2720/AB XXII. GP

Eingelangt am 09.05.2005
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BM für Finanzen

Anfragebeantwortung

 

 

GZ. BMF-310205/0031-I/4/2005

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Herrn Präsidenten

des Nationalrates

Dr. Andreas Khol

 

Parlament

1017 Wien

 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr.  2759/J vom 9. März 2005 der Abgeordneten Bettina Stadlbauer und Kollegen, betreffend steuerliche Maßnahmen zu Lasten von Kindern, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

 

Einleitend möchte ich vorerst darauf hinweisen, dass von dieser Bundes-
regierung die größte Steuerreform der zweiten Republik, die allen Steuerpflichtigen zu Gute kommt, vorgenommen wurde. Sie ist sozial gerecht und entlastet speziell die Kleinverdiener. Von 5,9 Mio. Einkommensteuer-
pflichtigen zahlen 2,55 Mio. keine Lohn- und Einkommensteuer mehr.
Bruttojahreseinkommen bis 15.770 € sind steuerfrei. Allein die allgemeine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer mit 1. Jänner 2005 bringt eine Entlastung von annähernd 1,4 Mrd. €. Im Zusammenhang mit der vor-
liegenden Anfrage ist es mir auch ein Anliegen, die Familienfreundlichkeit dieser Steuerreform in Erinnerung zu rufen. Schon ab 1. Jänner 2004 wurde ein Kinderzuschlag zum Alleinverdiener(erzieher)absetzbetrag eingeführt. Dieser Kinderzuschlag ist gestaffelt und beträgt für das erste Kind 130 €, für das zweite Kind 175 €, für das dritte und jedes weitere Kind 220 €. Zusätzlich erfolgte eine Anhebung der Zuverdienstgrenze beim Alleinverdienerabsetzbetrag mit Kind von 4.400 € auf 6.000 €.

 

Bevor ich auf die einzelnen Punkte der vorliegenden Anfrage eingehe, möchte ich daher festhalten, dass es, wie aus diesen Ausführungen ersichtlich ist, der Bundesregierung stets ein Anliegen ist, für sozial gerechte Steuervorschriften zu sorgen, bei denen ein besonderes Augenmerk auf die Kleinverdiener und die Familienfreundlichkeit gerichtet wird.

 

Zu 1.:

Dem Bundesministerium für Finanzen ist dieses Thema bekannt, dessen "Geschichte" sich anhand der Judikatur des VfGH wie folgt darstellt:

 

Der VfGH hat in seiner Entscheidung vom 27.6.2001, B 1285/00, unter
anderem Folgendes ausgeführt:

 

"Der Gesetzgeber kann von Verfassung wegen nicht gehalten sein für den Fall getrennt lebender Eltern im Ergebnis höhere (Transfer-)Leistungen vorzusehen. Die zulässige Pauschalierung der Berücksichtigung von Kinderlasten nimmt auf Unterschiede in der Belastung der Eltern, die sich aus deren jeweils gegebenen Lebensverhältnissen oder den individuellen Bedürfnissen der Kinder ergeben, keine Rücksicht. Sind solcherart für
jedes unterhaltsberechtigte Kind dieselben Leistungen vorgesehen, so fällt auch der Umstand, dass die Eltern getrennt leben, diesen als Sache privater Lebensgestaltung oder persönlichen Risikos zur Last.

 

Wenn der Gesetzgeber die Transferleistungen auch bei getrennten Haushalten grundsätzlich dem das Kind betreuenden Elternteil zukommen lässt und (in § 12a Familienlastenausgleichsgesetz – FLAG ‑ 1967) eine Anrechnung auf den Unterhalt verbietet, so muss das im Lichte der ver-
fassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Entlastung so verstanden werden, dass die für das Kind zu verwendenden Transferleistungen zwar in der Regel (soweit als möglich) den Unterhalt des Kindes fördern und nicht den Unterhaltspflichtigen entlasten sollen, dass aber der im Einzelfall doch nötige Ausgleich für die überhöhte Steuerbelastung ebenso wenig behindert wird wie im gemeinsamen Haushalt.

 
Steuerlich muss (zumindest) die Hälfte des gesetzlich geschuldeten (nach der Prozentsatzmethode ermittelten bzw. aus den Regelbedarfssätzen abgeleiteten) Unterhaltes berücksichtigt werden (vgl. zuletzt Entscheidung vom 30.11.00, B 1340/00).
 
Das verfassungskonforme Ergebnis wird dadurch erreicht, dass der Geldunterhaltspflichtige einerseits durch eine Kürzung seiner Unterhaltspflicht (teilweise Anrechnung der Transferleistungen) und andererseits durch die Gewährung des Unterhaltsabsetzbetrages insgesamt jene Entlastung erfährt, die erforderlich ist, um die Steuermehrbelastung abzugelten, die im jeweiligen Fall durch die Nichtabzugsfähigkeit der Hälfte des Unterhaltes entsteht."
 

Nach Auffassung des OGH fehlten allerdings die Voraussetzungen für die vom VfGH angeregte ergänzende Rechtsfortbildung. In seinem Antrag auf Aufhebung des § 12a FLAG führte er unter anderem aus, dass eine teleolo-
gische Reduktion des normativen Gehalts von § 12a FLAG auf jenen Bereich, in dem die Familienbeihilfe nicht zum Ausgleich der überhöhten Steuerbelastung benötigt wird, mit den zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätzen nicht im Einklang sei. Diese teleologische Reduktion sei vor allem deshalb nicht vorzunehmen, weil die aus der Regelung des § 12a FLAG auszunehmende Fallgruppe die Mehrheit aller Geldunterhaltspflichtigen umfasse und damit nicht bloß "verdeckte" Ausnahmefälle betreffe, auf die eine sonst grundsätzlich anzuwendende Regelung ausnahmsweise nicht passe. Damit würde nicht eine zu weit gefasste Regel auf den ihr nach dem Zweck des Gesetzes zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt, sondern eine Gesetzesänderung verwirklicht, was aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern Aufgabe des Gesetzgebers sei.

 

Mit Erkenntnis vom 19.6.2002, G 7/02 hob der VfGH Teile des § 12a FLAG "im Sinne seiner Rechtsbereinigungsfunktion" auf, weil einige Zivilgerichte seiner Rechtsprechung folgten, andere diese aus methodischen Gründen ablehnten. Ausdrücklich wies der VfGH darauf hin, dass die Aufhebung
keineswegs zur Folge hat, dass nunmehr die Familienbeihilfe stets zur Gänze dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil zugute kommt. Vielmehr komme die Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Unterhaltsverpflichtung des nicht haushaltszugehörigen Elternteils nur soweit in Betracht, als sie zur Abgeltung der steuerlichen Mehrbelastung von Unterhaltsverpflichteten im Sinne der bisherigen Judikatur erforderlich ist. Dies treffe nur für höhere Einkommen und höhere Unterhaltsbelastungen zu. Auch für diese ergebe sich nach der bisherigen Judikatur, dass die Kürzung des Unterhaltsanspruchs jeweils erheblich unter 20% liegt.

 

Zu 2.:

Mit der Aufhebung der Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" in § 12a FLAG durch den VfGH wurde eine Rechtslage geschaffen, wonach eben das Gegenteil – nämlich die Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhaltsanspruch – möglich ist. Eine allfällige Änderung im
Steuerrecht (z.B. durch Erhöhung der Unterhaltsabsetzbeträge) würde somit nichts daran ändern, dass seit der Wirksamkeit dieser Aufhebung eine Anrechnung der Familienbeihilfe vorgenommen werden kann.

 


Zu 3. bis 5.:

Eine Änderung im Steuerrecht ist nicht geplant, da der VfGH in seinen Erkenntnissen zum Ausdruck gebracht hat, dass die derzeitige Höhe der
Unterhaltsabsetzbeträge verfassungskonform ist und die Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Unterhaltsverpflichtung des nicht haushaltszuge-
hörigen Elternteils nur soweit in Betracht kommt, als sie zur Abgeltung der steuerlichen Mehrbelastung von Unterhaltsverpflichteten im Sinne der bisherigen Judikatur erforderlich ist. Dies treffe nur für höhere Einkommen und höhere Unterhaltsbelastungen zu. Durch die mittlerweile erfolgte Änderung des § 12a FLAG ist die Anrechnung der Familienbeihilfe im Übrigen unabhängig von der Höhe des Unterhaltsabsetzbetrages wirksam geworden.

 

Zu 6.:

Für die Berechnung der Höhe der Unterhaltspflicht gibt es keine allgemein bindenden fixen Sätze; die Bemessung kann vielmehr nur für den Einzelfall, und zwar in einem mehrstufigen Verfahren unter Bedachtnahme auf die konkreten Sachverhaltsumstände erfolgen. Im Rahmen dieser Ermittlung haben die ZivilrichterInnen unter anderem und losgelöst von einer steuer-
lichen Entlastungswirkung auch § 12a FLAG zu beachten.

 

Zu 7. bis 9.:

Das LG St. Pölten hat seine Bedenken in seinem Antrag auf Aufhebung des § 12a FLAG zum Ausdruck gebracht; sie sind auch im Erkenntnis vom 19.6.2002, G 7/02 teilweise wörtlich wiedergegeben. Diese Bedenken
wurden jedoch vom VfGH im erwähnten Erkenntnis vom 19.6.2002, G 7/02, nicht geteilt und somit auch nicht als "verfassungsmäßig" angesehen. Das Bundesministerium für Finanzen sieht sich daher nicht veranlasst, eine dem eindeutigen Spruch des VfGH entgegenstehende Auffassung zu vertreten

und eine gesetzliche Änderung in welcher Richtung auch immer, vorzu-
nehmen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen