2994/AB XXII. GP
Eingelangt am 12.07.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Der Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing.
Kaipel, Kolleginnen und Kollegen haben am
12. Mai 2005 unter
der Nr. 3031/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage
betreffend Rückgabe von Kompetenzen der EU an die Nationalstaaten gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Ich habe anläßlich einer gemeinsamen Veranstaltung der
Europäischen Kommission
und des Europäischen Parlamentes im Palais
Ferstel am 9. Mai 2005 ausgeführt,
daß die Europäische Verfassung die Union handlungsfähiger macht und die
Möglich-
keit besteht, daß manche Kompetenzen wieder
von den Ländern ausgeübt werden.
Es besteht kein Bedarf manches zu detailliert auf europäischer Ebene zu
regeln.
Ich befürworte ausdrücklich die im
Vertrag über eine Verfassung für Europa
vorgenommene
Festlegung des europäischen Kompetenzsystems. Meine Äußerung
nimmt einerseits Bezug auf die Möglichkeit,
daß von der Union nicht in Anspruch
genommene Kompetenzen von den Mitgliedstaaten ausgeübt werden können und
andererseits auf eine verbesserte Handhabung des Subsidiaritäts- und des
Proportionalitätsprinzips in der Praxis.
Der Verfassungsvertrag hat eine Reihe
von Grundsätzen, die die Union bei der
Wahrnehmung
ihrer Kompetenzen zu beachten hat, klar festgeschrieben. Zwei
davon berühren den in
der Anfrage angesprochenen Punkt direkt:
- Die Union hat die Grundsätze der Subsidiarität und
der Verhältnismäßigkeit zu
achten (Art. I-11 Abs. 3 und 4). Es
werden neue Mechanismen zur Kontrolle der
Anwendung der Grundsätze der
Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit festge-
legt (Protokolle 1 und 2 zum Verfassungsvertrag).
- Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr,
sofern und soweit die Union
ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr
aus-
zuüben (Art. I-12 Abs. 2).
Aus der zuletzt
zitierten Bestimmung des Verfassungsvertrags ergibt sich also, daß
ausdrücklich eine Art von „Rückgabe" hinsichtlich der sog. „geteilten
Kompetenzen"
an die Mitgliedstaaten möglich ist. Dabei geht es natürlich nicht um die
Rückgabe
ganzer
Politikfelder - was wohl illusorisch ist - sondern um die Inanspruchnahme
oder
Nichtinanspruchnahme der Regelungskompetenz hinsichtlich einzelner Regel-
ungsbereiche.
Im Hinblick auf die Anwendung des
Subsidiaritätsprinzips halte ich es nicht nur für
wichtig, daß die Organe der Union die in Protokoll Nr. 2 vorgesehenen
Modalitäten
hinsichtlich der Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnis-
mäßigkeit genauestens
beachten, sondern auch, daß die nationalen Parlamente von
den ihnen in Protokoll Nr. 1 eingeräumten Befugnisse der
Subsidiaritätskontrolle ent-
sprechend Gebrauch machen. Bei der
Wahrnehmung der ihnen eingeräumten Be-
fugnisse können die nationalen Parlamente auch Konsultationen mit
Regionalparla-
menten, in Österreich also mit den
Landtagen, pflegen. Die wesentliche Rolle der
Gemeinden und Regionen bei der Wahrnehmung nationaler Kompetenzen in
föderal
organisierten Mitgliedstaaten wie Österreich wird generell anerkannt.
Zu den Fragen 2 und 3:
Die Beantwortung dieser Frage wird
entscheidend davon abhängen, wie die natio-
nalen Parlamente in den Mitgliedstaaten ihre Aufgabe der
Subsidiaritätskontrolle
wahrnehmen. Wird die
Subsidiaritätsprüfung von den Parlamenten gewissenhaft und
mit Engagement ausgeführt, wird sich
zweifellos in einigen Fällen das erforderliche
Drittel der Gesamtzahl der den
nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen fin-
den, die die Kommission zur Überprüfung eines konkreten
Rechtssetzungsvorschla-
ges zwingt. Diese Überprüfung kann auch zu einer endgültigen Rücknahme des Vor-
schlages und somit zur NichtUmsetzung hinsichtlich eines auf eine bestimmte
Kom-
petenzgrundlage gestützten Vorhabens führen.
Wer innerösterreichisch für die
Wahrnehmung eines derartigen von der Union nicht
wahrgenommenen Vorhabens zuständig ist, ergibt sich dann im Weiteren aus der
innerstaatlichen
Zuständigkeitsverteilung des B-VG.
Zu Frage 4:
Voraussetzung ist das Inkrafttreten des Verfassungsvertrages.
Zu Frage 5:
Die Bundesregierung hat mit Beschluß
vom 30. März 2005 den Vertrag über eine
Verfassung für Europa dem Parlament zur Genehmigung vorgelegt. Der Nationalrat
hat
am 11. Mai 2005 und der Bundesrat am 25. Mai 2005 dem Verfassungsvertrag
die
Zustimmung erteilt. Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erfolgte am
17.
Juni 2005.