822/AB XXII. GP

Eingelangt am 20.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

 

Anfragebeantwortung

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Operation letzte Chance" gerich-
tet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1, 2 und 4:

Das Simon Wiesenthal-Center Jerusalem hat dem Bundesministerium für Justiz auf
diplomatischem Wege eine Liste mit Namen von Österreichern übermittelt, die im
Rahmen des Zweiten Weltkrieges in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwi-
ckelt gewesen sein könnten. Diese Liste enthält Namen und Geburtsdaten von
47 Personen - gegliedert nach verschiedenen Einheiten - sowie eine Auflistung wei-
terer Einheiten, die im Verdacht stehen, an den ausdrücklich angeführten Kriegs-
verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein.

Unmittelbar nach Einlangen dieser Liste im Bundesministerium für Justiz am 8. Sep-
tember 2003 überprüfte die zuständige Fachabteilung zunächst, welche Personen
bereits in früheren Aktenvorgängen im Justizbereich aufscheinen. Zu neun Personen
konnten nach erster Durchsicht der aktuellen Register Hinweise auf frühere Strafver-
fahren in Österreich gefunden werden; weiters fanden sich Hinweise auf Strafverfah-
ren im Zusammenhang mit zwei Polizeibataillonen, die in der Liste genannt werden.

Um sich einen vollständigen Überblick zu verschaffen, bei welchen Personen auf
frühere Verfahrensergebnisse Bedacht zu nehmen ist, wurde das österreichische
Staatsarchiv ersucht, die dort gelagerten Archivbestände insbesondere dahingehend


zu überprüfen, ob entsprechende Akten der Bundesministerien für Justiz und für In-
neres vorhanden sind.

Gleichzeitig nahm die zuständige Fachabteilung Kontakt mit dem Dokumentations-
archiv des österreichischen Widerstandes auf, das bereits verschiedene Unterlagen
zur Verfügung stellte. Ob sich diese auf die nunmehr in der Liste angeführten Perso-
nen beziehen oder bloße Namensgleichheit vorliegt, wird überprüft.

Im Anschluss an die Besprechung mit Dr. Zuroff am 15. September 2003 fand ein
persönliches Treffen eines Vertreters der zuständigen Fachabteilung meines Hauses
mit jenem Mitarbeiter des Simon Wiesenthal-Centers Jerusalem aus Deutschland
statt, der für den Inhalt der vorliegenden Liste verantwortlich ist. Dieses Treffen dien-
te dem Austausch des derzeitigen Informationsstandes und der Erörterung der wei-
teren Vorgangsweise. Nach Angaben des Simon Wiesenthal-Centers beziehen sich
die Informationen, die zur Erstellung der Liste führten, hauptsächlich auf die Tätigkei-
ten der angeführten Einheiten im Zusammenhang mit historisch belegten Verbre-
chen; ein konkreter Verdacht gegen die in der Liste angeführten Personen, bestimm-
te strafbare Handlungen begangen zu haben, liegt in den meisten Fällen hingegen
nicht vor.

Vordringlich ist daher die Abklärung, zu welchen Personen bzw. Einheiten und Vor-
fällen die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-
Verbrechen" verwertbare Unterlagen und Beweismittel den österreichischen Straf-
verfolgungsbehörden zur Verfügung stellen kann. Diesbezüglich wurde mit dem Lei-
ter dieser in Ludwigsburg angesiedelten Forschungsstelle Kontakt aufgenommen.
Dieser sagte zu, dem Bundesministerium für Justiz umgehend bekanntzugeben,
welche Unterlagen zur Verfügung gestellt werden können. Die entsprechenden
Rechtshilfeersuchen werden in weiterer Folge die jeweils zuständigen Staatsanwalt-
schatten zu stellen haben.

Um festzustellen, welche Staatsanwaltschaft im Einzelfall zuständig ist, wurde das
Bundesministerium für Inneres (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus-
bekämpfung, das u.a. für NS-Gewaltverbrechen zuständig ist) um Überprüfung er-
sucht, welche der in der Liste angeführten Personen überhaupt noch am Leben sind
und wo sie sich derzeit aufhalten.

Ich gehe davon aus, dass das Sammeln dieser ersten Hinweise und deren Weiterlei-
tung an die zuständigen Staatsanwaltschaften innerhalb der nächsten ein bis zwei


Monate abgeschlossen sein könnte. Im Hinblick darauf, dass zweckmäßigerweise
auch die Erhebungsergebnisse der derzeit bei den Staatsanwaltschaften Dortmund,
Stuttgart und München laufenden Ermittlungen gegen Angehörige der genannten
Einheiten zu berücksichtigen sein werden, ist mit ersten Zwischenergebnissen wohl
erst Mitte 2004 zu rechnen. Welche weiteren Erhebungsschritte sich im Einzelfall als
zweckmäßig erweisen werden, wird die jeweils damit befasste Staatsanwaltschaft zu
beurteilen haben. Dem Bundesministerium für Justiz wird dabei wieder eine koordi-
nierende Funktion zukommen.

Zu 3:

Ich ersuche zunächst um Verständnis, dass ich im Rahmen der Beantwortung einer

parlamentarischen Anfrage persönliche Eindrücke dritter Personen grundsätzlich
nicht kommentiere.

Aus meiner Sicht ist jedenfalls festzuhalten, dass das konstruktive Ergebnis der Be-
sprechung vom 15. September 2003 den in der Anfrage zitierten Kommentar von
Dr. Zuroff nicht rechtfertigt. Vielmehr war diese Besprechung sowohl für mich als
auch für die in dieser Sache befassten Mitarbeiter meines Hauses eine wichtige Ge-
legenheit, unsere Standpunkte im persönlichen Gespräch auszutauschen. Ich sehe
darin eine gute Ausgangsbasis dafür, dem gemeinsamen Ziel, NS-Gewaltverbrecher
zur Verantwortung zu ziehen, wieder ein Stück näher zu kommen. Kleinere "Start-
schwierigkeiten" bei Gesprächsbeginn könnten allenfalls darauf zurückzuführen ge-
wesen sein, dass dieser Gesprächstermin ohne Dolmetscher durchgeführt wurde.

Bei diesem Gespräch habe ich darauf hingewiesen, dass schon aus Respekt vor
den Opfern des NS-Regimes und der im Zweiten Weltkrieg auch von Österreichern
begangenen Gräueltaten die Untersuchungen zur Aufklärung strafbarer Handlungen
in diesem Zusammenhang mit entsprechender Sorgfalt geführt wurden und das auch
in Zukunft geschehen wird. Ich habe auch klargestellt, dass der vom Simon Wiesen-
thal-Center kritisierte Umstand, es seien schon seit einiger Zeit keine NS-
Gewaltverbrecher in Österreich mehr verurteilt worden, nicht auf mangelnden Willen,
sondern auf verschiedene andere Ursachen zurückzuführen ist. Zu nennen sind da-
bei etwa eine unzureichende Beweislage, rechtliche Gründe, wie insbesondere Ver-
jährung, oder mangelnde Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten. Ich vertrat daher
die Ansicht, dass Verurteilungszahlen allein nicht als Maßstab für die Beurteilung der


österreichischen Anstrengungen zur Verfolgung von NS-Gewaltverbrechern heran-
gezogen werden können.

Um allfällige Missverständnisse, die sich bei dem genannten Gesprächstermin erge-
ben haben könnten, zu beseitigen, habe ich Dr. Zuroff meine Ansicht nochmals in
einem persönlichen Schreiben mitgeteilt.