817/AB XXII. GP

Eingelangt am 20.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

 

Anfragebeantwortung

 

zur Zahl 807/J-NR/2003

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Caspar Einem, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verkauf von VOEST-Anteilen
aus dem Besitz der Ö
IAG" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 8:

Bei der Staatsanwaltschaft Wien ist bisher keine Anzeige im Zusammenhang mit dem erfolgten Verkauf der VOEST-Anteile eingelangt. Die breite politische und
mediale Diskussion über dieses Thema ließ höchst unterschiedliche Standpunkte
und zum Teil konträre Ansätze zur Frage der Bewertungskriterien für die
Überlegungen hiezu erkennen. Ein substanzieller, in den Strafrechtsbereich
deutender Verdacht von Gesetzesverstößen hat sich daraus nicht ableiten lassen,
weswegen ein amtswegiges behördliches Handeln der Staatsanwaltschaft im Sinne
des § 34 Abs. 1 StPO nicht indiziert war.

Mit der vorliegenden parlamentarischen Anfrage habe ich die Staatsanwaltschaft
Wien befasst. Sie hat keinen Anlass für ein strafrechtliches Vorgehen gefunden, weil
ihrer Einschätzung nach der Buchwert eines börsennotierten Unternehmens nicht
den einzigen und ausschlaggebenden Bewertungsfaktor bildet.

Dieser Rechtsstandpunkt der Staatsanwaltschaft Wien ist grundsätzlich zutreffend.
Zwischenzeitig ist mir eine Stellungnahme der Ö
IAG zugekommen, in der die
wesentlichen Fakten über die Privatisierung der VOEST-ALPINE zusammengefasst
sind. Demnach lag der Verkaufspreis von 32,50 Euro um 67 % über dem Kurs, den
die VOEST-ALPINE-Aktie vor dem Privatisierungsauftrag hatte. Überhaupt soll



international bei Börsenkursen von Stahlaktien kaum der theoretische Buchwert als
Verkaufskurs der Aktien erreicht werden. Kurse von 30 bis 40 % des Buchwertes
sollen als branchenüblich gelten. Für den Verkaufszeitpunkt der VOEST-Anteile soll
entscheidend gewesen sein, dass September ein traditionell starker Börsenmonat ist
und der Stahlzyklus zum damaligen Zeitpunkt positive Zeichen zeigte.

Grundlage für den Verkauf der Anteile der ÖIAG an der VOEST waren
Ministerratsbeschlüsse, die sich streng an österreichischen Interessen (Erhaltung
sicherer Arbeitsplätze in Österreich, Beibehaltung einer österreichischen Kern-
aktionärsstruktur, Erhaltung und Ausbau der Forschungs- und Entwicklungs-
kapazitäten, Aufrechterhaltung der Entscheidungszentralen in Österreich etc.)
orientierten.

Da der Privatisierungsauftrag primär der Wahrung österreichischer Interessen
dienen sollte und der Verkauf der Anteile zu einem traditionell günstigen Zeitpunkt
über die Wiener Börse stattfand, ist wohl davon auszugehen, dass ein damit im
Zusammenhang stehender wissentlicher Befugnismissbrauch im Sinne des § 153
StGB nicht beweisbar wäre. Im Übrigen muss die Annahme, dass zu einem anderen
Zeitpunkt ein höherer Preis erzielt hätte werden können - bei Berücksichtigung der
bereits dargelegten Situation zum Verkaufszeitpunkt - als spekulativ bezeichnet
werden.

Selbst wenn im Fall einer andere Verkaufsstrategie ("strategischer Investor")
möglicherweise ein höherer Verkaufserlös erzielt hätte werden können, liegt bei
volkswirtschaftlicher Betrachtung ein Schaden im strafrechtlichen Sinn nicht vor, weil
nach dem österreichischen Übernahmegesetz der Erwerb einer kontrollierenden
Beteiligung und der damit herbeigeführte Kontrollwechsel über eine börsenotierte
Aktiengesellschaft übernahmerechtliche Konsequenzen nach sich zieht, die
fallbezogen österreichische Interessen nachhaltig berühren hätten können. Insofern
kann auch nicht behauptet werden, dass nicht versucht worden wäre, den
größtmöglichen Nutzen zu verschaffen.