2059/AB XXII. GP

Eingelangt am 17.09.2004
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DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0046-Pr 1/2004

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2110/J-NR/2004

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Auslieferung von AsylwerberInnen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Der russische Staatsangehörige Akhmet A. ist nach eigenen Angaben im Jänner 2000 nach Österreich eingereist und hat sich unmittelbar nach seiner Einreise in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen falsche tschetschenische Personaldokumente auf den Namen Ahmet ARSENOV besorgt. Mit diesen Papieren hat er für sich und seine damalige Lebensgefährtin Angela G. unter der Vorgabe einer Verfolgung in Tschetschenien in Österreich um Asyl angesucht. Beide wurden in die Bundesbetreuung übernommen.

Gegen Akhmet A. bestand seit 15. Dezember 2000 ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft der Republik Dagestan/Russische Föderation wegen des Verdachtes der erpresserischen Entführung. Er soll im Jahre 1998 in Gesellschaft anderer Mittäter russische Militärangehörige entführt und erst gegen Zahlung von Lösegeld in der Höhe von jeweils 3.000 US-$ freigelassen haben.

Nach Feststellung seiner wahren Identität und der Einleitung von Fahndungsmaßnahmen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wurde Akhmet A. am 19. Mai 2003 festgenommen und über ihn die Auslieferungshaft verhängt. Die Russische Föderation hat auf diplomatischem Wege am 24. Juni 2003 um seine Auslieferung ersucht.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat den Auslieferungsakt dem Oberlandesgericht Wien mit der gutachterlichen Stellungnahme vorgelegt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.

Das Oberlandesgericht Wien hat am 15. September 2003 nach öffentlicher und mündlicher Auslieferungsverhandlung die Auslieferung für zulässig erklärt.

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2003 die dagegen erhobene Beschwerde des Akhmet A. verworfen. Akhmet A. war während des gesamten Verfahrens durch einen Verteidiger vertreten.

Der Bundesminister für Justiz hat am 9. Dezember 2003 auf Grundlage der ergangenen Gerichtsentscheidung die Auslieferung des Akhmet A. in die Russische Föderation bewilligt. Akhmet A. wurde am 24. Februar 2004 den russischen Behörden übergeben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Republik Österreich in dieser Sache nicht befasst.

Zu 1:

Zwischen der Republik Österreich und der Russischen Föderation kommt das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, BGBl. Nr. 320/1969, zur Anwendung.

Die Auslieferung des Akhmet A. wurde auf Grund der ergangenen Gerichtsentscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien und des Obersten Gerichtshofes bewilligt. Die Gerichte kamen unter der gebotenen Würdigung aller von Akhmet A. vorgelegten Unterlagen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Akhmet A. nicht Tschetschene, sondern Kumüke ist, zum Ergebnis, dass keine fassbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verfahren in der Russischen Föderation nicht den Grundsätzen der Art 3 und 6 EMRK entsprechen werde. Das Bundesministerium für Justiz hat keinen Grund gesehen, von diesen höchstgerichtlichen Feststellungen abzuweichen.

Zu 2:

Die bisherigen Erfahrungen im Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehr mit der Russischen Föderation geben keinen Anlass zur Befürchtung, dass die Russische Föderation die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus den Europäischen Auslieferungsübereinkommen gegenüber der Republik Österreich und dem Europarat missachte.

Zu 3 bis 5:

Dem Bundesministerium für Justiz liegen in diesem Auslieferungsfall bislang keine Hinweise dafür vor, dass die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation die Bedingungen der Auslieferung, insbesondere den Grundsatz der Spezialität, nicht beachte. Weder sein Anwalt noch die Angehörigen des Ausgelieferten haben ein solches Vorbringen gegenüber dem Bundesministerium für Justiz erstattet.

Sollten Hinweise auf Spezialitätsverletzungen vorliegen, wird die russische Föderation auf diplomatischem Weg um Aufklärung und Vorlage der ergangenen russischen Gerichtsentscheidungen ersucht werden.

Zu 6:

Nein.

Zu 7 und 8:

§ 21 Abs. 2 Asylgesetz verbietet fremdenpolizeiliche Abschiebungen und Zurückweisungen, nicht jedoch die Auslieferung des Betroffenen.

Im Auslieferungsverfahren werden alle asylrechtlichen Hindernisse von den unabhängigen Gerichten geprüft. Diese Entscheidungen erfolgen auch unter dem Gesichtspunkt des Art 1 Abschnitt F lit b der Genfer Flüchtlingskonvention, wonach die Bestimmungen dieser Konvention keine Anwendung auf Personen finden, bei denen aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie ein schweres nicht politisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden.

Die österreichischen Gerichte sind auf Grund der unbedenklichen, widerspruchsfreien und schlüssigen russischen Auslieferungsunterlagen zum Ergebnis gelangt, dass asylrechtliche Auslieferungshindernisse nicht vorliegen.

Zu 9:

Die gesetzliche Anordnung des § 19 Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) verhindert, dass Personen, die Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention sind und die nicht unter Art 1 Abschnitt F lit b dieser Konvention fallen, an den Verfolgerstaat ausgeliefert werden.

Die Auslieferungsentscheidung des Gerichtshofs I. Instanz unterliegt einer durch das StrÄG 2004, BGBl. I Nr. 15, geschaffenen, vollinhaltlichen Anfechtungsmöglichkeit einschließlich der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen drohender Verletzung der EMRK. Eine die Auslieferung für zulässig erklärende Entscheidung kann nur nach persönlicher Anhörung der betroffenen Person ergehen.

Zu 10:

Nein.

Die österreichischen Gerichte haben selbstständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung des Auslieferungsasyls nach § 19 ARHG, das inhaltlich Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, vorliegen. Dabei sind die Gerichte weder an positive noch an negative Entscheidungen der Verwaltungsbehörden gebunden. Sie können das Auslieferungsasyl daher auch dann gewähren, wenn der Asylantrag im Asylverfahren abgewiesen wurde.

Zu 11:

Ja.

Nach § 19 ARHG ist vom Gericht zu prüfen, ob die Auslieferung unzulässig ist, weil zu besorgen ist, dass die auszuliefernde Person im ersuchenden Staat wegen ihrer Abstammung, Rasse, Religion, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- und Gesellschaftsgruppe, ihrer Staatsangehörigkeit oder wegen ihrer politischen Anschauungen einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder aus einem dieser Gründe andere schwerwiegende Nachteile zu erwarten hätte (Auslieferungsasyl).

Das Oberlandesgericht Wien und der Oberste Gerichtshof haben nach sorgfältiger Prüfung und mündlichem Verfahren das Vorliegen dieser Gefahr verneint.

Zu 12:

Im Schreiben an Amnesty International Österreich vom 9. März 2004 wurde darauf hingewiesen, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Russische Föderation ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht einhält, sodass vorerst kein Anlass besteht, die russische Föderation um Aufklärungen zu ersuchen.

Zu 13:

In den Jahren 2000 bis 2003 wurden insgesamt 753 Personen aus Österreich ausgeliefert.

Die im Bundesministerium für Justiz geführte Auslieferungsstatistik enthält keine Daten darüber, ob die betroffene Person in Österreich um Asyl angesucht hat.

Die Anzahl jener Personen, die vor dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens an den behaupteten Verfolgerstaat ausgeliefert wurden und die diesen Umstand auch im Auslieferungsverfahren eingewendet haben, dürfte nach vorsichtigen Schätzungen unter 1 % liegen.

. September 2004

 

(Maga. Karin Miklautsch)