922/AB XXII. GP
Eingelangt am 16.12.2003
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möglich.
BM für Justiz
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr.
Johannes Jarolim, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Reform der
Gschworenenge-
richtsbarkeif gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Als Justizminister der Republik Österreich habe ich meine
Position in erster Linie an
der österreichischen Bundesverfassung zu orientieren. Gemäß Art. 91 Abs. 2 B-VG
haben bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu be-
zeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene
über die Schuld des Angeklagten zu entscheiden. Die Einrichtung der Geschwore-
nengerichte wurde von der liberalen Bewegung des 19. Jahrhunderts erkämpft. Sie
wurde als Schutzeinrichtung gegen eine Justiz, die hauptsächlich durch
"richterliche
Beamte" ausgeübt wurde, von liberalen Kreisen vehement gefordert und -
nach
wechselvoller Entwicklung - durch die Staatsgrundgesetze 1867 verfassungsrecht-
lich eingeführt und steht seither - mit Ausnahme der Jahre 1934 bis 1950 - fast
un-
unterbrochen in Geltung. Diese traditionelle Form der Laienbeteiligung am
Strafver-
fahren vorschnell gelegentlich auftretender Kritik zu opfern, bin ich nicht
bereit. Ich
messe dieser Laienbeteiligung am Strafverfahren hohen Wert bei, weil nicht zu
un-
terschätzen ist, dass diese Verfahren mit besonderer Sorgfalt durchgeführt
werden,
um den Fall so aufzuarbeiten, dass er für Laien verständlich wird. Dadurch
erhält
aber auch der Angeklagte die Chance einer gründlichen Untersuchung unter umfas-
sender Beachtung seiner Verteidigungsrechte. Eine grundlegende Reform im Sinne
einer völligen Umgestaltung oder gar Abschaffung dieses Verfahrens wird daher
von
mir nicht angestrebt.
Ich bin mir freilich auch bewusst, dass in
letzter Zeit maßgebliche Vertreter der Lehre
gegenteilige Positionen bezogen haben (siehe Brandstetter, Zur Reform des
straf-
prozessualen Hauptverfahrens, Gutachten für den 15. Österreichischen
Juristentag,
44 ff.; Moos, Die Reform der Hauptverhandlung, ÖJZ 2003, 321 ff. und 369 ff.,
ins-
besondere 380: „Das Geschworenengericht
sollte durch ein großes Schöffengericht
ersetzt werden, am besten wohl
im Verhältnis 3:3, wodurch sowohl der Idee der Lai-
engerichtsbarkeit als auch dem Wunsch
nach einem besonders herausragenden
Gericht bei Kapitalverbrechen Genüge
getan würde"). Ähnliche
Auffassungen kann
man auch immer wieder von Richtern und Staatsanwälten hören. Nach
Abschluss
der Arbeiten an der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens wird daher -
unter
Einbeziehung allfälliger Ergebnisse des Österreich-Konvents zur Frage der
Laienge-
richtsbarkeit - eine breite Diskussion über Art und Ausmaß der Reform der
Haupt-
verhandlung und des Rechtsmittelverfahrens stattzufinden haben, in deren Rahmen
diese unterschiedlichen Ansichten gegen einander abzuwägen sein werden.
Zu 3 bis 10
Aus den in meiner Antwort zu den Fragen 1. und 2.
dargelegten Gründen halte ich
es nicht für sinnvoll, vor Beginn einer breiten, die interessierenden
Fachkreise ein-
beziehenden Diskussion eine abschließende und die Meinungsbildung vorwegneh-
mende Position zu den - für sich genommen berechtigten - Problemfeldern der der-
zeitigen Gestaltung des geschworenengerichtlichen Verfahrens einzunehmen.
Letzt-
endlich halte ich eine isolierte Diskussion des Hauptverfahrens vor dem
Geschwore-
nengericht nicht für zielführend, weil Fragen seiner Besetzung, der Auswahl und
"Ausbildung"
der Laienrichter, der Öffentlichkeit der Rechtsbelehrung und des für ei-
nen Schuldspruch erforderlichen Quorums in engem Zusammenhang mit der Reform
des Hauptverfahrens an sich (insbesondere des Verfahrens vor dem Schöffenge-
richt) und dem Rechtsmittelverfahren stehen. Eine derart breite Reform kann
erst
nach vollständigem Abschluss der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens in
Angriff genommen werden, dessen Auswirkungen auf das Hauptverfahren sorgfältig geprüft
werden müssen.