3490/AB XXII. GP

Eingelangt am 16.12.2005
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BM für Justiz

 

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0090-Pr 1/2005

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 3536/J-NR/2005

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „anti-homosexuelle Verurteilungen unter der nationalsozialistischen Herrschaft“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Diese Frage ist zu verneinen, weil der in Rede stehende § 129 des Strafgesetzes (StG) sowohl vor als auch nach dem nationalsozialistischen Regime in gleichartiger Diktion Gesetzesbestand war, mithin als solcher nicht  typisch nationalsozialistisches Unrecht zum Ausdruck bringt.

Zu 3:

Verurteilungen sind insbesondere dann als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten, wenn sie auf materiellrechtliche Strafbestimmungen zurückgehen, die von ihrer Entstehung, Änderung oder spezifischen Auslegung derartiges Unrecht verkörpern, oder wenn sie in einem Verfahren zustande gekommen sind, das von solchem Unrecht geprägt war.

Dass (unbestrittenermaßen) Konsequenzen und Verfolgungsmaßnahmen wie die Internierung und Gewaltakte in Konzentrationslagern oder Zwangssterilisationen unter nationalsozialistischer Herrschaft mit Urteilen wegen § 129 StG verknüpft wurden, ist in die Betrachtung – die sich nach dem Gesetzeswortlaut auf Verurteilungen bezieht - nicht einzubeziehen.

Folgen dieser Art sind vielmehr generell als nationalsozialistisches Unrecht, das nicht auf die angesprochenen Verurteilungen beschränkt war, zu werten.

Zu 4a und b:

Die deutsche Rechtsordnung hat im Jahr 1935 durch die Neufassung des § 175 des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) und die Einfügung des § 175a RStGB eine massive Verschärfung der Tatbestände und des Strafausmaßes erfahren. Davor waren „nur“ bestimmte Sexualpraktiken - „beischlafähnliche Handlungen“ – strafbar, wobei eine Ausdehnung der Strafbarkeit (männlicher) Homosexualität auf sämtliche Formen gleichgeschlechtlicher Handlungen erfolgte. Im Gegensatz dazu blieb die österreichische Rechtslage bis 1945 und weiter bis zum Strafrechtsänderungsgesetz 1971 in diesem Bereich unverändert.

In Bezug auf Angehörige der Wehrmacht sowie der SS und von Polizeiverbänden bei besonderem Einsatz ist jedoch zu beachten, dass für diese Personengruppen generell - und daher auch für die aus Österreich stammenden Angehörigen der genannten Einheiten - nicht nur das deutsche Militärstrafrecht, sondern auch das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches im vollen Umfang galt.

Zur Aburteilung von Straftaten, die Angehörige der Wehrmacht, der SS- oder von Polizeiverbänden bei besonderem Einsatz begingen, war ausnahmslos, d.h. sowohl in Ansehung von militärischen als auch von „zivilen“ Straftatbeständen, die Militär- bzw. Kriegsgerichtsbarkeit oder die Sondergerichtsbarkeit der SS- und der Polizeigerichte zuständig.

Die Urteile dieser Gerichte gelten nach § 7 Abs. 2 der Befreiungsamnestie 1946 als nicht erfolgt - und zwar gleichgültig, ob sie innerhalb oder außerhalb der Republik Österreich gefällt worden sind. Artikel I § 1 des Anerkennungsgesetzes 2005 stellt die rückwirkende Aufhebung dieser Urteile nochmals ausdrücklich fest. Verurteilungen, die entweder vom Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 erfasst sind oder die Militärdelikte betreffen und unter § 7 Abs. 2 der Befreiungsamnestie 1946 fallen, sind jedenfalls als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten.

Für strafbare Handlungen, die nach den allgemeinen österreichischen Strafgesetzen mit Strafe bedroht waren, galt entweder das Urteil in diesem Punkt weiter (§ 3 des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes) oder es war das ordentliche Verfahren einzuleiten (§ 9 Abs. 1 der Befreiungsamnestie). Daraus ergibt sich, dass der historische Gesetzgeber etwa die Strafbarkeit homosexueller Handlungen nicht als typisch nationalsozialistisches Unrecht angesehen hat.

Zur Klarstellung, dass die u.a. auch in diesem Bereich erfolgte Radikalisierung des Reichsstrafgesetzbuches in Ursprung, Zweck und Auswirkung als typisch nationalsozialistisches Unrecht anzusehen ist, ergänzte der deutsche Bundestag die Nummer 26 der Anlage zu § 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) vom 25. August 1998 (BGBl. I S. 2501) durch das am 27. Juli 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG) um die §§ 175, 175a Nr. 4 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839).

Die Problematik eines Vergleichs zwischen Deutschland und Österreich im vorliegenden Zusammenhang besteht darin, dass der deutsche Gesetzgeber des Jahres 2002 sich im Wesentlichen auf die Verschärfungen von 1935 bezogen hat, während die Rechtslage in Österreich zum Teil schon seit jeher strenger war (im Bereich der gleichgeschlechtlichen Handlungen unter Frauen) und auch nach den Verschärfungen in Deutschland strenger blieb. Durch die deutschen Verschärfungen des Jahres 1935 wurde zum Teil erst jener Rechtszustand geschaffen wurde, der in Österreich bereits Jahrzehnte vor der NS-Machtergreifung gegolten hat („Unzucht“ umfasst nicht nur beischlafsähnliche Handlungen). Danach erscheint es für Österreich nicht zutreffend, bei Verurteilungen nach § 129 StG per se von typisch nationalsozialistischem Unrecht zu sprechen. Dies darf freilich nicht den Blick dafür verstellen, dass verfolgten Homosexuellen auch im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen § 129 StG  nationalsozialistisches Unrecht widerfahren ist.

Zu 5:

Die Anerkennung ergibt sich aus dem Umstand, dass die Aufhebung der Verurteilungen nach den 175, 175a Nr. 4 des deutschen Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839) ohne Differenzierung nach Nationalität erfolgt ist und daher auch Österreicher von deren Rechtswirkungen in gleicher Weise erfasst sind.

. Dezember 2005

 

(Maga. Karin Gastinger)