1509/AB XXII. GP
Eingelangt am 23.04.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundesministerium für Inneres
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum
Nationalrat Parnigoni und GenossInnen haben unter der
Nr. 1512/J an den Bundesminister für
Inneres eine schriftliche parlamentarische Anfrage
betreffend „europaweiter
Geheimdienst" gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich aufgrund der
mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Zu Frage 1
Wenn
man Terror-Anschläge verhindern will, ist ein rechtzeitiges und umfassendes
Lagebild
über mögliche Gefahren entscheidend. Daher
müssen die dafür erforderlichen Informationen
auf EU-Ebene besser vernetzt werden. Mit der beim Jl-Rat am 19.2.2004
eingebrachten Ini-
tiative, sollte der dafür notwendige
Diskussionsprozess in der Union in Gang gesetzt werden.
Ziel war es, erste Schritte auf dem Weg zur Umsetzung des mittel- bis
langfristigen Projekts
eines europäischen Nachrichtendienstes zustande zu bringen, vor allem durch
eine bessere
Koordination und die Einrichtung einer nachrichtendienstlichen Zelle auf
EU-Ebene.
Dieses
Ziel wurde voll erreicht: In seiner Erklärung vom 25./26.3.2004 unterstreicht
der Eu-
ropäische Rat die Bedeutung einer effizienteren nachrichtendienstlichen
Zusammenarbeit
und einer verbesserten Gefahrenabschätzung. Er ruft die Mitgliedstaaten auf,
die ent-
sprechenden Kooperationsmechanismen zu verbessern. Gleichzeitig wurde ein
Terrorismus-
koordinator bestellt, der alle
EU-Instrumente im Auge behalten und dem Rat regelmäßig be-
richten soll.
Zudem
unterstützt der ER die Bestrebungen von GS/HV Solana, eine „nach-
richtendienstliche Kapazität" für alle
Aspekte der terroristischen Bedrohung in das Ratssekre-
tariat einzugliedern. Die
österreichische Initiative kann somit als sehr erfolgreich bewertet
werden.
Zu Frage 2
Der Vorschlag wurde beim Rat Justiz und
Inneres am 19.2.2004 eingebracht.
Zu Frage 3
Das in den Rat eingebrachte Diskussionspapier hat im
generellen Bereich und im Bereich
Terrorismus folgenden
Wortlaut:
Der
Europäische Rat in Brüssel hat am 12.12.2003 die von Generalsekretär Solana
vorge-
legte Sicherheitsstrategie „Ein sicheres Europa in einer sicheren Welt"
angenommen.
Die „Solana-Strategie" basiert auf
einer gegenüber dem traditionellen, von militärischen
Komponenten dominierten Bedrohungsbild
veränderten Wahrnehmung des Sicherheits-
umfeldes und der neuen globalen Herausforderungen und Bedrohungen:
Terrorismus, OK, Proliferation von
Massenvernichtungswaffen, sind - unterstützt von neuen
Technologien - wesentliche Bedrohungen für die Sicherheitsstrukturen der
Staaten und da-
mit der Internationalen Ordnung.
Auf
dieses geänderte Bedrohungsbild gilt es nunmehr adäquate Antworten zu finden.
Gefordert ist die Schaffung neuer,
flexibler multidisziplinärer Instrumente, die die Möglichkei-
ten von Militär, Diplomatie und Innerer Sicherheitsapparate optimal zum
tragen bringen.
In dieser Aufgabenstellung sind die
Innenminister verstärkt in der Diskussion gefordert. Wir
müssen uns die Frage stellen, welchen Beitrag wir zur Umsetzung der
Schwerpunkte der
Solana-Strategie, die mit Terrorismus und OK wesentliche Tätigkeitsfelder
unseres Berei-
ches betreffen, konkret leisten können.
Das vorliegende Papier geht daher systematisch vom
jeweiligen strategischen Ansatz des
Solana-Papiers
aus und versucht jeweils Denkansätze betreffend Überlegungen für konkrete
Maßnahmen zu formulieren,
die die Arbeit in den entsprechenden Ratsarbeitsgruppen, Art.
36- und Jl-Räten für die kommenden Jahre systematischen bestimmen sollen.
Damit soll für den Bereich Inneres einerseits inhaltlich
die systematische Umsetzung der
Solana-Strategie
vorbereitet und in die Überlegungen um ein künftiges „Tampere 2" einflie-
ßen.
Operationen
soll der Jl-Rat durch regelmäßige aktuelle Lagebilder (Terrorismus, OK; Gren-
zen) zu einem zentralen Steuerungsinstrument
der Europäischen Inneren Sicherheitspolitik
ausgebaut werden und auf die wirklichen, aktuellen und bürgernahen
Bedrohungen unmittel-
bar reagieren können.
Terrorismus:
•
Die im Solana-Papier skizzierten Herausforderungen und
Bedrohungen erfordern eine
gesamteuropäische
Vernetzung, Auswertung und Analyse nachrichtendienstlicher und
sonstiger Erkenntnisse.
•
Die Erfahrungen während der Irak-Krise und der zuletzt
erfolgten EU-weiten Briefbom-
benserie erscheint
eine Informationsvernetzung sowie ein akkordiertes Vorgehen mehr
denn je als notwendig.
•
Diese
Vernetzung würde die Voraussetzung für die Entwicklung einer gesamteuropäi-
schen Strategie insbesondere in
Schlüsselbereichen der EU-Sicherheit wie in der Terror-
bekämpfung und Proliferation schaffen.
•
Ein
solches Forum einer nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung und -
aufbereitung existiert derzeit nicht; bis dato besteht eine solche Vernetzung
rudimentär
im militärischen Bereich der ESVP.
•
Daher wäre die Schaffung einer EUROPEAN INTELLIGENCE
AGENCY (EIA) als euro-
päischer
Nachrichtendienst ohne polizeiliche Befugnisse unter Einbindung aller EU-
Mitgliedstaaten notwendig.
•
Die Europäischen Intelligence Agency soll in Form eines
Analyse- und Lagezentrums mit
Schwerpunkten in den
Bereichen Terrorismus und Proliferation arbeiten.
•
Potentielle
Bedrohungen für einen gemeinsamen Raum der (EU)-Sicherheit sollen be-
reits im Vorfeld erkannt und beurteilt
werden, um eine effektive Prävention zu gewährleis-
ten.
•
Zu den Hauptaufgaben zählen die Erstellung von
Lagebeurteilungen, die von Relevanz
für die europäische Sicherheit, die institutionalisierte Sicherheit der EU, den
europäi-
schen Rüstungssektor
(u.a. Europäische Rüstungsagentur) und die Wirtschaft sind und
als wesentliche Grundlage zum Setzen von
gemeinsamen und akkordierten Maßnahmen
dienen.
•
Gefährdungseinschätzungen für die Institutionen und ihre
Exponenten sollen erstellt wer-
den;
diese wären dann für die konkreten Personen- und Objektschutzmaßnahmen he-
ranzuziehen. Als
aktuelles Beispiel ist hier die EU-weite unkoordinierte Vorgangsweise
im Zuge der italienischen Briefbomben-Causa zu nennen.
•
Die
Erstellung und Analyse von Lagebilder durch die European Intelligence Agency
soll
ebenfalls als Entscheidungsgrundlage für Einsätze einer europäischen
Polizeitruppe für
Missionen außerhalb des EU-Raumes dienen.
•
Der Ausbau dieser Agency soll stufenweise erfolgen und
durch die Schaffung einer euro-
päischen
Analysekapazität für Schlüsselbereiche europäischer Sicherheit initiiert
werden.
•
Der Mehrwert der EIA im Vergleich zu EUROPOL bzw. SIT-CEN
(SOLANA Situation
Center) ist, dass die
für Lagebilder zu verarbeitende Information von der Agency selbst
aufgebracht wird und durch zusätzliche Informationen der nationalen
Sicherheits- und
Nachrichtendienste aufgewertet werden kann.
•
Die inhaltliche als auch technische Vernetzung der
Informationen könnte als „Best Practi-
ce" aus bereits
bestehenden nachrichtendienstlichen und polizeilichen Foren erfolgen.
Auf
dieser Grundlage habe ich den österreichischen Vorschlag beim Rat als mittel-
bis lang-
fristiges Projekt erläutert und konkrete
Schritte für eine verbesserte Informationsvernetzung
gefordert, wie sie mittlerweile von der Europäischen Union beschlossen
wurden.
Zu Frage 4
Wie bei allen Jl-Räten, gab es auch diesmal im Vorfeld
einen ausführlichen interministeriel-
len Koordinationsprozess.
Zu Frage 5
In diesem Zusammenhang verweise ich auf
Punkt 3.
Zu den Fragen 6 und 7.
Bei
diesem Vorschlag handelt es sich nicht um eine konkrete Ausgestaltung, sondern
um
einen Denkanstoss zur Schaffung einer EIA. Selbstverständlich wird bei einer
weiteren Kon-
kretisierung ein umfassender Rechtsschutz berücksichtigt werden.
Zu den Fragen 8 und 9
Generalsekretär
Solana wurde am Europäischen Rat vom 25.-26.03.2004 aufgefordert bis
Ende Juni 2004 Vorschläge bzgl. der Eingliederung einer nachrichtendienstlichen
Kapazität
- inklusive Vernetzung, Auswertung und
Analyse - für alle Aspekte der terroristischen Be-
drohung im Ratssekretariat der Europäischen Union vorzulegen. Entsprechend der
Ergeb-
nisse könnte es zu einer Verstärkung
der Zusammenarbeit im polizeilichen und nachrichten-
dienstlichen Bereich kommen.
Zu Frage 10
Beim
dem aufgrund der Anschläge vom 11.3.2004 einberufenen Sonderrat der Justiz- und
Innenminister am 19.3.2004 wurden konkrete Maßnahmen zu einer verbesserten
Vernet-
zung im nachrichtendienstlichen Bereich
erörtert, genau so, wie es mit der österreichischen
Initiative beabsichtigt war. Der Europäische Rat vom 25.-26.03.2004 hat
infolge dessen die
Schaffung eines Terrorismus-Koordinators
beschlossen sowie Generalsekretär Solana gebe-
ten, bis Juni 2004 Vorschläge bzgl.
der Eingliederung einer nachrichtendienstlichen Kapazi-
tät für alle Aspekte der
terroristischen Bedrohung im Ratssekretariat der Europäischen Union
vorzulegen. Österreich wird sich
aktiv an der Umsetzung dieser Maßnahmen beteiligen, die
voll den Intentionen des österreichischen Vorschlags vom Februar 2004
entsprechen. Die
Richtigkeit der österreichischen Initiative wurde durch die furchtbaren
Anschläge in Madrid
vom 11. März 2004 in tragischer Weise bestätigt.