1674/AB XXII. GP
Eingelangt am 28.06.2004
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für
Justiz
Anfragebeantwortung
DER
BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0009-Pr
1/2004
An den
Herrn
Präsidenten des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1706/J-NR/2004
Die Abgeordneten zum Nationalrat Anton Heinzl, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Überwachung der
Unvereinbarkeiten bei der Tätigkeit von Anwaltskanzleien“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Gemäß § 10 Abs. 1 RAO ist der Rechtsanwalt
verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei
in derselben
oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten
früher als Richter oder als Staatsanwalt tätig war. Ebenso darf er nicht beiden
Teilen in dem nämlichen Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen.
Unter „Vertreten“ im Sinne des § 10 Abs. 1
RAO ist jede anwaltliche Tätigkeit zunächst für und dann gegen die Partei zu
verstehen; es kommt nicht darauf an, ob das Einschreiten jeweils auf Grund
einer Vollmacht geschieht (AnwBl 1993,100). Als Vertretung ist sowohl die
Vertretung in einem Rechtsstreit im Außerstreitverfahren als auch die bloße
Erteilung eines Rates anzusehen (AnwBl 1996,34).
Nach bürgerlichem Recht ist aber die offen
aufgedeckte Doppelvertretung als Vertragsanwalt im Interesse und im Auftrag
mehrerer Personen zulässig. Verboten ist zivilrechtlich - bei entsprechendem
Schuldgehalt, für den in der Regel Fahrlässigkeit genügt - das Tätigwerden bzw.
das Tätigbleiben trotz aufgetauchtem oder erkanntem Interessensgegensatz zwischen
den am Vertragsabschluss beteiligten Personen (vgl. auch §§ 13, 14 RL-BA). So
wird es etwa als unzulässige Doppelvertretung betrachtet, namens einer
Bauherrengemeinschaft auf Zahlung von Baukostenbeiträgen gegen Mitglieder
derselben zu klagen, obwohl der Rechtsanwalt auch den Kauf- und
Wohnungseigentumsvertrag für den Beklagten verfasst hat (AnwBl 1996, 543). Die
unzulässige Doppelvertretung bedeutet in der Erscheinungsform der formellen
Doppelvertretung aber auch das gleichzeitige Tätigwerden eines Rechtsanwaltes
für und gegen dieselbe Partei bei Gericht, auch ohne widerstreitende materielle
Interessenlage (so zB AnwBl 1994,125 und 611). Die Doppelvertretung ist nach
der Rechtsprechung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) ein
schweres Disziplinarvergehen.
Zu 2:
Gemäß § 1 des Disziplinarstatuts für
Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt – BGBl. Nr. 474/1990 idgF) begeht
ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder
inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das
Ansehen des Standes beeinträchtigt, ein Disziplinarvergehen. Die
Doppelvertretung (Verstoß gegen § 10 Abs. 1 RAO) ist nach der Rechtsprechung
der OBDK ein schweres Disziplinardelikt. Bei der Strafzumessung für Doppelvertretung
kommt es jeweils auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an, wobei die
Palette entsprechend dem Schuldgehalt und allfälligen Vorstrafen vom Absehen
der Strafe wegen § 3 DStG bis zu hohen Disziplinarstrafen (Geldbuße bis 45.000
Euro, Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft nach § 16 Abs. 1 DSt)
reichen kann (AnwBl 1994, 123).
Disziplinardelikte werden auf Anzeige oder
von Amts wegen vom Kammeranwalt verfolgt, dessen Funktion derjenigen des
Staatsanwalts vergleichbar ist. Zur Ausübung der Disziplinargewalt ist in
erster Instanz der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer zuständig, bei der
der Beschuldigte zum Zeitpunkt, in dem der Kammeranwalt vom Verdacht eines
Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt, in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen
war (§§ 20 ff DSt). Gegen die Entscheidung des Disziplinarrates stehen
Rechtsmittel an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission offen, die
sich aus Richtern des Obersten Gerichtshofs und Anwaltsrichtern zusammensetzt
(§ 59 ff DSt). Die Mitglieder des Disziplinarrates und der Obersten Berufungs-
und Disziplinarkommission sind bei Ausübung ihres Amtes unabhängig und
weisungsfrei (§§ 14, 64 DSt).
Zu 3:
Die allgemeine Aufsichts- und
Überwachungspflicht trifft die Rechtsanwaltskammern und deren Ausschüsse, denen
die Wahrung der Ehre, des Ansehens, der Rechte und der Unabhängigkeit sowie die
Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes obliegt (§ 23 Abs. 2 RAO).
Auch gemäß § 1 Abs. 3 DStG obliegt die standesrechtliche Aufsicht dem Ausschuss
der Rechtsanwaltskammer.
Anzeigen wegen des Verdachtes von
Disziplinarvergehen sind beim Disziplinarrat oder bei der Rechtsanwaltskammer
einzubringen und dem Kammeranwalt zuzuleiten, dem auch sonst jeder Verdacht
eines Disziplinarvergehens zur Kenntnis zu bringen ist (§ 22 Abs. 1 DSt). Gemäß
§§ 20 ff DSt sind Disziplinarvergehen der Rechtsanwälte auf Antrag des
Kammeranwaltes vom Disziplinarrat zu untersuchen, zu verhandeln und
gegebenenfalls zu bestrafen. Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. Der
Anzeiger ist von der Zurücklegung der Anzeige oder der Anordnung einer
Untersuchung zu benachrichtigen (§§ 22 Abs. 2, 27 Abs. 1 DSt). Nach Rechtskraft
des Erkenntnisses ist er unter Angabe von Gründen vom Ausgang des Disziplinarverfahrens
zu verständigen (§ 40 DSt).
Zu 4 bis 6
Über das Tätigwerden dieser Kontrollorgane
im Zusammenhang mit Doppelvertretung liegen österreichweit keine statistischen
Daten vor. Lediglich ein Teil der verurteilenden oder freisprechenden
Erkenntnisse (Leitsatzerkenntnisse) wird in anonymisierter Form im Anwaltsblatt
veröffentlicht. Zum Anlassfall liegen mir keine Informationen vor. Der
Einholung entsprechender Auskünfte von den Disziplinarorganen stehen sowohl die
Vorschriften des Datenschutzes als auch die allgemeine Verschwiegenheitspflicht
dieser Organe entgegen.
Zu 7:
Der durch eine allfällige Doppelvertretung
Geschädigte, hat die Möglichkeit beim Disziplinarrat oder bei der
Rechtsanwaltskammer, in deren Liste der Rechtsanwalt eingetragen ist, Anzeige
wegen des Verdachtes dieses Disziplinarvergehens zu erstatten. Diese Anzeige
ist vom Kammeranwalt zu prüfen (§ 22 Abs. 2 DSt). Findet er, dass weder eine
Berufspflichtverletzung noch eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens
des Standes vorliegt oder dass eine Verfolgung wegen Verjährung ausgeschlossen
ist, so hat er die Anzeige zurückzulegen und hievon denn Ausschuss der
Rechtsanwaltskammer zu verständigen. Der Ausschuss kann erforderlichenfalls
Maßnahmen der standesrechtlichen Aufsicht ergreifen (allgemeine oder besondere
Anordnungen erlassen und Aufträge erteilen) oder dem Kammeranwalt auch die
Disziplinarverfolgung auftragen.
. Juni 2004
(Dr. Dieter Böhmdorfer)