2223/AB XXII. GP
Eingelangt am 27.12.2004
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möglich.
BM
für auswärtige Angelegenheiten
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Renate Csörgits, Kolleginnen und Kollegen haben am
11. November 2004 unter der GZ. 2312/J-NR/2004 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend die
Situation der Menschenrechte in der Türkei gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Ja.
Zu Frage 2:
Es findet sowohl anlassbezogene als auch grundsätzliche
Berichterstattung statt. Vier Mal im Jahr
legt die ÖB Ankara
wie jede bilaterale Botschaft einen Quartalsbericht über die Lage im
Empfangsstaat vor, wobei auch die Lage der
Menschenrechte in der Türkei umfassend beleuchtet
wird.
Zu Frage 3:
Siehe die Antworten auf Fragen 1 und 2.
Zu Frage 4:
Ja. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission
erklärt dazu: „Zwar wird die Folter nicht
mehr systematisch angewandt, doch treten weiterhin zahlreiche Fälle von Folter
und insbesondere
von Misshandlungen
auf, und es bedarf weiterer Anstrengungen, um diese Praxis restlos zu
beseitigen.“
Der
Europäische Ausschuss zur Verhütung der Folter und unmenschlichen oder
erniedrigenden
Behandlung (CPT) hat anlässlich seines
letzten Ad hoc-Besuchs in der Türkei (7. - 15. September
2003) festgestellt: „Der gesetzliche Rahmen, der zur effektiven
Bekämpfung von Folter und
anderen Formen von Misshandlung durch die Exekutive notwendig ist, wurde
errichtet; die
Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass allen Normen in der Praxis
volle Geltung
verschafft wird“.
Österreich hat deshalb das Thema Folter auf EU-Ebene in umfassender Weise zur Sprache gebracht.
Zu Frage 5:
Das
BMaA hat erstmals am 29. Juni 2004 aufgrund einer E-Mail-Nachricht der
"Antiimperialistischen
Koordination" an die APA vom gleichen Tag Kenntnis davon erhalten, dass
Frau Brunner, die in der Türkei lebt, am 18. April 2004 von türkischen
Polizisten misshandelt
worden sei.
Sie
hat weder zum damaligen Zeitpunkt noch später das Generalkonsulat Istanbul oder
das BMaA
kontaktiert. Am Tag der APA-Meldung, also
am 29. Juni 2004, wurde Frau Brunner anlässlich einer
Demonstration in Istanbul verhaftet.
Zu Frage 6:
Sofort
nach Bekanntwerden der Verhaftung haben Mitarbeiter des Österreichischen
Generalkonsulats Istanbul sowohl mit den
türkischen Behörden als auch mit Frau Brunner selbst
und ihrem Anwalt Kontakt aufgenommen.
In der Folge hat der österreichische Generalkonsul in Istanbul Frau Brunner mehrmals in der
Polizeidirektion Istanbul besucht, das erste Mal bereits am Tage ihrer Verhaftung, also am
29. Juni 2004. Er stand dabei sowohl mit ihrem Anwalt als auch mit ihren Eltern in engem Kontakt.
Nach
Interventionen des Generalkonsulats Istanbul und der Österreichischen Botschaft
Ankara
wurde Frau Brunner am 2. Juli 2004
freigelassen, wobei es der Botschaft durch direkte Vorsprache
an höchster Stelle im türkischen Innenministerium gelang, den in
gleichgelagerten Fällen für
Ausländer drohenden Ausweisungsbeschluss abzuwenden.
Zu den Vorfällen vom 18. April 2004 steht das
Generalkonsulat Istanbul sowohl mit Frau Brunner
bzw. ihrem Anwalt als
auch mit der zuständigen Staatsanwaltschaft in Kontakt, wobei der
Vertrauensanwalt des Generalkonsulats entsprechende aktive Hilfestellung
leistet.
Zu Frage 7:
Nein.
Zu Frage 8:
Laut
Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission "gingen bei der Türkischen
Menschenrechtsvereinigung im ersten
Halbjahr 2004 692 Klagen im Zusammenhang mit Folter ein,
was gegenüber dem Vorjahreszeitraum einer Abnahme von 29 %
entspricht".
In diesem Zusammenhang ist auch folgender Umstand von
Bedeutung: Die staatliche Institution der
„Menschenrechtspräsidentschaft"
(klar von der Menschenrechtsvereinigung und dem
Menschenrechtsbeirat zu unterscheiden) hat in der Türkei die Aufgabe, Klagen zu
bearbeiten und
konkreten Fällen nachzugehen. Laut Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission
bezog sich
"ein Großteil der Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen, welche die
Menschenrechts-
präsidentschaft zwischen Januar und Juni 2004 erhalten hat, auf Folter und
Misshandlung, was
darauf hindeutet, dass diese Praxis nach wie vor ein Problem darstellt."
Die Gesamtzahl der
Einzelpersonen, die
von Januar bis Juni 2004 Klagen bei der Menschenrechtspräsidentschaft
einreichten, betrug nach offiziellen, vom
Fortschrittsbericht der Kommission zitierten Angaben 388.
Zu Frage 9:
Laut Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission hat
die "Anzahl der Klagen wegen Folter
außerhalb der
förmlichen Haft im Vergleich zum Jahr 2003 erheblich zugenommen."
Zu Frage 10:
Es gab keinen, speziell der Demonstration vom 1.
September 2004 in Istanbul gewidmeten, Bericht.
Laufende
Informationen des Generalkonsulates Istanbul über die Menschenrechtslage
fließen
regelmäßig in die umfassende grundsätzliche Berichterstattung der
Österreichischen Botschaft
Ankara, wie sie zu Frage 2 dargestellt wurde, ein. Das Generalkonsulat Istanbul
berichtet jedoch
über einzelne Vorfälle direkt und umgehend, wenn österreichische Staatsbürger
bzw. sonstige
österreichische Interessen unmittelbar betroffen sind.
Zu Frage 11:
Die Europäische Kommission kommt in ihrer Empfehlung zu
dem Schluss, dass die Türkei die
politischen
Kriterien für den Beginn von Beitrittsverhandlungen unter der Bedingung
„ausreichend"
erfüllt, dass drei
türkische Gesetze (Beschluss über die Strafprozessordnung, Gesetzgebung zur
Schaffung einer Kriminalpolizei, Gesetz über Strafvollzug und Maßregeln)
verabschiedet und
zusammen mit drei weiteren türkischen Gesetzen (Vereinsgesetz, Strafgesetzbuch,
Gesetz über die
zwischeninstanzlichen Berufungsgerichte) in Kraft gesetzt werden.
Sie geht aber keineswegs davon aus, dass damit die
politischen Kriterien für eine Aufnahme in die
EU bereits
„ausreichend“ erfüllt wären. Der Fortschritt der Beitrittsverhandlungen wird im
Gegenteil vor allem an eine Fortsetzung der
politischen Reformen geknüpft, die seitens der EK
auch weiterhin genau beobachtet werden sollen („Monitoring“).
Das Reformtempo soll laut Empfehlung der EK den
Verhandlungsfortschritt bestimmen. Ein erster
Bericht über die
Reformfortschritte soll dem Europäischen Rat bis Dezember 2005 vorgelegt
werden. Bei mangelnder Fähigkeit oder mangelndem Willen der Türkei, den
Reformprozess
weiterzuführen, ist in der Empfehlung die Möglichkeit einer Suspendierung
vorgesehen.
Die
Kommission geht in ihrer Empfehlung also davon aus, dass der Reformimpuls in
der Türkei
gerade durch die Aufnahme und Durchführung von Verhandlungen (in Verbindung mit
weiterem
Monitoring und der Möglichkeit der Suspendierung) aufrechterhalten und gestärkt
wird.
In den Schlussfolgerungen des Europäischen
Rates vom 17. Dezember 2004 wird ausdrücklich die
„Umsetzung der Null-Toleranz-Politik gegen Folter und Misshandlung“ als
Schwerpunkt des
Monitoring erwähnt.
Aus
österreichischer Sicht ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass seit dem 8.
September
2004 in der Türkei unter österreichischer Federführung ein EU-Projekt über
menschenrechtskonforme Vernehmungsmethoden durchgeführt wird, bei dem 200
Trainer
ausgebildet werden. Dieses Projekt wird
durch das Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte
und das BMI, unterstützt von der Deutschen Stiftung für Internationale
Rechtliche Zusammenarbeit,
in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion der türkischen Polizei
abgewickelt.
Es
handelt sich hierbei um ein sogenanntes „Twinning-Projekt“, welches im Wege des
Bundesministeriums für auswärtige
Angelegenheiten zustande gekommen ist. Das dazugehörige
Expertenteam umfasst 40 Experten aus der gesamten EU, von denen 15 aus
Österreich kommen.
Das BMI hat für die Abwicklung des Projekts zwei Beamte abgestellt, die vor Ort
tätig sind und
von der Österreichischen Botschaft Ankara entsprechend unterstützt
werden.