2756/AB XXII. GP
Eingelangt am 24.05.2005
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BM für Verkehr, Innovation und
Technologie
Anfragebeantwortung
GZ. BMVIT-10.000/0016-I/CS3/2005 DVR:0000175
An den
Präsidenten des Nationalrates
Dr. Andreas Khol
Parlament
1017 W i e n
Sehr geehrter Herr Präsident!
Die schriftliche
parlamentarische Anfrage Nr. 2791/J-NR/2005 betreffend Genehmigungs- und
Bewilligungspraxis am Beispiel "Talent", die die Abgeordneten Moser,
Freundinnen und Freunde am 24. März 2005 an mich gerichtet haben, beehre ich
mich wie folgt zu beantworten:
Vorweg ist festzuhalten, dass für Grundsatzentscheidungen
hinsichtlich der Beschaffungs-strategie von Schienenfahrzeugen nicht das bmvit,
sondern die ( damaligen ) Organe der ÖBB zuständig sind. Die in der
gegenständlichen Anfrage betroffene Baureihe 4023 ist nach wie vor keineswegs für das gesamte
elektrifizierte Streckennetz Österreichs behördlich zugelassen, sondern in
mehrerlei Hinsicht nur eingeschränkt. Die Verfahrensdauer von 20 Monaten ist,
sofern die auch in vielen anderen Staaten der Europäischen Union präferierte
entwicklungsbegleitende Begutachtung durch die Genehmigungsbehörde praktiziert
wird, auch in anderen Ländern keineswegs atypisch.
Frage 1:
Aus dem Genehmigungsbescheid geht
hervor, dass die ARGE Bombardier-ELIN bereits am 11. Oktober 2003 das
gegenständliche Projekt zur eisenbahnrechtlichen Behandlung vorgelegt habe.
Weiters wird darauf hingewiesen, dass im Laufe des Verfahrens mehrmals
Unterlagen nachgereicht wurden.
a)
Weshalb
hat die Genehmigung der Fahrzeuge so lange, nämlich von Oktober 2002 bis Juni
2004 gedauert? Ist dies die übliche Zeitspanne für die Genehmigung eines
Fahrzeuges? Fall nein, welche verzögernden Faktoren sind aufgetreten?
b)
Worüber
mussten mehrmals Unterlagen nachgereicht werden? Ist es ein üblicher Vorgang,
dass bei der Genehmigung von Eisenbahnfahrzeugen diese sozusagen mitentwickelt
werden und daher über viele Monate hinweg mehrmals das Projekt geändert werden
muss?
c)
Welche
Unterlagen und Projektsänderungen hat die Eisenbahnbehörde im Interesse einer
behindertengerechten Gestaltung des Fahrzeuges im Laufe der vielen Monate
erstens nachgefordert bzw. zweitens auch durchgesetzt?
Antwort:
a)
Die Zeitspanne von 20 Monaten ist
für ein neu entwickeltes Serienfahrzeug nichts Unge-wöhnliches und liegt in der
entwicklungsbegleitenden Begutachtung durch die zuständige Behörde.
b)
Unvermeidbarer Weise wurden während
dieser entwicklungsbegleitenden Begutachtung Versuchsprotokolle nachgereicht, die - wie international
Standard - erst auf Grundlage von Experimenten am teilweise oder vollständig
fertiggestellten Erstexemplar der gegenständlichen Serie durchgeführt werden
konnten, z.B. den statischen Festigkeitsversuchen nach EN12663. Ferner wiesen
die Sachverständigen einige Genehmigungsunterlagen, die vom Herstellerkonsortium
vorgelegt wurden, wegen diverser Mängel zurück u.a. die rein theoretischen und
nicht praxisbezogenen Untersuchungen zur Einstiegsituation.
c)
- Deutlich verbesserte und farblich
gekennzeichnete Trittroste zur Ver-besserung der Einstiegsituation
- Deutlich verbesserte Kennzeichnung der
Querstufen
- Berücksichtigung der Postulate des Verbandes
der Blinden und Seh-behinderten zugunsten verbesserter Kennzeichnung von
Griffstangen und exponierten Gepäckträgern (ist derzeit in Umsetzung)
- Entwicklung und Einbau einer brauchbaren
Rollstuhlrampe
- Beseitigung von Stolperfallen (als entbehrlich
erwiesene Türblattführungen) in der Einstiegmitte
- Verbesserungen hinsichtlich der
Praxistauglichkeit der Notsprechstellen
- Verbesserungen der Anhaltemöglichkeiten.
Frage 2:
Aus der Vorschreibung 2 des
Genehmigungsbescheides geht hervor, dass die brems-technischen Erprobungen zum
Zeitpunkt der Zulassung noch gar nicht abgeschlossen bzw. nicht vollständig
waren. Dort wird nämlich vorgeschrieben, dass die bremstechnische Erprobung
nach bestimmten Vorgaben zu vervollständigen bzw. zu wiederholen ist. Dennoch
hat die Eisenbahnbehörde den Fahrzeugen die Betriebsbewilligung erteilt und sie
daher offensichtlich ohne vollständige Nachweise hinsichtlich der Bremstechnik
für den Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben.
a)
Wie
ist es erklärbar, dass 11 Eisenbahnfahrzeuge von der Eisenbahnbehörde
zugelassen wurden, für die zum Zulassungszeitpunkt offensichtlich noch keine
vollständige bremstechnische Erprobung vorlag?
b)
Weshalb
wurde für die vollständige bzw. wiederholte bremstechnische Erprobung eine
Frist von zwei Monaten festgesetzt (bis 31.7.2004), während der die Fahrzeuge
somit jedenfalls ohne vollständige Nachweise hinsichtlich der Bremstechnik im
öffentlichen Fahrbetrieb mit Fahrgästen unterwegs waren?
c)
Wurden
die entsprechenden Nachweise wenigstens innerhalb der zweimonatigen Nachfrist
vorgelegt? Wann wurden die Nachweise vorgelegt? Welches Ergebnis erbrachte die
Prüfung der Nachweise durch die Eisenbahnbehörde? Konnte sich die
Eisenbahnbehörde wenigstens nachträglich davon überzeugen, dass das Fahrzeug
vorschriftsgemäß bremsen kann?
d)
Wer
hätte im Fall eines mit der Bremstechnik zusammenhängenden Unglücks in der
Nachfrist-Phase die Verantwortung für materielle Schäden oder Schäden an Leib
und Leben zu tragen gehabt?
e)
Ist es
eine bedauerliche Ausnahme oder stellt es den Regelfall bei Genehmigungen der
Eisenbahnbehörde dar, dass Fahrzeuge ohne vollständige Nachweise hinsichtlich
der Bremstechnik für den Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben werden?
f)
Was
haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, dass hinkünftig keine Fahrzeuge mehr für
den Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben werden, bei denen nicht gesichert
ist, dass sie überhaupt sicher bremsen können?
Antwort:
Bei der Abwicklung der bremstechnischen
Typenprüfverfahren offenbarten sich einige Mängel, die es erforderlich machten,
technische Änderungen vorzunehmen, die Ihrerseits wiederum eine Wiederholung
einiger Versuche sowie Einstellungsoptimierungen erforderten.
Wegen diverser Erkenntnisse aus den Versuchen und den
zwischenzeitlich fortgeschrittenen Normenwerken (in Frage 5 zitierte
UIC-Merkblätter) war es angesichts beschränkter Kapazitäten der involvierten
Gutachter jedoch nicht möglich, alle formalen Ergänzungen vor
Bescheiderteilung fertigzustellen. Die ausständigen Protokolle über die
bremstechnische Erprobung gingen im bmvit im September 2004 endgültig ein,
nachdem mehrere Male Details auf Expertenebene geklärt worden waren. Ein
Abwarten dieser Protokolle wäre der Eisenbahnbehörde als „bürokratische
Schikane“ und Vernichtung von öffentlichen Werten (Stillstand von
betriebsbereiten anfänglich 5 bis 6 Zügen) zum Vorwurf gemacht worden.
Zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung waren alle
Voraussetzungen gemäß EisbG 1957, insbesondere jene nach Sicherheit und Ordnung
des Betriebes erfüllt. Ohne die Erfüllung dieser Voraussetzungen wird keine Genehmigung erteilt.
Frage 3:
In der Vorschreibung 23 des Genehmigungsbescheides
wird für das Bremssystem erst anlässlich der Betriebsbewilligung ein Nachweis
verlangt, dass die Software und die Hardware überhaupt entsprechend dem Stand
der Technik qualifiziert sind. Das bedeutet aber weiter, dass die
Eisenbahnbehörde zum Zeitpunkt des Erteilens der Betriebsbewilligung
offensichtlich noch gar nicht gewusst hat, ob das Bremssystem überhaupt
entspricht. Dennoch wurde das Fahrzeug für den Betrieb in der Öffentlichkeit
freigegeben.
a)
In der
Vorschreibung 23 wurde das Bremssystem als sicherheitsrelevantes System
eingestuft. Das ist mehr als beunruhigend: Wieso muss ein Bremssystem überhaupt
erst als sicherheitsrelevantes System eingestuft werden? Ist das nicht
selbstverständlich? Gibt es im derzeitigen Bestand oder bei in Bearbeitung
befindlichen Genehmigungsverfahren Eisenbahnfahrzeuge, bei denen die
Eisen-bahnbehörde das Bremssystem nicht als sicherheitsrelevant einstuft?
b)
Weshalb
wurde für den Nachweis der Qualifikation der Hardware und Software des
Bremssystems eine Frist von zwei Monaten festgesetzt (bis 31.7.2004), während
der die Fahrzeuge somit jedenfalls ohne vollständige Nachweise der
Qualifikation der Hardware und Software für den Betrieb in der Öffentlichkeit
freigegeben wurden?
c)
Als
Frist für die Nachreichung der Nachweise für die Qualifikation der Hardware und
Software des Bremssystems wurde in der Vorschreibung 23 der 31.7.2004
vorgeschrieben. Wurden die entsprechenden Nachweise bereits vorgelegt? Wann
wurden die Nachweise vorgelegt? Welches Ergebnis erbrachte die Prüfung der
Nachweise durch die Eisenbahnbehörde? Konnte sich die Eisenbahnbehörde
wenigstens nachträglich davon überzeugen, dass die Hardware und Software des
Bremssystems funktionieren?
d)
Ist es
eine bedauerliche Ausnahme oder stellt es den Regelfall bei Genehmigungen der
Eisenbahnbehörde dar, dass Fahrzeuge ohne vollständige Nachweise hinsichtlich
der Hardware und Software des Bremssystems auf die Öffentlichkeit losgelassen
werden?
e)
Was
haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, dass hinkünftig keine Fahrzeuge mehr für
den Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben werden, bei denen nicht sicher
ist, ob sie überhaupt sicher bremsen können?
Antwort:
Es wurden nicht erst zum Zeitpunkt der Betriebsbewilligung Nachweise verlangt, vielmehr lagen als Entscheidungsgrundlage für o. e. Betriebsbewilligung bereits im Januar 2004 bzw. März 2004 einerseits der Bericht zur sicherheitstechnischen Begutachtung der Software der Fahrzeugleittechnik, andererseits der Report zum Review der Software der Bremssteuerung und des Gleitschutzes dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie vor. Neben diversen Messberichten der praktischen Fahrzeugerprobung sowie einer funktionalen Sicherheitsbetrachtung bildeten die in o. cit. Berichten ausgesprochenen Empfehlungen der Gutachter eine Entscheidungsgrundlage für die im Juni 2004 erteilte Betriebsbewilligung.
Die in der gegenständlichen Anfrage betroffene Baureihe 4023 hat derzeit nicht nur eine eingeschränkte, sondern auch nur eine streckenbezogene Zulassung. Daher ist es nichts Außergewöhnliches, wenn bis zur Erteilung einer österreichweiten Zulassung sich im Bescheid befristete Auflagen, die im Wesentlichen die Empfehlungen der Gutachter widerspiegeln, finden.
Weiters ist festzustellen, dass zum Zeitpunkt der eisenbahnrechtlichen Genehmigung die wesentlichen Inhalte der geforderten Gutachten zumindest in Form von Vorabbestätigungen der Gutachter der Behörde vorlagen und somit keinerlei Grund gegeben war, die eingeschränkte und streckenbezogene Betriebsbewilligung für die Baureihe 4023 zu verweigern. Zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung waren somit alle Voraussetzungen gemäß EisbG 1957, insbesondere jene nach Sicherheit und Ordnung des Betriebes erfüllt. Ohne die Erfüllung dieser Voraussetzungen wird keine Genehmigung erteilt.
Frage 4:
In der Vorschreibung 14 des
Genehmigungsbescheides werden sogar noch Verhaltensregeln des
Triebfahrzeugführers bei fahrzeugseitigem Ausfall der elektrodynamischen Bremse
festgelegt. Auch die Vorschreibung 16 beschäftigt sich ausführlich mit
Vollbremsungen bei nicht verfügbarer elektrodynamischer Bremse. Sogar die
Beschreibung der Bremsanlage des Fahrzeuges dürfte mangelhaft sein und muss
überarbeitet sowie an den aktuellen Stand angepasst werden (siehe Vorschreibung
17). Offensichtlich sind hinsichtlich der Bremsung dieses Fahrzeuges eine Reihe
von Sicherheitsfragen nicht gelöst und nach zwei Jahren nicht einmal die
Entwurfsunterlagen für sicherheitsrelevante Bauteile aktuell und vollständig!
Da die Beschreibung der Bremsanlage des Fahrzeuges grundlegend zu überarbeiten
ist, handelt es sich offensichtlich nicht um irgendwelche Kinkerlitzchen,
sondern sind maßgebliche Dinge nicht in Ordnung. Trotzdem hat die
Eisenbahnaufsichtsbehörde offenbar keine Bedenken gegen eine Zulassung gehabt.
Antwort:
Wie bereits unter der Antwort zu
Frage 1 erläutert, bedarf es - auch wenn das im Vorschreibungstext nicht immer
gesondert vermerkt wird - einer Unterscheidung zwischen technisch bedenklichem
Fahrzeugverhalten (dies konnte zum Zeitpunkt der Bescheid-erteilung
ausgeschlossen werden) und Formalerfordernissen.
Im Zuge des Stör- und
Notfallkonzeptes ist es zweckmäßig, dass die Behörde auf eindeutige
Verhaltensmaßregeln (die im Regelfall durch die Dienstvorschriften des
betriebsver-antwortlichen Eisenbahnverkehrsunternehmens erfolgt), auch
hinsichtlich von Eigenheiten des gegenständlichen Fahrzeugtyps Wert legt, so
auch bei diesem Fahrzeug. Es ist daher nicht zulässig, aus dieser Forderung
eine zu erwartende Häufung gewisser Störungen abzuleiten.
Bezüglich der Fahrzeugdokumentation
gilt sinngemäß das in der Antwort zu Frage 3 Gesagte.
a, d)
Ja, allerdings erst seit wenigen Wochen, wobei das
bmvit nie auf Vermutungen angewiesen war, sondern auf Grundlage
übereinstimmender Aussagen von international anerkannten Gutachtern bzw.
persönlich von den Amtssachverständigen festgestelltem Fahrzeugver-halten
entschied.
b)
Eine nachlesbare u.a. auch für die weiterentwickelte
Baureihe 4024 gültige Dokumentation.
c)
Geringfügige Überarbeitungen der
Dokumentationen stellen eher den Regelfall dar.
e)
Es würde als entbehrliche Schikane
der Antragsteller und Behinderung des europäischen Warenaustausches empfunden
werden, zumindest vorläufige Unterlagen eines - beim gegenständlichen Projekt
konstruktionsverantwortlichen - Unternehmens, nicht auch in Fremdsprachen zu
akzeptieren. Endgültig und längerfristig (z.B. für die Erstellung von
Handbüchern für - in der Regel nicht fremdsprachenkundige -
Triebfahrzeugführer) wird jedoch eine deutschsprachige Version benötigt.
f)
Diese Frage stellt sich, wie oben
erläutert, nicht.
Frage 5:
Darüber hinaus sind die bremstechnischen
Erprobungen gemäß Vorschreibung 2 des Genehmigungsbescheides nach kaum
nachvollziehbaren Grundlagen (z.B. dem 19. Entwurf zur 2. Ausgabe eines
UIC-Merkblattes 541-05) sowie nach §32 der Deutschen EBO durchzuführen. Die
Notlöseeinrichtung für die Federspeicherbremse ist gemäß Vorschreibung 12 an
die von DB, EBA und VDV publizierte Regelung Nr. B004/001 (Entwurf 5.1 vom
September 2002) anzupassen.
a)
Gibt
es in Österreich keine ausreichenden und brauchbaren Rechtsvorschriften für
Eisenbahnfahrzeuge, sodass hier auf Regelungen von ausländischen Behörden und
Vereinen (!) zurückgegriffen werden muss?
b)
Müssen
Eisenbahnfahrzeuge tatsächlich nach irgendwelchen Entwürfen (!) von Regelungen
zugelassen werden? Gilt im Eisenbahnbereich in Österreich neuerdings Deutsches
Recht?
c)
Entsprechend
19. Entwürfe einer 2. Ausgabe dem Stand der Technik? Wurde der 19. Entwurf dann
zur Endfassung der 2. Ausgabe oder gibt es bereits einen 20. oder 21. Entwurf
oder gar eine 3. Ausgabe?
d)
Was
haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, damit die Eisenbahnbehörde hinkünftig
nicht nach Grundlage eines derartigen Regelungs-Wirrwarrs, sondern nach
verbindlichen und für alle nachvollziehbaren Rechtsvorschriften vorgeht?
Antwort:
Dank jahrzehntelanger
funktionierender Expertengremien im Rahmen des internationalen
Eisenbahnverbandes (UIC) gibt es
weltweit anerkannte Regeln. Diese ermöglichen es überhaupt erst, europaweit
Fahrzeuge auszuschreiben und zum Teil auch grenzüberschreitend einzusetzen.
Aufgrund der „Trägheit“ mancher dieser Regelwerke, wenden Experten, die dem
Gesetz entsprechende den „Stand der Technik“ anwenden müssen auch bereits
Entwürfe, wie den hier zitierten, an. Aktuelle Details über den UIC-Kodex sind
öffentlich unter www.uic.asso.fr abrufbar.
Dort wo es im Ausland, wie etwa in
Deutschland allgemein zugängliche technische Regelwerke gibt, die den Stand der
Technik wiedergeben, ist es naheliegend, diese heranzuziehen, was in der Regel
bereits im Ausschreibungsverfahren festgelegt wird.
Die Anwendung des österreichischen Eisenbahnrechts im Zulassungsverfahren steht keineswegs im Widerspruch zur Anwendung des UIC-Kodex bzw. anderer Richtlinien, die den „Stand der Technik“ zumindest europaweit definieren. In den nächsten Jahren werden auch für Fahrzeuge, wie die gegenständlichen Regionalverkehrstriebwagen durch die laufende Entwicklung der (europäischen) „Technischen Spezifikationen für Interoperabilität“ rechtsverbindliche gesamteuropäische Festlegungen geschaffen. Mit dem in der Zwischen-zeit bestehenden Nebeneinander von ISO- und Europäischen Normen sowie dem immer noch dominanten UIC-Kodex (was die Quantität der technischen Detailregeln betrifft) lebt derzeit ganz Europa.
Frage 6:
Gemäß Vorschreibung 37 des
Genehmigungsbescheids ist ein brandschutztechnisches Gutachten erst nach der
Betriebsbewilligung und daher erst nach dem Einsatzbeginn der Fahrzeuge
vorzulegen. Das bedeutet, dass die Eisenbahnbehörde ein Eisenbahnfahrzeug in
öffentlichen Betrieb gehen hat lassen, ohne dass der Brandschutz vorab
vollständig geprüft wurde. Damit nicht genug: In der Bescheidbegründung wird
sogar noch ausgeführt, dass die bisherige brandschutztechnische Beurteilung
scheinbar nach einem nicht verbindlichen und voraussichtlich auch nicht
konsensfähigen Normentwurf durchgeführt wurde. Darüber hinaus ist nachlesbar,
dass der Brandschutzgutachter bestimmte Prüfinhalte sogar verweigert hat
(Umstufung des Fahrzeuges in die Betriebsklasse 3). Es ist daher klar, dass
hinsichtlich des Brandschutzes durch die Eisenbahnbehörde keine ausreichenden
Ermittlungen durchgeführt wurden und keine vollständigen Gutachten vorlagen,
bevor das Fahrzeug zugelassen wurde, sondern man hat sich auf nachträgliche
Nachweise verlassen. Dies erscheint angesicht der Brandkatastrophen der letzten
Jahre (Tauerntunnel, Kaprun) besonders unverantwortlich.
a)
Wie
ist es erklärbar, dass 11 Eisenbahnfahrzeuge von der Eisenbahnbehörde
zuge-lassen wurden, für die offensichtlich noch keine vollständige
brandschutztechnische Beurteilung vorlag?
b)
Nach
welchen Rechtsvorschriften über den Brandschutz geht die Eisenbahnbehörde bei
der Genehmigung von Eisenbahnfahrzeugen vor?
c)
Ist es
üblich, dass Eisenbahnfahrzeuge nach einem nicht verbindlichen und voraus-sichtlich
auch nicht konsensfähigen Normentwurf brandschutztechnisch geprüft werden?
d)
Ist es
üblich dass die Eisenbahnbehörde mit dem Brandschutzgutachter erst über die
Prüfinhalte herumstreiten muss, während die Eisenbahnfahrzeuge bereits für den
Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben wurden?
e)
Ist es
eine bedauerliche Ausnahme oder stellt es den Regelfall bei Genehmigungen der
Eisenbahnbehörde dar, dass Fahrzeuge ohne vollständige brandschutz-technische
Beurteilung für den Betrieb in der Öffentlichkeit freigegeben werden?
f)
Was
haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, damit die Eisenbahnbehörde hinkünftig
Fragen des Brandschutzes vorab klärt und bei der Betriebsbewilligung nicht noch
mit dem Brandschutzgutachter über die Einstufung herumstreitet?
Antwort:
a)
Brandschutztechnisch wurden im
gegenständlichen Fahrzeugtyp zahlreiche Forderungen des bmvit durchgesetzt.
Selbstverständlich lag ein schutzzielorientiertes, alle anwendbaren Normen,
Normentwürfe und Regeln berücksichtigendes brandschutztechnisches Gutachten -
in diesem Falle ein solches der Technischen Universität Wien - vor
Bescheiderteilung dem bmvit vor.
Die formale Forderung der Vorschreibung (37) fußt auf der rein formalen Widerspiegelung der zitierten deutschen Norm (DIN 5510), und wurde kurzfristig erfüllt, ohne dass sich hierbei neue Erkenntnisse ergaben.
b)
Grundlage des Verfahrens ist das Eisenbahngesetz 1957 in der geltenden Fassung. Das bmvit nimmt seit mehreren Jahren infolge mehrerer Anlassfälle bei in- und ausländischen Bahnen insofern eine Vorreiterrolle in Europa ein, als bei jedem Fahrzeug-Zulassungsverfahren ein unabhängiges Expertengutachten zum Brandschutz gefordert wird. Welche Normen und Regelwerke zur Festlegung des „Standes der Technik“ angewendet werden, wird dabei diesen international etablierten Spezialisten überlassen (in Summe kommen ca. 60 Normen bzw. Normentwürfe in Betracht). Vorweg zu klären ist jedenfalls die Einstufung in Risiko- bzw. Betriebsklassen, was im konkreten Fall durch die mangelhafte Koordination zwischen Besteller (ÖBB-PV) und konstruktionsverantwortlicher Lieferfirma (Bombardier/Elin) tatsächlich erst in einem relativ späten Stadium erfolgte.
c)
Ja, es gilt dasselbe, wie bei den
UIC-Merkblättern, dass nämlich auch in noch nicht beschlossenen Normen (sog.
Praenormen, die bereits veröffentlicht sind ) der „Stand der Technik“ definiert
ist.
d) bis f)
Nein, dies war auch im vorliegenden Fall nicht so. Üblicherweise erfolgt die Festlegung bereits im Pflichtenheft im Zuge des Ausschreibungsverfahrens. Eine früh- und rechtzeitige Absprache zwischen Behörde und künftigem Betreiber soll dies bei künftigen Fahrzeugserien hintanhalten.
Frage 7:
Gemäß Vorschreibung 6 des Genehmigungsbescheides ist das WC mit einer fremdkraftbetätigten Türe nachzurüsten, damit Mobilitätsbehinderten im Rollstuhl die Benutzung des WC´s ohne fremde Hilfe ermöglicht wird. Diese Vorschreibung muss erst bis 30.5.2005 erfüllt werden.
a) Weshalb wird die behindertengerechte Gestaltung des Fahrzeuges über mehr als ein Jahr hinweg auf die lange Bank geschoben?
b) Wie ist es zu erklären, dass einerseits Staatssekretär Mag. Mainoni in seinem Schreiben vom 4. November 2004 den Österreichischen Bundesbahnen die behindertenfeindliche Gestaltung des Fahrzeuges in die Schuhe schiebt (unvernünftig, Kritik auch in direktem Kontakt mit dem zuständigen Vorstands-direktor), während gleichzeitig die Eisenbahnbehörde unverhältnismäßig großzügige Fristen für eine behindertengerechte Gestaltung einräumt?
c) Was hat denn die Kritik des Herrn Staatssekretärs im direkten Kontakt mit dem zuständigen Vorstandsdirektor ergeben? In welchem Gespräch mit welchem Vorstandsdirektor hat der Herr Staatssekretär seiner Kritik wie angekündigt Nachdruck verliehen? Was sind die hoffentlich positiven Auswirkungen dieses Gesprächs auf die Mobilitätsbehinderten im Talent?
d) Ist es eine bedauerliche Ausnahme oder stellt es den Regelfall dar, dass der Staatssekretär im Verkehrsministerium Verwendungszusagen abgibt, die von der Eisenbahnbehörde in ihren Bescheiden durch unvertretbar lange Fristen konterkariert werden dürfen?
e) Was haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, damit der Herr Staatssekretär und die Eisenbahnbehörde hinkünftig am gleichen Strang ziehen?
Antwort:
a)
Die Forderung nach einer Nachrüstung der WC-Türen mit Motorantrieb entsprach einer Kompromisslösung zwischen geäußerter Kritik von Interessensvertretungen der Roll-stuhlfahrern (bei Besichtigung der ersten fertigen Fahrzeuge) und technischer Machbarkeit (Aufwand für den Tausch der WC-Zelle). Zwischenzeitlich hat es in dem vom bmvit ins Leben gerufenen Arbeitskreis „Behinderte und öffentlicher Verkehr“ eine Einigung gegeben, sodass sich diese Maßnahme als nicht erforderlich erweist und daher vom bmvit nicht mehr weiter betrieben wird. Die auch vom bmvit geäußerte Kritik an der nicht rechtzeitigen Einbeziehung von Vertretern von Behindertenorganisationen bei der Gestaltung von Fahrbetriebsmitteln hat dazu geführt, dass die ÖBB-Personenverkehrs AG einen eigenen Ansprechpartner aus dem betroffenen Personenkreis nominiert hat, um die Anliegen der Behinderten rechtzeitig zu berücksichtigen.
Frage 8:
Im Schreiben von Herrn Staatssekretär Mag. Mainoni vom 4. November 2004 wird darauf hingewiesen, dass für sämtliche nachträglich geforderte Gutachten selbstverständlich zuvor positive Vorgutachten vorgelegen seien, sodass die Endausfertigung des Gutachtens nachgeliefert hätte werden können. Neben dem umfassenden brandschutztechnischen Gutachten (das von vorher oder das von nachher?) gibt es dann auch noch eine Ergänzung, die wiederum die Relation zu einem konkreten deutschen Regelwerk widerspiegelt.
a) Nach welchen Rechtsgrundlagen des Verwaltungsverfahrensrechts gliedert die Eisenbahnbehörde die vorzulegenden Gutachten in positive Vorgutachten, Endausfertigung des Gutachtens, umfassendes Gutachten und Ergänzungen zum Gutachten, die teilweise vor und teilweise erst nach der Genehmigung vorliegen müssen?
b) Ist ein derartiges Gutachten-Tohuwabohu üblich oder stellt die Fahrzeugreihe Talent diesbezüglich einen bedauerlichen Einzelfall dar?
c) Was haben Sie angeordnet bzw. veranlasst, damit dieses Tohuwabohu endlich verlässlich abgestellt wird?
Antwort:
Die Grundlagen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten auch für eisenbahnrechtliche Verfahren, so u.a. auch das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Außerdem wird auf die zu Frage (4) dieser Anfragebeantwortung gegebenen Erläuterungen hingewiesen. Die Berücksichtigung von Vorgutachten auf dem Niveau eines Sachverständigenbeweises ist auch bei anderen Fahrzeugzulassungen ein taugliches Mittel, um moderne Schienenfahrzeuge - unter voller Wahrung der technisch-betrieblichen Sicherheit - rasch in Verkehr zu bringen. Jedwede andersartige starre Regelung widerspräche sowohl den Interessen von Fahrzeugherstellern, Gutachtern und Betreibern als auch den Grundsätzen des AVG.
Mit freundlichen Grüßen