603/AB XXII. GP
Eingelangt am 28.08.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für
WIRTSCHAFT UND ARBEIT
Anfragebeantwortung
In Beantwortung der schriftlichen
parlamentarischen Anfrage Nr. 582/J betreffend
WTO Ministerkonferenz September 2003, welche die Abgeordneten Bettina
Stadlbauer, Kolleginnen und Kollegen am 03. Juli 2003 an mich richteten, stelle
ich
fest:
Antwort zu Punkt 1 der Anfrage:
Von 10.-14. September 2003 wird in Cancún, Mexiko, die 5.
WTO-Ministerkonferenz
stattfinden. Geplanter Abschluss der laufenden Verhandlungsrunde ist der 1.
Jänner
2005.
Neben einer Bestandsaufnahme über die
laufenden WTO-Arbeiten in allen Verhand-
lungsbereichen (nicht nur betreffend GATS) sollen in Cancún verschiedene Ent-
scheidungen getroffen werden. Die Ministererklärung von Doha sieht vor, dass
ins-
besondere die Verhandlungsmodalitäten bei den sog. "Singapur-Themen"
(Handel
und Investitionen, Handel und Wettbewerb, Handelserleichterung und Transparenz
im öffentlichen Beschaffungswesen) sowie die Einrichtung eines multilateralen
Registers für Weine und Spirituosen geklärt werden sollen.
Es wird erwartet, dass in Cancún eine Ministererklärung
beschlossen werden kann,
die aus heutiger Sicht die genannten Themen beinhalten wird, ebenso wie jene
Be-
reiche, bei denen die in der
Doha-Erklärung enthaltenen Fristen für die laufenden
Verhandlungen versäumt wurden: Dies betrifft "Special and Differential
Treatment/
SDT", handelsrelevante Aspekte geistiger Eigentumsrechte/TRIPs und
öffentliche
Gesundheit, Verhandlungsmodalitäten für den Agrarbereich, Verhandlungsmodali-
täten betreffend Marktzugang für nicht-agrarische Produkte, sowie die
Überprüfung
des WTO-Streitbeilegungsverfahrens.
Antwort zu Punkt 2 der Anfrage:
Parallel zur WTO-Ministerkonferenz wird der Rat Allgemeine
Angelegenheiten und
Außenbeziehungen (RAA/AB) in Formation der Wirtschaftsminister in Cancún tagen
und dort je nach Verhandlungsverlauf gegebenenfalls auch mehrmals zusammen-
treten. Die Abhaltung des Rates wurde im Rahmen des 2014. COREPER
II am
26. Juni 2003
(letztendlich als A-Punkt) bestätigt. Der Rat wird jene Entscheidungen
treffen, die im Verhandlungsverlauf der Ministerkonferenz nötig sein werden, um
die
jeweilige EU-Position festzulegen und weitere Verhandlungsschritte in der WTO
zu
ermöglichen.
Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:
Grundsätzlich stehen WTO-Tagungen nur Regierungsvertretern
offen. Jene
Nationalratsabgeordneten, die Mitglieder der formellen österreichischen
Delegation
in Cancún sind, haben
allerdings in dieser Eigenschaft die Möglichkeit, an allen
WTO-Sitzungen in Cancún teilzunehmen. Dies gilt jedoch nicht für die EU-internen
Koordinierungssitzungen.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Auch
bei der Unterstützung der Nationalratsabgeordneten durch das Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Arbeit wird darauf abgestellt, ob diese Mitglieder der
formel-
len österreichischen Delegation sind
(siehe Frage 3). Es ist vorgesehen, für die ös-
terreichischen Delegationsmitglieder regelmäßig Delegationstreffen abzuhalten,
bei
denen seitens des Delegationsleiters über den Verhandlungsverlauf informiert
und
die österreichische Position im Hinblick auf die EU-interne Koordinierung
akkordiert
werden wird. Vorbereitende Informationsgespräche mit den Nationalratsabgeordne-
ten haben am 9. Juli 2003 stattgefunden; für den 2. September 2003 ist eine
Dele-
gationsvorbesprechung im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
vorgesehen.
Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:
Österreich hat im Rahmen der EU die
seitens der EU in der WTO vorgelegten Vor-
schläge zu einer WTO-Reform unterstützt, die darauf abzielten, eine
parlamentari-
sche Versammlung im Rahmen der WTO zu schaffen. Diese grundsätzliche Frage
einer WTO-Reform ist allerdings nicht Gegenstand der laufenden WTO-Verhand-
lungsrunde.
Antwort zu den Punkten 6 und 7 der Anfrage:
Das Streitbeilegungsverfahren der WTO verfolgt primär das
Ziel der Herstellung des
WTO-konformen Zustandes und ist als rein zwischenstaatliches Verfahren konzi-
piert. Nur wenn es nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums zur Umsetzung
des WTO-Spruches durch das WTO-Mitglied kommt, dem WTO-widriges Verhalten
nachgewiesen wurde, kann es zu Verhandlungen über zwischenzeitliche Kompen-
sation bzw. zur Genehmigung von Gegenmaßnahmen, auch Sanktionen (Aus-
setzung von Handelszugeständnissen) genannt, kommen. Dies sind jedoch nur
temporäre Maßnahmen bis zur Herstellung der WTO-Konformität durch das ver-
pflichtete WTO-Mitglied.
Schadenersatzansprüche im engeren Sinne sind im Rahmen des
WTO-Streit-
schlichtungsverfahrens nicht vorgesehen.
Die EU ist bemüht, im Rahmen der laufenden
Verhandlungen über Verbesserungen
des WTO-Streitschlichtungssystems das bisher kaum gebrauchte Element der Kom-
pensation gegenüber der Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen zu stärken.
Bei gegenseitiger Einigung über Kompensation kann es dann auch zu Schadener-
satz für Firmen kommen. Als Beispiel dient der von der EU gewonnene Section
110(5) US Copyright Act Fall (DS 160), bei dem eine beiderseitig annehmbare
Lösung mit der Einrichtung eines Fonds gefunden wurde, in dessen Genuss auch
die Geschädigten kommen sollen, solange das US-Gesetz nicht WTO-konform ab-
geändert wird.
In der Vergangenheit wurde wiederholt von Unternehmensseite
gefordert, dass
Staaten, die wegen WTO-Rechtsverletzung von einem WTO-Schiedsgericht ver-
urteilt wurden und Ziel von Handelssanktionen wurden, verpflichtet sein
sollten, ihre
eigenen Unternehmen für die dadurch erlittenen Handelseinbußen zu entschädigen.
Vom System der Streitschlichtung betrachtet, würde ein Schadenersatzanspruch
von
Einzelunternehmen gegen das WTO-Mitglied, dem WTO-widriges Verhalten nachge-
wiesen wird, im Prinzip wohl die Einführung einer Klagslegitimation von Unter-
nehmen erfordern, oder zumindest ein Recht, das jeweilige Heimat-WTO-Mitglied
zur
Einleitung eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens zu verpflichten. Derartige Vor-
stellungen werden von der EU nicht verfolgt.
Die EU hat intern allerdings für EU-Unternehmen mit der
Trade Barriers Regulation'
(TBR) ein Instrument geschaffen, das Firmen und deren Interessenvertretungen
ermöglicht, auf Verletzungen von WTO-Verpflichtungen und anderen rechtswidrigen
Handelspraktiken auf Drittmärkten hinzuweisen und so gegebenenfalls die
Einleitung
eines WTO-Streitschlichtungsverfahrens durch die EU in die Wege zu leiten.
Die bisherigen detaillierten EU-Vorschläge zur Verbesserung
des WTO-Streitbei-
legungsverfahrens, die von Österreich mitgetragen und unterstützt werden, sind
auf
der Webseite der EK allgemein zugänglich (http://europa.eu.int/comm/trade/issues/
respectrules/dispute/improving/index_en.htm).
Ebenso gibt es dort Informationen
über das TBR-Verfahren für Unternehmen (http://europa.eu.int/comm/trade/issues/
respectrules/tbr/index_en.htm).
Antwort zu Punkt 8 der Anfrage:
Die grundlegenden Arbeitnehmerinnenrechte
sind nicht Teil der Dona-Verhandlungs-
runde, weshalb dieses Thema auch nicht auf der Tagesordnung der 5. WTO-
Ministerkonferenz in Cancún steht. Handel und Soziales ist weiterhin ein äußerst
kontroversielles Thema in der WTO und dessen Behandlung wird von den Ent-
wicklungsländern vehement abgelehnt.
Im EU-internen Vorbereitungsprozess für Cancún (Ratsschlussfolgerungen) hat
sich
Österreich aber erfolgreich dafür eingesetzt, dass ein Hinweis auf die
Ratsschluss-
folgerungen zur Förderung der grundlegenden Arbeitsnormen, die parallel verab-
schiedet wurden, auch in die Ratsschlussfolgerungen für Cancún aufgenommen
wird.
Antwort zu den Punkten 9 und 10 der Anfrage:
Vorab ist festzustellen, dass GATS-Themen bei der
Ministerkonferenz von Cancún
voraussichtlich nur eine untergeordnete Rolle spielen werden, da in diesem Ver-
handlungsbereich derzeit keine Entscheidung der Ministerkonferenz zur Weiter-
führung der Verhandlungen notwendig ist.
Folgendes ist zu den "öffentlichen
Dienstleistungen" anzuführen: Art. 1 Abs. 3 lit. b
stipuliert bereits eine generelle Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen vom
An-
wendungsbereich des GATS. Als solche Dienstleistungen definiert lit. c jene
Dienst-
leistungen, die weder auf kommerzieller Grundlage - also ohne Gewinnabsicht -
noch im Wettbewerb mit anderen Anbietern erbracht werden. Werden solche Dienst-
leistungen öffentlich angeboten, kann Gewinnabsicht ausgeschlossen werden. Beim
gleichzeitigen Bestehen privater und öffentlicher Einrichtungen ist außerdem
nicht
automatisch von einem Wettbewerbsverhältnis auszugehen. Es kann höchstens von
einem ergänzenden Angebot ausgegangen werden. Diese Sichtweise scheint unbe-
stritten und wird dadurch untermauert, dass bisher keinerlei einschlägige
Verfahren
angestrengt wurden. In diesem Zusammenhang darf auch darauf verwiesen werden,
dass das EU-GATS-Angebot, nicht zuletzt auf
Betreiben Österreichs, öffentlichen
Dienstleistungen generell von einer Liberalisierung ausschließt.
Die im gesamten WTO-System einzigartige
flexible Struktur des GATS lässt den
nationalen Regierungen alle Gestaltungsmöglichkeiten offen: Gestaltung als privates
oder öffentliches Monopol, Öffnung für den Wettbewerb mit Zugang nur für
nationale
Unternehmen, Öffnung auch für ausländische Anbieter ohne GATS-Bindung, volle
oder eingeschränkte Öffnung für Ausländer mit GATS-Bindung. Zusammenfassend
kann gesagt werden, dass für die EG und ihre Mitgliedstaaten die öffentlichen
Dienstleistungen sogar dreifach abgesichert sind, nämlich durch die Ausnahme im
Abkommenstext selbst, durch die Vermeidung neuer Verpflichtungen im Angebot
sowie durch einen gemeinschaftsweiten EU-Vorbehalt im Angebot, der besagt, dass
Dienste der Daseinsvorsorge in Form von öffentlichen Monopolen oder durch
Private, denen exklusive Rechte gewährt werden, angeboten werden können.
Tatsächlich haben die Erfahrungen im
EU-Binnenmarkt gezeigt, dass Liberalisierung
eher ein Mehr an Regulierung erfordert, um das Funktionieren der Märkte sicher-
zustellen; und in den meisten Staaten zählen bestimmte Dienstleistungen auch zu
den am stärksten regulierten Bereichen der Wirtschaft. Dieser Anforderung wird
das
GATS durchaus gerecht.
Das GATS beinhaltet keinen Zwang zur Deregulierung,
vielmehr schreibt es das
Recht zur Regulierung bereits in seiner Präambel fest. Es garantiert das
souveräne
Recht des Staates, entsprechend seiner politischen Zielsetzung regulierend
einzu-
greifen und ermutigt seine Mitglieder sogar, dies zu tun.