850/A(E) XXII. GP

Eingebracht am 29.06.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

DRINGLICHER ANTRAG

des Abgeordneten Van der Bellen, Freundinnen und Freunde
betreffend die Sicherstellung der Unabhängigkeit und Objektivität des ORF

Begründung

Eine Sondersitzung zum Thema ORF ist eine höchst ungewöhnliche
Themensetzung für den Nationalrat. Dies kann nur durch höchst ungewöhnliche
Umstände gerechtfertigt werden. Die laufende öffentliche Debatte über die
Gefährdung der Unabhängigkeit und Objektivität des ORF zeigt aber, dass
dringender Handlungsbedarf besteht, um diese so wichtigen Grundsätze
sicherzustellen.

Im Jahr 1964 haben 832.353 Österreicherinnen und Österreicher das erste aller
Volksbegehren in der Zweiten Republik unterzeichnet. 1966 entstand das
Rundfunkgesetz auf der Basis dieses Volksbegehrens. Für die weitere Entwicklung
des Österreichischen Rundfunks war die große Volksbewegung von zentraler
Bedeutung.

832.535 Bürgerinnen und Bürger sprachen sich damals gegen die ungehemmte
Kontrolle und die Knebelung der freien Berichterstattung durch die politischen
Parteien sowie gegen eine ausschließlich proporzorientierte Personalpolitik im ORF
aus. Ziel des Volksbegehrens war nicht mehr und nicht weniger, als ein von Parteien
und Regierung unabhängiger „Öffentlich-Rechtlicher", der frei und ohne
parteipolitische Einflussnahme berichten, recherchieren und thematisieren sollte.

Unter dem ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus wurde der ORF auch tatsächlich mit
dem Rundfunkgesetz 1966 in die Unabhängigkeit entlassen. Damit wurde der
Grundstein für eines der angesehensten Unternehmen des Landes gelegt, welches
mit großem Erfolg „Österreich in die Welt" und die „Welt den ÖsterreicherInnen"
vermittelte.

Im Zentrum des heute geltenden ORF-Gesetzes stehen klare Regelungen über die
Grundsätze der Unabhängigkeit und Objektivität:

§1 Abs. 3:

"Der Österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrages auf die Grundsätze der
österreichischen Verfassungsordnung [...] sowie auf den Grundsatz der Freiheit der Kunst Bedacht zu
nehmen und die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der
Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme sowie die
Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks, die mit der Besorgung
der Aufgaben des Österreichischen Rundfunks beauftragt sind, gemäß den Bestimmungen dieses
Bundesgesetzes zu gewährleisten.“

 


§4 Abs.5:

Der Österreichische Rundfunk hat bei Gestaltung seiner Sendungen weiters für

1.           eine objektive Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten  und
Reportagen einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und
gegebenenfalls der Übertragung ihrer Verhandlungen;

2.           die   Wiedergabe  und  Vermittlung von für die Allgemeinheit     wesentlichen Kommentaren,
Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der
im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen;

3.           eigene Kommentare,  Sachanalysen  und Moderationen unter  Wahrung des Grundsatzes der
Objektivität

zu sorgen."

§4 Abs.6:

Unabhängigkeit ist nicht nur Recht der journalistischen oder programmgestaltenden Mitarbeiter,
sondern auch deren Pflicht. Unabhängigkeit bedeutet Unabhängigkeit von Staats- und Parteieinfluss,
aber auch Unabhängigkeit von anderen Medien, seien es elektronische oder Printmedien, oder seien
es politische oder wirtschaftliche Lobbys. "

§ 10 Abs.5:

„Die Information hat umfassend, unabhängig, unparteilich und objektiv zu sein. Alle Nachrichten und
Berichte sind sorgfältig auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen, Nachricht und Kommentar deutlich
voneinander zu trennen."

Von den Zielsetzungen dieser historischen Errungenschaft seines Amtsvorgängers
Klaus, nämlich einem „unabhängigen ORF", hat sich der heutige Bundeskanzler und
ÖVP-Parteiobmann Wolfgang Schüssel aber längst verabschiedet.

Längst geht es nicht nur um „Missstände" im ORF. Es geht nicht nur um die ORF-
Generaldirektorin Monika Lindner, die es sich nicht nehmen ließ, bei einer ÖVP-
Wahlveranstaltung in der zweiten Reihe zu sitzen und dem ÖVP-Parteiobmann für
seine Ausführungen begeisterten Applaus zu spenden. Es geht auch nicht nur um
den im Stil eines ÖVP-Generalsekretärs agierenden Chefredakteur des ORF-
Fernsehens, Werner Mück. Es geht längst um die Besitzergreifung des ORF durch
die ÖVP. Genau dieser Tage hat sich z.B. der ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll
zu Wort gemeldet und die Geschäftsführung des ORF beurteilt: Lindner sei kein
Problem. Aber: „Ich rate ihr nur, ihre Führungsmannschaft zu überdenken. Ich würde
auf alle Fälle Direktor Kurt Rammerstorfer auswechseln und auch noch eine andere
Reihe von Vorstandsdirektoren", so Pröll ("trend" Nr. 7-8/06 vom 01.07.2006). Sie
möge also die Mitglieder der Geschäftsführung ÖVP-konform austauschen, wenn sie
von der ÖVP wieder gewählt werden wolle, so die unmissverständliche Botschaft.

Das Ziel dieser Politik ist es offenbar, die von der ÖVP betriebene ORF-Politik der
letzten Jahre fortzusetzen und zu verstärken: Politische Interventionen der ÖVP sind
dabei nur mehr beschränkt notwendig, weil Personen direkt in die
Führungsfunktionen des ORF gehievt werden, die sich der ÖVP-Politik verpflichtet
fühlen.

Darüber hinaus verzeichnen - als „Seismographen" der öffentlichen Meinung -
überparteiliche Initiativen immensen Zulauf, wenn sie Alarm schlagen und „SOS
ORF" rufen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die seinerzeit als unerträglich
empfundene Proporzwelt des ORF einer noch unerträglicheren Ein-Parteien-Welt
der ÖVP gewichen ist. Um eine berühmt gewordenen Rede eines ORF-Mitarbeiters


abzuwandeln: „Das Gleichgewicht des Schreckens ist zerbrochen, nur mehr der
Schrecken ist geblieben."

Offenkundig ist aber auch, dass sich der Vorwurf der parteipolitischen Einflussnahme
und versuchten Manipulation zurecht nicht gegen die RedakteurInnen des ORF
richtet, die trotz des Drucks der Geschäftsführung um Objektivität bemüht sind und
entsprechenden Widerstand leisten, sondern ausschließlich gegen das von der ÖVP
eingesetzte Führungsteam des ORF.

Sobald diese inakzeptable Entwicklung des ORF thematisiert wird, folgt zumeist der
Einwand, dass es eine politische Einflussnahme auf den ORF immer gegeben habe.
Das mag sein. Aber es geht immer noch um den Grad der Einflussnahme, um die
Möglichkeiten, die Berichterstattung direkt oder indirekt zu steuern, den brutalen
Zugriff auf Posten und Ressourcen und vor allem darum, dass ohne Rücksicht auf
den „Öffentlichen Auftrag" und das „Redakteursstatut" regelmäßig
regierungskritische Recherchen und Sendungen einfach „verhindert" werden.

Jetzt, wo genau diese Zustände und Umstände auch „aktenkundig" geworden sind,
wurde der Boden des Rundfunkvolksbegehrens und damit auch ein nationaler
Konsens verlassen. Genau in dieser Situation, in der in einer breiten Öffentlichkeit
gravierende Missstände im ORF diskutiert werden, in der bekannt wird, wie
Führungskräfte kritische Themen und Sendungen zu Gunsten einer Partei
beeinflussen bzw. missliebige Themen unterdrücken und verhindern, in der nicht
duldbares Missmanagement, Frauenfeindlichkeit, Bedrohungen und Mobbing von
Betroffenen offen artikuliert werden, ist der Nationalrat aufgerufen zu handeln.

Die parteipolitische. Vereinnahmung durch die ÖVP führt dazu, dass der ORF in
Gefahr gerät, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Es geht um den Bruch des
öffentlich-rechtlichen Auftrags, es geht um den ungenierten Zugriff auf die
Informationssendungen, die immer noch die wichtigste Informationsquelle der
Österreicherinnen und Österreicher darstellen und es geht um die unerträgliche
Personalpolitik der ÖVP, die Posten und Einfluss als Erbpacht versteht. Und es geht
um die Kerninhalte des ORF „Objektivität und Unabhängigkeit", die letztlich
gleichzeitig die Legitimation der Programmentgelte bzw. Gebühren sind. Aber auch
um die Basis, mit einem eigenständigen und unverwechselbaren Profil gegen die
private kommerzielle Konkurrenz bestehen zu können.

In den nächsten Monaten stehen die für fünf Jahre bedeutendsten
personalpolitischen Weichenstellungen an: Die Geschäftsführung wird gewählt. Die
Bestellung der Generaldirektion sowie der weiteren Geschäftsführungsmitglieder
erfolgte bislang in Form einer offenen, nicht geheimen Abstimmung im Stiftungsrat.
Außerdem war es bislang nicht möglich, über die DirektorInnen einzeln abzustimmen
und somit über deren Qualifikation gesondert zu entscheiden. Man konnte lediglich
über einen Gesamtwahlvorschlag abstimmen. Von vielen Stiftungsräten, von
VertreterInnen aller politischen Parteien im Stiftungsrat wird mittlerweile eine
geheime Abstimmung favorisiert. Dagegen stemmt sich die ÖVP. Aus gutem Grund,
könnte man vermuten, weil bei einer geheimen Abstimmung vorzeitige Festlegungen
auf Monika Lindner und Werner Mück (bevor die Ausschreibung überhaupt
begonnen hat!) dann doch nicht so sicher scheinen. Was kümmert die ÖVP also die
demokratiepolitische Selbstverständlichkeit einer geheimen Wahl, wenn sie die


berechtigte Sorge zu haben scheint, ihren „Freundeskreis" im Stiftungsrat nicht unter
Kontrolle zu halten?

Die Entscheidungen über die einzelnen Funktionen im Stiftungsrat sollen in
geheimer Wahl erfolgen. Dies soll gewährleisten, dass der wahre Wille der
StiftungsrätInnen insofern zum Ausdruck kommt, als sie unbeeinflusst und
entsprechend ihrer Überzeugung über die einzelnen KandidatInnen entscheiden
können, ohne sich in der Folge für ihr Wahlverhalten bei Klubobmann Molterer oder
Bundeskanzler Schüssel rechtfertigen zu müssen.

Die Grünen vertreten die Ansicht, dass die Unabhängigkeit und Objektivität des ORF
zu wichtig ist, um sie der Parteipolitik zu opfern. Nicht die besten ÖVP-
Parteigängerlnnen sollen in die Geschäftsführung gewählt werden, sondern die
qualifiziertesten KandidatInnen. Daher wäre es auch eine Selbstverständlichkeit,
dass sich die KandidatInnen einem medienöffentlichen Hearing zu stellen haben.
Das entspricht Belegschaftsforderungen ebenso, wie dem berechtigten Interesse der
Öffentlichkeit an den Zukunftskonzepten und Vorhaben potenzieller BewerberInnen.
Und die qualifizierten KandidatInnen haben diese Transparenz schließlich auch nicht
zu fürchten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat bis spätestens 11.7.2006
eine Regierungsvorlage betreffend eine Novelle des ORF-Gesetzes zuzuleiten, die
folgende Regelungen umfassen soll:

         KandidatInnen für die Funktionen des/der GeneraldirektorIn, der DirektorInnen
sowie der LandesdirektorInnen sollen sich künftig einem medienöffentlichen
Hearing vor dem Stiftungsrat zu stellen haben.

         Die Wahlen für diese Funktionen sollen künftig geheim und in gesonderten
Wahlgängen zu erfolgen haben.

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 2
GOG verlangt.