1300/AB XXII. GP

Eingelangt am 09.03.2004
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DER  BUNDESMINISTER

           FÜR  JUSTIZ

 

         GZ 7093/1-Pr 1/2004

 

An den

Herrn Präsidenten des Nationalrates

W i e n

 

zur Zahl 1380/J-NR/2004

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Hans Langreiter, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Durchsetzung des Sorgerechts in Salzburg“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung:

Die Bilder der Übergabe des minderjährigen Christian W. als Höhepunkt eines Obsorgestreits zwischen dessen Eltern haben mich ebenso wie viele andere Menschen in Österreich innerlich tief bewegt und alarmiert. Aus diesem Grund habe ich umgehend Maßnahmen angeordnet, um derartige Eskalationen in Zukunft zu vermeiden.

Zu 1 bis 5:

Zunächst möchte ich meine bereits gegenüber den Medien geäußerte Überzeugung unterstreichen, dass es bei einer Kindesabnahme grundsätzlich zu keiner Gewaltanwendung gegen das Kind kommen darf. Gleichzeitig muss jedoch auch die Notwendigkeit, gerichtliche Entscheidungen - wie etwa jene, welchem Elternteil die Obsorge über ein Kind zukommen soll - durchsetzen zu können, betont werden. Obsorgeentscheidungen werden im Interesse der betroffenen Kinder, vielfach sogar zu ihrem Schutz getroffen. Wenn man sich (nicht selten vorkommende) Fälle vor Augen führt, in denen ein Kind bei einem Elternteil einer konkreten Gefährdung (etwa durch Missbrauch) ausgesetzt ist, wird deutlich, dass die rasche Durchsetzung einer Obsorgeentscheidung durch Abnahme des Kindes zu dessen Schutz möglich sein muss; dies erforderlichenfalls auch mit angemessenen Zwangsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang muss ich auch darauf hinweisen, dass eine Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in einem vergleichbaren Fall, in dem eine Kindesabnahme unterblieb, die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs auf diesem Gebiet klargestellt hat.

Erfahrungen in der Praxis haben allerdings gezeigt, dass Kinder (selbst nach Misshandlung oder Missbrauch) meist nicht bereit sind, sich freiwillig von der oftmals einzigen Bezugsperson zu trennen, selbst wenn diese Trennung objektiv der einzige Weg ist, um sie vor weiteren Schädigungen zu bewahren. Gerade in diesen Fällen ist eine angemessene zwangsweise Durchsetzung unbedingt erforderlich. Die österreichischen Pflegschaftsgerichte sind mit einer Vielzahl solch schwieriger Fälle konfrontiert und bewältigen ihre Aufgaben in der Regel vorbildlich. Dass im vorliegenden Fall die konkrete Vorgehensweise abzulehnen ist, habe ich gegenüber den Medien ebenfalls bereits klargestellt.

Aus diesem Grund habe ich umgehend eine Expertenkommission eingesetzt, der unter anderem der bekannte Wiener Psychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich sowie Vertreter der Richterschaft, der Rechtsanwaltschaft, der Jugendwohlfahrtsträger und der Kinder- und Jugendanwaltschaft angehören werden.

Diese Expertenkommission soll Strategien und Maßnahmen entwickeln, um Ausnahmesituationen wie im Fall des minderjährigen Christian W. in Zukunft zu vermeiden. Konkrete Vorschläge, wie etwa die Beiziehung des zuständigen Richters bei einer bevorstehenden Kindesabnahme, werden in diesem Forum diskutiert werden. Weiters sollen in jedem Oberlandesgerichtssprengel Gerichtsbedienstete für spezielle Aufgaben, wie etwa eine Kindesabnahme, besonders - vor allem psychologisch – ausgebildet und geschult werden. Diese und weitere Vorschläge werden im Rahmen der Expertenkommission, deren erste Sitzung noch in diesem Monat stattfinden wird, erörtert und auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden.

Selbstverständlich werden die Vorgänge in Salzburg auch im Rahmen der Dienstaufsicht verfolgt werden. Die zuständigen Dienstbehörden nehmen diesen Fall sehr ernst und haben sofort eine Untersuchung eingeleitet. Zu diesem Zweck forderte das Oberlandesgericht Linz umgehend einen Bericht an. Das vorhandene Bild- und Tonmaterial wurde beigeschafft. Erst nach eingehender Prüfung sämtlicher Informationen kann beurteilt werden, ob und allenfalls welche dienstaufsichtsbehördlichen bzw. disziplinären Maßnahmen gegen die beteiligten Gerichtsorgane gesetzt werden.

Mit dem mit 1. Jänner 2005 in Kraft tretenden neuen Außerstreitgesetz wird es zu einer verstärkten Einbeziehung Minderjähriger auch in Obsorgeverfahren kommen. So sind gemäß § 105 des neuen Außerstreitgesetzes Minderjährige über 10 Jahre nunmehr grundsätzlich immer vom Gericht anzuhören, jüngere Minderjährige können auch durch Sachverständige oder den Jugendwohlfahrtsträger angehört werden. Die Frage der Vollstreckung von Obsorgeentscheidungen wurde im Zuge der Ausarbeitung des neuen Außerstreitgesetzes eingehend diskutiert und nunmehr die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze fortentwickelt. So legt § 110 Abs. 1 des neuen Außerstreitgesetzes fest, dass im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung der Obsorge oder des Rechts auf persönlichen Verkehr eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung ausgeschlossen ist. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen angemessene Zwangsmittel anzuordnen, kann jedoch von der Fortsetzung der Durchsetzung auch von Amts wegen (nur) absehen, wenn und solange sie das Wohl des Minderjährigen gefährdet (Abs. 3). Abs. 4 legt fest, dass das Gericht bei der Durchsetzung den Jugendwohlfahrtsträger oder die Jugendgerichtshilfe um Unterstützung ersuchen und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beiziehen kann. Unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der gerichtlichen Regelung darf jedoch ausschließlich durch Gerichtsorgane ausgeübt werden (Frage 4).

Diese Regelungen des neuen Außerstreitgesetzes stellen zweifellos einen weiteren Schritt in die richtige Richtung dar. Im Rahmen der Expertenkommission werden jedoch zusätzliche Verbesserungsvorschläge zu erörtern sein, damit Eskalationen wie im Fall des minderjährigen Christian W. in Zukunft nicht mehr möglich sind.

 

. März 2004

 

(Dr. Dieter Böhmdorfer)