2327/AB XXII. GP

Eingelangt am 21.01.2005
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 


DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0066-Pr 1/2004

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2358/J-NR/2004

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „den Tod des Schubhäftlings Edwin Ndupu“ gerichtet. Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Beim nigerianischen Staatsangehörigen Edwin Ndupu handelt es sich nicht um einen Schubhäftling, sondern um einen Strafgefangenen, der eine Haftstrafe zu verbüßen hatte.

Eine wörtliche bzw. detaillierte Wiedergabe der Obduktionsergebnisse oder Aussagen beteiligter Personen würde de facto der inhaltlichen Bekanntgabe des gesamten Gerichtsaktes gleichkommen. Die Entscheidung, wem die Einsicht in Gerichtsakten zusteht, ist jedoch den unabhängigen Gerichten vorbehalten. Bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen habe ich das in Art 20 Abs. 3 B-VG normierte Gebot der Amtsverschwiegenheit zu beachten, womit ich auch die Interessen der vom Geschehen erfassten Personen und Angehörigen zu berücksichtigen habe. Ich muss mich daher auf eine das Wesentliche zusammenfassende inhaltliche Darstellung beschränken.

Zu 1 und 2:

Der Gutachter Univ.-Prof. Dr. Manfred Hochmeister, Leiter des Institutes für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Wien, führte unter anderem Folgendes aus:

Der Tod des Strafgefangenen trat durch ein multifaktoriell ausgelöstes Herzversagen infolge der stressbedingten Belastung des Herzens aufgrund des psychischen Erregungszustandes und einer wegen der selbst zugefügten Verletzungen entstandenen Fettein­schwemmung in der Lunge (Fettembolie) ein.

Die Leiche wies ausgedehnte massive Blutunterlaufungen und Weichteil­quetschungen an beiden Armen und Beinen sowie im oberen Rücken- bzw. im Nackenbereich auf. Diese - praktisch ausschließlich an „aktiven“ Körperteilen, d.h. an den Streck- und Außenseiten der zum Schlagen und Treten verwendeten Arme und Beine sowie dem zum Ausheben eines Fensterflügels im Haftraum gebrauchten oberen Rücken- bzw. Nackenbereich festgestellten - Verletzungen stehen mit dem beobachteten, ungewöhnlich heftigen Toben und dem massiven Umherschlagen von Edwin Ndupu im Einklang. Das Entstehen vereinzelter Blutergüsse durch Schläge mit einem Schlagstock im Zuge der Auseinandersetzung mit den Beamten und dem Niederringen von Edwin Ndupu ist naturgemäß nicht auszuschließen. Da aber keinerlei Verletzungen am Kopf, im Gesicht, im Mundbereich, an den Innenseiten der Lippen oder an den „nicht aktiven“ Körperteilen, wie Brustkorb, Bauch, Genitalien, Gesäß etc. festgestellt werden konnten, die Hinweise auf eine allfällige Misshandlung liefern würden, ist eine Misshandlung durch andere Personen mit Sicherheit auszuschließen.

Zu 3 und 5:

Nach den übereinstimmenden Angaben der beteiligten Justizwachebeamten begann der Strafgefangene Edwin Ndupu vor seinem Haftraum am Gangbereich mit einem in seiner Hosentasche verborgenen Besteckmesser zuerst Justizwache­beamte und in der Folge einen zufällig vorbeigehenden anderen Strafgefangenen zu attackieren bzw. gegen diese zu treten. Die Justizwache­beamten mussten sich und den anderen Häftling durch Schutzschilder, einen Rettungsmehrzweckstok und Pfefferspray vor den Angriffen des HIV-positiven Edwin Ndupu schützen. Um den weiterhin tobenden Strafgefangenen, der nunmehr auch das Haftrauminventar zertrümmerte, zu überwältigen, musste nach Rücksprache mit dem Anstaltsleiter auch Tränengas eingesetzt werden, was noch immer nicht zur Ruhigstellung des Gefangenen führte. Schließlich konnten ihm das Messer entwunden und Hand- und Fußfesseln angelegt werden. So konnte er von Justizwachebeamten in eine Absonderungszelle getragen werden, wobei er auch hier heftige Gegenwehr leistete. Um Edwin Ndupu ärztlich versorgen zu können, verabreichte ihm die Anstaltsärztin eine Beruhigungsspritze [5 mg Valium intramuskulär]. Im Anschluss trat bei Ndupu ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein, der Anstaltsärztin gelang es jedoch, ihn wiederzubeleben. Als in weiter Folge der herbeigerufene Notarzt eingetroffen war, trat bei Edwin Ndupu erneut ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein; die anschließend unternommenen Wiederbelebungs­versuche blieben erfolglos.

Durch die Angriffe des Strafgefangenen erlitten elf Justizwachebeamte und ein Strafgefangener Verletzungen durch Schnitt-, Kratz- oder Schürfwunden.

Zu 4:

Der durch die Angriffe von Ndupu verletzte Strafgefangene erteilte den erhebenden Beamten der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Nieder­österreich keine Auskünfte.

Zu 6:

Während des rund eine Stunde dauernden Tatgeschehens waren – in wechselnder Zusammensetzung – etwa 15 Justizwachebeamte im Einsatz.

Zu 7, 8, 10, 11 und 12:

Beim Einsatz gegen den Strafgefangenen Edwin Ndupu wurden die gemäß der Waffenvorschrift des BMJ vorgesehenen Dienstwaffen Rettungsmehrzweckstock, Pfefferspray und Tränengas angewendet. Der Einsatz von Dienstwaffen ist anhand der gesetzlichen Regelungen der §§ 104 und 105 StVG sowie der entsprechenden vom BMJ erlassenen Durchführungsbestimmungen in Punkt 6.7. (besondere Exekutivbefugnisse) der Vollzugsordnung für Justizanstalten zu beurteilen. Demgemäß ist bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges (Punkt 6.7.4.) insbesondere darauf zu achten, dass sich die Anwendung von Gewalt auf das notwendige Maß zu beschränken hat. Sie darf nur nach vorheriger Androhung erfolgen, es sei denn, dass dadurch der Zweck der Gewaltanwendung gefährdet würde. Unmittelbarer Zwang ist jede unmittelbare Gewaltanwendung, wobei für den Waffengebrauch darüber hinaus besondere Bestimmungen gelten. Unmittelbarer Zwang darf nur angewendet werden

a)     im Fall der Notwehr (und der Nothilfe),

b)     zur Überwindung eines Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder eines tätlichen Angriffs auf einen Beamten (§§ 269, 270 StGB),

c)      zur Verhinderung der Flucht eines Strafgefangenen oder zu seiner Wiederergreifung,

d)     gegenüber einer Person, die in die Anstalt eindringt oder einzudringen oder einen Strafgefangenen zu befreien versucht,

e)     zur Überwindung einer sonstigen die Ordnung in der Anstalt gefährdenden Nichtbefolgung einer Anordnung.

Der Gebrauch einer Waffe (Punkt 6.7.5.) ist nur in den unter a) bis d) angeführten Fällen und nur insoweit zulässig, als ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen (insbesondere die Aufforderung zur Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel) ungeeignet scheinen oder sich bereits als wirkungslos erwiesen haben. Die Waffe ist nur mit größtmöglicher Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. In diesem Zusammenhang ist auch auf allfällige Nebenwirkungen des Waffengebrauchs Rücksicht zu nehmen. Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, so darf nur von der am wenigsten gefährlichen, nach der jeweiligen Lage noch geeignet scheinenden, Gebrauch gemacht werden. Zweck des Waffengebrauchs gegen Menschen darf nur sein, sie angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. In den zuvor unter  b) bis d) angeführten Fällen darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann.
Der psychische Ausnahmezustand und das äußerst gewalttätige Verhalten des Strafgefangenen, welches zur Verletzung von insgesamt 11 Beamten führte, machte den (gestaffelten) Einsatz der genannten Dienstwaffen jedenfalls erforderlich.

Zu 9 und 13:

Nein. Der Insasse wurde nach dem Tränengaseinsatz in seinem Haftraum in eine Absonderungszelle gebracht. Die Leiche des Insassen wurde noch am 19.8.2004 in die Pathologie des Krankenhauses Krems zur Obduktion überführt und dort in den Abendstunden besichtigt und obduziert.

Zu 14:

Wirkstoffe des verwendeten Pfeffersprays oder Tränengases konnten weder im Gesicht der Leiche noch in der Lungenluft festgestellt werden. In der Lungenluft nachgewiesene Spuren von Pentan und Butan sind nach dem Gutachten dem bei der notärztlichen Versorgung verwendeten Wundspray zuzuordnen. Auch mikroskopische Untersuchungen der Lunge und der Atemwege ergaben keine Hinweise auf eine massive Inhalation von Tränengas. Eine todesursächliche Wirkung von Pfefferspray oder Tränengas konnte im Gutachten mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Ein zeitnaher Konsum beeinträchtigender Drogen oder Arzneistoffe sowie ein Alkoholkonsum konnten ebenso ausgeschlossen werden.

Zu 15:

Ein todesursächliches Verhalten der intervenierenden Bediensteten kann aus den Ergebnissen der gerichtlichen Obduktion nicht abgeleitet werden. Todesfälle wie dieser bedeuten im Konkreten nicht nur eine persönliche Tragödie, die mich und meine Mitarbeiter nicht unberührt lässt, sondern stellen stets eine schwere Belastung für das Vollzugsklima in der betroffenen Anstalt dar. Es werden daher alle nur erdenklichen Maßnahmen getroffen, um sowohl für die Insassen als auch die Bediensteten ein sicheres Umfeld zu schaffen und solche Vorfälle möglichst hintanzuhalten. Es ist jedoch eine Tatsache, dass ein gänzlicher Ausschluss derartiger Vorkommnisse trotz aller Vorsorgemaßnahmen nicht erreicht werden kann.

. Jänner 2005

 

(Maga. Karin Miklautsch)