1402/AB XXII. GP
Eingelangt am 02.04.2004
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Anfragebeantwortung
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
7095/1-Pr
1/2004
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1397/J-NR/2004
Die Abgeordneten zum Nationalrat Sabine Mandak, Kolleginnen und
Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Obsorgestreit und
den Umgang mit Kindern bei der Überstellung von einem Elternteil zum anderen“
gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Vorbemerkung:
Die Bilder der Übergabe des minderjährigen
Christian W. als Höhepunkt eines Obsorgestreits zwischen dessen Eltern haben
mich ebenso wie viele andere Menschen in Österreich innerlich tief bewegt und
alarmiert. Aus diesem Grund habe ich umgehend Maßnahmen angeordnet, um
derartige Eskalationen in Zukunft zu vermeiden.
Zu 1 bis 6:
Zunächst möchte ich meine bereits gegenüber den Medien geäußerte
Überzeugung unterstreichen, dass es bei einer Kindesabnahme keinesfalls zur
Gewaltanwendung gegen das Kind kommen darf. Gleichzeitig muss jedoch auch die
Notwendigkeit, gerichtliche Entscheidungen - wie etwa jene, welchem Elternteil
die Obsorge über ein Kind zukommen soll - durchsetzen zu können, betont werden.
Obsorgeentscheidungen werden im Interesse der betroffenen Kinder, vielfach
sogar zu ihrem Schutz getroffen. Wenn man sich (nicht selten vorkommende) Fälle
vor Augen führt, in denen ein Kind bei einem Elternteil einer konkreten
Gefährdung (etwa durch Missbrauch) ausgesetzt ist, wird deutlich, dass die
rasche Durchsetzung einer Obsorgeentscheidung durch Abnahme des Kindes zu
dessen Schutz möglich sein muss; dies erforderlichenfalls auch mit angemessenen
Zwangsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang muss ich auch darauf hinweisen, dass
eine Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in einem vergleichbaren Fall, in dem eine Kindesabnahme
unterblieb, die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs auf diesem Gebiet
klargestellt hat.
Erfahrungen in der Praxis haben allerdings gezeigt, dass Kinder (selbst
nach Misshandlung oder Missbrauch) meist nicht bereit sind, sich freiwillig von
der oftmals einzigen Bezugsperson zu trennen, selbst wenn diese Trennung
objektiv der einzige Weg ist, um sie vor weiteren Schädigungen zu bewahren.
Gerade in diesen Fällen ist eine angemessene zwangsweise Durchsetzung unbedingt
erforderlich. Die österreichischen Pflegschaftsgerichte sind mit einer Vielzahl
solch schwieriger Fälle konfrontiert und bewältigen ihre Aufgaben in der Regel
vorbildlich. Obwohl über Abnahmen von Kindern auch die Gerichte keine
Statistiken führen, lässt sich sagen, dass dies äußerst selten angewandt wird.
Dass im vorliegenden Fall über das Ziel hinausgeschossen wurde und die konkrete
Vorgehensweise abzulehnen ist, habe ich gegenüber den Medien ebenfalls bereits
klargestellt.
Aus diesem Grund habe ich umgehend eine Expertenkommission eingesetzt,
der unter anderem der bekannte Wiener Psychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich
sowie Vertreter der Richterschaft, der Jugendwohlfahrtsträger und der Kinder-
und Jugendanwaltschaft angehören werden.
Ziel der Arbeit dieser Expertenkommission soll es sein,
Ausnahmesituationen wie im Fall des minderjährigen Christian W. in Zukunft zu
vermeiden. Konkrete Vorschläge, wie etwa die Beiziehung des zuständigen
Richters bei einer bevorstehenden Kindesabnahme werden in diesem Forum
diskutiert werden. Weiters sollen in jedem Oberlandesgerichtssprengel
Gerichtsbedienstete für spezielle Aufgaben wie etwa eine Kindesabnahme besonders
- vor allem psychologisch – ausgebildet und geschult werden. Auch eine
allfällige Einbindung der Kinder- und Jugendanwaltschaften ist überlegenswert.
Diese und weitere Vorschläge werden im Rahmen der Expertenkommission, die
bereits am 26. Februar und 22. März 2004 getagt hat, erörtert und auf ihre
Umsetzbarkeit geprüft.
Selbstverständlich werden die Vorgänge in Salzburg auch im Rahmen der
Dienstaufsicht verfolgt werden. Die zuständigen Dienstbehörden nehmen diesen
Fall sehr ernst und haben sofort eine Untersuchung eingeleitet. Zu diesem Zweck
forderte das Oberlandesgericht Linz umgehend einen Bericht an. Das vorhandene Bild- und Tonmaterial
wurde beigeschafft. Eine Sachverhaltsmitteilung auf Basis der eingeholten
Berichte wurde der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Justiz und
dem zuständige Disziplinargericht zugeleitet. Erst nach eingehender Prüfung
sämtlicher Informationen kann beurteilt werden, ob und allenfalls welche
dienstaufsichtsbehördlichen bzw. disziplinären Maßnahmen gegen die beteiligten
Gerichtsorgane gesetzt werden.
Mit dem mit 1. Jänner 2005 in Kraft tretenden neuen Außerstreitgesetz
wird es zu einer verstärkten Einbeziehung Minderjähriger auch in
Obsorgeverfahren kommen. So sind gemäß § 105 des neuen Außerstreitgesetzes
Minderjährige über 10 Jahre nunmehr grundsätzlich immer vom Gericht anzuhören,
jüngere Minderjährige können auch durch Sachverständige oder den
Jugendwohlfahrtsträger angehört werden. Die Frage der Vollstreckung von
Obsorgeentscheidungen wurde im Zuge der Ausarbeitung des neuen
Außerstreitgesetzes eingehend diskutiert und nunmehr die von der Rechtsprechung
entwickelten Grundsätze fortentwickelt. So legt § 110 Abs. 1 des
neuen Außerstreitgesetzes fest, dass im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung
einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung der Obsorge oder des
Rechts auf persönlichen Verkehr eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung
ausgeschlossen ist. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen angemessene
Zwangsmittel anzuordnen, kann jedoch von der Fortsetzung der Durchsetzung auch
von Amts wegen (nur) absehen, wenn und solange sie das Wohl des Minderjährigen
gefährdet (Abs. 3). Abs. 4 legt fest, dass das Gericht bei der Durchsetzung den
Jugendwohlfahrtsträger oder die Jugendgerichtshilfe um Unterstützung ersuchen
und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beiziehen kann.
Unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der gerichtlichen Regelung darf jedoch
ausschließlich durch Gerichtsorgane ausgeübt werden.
Die diesbezüglichen Regelungen des neuen Außerstreitgesetzes stellen
zweifellos einen weiteren Schritt in die richtige Richtung dar. Im Rahmen der
Expertenkommission werden jedoch zusätzliche Verbesserungsvorschläge zu
erörtern sein, damit Szenen wie im Fall des minderjährigen Christian W. in
Zukunft nicht mehr möglich sind.
. März 2004
(Dr. Dieter Böhmdorfer)