820/AB XXII. GP

Eingelangt am 20.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

 

Anfragebeantwortung

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Begnadigung von Opfern des
§ 209 StGB" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Ich   wurde   mit   Schreiben   der   Österreichischen   Präsidentschaftskanzlei   vom

6. August 2003 in der hier in Rede stehenden Angelegenheit vom Herrn Bundesprä-
sidenten um Information zu einer Gnadenbitte ersucht, die auf die Tilgung der in der
Anfrage zitierten Verurteilung gerichtet war. Dieses Tilgungsbegehren hat zunächst
zwei Probleme aufgeworfen, die in der Gnadenbitte nicht erörtert wurden, ihrer Ge-
währung aber von vornherein entgegenstanden:

Wie in der Anfrage zutreffend ausgeführt, wurde über den Gnadenwerber mit der
gegenständlichen Verurteilung nicht nur eine Freiheitsstrafe verhängt, sondern auch
seine Unterbringung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem
§ 21 Abs. 2 StGB angeordnet. Der Gnadenwerber ist in der Folge aus diesem Maß-
nahmenvollzug bedingt entlassen worden, die Probezeit der bedingten Entlassung
ist bis heute nicht abgelaufen und demnach der Anspruch des Staates auf einen all-
fälligen Vollzug dieser Maßnahme noch nicht erloschen. Dieser Anspruch ist im We-
sentlichen darauf gerichtet, geistig oder psychisch Erkrankte auch gegen ihren Wil-
len der notwendigen stationären Therapie zuzuführen und sie gleichzeitig so zu ver-
wahren, dass von ihnen keine Gefahr für andere Menschen ausgeht. Zu seiner
Durchsetzung sind grundsätzlich die Zivilgerichte nach den Bestimmungen des Un-


terbringungsgesetzes berufen; nur dann, wenn der Geisteszustand des Erkrankten
zu einem mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Delikt geführt hat, haben
die Strafgerichte tätig zu werden. Entsprechend der Natur dieses Anspruchs hängt
die Dauer der Unterbringung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in kei-
ner Weise von der im Unterbringungsverfahren festgestellten Straftat, sondern aus-
schließlich von der gesundheitlichen Entwicklung des Betroffenen ab. Sie darf nicht
den Strafzwecken des § 20 StVG dienen, sondern ausschließlich der Therapie.
Letztlich hat auch die bedingte Entlassung aus diesem Maßnahmenvollzug stets
dann zu erfolgen, wenn sich der Zustand des Betroffenen entsprechend gebessert
hat. Darauf, ob er etwa aus anderen Gründen Anlass zur Befürchtung bietet, dass er
in Freiheit strafbare Handlungen begehen werde, kommt es nicht an. Der hier be-
trachtete Maßnahmenvollzug unterscheidet sich somit seinem Wesen und seiner
rechtlichen Konstruktion nach so sehr vom Vollzug einer Strafe, dass er nicht dem
Strafbegriff des Art. 65 Abs. 2 lit. c des Bundes-Verfassungsgesetzes unterstellt
werden kann. Er ist also der durch diese Verfassungsbestimmung dem Bundesprä-
sidenten übertragenen Gnadenkompetenz entzogen. Demgemäß kommt die (im vor-
liegenden Fall gleichsam subsidiär erbetene) gnadenweise endgültige Entlassung
aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nicht in Betracht und kann die
(hier primär angestrebte) Tilgung der die Unterbringung im Maßnahmenvollzug an-
ordnenden Verurteilung auf dem Gnadenwege erst erfolgen, sobald der Unterbrin-
gungsanspruch des Staates erloschen, die bedingte Entlassung aus der Maßnahme
also für endgültig erklärt worden ist. Wohl wäre vor dieser endgültigen Entlassung
bereits die gnadenweise Anordnung der Beschränkung der Auskunft aus dem Straf-
register zulässig. Ein derartiger Gnadenerweis wurde allerdings weder begehrt noch
hätte er den Interessen des Gnadenwerbers Rechnung tragen können. Dieser hat
sich nämlich ausschließlich auf jene Urteile des Verfassungsgerichtshofs und des
Europäischen Gerichtshofs für Menschen rechte berufen, die sich mit der Problema-
tik des § 209 StGB befasst haben und hieraus sein Begehren auf gnadenweise Til-
gung, also auf die durch Auskunftsbeschränkung nicht erreichbare Entfernung der
Verurteilung aus dem Rechtsbestand, abgeleitet.

Der Gnadenbitte stand des Weiteren ein tilgungsrechtliches Problem entgegen. Aus
Anlass der in der Anfrage zitierten Verurteilung war nämlich die bedingte Entlassung
des Gnadenwerbers aus einer mit einem anderen Urteil über ihn verhängten Strafe
gemäß den §§ 53 Abs. 1 StGB, 494a Abs. 1 Z 4 StPO widerrufen worden. § 2 Abs. 1


Z 4 lit. i StrafRegG verpflichtet nun die Bundespolizeidirektion Wien, im Strafregister
diese Widerrufsentscheidung zu dokumentieren. Dies kann zwangsläufig nur in der
Weise geschehen, dass auch das Aktenzeichen jenes Verfahrens im Strafregister
ersichtlich gemacht wird, in dem der Widerrufsbeschluss ergangen ist. Dieses Ak-
tenzeichen entspricht im Anwendungsbereich des § 494a StPO wieder jenem, unter
dem die den Anlass zum Widerruf der bedingten Entlassung bildende Verurteilung
erfolgte. Würde man diese Anlassverurteilung auf dem Gnadenwege tilgen, ohne
auch jene Verurteilung in den Gnadenakt einzubeziehen, hinsichtlich derer die be-
dingte Entlassung widerrufen worden ist, müsste daher das Aktenzeichen der getilg-
ten Verurteilung weiterhin im Strafregister ersichtlich gemacht werden. Damit aber
würde man die Bestimmung des § 1 Abs. 5 TilgG verletzen, die dazu verpflichtet, ge-
tilgte Verurteilungen weder in Strafregisterauskünfte oder Strafregisterbescheinigun-
gen aufzunehmen noch sonst darin auf irgendeine Art ersichtlich zu machen. Dem
Begehren des Gnadenwerbers wäre daher nur in der Weise Rechnung zu tragen
gewesen, dass nicht nur die in der Anfrage zitierte, sondern auch jene Verurteilung
im Gnadenwege getilgt worden wäre, hinsichtlich derer die bedingte Entlassung wi-
derrufen worden ist. Mit dieser zuletzt zitierten Verurteilung war der Gnadenwerber
allerdings nicht nur nach dem § 209 StGB (a.F.) sondern anderer schwerer Sexual-
delikte schuldig erkannt und hiefür zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Ihre gnadenweise Tilgung hätte - anders als bloß jene des in der Anfrage zitierten
Urteils - die gesetzliche Tilgungsfrist der übrigen Verurteilungen des Gnadenwerbers
nicht unwesentlich beeinflusst. Die Gewährung des erbetenen Gnadenerweises hät-
te also zwangsläufig zu einer weit über die Tilgung der gegenständlichen Verurtei-
lung hinausgehenden Begünstigung des Gnadenwerbers führen müssen. Umstände,
die einen solchen Gnadenakt hätten sachlich rechtfertigen können, wurden nicht gel-
tend gemacht und waren auch nicht aus der Aktenlage zu ersehen.

Über die hier dargestellten Probleme des Falles wurde der Bundespräsident durch
Vorlage einer Strafregisterauskunft informiert. Zusätzlich wurde dahingehend Stel-
lung genommen, dass die in der Anfrage zitierte Verurteilung wegen eines auch heu-
te noch mit gerichtlicher Strafe bedrohten Verhaltens des Gnadenwerbers erfolgt ist.

Zu 3 bis 5:

Wie in allen Fällen, in denen eine Änderung strafgesetzlicher Vorschriften für die

Entscheidung der Gnadenfrage von Bedeutung ist, wurde auch hier einerseits von
den Feststellungen des Landesgerichtes für Strafsachen Graz im gegenständlichen


Urteil, andererseits von der übrigen, seinerzeit im Strafverfahren erarbeiteten Be-
weislage ausgegangen. Demnach hat der Gnadenwerber den im 15. Lebensjahr be-
findlichen Jugendlichen, der - seiner Darstellung nach - zu Hause von seiner alkoho-
lisierten Mutter mit dem Umbringen bedroht wurde, zu sich mitgenommen, sich des-
sen Ersuchen, wieder nach Hause gehen zu dürfen, in der Form widersetzt, dass er
die Eingangstüre verbarrikadierte und in der Folge an dem Jugendlichen sexuelle
Handlungen vorgenommen. Damit war die Ausnützung einer Zwangslage gegeben.

Zu 6:

Ich verweise auf die Beantwortung der Frage 6. der schriftlichen Anfrage der Abge-
ordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen zur Zahl
60/J-NR/2003.

Zu 7:

Auch hinsichtlich dieses Fragepunktes kann ich zunächst auf meine Anfragebeant-
wortung vom 3. April 2003, ebenfalls zu Punkt 7. der damals gestellten Anfrage,
hinweisen. In seinem Urteil vom 27.5.2003, 11 Os 95/02, hat der Oberste Gerichts-
hof u.a. ausgesprochen, dass dem Verstoß gegen eine nachträglich gemilderte oder
aufgehobene Bestimmung (im entschiedenen Fall jene des § 159 a.F. StGB) im
Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnach-
sicht ein geringeres oder gar kein Gewicht mehr beigemessen werden könne. Eben-
so wie dieses Urteil ist auch das Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom
9. September 2003, 11 Os 99/03, auf Grund einer von der Generalprokuratur erho-
benen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ergangen. In diesem Fall
hatte das Höchstgericht auf Grund einer von ihm vorgenommenen Änderung der
rechtlichen Qualifikation von Teilen des Schuldspruchs die Strafe neu zu bemessen.
Der Schuldspruch war allerdings u.a. auch wegen eines Verhaltens erfolgt, das im
Verfahren rechtsrichtig im Sinne des § 209 StGB a.F. beurteilt worden war. Das
Höchstgericht sprach ausdrücklich aus, dass es diesen Taten bei der Strafbemes-
sung kein Gewicht beigemessen habe. Ich sehe mich daher in meiner seinerzeitigen
Anfragebeantwortung bestätigt.

Abgesehen davon darf ich darauf hinweisen, dass meiner Ansicht nach in jenen der
hier in Rede stehenden Fällen, in denen eine Strafe bedingt nachgesehen wurde
oder die Probezeit einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug noch nicht ab-
gelaufen ist, durchaus Grund zur Erstattung eines Gnadenvorschlags besteht. Dies


freilich unter der Voraussetzung, dass der seinerzeit nach dem § 209 StGB a.F. ab-
geurteilte Sachverhalt sich als nach geltendem Recht nicht strafbar erweist. Die
endgültige Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kann
demgegenüber - wie ich schon zu Punkt 1. und 2. der Anfrage dargelegt habe - nicht
auf dem Gnadenwege erfolgen. Ohne der Rechtsprechung vorgreifen zu wollen,
kann ich aber auf die Bestimmung des Art.
XX Abs. 2 des Strafrechtsänderungsge-
setzes 1987, BGBI. Nr. 605, verweisen, die sich zwar ausdrücklich nur auf die An-
stalt für gefährliche Rückfallstäter nach dem § 23 StGB bezieht, im Wege der Analo-
gie aber auf jede mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme an-
gewendet werden kann, hinsichtlich der sich die gesetzlichen Voraussetzungen ge-
ändert haben. Darin wurde vor dem Hintergrund der Änderung von Strafbestimmun-
gen angeordnet: „Entfallen bei Personen, deren Unterbringung in einer Anstalt für
gefährliche Rückfallstäter angeordnet worden ist, die Voraussetzungen dieser Un-
terbringung auf Grund des § 23 StGB in der Fassung des Art. l Z 4 dieses Bundes-
gesetzes, so hat dies während der Unterbringung das Vollzugsgericht (§§ 16, 162),
sonst das erkennende Gericht von Amts wegen oder auf Antrag des öffentlichen An-
klägers oder des Verurteilten festzustellen. Das Vollzugsgericht hat diese Feststel-
lung so rechtzeitig zu treffen, dass sie mit 1. März 1988 wirksam werden kann, das
erkennende Gericht spätestens anlässlich der im § 24 Abs. 2 zweiter Satz StGB vor-
gesehenen Prüfung. § 17 Abs. 3 bis 5 StVG ist anzuwenden".

Zu 8 und 9:

Ich darf mich auch hier auf meine Anfragebeantwortung vom 3. April 2003 beziehen.

Zu den dort erwähnten 5 Fällen sind mittlerweile 2 weitere gekommen, in denen die
Frage der gnadenweisen Tilgung einer einschlägigen Verurteilung auf Grund eines
Gnadengesuches zu prüfen war. Des Weiteren wurden in den Akten des Bundesmi-
nisteriums für Justiz 4 Fälle festgestellt, in denen die amtswegige Prüfung dieser
Frage indiziert erschien.

Bei einem der Fälle, die auf Grund eines Gnadengesuches bzw. eines Informations-
ersuchens des Herrn Bundespräsidenten geprüft wurden, handelt es sich um jenen,
auf den ich in meiner Antwort zu den Anfragepunkten 1. bis 5. bereits näher einge-
gangen bin. In einem anderen Fall hat sich herausgestellt, dass das seinerzeit zur
Verurteilung nach dem § 209 StGB führende Verhalten auch im Sinne der derzeit
geltenden Rechtslage als gerichtlich strafbar angesehen werden muss. Der Verur-
teilte hat nämlich einen ihm gänzlich unbekannten, an Alter und Körperkraft unterle-


genen Jugendlichen in einer Situation, in der dieser nicht mit fremder Hilfe rechnen
konnte, zunächst durch sein obszönes Verhalten eingeschüchtert und sodann zur
Duldung geschlechtlicher Handlungen zu nötigen versucht.

In jenen 4 Fällen, in denen die Frage der gnadenweisen Tilgung einer nach dem
§ 209 StGB a.F. ausgesprochenen Verurteilung amtswegig geprüft wird, sind die
Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Zu 10 und 11:

Nach einer Abfrage aus der Elektronischen Integrierten Vollzugsverwaltung (IVV) er-
gibt sich Nachstehendes:

Im Oktober 2003 befanden sich 16 Personen in österreichischen Justizanstalten, bei
denen auch eine Eintragung wegen einer Verurteilung nach § 209 StGB vorliegt.

Von diesen 16 Personen befinden sich 10 (1 Justizanstalt Garsten, 1 Justizanstalt
Hirtenberg, 4 Justizanstalt Sonnberg, 2 Justizanstalt Stein, 1 Justizanstalt Suben,
1 Justizanstalt Wels) in Strafhaft, 6 im Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 2 StGB
(1 Justizanstalt Garsten, 1 Justizanstalt Graz-Karlau, 4 Justizanstalt Wien-
Mittersteig).

Ausschließlich wegen einer Verurteilung nach § 209 StGB befindet sich keine Per-
son in Haft. Alle Personen wurden wegen mehrerer Delikte verurteilt bzw. weisen
auch andere Verurteilungen auf. Als "führendes" (strafbestimmendes) Delikt scheint
§ 209 StGB bei einer Verurteilung auf.

Die Zeit, die diese Personen noch in Haft zubringen werden, hängt von der Spruch-
praxis der unabhängigen Gerichte über die bedingte Entlassung ab.

Zu 12:

Derzeit befindet sich keine Person ausschließlich wegen § 207b StGB in Untersu-
chungshaft, Strafhaft oder im Maßnahmenvollzug. § 207b scheint bei keiner Person
als "führendes" Delikt auf.

Bei einer in der Justizanstalt Klagenfurt in Strafhaft befindlichen Personen liegt unter
anderem eine Eintragung wegen einer Verurteilung nach § 207b Abs. 3 StGB vor.


Die Zeit, die diese Person noch in Haft zubringen wird, hängt von der Spruchpraxis
der unabhängigen Gerichte über die bedingte Entlassung ab.