2659/AB XXII. GP
Eingelangt am 22.04.2005
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BM für soziale
Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz
Anfragebeantwortung
BUNDESMINISTERIN
FÜR SOZIALE SICHERHEIT
GENERATIONEN UND KONSUMENTENSCHUTZ
Ursula Haubner
Herrn
Präsidenten
des Nationalrates (5-fach)
Parlament
1010
Wien
GZ: BMSG-10001/0075-I/A/4/2005 Wien,
Sehr geehrter Herr Präsident!
Ich beantworte die an mich gerichtete
schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 2686/J der Abgeordneten
Dr. Caspar Einem und Genossen wie folgt:
Fragen 1 bis 3:
Das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz war von Beginn an in die nationale Koordination des österreichischen Standpunktes zur Dienstleistungsrichtlinie einbezogen und auch in der Ratsarbeitsgruppe in Brüssel an den Verhandlungen beteiligt. Aus unserer Sicht ist der Richtlinienvorschlag sowohl in Bezug auf soziale Dienstleistungen, Gesundheitsdienstleistungen und Konsumentenschutz zu hinterfragen. Anlässlich des Dreigliedrigen Sozialgipfels am 22. März 2005 in Brüssel wurden in der Diskussion ebenfalls im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie Bedenken gegen eine Liberalisierung auf niedrigem Niveau („Sozialdumping“) geäußert. Insbesondere die Vertreter der Arbeitnehmerorganisationen warnten vor „Sozialdumping“, versicherten aber ihre grundsätzliche Unterstützung für das Projekt. So sprach etwa ÖGB-Präsident VERZETNITSCH von einem „klaren Ja zur Dienstleistungsrichtlinie unter fairen Bedingungen“. Im Hinblick auf die Vermeidung von Sozialdumping schlug Bundeskanzler Schüssel die Ausarbeitung eines Verhaltenskodex („Code of Conduct“) für Unternehmen vor. Bundesminister BARTENSTEIN hielt fest, dass die Dienstleistungsrichtlinie ca. 600.000 neue Arbeitsplätze bringen werde und die Bestimmungen der Entsenderichtlinie und der Diplomanerkennungsrichtlinie unberührt lasse. Obwohl das zentrale Element der Richtlinie das Herkunftslandprinzip ist, sollten Daseinsvorsorge und Sozialrecht davon ausgenommen werden.
Die Verankerung des Herkunftslandprinzips in Richtlinien erfolgt durch die Europäische Kommission seit mehreren Jahren. So ist beispielsweise auch in der e‑commerce-Richtlinie das Herkunftslandprinzip normiert, wobei allerdings Verbraucherverträge ausdrücklich von diesem ausgenommen sind.
Aus konsumentenpolitischer Sicht wurde immer darauf Bedacht genommen, dass – sollte die Statuierung des Herkunftslandprinzips nicht verhindert werden können - Verbraucherzivilrecht davon ausgenommen werden muss, weil für Vertragsrecht und zukünftig auch für außervertragliches Recht (Rom II) europäische Kollisionsnormen die Anwendung des Rechts auf Verträge und außervertragliche Schuldverhältnisse mit Auslandsbezug sowie den Gerichtsstand regeln und es nicht zufriedenstellend ist, wenn EG Sekundärrecht diese einheitlichen Regelungen unterläuft. Dieser Grundsatz wird auch vom Ausschuss Zivilrecht im Rat, dem die Aufgabe der Gewährleistung der Einheitlichkeit des Zivilrechts zukommt, vertreten. Weiters sollte eine Ausnahme für jene verwaltungsrechtlichen Regelungen vorgesehen werden, die das Ziel des Verbraucherschutzes verfolgen (Ergänzung der Schutzzwecke um den Verbraucherschutz in Art. 17 Z 16 und 17 der Richtlinie).
Dies gilt zweifelsohne auch für den Richtlinienvorschlag Dienstleistungen im Binnenmarkt, der eine zu enge Ausnahme lediglich für geschlossene Verbraucher-verträge vorsieht. Auch hier setzt sich das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz dafür ein, dass das Verbraucherzivilrecht (vertraglich wie außervertraglich) vom Herkunftslandprinzip ausgenommen wird, sodass Verbraucher/innen gemäß dem europäischen Kollisionsrecht grundsätzlich mit dem Recht ihres Staates und nicht mit dem Recht des Anbieterstaates konfrontiert sind.
Mein Ministerium hat bereits in den nationalen Koordinierungsverhandlungen vorgeschlagen, in Brüssel eine entsprechende schriftliche Stellungnahme in die Verhandlungen einzubringen und dazu in Kooperation mit dem Bundesministerium für Justiz eine Stellungnahme ausgearbeitet, wonach das Zivilrecht insgesamt vom Herkunftslandprinzip auszunehmen wäre. Diese Stellungnahme wird voraussichtlich noch vor dem Sommer 2005 in Brüssel in die Verhandlungen eingebracht werden.
Davon unabhängig ist die Frage der Sprache, in der das Angebot erfolgt. Die Erfahrung zeigt, dass die Webseiten in aller Regel in mehreren Sprachen verfasst sind, da andernfalls die Attraktivität für Verbraucher/innen entschieden gering sein wird. Sofern österreichisches Recht zur Anwendung kommt, werden AGB jedenfalls nur Vertragsinhalt, soweit sie im konkreten Fall verständlich waren.
Frage 4:
Die oben erwähnte Stellungnahme, die in Brüssel in die Verhandlungen eingebracht werden soll, spricht sich auch dafür aus, dass verwaltungsrechtliche Regelungen, die zum Schutz der Verbraucher/innen erlassen wurden (Ausübungs- und Ausbildungsregelungen) ebenfalls vom Herkunftslandprinzip ausgenommen werden sollen und somit auch auf hereinwirkende Anbieter Anwendung finden sollen.
Fragen 5 bis 10 sowie 14 und 15:
Ich verweise auf die Beantwortung des
Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit zu den Fragen 5 bis 10 sowie 17 und
18 der parlamentarischen Anfrage Nr. 2685/J.
Frage
11:
Es ist zuzustimmen, dass die Befassung ausländischer Behörden zur Durchsetzung von Gesetzesverstößen Zeit in Anspruch nimmt. Allerdings ist auch zu beachten, dass die Rechtsdurchsetzung gegenüber Unternehmen im eigenen Land mit geringeren Reibungsverlusten verbunden ist als grenzüberschreitend. Angesichts des Territorialitätsprinzips ist auch zu sehen, dass dzt. österreichisches Verwaltungsrecht praktisch kaum auf Unternehmen, die in einem anderen Land ansässig sind, angewendet wird bzw. gegenüber diesem durchsetzbar ist.
Fragen 12, 13, 16 und 17:
Zweifelsohne ist es nicht befriedigend, wenn auf Dienstleistungen, die auch grenzüberschreitend erbracht werden, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedliche Regelungen Anwendung finden. Dies vor allem deshalb, weil angesichts unterschiedlicher Regelungsniveaus die Gefahr besteht, dass Unternehmen sich in jenem Land ansiedeln, in denen die niedrigsten Standards bestehen (Problem des sogenannten Forum shopping). Aus diesem Grund wurde konsumentenpolitisch immer dafür argumentiert, dass die Harmonisierung auf hohem Niveau stattfinden muss. Das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat in konsumentenpolitischer Hinsicht immer einen äußerst kritischen Standpunkt gegenüber dem Herkunftslandprinzip eingenommen. Auch wenn natürlich die rechtliche Harmonisierung Zeit in Anspruch nimmt, so ist demgegenüber die Gefahr der Absenkung von Standards infolge von Forum shopping nicht vertretbar.
Was den Bereich der Sozialversicherung
anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass das zwischenstaatliche Recht in seinen
Regelungen, welche sozialversicherungs-rechtlichen Normen auf eine
Beschäftigung/eine Erwerbstätigkeit bei einem Aufenthalt in Österreich
anzuwenden sind, durch den vorliegenden Richtlinien-entwurf nicht berührt wird,
sodass hier die „Dienstleistungsrichtlinie“ keine Änderung bringen wird.
Frage 18:
Das BMSG hat sich immer dafür
ausgesprochen, die Gesundheits- und Sozialdienstleistungen aus dem
Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen und hat dazu mehrere
Stellungnahmen an das federführende Ressort übermittelt.
Zuletzt wurde am 8.2.2005 in einem vom
Bundeskanzleramt koordinierten österreichischen Positionspapier für den
Europäischen Rat am 22./23. März 2005 folgende Haltung zur
Dienstleistungsrichtlinie formuliert: „Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichem Interesse sollten aus dem Anwendungsbereich der
Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen werden.“ Diese Position wird vom BMSG
unterstützt, da Gesundheits- und Sozialdienstleistungen vom Begriff der
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse umfasst sind.
Mit
freundlichen Grüßen