1018/AB XXII. GP
Eingelangt am 29.12.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundesministerium
für Justiz
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag.
Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Unschuldiger von Neo-Nazis
verprügelt - Vorwurf der Kinderschändung" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Diese
Frage ist hypothetischer Natur und kann derzeit nicht beantwortet werden,
weil
das Bundesministerium für Justiz mit Amtshaftungsansprüchen bisher nicht be-
fasst
wurde. Auch bei der Finanzprokuratur ist noch kein Aufforderungsschreiben
eingelangt.
Zu 2, 4 bis 8:
Am 3. Juli 2003 beantragte der
Journalstaatsanwalt um 17.45 Uhr auf Grund einer
Sachverhaltsschilderung des Gendarmeriepostens Saalfelden
die Erlassung eines
Haftbefehls wegen des Verdachtes der Begehung mehrerer Einbruchsdiebstähle
und der Vergewaltigung. Der Journalrichter des Landesgerichtes Salzburg erließ
um
18.00 Uhr einen Haftbefehl aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsge-
fahr, allerdings nur wegen eines Einbruchsfaktums, zu welchem er den dringenden
Tatverdacht bejahte. Dieser Verdacht gründete sich auf eine
Personenbeschreibung
des Verdächtigen und dessen Identifizierung anhand eines Lichtbildes durch
einen
Zeugen.
Die den Sicherheitsbehörden obliegende Fahndung nach einem
Verdächtigen regelt
der § 24 des Sicherheitspolizeigesetzes. Aufrufe an die Öffentlichkeit zur
Mithilfe bei
der Fahndung nach einer Person auf Grund
eines gerichtlichen Haftbefehles dürfen
von den Sicherheitsbehörden nur mit Zustimmung des Gerichtes erlassen werden.
Diese Zustimmung wurde am 4. Juni 2003 eingeholt (§ 15 der gemeinsamen Fahn-
dungsvorschrift der Bundesministerien für Inneres, für Justiz und Finanzen -
FaV
2002).
Fahndungsmaßnahmen unter öffentlicher
Bekanntmachung von Namen und Abbil-
dung der gesuchten Person stehen zwangsläufig mit der Unschuldsvermutung in ei-
nem Spannungsverhältnis, zumal nach einem Tatverdächtigen stets vor dem gesetz-
lichen Nachweis seiner Schuld gefahndet wird. Unter der strikten Voraussetzung
ei-
nes entsprechenden Tatverdachtes wird der Maßstab für eine menschenrechtskon-
forme Vorgangsweise die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Interesse auf
Strafver-
folgung und dem Anspruch auf Anonymität sein. Der Richter, der einer
Bildnisveröf-
fentlichung zugestimmt hat, hat in diesem Fall das Strafverfolgungsinteresse
offen-
bar höher bewertet. Eine Kommentierung dieser gerichtlichen Entscheidung will
ich
aus grundsätzlichen Erwägungen nicht vornehmen.
Zu 3:
Am
3. Juli 2003 lagen der Staatsanwaltschaft Innsbruck mehrere Anzeigen gegen
die in der Anfrage bezeichnete Person vor. Das daraus
resultierende Strafverfahren
ist noch nicht beendet. Einzelheiten zu diesem Verfahren kann ich daher aus
Grün-
den der Verpflichtung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit und weil eine
derarti-
ge Bekanntgabe die allein der Rechtsprechung vorbehaltene Gewährung von Ak-
teneinsicht umgehen würde, nicht bekanntgeben.
Zu 9:
Der Haftbefehl wurde in den Nachmittags- bzw. Abendstunden
des 11. Juli 2003 zu-
rückgezogen und die Fahndung widerrufen. Ob hievon die Medien bzw. die Öffent-
lichkeit verständigt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.
Zu 10:
Am 21. Juli 2003 hat die
Staatsanwaltschaft Salzburg die Umwandlung eines zu die-
sem Zeitpunkt gegen die in der Anfrage genannte Person bereits bestehenden
Haftbefehles (SIS-Fahndung) in einen Steckbrief beantragt. Der Steckbrief wurde
vom Gericht noch am selben Tag erlassen.
Zu 11:
Auch hier gelten grundsätzlich die
Ausführungen im Punkt 2. der Anfragebeantwor-
tung.
Zu 12 und 13:
Die Verfolgungs- und Fahndungsmaßnahmen basierten auf sehr
deutlichen Hinwei-
sen aus der Bevölkerung und der daraus ableitbaren komplexen Verdachtslage. Ge-
gen die Einschätzung des Staatsanwaltes, der aus diesen Ermittlungsergebnissen
einen ausreichenden Tatverdacht ableitete und einen Haftbefehl beantragte, ist
nichts einzuwenden. Immer wieder kann es vorkommen, dass hinreichende Ver-
dachtsmomente durch weitere Ermittlungen wieder entkräftet werden. Der
Haftbefehl
selbst ist vom Untersuchungsrichter zu erlassen und zu begründen. Seine
Entschei-
dung kann ich weder kommentieren noch kritisieren. Ob die Staatsanwaltschaft
und
das Gericht im konkreten Fall zu Recht die Voraussetzungen der Erlassung eines
Haftbefehls (siehe dazu die §§ 175 und 176 der StPO) angenommen haben, möchte
ich auch deshalb nicht näher beurteilen, weil die Rechtmäßigkeit des Vorgehens
der
Strafverfolgungsbehörden möglicher Weise den Gegenstand eines Verfahrens nach
dem Amtshaftungsgesetz bilden könnten und ich den zur Beurteilung berufenen Be-
hörden hier nicht vorgreifen möchte.
Allgemein - und ohne Bezug auf den
Anlassfall - möchte ich festhalten, dass es
Aufgabe der Strafprozessordnung ist, die Rechte von Verdächtigen zu schützen,
weil
es immer wieder vorkommen kann, dass zunächst die Verfolgung einer Person auf
Grund hinreichender Verdachtsmomente gerechtfertigt erscheint, die jedoch durch
weitere Ermittlungen wieder entkräftet werden. Eben deshalb sieht § 3 der
geltenden
StPO und § 3 der RV eines Strafprozessreformgesetzes vor, dass Kriminalpolizei,
Staatsanwaltschaft und Gericht die entlastenden und die belastenden Momente mit
gleicher Sorgfalt zu ermitteln haben. Eine ausschließliche ex-post- Betrachtung,
die
vom gesamten Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der Endentscheidung ausgeht, lässt
außer Betracht, dass die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Verdachtsprü-
fung und der Beurteilung der sonstigen Haftgründe eine ex-ante- Beurteilung auf
ei-
ner noch zu bestätigenden Wahrscheinlichkeitsbasis vorzunehmen haben.
Zu 14:
Dem Entwurf eines
Strafprozessreformgesetzes, RV 25 der Beilagen XXII. GP, liegt
ganz allgemein der Gedanke zu Grunde, die
Zusammenarbeit zwischen Kriminalpo-
lizei und Staatsanwaltschaft zu
intensivieren und im Sinne rechtsstaatlicher Effizienz
der Staatsanwaltschaft mehr Möglichkeiten einzuräumen, sich an den Ermittlungen
der Kriminalpolizei zu beteiligen und diese auch in einem frühen Stadium des
Ver-
fahrens zu steuern und zu kontrollieren. Entscheidungen der Staatsanwaltschaft
und
Anträge auf Bewilligung von Grundrechtseingriffen sollen daher grundsätzlich
auf ei-
ner breiteren Entscheidungsgrundlage als bisher getroffen werden können.
Vor allem aber soll endlich dem
grundlegenden rechtstaatlichen Defizit der gelten-
den StPO abgeholfen werden, nämlich dass das Vorgehen der Sicherheitsbehörden
und ihrer Organe im Dienste der Strafjustiz weitgehend ungeregelt ist, was ein
Aus-
weichen auf andere Rechtsgrundlagen - etwa das SPG - insbesondere im Fahn-
dungswesen fördert. Immerhin sieht § 24 Abs. 1 Z 1 SPG vor, dass den
Sicherheits-
behörden die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Menschen obliegt, nach dem
gesucht wird (Personenfahndung), weil eine Anordnung zur Festnahme besteht.
Durch diese Bestimmung wurde der Steckbrief nach § 416 StPO weitgehend ver-
drängt.
Ich bedaure in diesem Zusammenhang darauf
hinweisen zu müssen, dass mein
Bestreben, den Strafverfolgungsbehörden ein modernes und rechtsstaatlich ein-
wandfreies Instrumentarium zur Hand zu geben, um dieses seit langem erkannte
schwerwiegende rechtstaatliche Defizit zu beseitigen, von der Fraktion der
Anfrage-
steller bisher keine Unterstützung erfahren hat.
Maßnahmen der Personen- und Sachenfahndung werden im ersten
Abschnitt des
9. Hauptstückes der erwähnten RV im Lichte moderner strafprozessualer Rechts-
grundlagen geregelt. Eine Fahndung zur Festnahme soll gemäß § 168 Abs. 2 grund-
sätzlich nur dann zulässig sein, wenn die Festnahme eines Beschuldigten nicht
voll-
zogen werden kann. Art. 4 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit er-
laubt den Entzug der persönlichen Freiheit - ausgenommen bei Gefahr im Verzug
und bei Betretung auf frischer Tat - nur auf Grund einer gerichtlichen
Entscheidung.
Nach § 171 Abs. 1 des Entwurfs soll daher eine entsprechende Anordnung der
Staatsanwaltschaft grundsätzlich einer gerichtlichen Bewilligung bedürfen; auf
Grund
dieser Anordnung der Staatsanwaltschaft hätte die Kriminalpolizei den
Beschuldig-
ten sodann festzunehmen.
Gemäß § 169 Abs. 1 RV soll die Personenfahndung durch
Ausschreibung zur Auf-
enthaltsermittlung oder zur Festnahme nur auf Grund einer Anordnung der Staats-
anwaltschaft zulässig sein, die - wie
erwähnt - im Fall der Festnahme eine gerichtli-
che Bewilligung voraussetzt. Die Fahndung nach einer bestimmten Person darf nur
unter genauer Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots veröffentlicht werden,
wo-
für eine (neuerliche und begründete) Anordnung der Staatsanwaltschaft
erforderlich
sein soll. Zu einer solchen Anordnung soll die Staatsanwaltschaft nur
berechtigt sein,
wenn die Ausforschung des Beschuldigten oder die Auffindung einer anderen Per-
son andernfalls wenig erfolgversprechend wäre und der Beschuldigte einer
vorsätz-
lich begangenen strafbaren Handlung, die mit einer mehr als einjährigen
Freiheits-
strafe bedroht ist, dringend verdächtig ist.
Abbildungen von Personen sollen jedoch nur
dann veröffentlicht oder zur Veröffentli-
chung in Medien oder sonst öffentlich zugänglichen Dateien freigegeben werden
dürfen, wenn der damit angestrebte Vorteil den mit der Veröffentlichung
verbunde-
nen Eingriff in die Privatsphäre deutlich überwiegt oder die Veröffentlichung
zum
Schutz der Rechte und Interessen von durch den Beschuldigten gefährdeten Perso-
nen erforderlich scheint. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn eine
Veröffentlichung
der Fahndung zum Schutz bestimmter Bevölkerungskreise vor Gefährdungen erfor-
derlich wäre.
In diesem Bereich bereits auf eine verdichtete
Verdachtslage oder gar auf die Ge-
wissheit abzustellen, dass die gesuchte Person tatsächlich Täter ist, würde den
be-
rechtigten Sicherheits- und Schutzinteressen der Bevölkerung zu wider laufen.
Zu 15:
Das Verfahren der Zusammenarbeit der Behörden der
Strafjustiz mit den Sicher-
heitsbehörden bei Fahndungen für Zwecke der nationalen und internationalen
Straf-
rechtspflege wird in der Gemeinsamen Fahndungsvorschrift der Bundesministerien
für Inneres, für Justiz und für Finanzen (FaV 2002) geregelt und umfasst
Maßnah-
men der Personen- und der Sachenfahndung.
Ersuchen um Fahndungen sind von den Behörden der
Strafjustiz der mit der Straf-
sache zuletzt befassten Sicherheitsbehörde zu übermitteln. Aufrufe an die
Öffent-
lichkeit zur Mithilfe bei der Fahndung nach einer Person auf Grund von Ersuchen
der
Behörden der Strafjustiz dürfen von den Sicherheitsbehörden nur mit Zustimmung
des zuständigen Gerichts erlassen werden (§15 FaV 2002).
Für eine öffentliche Fahndung ist daher bereits nach
geltender Rechtslage eine ge-
richtliche Zustimmung erforderlich. Die RV eines Strafprozessreformgesetzes
ver-
stärkt die justizielle Rechtskontrolle dadurch, dass sie über die gerichtliche
Bewilli-
gung der Festnahme hinaus vorsieht, dass eine Fahndung mit Hilfe der
Öffentlichkeit
nur auf Grund einer besonderen und begründeten Anordnung der Staatsanwalt-
schaft erfolgen darf.
Mein Engagement für eine rasche Beschlussfassung der
bereits in mehreren Sitzun-
gen des Unterausschusses des Justizausschusses eingehend beratenen RV eines
Strafprozessreformgesetzes darf ich als bekannt voraussetzen.