853/A(E) XXII. GP

Eingebracht am 12.07.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Terezija Stoisits, Alexander van der Bellen, Freundinnen und
Freunde

betreffend Umsetzung der Ortstafelerkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes

Begründung

Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben deutlich gemacht, dass die
Bundesangelegenheit Minderheitenschutz in Österreich dem Kärntner
Landeshauptmann zur Profilierung überlassen wurde.

Der jahrelange Kleinkrieg um jede einzelne Ortstafel hat namhaften Institutionen
unseres Rechtsstaates schweren Schaden zugefügt und den Rechtsbruch höchster
politischer Verantwortungsträger salonfähig gemacht. In mancher Hinsicht hat sich
dieser Rechtsbruch noch ausgezahlt. Das ist das bedenklichste Resultat der
Diskussion der letzten Tage und des vorläufig gescheiterten Versuchs von ÖVP und
BZÖ, die im Staatsvertrag von Wien verbrieften Minderheitenrechte durch neue
Verfassungsbestimmungen auszuhebeln. Einige haben diesen Versuch sogar als
„historische Lösung" bezeichnet.

In seinem Erkenntnis von 13. Dezember 2001 hat der Verfassungsgerichtshof jene
Passage des Volksgruppengesetzes 1976 als verfassungswidrig aufgehoben, die für
das Aufstellen von zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten und in Burgenland einen
25 % Anteil von Minderheitenangehörigen vorsah. Die zu Korrektur vorgesehene
Frist bis 31.12.2002 ließ die Bundesregierung völlig ungenutzt verstreichen.

Die Bundesregierung hat seit 2001 den Auftrag des VfGH zur Erlassung einer neuen
Topografieverordnung negiert. Am 30.06.2006 wurde völlig überstürzt eine neue
Topografieverordnung für Kärnten im Hauptausschuss beschlossen. Diese
Verordnung beinhaltet lediglich 93 Ortstafeln und ist mit Sicherheit (erneut)
verfassungswidrig. Der Erstentwurf dieser Verordnung hatte noch 158 zweisprachige
Ortstafeln vorgesehen. Am 11.7. 2006 wurde eine neuerliche Topografieverordnung
über 142 Ortstafeln beschlossen, die nun mangels Verfassungsbestimmung nicht in
Kraft treten kann. Diese Verordnung bezieht sich auf ein Gesetz, welches bislang
noch nicht beschlossen wurde. Das Resultat ist, dass nun eine verfassungswidrige
Topografieverordnung über 93 Ortstafeln in Kraft ist. Dies im 51. Jahr nach in Kraft
treten des Staatsvertrages von Wien.

Der Staatsvertrag von Wien regelt im Artikel 7 die Rechte der Minderheiten auf
topografische Aufschriften im Verfassungsrang. Der Verfassungsgerichtshof hat in
seinem sogenannten Ortstafelerkenntnis 2001 Teile des Volksgruppengesetzes und
der Topografieverordnung als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat dabei den
Staatsvertrag von Wien zur Auslegung herangezogen und ausgesprochen an
welchen Kriterien sich eine verfassungskonforme Regelung orientieren muss.
Zweisprachige Ortstafeln müssen dem gemäß in Ortschaften mit einem
Minderheitenprozentsatz von „mehr als 10% über einen längeren Zeitraum"
aufgestellt werden. Die gegenständliche Regelung des Volksgruppengesetzes hat
damit nichts zu tun. Zweisprachige Ortstafeln sind darin erst ab einem


Minderheitenanteil von 10% in Ortschaften und ab 15% in Gemeinden vorgesehen.
Es besteht ein doppelter Widerspruch zur Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofes. Dieser sieht in seinen Erkenntnissen eben keinen
Mindestanteil von 15% auf Gemeindeebene vor, zum anderen differenziert der
Verfassungsgerichtshof nicht zwischen Ortschaften und Gemeinden, geschweige
denn hat er eine kumulative Verknüpfung von Prozentanteilen auf Ortsebene und
Gemeindeebene vorgesehen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Die Regierung hat in den
letzten Tagen versucht, Bestimmungen, die möglicherweise einer weiteren Prüfung
durch den Verfassungsgerichtshof nicht stand halten, mit einem Verfassungsgesetz
jeder Prüfung durch den VfGH zu entziehen. Sie kann dem Nationalrat aber auch
eine Vorlage, die als einfaches Gesetz den Erkenntnissen des VfGH, aber vor allem
den Bestimmungen des Staatsvertrags entspricht, zuleiten. 51 Jahre nach
Unterzeichnung des Staatsvertrages könnte dieser so endlich vollständig umgesetzt
werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend ein
verfassungskonformes Volksgruppengesetz zuzuleiten, damit sichergestellt ist, dass
eine Beschlussfassung des Nationalrates noch in dieser Legislaturperiode erfolgen
kann.

In diesem Entwurf ist darauf Bedacht zu nehmen, dass weder Landeshauptleuten
noch Bürgermeistern die Möglichkeit eröffnet wird, die Umsetzung des Gesetzes zu
verhindern.

Der Entwurf soll darüber hinaus sicher stellen, dass das Recht des
Verfassungsgerichtshofes, die Einhaltung des Staatsvertrags zu prüfen, nicht
beschnitten wird.

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 2
GOG verlangt