484/AB XXII GP

Eingelangt am 23.07.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

Anfragebeantwortung

 

Auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Mag. Ulli Sima, Kolleginnen und Kollegen vom
23.05.2003, Nr. 467/J, betreffend des Abschieds von der heimischen Anti-Atom-Politik, den
mangelnden Aktivitäten der österreichischen Bundesregierung nach den Störfällen im unga-
rischen AKW Paks und im tschechischen Temelin und fehlenden Initiativen auf EU-Ebene,
beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

Eingangs halte ich fest, dass sich die Bundesregierung in ihrem Arbeitsprogramm klar und
eindeutig zu einer Fortsetzung der aktiven österreichischen Nuklearpolitik bekennt. Als Um-
weltminister fühle ich mich diesem Arbeitsprogramm vollinhaltlich verpflichtet. Es ist jedoch
eine Tatsache, dass in Europa zahlreiche Kernkraftwerke in Betrieb sind, und wir müssen
auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst ausstiegsorientierte Regierungen bei der konkreten
Umsetzung zögerlich vorgehen. Andererseits halten eine Reihe von europäischen Regierun-
gen unvermindert an der Nutzung der Kernenergie fest. Ich vertrete und verfolge jedenfalls
eine zielstrebige Nuklearpolitik, die sich auf die Nachhaltigkeit der Bereitstellung von Ener-
giedienstleistungen, Fairness im Wettbewerb der Energieträger und größtmögliche Sicher-
heit konzentriert.


Vor diesem Hintergrund beantworte ich die einzelnen Fragen wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 7:

Die erste Meldung über den Zwischenfall im ungarischen Atomkraftwerk Paks langte als tele-
fonische Information der Bundeswarnzentrale in der Strahlenschutzabteilung des Bundesmi-
nisteriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) am
11. April 2003 am frühen Abend ein.

Unmittelbar nach dieser Meldung wurde seitens der Strahlenschutzabteilung der 24-Stunden
Bereitschaftsdienst der ungarischen Atomaufsichtsbehörde kontaktiert. Dieser bestätigte
sowohl den Zwischenfall als auch eine geringfügige Freisetzung radioaktiver Stoffe.
Unmittelbar nach der Verifizierung des Zwischenfalles durch die Strahlenschutzabteilung
wurde ich von meinen Mitarbeitern über das Ereignis informiert, wobei mir mitgeteilt wurde,
dass aufgrund des damals bekannten Sachverhaltes und der gegebenen Wetterlage eine
Gefährdung Österreichs auszuschließen sei.

Als Antwort auf die mittels E-Mail an die ungarische Aufsichtsbehörde gerichtete Anfrage
vom 11. April 2003 übermittelte diese am 14. April 2003 am Abend ihr an diesem Tag veröf-
fentlichtes Bulletin über den Zwischenfall.

Erste Meldungen über konkrete Freisetzungsraten von Edelgasen und Radiojod wurden von
der ungarischen Atomaufsichtsbehörde an die Nachbarstaaten und die Internationale Atom-
energie-Organisation (IAEO) am 17. April 2003 in der Früh übermittelt.

Zu Frage 8:

Internationaler Kontaktpunkt für die Meldung von nuklearen Ereignissen ist die Bundeswarn-
zentrale (BWZ) im Innenministerium, die rund um die Uhr besetzt ist. Diese informiert die
zuständigen österreichischen Stellen über relevante Ereignisse unmittelbar telefonisch, wo-
bei von Mitarbeitern der Strahlenschutzabteilung diese Meldungen im Hinblick auf eine Ge-
fährdung Österreichs bewertet werden und danach die Meldung durch die BWZ mit Bewer-
tung an die betroffenen Ressorts und die Landeswarnzentralen weitergeleitet wird.


Zu Frage 9:

Aufgrund internationaler Abkommen (Convention on Early Notification) und des bilateralen
Übereinkommens mit Ungarn über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen
wurde nach deren Inkrafttreten der Kontaktpunkt in der Bundeswarnzentrale im Innen-
ministerium für den Informationsaustausch festgelegt. Weiters wurde festgelegt, wer als je-
weils kompetente Behörde Kontaktstelle für konkrete Fachfragen ist. Diese Kontaktstellen
wurden zwischenzeitlich hinsichtlich der Gültigkeit der angegebenen Telefon- und Faxnum-
mern sowie der E-Mailadressen mindestens zweimal jährlich getestet und erforderlichenfalls
aktualisiert.

Zu Frage 10:

Die Informationen aus Ungarn wurden unmittelbar nach ihrem Eintreffen von der Strahlen-
schutzabteilung fachlich bewertet und im Wege der Bundeswarnzentrale einschließlich der
Bewertung an die zuständigen österreichischen Stellen weitergeleitet.

Zu den Fragen 11 bis 17:

Nach Eintreffen der zweiten Mitteilung an die Nachbarstaaten Ungarns am 17. April 2003
nachmittags, wurde die österreichische Bevölkerung im Wege einer Presseaussendung des
BMLFUW darüber informiert, dass keine Gefährdung Österreichs durch die radioaktiven
Freisetzungen im ungarischen Atomkraftwerk Paks zu erwarten ist und dass auch keine
Maßnahmen in der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerkes von ungarischer Seite
gesetzt wurden.

Unmittelbar nach der Übermittlung der Erstinformation durch die Bundeswarnzentrale am
11. April 2003 wurde telefonisch mit dem 24-Stunden Bereitschaftsdienst der ungarischen
Atomaufsichtsbehörde Kontakt aufgenommen. Darüber hinaus wurde die ungarische
Atomaufsichtsbehörde mittels E-Mail um Information über den Zwischenfall gebeten, da sich
die telefonische Auskunft der 24-Stunden Bereitschaft nur auf die wesentlichsten Fakten
beschränkte.

Am 17. April 2003 übermittelte die ungarische Atomaufsichtsbehörde 2 Meldungen an die
Nachbarstaaten und die IAEO, die eine nähere Einschätzung des Zwischenfalls ermöglich-
ten. Auf Grund dieser beiden Meldungen erfolgte am gleichen Tag die Information der Bevöl-


kerung mittels Presseaussendung, die seitens der Medien jedoch eher wenig Beachtung

fand.

Die Kontaktaufnahme erfolgte im Wege der festgelegten Kontaktstellen (siehe auch Antwort

zu Frage 9).

Zu Frage 18:

Die ungarische Seite hat sich hinsichtlich der einschlägigen internationalen Regelungen und
hinsichtlich bestehender EU-Regelungen vertragskonform verhalten. Bezüglich der Informa-
tionspflichten aus dem bilateralen Abkommen mit Ungarn ist festzustellen, dass die ungari-
sche Seite den Artikel 6 des Abkommens anders ausgelegt hat, weshalb der von Österreich
monierte Informationsmangel entstand.

Zu den Fragen 19 und 20:

Nach den von der ungarischen Seite am 17. und 18. April 2003 übermittelten Informationen
hat die Strahlenschutzabteilung des BMLFUW die ungarische Atomaufsichtsbehörde neuer-
lich mittels E-Mail um detailliertere Informationen gebeten. Diese Anfrage wurde nach unga-
rischen Angaben am 23. April 2003 mittels E-Mail beantwortet. Diese Antwort ist im
BMLFUW jedoch nie eingetroffen.

Zu Frage 21:

In diesem Zusammenhang haben bilaterale Treffen am 14. Mai 2003 in Wien und am
11. Juni 2003 in Budapest stattgefunden. Österreich geht davon aus, dass anlässlich dieser
Treffen die Missverständnisse bei der Auslegung der Bestimmungen des bilateralen Ab-
kommens ausgeräumt werden konnten.

Zu den Fragen 22 bis 24:

Artikel 1 lit. b des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens" definiert zunächst den Begriff

„Notfall":

„Notfall bedeutet einen Unfall in einer kerntechnischen Anlage auf dem Gebiet einer der

Vertragsparteien, in dessen Folge strahlendes Material betriebswidrig in die Umwelt ausge-


treten ist, bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit austreten könnte,........, jeweils unter der Vor-
aussetzung, dass eine Gefährdung der Bevölkerung des anderen Nachbarstaates in der Fol-
ge dieses Ereignisses nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann".
Artikel 2 des bilateralen Abkommens lautet:

„Die Vertragsparteien melden einander unverzüglich im direkten Wege jeden Notfall und
wenden hierbei die Bestimmungen des im Rahmen der IAEO ausgearbeiteten Überein-
kommens über die frühe Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen an,...."
Eine Anbindung der Informationsverpflichtung an eine bestimmte Bewertung des Ereignisses
gemäß der INES-Skala ist im bilateralen Abkommen mit Ungarn nicht enthalten.
Artikel 6 des bilateralen Abkommens lautet:

„Für den Fall von Ereignissen, die zwar nicht einen Notfall im Sinne von Artikel 1 lit. b dar-
stellen, aber geeignet sind, Besorgnis in der Bevölkerung auszulösen, geben die Vertrags-
parteien Informationen im Sinne von Artikel 2".

Artikel 6 wurde von der ungarischen Seite unter Hinweis auf die Verknüpfung der Bestim-
mungen des Artikels 2 mit dem Internationalen Übereinkommen über frühe Benachrichtigung
bei nuklearen Unfällen, wonach nur Ereignisse zu melden sind, die eine Gefährdung des
Nachbarstaates zur Folge haben oder zur Folge haben könnten, nicht korrekt ausgelegt,
weshalb die Übermittlung der Informationen eben sehr spät und auch nicht mit dem von Ös-
terreich gewünschten Informationsgehalt erfolgte.

Zu den Fragen 25 bis 27 und 30:

Es wurde anlässlich der bilateralen Expertengespräche am 11. Juni 2003 in Budapest fest-
gehalten, dass beide Vertragsparteien beabsichtigen, anlässlich des routinemäßigen bilate-
ralen Expertentreffens im Herbst 2003 gemeinsam eine konkretere Interpretation des Arti-
kels 6 schriftlich zu vereinbaren.

Zu den Fragen 28. 29. 31 und 32:

Falls die Bestimmungen der einschlägigen internationalen, multinationalen und bilateralen
Verträge nicht unkorrekt interpretiert werden, wie im Fall des Zwischenfalls im AKW Paks,
und seitens des Vertragspartners das Interesse Österreichs an einer umfassenden Informa-
tion auch entsprechend zur Kenntnis genommen wird, sind die Bestimmungen dieser Ab-
kommen als ausreichend anzusehen. Unabhängig davon ist Österreich jedoch bestrebt, im


Rahmen der obligaten jährlichen Expertentreffen einzelne Bestimmungen der Vereinbarun-
gen im Einvernehmen konkreter zu interpretieren und dies in den Protokollen auch festzu-
halten. Auf europäischer Ebene strebt Österreich an, einige Bestimmungen der EU-
Ratsentscheidung über den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer radiologi-
schen Notstandssituation konkreter und verbindlicher zu fassen.

Zu den Fragen 33 und 34:

Diesbezügliche Bemühungen konnten beispielsweise durch die Einrichtung der „Temelin-
Hotline" und im Rahmen der Umsetzung einzelner Punkte der „Road Map" zur „Vereinbarung
von Brüssel" mit der Tschechischen Republik zwischenzeitlich realisiert werden. Weitere
positive Realisierungen stellen die Vereinbarungen über den Austausch der Daten der Früh-
warnsysteme mit Tschechien, mit der Slowakei und mit Slowenien dar, sowie der Austausch
der Messdaten der Aerosolmesseinrichtungen in der Nähe der Kernkraftwerke Temelin,
Krsko und Bohunice.

Zu Frage 35:

Dies wird von Österreich grundsätzlich angestrebt, ist völkerrechtlich jedoch nicht üblich und
konnte daher bisher auch nicht durchgesetzt werden.

Zu den Fragen 36 bis 42:

Nach der Einbindung der Daten des tschechischen Strahlenfrühwarnsystems war die Kapa-
zität des österreichischen Systems endgültig ausgeschöpft. Nach der jüngst abgeschlosse-
nen erfolgreichen Abnahme des neuen österreichischen Systems wird mit der Einbindung
der Daten der noch fehlenden Strahlenfrühwarnsysteme unverzüglich begonnen werden.
Grundsätzlich gibt es die Bereitschaft Deutschlands, der Schweiz und Ungarns, die Daten
der Strahlenfrühwarnsysteme auszutauschen, wobei mit Ungarn schon in den nächsten Ta-
gen ein Probebetrieb aufgenommen werden soll.


Zu den Fragen 43 bis 47:

Wenngleich die Untersuchungen des Zwischenfalls noch nicht endgültig abgeschlossen sind,
kann gesagt werden, dass der Zwischenfall sowohl auf auslegungsbedingte technische Ur-
sachen als auch auf menschliches Versagen zurückzuführen ist, wobei erst das Zusammen-
wirken beider Ursachen zum Zwischenfall führte. Soweit bekannt ist, bewirkte das Ereignis
nicht nur eine intensive Untersuchung des Zwischenfalls selbst, sondern auch die Einleitung
einer selbstkritischen umfassenden Untersuchung der Sicherheitskultur. Soweit erkennbar,
ist die ungarische Seite bemüht, alles zu unternehmen, um den Zwischenfall bis zur letzten
Konsequenz aufzuklären und die notwendigen Schlussfolgerungen zur Abwendung ähnlicher
Zwischenfälle für die Zukunft zu treffen. Wie schon in Antwort zu Frage 11 ausgeführt, be-
stand während der gesamten Dauer des Zwischenfalls keine Gefährdung Österreichs.

Zu den Fragen 48 und 49:

Jedes Kernkraftwerk, nicht nur jene in Paks und in Temelin, stellen eine potentielle Gefahr
für Gesundheit und Umwelt dar. Die Katastrophe von Tschernobyl hat uns gelehrt, dass eine
Gefahr für die österreichische Bevölkerung und für die österreichische Umwelt auch von sehr
weit entfernten Kernkraftwerken ausgehen kann. Die österreichische Nuklearpolitik ist daher
darauf ausgerichtet, so lange noch Kernkraftwerke in Betrieb sind, die ein potentielles Risiko
für Österreich darstellen, dieses Risiko mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu eliminieren,
zumindest aber zu minimieren. Diese Bemühungen müssen umfassend erfolgen und dürfen
sich nicht auf einzelne Anlagen, wie etwa das AKW Temelin oder das AKW Paks, beschrän-
ken. Ich füge hinzu, dass der europaweite Ausstieg aus der Kernenergie unser unverrückba-
res Ziel bleibt.

Zu Frage 50:

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im Testbetrieb von komplexen Industrieanlagen mit
technischen Pannen zu rechnen ist. Auch bei den im AKW Temelin bislang aufgetretenen
Ereignissen handelt es sich überwiegend um technische Pannen im konventionellen Teil des
Kraftwerkes ohne nennenswerte sicherheitstechnische Relevanz. Einzelne Ereignisse, aber
auch die Anzahl der Ereignisse an sich, geben jedoch Anlass zu berechtigter Sorge hinsicht-


lich der Sicherheitskultur. Österreich hat daher die Frage der Sicherheitskultur zu einem we-
sentlichen Thema der bilateralen Kontakte gemacht.

Zu den Fragen 51 bis 61:

Mit der Vereinbarung von Brüssel vom 29. November 2001 sowie der „Road Map" vom
10. Dezember 2001 wurde ein umfangreiches Arbeitsprogramm definiert und mit dessen
Umsetzung umgehend begonnen. Der „Fahrplan" der Umsetzung erstreckt sich jedoch bis
Ende 2004, sodass erst Anfang 2005 Bilanz gezogen werden kann. Bislang sind sowohl von
tschechischer als auch österreichischer Seite alle vereinbarten Schritte zur Umsetzung der
„Road Map" erfolgt. Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend, aber nicht in allen Bereichen
zufriedenstellend.

So ist beispielsweise den Zwischenberichten der von Österreich beauftragten Expertenteams
zu den Punkten 1 und 2 der „Road Map" (Hochenergetische Rohrleitungen auf der +28,8 m
Bühne und Qualifikation der Ventile) zu entnehmen, dass bereits wesentliche Schritte zur
Erreichung der im Annex l der „Vereinbarung von Brüssel" vereinbarten Sicherheitsziele ge-
setzt wurden. Andererseits wird in den Berichten auch auf noch offene Fragen hingewiesen.
Verbesserungen der Anlage identifizieren die österreichischen Experten bei den Ventilen
sowie durch die Installation eines permanenten Prüf- und Überwachungssystems an den
Rohrleitungen auf der +28,8 m Bühne. Fragen werfen die Berichte jedoch hinsichtlich der
funktionalen Qualifizierung der Frischdampfsicherheits- und -entlastungsventile sowie hin-
sichtlich einzelner Aspekte des Sicherheitsnachweises für die hochenergetischen Rohrlei-
tungen auf.

Ich habe daher die Zwischenberichte an den Außenminister und Vizepremier der Tschechi-
schen Republik, SVOBODA, mit dem Ersuchen übermittelt, die Bemühungen zur Ver-
besserung der Sicherheit des AKW Temelin ebenso, wie den bilateralen Informationsaus-
tausch auf technischer Ebene - vor allem zu den in den Berichten aufgeworfenen Fragen -
fortzusetzen.

In Ergänzung zu regelmäßigen Kontakten am Rande europäischer Ministertagungen werde
ich offene Fragen zu gegebener Zeit, wie in der „Vereinbarung von Brüssel" vorgesehen,
auch auf bilateraler Ebene erörtern.


Zu den Fragen 62 und 63:

In Österreich gibt es einen breiten Konsens aller im Nationalrat vertretenen Parteien sowie
einer großen Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich der Befürwortung eines europaweiten
Ausstiegs aus der Kernenergie. Angesichts der divergierenden Interessen der Mitglied-
staaten der Europäischen Union konnte ein diesbezüglicher europaweiter Ansatz jedoch bis-
her nicht bewirkt werden. Es ist in hohem Maße unrealistisch anzunehmen, dass durch eine
gesetzliche Bindung österreichischer Regierungsmitglieder andere Mitgliedstaaten zu einer
Haltungsänderung bewogen werden können.

Ich füge hinzu, dass die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Volksbegehrens ein
wichtiges nuklearpolitisches Signal gesetzt haben und ich der parlamentarischen Behand-
lung mit Interesse entgegensehe.

Zu Frage 64:

Ich sehe in dieser Frage eine grundsätzliche Unterstützung meiner einführenden Anmerkun-
gen. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Versorgung mit Energiedienstleistungen treten wir
auch auf europäischer Ebene für Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Energie-
nutzung sowie zur Förderung erneuerbarer Energieträger ein. In diesen Bereichen verfügt
Österreich über spezifische Erfahrungen und spezifisches Know-How, das wir offensiv auch
auf europäischer Ebene einbringen. Um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und faire
Wettbewerbsbedingungen auf den europäischen Energiemärkten zu schaffen, trete ich bei-
spielsweise mit allem Nachdruck für die Berücksichtigung der Kernenergie in gemeinschaftli-
chen Regelungen zur Umwelthaftung, für eine Reform des EURATOM-Vertrages (ich ver-
weise auf die Beantwortung der Fragen 65 bis 68) sowie gegen EURATOM-Kredite in der
derzeitigen bzw. derzeit geplanten Form (ich verweise auf die Beantwortung der Frage 69)
ein. Bezüglich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen steht die Schaffung einheitlicher euro-
päischer Sicherheitsstandards auf höchstem Niveau im Vordergrund.

Zu den Fragen 65 bis 68:

Österreich verfolgt auch im Rahmen des vom Europäischen Rat von Laeken ins Leben ge-
rufenen „Konvent über die Zukunft Europas" konsequent das Ziel einer grundsätzlichen Re-
form des EURATOM-Vertrages.


Diesbezüglich sei an den Beitrag der österreichischen Konventsmitglieder FARNLEITNER,
EINEM und BÖSCH mit dem Titel „Eine einheitliche Rechtspersönlichkeit - Zur Zukunft von
Euratom" erinnert, in dem die Defizite des EURATOM-Vertrages releviert und Optionen für
eine Reform dargelegt wurden (CONV 358/02 vom 22. Oktober 2002). Die Bemühungen der
österreichischen Konventsdelegierten, den EURATOM-Vertrag in einer zeitgemäßen Form in
eine künftige europäische Verfassung zu integrieren, werden von der Bundesregierung aktiv
unterstützt. Eine Stärkung des Schutzzweckes und eine Eliminierung des Förderzweckes
stehen dabei im Vordergrund des Interesses. Dieser Beitrag, sowie die Interventionen ande-
rer Konventsmitglieder, haben dazu geführt, dass die Diskussion um eine Reform des EU-
RATOM-Vertrages auch Eingang in den Konvent fand. Im Zuge dieser Diskussion wurden
bekanntermaßen verschiedene Optionen erörtert.

Anlässlich der Präsidiumssitzung vom 13. März 2003 kam das Präsidium des Konvents über-
ein, dem Konvent ein Papier (CONV 621/03) mit einer einzigen Empfehlung (keine Optionen)
vorzulegen. Demnach soll die Atomgemeinschaft als juristische Person mit der Union fusio-
niert werden. Der EURATOM-Vertrag würde hingegen als separater Vertrag bestehen blei-
ben, der in einem dem Verfassungsvertrag beigefügten Protokoll lediglich geringfügig, v.a. im
institutionellen und finanziellen Bereich, angepasst wird.

Diese Empfehlung - lediglich geringfügige Änderungen, v.a. im institutioneilen und finanziel-
len Bereich ohne Durchführung der längst notwendigen Streichung von Anachronismen des
EURATOM-Vertrages ist aus nuklearpolitischer Sicht als unzureichend anzusehen. Diese
Kritik wurde auch durch die österreichischen Konventsmitglieder BERGER, EINEM, FARN-
LEITNER, RACK und TUSEK an den Konvent übermittelt (CONV 666/03 vom 2. April 2003).
Der Verfassungsentwurf CONV 725/03 Annex l vom 27. Mai 2003 setzt inhaltlich die Em-
pfehlung des Dokuments CONV 621/03 um. Das österreichische Konventsmitglied FARN-
LEITNER hat die Kritik an diesem Vorschlag erneuert und einen diesbezüglichen Änderungs-
vorschlag eingebracht. Ich werde mich dafür einsetzen, dieses Thema auch in der dem Kon-
vent folgenden Regierungskonferenz weiterhin mit Nachdruck zu verfolgen.

Eine Änderung des EURATOM-Vertrages bzw. dessen Außerkrafttreten erfordert als Primär-
rechtsänderung allerdings die Zustimmung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union.


Zu Frage 69:

Österreich steht dem Instrument der EURATOM-Anleihe grundsätzlich kritisch gegenüber,
da es im Wesentlichen eine wettbewerbsverzerrende Förderung der Nuklearindustrie dar-
stellt.

Österreich hält Interventionen in liberalisierte Märkte generell nur unter ganz besonderen
Bedingungen für gerechtfertigt. Die in den von der Kommission am 6. November 2002 ange-
nommenen Vorschlägen enthaltenen Bedingungen rechtfertigen aus unserer Sicht solche
Eingriffe nicht.

Österreich lehnt die durch diese Vorschläge mögliche Gewährung von EURATOM-Krediten
für den Bau neuer Reaktoren bzw. für bereits in Bau befindliche Kernanlagen sowie für Maß-
nahmen der Laufzeitverlängerung und Effizienzsteigerung ab. Ich erinnere in diesem Zusam-
menhang an die gemeinsame Erklärung von Österreich, Belgien und Deutschland anlässlich
des Umweltministerrates am 9. Dezember 2002 und bekräftige nochmals deren Inhalt.

Darüber hinaus erachte ich die Nachrüstung von Kernanlagen, um Genehmigungsvoraus-
setzungen zu erfüllen und um mit einem hohen Niveau nuklearer Sicherheit Schritt halten zu
können, als eine Aufgabe des Betreibers und der zuständigen Aufsichtsbehörde. Jeder ge-
meinschaftlichen Unterstützung müsste folglich eine klare und durchsetzbare Verpflichtung
zu einer früheren Schließung im Gegenzug gegenüberstehen.

Ich halte deshalb die Bemühungen der Präsidentschaft, eine Beschränkung der Mittelver-
wendung auf Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit existierender Kernanlagen, auf De-
kommissionierung unsicherer Anlagen und auf die Lagerung sowie Behandlung nuklearer
Abfälle herbeizuführen sowie den Anleihenhöchstbetrag niedriger anzusetzen und schließlich
die beiden bisherigen Kommissionsvorschläge auf Grundlage des Art 203 EAG-V zu-
sammenzulegen, für eine konstruktive Diskussionsgrundlage. Ich füge hinzu, dass die öster-
reichische Position vom Bundesminister für Finanzen zu vertreten ist, der hier in enger Ab-
stimmung mit mir und dem Herrn Bundeskanzler agiert.


Zu den Fragen 70 bis 72:

Ich bin überzeugt, dass die österreichische Bundesregierung eine aktive Nuklearpolitik be-
treibt. In der Tat verfolgt kein anderes europäisches Land eine derart profilierte und akzentu-
ierte Nuklearpolitik. Ich verhehle nicht, dass mit Hilfe einer aktiveren Unterstützung durch an-
dere Staaten insbesondere die europäische Nuklearpolitik nachhaltiger im Sinne eines Aus-
stiegs aus der energetischen Nutzung der Kernenergie zu beeinflussen wäre. Ich betone,
dass auch zur Erhaltung unserer nuklearpolitischen Optionen nur eine realistische Nu-
klearpolitik mit Augenmaß erfolgreich sein kann. Dies zu verkennen, würde zum vollständi-
gen Verlust des Einflusses auf europäische Entscheidungen führen.

Die gegenständliche parlamentarische Anfrage hat die Gelegenheit geboten, die von mir seit
meiner Angelobung bereits gesetzten Aktivitäten sowie die zukünftigen Schwerpunkte aus-
führlich darzustellen.