484/AB XXII GP
Eingelangt am 23.07.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
Anfragebeantwortung
Auf
die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Mag. Ulli Sima, Kolleginnen und
Kollegen vom
23.05.2003, Nr. 467/J, betreffend des Abschieds von der heimischen
Anti-Atom-Politik, den
mangelnden Aktivitäten der österreichischen Bundesregierung nach den Störfällen
im unga-
rischen AKW Paks und im tschechischen Temelin und fehlenden Initiativen auf
EU-Ebene,
beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:
Eingangs halte ich fest, dass sich die
Bundesregierung in ihrem Arbeitsprogramm klar und
eindeutig zu einer Fortsetzung der aktiven österreichischen Nuklearpolitik
bekennt. Als Um-
weltminister fühle ich mich diesem Arbeitsprogramm vollinhaltlich verpflichtet.
Es ist jedoch
eine Tatsache, dass in Europa zahlreiche Kernkraftwerke in Betrieb sind, und
wir müssen
auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst ausstiegsorientierte Regierungen bei der
konkreten
Umsetzung zögerlich vorgehen. Andererseits halten eine Reihe von europäischen
Regierun-
gen unvermindert an der Nutzung der Kernenergie fest. Ich vertrete und verfolge
jedenfalls
eine zielstrebige Nuklearpolitik, die sich auf die Nachhaltigkeit der
Bereitstellung von Ener-
giedienstleistungen, Fairness im Wettbewerb der Energieträger und größtmögliche
Sicher-
heit konzentriert.
Vor
diesem Hintergrund beantworte ich die einzelnen Fragen wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 7:
Die erste Meldung über den Zwischenfall im
ungarischen Atomkraftwerk Paks langte als tele-
fonische Information der Bundeswarnzentrale in der Strahlenschutzabteilung des
Bundesmi-
nisteriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW)
am
11. April 2003 am frühen Abend ein.
Unmittelbar
nach dieser Meldung wurde seitens der Strahlenschutzabteilung der 24-Stunden
Bereitschaftsdienst der ungarischen Atomaufsichtsbehörde kontaktiert. Dieser
bestätigte
sowohl den Zwischenfall als auch eine geringfügige Freisetzung radioaktiver Stoffe.
Unmittelbar nach der Verifizierung des Zwischenfalles durch die
Strahlenschutzabteilung
wurde ich von meinen Mitarbeitern über das Ereignis informiert, wobei mir
mitgeteilt wurde,
dass aufgrund des damals bekannten Sachverhaltes und der gegebenen Wetterlage
eine
Gefährdung Österreichs auszuschließen sei.
Als Antwort auf die mittels E-Mail an die
ungarische Aufsichtsbehörde gerichtete Anfrage
vom 11. April 2003 übermittelte diese am 14. April 2003 am Abend ihr an diesem
Tag veröf-
fentlichtes Bulletin über den Zwischenfall.
Erste Meldungen über konkrete
Freisetzungsraten von Edelgasen und Radiojod wurden von
der ungarischen Atomaufsichtsbehörde an die Nachbarstaaten und die
Internationale Atom-
energie-Organisation (IAEO) am 17. April 2003 in der Früh übermittelt.
Zu Frage 8:
Internationaler Kontaktpunkt für die
Meldung von nuklearen Ereignissen ist die Bundeswarn-
zentrale (BWZ) im Innenministerium, die rund um die Uhr besetzt ist. Diese
informiert die
zuständigen österreichischen Stellen über relevante Ereignisse unmittelbar
telefonisch, wo-
bei von Mitarbeitern der Strahlenschutzabteilung diese Meldungen im Hinblick
auf eine Ge-
fährdung Österreichs bewertet werden und danach die Meldung durch die BWZ mit
Bewer-
tung an die betroffenen Ressorts und die Landeswarnzentralen weitergeleitet
wird.
Zu Frage 9:
Aufgrund internationaler Abkommen (Convention on Early
Notification) und des bilateralen
Übereinkommens mit Ungarn über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen
Unfällen
wurde nach deren Inkrafttreten der Kontaktpunkt in der Bundeswarnzentrale im
Innen-
ministerium für den Informationsaustausch festgelegt. Weiters wurde festgelegt,
wer als je-
weils kompetente Behörde Kontaktstelle für konkrete Fachfragen ist. Diese
Kontaktstellen
wurden zwischenzeitlich hinsichtlich der Gültigkeit der angegebenen Telefon-
und Faxnum-
mern sowie der E-Mailadressen mindestens zweimal jährlich getestet und
erforderlichenfalls
aktualisiert.
Zu Frage 10:
Die Informationen aus Ungarn wurden unmittelbar nach ihrem
Eintreffen von der Strahlen-
schutzabteilung fachlich bewertet und im Wege der Bundeswarnzentrale
einschließlich der
Bewertung an die zuständigen österreichischen Stellen weitergeleitet.
Zu den Fragen 11 bis 17:
Nach Eintreffen der zweiten Mitteilung an die
Nachbarstaaten Ungarns am 17. April 2003
nachmittags, wurde die österreichische Bevölkerung im Wege einer
Presseaussendung des
BMLFUW darüber informiert, dass keine Gefährdung Österreichs durch die
radioaktiven
Freisetzungen im ungarischen Atomkraftwerk Paks zu erwarten ist und dass auch
keine
Maßnahmen in der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerkes von ungarischer
Seite
gesetzt wurden.
Unmittelbar nach der Übermittlung der Erstinformation durch
die Bundeswarnzentrale am
11. April 2003 wurde telefonisch mit dem 24-Stunden Bereitschaftsdienst der
ungarischen
Atomaufsichtsbehörde Kontakt aufgenommen. Darüber hinaus wurde die ungarische
Atomaufsichtsbehörde mittels E-Mail um Information über den Zwischenfall
gebeten, da sich
die telefonische Auskunft der 24-Stunden Bereitschaft nur auf die
wesentlichsten Fakten
beschränkte.
Am 17. April 2003 übermittelte die ungarische
Atomaufsichtsbehörde 2 Meldungen an die
Nachbarstaaten und die IAEO, die eine nähere Einschätzung des Zwischenfalls
ermöglich-
ten. Auf Grund dieser beiden Meldungen erfolgte am gleichen Tag die Information
der Bevöl-
kerung mittels Presseaussendung, die seitens der Medien jedoch eher wenig Beachtung
fand.
Die Kontaktaufnahme erfolgte im Wege der festgelegten Kontaktstellen (siehe auch Antwort
zu Frage 9).
Zu Frage 18:
Die ungarische Seite hat sich hinsichtlich der
einschlägigen internationalen Regelungen und
hinsichtlich bestehender EU-Regelungen vertragskonform verhalten. Bezüglich der
Informa-
tionspflichten aus dem bilateralen Abkommen mit Ungarn ist festzustellen, dass
die ungari-
sche Seite den Artikel 6 des Abkommens anders ausgelegt hat, weshalb der von
Österreich
monierte Informationsmangel entstand.
Zu den Fragen 19 und 20:
Nach den von der ungarischen Seite am 17. und 18. April
2003 übermittelten Informationen
hat die Strahlenschutzabteilung des BMLFUW die ungarische Atomaufsichtsbehörde
neuer-
lich mittels E-Mail um detailliertere Informationen gebeten. Diese Anfrage
wurde nach unga-
rischen Angaben am 23. April 2003 mittels E-Mail beantwortet. Diese Antwort ist
im
BMLFUW jedoch nie eingetroffen.
Zu Frage 21:
In diesem Zusammenhang haben bilaterale Treffen am 14. Mai
2003 in Wien und am
11. Juni 2003 in Budapest stattgefunden. Österreich geht davon aus, dass
anlässlich dieser
Treffen die Missverständnisse bei der Auslegung der Bestimmungen des
bilateralen Ab-
kommens ausgeräumt werden konnten.
Zu den Fragen 22 bis 24:
Artikel 1 lit. b des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens" definiert zunächst den Begriff
„Notfall":
„Notfall bedeutet einen Unfall in einer kerntechnischen Anlage auf dem Gebiet einer der
Vertragsparteien, in dessen Folge strahlendes Material betriebswidrig in die Umwelt ausge-
treten
ist, bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit austreten könnte,........, jeweils
unter der Vor-
aussetzung, dass eine Gefährdung der Bevölkerung des anderen Nachbarstaates in
der Fol-
ge dieses Ereignisses nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann".
Artikel 2 des bilateralen Abkommens lautet:
„Die
Vertragsparteien melden einander unverzüglich im direkten Wege jeden Notfall
und
wenden hierbei die Bestimmungen des im Rahmen der IAEO ausgearbeiteten Überein-
kommens über die frühe Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen an,...."
Eine Anbindung der Informationsverpflichtung an eine bestimmte Bewertung des
Ereignisses
gemäß der INES-Skala ist im bilateralen Abkommen mit Ungarn nicht enthalten.
Artikel 6 des bilateralen Abkommens lautet:
„Für den Fall von Ereignissen, die zwar
nicht einen Notfall im Sinne von Artikel 1 lit. b dar-
stellen, aber geeignet sind, Besorgnis in der Bevölkerung auszulösen, geben die
Vertrags-
parteien Informationen im Sinne von Artikel 2".
Artikel 6 wurde von der ungarischen Seite
unter Hinweis auf die Verknüpfung der Bestim-
mungen des Artikels 2 mit dem Internationalen Übereinkommen über frühe
Benachrichtigung
bei nuklearen Unfällen, wonach nur Ereignisse zu melden sind, die eine
Gefährdung des
Nachbarstaates zur Folge haben oder zur Folge haben könnten, nicht korrekt
ausgelegt,
weshalb die Übermittlung der Informationen eben sehr spät und auch nicht mit
dem von Ös-
terreich gewünschten Informationsgehalt erfolgte.
Zu den Fragen 25 bis 27 und 30:
Es wurde anlässlich der bilateralen
Expertengespräche am 11. Juni 2003 in Budapest fest-
gehalten, dass beide Vertragsparteien beabsichtigen, anlässlich des routinemäßigen
bilate-
ralen Expertentreffens im Herbst 2003 gemeinsam eine konkretere Interpretation
des Arti-
kels 6 schriftlich zu vereinbaren.
Zu den Fragen 28. 29. 31 und 32:
Falls die Bestimmungen der einschlägigen
internationalen, multinationalen und bilateralen
Verträge nicht unkorrekt interpretiert werden, wie im Fall des Zwischenfalls im
AKW Paks,
und seitens des Vertragspartners das Interesse Österreichs an einer umfassenden
Informa-
tion auch entsprechend zur Kenntnis genommen wird, sind die Bestimmungen dieser
Ab-
kommen als ausreichend anzusehen. Unabhängig davon ist Österreich jedoch
bestrebt, im
Rahmen der obligaten jährlichen
Expertentreffen einzelne Bestimmungen der Vereinbarun-
gen im Einvernehmen konkreter zu interpretieren und dies in den Protokollen
auch festzu-
halten. Auf europäischer Ebene strebt Österreich an, einige Bestimmungen der
EU-
Ratsentscheidung über den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer
radiologi-
schen Notstandssituation konkreter und verbindlicher zu fassen.
Zu den Fragen 33 und 34:
Diesbezügliche Bemühungen konnten
beispielsweise durch die Einrichtung der „Temelin-
Hotline" und im Rahmen der Umsetzung einzelner Punkte der „Road Map"
zur „Vereinbarung
von Brüssel" mit der Tschechischen Republik zwischenzeitlich realisiert
werden. Weitere
positive Realisierungen stellen die Vereinbarungen über den Austausch der Daten
der Früh-
warnsysteme mit Tschechien, mit der Slowakei und mit Slowenien dar, sowie der
Austausch
der Messdaten der Aerosolmesseinrichtungen in der Nähe der Kernkraftwerke
Temelin,
Krsko und Bohunice.
Zu Frage 35:
Dies wird von Österreich grundsätzlich
angestrebt, ist völkerrechtlich jedoch nicht üblich und
konnte daher bisher auch nicht durchgesetzt werden.
Zu den Fragen 36 bis 42:
Nach der Einbindung der Daten des
tschechischen Strahlenfrühwarnsystems war die Kapa-
zität des österreichischen Systems endgültig ausgeschöpft. Nach der jüngst
abgeschlosse-
nen erfolgreichen Abnahme des neuen österreichischen Systems wird mit der
Einbindung
der Daten der noch fehlenden Strahlenfrühwarnsysteme unverzüglich begonnen
werden.
Grundsätzlich gibt es die Bereitschaft Deutschlands, der Schweiz und Ungarns,
die Daten
der Strahlenfrühwarnsysteme auszutauschen, wobei mit Ungarn schon in den
nächsten Ta-
gen ein Probebetrieb aufgenommen werden soll.
Zu den Fragen 43 bis 47:
Wenngleich die Untersuchungen des
Zwischenfalls noch nicht endgültig abgeschlossen sind,
kann gesagt werden, dass der Zwischenfall sowohl auf auslegungsbedingte
technische Ur-
sachen als auch auf menschliches Versagen zurückzuführen ist, wobei erst das
Zusammen-
wirken beider Ursachen zum Zwischenfall führte. Soweit bekannt ist, bewirkte
das Ereignis
nicht nur eine intensive Untersuchung des Zwischenfalls selbst, sondern auch
die Einleitung
einer selbstkritischen umfassenden Untersuchung der Sicherheitskultur. Soweit
erkennbar,
ist die ungarische Seite bemüht, alles zu unternehmen, um den Zwischenfall bis
zur letzten
Konsequenz aufzuklären und die notwendigen Schlussfolgerungen zur Abwendung
ähnlicher
Zwischenfälle für die Zukunft zu treffen. Wie schon in Antwort zu Frage 11
ausgeführt, be-
stand während der gesamten Dauer des Zwischenfalls keine Gefährdung
Österreichs.
Zu den Fragen 48 und 49:
Jedes Kernkraftwerk, nicht nur jene in
Paks und in Temelin, stellen eine potentielle Gefahr
für Gesundheit und Umwelt dar. Die Katastrophe von Tschernobyl hat uns gelehrt,
dass eine
Gefahr für die österreichische Bevölkerung und für die österreichische Umwelt
auch von sehr
weit entfernten Kernkraftwerken ausgehen kann. Die österreichische
Nuklearpolitik ist daher
darauf ausgerichtet, so lange noch Kernkraftwerke in Betrieb sind, die ein
potentielles Risiko
für Österreich darstellen, dieses Risiko mit allen zu Gebote stehenden Mitteln
zu eliminieren,
zumindest aber zu minimieren. Diese Bemühungen müssen umfassend erfolgen und
dürfen
sich nicht auf einzelne Anlagen, wie etwa das AKW Temelin oder das AKW Paks,
beschrän-
ken. Ich füge hinzu, dass der europaweite Ausstieg aus der Kernenergie unser
unverrückba-
res Ziel bleibt.
Zu Frage 50:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im
Testbetrieb von komplexen Industrieanlagen mit
technischen Pannen zu rechnen ist. Auch bei den im AKW Temelin bislang
aufgetretenen
Ereignissen handelt es sich überwiegend um technische Pannen im konventionellen
Teil des
Kraftwerkes ohne nennenswerte sicherheitstechnische Relevanz. Einzelne
Ereignisse, aber
auch die Anzahl der Ereignisse an sich, geben jedoch Anlass zu berechtigter
Sorge hinsicht-
lich der Sicherheitskultur. Österreich hat
daher die Frage der Sicherheitskultur zu einem we-
sentlichen Thema der bilateralen Kontakte gemacht.
Zu den Fragen 51 bis 61:
Mit der Vereinbarung von Brüssel vom 29.
November 2001 sowie der „Road Map" vom
10. Dezember 2001 wurde ein umfangreiches Arbeitsprogramm definiert und mit
dessen
Umsetzung umgehend begonnen. Der „Fahrplan" der Umsetzung erstreckt sich
jedoch bis
Ende 2004, sodass erst Anfang 2005 Bilanz gezogen werden kann. Bislang sind
sowohl von
tschechischer als auch österreichischer Seite alle vereinbarten Schritte zur
Umsetzung der
„Road Map" erfolgt. Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend, aber nicht
in allen Bereichen
zufriedenstellend.
So
ist beispielsweise den Zwischenberichten der von Österreich beauftragten
Expertenteams
zu den Punkten 1 und 2 der „Road Map" (Hochenergetische Rohrleitungen auf
der +28,8 m
Bühne und Qualifikation der Ventile) zu entnehmen, dass bereits wesentliche
Schritte zur
Erreichung der im Annex l der „Vereinbarung von Brüssel" vereinbarten
Sicherheitsziele ge-
setzt wurden. Andererseits wird in den Berichten auch auf noch offene Fragen
hingewiesen.
Verbesserungen der Anlage identifizieren die österreichischen Experten bei den
Ventilen
sowie durch die Installation eines permanenten Prüf- und Überwachungssystems an
den
Rohrleitungen auf der +28,8 m Bühne. Fragen werfen die Berichte jedoch
hinsichtlich der
funktionalen Qualifizierung der Frischdampfsicherheits- und -entlastungsventile
sowie hin-
sichtlich einzelner Aspekte des Sicherheitsnachweises für die hochenergetischen
Rohrlei-
tungen auf.
Ich
habe daher die Zwischenberichte an den Außenminister und Vizepremier der
Tschechi-
schen Republik, SVOBODA, mit dem Ersuchen übermittelt, die Bemühungen zur Ver-
besserung der Sicherheit des AKW Temelin ebenso, wie den bilateralen
Informationsaus-
tausch auf technischer Ebene - vor allem zu den in den Berichten aufgeworfenen
Fragen -
fortzusetzen.
In Ergänzung zu regelmäßigen Kontakten am
Rande europäischer Ministertagungen werde
ich offene Fragen zu gegebener Zeit, wie in der „Vereinbarung von Brüssel"
vorgesehen,
auch auf bilateraler Ebene erörtern.
Zu den Fragen 62 und 63:
In Österreich gibt es einen breiten
Konsens aller im Nationalrat vertretenen Parteien sowie
einer großen Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich der Befürwortung eines
europaweiten
Ausstiegs aus der Kernenergie. Angesichts der divergierenden Interessen der
Mitglied-
staaten der Europäischen Union konnte ein diesbezüglicher europaweiter Ansatz
jedoch bis-
her nicht bewirkt werden. Es ist in hohem Maße unrealistisch anzunehmen, dass
durch eine
gesetzliche Bindung österreichischer Regierungsmitglieder andere Mitgliedstaaten
zu einer
Haltungsänderung bewogen werden können.
Ich füge hinzu, dass die
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Volksbegehrens ein
wichtiges nuklearpolitisches Signal gesetzt haben und ich der parlamentarischen
Behand-
lung mit Interesse entgegensehe.
Zu Frage 64:
Ich sehe in dieser Frage eine
grundsätzliche Unterstützung meiner einführenden Anmerkun-
gen. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Versorgung mit Energiedienstleistungen
treten wir
auch auf europäischer Ebene für Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der
Energie-
nutzung sowie zur Förderung erneuerbarer Energieträger ein. In diesen Bereichen
verfügt
Österreich über spezifische Erfahrungen und spezifisches Know-How, das wir
offensiv auch
auf europäischer Ebene einbringen. Um Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und
faire
Wettbewerbsbedingungen auf den europäischen Energiemärkten zu schaffen, trete
ich bei-
spielsweise mit allem Nachdruck für die Berücksichtigung der Kernenergie in
gemeinschaftli-
chen Regelungen zur Umwelthaftung, für eine Reform des EURATOM-Vertrages (ich
ver-
weise auf die Beantwortung der Fragen 65 bis 68) sowie gegen EURATOM-Kredite in
der
derzeitigen bzw. derzeit geplanten Form (ich verweise auf die Beantwortung der
Frage 69)
ein. Bezüglich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen steht die Schaffung
einheitlicher euro-
päischer Sicherheitsstandards auf höchstem Niveau im Vordergrund.
Zu den Fragen 65 bis 68:
Österreich verfolgt auch im Rahmen des vom
Europäischen Rat von Laeken ins Leben ge-
rufenen „Konvent über die Zukunft Europas" konsequent das Ziel einer
grundsätzlichen Re-
form des EURATOM-Vertrages.
Diesbezüglich sei an den Beitrag der
österreichischen Konventsmitglieder FARNLEITNER,
EINEM und BÖSCH mit dem Titel „Eine einheitliche Rechtspersönlichkeit - Zur
Zukunft von
Euratom" erinnert, in dem die Defizite des EURATOM-Vertrages releviert und
Optionen für
eine Reform dargelegt wurden (CONV 358/02 vom 22. Oktober 2002). Die Bemühungen
der
österreichischen Konventsdelegierten, den EURATOM-Vertrag in einer zeitgemäßen
Form in
eine künftige europäische Verfassung zu integrieren, werden von der
Bundesregierung aktiv
unterstützt. Eine Stärkung des Schutzzweckes und eine Eliminierung des
Förderzweckes
stehen dabei im Vordergrund des Interesses. Dieser Beitrag, sowie die
Interventionen ande-
rer Konventsmitglieder, haben dazu geführt, dass die Diskussion um eine Reform
des EU-
RATOM-Vertrages auch Eingang in den Konvent fand. Im Zuge dieser Diskussion
wurden
bekanntermaßen verschiedene Optionen erörtert.
Anlässlich der Präsidiumssitzung vom 13.
März 2003 kam das Präsidium des Konvents über-
ein, dem Konvent ein Papier (CONV 621/03) mit einer einzigen Empfehlung (keine
Optionen)
vorzulegen. Demnach soll die Atomgemeinschaft als juristische Person mit der
Union fusio-
niert werden. Der EURATOM-Vertrag würde hingegen als separater Vertrag bestehen
blei-
ben, der in einem dem Verfassungsvertrag beigefügten Protokoll lediglich
geringfügig, v.a. im
institutionellen und finanziellen Bereich, angepasst wird.
Diese Empfehlung - lediglich geringfügige
Änderungen, v.a. im institutioneilen und finanziel-
len Bereich ohne Durchführung der längst notwendigen Streichung von
Anachronismen des
EURATOM-Vertrages ist aus nuklearpolitischer Sicht als unzureichend anzusehen.
Diese
Kritik wurde auch durch die österreichischen Konventsmitglieder BERGER, EINEM,
FARN-
LEITNER, RACK und TUSEK an den Konvent übermittelt (CONV 666/03 vom 2. April
2003).
Der Verfassungsentwurf CONV 725/03 Annex l vom 27. Mai 2003 setzt inhaltlich
die Em-
pfehlung des Dokuments CONV 621/03 um. Das österreichische Konventsmitglied
FARN-
LEITNER hat die Kritik an diesem Vorschlag erneuert und einen diesbezüglichen
Änderungs-
vorschlag eingebracht. Ich werde mich dafür einsetzen, dieses Thema auch in der
dem Kon-
vent folgenden Regierungskonferenz weiterhin mit Nachdruck zu verfolgen.
Eine Änderung des EURATOM-Vertrages bzw.
dessen Außerkrafttreten erfordert als Primär-
rechtsänderung allerdings die Zustimmung aller Mitgliedstaaten der Europäischen
Union.
Zu Frage 69:
Österreich steht dem Instrument der
EURATOM-Anleihe grundsätzlich kritisch gegenüber,
da es im Wesentlichen eine wettbewerbsverzerrende Förderung der
Nuklearindustrie dar-
stellt.
Österreich hält Interventionen in
liberalisierte Märkte generell nur unter ganz besonderen
Bedingungen für gerechtfertigt. Die in den von der Kommission am 6. November
2002 ange-
nommenen Vorschlägen enthaltenen Bedingungen rechtfertigen aus unserer Sicht
solche
Eingriffe nicht.
Österreich lehnt die durch diese
Vorschläge mögliche Gewährung von EURATOM-Krediten
für den Bau neuer Reaktoren bzw. für bereits in Bau befindliche Kernanlagen
sowie für Maß-
nahmen der Laufzeitverlängerung und Effizienzsteigerung ab. Ich erinnere in
diesem Zusam-
menhang an die gemeinsame Erklärung von Österreich, Belgien und Deutschland
anlässlich
des Umweltministerrates am 9. Dezember 2002 und bekräftige nochmals deren
Inhalt.
Darüber hinaus erachte ich die Nachrüstung
von Kernanlagen, um Genehmigungsvoraus-
setzungen zu erfüllen und um mit einem hohen Niveau nuklearer Sicherheit
Schritt halten zu
können, als eine Aufgabe des Betreibers und der zuständigen Aufsichtsbehörde.
Jeder ge-
meinschaftlichen Unterstützung müsste folglich eine klare und durchsetzbare
Verpflichtung
zu einer früheren Schließung im Gegenzug gegenüberstehen.
Ich halte deshalb die Bemühungen der
Präsidentschaft, eine Beschränkung der Mittelver-
wendung auf Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit existierender Kernanlagen,
auf De-
kommissionierung unsicherer Anlagen und auf die Lagerung sowie Behandlung
nuklearer
Abfälle herbeizuführen sowie den Anleihenhöchstbetrag niedriger anzusetzen und
schließlich
die beiden bisherigen Kommissionsvorschläge auf Grundlage des Art 203 EAG-V zu-
sammenzulegen, für eine konstruktive Diskussionsgrundlage. Ich füge hinzu, dass
die öster-
reichische Position vom Bundesminister für Finanzen zu vertreten ist, der hier
in enger Ab-
stimmung mit mir und dem Herrn Bundeskanzler agiert.
Zu den Fragen 70 bis 72:
Ich bin überzeugt, dass die
österreichische Bundesregierung eine aktive Nuklearpolitik be-
treibt. In der Tat verfolgt kein anderes europäisches Land eine derart
profilierte und akzentu-
ierte Nuklearpolitik. Ich verhehle nicht, dass mit Hilfe einer aktiveren
Unterstützung durch an-
dere Staaten insbesondere die europäische Nuklearpolitik nachhaltiger im Sinne
eines Aus-
stiegs aus der energetischen Nutzung der Kernenergie zu beeinflussen wäre. Ich
betone,
dass auch zur Erhaltung unserer nuklearpolitischen Optionen nur eine
realistische Nu-
klearpolitik mit Augenmaß erfolgreich sein kann. Dies zu verkennen, würde zum
vollständi-
gen Verlust des Einflusses auf europäische Entscheidungen führen.
Die gegenständliche parlamentarische
Anfrage hat die Gelegenheit geboten, die von mir seit
meiner Angelobung bereits gesetzten Aktivitäten sowie die zukünftigen
Schwerpunkte aus-
führlich darzustellen.