3064/AB XXII. GP
Eingelangt am 03.08.2005
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0057-Pr 1/2005
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 3163/J-NR/2005
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Gisela Wurm, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Vollziehung der Ersatzbestimmung für das menschenrechtswidrige Sonderstrafgesetz § 209 StGB (§ 207b StGB)“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 5:
Im angefragten Zeitraum wurde beim
Landesgericht Eisenstadt gegen einen unbescholtenen 30-jährigen Verdächtigen
ein Verfahren wegen § 207b Abs. 1 StGB zum Nachteil einer 14-jährigen
Jugendlichen eingeleitet. Die Jugendliche brachte (im Beisein ihrer Mutter)
selbst zur Anzeige, dass der Verdächtige sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen
habe. Ein Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt. Das Verfahren wurde
nach gerichtlichen Vorerhebungen eingestellt.
Nach den mir vorliegenden Berichten
der Staatsanwaltschaften wurde im zweiten Halbjahr 2004 wegen § 207b Abs. 1
StGB als alleinigem oder führendem Delikt weder Verwahrungs- noch
Untersuchungshaft verhängt und erfolgten auch keine Verurteilungen bzw.
Verhängung von Maßnahmen.
Zu 6:
Weder im zweiten Halbjahr 2004 noch mit Stichtag 30.6.2005 wurden Personen wegen § 207b Abs. 1 StGB (als alleiniges bzw. als im Sinne der Verurteilungsstatistik führendes Delikt) in Straf-, Untersuchungshaft oder im Maßnahmenvollzug angehalten.
Zu 7 bis 11:
Nach den mir zugekommenen Berichten
der Staatsanwaltschaften lagen anfragegegenständliche Fälle nicht vor.
Zu 12:
Weder im zweiten Halbjahr 2004 noch mit Stichtag 30.6.2005 wurden Personen wegen § 207b Abs. 2 StGB (als alleiniges bzw. als im Sinne der Verurteilungsstatistik führendes Delikt) in Straf-, Untersuchungshaft oder im Maßnahmenvollzug angehalten.
Zu 13 bis 17:
Beim Landesgericht Linz wurden
gerichtliche Vorerhebungen gegen einen 45-jährigen unbescholtenen männlichen
Verdächtigen wegen § 207b Abs. 3 StGB geführt. Partner war ein 16-jähriger
männlicher Jugendlicher. Die Höhe des Entgelts betrug 200 Euro. Dem Verdächtigen
war der jugendliche Partner durch dritte Personen vermittelt worden. Nach
Abschluss der gerichtlichen Vorerhebungen unterbreitete die Staatsanwaltschaft
Linz dem Verdächtigen ein Diversionsanbot nach § 90c StPO, welches von diesem angenommen
wurde.
Im zweiten Halbjahr 2004 wurde beim
Landesgericht Klagenfurt ein Strafverfahren gegen einen wegen Vergewaltigung
und anderer Delikte vorbestraften 45-jährigen männlichen Verdächtigen wegen §
207b Abs. 3 StGB eingeleitet. Partnerin war eine 15-jährige Jugendliche. Das
Entgelt bestand in der Zahlung eines Geldbetrages, das Verleiten im Versprechen
eines solchen und die Unmittelbarkeit des Verleitens in der erst durch das
Zahlungsversprechen hervorgerufenen Bereitschaft zu geschlechtlichen Kontakten.
Über den genannten Tatverdächtigen wurde die Untersuchungshaft verhängt. Er
wurde im zweiten Halbjahr 2004 wegen § 207b Abs. 3 StGB in Anwendung des § 43a
Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 200 Tagessätzen und einer bedingt
nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Beim Landesgericht für Strafsachen Wien wurde im zweiten Halbjahr 2004 gegen einen 47-jährigen männlichen unbescholtenen Verdächtigen ein Verfahren wegen § 207b Abs. 3 StGB eingeleitet. Partnerin war eine 16-jährige Jugendliche. Die Tathandlung bestand im Anbieten von 30 Euro für einen sofort durchzuführenden Geschlechtsverkehr.
Weitere anfragegegenständliche Fälle sind mir aufgrund der vorliegenden Berichte der Staatsanwaltschaften nicht bekannt geworden.
Zu 18:
Vom 22.2.2004 bis 21.2.2005 befand sich eine Person wegen § 207b Abs. 3 StGB (führendes Delikt) in Haft. Zuletzt wurde sie in der Justizanstalt Wien-Mittersteig gemäß § 21 Abs. 2 StGB im Maßnahmenvollzug angehalten. Derzeit verbüßt er – wegen anderer Delikte - eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten in der Justizanstalt Garsten.
Mit Stichtag 30.6.2005 befand sich keine
Person wegen § 207b Abs. 3 StGB (führendes Delikt) in Haft.
Zu 19 und 20:
Die Ergreifung von Maßnahmen, um sicher zu stellen, dass Anklagebehörden Gerichtsverfahren auf Grund des § 207b StGB nur dann einleiten, wenn ein Anfangsverdacht auf eine im Sinne der Bestimmung verbotene Beziehung besteht, ist von mir nicht geplant und auch nicht erforderlich.
Aus dem im österreichischen Strafverfahrensrecht geltenden Legalitätsprinzip, an das sämtliche Anklagebehörden gebunden sind, folgt zwingend, dass ein gerichtliches Strafverfahren nur wegen des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung eingeleitet werden darf. Dies bedeutet, dass bereits der Anfangsverdacht konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale einer strafbaren Handlung enthalten muss, um die Setzung weiterer Verfolgungsschritte zu rechtfertigen.
Einen Handlungsbedarf, die Anklagebehörden auf die für ihre gesamte Arbeit wesentlichen Grundsätze der Legalität und Objektivität im Hinblick auf Strafverfolgungshandlungen nach § 207b StGB besonders hinzuweisen, sehe ich nicht.
Die Frage, ob die bloße Tatsache einer sexuellen Beziehung mit einer Person, die das 16. bzw. 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, einen hinreichenden Anfangsverdacht im Hinblick auf die Bestimmung des § 207b StGB bildet, ist daher bereits unmittelbar unter Bezugnahme auf den Gesetzestext eindeutig zu verneinen.
§ 207b StGB pönalisiert nicht schlechthin konsensuale, selbstbestimmte geschlechtliche Beziehungen mit bzw. von Personen, die das 16. bzw. 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers, wonach eine Person alterstypischer Reife mit dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr für befähigt erachtet wird, über ihre Sexualität selbst zu bestimmen und eines besonderen Schutzes durch die Gesetze nicht mehr bedarf, wird durch § 207b StGB nicht berührt.
§ 207b StGB erfasst in seinen Absätzen 1 und 2 Verhaltensweisen, in denen eine Person unter sechzehn Jahren entweder durch Ausnützung ihrer (individuell) verzögerten Reife von einer Person mit altersbedingter Überlegenheit oder durch Ausnützung einer Zwangslage zu einem bloß vorgeblich freien und konsensualen Geschlechtsverkehr verleitet wird. Absatz 3 stellt – im Einklang mit internationalen Vorgaben - sexuelle Handlungen mit einer Person unter achtzehn Jahren, die diese unmittelbar gegen ein Entgelt vornimmt oder durchführen lässt, unter Strafe.
§ 207b StGB dient daher keineswegs dazu, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher einzuschränken, sondern soll vielmehr sicherstellen, dass dieses Selbstbestimmungsrecht auch in für den/die Jugendliche/n problematischen Situationen voll gewahrt bleibt.
Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass diese Bestimmung von den Anklagebehörden anders verstanden oder vollzogen wird.
. Juli 2005
(Maga. Karin Miklautsch)