91/AB XXII. GP

Eingelangt am 04.04.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

 

 

Anfragebeantwortung

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Einem, Kolleginnen und Kollegen haben an
mich eine schriftliche Anfrage betreffend „strafrechtliche Verfolgung homo- und bise-
xueller Männer (§ 209 StGB)" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Der EGMR geht selbst davon aus, dass die Europäische Kommission für Menschen-
rechte zu wegen § 209 StGB anhängig gemachten Beschwerden wiederholt und zu-
letzt in ihrem Bericht vom 26. Juni 1995 (Fall H.F. gegen Österreich, Nr. 22646/93)
keine Verletzung von Art. 8 allein oder in Verbindung mit Art. 14 EMRK festgestellt
hat (Z. 42 und 47 aus L. und V. gegen Österreich, Nr. 39392/98 und 39829/98).
Vielmehr sei die Konvention ein lebendes Instrument, dessen Auslegung sich konti-
nuierlich fortentwickle. Im Bereich des Schutzalters für homosexuelle Kontakte habe
in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten des Europarates erst angesichts jüngerer wis-
senschaftlicher Erkenntnisse ein Umdenken stattgefunden (Z. 47 aus L. und V. ge-
gen Österreich, Nr. 39392/98 und 39829/98).

Diese europäische Entwicklung ist in Österreich allerdings etwas später als in den
meisten anderen Staaten nachvollzogen worden. Österreich hatte jedoch zu dem
Zeitpunkt, als der EGMR mit seinen Urteilen vom 9.1.2003 erstmals ausdrücklich
klarstellte, dass ein differenziertes Schutzalter im Lichte des eingetretenen Wandels
(nunmehr) konventionswidrig sei, sein Strafgesetzbuch bereits geändert, was auch
vom EGMR gewürdigt worden ist. Zur Beibehaltung von § 209 StGB bis zu dessen


Aufhebung durch den VfGH mit Erkenntnis vom 21.6.2002 möchte ich auf die parla-
mentarische Diskussion in den Jahren 1995 bis 1998 sowie auf die damals durchge-
führten Abstimmungen im Nationalrat hinweisen.

Die Gerichte haben die vom Nationalrat beschlossenen Gesetze zu vollziehen (Arti-
kel 89 Abs. 1 B-VG). Eine allfällige Entschuldigung bei Verurteilten nach § 209 StGB
ist meines Erachtens nicht Gegenstand der in meinen Zuständigkeitsbereich fallen-
den Vollziehung.

Zu 3 und 4:

Auch zur Frage eines allfälligen Rehabilitierungsgesetzes möchte ich darauf hinwei-
sen, dass § 209 StGB von den europäischen Menschenrechtsinstanzen zumindest
noch 1995 für konventionskonform angesehen worden ist. Da erst eine Überprüfung
der früheren Entscheidungen im Lichte der bis zum Jahr 2003 eingetretenen wissen-
schaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zur Feststellung der Konventi-
onswidrigkeit geführt hat, besteht meines Erachtens keine Veranlassung zur gesetz-
lichen Rehabilitierung von Verurteilten nach § 209 StGB bzw. zur Aufhebung von
Verurteilungen. Für Einzelfälle steht insbesondere für Maßnahmen im Sinne des Til-
gungsrechtes das Instrumentarium des Gnadenrechtes zur Verfügung.

Zu 5:

Das Amtshaftungsgesetz könnte nicht als taugliche Grundlage für Ersatzansprüche

wegen Verurteilungen nach § 209 StGB herangezogen werden, weil der Bund nur
für rechtswidrige Schädigung durch seine in Vollziehung der Gesetze handelnden
Organe einzustehen hat. Da die Gerichte zur Vollziehung der Strafgesetze verpflich-
tet sind, könnte eine Verurteilung wegen § 209 StGB nicht als rechtswidrig iSd AHG
erachtet werden, zumal der VfGH und die Europäische Kommission für Menschen-
rechte die Bestimmung wiederholt in Prüfung gezogen hatten. Auch eine Entschädi-
gung nach den Bestimmungen des StEG kommt nicht in Betracht, weil nach § 2 Abs.
1 lit. c StEG für das Entstehen eines Ersatzanspruches eine Aufhebung der rechts-
kräftigen Entscheidung vorausgesetzt wird. Allfällige Maßnahmen zur Schaffung ei-
ner gesetzlichen Grundlage für eine Entschädigung von Verurteilten nach § 209
StGB halte ich aus den bereits oben angeführten Überlegungen nicht für geboten.


Die Beantwortung der Fragen 6 bis 23 beruht auf den aus Anlass dieser Anfrage ein-
geholten Berichten der Anklagebehörden.

Zu 6. bis 11. (§ 207b Abs. 1 StGB):

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien wurden zwei Verfahren gegen insgesamt

zwei männliche Verdächtige eingeleitet. Bei diesen handelte es sich um einen 39-
jährigen männlichen Verdächtigen, dessen männlicher Partner 15 Jahre alt war, und
um einen 53-jährigen unbescholtenen oder lediglich wegen § 209 StGB vorbestraf-
ten männlichen Verdächtigen, dessen männlicher Partner ebenfalls 15 Jahre alt war.
Der 53-jährige Verdächtige wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Mo-
naten, deren Vollzug für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde,
verurteilt.

Beim Landesgericht Salzburg wurde ein Verfahren gegen einen 34-jährigen männli-
chen Verdächtigen, der keine Vorstrafe wegen § 209 StGB aufweist, eingeleitet.
Sein männlicher Partner war 15 Jahre alt.

Beim Landesgericht Innsbruck wurde ein Verfahren gegen einen 32-jährigen unbe-
scholtenen männlichen Verdächtigen eingeleitet. Seine ausschließlich männlichen
Partner waren 14 und 15 Jahre alt.

Insgesamt wurden demnach im Jahr 2002 vier Strafverfahren gegen insgesamt vier
männliche Verdächtige wegen § 207b Abs. 1 StGB eingeleitet. In einem Fall erfolgte
eine Verurteilung einer unbescholtenen oder lediglich wegen § 209 StGB vorbestraf-
ten männlichen Person. Wegen des Tatbestandes des § 207b Abs. 1 StGB gab es
laut den Berichten der staatsanwaltschaftlichen Behörden keine Haftfälle. Laut der
EDV-Anwendung der Strafvollzugsbehörden befand sich zum Stichtag 18. Februar
2003 keine Person in Untersuchungshaft, Strafhaft oder im Maßnahmenvollzug.

Zu 12. bis 17. (§ 207b Abs. 2 StGB):

Wegen des Tatbestandes des § 207b Abs. 2 StGB wurden im Jahr 2002 keine Straf-
verfahren eingeleitet. Demgemäß gab es auch keine Verurteilungen oder Haftfälle.

Zu 18 bis 23 (S 207b Abs. 3 StGB):

Beim Jugendgerichtshof Wien wurde ein Verfahren gegen einen 20-jährigen unbe-
scholtenen männlichen Verdächtigen eingeleitet. Sein männlicher Partner war 15
Jahre alt.


Beim Landesgericht Wels wurde ein Verfahren gegen einen 48-jährigen unbeschol-
tenen männlichen Verdächtigen eingeleitet. Seine ausschließlich männlichen Partner
waren 16 und 17 Jahre alt. Der Verdächtige wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei
Monaten, deren Vollzug für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen
wurde, verurteilt.

Beim Landesgericht Salzburg wurde ein Verfahren gegen einen 55-jährigen unbe-
scholtenen männlichen Verdächtigen eingeleitet. Sein männlicher Partner war 17
Jahre alt.

Insgesamt wurden demnach im Jahr 2002 drei Strafverfahren gegen insgesamt drei
männliche Verdächtige wegen § 207b Abs. 3 StGB eingeleitet. In einem Fall erfolgte
eine Verurteilung einer unbescholtenen männlichen Person. Wegen des Tatbestan-
des des § 207b Abs. 3 StGB gab es laut den Berichten der staatsanwaltschaftlichen
Behörden keine Haftfälle und befand sich laut der EDV-Anwendung der Strafvoll-
zugsbehörden zum Stichtag 18. Februar 2003 keine Person in Untersuchungshaft,
Strafhaft oder im Maßnahmenvollzug.

Zu 24:

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes vom 30. Dezember 2002,

Gw 435/02, über die der Oberste Gerichtshof bereits am 19. Februar 2003 entschie-
den hat, wurde von der Generalprokuratur nicht in meinem Auftrag erhoben. Die Klä-
rung der von den Oberlandesgerichten Wien und Innsbruck unterschiedlich judizier-
ten Rechtsfrage, ob die Aufhebung einer Strafbestimmung einen nachträglich her-
vorgekommenen Milderungsumstand im Sinne des § 31 a StGB bildet, war über die
Einzelfälle und auch über die Aufhebung von § 209 StGB hinaus im Interesse einer
einheitlichen Rechtsprechung von grundsätzlicher Bedeutung.