3356/AB XXII. GP

Eingelangt am 18.11.2005
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0077-Pr 1/2005

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 3394/J-NR/2005

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen, haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Vollmachtsmissbrauch durch einen Anwalt" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 8:

Der in dem zitierten Schreiben erhobene Vorwurf ist mir auf Grund gleich lautender Eingaben, die an mehrere Mitglieder der Bundesregierung und Abgeordnete zum Nationalrat gerichtet waren und an mich weitergeleitet wurden, bekannt geworden. Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden wurden daraufhin mit Erlass vom 25. August 2005 um Stellung nehmende Berichterstattung ersucht.

Gemäß § 78 Abs. 1 Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt) umfasst das ausschließlich auf dem Gebiet des Disziplinarverfahrens bestehende Aufsichtsrecht der Bundesministerin für Justiz über die Rechtsanwaltschaft lediglich die Befugnis, den Rechtsanwaltskammern Weisungen und Belehrungen allgemeiner Natur zu erteilen. Eine Einflussnahme auf Entscheidungen und Verfügungen im Einzelfall ist dem Bundesministerium für Justiz hingegen aufgrund der beruflichen Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft verwehrt.

In der hier relevierten Angelegenheit wurde ein Disziplinarverfahren gegen Dr. R. H. eingeleitet. Der Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer hat nach einer am 7. September 2005 stattgefundenen mündlichen Disziplinarverhandlung in erster Instanz ein – nicht rechtskräftiges – Erkenntnis gefällt. Das nichtöffentliche Disziplinarverfahren ist somit noch anhängig, sodass über Verfahrensinhalte keine Auskunft erteilt werden kann (§ 79 DSt).

Zu 2:

Bei der Staatsanwaltschaft Graz wurde der Sachverhalt auf Grund einer dort am 6. September 2004 eingelangten Anzeige geprüft. Die Anzeige wurde nach gerichtlichen Vorerhebungen am 23. März 2005 gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurückgelegt.

Zu 3:

Von einem Vollmachtsmissbrauch, in welchem Falle bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der Tatbestand der Untreue nach § 153 des Strafgesetzbuches gegeben sein kann, kann man grundsätzlich nur sprechen, wenn überhaupt eine Vollmacht erteilt wurde und im Tatzeitpunkt noch aktuell ist. Dabei genügt zwar Gattungsvollmacht oder Mitentscheidungsbefugnis. Aufgehobene und frühere Befugnisse reichen jedoch nicht aus. Der Täter einer Untreue muss sich grundsätzlich im Rahmen der ihm vermittelten Macht bewegen. Bei genereller Befugnisüberschreitung oder Befugnisvortäuschung (falsus procurator) kann nicht Untreue, wohl aber nach Lage des Falles Betrug nach § 146 oder Täuschung nach § 108 des Strafgesetzbuches vorliegen. Fehlt es auch an den Voraussetzungen dieser Tatbestände (indem etwa kein Bereicherungsvorsatz oder keine Schädigungsabsicht vorliegen) und wird auch sonst kein strafrechtlich relevanter Tatbestand verwirklicht, etwa ein Urkundendelikt, indem beispielsweise eine gefälschte schriftliche Vollmacht verwendet oder eine mittelbare unrichtige Beurkundung erwirkt wird, so ist das bloße Auftreten unter einem falschen Namen oder eben im Namen einer anderen Person, die jedoch dazu nicht ermächtigt hat, nicht strafbar.

Zu 4 bis 7 und 12:

Die erstmals durch die Zivilverfahrensnovelle 1983 in die österreichische Zivilprozessordnung eingeführte Möglichkeit der Berufung auf die erteilte Vollmacht mit der Wirkung, dass die Vorlage der Vollmacht nicht mehr erforderlich ist (§ 30 Abs 2 ZPO), hat sich durch die Jahre und Jahrzehnte hindurch bewährt. Ihr folgten entsprechende Regelungen in der RAO (§ 8 Abs. 1 zweiter Satz) und der StPO (§ 44 Abs. 1), die gleichfalls im Gerichts- und Behördenalltag eine nicht mehr wegzudenkende Erleichterung der Rechtswahrung gerade auch zu Gunsten des Mandanten mit sich gebracht haben. An eine Modifikation oder gar an einen Entfall dieser Möglichkeit ist nicht gedacht.

Nach der Rechtsprechung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission ist mit besonderer Sorgfalt auf die Richtigkeit entsprechender Erklärungen zu achten. Beruft sich daher ein Rechtsanwalt auf eine (Verfahrens-)Vollmacht, obwohl ihm eine solche nicht erteilt wurde, kann dies – neben allfälligen strafrechtlichen Implikationen (Frage 3) - ein Disziplinarvergehen iSd § 1 Abs. 1 DSt darstellen. Als mögliche Disziplinarstrafen bei Disziplinarvergehen sieht § 16 Abs. 1 DSt neben dem schriftlichen Verweis und der Verhängung von Geldbußen bis zum Betrag von  45.000 Euro auch die Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft bis zur Dauer eines Jahres oder – bei Rechtsanwaltsanwärtern – die Verlängerung der Dauer der praktischen Verwendung um höchstens ein Jahr vor; schließlich ist auch die Streichung von der Liste der Rechtsanwälte möglich.

Das Disziplinarrecht ist eine Angelegenheit der beruflichen Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft, sodass dem Bundesministerium für Justiz eine Einflussnahme auf Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwälte im Einzelfall verwehrt ist. Zur Entscheidung im Disziplinarverfahren ist (in erster Instanz) der Disziplinarrat berufen. Dieser ist eine vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer unabhängige und selbständige Behörde.

Zur mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat sind der Beschuldigte und sein Verteidiger zu laden. Auf Verlangen des Beschuldigten dürfen an der mündlichen Verhandlung auch drei Personen seines Vertrauens teilnehmen, die aber Rechtsanwälte oder Rechtsanwaltsanwärter sein müssen. Im Übrigen ist die mündliche Verhandlung nach § 32 Abs. 1 DSt nichtöffentlich. Dies steht im Einklang mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach dem Öffentlichkeitsgebot des Artikel 6 Abs. 1 EMRK (und dem von Österreich dazu abgegebenen Vorbehalt) muss die Öffentlichkeit des Verfahrens nur vor dem die Tat- und Rechtsfrage entscheidenden Gericht (Tribunal) gegeben sein. Der Disziplinarrat stellt aber – im Gegensatz zur Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission – kein Tribunal iSd Artikel 6 EMRK dar (VfGH 21.6.2000, B578/00).

Tatsächlich liegt die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens im Wesen des Disziplinarverfahrens, wird in diesem doch ein Rechtsanwalt für den Fall der Verletzung von Standespflichten der Disziplinargewalt seiner Standesgenossen ausgesetzt. Die Verletzung von Standespflichten liegt insoweit auf einer anderen Ebene als die Verletzung von zivilrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis zum Klienten. Im Disziplinarverfahren sind auch die - den einzelnen Berufsträger treffenden - Verschwiegenheitspflichten besonders zu berücksichtigen. Für den Fall, dass das einem Rechtsanwalt angelastete Disziplinarvergehen den Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlichen strafbaren Handlung begründet, hat der Disziplinarrat gemäß § 23 Abs. 1 DSt Anzeige an die Staatsanwaltschaft zu erstatten. Eine allfällige Hauptverhandlung wäre im Strafverfahren öffentlich.

Zu 9:

Die Akte der Bau- und Anlagenbehörde Graz fallen nicht in meinen Vollzugsbereich. Es steht mir nicht zu, diese zu kommentieren.

Zu 10.

In den Jahren 2002 bis 2004 sind dem Bundesministerium für Justiz keine Missbrauchsfälle im Zusammenhang mit den Bestimmungen des § 8 Abs. 1 zweiter Satz RAO, § 30 Abs. 2 ZPO und § 44 Abs. 1 StPO bekannt geworden.

Zu 11:

Bei den Disziplinarorganen der jeweiligen Rechtsanwaltskammern waren in den Jahren 2002, 2003 und 2004 an Disziplinarverfahren anhängig:

Bundesland

 

2002

 

2003

 

2004

Gesamt

Wien

205

239

250

694

Niederösterreich

29

46

47

122

Oberösterreich

69

60

44

173

Salzburg

70

48

48

166

Tirol

44

42

54

140

Vorarlberg

8

9

11

28

Kärnten

39

31

37

107

Steiermark

76

48

60

184

Burgenland

4

4

10

18

Gesamt

544

527

561

1.632

 

Eine Klärung der Frage, ob und bejahendenfalls wie viele dieser Verfahren infolge rechtsmissbräuchlichen Einschreitens im Vollmachtsnamen geführt wurden, könnte nur mit beträchtlichem Erhebungsaufwand unter Einbindung sämtlicher Rechtsanwaltskammern erfolgen und war in der Kürze der zur Verfügung stehenden Frist zur Anfragebeantwortung nicht durchführbar.

. November 2005

 

(Maga. Karin Gastinger)