1624/AB XXII. GP
Eingelangt am 02.06.2004
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BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Anfragebeantwortung
GZ
10.000/85-III/4a/04
Herrn
Präsidenten des Nationalrates
Univ.- Prof. Dr. Andreas Khol
Parlament
1017 Wien
Wien, Juni 2004
Die schriftliche
parlamentarische Anfrage Nr. 1645/J-NR/2004 betreffend Doktoratstitel – „…eines akademischen Grades
unwürdig“ (Reichsgesetzblatt I, 7. Juni 1939), die die
Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen am 2. April 2004
an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:
Ad 1.:
Rechtsgrundlage für die Entziehung an allen
Universitäten im damaligen Deutschen Reich waren das „Gesetz über die Führung
akademischer Grade“ vom 7. Juni 1939 (RGBl I, S. 985) sowie eine
Durchführungsverordnung dazu vom 21. Juli 1939 (RGBl I, S. 1326). Gemäß § 4
Abs. 1 lit. b leg. cit. konnte ein von einer deutschen staatlichen Hochschule
verliehener akademischer Grad von der Hochschule, die den Grad verliehen hat,
entzogen werden, wenn „sich nachträglich herausstellt“, dass der Inhaber der
Verleihung eines akademischen Grades „unwürdig war". Nach § 3 der Durchführungsverordnung
hatte über die Entziehung ein Ausschuss der jeweiligen Hochschule zu bestimmen,
"der aus dem Rektor der Hochschule und den Dekanen besteht".
Diese Entziehung erfolgte in einem
formalisierten Verfahren, wobei im Falle des Verlusts der Staatsbürgerschaft
auf Grund der so genannten „Ausbürgerungslisten“, die im Deutschen
Reichsanzeiger verlautbart wurden, das Berliner Reichsministerium für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in jedem Einzelfall den Auftrag an die
jeweilige Hochschule erteilte, „hinsichtlich der Entziehung des Dr.-Titels das
Weitere zu veranlassen“. Die Aberkennung wurde wieder im Deutschen
Reichsanzeiger verlautbart.
Ad 2. und 3.:
Durch die Verordnung des österreichischen
Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und
Erziehung und für Kultusangelegenheiten über die Führung akademischer Grade
(StGBl. 78/45) vom 9. Juli 1945 wurde die rechtliche Möglichkeit der
neuerlichen Verleihung von akademischen Graden geschaffen. § 4 dieser
Verordnung lautete: "Personen, denen ein akademischer Grad in der Zeit vom
13. März 1938 bis zur Befreiung Österreichs aus ausschließlich politischen
Gründen aberkannt wurde, kann die Hochschule, die diesen Grad verliehen hatte,
den akademischen Grad rückwirkend vom Tage der Aberkennung ohne weitere
Voraussetzungen neuerlich verleihen." Nach dieser
Rechtsüberleitungskonstruktion war die Entziehung der akademischen Grade nicht
automatisch mit dem Wegfall des NS-Rechtssystems weggefallen, sondern es musste
im Einzelfall die neuerliche Verleihung rückwirkend vom Tag der Aberkennung von
der entsprechenden Hochschule ausgesprochen werden.
Ad 4. bis 8.:
Festgestellt wird, dass mit der gegenständlichen
parlamentarischen Anfrage jene Universitäten
befasst wurden, deren Vorgänger bereits in der Zeit zwischen 1938 und 1945
bestanden. Aufgrund der Stellungnahmen dieser Universitäten wird zu diesen
Anfragepunkten wie folgt Stellung genommen:
Universität Wien:
An der Universität Wien wurden in mindestens
200 Fällen Doktorate aberkannt, wobei darüber keine exakten statistischen
Aufzeichnungen bestehen.
Die Universität Wien hat mit Beschluss des
Akademischen Senates vom 21. Juli 1945 mit der
Wiederverleihung akademischer Grade im Einzelfall begonnen und eine Liste von
195 Namen Betroffener erstellt. Diese Liste war aber nach heutigem Wissensstand
unvollständig. Erst 1955
beschloss der Akademische Senat der Universität Wien „den akademischen Grad rückwirkend
vom Tage der Aberkennung wiederzuverleihen“, sofern die Entziehung von
Doktortiteln infolge einer Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft oder
aus politischen Gründen erfolgte und hat dabei 181 Personen namentlich
angeführt. Eine Liste mit weiteren 32 Namen blieb dabei unberücksichtigt –
unter ihnen prominente vertriebene Absolventen der Universität Wien wie Bruno
Bettelheim,
Albert Fuchs, Alfons Rothschild und Stefan Zweig.
Der Senat (UOG 93), der Rektor, die
Vizerektoren, die Dekane und Studiendekane der Universität Wien haben deshalb
im April 2003 festgehalten, „generell sämtliche Aberkennungen von akademischen
Graden durch die Universität Wien aus politischen Gründen zur Zeit des
Nationalsozialismus
für nichtig zu erklären“ und beschlossen
„einen entsprechenden Vermerk in den Promotionsprotokollen der Universität Wien
vorzunehmen.“
Eine umfassende historische Aufarbeitung der
Aberkennungen akademischer Grade steht an der
Universität Wien derzeit noch aus, wesentliche Vorarbeiten haben an der
Universität Wien bereits begonnen. Wem und wie vielen Personen aus welchen
Gründen das Doktorat in der NS-Zeit aberkannt wurde, ist jedoch noch nicht
ausreichend erforscht.
Universität Graz:
An der Universität Graz wurden im Zeitraum zwischen
1938 und 1945 insgesamt 7 Doktorate aberkannt.
An der Universität Graz wurden jedenfalls
die infolge Verurteilungen erfolgten Aberkennungen von Doktoraten in den Jahren
1945 bis 1951 mit drei Ausnahmen, über die keinerlei Erkenntnisse vorliegen, wiederum
verliehen. In diesen drei Fällen wurde weder von den Betroffenen noch von den
Organen der Universität ein Schritt zur Wiederverleihung getan.
Universität Innsbruck:
An der Universität Innsbruck wurden im
Zeitraum zwischen 1938 und 1945 insgesamt 6 Doktorate aberkannt. In den
amtlichen Akten der Universität Innsbruck finden sich keine Hinweise, dass es
nach 1945 zu einer Wiederverleihung gekommen ist.
Technische Universität Wien:
Es konnten 10 Fälle der Aberkennung von
Doktoraten festgestellt werden. In einem Fall wurde auf Ansuchen des
Betreffenden im Jahre 1955 das entzogene Doktorat wieder verliehen.
Technische Universität Graz:
Bisher gab es an der Technischen Universität
Graz keine Erhebungen, wie vielen Personen während des Nationalsozialismus das
Doktorat aus „strafrechtlichen Gründen" aberkannt wurde. Gemäß
Mitteilung der Technischen Universität Graz kann aufgrund der vorhandenen
Unterlagen keine stichhaltige Vermutung oder Hochrechnung angestellt werden.
Nach Durchsicht der an der Techni-
schen Universität Graz vorhandenen Unterlagen bzw. Findbehelfe konnten keine
Absolventen bzw. Absolventinnen der Technischen Universität Graz gefunden
werden, denen das Doktorat aberkannt wurde. Ebenso wurden keine Aufzeichnungen
betreffend Anträge auf Wiederanerkennung oder Ablehnungen von Ansuchen um
Wiederanerkennung von Doktortiteln vorgefunden.
Montanuniversität Leoben:
Die Erhebungen haben ergeben, dass kein
Doktorat aberkannt wurde.
Universität für Bodenkultur Wien:
Die Universität für Bodenkultur Wien teilt
dazu mit, dass über den fraglichen Zeitraum keine Unterlagen vorliegen. Nach
Angaben von Zeitzeugen wurden sämtliche Unterlagen aus der NS-Zeit kurz vor
Kriegsende vernichtet. Die Universität für Bodenkultur Wien ist sich jedoch der
Problematik der damaligen Ereignisse bewusst und wird daher versuchen, im Sinne
der parlamentarischen Anfrage entsprechende Erhebungen durchzuführen.
Veterinärmedizinische Universität Wien:
In der fraglichen Zeit wurden fünf Doktorate
aberkannt. Zwei Doktorate wurden wieder verliehen.
Wirtschaftsuniversität Wien:
Von der Wirtschaftsuniversität Wien wurde
mitgeteilt, dass es in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war, die
Fragen zu beantworten, da dafür eine längere Recherche im Archiv notwendig ist.
Ad 9.:
Nein, es sind keine Fälle bekannt, in denen
ein Ansuchen um Wiederanerkennung abgelehnt wurde.
Ad 10.:
Der Widerruf akademischer Grade, somit auch
von Doktorgraden, ist in § 89 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002
geregelt. Demnach ist der Bescheid über die Verleihung des akademischen Grades
aufzuheben und einzuziehen, wenn sich nachträglich ergibt, dass der akademische
Grad insbesondere durch gefälschte Zeugnisse erschlichen worden ist.
Ad 11.:
In § 87 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002 ist
vorgesehen, dass den Absolventinnen und Absolventen der ordentlichen Studien
der akademische Grad durch einen schriftlichen Bescheid zu verleihen ist. Im
Falle der Wiederverleihung eines zu Unrecht aberkannten akademischen Grades ist
diese Bestimmung analog anzuwenden und der akademische Grad wieder zu
verleihen.
Die Bundesministerin: