569/AB XXII. GP
Eingelangt am 14.08.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr.
Moser, Freundinnen und Freunde haben am
17. Juni 2003 unter der Nr.547/J an mich eine schriftliche parlamentarische
Anfrage
betreffend Zustellgesetz und Internationalisierung gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Vorbemerkung:
1 Nach herrschender
österreichischer Lehre und der Rechtsprechung der öster-
reichischen Höchstgerichte stellt eine Zustellung österreichischer Erledigungen
im Ausland die Setzung eines Hoheitsaktes im anderen Staat, somit einen Ein-
griff in dessen Hoheitsrechte dar. Dies ist nur dann zulässig, wenn der Staat,
in dem zugestellt werden soll, ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt
hat (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 [1999] Rn
207; Thienel,
Verwaltungsverfahrensrecht2
[2002] 354 mwH).
§11
des Zustellgesetzes, BGBI. Nr. 200/1982, trägt diesem Umstand Rech-
nung und normiert für die Zustellung österreichischer Erledigungen im Ausland
Folgendes:
1.1 Nach § 11 Abs. 1 Zustellgesetz sind
Zustellungen im Ausland primär nach den
bestehenden internationalen Vereinbarungen (1. Tatbestand), oder allenfalls
auf dem Weg, den die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Staates,
in dem zugestellt werden soll (2. Tatbestand), oder die internationale Übung
zulassen (3. Tatbestand), erforderlichenfalls unter Mitwirkung der österreichi-
schen Vertretungsbehörden, vorzunehmen.
1.1.1 Eine österreichische Behörde, die ein Schriftstück an einen
Empfänger im
Ausland zuzustellen hat, muss daher zunächst klären, ob internationale Ver-
einbarungen bestehen.
1.1.2 Wenn keine internationalen Vereinbarungen bestehen, sind
Zustellungen auf
dem Weg, den die Gesetze oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in
dem zugestellt werden soll, zulassen,
vorzunehmen. Es ist daher von der
österreichischen Behörde im Einzelfall zu beurteilen, ob die Gesetze oder
Rechtsvorschriften jenes Staates, in dem zugestellt werden soll, Regelungen
vorsehen, die (auch) auf Zustellungen ausländischer (österreichischer) Schrift-
stücke anzuwenden sind. Die Beurteilung der Rechtslage dieses Staates bei
der Beurteilung der Zustellung setzt freilich eine entsprechende Kenntnis die-
ser Rechtslage voraus. In erster Linie ist es daher Sache der Verwaltungsbe-
hörde, sich mit den einschlägigen Regelungen dieses Staates vertraut zu
machen. Mitunter wird sich das Studium derselben allerdings nicht als ausrei-
chend erweisen, sondern können insbesondere bei unklarer Rechtslage etwa
Materialien sowie ausländische Lehre und Rechtsprechung zu berücksichtigen
sein (vgl. Wessely, Zur verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung
ausländischer
Täter, ZfV 2000, 391 [396 f]).
1.1.3 Allenfalls ist die Zustellung nach der dritten Alternative des § 11
Abs. 1 Zustell-
gesetz auf dem Weg, den die internationale Übung zulässt, erforderlichenfalls
unter Mitwirkung der österreichischen Vertretungsbehörden, vorzunehmen
(vgl. dazu ausführlich Berchtold, ZustellG, Anmerkungen zu §11; Walter/
Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Anmerkungen zu § 11, Wessely,397).
Zur Frage 1:
1 Aus dem
Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes ist insbesondere auf fol-
gende internationale Vereinbarungen, die eine Zustellung im Ausland vorse-
hen, hinzuweisen:
1.1 Allgemeine
Verwaltungssachen:
- Das Europäische Übereinkommen über die Zustellung von
Schriftstücken in
Verwaltungssachen im Ausland, BGBI. Nr. 67/1983 (Vertragsstaaten: Bel-
gien, Deutschland, Estland, Frankreich,
Italien, Luxemburg und Spanien);
- der
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik
Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBI. Nr.
526/1990.
1.1.1 Das Europäische Übereinkommen über die Zustellung von
Schriftstücken in
Verwaltungssachen im Ausland, BGBI. Nr. 67/1983, verpflichtet die Vertrags-
staaten (Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, Luxemburg und
Spanien), einander bei der Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungs-
sachen Amtshilfe zu leisten. Nach diesem Übereinkommen kann eine Zustellung
wie folgt bewirkt werden:
- Zustellung über
Zustellersuchen an (bekannt gegebene) „zentrale Behörden"
des anderen Staates (Art. 2 ff)
-
Zustellung durch Konsularbeamte (Art. 10)
- Zustellung durch die Post (Art. 11)
1.1.2 Der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der
Bundesrepublik
Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBI. Nr.
526/1990, enthält - vereinfacht dargestellt - Erleichterungen gegenüber dem
Europäischen Zustellübereinkommen im Verhältnis zwischen der Bundesre-
publik Deutschland und der Republik Österreich (insbesondere im Bereich der
unmittelbaren Postzustellung).
1.2 Verwaltungsstrafsachen:
Folgende bilaterale Zusatzverträge zum
Europäischen Übereinkommen über
die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBI. Nr. 41/1969, erweitern dessen Anwen-
dungsbereich unter bestimmten Voraussetzungen auf Rechtshilfe gegenüber
Verwaltungsbehörden:
- Der Vertrag zwischen der
Republik Österreich und der Republik Ungarn
über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechts-
hilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 in der Fassung des Zusatzprotokolls
Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 17.
März 1978 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBI. Nr. 801/1994;
- der Vertrag zwischen der
Republik Österreich und der Tschechischen Re-
publik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner
Anwendung, BGBI. Nr. 744/1995;
- der Vertrag zwischen der
Republik Österreich und der Slowakischen Repu-
blik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner
Anwendung, BGBI. Nr. 28/1996.
Daneben bestehen (nicht in den
Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes fallende)
sektorale Abkommen über die wechselseitige Amtshilfe in Kraftfahr-(Straßenver-
kehrs-)Angelegenheiten mit der Schweiz (BGBI. Nr. 380/1980), Liechtenstein
(BGBI.
Nr. 64/1983) und Italien (BGBI. Nr. 406/1990).
Welche internationalen Vereinbarungen, die
eine Zustellung im Ausland vorsehen, in
Abgabensachen sowie in Zivil- und Justizstrafsachen vorliegen, wäre beim
Bundes-
minister für Finanzen bzw. beim Bundesminister für Justiz in Erfahrung zu
bringen.
Zur Frage 2:
Die Beurteilung der Frage, ob und in
welchen Bereichen „internationale Übung" be-
steht und wie diese beschaffen ist, wäre vornehmlich vom Bundesministerium für
auswärtige Angelegenheiten vorzunehmen.
Zur Frage 3:
Nach herrschender österreichischer Lehre
und der Rechtsprechung der österreichi-
schen Höchstgerichte stellt eine Zustellung österreichischer Erledigungen im
Ausland
die Setzung eines Hoheitsaktes im anderen Staat, somit einen Eingriff in dessen
Ho-
heitsrechte dar. Dies ist nur dann zulässig, wenn der Staat, in dem zugestellt
werden
soll, ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.
Entscheidend dafür, ob österreichische
Erledigungen im Ausland zugestellt werden
können, ist daher die Zustimmung jenes Staates, in dem zugestellt werden soll;
es
kommt hingegen (soweit nicht anderes bestimmt ist) nicht darauf an, ob ein
Empfän-
ger annahmewillig ist oder nicht.
Zur Frage 4:
Diese Frage erscheint unklar; insbesondere
kann nicht nachvollzogen werden, was
unter dem „Zurückgehen der Nichtzustellung auf den Absender" zu verstehen
ist. An-
zumerken ist, dass die „Absender behördlicher österreichischer
Schriftstücke" nur zu
einem geringen Teil in den Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes fallen.
Zur Frage 5:
Wie bereits ausgeführt wurde, stellt eine
Zustellung österreichischer Erledigungen im
Ausland die Setzung eines Hoheitsaktes im anderen Staat, somit einen Eingriff
in
dessen Hoheitsrechte dar. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit einer Zustellung
im
Ausland von der Zustimmung jenes Staates, in dem zugestellt werden soll,
abhängig.
Ob auf Grund von Auslandaufenthalten
Fristen allenfalls häufiger versäumt werden,
hat hingegen für die Frage, ob im Ausland zuzustellen ist, keine Bedeutung.
Zur Frage 6:
Zustellungen von „Rückscheinbriefen"
im Ausland sind keineswegs „generell ausge-
schlossen". Behördliche Schriftstücke können - bei Vorliegen der bereits
angeführten
völkerrechtlichen Voraussetzungen - auch unmittelbar durch die Post, allenfalls
mit
Zustellnachweis, im Ausland zugestellt
werden.
Zur Frage 7:
In der Praxis finden zahlreiche Zustellungen
von Schriftstücken ausländischer Behör-
den in Österreich statt (§12 Zustellgesetz). Da aber auch Schriftstücke
österreichi-
scher Behörden im Ausland zugestellt werden (§11 Zustellgesetz), kann - im
vorlie-
genden Zusammenhang - kein Widerspruch erblickt werden.
Zu den Fragen 8 bis 10:
Da es, wie bereits mehrfach dargestellt,
bei der Frage, ob eine Zustellung im Ausland
möglich ist oder nicht, nicht auf den „Annahmewillen" potentieller
Empfänger an-
kommt, sondern darauf, dass der betreffende Staat seine Zustimmung erteilt hat,
wird von österreichischer Seite darauf hingewirkt, dass zumindest mit den
Nachbar-
staaten Übereinkunft besteht.
Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat
daher Entwürfe für Verträge über
Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, die auch Regelungen über die
Zustel-
lung behördlicher Schriftstücke mit Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien
und
Ungarn enthalten, ausgearbeitet und im Wege des Bundesministeriums für auswärti-
ge Angelegenheiten die in den jeweiligen Staaten zuständigen Stellen damit
befasst.
Mit Vertretern der Republik Ungarn haben
bereits Expertengespräche stattgefunden.
Von den anderen potentiellen Vertragspartnern erfolgte bislang noch keine
Reaktion.
Es kann aus heutiger Sicht noch nicht
abgeschätzt werden, bis zu welchem Zeitraum
mit einem allfälligen Abschluss der bilateralen Verträge gerechnet werden kann.
Die Übermittlung eines Vertragsentwurfes
an die Republik Italien ist in Aussicht ge-
nommen. Darüber hinaus sind keine weiteren Vorhaben geplant.