3149/AB XXII. GP
Eingelangt am 19.08.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr.
Einem, Kolleginnen und Kollegen haben am
21.
Juni 2005 unter der Nr. 3186/J an mich eine schriftliche
parlamentarische Anfra-
ge
betreffend Zusammenhang mit den Beschlüssen des EU-Rats am 16./17. Juni
2005 gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 und 2:
Die in den Punkten 1 und 2 gestellten
Fragen sind tatsächlich nicht in den Schlußfol-
gerungen
des Europäischen Rates, sondern in einer Erklärung der Staats- und Re-
gierungschefs
der Europäischen Union angesprochen.
Darin wird u.a. der
Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden zur
Kenntnis
genommen und die Auffassung vertreten, daß hierdurch das Engagement
der
Bürger für das europäische Aufbauwerk nicht in Frage gestellt wird. Die Bürger
haben
jedoch Bedenken und Ängste zum Ausdruck gebracht, denen Rechnung ge-
tragen
werden muß. Es ist daher notwendig, die Lage gemeinsam zu überdenken.
Diese Zeit der
Reflexion wird in jedem Land für eine ausführliche Diskussion genutzt
werden,
an der die Bürger, die Zivilgesellschaft, die Sozialpartner, die nationalen
Parlamente
sowie die politischen Parteien teilnehmen werden. Diese Diskussion, die
in
einer ganzen Anzahl von Mitgliedstaaten bereits im Gange ist, muß intensiviert
und
erweitert werden. Auch die Organe der Europäischen Union müssen ihren Bei-
trag
leisten, wobei der Kommission eine besondere Rolle zukommt.
Die Staats- und Regierungschefs sind auch übereingekommen, im ersten Halbjahr
2006 zusammenzutreffen, um eine Bewertung aller
einzelstaatlichen Diskussionen
vorzunehmen und die weitere
Vorgangsweise zu vereinbaren.
Im Hinblick auf die
Finanzielle Vorausschau bedauert der Europäische Rat, daß es
nicht
möglich war, in diesem Stadium eine allgemeine Einigung über sie zu erzielen.
Er verpflichtete sich, weiterhin alles in seiner Macht Stehende zu tun, um
dieses Ziel
zu erreichen. Er
stellte fest, daß die diesbezüglichen Arbeiten durch die gemeinsame
Vorbereitung beträchtlich vorangebracht
worden sind und ersuchte den britischen
Vorsitz, die Beratungen auf der
Grundlage der bislang gemachten Fortschritte mit
dem Ziel voranzubringen, eine Lösung
für alle Komponenten zu finden, die erforder-
lich sind, damit bald eine Gesamtübereinkunft erreicht werden kann. Österreich
wird
den britischen Vorsitz dabei nach Kräften unterstützen.
Zu Frage 3:
Die 24 Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung sind
durchaus ein klares und deut-
liches Signal. Sie bilden ein ambitioniertes
Rahmenwerk, innerhalb dessen die ein-
zelnen Mitgliedstaaten aber auch die
Union in ihrer Gesamtheit aufgefordert sind,
den für sie passenden strategischen Ansatz zu wählen.
Die 24 Leitlinien sind drei
Politikbereichen zugeordnet und orientieren sich an den
bereits
vereinbarten Parametern der „Grundzüge der Wirtschaftspolitik" (Makro),
des
„Cardiff-Prozesses"
(Mikro) und der „Beschäftigungspolitischen Leitlinien" (Beschäfti-
gung). Durch die konsequente Beschränkung auf die „alten thematischen
Überschrif-
ten" wird sichergestellt, daß die für
Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung kriti-
schen Themen auf der wirtschaftspolitischen Agenda bleiben. Gleichzeitig wird
aber
- und das ist das Neue an den
integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäfti-
gung - durch die Verschränkung dieser
drei Prozesse auch deutlich, daß wirtschafts-
politische Reformen auf den
unterschiedlichsten Ebenen wirksam werden müssen,
um erfolgreich sein zu können. Andererseits wird erwartet, daß die Verzahnung
zu-
sätzliche Impulse in Form von Synergieeffekten bringt.
Zu Frage 4:
Der Europäische Rat bestimmt die
Grundsätze und allgemeine Leitlinien der Ge-
meinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik. Mit den Schlußfolgerungen zu den Fragen
der Außenpolitik hat er diese ihm vom EUV zugewiesene Rolle erfüllt.
Es entspricht durchaus den Erwartungen der Bürgerinnen und
Bürgern Europas, daß
eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik,
die sich auf alle Bereiche der Aus-
sen- und Sicherheitspolitik erstreckt, tatsächlich erarbeitet und verwirklicht
wird. Der
Europäische Rat hat daher mit seinen Schlußfolgerungen zur Außenpolitik ein
gutes
Signal gesetzt und das hohe Maß an Übereinstimmung zwischen den
Mitgliedstaaten
in weiten Bereichen der Außenpolitik demonstriert.
Zu Frage 5:
Im Europäischen Rat wurde in allgemeiner Form auch die
Frage der Erweiterungsge-
schwindigkeit angesprochen und von einigen
Staaten die Ansicht geäußert, das Bei-
trittstempo sei ein Grund für den
negativen Ausgang der Verfassungsreferenden in
Frankreich und in den Niederlanden gewesen.
Zu Frage 6:
Der Rat hat auf die Gültigkeit der
Schlußfolgerungen der Räte vom Juni und Dezem-
ber letzten Jahres
verwiesen, bei denen festgestellt wurde, daß Bulgarien und Rumä-
nien integraler Bestandteil der
Erweiterungsrunde vom 1. Mai 2004 sind und daß
man überzeugt sei, daß beide Länder in der Lage sein werden, ihren
Verpflichtungen
aus dem Beitritt nachzukommen. Tatsache ist,
daß Bulgarien und Rumänien bereits
1995 ihre Beitrittsanträge stellten, erst fünf Jahre später die Verhandlungen
mit bei-
den Ländern aufgenommen wurden und sie
frühestens 2007 bzw. 2008 der Union
beitreten werden. Der gesamte Prozeß
erstreckt sich also mindestens über 12 Jahre.
Zu Frage 7:
Die Kommission kann die
Beitrittsverschiebung lediglich empfehlen. Die Entschei-
dung
darüber muß im Rat mit Einstimmigkeit gefällt werden - bei Rumänien reicht in
den
Bereichen Justiz und Inneres sowie Wettbewerb qualifizierte Mehrheit. Beim
Treffen des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni gab die Kommission keine
Hinweise
auf eine mögliche Verschiebungsempfehlung. Der zuständige Kommissar,
O. Rehn, hat aber in mehreren aktuellen Stellungnahmen klar gemacht, daß er
nicht
zögern würde, eine solche Empfehlung abzugeben, sollten die Voraussetzungen für
einen Beitritt zum
1.1. 2007 nicht vollständig erfüllt sein.
Zu den Fragen 8 bis 12:
Da es außer der - in den
Schlußfolgerungen erwähnten - Unterzeichnung des Bei-
trittsvertrages mit Rumänien und Bulgarien zum Themenbereich Erweiterung keine
neuen Entwicklungen gab, war die allgemeine Übereinkunft, sich auf einen
Hinweis
auf die maßgeblichen
Schlußfolgerungen der Europäischen Räte vom Dezember und
Juni des vergangenen Jahres zu beschränken.
Damit wurde weder vernebelt noch
ein Schwenk vollzogen, sondern
einfach der Tatsache Rechnung getragen, daß sich
an der Beschlußlage nichts Grundlegendes geändert hat.
Für Kroatien war im Entwurf nur ein
Platzhalter für den Fall entsprechender neuer
Entwicklungen
vorgesehen. Solche Entwicklungen sind noch nicht eingetreten. Nicht
zuletzt dank der Bemühungen der auf meine Initiative ins Leben gerufenen
task-force
konnte sich aber der RAA/AB v. 13.6.05 auf
eine positive Bewertung des Aktions-
plans von Premierminister Sanader
einigen. Damit wird ein Weg aufgezeigt, wie sich
in absehbarer Zeit die erforderliche
Einstimmigkeit dafür finden läßt. Österreich sah
die Erfüllung dieser Voraussetzung
bekanntlich schon früher gegeben und trat daher
für eine Eröffnung der Beitrittsverhandlungen im März ein. Unsere Bemühungen
sind
und bleiben weiter darauf gerichtet,
daß dieser Termin so schnell wie möglich
nachgeholt werden kann.
Zu den Fragen 13 und 14:
Die Bundesregierung und insbesondere
das Bundeskanzleramt sind schon seit Jah-
ren bemüht, die österreichische Bevölkerung umfassend über die Belange der
Euro-
päischen
Union zu informieren. Dieses Bemühen setzen wir selbstverständlich fort.
So
hat das Bundeskanzleramt zum Beispiel im Zuge der Ratifizierung des Vertrages
über
eine Verfassung für Europa an jeden österreichischen Haushalt eine entspre-
chende
Broschüre versandt, welche im Vorfeld übrigens auch den Mandataren des
Hohen Hauses zur
Kenntnis gebracht wurde. Des Weiteren konnte die interessierte
Öffentlichkeit über
das Europatelefon der Bundesregierung auch die Volltextausgabe
des Vertrages kostenfrei anfordern. Seit Mai
wurde diese bereits rund 20.000-mal
nachgefragt und versandt.
In Anbetracht der Ereignisse vom
Europäischen Rat am 16. und 17. Juni dieses Jah-
res
und der dort beschlossenen „Reflexionsphase", wird die Bundesregierung ab
Herbst
mit dem Parlament, den Sozialpartnern, den Medien und allen interessierten
Bürgerinnen und Bürgern eine intensive Debatte zur Zukunft Europas führen. In
Vor-
bereitung
darauf haben wir dazu auf der Website des Bundeskanzleramtes
http://www.bundeskanzleramt.at und des Bundesministeriums für
auswärtige Angele-
genheiten http://www.bmaa.gv.at unter dem Motto „Europa hört zu" einen Fragebo-
gen
online gestellt, mittels dessen jedermann seine Meinungen und Ideen zu Europa
äußern kann.