1170/AB XXII. GP
Eingelangt am 29.01.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Der Bundesminister für Justiz
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Gisela Wurm,
Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Drogenbericht 2003 des ÖBIG"
gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Entwicklung der
vorläufigen
(probeweisen)
Anzeigezurücklegungen
nach
§§35 f SMG und Verfahrenseinstellungen nach §§ 37 f SMG wäre nicht
ausschließlich auf das unmittelbare Vergleichsjahr 2001, sondern auf einen
länger
dauernden Beobachtungszeitraum zu beziehen. Dadurch wird deutlich, dass im Jahr
2001 63,8%, somit eine atypisch hohe Zahl der Anzeigen wegen
Vergehenstatbeständen nach dem SMG diversionell erledigt wurden, während in
den Jahren 1998 52,4%, 1999 46,6% und 2000 51,3% der Anzeigen wegen
Drogenvergehen nach den im SMG gesetzlich geregelten Alternativen zur
Strafverfolgung erledigt wurden. Richtig ist, dass dieser Wert im Jahr 2002 mit
45,8% einen Tiefstand erreicht hat. Über einen längeren Vergleichszeitraum
betrachtet liegt der Wert jedoch innerhalb der bisherigen Schwankungsbreite.
Es stehen mir keine Daten darüber zur Verfügung, in wie
vielen Fällen bei Anzeigen
wegen Vergehenstatbeständen nach dem SMG ein diversionelles Vorgehen nach
§§ 35 ff SMG bereits aufgrund fehlender gesetzlicher Voraussetzungen von
Vornherein unzulässig ist. Eine solche Untersuchung würde einen unvertretbaren
Verwaltungsaufwand nach sich ziehen und
ist daher aus verwaltungsökonomischen
Gründen nicht möglich.
Zu 2:
Die im
Artikel der „Salzburger Nachrichten" vom 14.11.2003 angeführte Zahl von
8269 Insassen stellt den österreichweiten Gesamtstand aller Insassen zum
Stichtag
1.11.2003 dar.
Von
diesen 8269 Insassen waren 3213 ausländische Staatsbürger aus über 90
Nationen. Die Staaten, denen jeweils mehr als 40 Insassen angehören, finden
sich
in nachstehender Tabelle.
Nationalität |
davon > 40 |
Nigeria |
374 |
Jugoslawien |
356 |
Rumänien |
311 |
Türkei |
226 |
Bosnien- |
157 |
Polen |
121 |
Georgien |
118 |
Ungarn |
91 |
Sierra Leone |
83 |
BRD |
84 |
Kroatien |
78 |
Gambia |
67 |
Staatenlos |
64 |
Tschechien |
63 |
Slowakei |
60 |
Bulgarien |
54 |
Moldawien |
55 |
Italien |
46 |
Russland |
48 |
Algerien |
48 |
Guinea |
41 |
Zu 3:
Mit
Stichtag 1.11.2003 waren laut der EDV-Anwendung der Strafvollzugsbehörden
1652 Personen in Haft, bei denen (auch)
eine Eintragung nach § 27 SMG
aufscheint.
Zu 4, 5, 8 und 9:
Eine Verknüpfung der Nationalität der
Insassen mit dem der Haft zugrunde liegenden
Delikt ist mit den der Zentralstelle zur Verfügung stehenden Abfragemodulen
nicht
möglich. Der Aufenthaltstatus von Insassen, die nicht die Österreichische
Staatsbürgerschaft besitzen, wird nicht regelmäßig in der EDV-Anwendung der
Strafvollzugsbehörden gespeichert. Die Beantwortung dieser Fragen würde einen
nicht zu vertretenden Aufwand in der Verwaltung der Justizanstalten erfordern.
Zu 6:
Von den 272 Jugendlichen waren 191 nicht
Österreichische Staatsbürger. Diese
teilen sich auf folgende Staaten auf.
Nationalität |
|
Angola |
1 |
Armenien |
1 |
Aserbaidschan |
1 |
Benin |
1 |
Bosnien- |
6 |
Bulgarien |
2 |
Gambia |
12 |
Georgien |
14 |
Ghana |
1 |
Guinea |
6 |
Indien |
3 |
Jugoslawien |
9 |
Kamerun |
1 |
Kongo |
1 |
Kroatien |
3 |
Liberia |
7 |
Mauretanien |
1 |
Mazedonien |
1 |
Moldawien |
7 |
Niger |
1 |
Nigeria |
76 |
Polen |
1 |
Rumänien |
13 |
Russland |
4 |
Senegal |
1 |
Sierra Leone |
6 |
Sudan |
2 |
Tschad |
1 |
Türkei |
6 |
Ungarn |
1 |
Weißrussland |
1 |
Zu 7:
Mit Stichtag 1.11.2003 waren laut der
EDV-Anwendung der Strafvollzugsbehörden
55 Jugendliche in Haft, bei denen (auch) eine Eintragung nach § 27 SMG
aufscheint.
Zu 10 und 11:
Strafgerichtliche Verurteilungen
Jugendlicher stellen im österreichischen System der
Strafrechtspflege die ultima ratio dar. Zielsetzung ist es, Probleme der
Straffälligkeit
Jugendlicher nicht ausschließlich mit den Mitteln des Strafrechts zu lösen.
Dies wird
zum einen durch das im JGG verankerte hierarchische System der Unrechtsfolgen
und der Möglichkeiten eines Verfolgungsverzichts gewährleistet und zum anderen
durch die im JGG enthaltenen Grundprinzipien - insbesondere der Spezial-
prävention, der Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung und des Fort-
kommens Jugendlicher, ihrer Resozialisierung und Reintegration - sowie das Ver-
hältnismäßigkeitsprinzip unterstrichen. Ich bin daher überzeugt, dass die
Gerichte
die sozialen Auswirkungen strafgerichtlicher Verurteilungen Jugendlicher im
Rahmen
der gesetzlichen Möglichkeiten bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen.
Zu 12 bis 14, 16 und 17:
Auch aus strafrechtlicher Sicht ist die Prävention neben
Therapie, Repression und
Rehabilitation eine wichtige Grundsäule einer effektiven Drogenpolitik. Der
Prävention wird in Österreich zu Recht ein hoher Stellenwert eingeräumt,
Maßnahmen werden sowohl im primär- als auch im sekundärpräventiven Bereich
gesetzt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfolgt zum Großteil auf lokaler bzw.
regionaler Ebene. Insbesondere der Prävention in den Bereichen Schule,
außerschulische Jugendarbeit, Familie und Freizeit sollte auch aus Sicht des
Bundesministeriums für Justiz großes Augenmerk geschenkt werden, um den
Einstieg Jugendlicher in den Drogenkonsum zu verhindern. Der Bereich der
Prävention fällt jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums
für Justiz.
Im strafrechtlichen Bereich sollen
insbesondere die §§ 35 ff SMG unter Berück-
sichtigung der gesundheitsbezogenen Maßnahmen nach § 11 Abs. 1 SMG ver-
meiden helfen, dass Jugendliche zu dauerhaften Drogenkonsumenten werden.
Zu 15:
Das Prinzip „Helfen statt Strafen"
hat sich bewährt und ist auch internationalanerkannt. Es wird eine Balance
zwischen repressiven und gesundheitspolitischen
Maßnahmen praktiziert, die nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der
drogenpolitischen Zielsetzungen im Bereich der Justiz bildet. Von diesem
Grundprinzip wurde daher auch im letzten Jahr in keiner Weise abgegangen. Dies
zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass die Aufwendungen des Bundes für
Therapiemaßnahmen auf Grund der subsidiären Kostentragungspflicht nach § 41
SMG im Jahr 2002 3.251.930 Euro betragen haben und gegenüber dem Jahr 2001
um 267.141 Euro gestiegen sind.
Zu 18:
Insgesamt gesehen wird der Anstieg bei den
Häftlingszahlen wohl auf eine
Veränderung der Kriminalität, eine geänderte Verfolgungs- und Anzeigenpraxis
der
Sicherheitsbehörden und auch auf eine zum Teil geänderte Haft- und
Strafenpraxis
der unabhängigen Gerichte zurückzuführen sein.
Aus der im Sicherheitsbericht 2002 veröffentlichten Studie
von Univ. Doz. Dr. Arno
Pilgram über „Die Entwicklung der Haftzahlen in Österreich - Darstellung und
Analyse der Ursachen" geht hervor, dass österreichweit der Anteil der
nicht-
österreichischen Staatsbürger an den Zugängen zu den Justizanstalten in den
Jahren 2000 bis 2002 relativ konstant zwischen 40,5% und 42,5% lag. In Wien
sind
danach vor allem zwei Gruppen von Fremdstaatsangehörigen für die starke
Zunahme der Haftzugangszahlen ausschlaggebend, während in den übrigen
Bundesländern der Anteil der Inhaftierten fremder Staatsangehörigkeit relativ
stabil
blieb. Neben den Angehörigen osteuropäischer Staaten (die nicht
EU-Beitrittsländer
für das Jahr 2004 sind), die vor allem wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in Haft
genommen wurden, stellen im Landesgerichtssprengel Wien vor allem die
Angehörigen afrikanischer Staaten, die besonders häufig wegen Delikten nach dem
SMG in Haft genommen wurden, den Großteil der zusätzlichen Haftzugänge in ganz
Österreich dar. Weiters sei darauf hingewiesen, dass bei einer kleinen Gruppe
unter
den Afrikanern auch ein deutlicher Anstieg bei der Dauer der verbüßten
Strafhaft
festzustellen war. Die Zunahme der Haftzeit und der steigende Belag der
Justizanstalten könnten daher nach der Pilgram-Studie in sämtlichen
Deliktsbereichen unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass einerseits
(insbesondere in Wien) eine rigorosere
Praxis bei der Verhängung der
Untersuchungshaft bei Kleinkriminalität bestimmter ausländischer Tätergruppen
zu
beobachten ist und andererseits eine gewisse Tendenz zur Verhängung höherer
Strafen über einen „harten Kern" von Straftätern besteht.
Diese Tendenz ist in eingeschränkter Weise
auch auf den Deliktsbereich nach dem
SMG übertragbar. Der Anstieg an Haftzugängen wegen Drogenvergehen könnte
daher ebenfalls - wie bereits eingangs allgemein festgehalten - zum einen auf
Veränderungen innerhalb der Kriminalität und der Verfolgungs- und Anzeigepraxis
der Sicherheitsbehörden, zum anderen aber auch auf eine geänderte Haft- und
Strafenpraxis der Gerichte zurückgeführt werden.
Zu 19, 20 und 21:
Primäre Zielsetzung strafrechtlicher
Maßnahmen im Bereich der Drogenkriminalität
ist die Erzielung präventiver Wirkungen zum Zweck der Angebotsreduktion und
Abschreckung der Allgemeinheit. Deshalb muss dem Drogenhandel, insbesondere
dem grenzüberschreitenden und organisierten Handel mit großen Drogenmengen,
durch sicherheits- und kriminalpolizeiliche Bekämpfungsmaßnahmen sowie durch
die Verhängung strenger Strafen entschieden entgegengetreten werden. Dies
entspricht auch der Entwicklung und Vorgehensweise auf internationaler Ebene.
So
wurde auf EU-Ebene am 27. November 2003 politische Einigung über einen
Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über die
Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des
illegalen Handels mit Drogen (kurz RB Drogenhandel) erzielt, der die
Mitgliedstaaten
zu strafrechtlichen Mindeststandards verpflichtet.
Das österreichische Suchtmittelrecht wurde bereits in den
letzten Jahren im
Verbrechensbereich deutlich verschärft. So wurde die Strafdrohung für
Drogenhändler, die in einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur
Begehung des Drogenhandels mit einer großen Menge Suchtgift führend tätig sind,
auf lebenslange Freiheitsstrafe ausgedehnt.
Zu 22 bis 24:
Das Prinzip „Helfen statt Strafen" stellt nach wie vor
einen wichtigen Bestandteil der
drogenpolitischen Zielsetzungen im Bereich der Justiz dar. In diesem Zusammen-
hang ist zu berücksichtigen, dass Süchtige primär als Kranke behandelt werden
sollen. Die derzeitige Gesetzeslage bietet
insbesondere durch die Möglichkeiten der
vorläufigen Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft (§§ 35 f
SMG),
der vorläufigen Einstellung durch das Gericht (§§ 37 f SMG), sowie des
Aufschubs
des Strafvollzuges (§ 39 f SMG) ausreichend Möglichkeiten, diesen drogen-
politischen Zielsetzungen gerecht zu werden. Ausdrücklich ist jedoch darauf
hinzuweisen, dass die vorläufige Einstellung durch das Gericht, die
Ausgestaltung
einer allenfalls zu verhängenden Strafe nach dem SMG und der Aufschub des
Strafvollzuges in den Aufgabenbereich der unabhängigen Rechtsprechung fallen.
Weitere Maßnahmen im Bereich des SMG sind
derzeit nicht in Planung.
Zudem wäre auf das im Rahmen des
Budgetbegleitgesetzes 2003 (BGBI. l
Nr. 71/2003) erlassene Bundesgesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen im
Bereich des (allgemeinen) Strafaufschubs nach § 6 StVG getroffen werden,
hinzuweisen. Mit diesem - bis Mitte 2005 befristeten - Gesetz soll kurzfristig
eine
Möglichkeit geschaffen werden, den Zugang zur Strafhaft in vertretbarem Ausmaß
abflachen zu lassen, indem die Voraussetzungen für einen Strafaufschub
geringfügig gelockert werden bzw. der Rahmen hiefür etwas erweitert wird.
Zu 25 bis 27:
Zielsetzung der österreichischen
Drogenpolitik ist es, einen Ausgleich zwischen
kriminalpolitischen, gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Maßnahmen zur
Bekämpfung der Drogensucht und der Suchtmittelkriminalität zu schaffen. Es
wurde
schon darauf hingewiesen, dass das SMG neben dem repressiven Kernbereich ein
weites Spektrum an Möglichkeiten zur Unterstützung drogenabhängiger Straftäter
sowie von Drogenkonsumenten bietet.
Das BMJ wird im Lichte der im Sicherheitsbericht 2002
veröffentlichten, vom
Bundesministerium für Justiz in Auftrag gegebene Studie „Die Entwicklung der
Haftzahlen in Österreich - Darstellung und Analyse der Ursachen" von Univ. Doz.
Dr. Arno Pilgram die Entwicklungen im Drogenbereich weiterhin sorgfältig
beobachten.
Zu 28 und 29:
Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass Anzeigenstatistiken
vor allem die
Intensität und Schwerpunktsetzung polizeilicher Maßnahmen aufzeigen. Die
Staatsanwaltschaften sind jedoch gesetzlich verpflichtet, alle an sie gelangten
Anzeigen über strafbare Handlungen, die
von Amts wegen zu verfolgen sind, zu
prüfen sowie die zu ihrer Kenntnis gelangten strafbaren Handlungen zu
verfolgen.
Sämtliche Anzeigen nach dem SMG sind daher unabhängig davon, ob es sich um
Vergehen nach § 27 SMG oder Verbrechen nach § 28 SMG handelt, gleichermaßen
zu verfolgen und im Rahmen der durch das SMG geschaffenen Möglichkeiten einer
Erledigung zuzuführen (insoweit können justizstatistische Daten nicht ohne
weiteres
als Ausdruck einer bestimmten Drogenpolitik angesehen werden). Dass dabei dem
Drogenhandel, besonders dem grenzüberschreitenden und organisierten Drogen-
handel, nicht zuletzt auch durch die Verhängung strenger Strafen entschieden
entgegengetreten werden muss, wurde bereits hervorgehoben.
Zu 30 und 31:
Die Mitarbeiter des österreichischen Strafvollzuges legen
auf allen Organisations-
ebenen großes Augenmerk darauf, dass Misshandlungen unter Insassen jedweder
Art hintangehalten werden. Entsprechende Vorsorgemaßnahmen gehören zur
täglichen Aufgabe der Strafvollzugsverwaltung.
Es ist mit ein Ergebnis des im allgemeinen
ausgeglichenen Vollzugsklimas in den
österreichischen Justizanstalten, dass Übergriffe bzw. Misshandlungen unter den
Insassen Ausnahmefälle bleiben, die zudem strikt geahndet werden, wenngleich ein
100 %iges Hintanhalten nicht gewährleistet werden kann.
Zu den Maßnahmen gehören unter anderem die Zusammenlegung
jeweils
„verträglicher" Insassen, permanente Kontrollen in den Abteilungen,
Betrieben, bei
der Bewegung im Freien, die Bedachtnahme auf Verlegungswünsche in andere
Hafträume.
Zu 32 und 33:
Die
Hintanhaltung von Übergriffen jeglicher Art von Insassen untereinander ist ein
permanent präsentes Thema auf allen Organisationsebenen des
Strafvollzuges und
darüber hinaus im internationalen Informationsaustausch.
Wissenschaftliche Studien hiezu sind
allerdings nicht bekannt.
Die Anhaltung Jugendlicher in der
Justizanstalt Wien-Josefstadt wird ständig durch
den vom BMJ eingerichteten Jugendbeirat beobachtet.
Zu 34 bis 36:
Zu den hier aufgeworfenen Fragen liegen
dem Bundesministerium für Justiz keine
darauf Bezug nehmenden Studien vor.