeichnung
des Sonderstrafgesetzes zu streichen.
Dass Handlungen, die einer Verurteilung zu
Grunde lagen, auch heute unter Strafe stehen (zB nach §
207b StGB) muss außer Betracht bleiben, weil eine solche Bedachtnahme neuerlich
auf den
menschenrechtswidrigen anti-homosexuellen Sonderstraftatbeständen beruhte und
damit ebenfalls
grundrechtswidrig wäre. Die Taten waren zum
Tatzeitpunkt eben nur im homosexuellen Bereich
strafbar. Entsprechende
heterosexuelle Handlungen am selben Ort zur selben Zeit konnten nicht zu
einer Verurteilung führen. Der Oberste
Gerichtshof hat daher in diesem Sinne bereits 2003
entschieden, dass § 207b StGB auch
bei männlich-homosexuellen Beziehungen nicht auf Taten vor
dem 14.08.2002 angewendet werden darf (OGH 11.11.2003, 11 Os 101/03).
Zu §4:
Im Strafregister sind auch ausländische
Verurteilungen eingetragen und stehen diese inländischen
tilgungsrechtlich gleich (§ 2 Abs. 3 StrafregisterG, § 7 Tilgungsgesetz). Es
wäre ein nicht akzeptabler
Wertungswiderspruch, würden inländische
Verurteilungen nach anti-homosexuellen
Sonderstrafgesetzen getilgt,
ausländische (etwa nach § 175 dtStGB) jedoch nicht. § 4 soll dies
vermeiden.
Zu § 5:
Eine Tilgung beseitigt nicht alle nachteiligen Rechtswirkungen und sämtliche Urteilsfolgen.
Mit einer Tilgung ist lediglich eine Streichung der Verurteilungen aus dem österreichweiten
Strafregister verbunden. Die Urteile selbst sind damit nicht aufgehoben, sie bleiben weiter bestehen.
Es gibt in der
österreichischen Rechtsordnung keinerlei Vorschrift, die es verbieten würde,
solche
Verurteilungen und die dazugehörigen Akte in spätere Verfahren (auch
nach erfolgter Tilgung)
einfließen zu lassen (so ausdrücklich Oberster Gerichtshof OGH
21.09.1999, 14 Os 92/99). Und es
wird bei Anhängigwerden eines neuen Verfahrens (am selben Gericht) auch
tatsächlich regelmäßig der
betreffende frühere Akt beigeschafft, dem neuen aktuellen Akt
angeschlossen und verlesen und
gelangt, trotz
Tilgung aus dem Strafregister, die nach wie vor aufrechte Verurteilung so
zur Kenntnis
der Richter und der Staatsanwälte (so etwa in den Verfahren LG Wr. Neustadt, 32
Ur 72/03t und LG
Klagenfurt 13 Hv 240/03w). Dass diese Wirkung einem (neuerlich) Beschuldigten
nachteilig ist, liegt
auf der Hand. Sie wird nicht durch die
Tilgung beseitigt, sondern nur durch die formelle Aufhebung
des (Unrechts)Urteils.
Dazu kommt, dass in zahlreichen
Rechtsbereichen außerhalb des Strafrechts die - trotz Tilgung -
aufrechte Verurteilung weiter negative Wirkungen entfaltet, weiterhin zum
Nachteil des Verurteilten
zu berücksichtigen
und zu verwerten ist. So etwa bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit
hinsichtlich einer Führerscheinentziehung (Verwaltungsgerichtshof VwGH
01.07.1999, 99/11/0172),
bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Fremdenrecht (VwGH 15.10.1998, 94/18/1102;
VwGH
06.05.1997, 97/18/0235), bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft (VwGH
07.10.1993, 93/01/0250;
VwGH 20.05.1994, 92/01/0953; VwGH
03.09.1997, 96/01/0810), bei Erteilung einer Waffenbesitz-
oder -Waffenführungserlaubnis (VwGH 18.01.1995, 93/01/0906)
und bei der Erteilung einer
Gewerbeberechtigung (VwGH 23.11.1993, 93/04/0157 bis 0159; VwGH
27.04.1993, 92/04/0247).
Dies alles sogar
dann, wenn das Wissen um die (nur aus dem nationalen Strafregister gelöschte,
aber
nach wie vor
aufrechte) Verurteilung gesetzwidrig erlangt wird (VwGH 02.09.1999,
99/18/0284)!
Dass
menschenrechtswidrig Verurteilte, auch nach Tilgung ihrer Verurteilung aus dem
Strafregister,
ein gerechtfertigtes Interesse an der formellen Aufhebung der (Unrechts)Urteile
haben, zeigt auch
ganz deutlich der Beschluss
des deutschen Bundestags, sämtliche Verurteilungen von Homosexuellen
während der Nazizeit aufzuheben
(NS-Aufhebungsgesetz, dt BGBl I 58/1998, S. 2501, idF BGBl
51/2002, S. 2714, www.bundesgesetzblatt.de). obwohl all diese
Verurteilungen zu diesem Zeitpunkt
bereits längst getilgt waren. Die bloße
Löschung einer Verurteilung aus dem landesweiten
Verurteiltenregister, ohne Aufhebung
des (Unrechts)Urteils selbst, beseitigt eben nicht sämtliche
(Unrechts)Wirkungen des Urteils.
Aufgehoben werden
sollen nur jene Verurteilungen, bei denen ein anti-homosexuelles
Sonderstrafgesetz
das schwerste Delikt war. Bei allen anderen Verurteilungen soll das Verfahren
auf
Antrag erneuert werden können. Im erneuerten
Verfahren ist dann - bei Aufrechterhaltung der
Anklage - die Strafe auf Grund der übrigen Delikte neu zu bemessen.
Dass Handlungen, die einer Verurteilung zu
Grunde lagen, auch heute unter Strafe stehen (zB nach §
207b StGB) muss auch hier außer Betracht bleiben, weil eine solche Bedachtnahme
neuerlich auf den
menschenrechtswidrigen anti-homosexuellen Sonderstraftatbeständen beruhte und
damit ebenfalls
grundrechtswidrig wäre. Die Taten waren zum
Tatzeitpunkt eben nur im homosexuellen Bereich
strafbar. Entsprechende
heterosexuelle Handlungen am selben Ort zur selben Zeit konnten nicht zu
einer Verurteilung führen. Der Oberste
Gerichtshof hat daher in diesem Sinne bereits 2003
entschieden, dass § 207b StGB auch
bei männlich-homosexuellen Beziehungen nicht auf Taten vor
dem 14.08.2002 angewendet werden darf (OGH 11.11.2003, 11 Os 101/03).
Zu §6:
Die österreichische
Rechtsordnung kennt keine generelle Bestimmung für Entschädigung für Schäden,
die durch gesetzgeberisches Unrecht entstanden sind. § 6 dient daher
dazu, den Opfern der anti-
homosexuellen Sonderstrafgesetze die erlittenen immateriellen und materiellen
Schäden abzugelten.
Bei
Vermögensschäden sollen alle Arten (einschließlich entgangenem Gewinn) ersetzt
werden.
Die Ersatzbeträge richten sich dabei nach
den vom EGMR zugesprochenen Beträgen (siehe hiezu bei
den allgemeinen Ausführungen oben). Sie sollen mit Verordnung entsprechend der
Inflationsrate
aufgewertet werden können. Die Ersatzbeträge
für durch Verurteilung/Maßnahme erlittene persönliche
Beeinträchtigung, für Freiheitsentzug und Vermögensschaden stehen
kumulativ zu.
Bei Personen, die auch wegen eines zumindest
gleich schweren anderen Deliktes verurteilt wurden,
soll kein Anspruch für erlittene
persönliche Beeinträchtigung durch die Verurteilung an sich bestehen,
sehr wohl aber ein Anspruch für jenen
Teil des Entzugs der persönlichen Freiheit, der in der
Entscheidung im erneuerten Verfahren
(sohin unter Ausschaltung des anti-homosexuellen
Sonderstrafgesetzes) keine Deckung mehr findet. Desweiteren sind
Vermögensschäden aller Art zu
ersetzen, die dadurch verursacht wurden, dass die Verurteilung auch wegen eines
Sonderstrafgesetzes
erfolgte. Das wäre etwa dann der Fall, wenn
die Tatsache der Verurteilung auch wegen homosexueller
Handlungen den Verlust des
Arbeitsplatzes bewirkte. Entsprechendes gilt für Personen, die sonst
Opfer einer gerichtlichen oder
verwaltungsbehördlichen Maßnahme geworden sind (wie etwa
Strafverfahren, die nicht in einer Verurteilung endeten,
Verwahrungshaft, Untersuchungshaft,
Führerscheinentzug, Entzug der
Gewerbeberechtigung etc.), wobei § 6 Abs. 4 lit. b darauf Bedacht
nimmt, dass eine Verfahrenserneuerung
hier nicht in Betracht kommt, die Aufteilung einer
Freiheitsentziehung bei gemischter Grundlage daher nicht möglich ist.
Da die Schäden zum Grossteil bereits vor
langer Zeit zugefügt wurden, soll den Opfern, um ihnen
wirksame Rechte zu gewährleisten, eine
Beweiserleichterung gewährt werden. Glaubhaftmachung des
Schadens, der Kausalität und der Schadenhöhe sollen genügen.
Erforderlichenfalls ist überdies von der
Bestimmung des § 273 ZPO Gebrauch zu
machen. Erhebliche Beweisschwierigkeiten sollten sich
aber nur bei Vermögensschäden ergeben, weshalb die Erleichterung auf
diese zu beschränken ist.
In Anbetracht der jahrzehntelangen strafrechtlichen
Verfolgung erscheint eine Verjährungsfrist von
dreißig Jahren dem
zugefügten Unrecht angemessen.
Ansprüche
nach anderen Bundesgesetzen bleiben unberührt. So etwa Ansprüche
(nach dem
Amtshaftungsgesetz)
wegen Misshandlungen im Zuge von Strafverfahren und Inhaftierungen.
Der vorliegende Entwurf stützt sich kompetenzrechtlich auf Art 11 Abs 1 Z 6 B-VG.
In formeller Hinsicht wird beantragt, diesen
Antrag unter Verzicht auf die erste Lesung dem
Justizausschuss
zuzuweisen.