2687/AB XXII. GP

Eingelangt am 29.04.2005
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0031-Pr 1/2005

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2767/J-NR/2005

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Freiheit der Kunst und Europäischer Haftbefehl“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Nein.

Insgesamt 25 Personen haben Gerhard H. und 2 weitere Personen bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Buches „Das Leben des Jesus“ angezeigt. Die erste Sachverhaltsdarstellung einer Privatperson ist am 11.3.2002 bei der Staatsanwaltschaft Wien eingelangt.

Zu 2 und 3:

Gegen Gerhard H. wurden in Österreich wegen seines Buches „Das Leben des Jesus“ keine gerichtlichen Ermittlungen geführt. Die Staatsanwaltschaft Wien hat am 19.6.2002 sämtliche Anzeigen nach § 90 Abs. 1 StPO zurückgelegt.

Zu 4:

Nach dem Griechischen Strafgesetzbuch ist zu bestrafen, wer öffentlich und böswillig in irgendeiner Weise die griechisch-katholische Kirche oder eine andere in Griechenland geduldete Religionsgesellschaft beschimpft.

Der Tatbestand des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB ist den griechischen Strafbestimmungen ähnlich. Das Verhalten muss aber darüber hinaus geeignet sein, berechtigtes Ärgernis zu erregen.

Beide Strafbestimmungen sind im Sinne der Kunstfreiheit nach Art 10 Abs. 1 EMRK auszulegen und nur dann anzuwenden, wenn dies in der demokratischen Gesellschaft unbedingt erforderlich ist. Generell macht eine ironische, nicht ernstgemeinte Auseinandersetzung mit dem gängigen Christusbild ohne erkennbare Verspottungs- oder Beleidigungstendenzen einen strafrechtlichen Eingriff im Sinne des Art 10 Abs. 2 EMRK nicht erforderlich.

Zu 5 und 6:

Die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 EU-JZG sind nach § 44 Abs. 1 EU-JZG durch das zuständige Gericht in Ausübung der unabhängigen Rechtssprechung zu prüfen.

Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. C 364 vom 18.12.2000 steht unter dem Eingriffsvorbehalt des Art. 52, wonach jede Einschränkung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Diese Grundsätze sind in Art. II-110 und Art. II-112 des Vertrages über eine Verfassung für Europa, Abl. C 310 vom 18.12.2004, übernommen worden.

Das garantierte Recht, wegen der selben Straftat nicht zweimal strafgerichtlich verfolgt oder bestraft zu werden, wird derzeit durch Art. 55 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), BGBl. III Nr. 90/1997, chartakonform eingeschränkt.

Griechenland hat zu Art. 55 SDÜ erklärt, sich unter anderem dann an den Grundsatz des Verbotes der Doppelbestrafung nach Art. 54 SDÜ nicht gebunden zu erachten, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, ganz oder teilweise auf hellenischem Hoheitsgebiet begangen worden ist.

Die Veröffentlichung von Druckwerken zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Sprachen in verschiedenen Staaten könnte aber auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Adressaten kaum als einheitliche Tathandlung aufgefasst werden.

Zu 7:

Der EuGH hat mit Urteil vom 11.2.2003 in den verbundenen Rechtssachen Hüseyin GÖZÜTOK (C-187/01) und Klaus BRÜGGE (C-385/01) das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 54 SDÜ dahingehend ausgelegt, dass unter den Worten „durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist“ und „im Falle einer Verurteilung“ auch urteilsähnliche Gerichts- und Staatsanwaltschaftverfügungen zu verstehen sind, wenn diese zum Verbrauch des Strafanklagerechts führen.

Auch bei Annahme einer identen Tat würde nach dem Inhalt dieses Urteils der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien am 19.6.2002 keine Bindungswirkung für die griechische Justiz zukommen, weil durch die Verfahrenseinstellung ohne gerichtliche Erhebungen das Strafanklagerecht wegen der Möglichkeit zur formlosen Fortsetzung des Verfahrens nicht verbraucht wurde.

Zu 8:

Nein.

Zu 9:

Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gegen einen österreichischen Staatsbürger auf Grund eines Europäischen Haftbefehls eines anderen Mitgliedstaates ist nach § 39 Abs. 1 EU-JZG nur zulässig, wenn sonst alle anderen Voraussetzungen für die Übergabe (Auslieferung) nach diesem Bundesgesetz vorliegen würden.

Der Tatbestand der Herabwürdigung religiöser Lehren kann nicht als eines der Delikte im Sinn der Liste nach Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, Abl L 190 vom 18.7.2002, angesehen werden, bei denen eine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ausgeschlossen ist. Die beiderseitige Strafbarkeit kann daher geprüft werden (§ 4 Abs. 1 EU-JZG). Nach dem zu Fragen 2 bis 4 Ausgeführten kann davon ausgegangen werden, dass keine beiderseitige Strafbarkeit vorliegt.

Selbst wenn man aber von einer Strafbarkeit in Österreich ausgeht, besteht hinsichtlich österreichischer Staatsbürger österreichische Gerichtsbarkeit nach §§ 64 und 65 Abs. 1 Z. 1 StGB. Diese steht nach § 7 Abs. 1 und 2 EU-JZG der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger entgegen.

Schon nach diesen Regeln kommt eine Vollstreckung eines allfälligen griechischen Haftbefehls durch Österreich nicht in Betracht, sodass es eines Rückgriffs auf die Übergangsbestimmung (§ 77 Abs. 2 EU-JZG) nicht bedarf.

Zu 10:

Auch vor der Einführung des Europäischen Haftbefehl konnten österreichische Staatsbürger im Ausland über Ersuchen anderer Staaten verhaftet werden, obwohl ein österreichisches Verfahren bereits eingestellt worden war. Auch der Europäische Haftbefehl überlässt den Mitgliedstaaten die Entscheidung, ob sie eine Fahndung einleiten und den Gesuchten zur Verhaftung zum Zwecke der Auslieferung ausschreiben.

Zu 11:

Nach Art 12 des Rahmenbeschlusses ist eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person trifft. Der Europäische Haftbefehl verpflichtet daher keinen Mitgliedstaat, die gesuchte Person bis zur Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls in Haft zu halten, sondern ermöglicht nach Maßgabe der innerstaatlichen Vorschriften des Vollstreckungsstaates die sofortige vorläufige Freilassung der gesuchten Person.

Zu 12:

Ich ersuche um Verständnis, dass ich als Bundesministerin für Justiz der Republik Österreich keine Stellungnahme zu einem Verfahren vor einem griechischen Gericht abgebe. Im Übrigen wurde das Strafverfahren in Griechenland nunmehr mit Freispruch durch das Rechtsmittelgericht erledigt.

Zu 13:

Auf Grund des Rahmenbeschlusses kann eine Auslieferung (Übergabe) zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur noch auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls erwirkt werden.

Mitgliedstaaten, in denen homosexuelle Partnerschaften und Beziehungen oder Schwangerschaftsabbrüche gerichtlich strafbar sein sollten, können zur Erwirkung der Auslieferung (Übergabe) des Beschuldigten aus einem anderen Mitgliedstaat einen Europäischen Haftbefehl erlassen und um dessen Vollstreckung ersuchen. Da es sich jedoch nicht um Listendelikte handelt, werden nur jene Mitgliedsstaaten die Fahndung einleiten und die Auslieferung bewilligen, in denen solche Handlungen ebenfalls gerichtlich strafbar sind.

Zu 14:

Der Europäische Haftbefehl hat sich bislang überaus bewährt. Er hat die Verfahren zur Auslieferung vereinfacht und beschleunigt. Ein Europäischer Haftbefehl gegen den österreichischen Staatsbürger Gerhard H. wegen der Veröffentlichung seines Buches in griechischer Sprache lag und liegt nicht vor. Nach dem Vorgesagten kann ich eine Problematik im Zusammenhang mit dem Europäischer Haftbefehl nicht erkennen.

Zwar bestehen zwischen den Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten weiterhin Unterschiede, was die Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen anlangt; diese Unterschiede werden häufig auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Einschätzungen (etwa der Grenzlinie zwischen „unmoralisch“ und „strafwürdig“) beruhen. Die „Herabwürdigung religiöser Lehren“ und die unter Frage 13 angesprochenen Tatbestände sind Beispiele dafür; zahlreiche weitere sind ebenfalls bekannt (zB bestimmte Taten im Zusammenhang mit Euthanasie; Beihilfe zum Selbstmord; oder auch Verhaltensweisen, deren Kriminalisierung in letzter Zeit gefordert wird, wie Organhandel, „stalking“, sexuelle Belästigung oder „mobbing“).

Die Bestimmungen im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die österreichische Umsetzungsgesetzgebung bieten aber – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Judikatur des Gerichtshofes in Strassburg – genug Flexibilität, um mit diesen Abweichungen der nationalen Strafrechtsordnungen zurecht zu kommen.

. April 2005

 

(Maga. Karin Miklautsch)