2185/AB XXII. GP

Eingelangt am 10.12.2004
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0056-Pr 1/2004

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2205/J-NR/2004

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Ermordung von über 4000 italienischen Soldaten auf Kefalonia durch die deutsche Wehrmacht (Edelweis-Division)“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 3:

Die Tatsache, dass Angehörige der deutschen Wehrmacht im Jahre 1943 auf der griechischen Insel Kefalonia ein Massaker an italienischen Soldaten sowie an der griechischen Bevölkerung verübten, ist mir als historisches Faktum bekannt. Jedoch sind konkrete Informationen oder gar Beweismittel, die Anlass für ein Einschreiten österreichischer Strafverfolgungsbehörden geboten hätten, nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen dem Bundesministerium für Justiz – soweit überblickbar – nicht vorgelegt worden.

Zu 4 bis 8:

Die Beantwortung dieser Fragen fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Justizressorts.

Zu 9 bis 12:

Grundsätzlich ist bei der Beurteilung der Strafbarkeit von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen Folgendes zu beachten:

Nach dem im österreichischen Strafrecht grundlegenden Rückwirkungsverbot gemäß §§ 1 und 61 StGB sind neue Strafgesetze nur dann auf früher begangene Straftaten anzuwenden, wenn die damaligen Gesetze in ihrer Gesamtheit für den Täter nicht günstiger waren. Daher ist jedenfalls ein Vergleich zwischen den zur Tatzeit relevanten Bestimmungen auf der einen Seite und dem geltenden österreichischen Strafrecht auf der anderen Seite anzustellen. Bei der Prüfung, wer wegen über 60 Jahre zurückliegender Handlungen noch strafrechtlich verfolgt werden kann, erschweren die zu beachtenden Rechtsüberleitungen und Sonderbestimmungen die Beantwortung der entscheidenden und im Hinblick auf den ausländischen Tatort noch mit zusätzlichen Rechtsproblemen beschwerte Verjährungsfrage. Denn abgesehen von im Ausland begangenen strafbaren Handlungen, die ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatortes bestraft werden (§ 64 StGB), gilt für die Ahndung von Auslandstaten die Bestimmung des § 65 StGB, wonach die österreichischen Strafgesetze gelten, sofern die Taten auch durch die Gesetze des Tatortes mit Strafe bedroht sind. Dabei entfällt die Strafbarkeit, wenn diese nach den Gesetzen des Tatortes erloschen sind.

Bei der unter Bedachtnahme auf das erwähnte Rückwirkungsverbot gemäß § 65 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Prüfung ist daher das zur Tatzeit geltende Tatortrecht einschließlich dessen damals gültigen Verjährungsvorschriften heranzuziehen. Demgemäß kann eine nach dem Tatzeit- und Tatortrecht kürzere als nach dem StGB vorgesehene Verfolgungsverjährungsfrist eine Strafverfolgung in Österreich auch dann verhindern, wenn nach der Tat der ausländische Gesetzgeber die Verjährung verlängert oder aufgehoben hat.

Unter Bedachtnahme auf die österreichischen Bestimmungen über die Verlängerung bzw. den Ausschluss der Verjährung aus den Jahren 1963 und 1965 (jedoch unter Ausklammerung allenfalls noch günstigerer Bestimmungen des am ausländischen Tatort geltenden Strafrechtes) können heute grundsätzlich nur noch solche Täter verurteilt werden, die Taten begangen haben, für die seinerzeit die Todesstrafe angedroht war. § 1 Abs. 1 der während des Krieges mehrmals novellierten Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung – KSStVO) vom 17.8.1938, DRGBl. 1939 I S. 1455, bestimmt, dass für  alle Personen, die dem MStGB unterworfen sind, auch das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) gelte. Es kommt daher im Wesentlichen darauf an, dass der Betreffende zur Tatzeit das 20. Lebensjahr vollendet und einen durch bestimmte Motive oder durch die Art der Tötung qualifizierten Tatbestand des Mordes im Sinne des § 211 des RStGB entweder unmittelbar selbst begangen oder einen anderen dazu bestimmt hat, wobei noch die Frage des Befehlsnotstandes zu prüfen bleibt. Für die unter 20-jährigen Täter, für "gemeine Mörder" im Sinne des österreichischen Strafgesetzes (damals Totschlag nach § 212 RStGB) und erst recht für einen sogenannten „bloß entfernt Mitschuldigen“ im Sinne des § 137 StG galten nämlich geringere Strafdrohungen, weshalb für diese Personengruppen die Verjährung längstens am 30. Juni 1965 eingetreten sein dürfte, sofern keine verjährungshemmenden Umstände zu berücksichtigen sind.

Zu 13 bis 20:

Diese Fragen können nicht abschließend beantwortet werden. Sowohl nach den ressortinternen Recherchen als auch nach Mitteilung des Österreichischen Staatsarchives sind keine Strafverfahren im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen auf Kefalonia aktenkundig. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Strafsachen gegen konkrete Personen geführt werden und aus den entsprechenden Namensregistern nicht ersichtlich ist, welcher militärischen Einheit ein Beschuldigter angehört oder auf welchen Faktenkomplex sich ein Strafverfahren bezogen hat. Ich kann daher nicht ausschließen, dass in der Vergangenheit nicht doch ein Angehöriger der am gegenständlichen Massaker beteiligten Einheiten deswegen strafrechtlich verfolgt wurde.

Zu 21:

Abgesehen von dem in Deutschland geführten Strafverfahren sind dem Bundesministerium für Justiz keine anderen Verfahren bekannt geworden.

Zu 22 und 28:

Die Auswirkungen der in Österreich durchgeführten Rechtshilfevernehmungen für das deutsche Strafverfahren sowie der Stand des deutschen Strafverfahrens sind dem Bundesministerium für Justiz nicht bekannt.

Zu 23 und 24:

Nach den mir vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zur Verfügung gestellten Informationen hat die Zentralstelle im Land Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund im Jahre 2002 dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung insgesamt etwa 540 Personendaten mit dem Ersuchen um Ausforschung und Feststellung der aktuellen Anschriften übermittelt. Von diesen Personen konnten zunächst noch 145 lebende ehemalige Wehrmachtsangehörige mit Wohnsitz in Österreich ausgeforscht werden, die auf Ersuchen der Zentralstelle Dortmund im ersten Halbjahr 2003 als Zeugen vernommen wurden. Die mit den Zeugen aufgenommenen niederschriftlichen Protokolle, Befragungsberichte und Sterbedaten von zwischenzeitlich verstorbenen Personen wurden vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung im August 2003 an die Zentralstelle in Nordrhein-Westfalen übermittelt. Anzeigen an österreichische Staatsanwaltschaften oder an das Bundesministerium für Justiz wurden nicht erstattet.

Zu 25 bis 27:

Da die Ergebnisse dieser Zeugeneinvernahmen den Justizbehörden bislang nicht übermittelt wurden, kam es auch noch zu keinen strafrechtlichen Verfolgungsschritten. Ob solche angezeigt sind, ist derzeit Gegenstand einer gesonderten Prüfung.

Zu 29 bis 32:

Die im Verhältnis zu Deutschland und Italien in Kraft stehenden bilateralen Rechtshilfeabkommen in Strafsachen sehen einen unmittelbaren Rechtshilfeverkehr zwischen den zuständigen Behörden vor. Dem Bundesministerium für Justiz gelangen daher nur in Ausnahmefällen Rechtshilfeersuchen zur Kenntnis, die im unmittelbaren Verkehr gestellt wurden. Aktenvorgänge betreffend Rechtshilfe- bzw. Auslieferungsersuchen im anfragegegenständlichen Zusammenhang konnten in der dafür zuständigen Fachabteilung meines Hauses nicht gefunden werden.

Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß von der Staatsanwaltschaft Dortmund bestätigte gegenüber der zuständigen Fachabteilung meines Hauses, dass bislang im Zusammenhang mit dem Massaker in Kefalonia lediglich an das deutsche Bundesministerium für Inneres (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) Ersuchen um Zeugeneinvernahmen gerichtet wurden, jedoch noch keine Rechtshilfeersuchen an österreichische Justizbehörden ergangen sind.

Zu 33 bis 36:

Im Jahr 2003 hat Dr. Ephraim Zuroff, der Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers Jerusalem, dem Bundesministerium für Justiz zunächst zwei Listen mit insgesamt 60 mutmaßlichen österreichischen NS-Gewaltverbrechern zur weiteren Veranlassung übergeben. Zudem hat er eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt, die zur Verurteilung eines NS-Gewaltverbrechers führen ("Operation letzte Chance"). An dieser Stelle darf ich daran erinnern, dass Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer dazu bereits eine schriftliche Anfrage zur Zahl 836/J-NR/2003 beantwortet hat.

Vor etwa einem halben Jahr wurde vom Simon-Wiesenthal-Center Jerusalem eine weitere Liste mit 121 Verdächtigen übermittelt.

Der Informationsgehalt dieser Namenlisten beschränkt sich jedoch auf die bloße Zugehörigkeit der genannten Personen zu Einheiten der Wehrmacht, SS oder zu Polizeiverbänden, die an schlagwortartig angeführten Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren. Zwar ist damit zweifellos ein gewisser Anfangsverdacht indiziert, es fehlen in diesen Aufstellungen jedoch konkrete Hinweise auf, und erst recht Beweise für die Begehung noch nicht verjährter Straftaten. Namen von ehemaligen Mitgliedern der 1. Gebirgsjägerdivison, die an den Verbrechen auf Kefalonia beteiligt war, sind in den bislang übermittelten Listen jedenfalls nicht enthalten.

Um zunächst die Identität der Verdächtigen abzuklären und weiterführende Hinweise zu erlangen, wurden umgehend Nachforschungen insbesondere im Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, des Österreichischen Staatsarchives und der Zentralen Stelle zur Ausforschung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Ludwigsburg begonnen. Diese Vorarbeiten wurden vom Bundesministerium für Justiz zentral veranlasst, um die Staatsanwaltschaften in der Folge nur noch mit jenen Einzelfällen zu befassen, in denen weiterführende Erhebungstätigkeiten zumindest theoretisch noch zu einer Verurteilung eines Verdächtigen führen könnten.

Soweit bisher Teilergebnisse der befassten Stellen eingelangt sind, wurden diese von der zuständigen Fachabteilung meines Hauses ausgewertet. Zu einem überwiegenden Teil liegen die Nachforschungsergebnisse jedoch noch nicht vollständig vor.

In jenen vorerst sieben Fällen, in denen noch lebende Verdächtige ausgeforscht werden konnten, wurde die nach dem Wohnsitz des Verdächtigen jeweils zuständige Staatsanwaltschaft ersucht, insbesondere durch Rechtshilfeersuchen an die Zentrale Stelle Ludwigsburg bzw. an jene deutschen Staatsanwaltschaften, die mit den genannten Kriegsverbrechen im Zusammenhang stehende Strafverfahren geführt haben oder aktuell noch führen, konkrete Hinweise auf noch nicht verjährte Straftaten zu erlangen, die den Betroffenen zur Last gelegt werden können.

Trotz intensiver Erhebungstätigkeiten - so wurde etwa die Verantwortung eines Verdächtigen, in der Zeit des inkriminierten Massakers wegen einer Verwundung im Lazarett gewesen zu sein, durch eine Anfrage im entsprechenden Archiv in Berlin überprüft und verifiziert - ist eine Konkretisierung des Verdachtes bislang nicht gelungen. In vier Fällen wurde daher die Anzeige wieder zurückgelegt; in einem Fall ist der Verdächtige inzwischen verstorben.

 

. Dezember 2004

 

(Maga. Karin Miklautsch)