1368/AB XXII. GP

Eingelangt am 26.03.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für auswärtige Angelegenheiten

 

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten Dr. Caspar Einem, Kolleginnen und Kollegen haben am 27. Jänner 2004 unter
der Nummer 1337/J-NR/2004 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend
Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Frage 1:

Die österreichische Position gestaltet sich in dieser Frage auf der Grundlage der Schlussfolgerungen
der Europäischen Räte. Der Europäische Rat von Helsinki befand im Dezember 1999, dass die
Türkei ein beitrittswilliges Land sei, „das auf der Grundlage derselben Kriterien, die auch für die
übrigen beitrittswilligen Länder gelten, Mitglied der Union werden soll." Der Europäische Rat von
Kopenhagen 2002 beschloss, Ende 2004 auf Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der
Europäischen Kommission, welche spätestens im Oktober dieses Jahres dem Rat übermittelt
werden, über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu entscheiden. Ferner heißt es in den
Schlussfolgerungen von Kopenhagen, dass Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ohne Verzug
(„without delay") aufgenommen werden, sollte der Europäische Rat einen diesbezüglichen
grundsätzlichen Beschluss fassen.

Entscheidend wird die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen durch die Türkei sein,
wie das Vorhandensein institutioneller Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche
Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von
Minderheiten.

Der letzte Fortschrittsbericht und die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel vom
Dezember 2003 anerkennen zwar die Reformbestrebungen der türkischen Regierung in diesem


Bereich, zeigen aber auch klar auf, dass die politischen Kriterien nicht in vollem Umfang erfüllt
sind. Angeführt sind auch jene Bereiche, in welchen noch Handlungsbedarf besteht. Des weiteren
wird auf die notwendige aktive und glaubwürdige Unterstützung des Generalsekretärs der Vereinten
Nationen durch die Türkei um eine Lösung der Zypernfrage verwiesen..

Auf österreichische Initiative wurde in die Ratsschlussfolgerungen vom Dezember 2003
aufgenommen, dass die Türkei makroökonomische Ungleichgewichte und strukturelle Schwächen
überwinden muss. Die Erfüllung wirtschaftlicher Kriterien ist nicht Voraussetzung für die
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen . Es sollte aus unserer Sicht aber vor der Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen absehbar sein, dass die Türkei später in der Lage sein wird, auch diese
Kriterien zu erfüllen.

Frage 2:

Schlussfolgerungen des Europäischen Rats werden im Namen der jeweiligen Präsidentschaft
erstellt. Sie unterliegen keinem Abstimmungsvorgang.

Frage 3:

Weder habe ich informelle Zusagen gegenüber Vertretern der Türkei abgegeben, noch ist mir dies
von anderen Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung bekannt.

Frage 4:

Im Gegensatz zur Türkei liegt für Kroatien bis dato noch keine Stellungnahme der Europäischen
Kommission zum EU-Beitrittsantrag vor, der am 21. Februar 2003 eingereicht wurde. Entsprechend
den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 12. Dezember 2003 soll die Stellungnahme
der Europäischen Kommission im Laufe dieses Frühjahres vorgelegt werden, wovon das weitere
Beitrittsverfahren abhängen wird. Es liegt am Europäischen Rat, die Entscheidung über die
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu treffen. Ausschlaggebend für die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen ist in beiden Fällen vor allem die Erfüllung der politischen Kriterien von
Kopenhagen. Aus österreichischer Sicht besteht aus Gründen der geographischen Nähe und der
intensiven Wirtschaftsverflechtung ein besonderes Interesse an der Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Österreich exportiert nach Kroatien mit knapp 5 Millionen
Einwohnern etwa doppelt so viel wie in die Türkei mit 65 Millionen Einwohnern. Die
österreichischen Direktinvestitionen in der Türkei summierten sich bis 2001 auf 157 Millionen US-
Dollar, nach Kroatien waren bis 2001 bereits insgesamt 2,3 Milliarden US-Dollar an
österreichischen Direktinvestitionen geflossen.


Frage 5:

Was die wirtschaftliche Situation betrifft, so zeigen die wichtigsten makroökonomischen
Indikatoren für die beiden Länder folgendes Bild:

 

 

2000

2001

2002

Kroatien

Türkei

Kroatien

Türkei

Kroatien

Türkei

BIP/Kopf*

4093

2700

4439

2400

4815

2800

Wirtschafts-
wachstum

3,7

7,4

4,5

-7,5

 

7,8

Inflationsrate

7,4

54,9

2,6

54,4

2,2

45

Arbeitslosig-
keit

22,3

6,6

23,1

8,5

21,5

10,4

Staatsver-
schuldung in
% des BIP

53,1

58

53

105

57,5

95

* Angaben für Kroatien in US-Dollar, für Türkei in Euro (Wechselkurs 2000-2002 schwankend
zwischen 0,9 und 1,1)

Quellen:

         für Kroatien aus 1. und 2. Jahresbericht der EK über den Stabilisierungs- und
Assoziierungsprozess (2002/2003) sowie Wirtschaftsbericht der WKÖ;

         für Türkei: statistischer Anhang des Fortschrittsberichtes der Europäischen Kommission
2003

In politischer und rechts-staatlicher Hinsicht haben in beiden Staaten in jüngerer Zeit demokratische
Wahlen und wichtige Reformen stattgefunden . Im Laufe des Jahres wird die Europäische
Kommission Berichte vorlegen, auf deren Basis eine aktuelle Wertung möglich sein wird.

Frage 6:

Soweit es hier um eine Bewertung des außenpolitischen Handelns Österreichs geht, muss man
berücksichtigen, dass Österreich in dieser Frage bereits zwei wesentliche Fakten vorfand, als es
1995 der EU beitrat: das Assoziationsabkommen aus dem Jahr 1963, das der Türkei erstmals die


Perspektive einer EU-Mitgliedschaft eröffnet hatte, und die politischen und wirtschaftlichen
Beitrittskriterien von Kopenhagen aus 1993, durch die für das Beitrittsverfahren eine objektive
Grundlage geschaffen worden war.

Frage 7:

Verwiesen wird auf die Anfragebeantwortung zu Frage 6. Das Ergebnis der Bemühungen der
Türkei, die Beitrittskriterien voll zu erfüllen, ist derzeit nicht abzusehen. Daher besteht keine
Notwendigkeit, Initiativen zu ergreifen, um „einer allenfalls außenpolitisch folgenreichen
Enttäuschung" vorzubeugen.

Frage 8:

Laut Aussagen des türkischen Premierministers Erdogan im Juni 2003 würde die Türkei auch in
diesem Falle ihre Bemühungen um eine weitere Annäherung an die EU fortsetzen. Entscheidend
sind, wie schon unter Frage 7 ausgeführt, die Bemühungen der Türkei zur Erreichung von EU-
Standards.

Zu Frage 9:

Es liegt in der Verantwortung des Europäischen Rates, auf der Grundlage einer Stellungnahme der
Kommission über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu entscheiden. Dabei ist die
Rücksichtnahme auf den Willen der Bevölkerungen doppelt abgesichert. Zum einen besteht der
Europäische Rat aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten, die demokratisch legitimiert
sind; zum anderen bedarf der Beitritt der Zustimmung des Europäischen als auch aller nationalen
Parlamente.

Frage 10:

Nein.

Frage 11:

Im Zusammenhang mit der aktuellen Erweiterungsrunde gibt es eine Informationskampagne der
Bundesregierung unter dem Motto „Wir erweitern unsere Chancen". Diese Kampagne startete im
Jahr 2002, als die Beitrittsverhandlungen mit den jetzigen Beitrittsländern bereits so weit
fortgeschritten waren, dass sich ein konkreter Beitrittstermin abzeichnete. Da es derzeit keine
Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gibt, bestehen
gegenwärtig auch keine konkreten Pläne der Bundesregierung für eine Informationskampagne.


Frage 12:

Die vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, die neben den politischen auch
wirtschaftliche Aspekte umfassen, ist Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft jedes einzelnen
Beitrittskandidaten. Dies gilt auch für die Türkei.

Frage 13:

Wie oben bereits ausgeführt, erfüllt die Türkei derzeit die Kopenhagener Kriterien nicht. Im
Bereich der politischen Kriterien geht es vor allem um eine glaubwürdige und nachvollziehbare
Implementierung der Gesetzesreformen. Konkret bedeutet dies die Stärkung der Unabhängigkeit
und Verbesserung der Arbeitsweise der Justiz, die vollständige Entwicklung des Gesamtrahmens
für die Gewährung der Grundfreiheiten nach europäischen Maßstäben, eine weitere Angleichung
der Beziehungen zwischen Zivilsphäre und Militär an die europäische Praxis, die Verbesserung der
Lage im Südosten und die nach-vollziehbare Gewährleistung kultureller Rechte für alle türkischen
Bürger unabhängig von ihrer Herkunft nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Alltag.
Notwendig ist auch die aktive und glaubwürdige Unterstützung des Generalsekretärs der Vereinten
Nationen um eine Lösung der Zypernfrage. Auf österreichische Initiative wurde in die
Ratsschlussfolgerungen auch aufgenommen, dass die Türkei makroökonomische Ungleichgewichte
und strukturelle Schwächen überwinden muss. In diesem Zusammenhang hat Österreich übrigens
auch eine Beurteilung der Kommission betreffend die zu erwartenden Kosten einer allfälligen
Mitgliedschaft der Türkei angeregt. Es gibt unter den Kopenhagener Kriterien ein viertes:
Aufrechterhaltung der Fähigkeit der Union, neue Mitglieder unter Beibehaltung der
Geschwindigkeit der europäischen Integration aufzunehmen. Hinsichtlich näherer Details darf auf
die jährlichen Fortschrittsberichte der EK zur Türkei verwiesen werden, die über Internet abrufbar
sind.

Frage 14:

Österreich beurteilt jedes beitrittswillige Land nach seinen individuellen Fortschritten bei der
Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, so auch Kroatien. Österreich trat in der Vergangenheit dafür
ein, dass Kroatien nicht im Vergleich zu den am 1. Mai 2004 beitretenden Ländern schlechter
gestellt wird. Es wird auf die Beantwortung zu Frage 4 verwiesen.

Frage 15:

Ich verweise auf meine Beantwortung zu Frage 4.


Frage 16:

Gem. Artikel 49 des EU-Vertrages, kann jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1
genannten Grundsätze achtet, beantragen, Mitglied der Union zu werden. Er richtet seinen Antrag
an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung
des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Maßstab
für die Erfüllung der erforderlichen EU-Standards sind die vom Europäischen Rat Kopenhagen
1993 beschlossenen Kriterien.