851/A(E) XXII. GP

Eingebracht am 29.06.2006
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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek

und GenossInnen

betreffend „Gender Medicine"

Schon Anfang der neunziger Jahre erschien im New England Journal of Medicine ein Artikel
von Bernadine Healy, damalige Direktorin des National Institute of Health in den USA, in
dem sie meinte, dass Frauen erst beweisen müssen, so krank zu sein wie ein Mann, um
dieselbe Behandlung zu erhalten. Dieses Phänomen bezeichnete sie als „Yentl-Syndrom". Die
medizinisch-pharmazeutische Forschung orientiert sich nach wie vor überwiegend am Modell
Mann, obwohl bekannt ist, dass Frauen andere Symptome als Männer aufweisen und auch die
Wirksamkeit von Medikamenten unterschiedlich ist. Gender - bezogen auf Gesundheit -
bedeutet die Berücksichtigung von Gesundheitsstatus und Determinanten von Frauen und
Männern, von genderspezifischen Hürden im Zugang zu Leistungen aus dem
Gesundheitssystem, von Auswirkungen von gesundheitspolitischen Maßnahmen, der
Verteilung und Entlohnung von Gesundheitsarbeit sowie der Partizipation an
Gesundheitspolitik und Entscheidungsfindung. Frauen und Männer haben eine
unterschiedliche Auffassung von Gesundheit.

Während Männer Gesundheit mit „Leistungsfähigkeit" gleichsetzen, ist für Frauen
Gesundheit mit dem eigenen Körpererleben unter Einbeziehung sozialen Wohlbefindens
verbunden. Diese unterschiedlichen Auffassungen haben zur Folge, dass Männer häufiger mit
somatischen Diagnosen, Frauen dagegen häufiger mit psychosomatischen Diagnosen
konfrontiert sind.

Das Krankheitsspektrum von Männern und Frauen unterscheidet sich auch über den
Lebenszyklus gesehen. Während Buben vom ersten bis zum zwölften Lebensjahr häufiger
krank sind als Mädchen, sind aber ab der Pubertät Mädchen häufiger krank und schätzen ihre
Gesundheit schlechter ein. Mädchen zeigen internalisierende Symptome (depressive
Stimmungen, Ängste, Einsamkeitsgefühle, Essstörungen, etc.), Buben dagegen eher
externalisierende Symptome (Aggressivität, riskante Verhaltensweisen, etc.).

Im mittleren Erwachsenenalter leiden Frauen häufiger an chronischen Erkrankungen und
Beeinträchtigungen im psychosomatischen und psychischen Bereich, Männer leiden häufiger
an Krankheiten, die zum Tod führen können (z.B. Herz- Kreislauferkrankungen).


Im Alter überwiegen Frauen bei chronischen Erkrankungen mit funktionellen
Beeinträchtigungen. Die Rangreihe der zehn häufigsten Krankheiten und Todesursachen ist
ident, aber Frauen versterben an allen Krankheiten später.

Die Lebenserwartung in Österreich liegt bei Frauen bei 81,2 Jahren, die der Männer bei
75,5 Jahren. Die Sterblichkeit vor dem 65. Lebensjahr liegt bei Frauen bei 13 Prozent, bei
Männern bei 30 Prozent. In den Industrieländern holen aber die Männer mehr als die Frauen
bezüglich Lebenserwartung auf.

Männer unter 50 Jahren erleiden dreimal so häufig einen Herzinfarkt, wie gleichaltrige
Frauen. 44 Prozent der Männer, aber nur 36 Prozent der Frauen überleben einen Herzinfarkt.
Die Leitsymptome bei Herzinfarkt unterscheiden sich bei Männern und Frauen.

Frauen und Männer erhalten oft dieselben Medikamente in gleicher oder ähnlicher Dosierung,
obwohl deutliche Unterschiede im Stoffwechsel, in der Zell- und in der Hormonstruktur
zwischen den Geschlechtern bestehen. Medikamente werden in der Regel an Männern
getestet - die Ergebnisse sind nur eingeschränkt übertragbar, da der weibliche Körper anders
reagiert.

Ein weiteres wesentliches Problem in Zusammenhang mit Frauengesundheit ist Armut.
Obwohl der Großteil der messbaren Arbeit weltweit von Frauen geleistet wird, ist Armut
weiblich. Die Einkommensunterschiede in Österreich betragen zirka 30 Prozent. Besonders
die Geburt eines Kindes und höheres Alter sind maßgebliche Armutsfaktoren. Auch das muss
in der Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden.

Da Fortschritte auf dem Gebiet der Frauengesundheit hauptsächlich von Frauen
vorangetrieben wurde, ist es notwendig, den Frauenanteil in Positionen mit
Entscheidungskompetenz im Gesundheitswesen zu stärken. Während der Anteil der
weiblichen Medizin-Studierenden im Jahr 2000 bereits fast 60 Prozent betrug, spiegelt sich
dieser Prozentsatz nicht in den Personalstrukturen an den Universitäten wider. Die
Medizinische Universität Wien weist beispielsweise (per 1.1.2004) einen überdurchschnittlich
hohen Frauenanteil im Bereich der drittmittelfinanzierten Dienstposten auf, in allen anderen
Bereichen - Ausbildung, AssistentInnen, Assistenz-ProfessorInnen, DozentInnen,
ProfessorInnen - überwiegen bei weitem die Männer. Im Bereich der ProfessorInnen beträgt
der Frauenanteil sogar unter 10 Prozent.


Folgende Vorteile für Frauen und Männer könnten durch eine geschlechtersensible Medizin
erreicht werden:

                     Identifikation spezifischer Präventionsbedürfnisse und Aufdecken spezifischer
Präventionspotenziale für Frauen und Männer.

                     Darstellung der (unterschiedlichen) Versorgung und Versorgungszugänge für Frauen
und Männer.

                     Identifizierung von Über-, Unter- und Fehlversorgung bei Frauen und Männern.

                     Identifizierung von Medikalisierungen (beispielsweise Hormonersatztherapie).

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

„Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen wird aufgefordert, dem Nationalrat eine
Regierungsvorlage zu übermitteln, die folgende Zielsetzungen verfolgt bzw. Grundsätze
beinhaltet:

                     Alle öffentlichen Fördervorhaben im Gesundheitswesen, in der Aus- und
Weiterbildung, Präventions- und Behandlungsprogrammen dürfen nur bei
Einbeziehung geschlechterbezogene Aspekte vergeben werden.

                     Die Geschlechterfrage muss in allen Versorgungsprogrammen implementiert werden.

                     Regelmäßig sind Frauengesundheitsberichte auf Länder- und Bundesebene zu
erstatten.

                     Errichtung eines Forschungszentrums „Frauen- und Geschlechterforschung im
Gesundheitswesen.

                     Reform des UG 2002: wieder mehr Mitgestaltungsmöglichkeit und Mitspracherechte
für Mittelbau und Studierende sowie gesicherte Arbeitsverhältnisse für
WissenschafterInnen sowie Stärkung des Arbeitskreises für Gleichbehandlung an den
Unis durch Wiedereinführung der Entscheidungskompetenz, da durch das UG 2002
die männliche Vormachtstellung auch an den Medizin-Unis gestärkt wurde.

                     Verbindliche Implementierung genderspezifischer Lehre und Forschung an den
Universitäten.

                     Bereitstellung ausreichender zusätzlicher finanzieller Mittel für Genderforschung und
-lehre.


                     Frauengesundheitszentren müssen im Krankenanstaltengesetz verpflichtend
vorgesehen werden.

                     In jedem Bundesland muss ein Frauengesundheitszentrum errichtet und eine
Frauengesundheitsbeauftragte eingesetzt werden.

                     In der Arzneimittelforschung muss verpflichtend der Geschlechteraspekt
berücksichtigt werden.

                     Beipacktexte von Arzneimitteln müssen verpflichtend die Auswirkungen auf Frauen
und Männer getrennt ausweisen."

Zuweisungsvorschlag: Gleichbehandlungsausschuss