1736/AB XXII. GP
Eingelangt am
09.07.2004
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BM
für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz
Anfragebeantwortung
Herrn
Präsidenten des Nationalrates
Parlament
1010 Wien
GZ: 40.001/32-4/04 Wien,
8. Juli 2004
Sehr
geehrter Herr Präsident!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche
parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Mag. Maier und Genossinnen betreffend
Einstufung nach dem Bundespflegegeldgesetz – ärztliche Sachverständige, ein
Widerspruch zum GuKG?, Nr. 1734/j, wie folgt:
A-1010 Wien, Stubenring 1, Tel: (01) 71100, Fax (01)
715 28 78, DVR:0017001 |
Frage
1:
Zu den rechtlichen
Rahmenbedingungen für die Pflegegeldbegutachtung möchte ich eingangs
festhalten, dass eine ärztliche Sachverständigenbegutachtung im Bereich der
Pflegegeldeinstufung entstehungsgeschichtlich begründet ist; im Jahr 1993 waren
zahlreiche pflegebezogene Leistungsbereiche – z. B. Hilflosenzuschuss nach
ASVG, Pflege-, Hilflosen- und Blindenzulagen der Sozialentschädigungsgesetze,
Blindenbeihilfen und Pflegegelder der Länder etc. – wegen des Erfordernisses
der Feststellung auch medizinischer Sachverhaltselemente einer ärztlichen
Sachverständigenbegutachtung unterzogen; mit der Schaffung des
Bundespflegegeldgesetzes und der neun Landespflegegeldgesetze wurden diese
pflegebezogenen Leistungen im Jahr 1993 unter dem Titel „Pflegegeld“
zusammengefasst und österreichweit vereinheitlicht. Damit wurde auch die
ärztliche Sachverständigenbegutachtung als über Jahrzehnte erprobtes und
hinsichtlich verschiedener Begutachtungsaspekte – z. B. Erhebung eines
klinischen Status, Feststellung von Diagnosen sowie daraus resultierenden Funktionsausfällen und Defiziten
etc. – auch weiterhin erforderliches Instrument zur Ermittlung des
entscheidungsrelevanten Sachverhaltes in das Pflegegeldsystem übernommen. Diese
Intention des Gesetzgebers, ein ärztliches Sachverständigengutachten zur
Grundlage der Pflegegeldeinstufung machen zu wollen, lässt sich sowohl aus dem
BPGG selbst – z. B. § 31 BPGG – als auch aus der Einstufungsverordnung zum BPGG
- § 9 Abs. 1 der EinstV, BGBl. Nr. 314/1993; § 8 Abs. 1 der EinstV BGBl. II Nr.
37/1999 – ableiten.
Wenngleich
es zum Zeitpunkt der Neuregelung des Pflegevorsorgesystems im Jahr 1993 keine
merkbaren Initiativen der Berufsgruppe der diplomierten Pflegefachkräfte
hinsichtlich der Einbeziehung dieser Berufsgruppe in das Pflegegeldsystem gab,
wurde die Möglichkeit einer Einbeziehung derselben bereits in der Stammfassung
der Einstufungsverordnung zum BPGG, BGBl. Nr. 314/1993, grundgelegt, wenn es in
§ 9 Abs. 1 bereits hieß:
„Die Grundlage der Entscheidung bildet ein ärztliches
Sachverständigengutachten. Erforderlichenfalls sind zur ganzheitlichen
Beurteilung der Pflegesituation Personen aus anderen Bereichen, beispielsweise dem
Pflegedienst, der Heil- und Sonderpädagogik, der Sozialarbeit sowie der
Psychologie beizuziehen.“
Die
Möglichkeit der Einbeziehung von Angehörigen des gehobenen Dienstes für
Gesundheits- und Krankenpflege wurde auch in der mit Wirkung vom 1. Februar
1999 geänderten EinstV zum BPGG, BGBl. II Nr. 37/1999, aufrecht erhalten; dort
heißt es nun in § 8 Abs. 1:
„Die Grundlage der
Entscheidung bildet ein ärztliches Sachverständigengutachten.
Erforderlichenfalls sind zur ganzheitlichen Beurteilung der Pflegesituation
Personen aus anderen Bereichen, beispielsweise dem gehobenen Dienst für
Gesundheits- und Krankenpflege, der Heil- und Sonderpädagogik, der Sozialarbeit,
der Psychologie sowie der Psychotherapie beizuziehen.“
Darüber hinaus wurde mit der
Novelle BGBl. I Nr. 111/1998 durch den neu geschaffenen § 25a BPGG eine
weitere legistische Maßnahme zur umfassenderen Einbeziehung der Fachkunde von
Angehörigen der Pflegefachdienste geschaffen. Demnach sind neben der
Anwesenheit und Anhörung einer Vertrauensperson bei der ärztlichen Untersuchung
auf Wunsch des pflegebedürftigen Menschen, seines gesetzlichen Vertreters oder
Sachwalters bei pflegebedürftigen Personen, die in stationären Einrichtungen
gepflegt werden, zur Beurteilung der konkreten Pflegesituation auch
Informationen des Pflegepersonals einzuholen und die Pflegedokumentationen zu
berücksichtigen; bei Personen, die durch ambulante Dienste betreut werden, sind
ebenfalls die bei der Begutachtung zur Verfügung gestellten
Pflegedokumentationen zu berücksichtigen.
Die Einbeziehung von
Vertrauens- bzw. Pflegepersonen und Pflegedokumentationen im Sinne des § 25a
BPGG sowie die Einbeziehung von Angehörigen der in der EinstV genannten
Berufsgruppen in die Pflegegeldbegutachtung gehört auch zur geübten Praxis,
insbesondere in jenen Fällen, in denen bereits eine stationäre Pflege
stattfindet oder unter Beiziehung ambulanter Dienste gepflegt wird bzw. wo es
darüber hinaus im Einzelfall angezeigt erscheint.
Für den Bereich der
Pflegegeldbegutachtung ist jedoch zu beachten, dass die wesentlichen und
zwingenden Inhalte eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des
Pflegebedarfes nach dem BPGG und der EinstV zum BPGG in § 8 Abs. 2 der EinstV
näher präzisiert werden; demnach hat das Sachverständigengutachten jedenfalls
zu enthalten:
1.
die
Anamnese, die Diagnose und die voraussichtliche Entwicklung der Behinderung,
2.
den
Befund über die Funktionsausfälle und die zumutbare Verwendung von Hilfsmitteln
bzw. die Beschreibung der Defizite auf Grund der geistigen oder psychischen
Behinderung,
3.
die
Angabe, zu welchen Verrichtungen ständige Betreuung und Hilfe benötigt wird,
4.
eine
Begründung für eine Abweichung von den in den §§ 1 Abs. 3 und 4 sowie 4 Abs. 2
festgelegten Richtwerten und Mindestwerten,
5.
begründete
Angaben, ob die zusätzlichen Kriterien für die Stufen 5, 6 oder 7 vorliegen,
wenn der Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt.
Vor diesem Hintergrund wurde mit der Neuregelung der
Pflegevorsorge im Jahr 1993 auch im Bereich des Pflegegeldsystems ein
ärztliches Sachverständigengutachten als Grundlage der Pflegegeldeinstufung vorgesehen.
Selbstverständlich bin ich jedoch stets an einer
qualitativen Weiterentwicklung des sozialpolitisch so wichtigen und bewährten
Pflegegeldsystems interessiert, weshalb ich für den Bereich meines Hauses
veranlasst habe zu prüfen, inwieweit eine weiter gehende Einbeziehung von
Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege in das
Pflegegeldsystem möglich und zweckmäßig erscheint.
Derzeit ist deshalb ein Pilotprojekt bei den
Versicherungsanstalten des österreichischen Bergbaues und der österreichischen
Eisenbahnen unter Einbeziehung von ExpertInnen aus dem Kreis des gehobenen
Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege im Auftrag meines Ressorts im
Laufen, bei dem diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen als
Sachverständige neben den bislang begutachtenden Ärzten in die
Pflegegeldbegutachtung einbezogen werden.
Im Rahmen dieses Pilotprojekts ist beabsichtigt, über
den Projektzeitraum in allen Neu- und Erhöhungsantragsfällen der genannten
Versicherungsanstalten in den Schwerpunktregionen Wien und Steiermark eine
Doppelbegutachtung – sowohl durch einen Arzt als auch eine diplomierte
Gesundheits- und Krankenpflegeperson – durchzuführen.
Als besondere Maßnahme der Prävention und
der Qualitätssicherung in der Pflege sollen die diplomierten Gesundheits- und
Krankenpflegepersonen bei ihren Hausbesuchen neben der Begutachtung des Pflegebedarfes
im Sinne des BPGG und der Einstufungsverordnung zum BPGG auch konkrete
situationsbezogene Pflegetipps erteilen und qualifiziert rund um das Thema
Pflege informieren und beraten, um so zur Verbesserung und Erleichterung der
Situation der pflegebedürftigen Menschen wie ihrer pflegenden Angehörigen beizutragen.
Ziel des Pilotprojekts soll es sein, die Auswirkungen
eines solchen Begutachtungssystems auf das Pflegegeldverfahren und die
Einstufungspraxis zu evaluieren sowie die Akzeptanz bei den Betroffenen für ein
solches Begutachtungssystem zu erheben.
Der konkrete Start der Durchführung des Pilotprojekts
ist mit Juli 2004 angesetzt; der Projektzeitraum wurde mit einer Dauer von mindestens
sechs bis höchstens zwölf Monaten festgelegt.
Frage
2:
Einen Widerspruch
zwischen den Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes und dem GuKG kann ich
vor dem Hintergrund der zu Frage 1 getroffenen Ausführungen nicht erkennen.
Dies insbesondere schon deshalb nicht, weil sich der in den Berufsgesetzen –
GuKG, ÄrzteG - normierte Berufsschutz ja wohl nur auf die Tätigkeit in dem in
dem Berufsgesetz geregelten medizinischen Berufsfeld beziehen kann. Wird aber
beispielsweise ein Arzt im Auftrag einer Behörde als Sachverständiger tätig, so
ist er nicht mehr als „behandelnder Arzt“ im eigentlichen Sinn tätig, sondern
der Sphäre der Behörde zuzurechnen – siehe etwa das Erkenntnis des VwGH vom
17.8.2000, GZ 99/12/0068 – und ist
auch das entsprechende Berufsrecht diesfalls nicht anzuwenden – siehe z. B. in
diesem Sinne § 41 Abs. 4 ÄrzteG. Maßstab für die Sachverständigentätigkeit ist
dementsprechend wohl vielmehr das jeweilige Materiengesetz – diesfalls das BPGG
und die darauf basierende EinstV zum BPGG - und das anzuwendende
Verfahrensrecht.
Fragen
3 und 6:
Die
Beantwortung dieser Fragestellungen fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich
des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und
Konsumentenschutz.
Frage
4:
Wie in der
Beantwortung zu Frage 1 ausgeführt, ist nach § 8 EinstV zum BPGG die Grundlage
für die Pflegegeldeinstufung ein ärztliches Sachverständigengutachten. Mit der
Erstellung derartiger Gutachten werden Ärzte betraut, die entsprechend in den
Rechtsgrundlagen der Pflegegeldbegutachtung geschult werden - siehe auch die Erläuterungen zu § 31
BPGG in der Stammfassung. Die Absolvierung der verkürzten Ausbildung für
Mediziner nach § 48 GuKG ist keine Voraussetzung für die
Sachverständigentätigkeit in der Pflegegeldbegutachtung nach dem BPGG.
Frage
5:
Die Beantwortung dieser Fragestellung fällt nicht in
den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für soziale Sicherheit,
Generationen und Konsumentenschutz.
Frage 7:
Die Aufnahme von qualifizierten Personen in die Liste
der gerichtlich beeideten Sachverständigen fällt in den Zuständigkeitsbereich
der unabhängigen Gerichte und sohin in den Ressortbereich des
Bundesministeriums für Justiz.
Wie in der Beantwortung der Fragen 1 und 2 bereits
ausgeführt, bietet die derzeit geltende Rechtslage jedoch bereits jetzt die
Möglichkeit, Personen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege
in die Pflegegeldbegutachtung bei den Entscheidungsträgern entsprechend
einzubeziehen.
Fragen
8 und 9:
Wie oben bereits ausgeführt, ist eine Einbeziehung
von Personen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege in die
Pflegegeldbegutachtung nach dem geltenden Bundespflegegeldgesetz und der
Einstufungsverordnung zum BPGG durchaus vorgesehen. Ich sehe daher derzeit
keinen Bedarf, das BPGG dahingehend novellieren zu müssen.
Wie in der Beantwortung zu Frage 1 dargestellt, wird
die Möglichkeit einer verstärkten Einbeziehung von Personen des gehobenen
Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege in die Pflegegeldbegutachtung aktuell
im Rahmen eines im Auftrag meines Ressorts durchgeführten Pilotprojekts erprobt
und evaluiert. Ob sich daraus ein allfälliger Bedarf an legistischen Maßnahmen
ergibt, bleibt dem Evaluierungsergebnis des Pilotprojekts vorbehalten.
Die Beantwortung der Frage nach einem
Novellierungsbedarf des GuKG fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz.
Mit freundlichen Grüßen
Der Bundesminister: